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Full text of "Historische Zeitschrift"

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I08 
Ken 








© 


&Siftorifche Seitfchrift 


berauggegeben von 


Heinrih von Sybel, 


o. d. Brofeffor der Geſchichte an der rheiniſchen Friedrich⸗WilhelmsUniverſität 
zu Bonn. 


Siebenter Band. 





Münden, 1862. 
Literariſch-artiſtiſche Anftalt 
ver 3. ©. Cotta'ſchen Ouchhandlung. 


Ka — 
162522 





Inhalt. 


Seite. 
I. Zur Geſchichte des Raſtatter Congreſſes. Aus umgebenden Akten. 
Bon Ludwig Häuffer . . . . 1 


II. Kirchenftaat, Kirche und Nationalftaat. Bon Hermann Reudlin 47 
III. Ueber Darftellungen der allgemeinen Gefchichte, mmebeſendere des 


Mittelaltere. Von Mar Büdinger . 108 
IV. Das Berhälmiß von Heer und Staat in der Bang Rehublit. 
Bon K. W. Nitzſch .133 
V. Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur des Jehret 1861. 
1. Weltgeſchichte. Allgemeines . 169 
2. Alte Geſchichte. . . . . . 168 
3. Allgemeine Geſchichte des Mittelalters . . . . 1% 
4. Geſchichte der neueren und neueften Zeit . . . 228: 
5. Deutſche Geſchichte 268 


Beilage. Nachrichten von der hiſtoriſchen Commiſſion bei der königl. 
bayer. Akademie der Wiſſenſchaften. Dritter Jahrgang. Drittes Stück. 


VI. Ebo, Hinfmar und Pſeudo⸗Iſidor. Bon Karl v. Noorden . 811 


VII. Kaifer Marimilian II. und die deutſche *eformation. Bon Wil. 
beim MRaurenbreder . . . . 851 


VI. Tilly und Guſtav Adolf nad) Onno alopp Von 4 Benedey 381 
IX. Zur Geſchichte des dreißigjährigen Krieges . . . . 445 


IV Inhalt. 


Seite. 
X. Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur des Jahres 1861. (Fortſetzung.) 

5. Deutſche Geſchichte. (Zortjegung.) - . . . . 451 
6. Deutſche Provinzialgefhichtee Schwaben und der Oberrhein . 515 
„ „ Mittelrhein . . . . 5% 

„ „ Niederrhein . . . . 524 

m ⸗⸗ Weſtfalen . . . 525 

„ „ Niederſachſen . 5832 

„ „ Brandenburg, Pommern, Preußen . 551 

„ „ Oberſachſen, Thüringen, Heſſ . 571 

⸗ Franken . 578 

" „ Bayern . 590 


Beilage. Nachrichten von der hiſtoriſchen Kommiffion bei der königl. 
bayer. Akademie der Wiſſenſchaften. Dritter Jahrgang. Biertes Stüd. 





Drndfehler. 


Seite 332. Zeile 17 von ımten I. Bernoldi fl. Banoldi. 





Borwort. 


Durch die Lieberfiedelung der Redaktion diefer Zeitfehrift nad 
Bonn tritt in der Gefchäftsführung berfelben die Aenderung ein, daß 
die bisher durch Herrn Dr. Kluckhohn beforgten Gefchäfte von jet 
an durch Herrn Dr. Maurenbreder, Privatdocenten der Gefchichte 
in Bonn übernommen werden. Wir bitten alfo unfere verehrten Mit⸗ 
arbeiter und die mit uns in Verbindung ftehenden Verlagshandlungen 
ihre Zufendungen, insbefondere wenn diefelben die bibliographifche 
Ueberjicht betreffen, direft (franfo oder auf Buchhändlerwege) an 
Herrn Dr. Maurenbrecher hierhin gelangen zu lafjen. 

Bei diefem Anlaſſe wiederholen wir die Bitte an unfere geehrten 
Fachgenoſſen, die bibliographifche Ueberficht durcd, geneigte Einfendung 
furzer Notizen über Inhalt und Werth der gerade von ihnen gebrauchten 
hiſtoriſchen Novitäten unterjtügen zu wollen. Nicht minder richten 
wir an die verehrlichen Verlagshandlungen das wiederholte Geſuch 
um Zufendung von Recenfionseremplaren ihrer hiftorifchen Verlags- 
ertifel; die jgftematifche Anordnung unferer Weberficht bewirkt zwar 
in mandyen Fällen ein etwas fpäteres Erfcheinen der betreffenden Re⸗ 
cenfion, entjpricht aber um fo mehr nad allen unferen bisherigen 
Erfahrungen dem Literarifchen und wiſſenſchaftlichen Bedürfniſſe, fo 
dag wir unfere Bitte um Förderung derfelben mit vollem Vertrauen 
an den gemeinnügigen Sinn und das literarifche Intereſſe der Herren 
Zerleger richten. 


Bonn, im März; 1862. 





- 
..”, 
. 


1. 
Zur Geſchichte des Naftatter Congrefles. 
Aus ungedruckten Alten. 


Bon 
Ludwig Hänffer. 





Mancher unferer Lefer wird, wenn er die Auffchrift Lieft, den 
Beitrag, den wir geben wollen, vielleicht wie etwas MWeberflüffiges 
betrachten. Denn der Stoff ift nicht nur für jeden unerquidlid, ſon⸗ 
dern es fcheint derjelbe auch in feiner ganzen leidigen Breite fo gut 
wie erihöpft zu fein. Ob etwas mehr Aergerniß, ſelbſt aus noch 
unausgebeuteten Quellen dem fchon firirten Bilde jener Tage hinzuges 
fügt werde oder nicht, dünkt Vielen ohne Zweifel eine gleichgültige Sache. 

Indeſſen es gilt hier, was fid) von vielen andern Abfchnitten 
der Epodye von 1789—1815 fagen läßt: wie rei und mannigfaltig 
auch die Auffchlüffe fein mögen, welche die jüngften Jahrzehnte in 
verichiedenen Richtungen gebracht haben, e8 bleibt doch eine Menge 
von Epifoden in der Gefchichte jener Zeit, die wenn nicht im Einzel⸗ 
nen ganz unbelannt doch wenigftens nur unvolllommen aufgeflärt 
find. Und es liegt das in der Natur des Stoffes; denn je mehr 
die großen und erjchütternden Ereigniſſe das Intereſſe in Anſpruch 
nehmen, defto leichter Tann es gefchehen, daß einem einzelnen Ereig⸗ 
niffe, das fi nicht eben impofant in den Vordergrund drängt, die 
gebührende Beachtung entzogen bleibt. Das trifft dann bisweilen 
gerade Barthien, deren gejdichtlicher Werth wenigftens für uns 
Deutjde außer Zweifel ftcht. 

Gißeelige Beitiarin VII. Band, 1 


2 Fe  Aubrwig Häuffer, 


Es: faſeint uns, als wenn dies eben auch auf die Geſchichte des 
Raſtattker. Tongreſſes beſondere Anwendung fände. Neben dein be— 
kannten Getreibe der Diplomatie des h. röm. Reichs, den Brutalitäten 
der Zranzoſen, den Vorbereitungen zur zweiten Coalition und dem 
Hogticen Ausgange des Congreſſes ift Anderes kaum beachtet oder 

cd i in unfern Quellen ziemlich dürftig bedacht worden; theils die 
*...großen Erjchütterungen der europäifchen Politik, theils der unverfieg- 
...- bare Strom pilanten Standals haben ihm den Pla weggenommen. 
Von dem Verhältniffe Oeſterreichs und Preußens z. B. haben wir 
mur eine unvolllommene Kenntniß; man weiß, daß fich beide Mächte 
abwechfelnd angezogen und abgejtoßen haben, daß Verhandlungen 
ftattfanden, daß Verſuche der Verftändigung gemacht wurden; allein 
über den Anlaß und den Verlauf diejer Verhandlung, fo wie über 
die Urfachen ihres Mislingens fehlt nody eine genauere Aufklärung. 
Es foll die Aufgabe des folgenden Auffages fein, diefen Punkt 
genauer ind Auge zu faſſen und aus dem umfangreichen urkundlichen 
Moterial, das uns vorliegt, die Beziehungen Defterreihs 
und Preußens während des Raſtatter Congreſſes zu er: 
läutern. Eines der neueften Bücher, dem wir fo manche ſchätzbare 
Mittheilung verdanken, das Wert von Michailomsty - Danilewsfy 
und Diiliutin hat aus feinen ruffifhen Quellen dafür nur Anden: 
tungen gegeben (I. 47 ff. 338 f. 347 ff.) und die Wißbegierde mehr 
gereizt als befriedigt. Ja es find die Mittheilungen über dies DVer- 
hältniß nad) der Natur der benugten Quellen nur fragmentarifch 
und bei dem Nachdrucke, der vorzugsweije auf den Antheil Rußlands 
gelegt ift, wird das Bild des Ganzen einſeitig. Wenn ich es ver- 
fuche, diefe Epifode im Einzelnen genauer darzuitellen, fo erhebe ich 
nicht den Anfpruch, den Gegenftand zu erfchöpfen, fchon deshalb nicht, 
weil manche werthvolle Delle, die zur Ergänzung dienen könnte, 
vorerjt noch der Ausbeutung verfchlojfen iſt. Indeſſen wollte man 
auch da8 der allgemeinen Kenntniß Eröffnete darum zurüdhalten, 
weil andered Wünfchenswerthe noch ausfteht, fo müßten wir über- 
haupt die neuere deutjche Geſchichte unbearbeitet Laffen, oder uns mit 
dem begnügen, was durd) fremde gefärbte Gläſer geboten wird. Für 
eine biftorifche Zeitfchrift eignet fich aber ein folder Stoff darum 
befonder®, weil auch in einer ausführlichen Behandlung der Geſchichte 





Zur Geſchichte des Raſtatter Eongrefjes. 3 


jener Zeit für dieſe Detailſtudien nur ein beſchränkter Raum übrig 
bleibt. In der dritten Auflage meiner deutſchen Geſchichte z. B. 
werde ich zwar die Ergebniſſe dieſer Erſcheinungen in allen weſentli⸗ 
chen Zügen zuſammenfaſſen, allein das Einzelne wird hier, wie in 
manchem andern Abſchnitte, beſonderen Ausarbeitungen vorbehalten 
bleiben. 


Defterreih, Preußen, Rußland vor dem Raſtatter 
Congreffe. 


Die Berhältniffe, unter denen der Friede von Campoformio ge- 
ſchloſſen ward, verhießen ihm feine allzu lange Dauer. Hinter dem 
fiegreichen Feldherrn, der ihn vorfchrieb und damals die Anficht aus⸗ 
fprady, auf diefer Linie jolle man ftehen bleiben, drängten in Franl- 
reich jelbjt weitergehende Anfichten und begehrten eine Politik, wie fte 
wenige Monate nad) dem Frieden in Stalien und in der Schweiz 
durchgeführt worden if. Wie manches perfönliche Motiv und wie 
fehr die unmittelbar drängende Noth diefen Gang auch beftimmt ba- 
ben mag, wer wollte verfennen, daß auf fold eine Wendung doch 
zugleih die allgemeine Lage entjchieden hinwies, man mochte die 
eigenfte Natur der Revolution felbjt und die inneren Verlegenheiten 
der Regierung in Rechnung ziehen, oder an die allerwärts enthüllte 
Schwäche der alten Staaten und der fie leitenden Gewalten denken ? 

Darum konnte Graf Cobenzl fchon vierzehn Tage nad) dem Ab- 
ſchluſſe des Friedens gegen Rußland feinen Zweifel äußern, ob mit 
deifen Unterzeichnung alle Schwierigkeiten geebnet feien und nicht vielmehr 
in Kurzem man zur Bolitif des Widerftandes zurückkehren, ja an bie 
Bildung einer neuen Koalition denken müſſe *). Nicht als wenn 
Oeſterreich Urfache gehabt hätte, den Krieg um jeden Preis zu wün⸗ 
ihen, vielmehr war eine genaue VBollziehung des Friedens damals 
das beite Mittel, ihm das Schwert in der Scheide zu halten. Wenn 
es außer Venedig die erjehnte Vergrößerung am Inn erlangte und 
für jeden weiteren Zuwachs franzöfifcher Macht ihm der verfprochene 

Erfolg ward, fei es in Baiern oder in Stalien, dann beruhigte es 
| fig ohne Zweifel bei der Abkunft von Campoformio. Wenn aber 





%) ©. Milintin I, 829. 


4 Ludwig Häufler, 


nicht, fo regte fich ebenfo gewiß in Kurzem der Wunſch, durch eine 
neue Coalition im Kampfe das Berlorene wieder zu gewinnen. 

Die Ausfiht auf eine ſolche Coalition erfchien freilich vorerft 
noch unficher genug. Die Wahrfcheinlichfeit einer aufrichtigen Ver⸗ 
ftändigung mit Preußen war gering. ‘Der tiefe Zwieſpalt, den die 
Ereianiffe von 1793—95 und der Friede von Bafel zwifchen beiden 
Mächten großgezogen hatten, war ſeitdem durch nichts ausgefüllt wor- 
den; eher hatten die Vorgänge von 1796, die Reunionen in Franken 
und die Annährung des Berliner Cabinets an Frankreich ihn erweitert. 
Diefe Annäherung freilich ift, wie die diplomatifche Correfpondenz 
deutlich darlegt, weder jo innig, noch fo willig gewefen, wie man ge- 
wöhnlid annimmt; vielmehr wurde die Neigung, fich mit der Repu⸗ 
blik in gutem Vernehmen zu halten, fortwährend durch das Mis- 
trauen gegen den Charakter der franzöfifchen Nepublif im Schach ge- 
halten. Wie es dann bei einer unentjchloffenen Leitung zu gefchehen 
pflegt, man Tonnte ſich weder entfchließen, mit der Republik fich zu 
verbinden, noch mit ihr offen zu bredyen; wohl aber traten abwedy- 
felnd Momente ein, wo man entjchieden zu dem Einen oder zu dem 
Andern geneigt ſchien. In diejer Hinſicht ift die diplomatifche Cor⸗ 
reipondenz , die in den Jahren 1795 —99 zwifchen Berlin und Paris 
geführt ward, von charakteriſtiſchem Intereſſe; fie bewegt fich fort- 
während in der Mitte jener Stimmungen; fie ſchwankt zwifchen An- 
näherung an Frankreich und zwifchen mistrauifcher Zurüdhaltung, 
fie zeigt bald eine gewifje Neigung, gegen die öftlichen Gegner eine 
Stüge im Welten zu finden, bald einen ebenfo entfchiedenen Wider⸗ 
willen, fi) mit Frankreich irgendwie tiefer einzulaffen. 

Die Innigkeit der franzöfiich - preußifcheu Beziehungen in jener 
Zeit ift darum, wie wir aus dem Studium der Alten uns überzeugt 
haben, in der Regel überfchätt worden; allein wir begreifen recht 
gut, dag man in Wien fich davon übertriebene Vorftellungen machte 
und die Franzofen diefe Anfchauung nährten. Der Mann, der 
Preußen am Wiener Hofe vertrat, der Marcheſe Lucchefini, war zu- 
dein nicht dazu angethan, jene® Urtheil zu widerlegen. Perſoönlich 
tief in das diplomatifche Gewebe von 1791—1795 verflodhten, war 
er felbft zu der Zeit, als die Freundſchaft zwifchen Oefterreich und 
Preußen das herrſchende Syſtem war, ungleich weniger ale Haug- 





Zur Geſchichte des Raſtatter Eongrefjes. 5 


wig, Schulenburg und Bifchofwerder von einer Freumdesftunmung 
gegen Oeſterreich erfüllt; die Erinnerungen an feine Thätigkeit in 
Bolen und an die im Yeldlager am Rhein, der hartnädige Konflikt 
mit der Xefterreihifchen Politif vor der GEntfcheidung in Baſel 
— dies Alles war nichtdazu geeignet, eine andere Stimmung in ihm 
zu wedn. Er hatte keinerlei Sympathie für den öfterreichifchen 
Staat, und gegen Thugut perſönlich nur Mistrauen und Abneigung ; 
aus jedem feiner Ddiplomatifchen Berichte fpricht das heraus. Auf 
der Gegenfeite hatte man aber von diefer Stimmung eine gewiſſe 
Ahnung; Luccheſini mochte nicht immer allzu discret fein in feinen 
Aeußerungen, gewiß ift, daß Thugut ihm feine Abneigung reichlich 
vergalt und über ihn, wie über Preußen, bei dritten Mächten fich in 
eimem Tone ausließ, der dem unverhüllten Haß den leidenfchaftlichiten 
Ausdrud lieh, In Betersburg wie in London wurden die Beziehun- 
gen des Rivalen zu Frankreich als die allerinnigften gejchildert und 
Breußen durchaus in eine Linie geftellt mit dem „gemeinfamen Feind.” 
Wenn etwa kurz vor dem Vertrage von Leoben der Vorfchlag auf- 
tauchte, Preußen eine Rolle bei der Friedensvermittlung einzuräumen, 
jo wehrte ſich Thugut dagegen mit aller Heftigleit. „Nichts, jchrieb 
er, könnte für uns betrübender fein, als wenn wir die preußifche 
Einmifhung dulden müßten, durch welche der Berliner Hof fi nur 
die wirfjamen Mittel fichern würde, feinen eingewurzelten Haß gegen 
Oeſterreich und die Abjichten feiner Xüfternheit durch neue Ver⸗ 
größerungen zu befriedigen.” .... „Der preußifche Hof, hieß es 
um dieſelbe Zeit, wird zum Xohne feines jtrafbaren Einverftänd- 
niſſes mit dem Feinde, zum Lohne für eine lange Reihe von 
Zreulofigkeiten, die dem kurzen Verlaufe feiner niemals aufrichtigen 
und winzigen Anftrengungen für die allgemeine Sache gefolgt ift, im 
Frieden eine unermeßliche Vergrößerung genießen, die feine Macht um 
an Dritttheil vermehrt und die es ſich ohne Opfer erfauft hat *).“ 
In diefer Tonart war Thugut bemüht, überlieferte Abneigungen und 
Rivalitäten in Rußland zu nähren und wo möglich den Haß auf jener 
Höhe zu erhalten, weldye die berüchtigte Declaration vom 3. Januar 
1795 beurlundet. 





°) Mitintin I, 319. 822. 


6 Lubwig Häuffer, 


Zwiſchen den zwei fo tief entzweiten Mächten ftand num Ruß— 
land mit feiner neuen Regierung und in gewiſſem Sinne auch neuen 
Bolitit. Katharina II. hatte Yahre lang jene Rivalität vortrefflich 
auszubeuten und je einen der beiden Nachbarn durch den andern im 
Schad zu halten gewußt; e8 war ihr zum Theil durch diefe Taktik 
gelungen, aus dem großen Kampfe mit der evolution den beiten 
Nuten zu ziehen und wenig Opfer zu bringen. Erſt in ihren legten 
Zagen, als die Ueberfluthung revolutionärer Macht audy ihre Be- 
forgniß wedte, hatte die Ezarin ſich entjchlojfen, an dem Kampfe afti- 
ven Antheil zu nehmen. ‘Die Vorbereitungen waren eben dazu ge: 
troffen, die Pläne und Mittel der Ausführung bejprochen, als Katha- 
rina im Nov. 1796 ftarb. 

Kaiſer Paul zeigte fich bier, wie in allem andern, ale das Wi- 
berfpiel feiner Mutter. Kr ließ vor Allem den Gedanken einer thä- 
tigen Einmifchung fallen und befannte nad) allen Seiten eine fried- 
liche Bolitif. Er haßte die Revolution mit ungleich) größerer Bitter: 
keit al& feine Vorgängerin, aber er war vorerft weder geneigt, fie zu 
befämpfen, noch aus den VBerwirrungen, in welchen Europa war, mit 
lauernder Selbftfucht eignen Vortheil zu ziehen. Seine contrerevolu- 
tionäre Gefinnung war befannt, fie gab ſich in perfönlichen Aeuße- 
rungen wie in politifchen Alten unverhüllt fund, allein er rieth doch 
vorerft zum Frieden, weil er bei einer Yortfegung des Kampfes nur 
noch größere Salamitäten vorausfah. Seine Politik, wie er fie per: 
fönlich leitete, trug aud) da® Gepräge feine® Temperaments; fie war 
loyal, nicht hinterhaltig, ftügte fich nicht auf die verfchlungenen Be: 
rechnungen feiner Mutter, war aber eben darum auch viel reizbarer 
und durch wirkliche oder eingebildete Vorſtellungen leichter zu be: 
ftimmen. 

Für die Beziehungen der öjtlihen Mächte bereitete ſich durch 
diefe Stellung Pauls ein wichtiger Umſchwung vor. Katharina hatte 
häufiger auf die Spaltung Oeſterreichs und Preußens fpefulirt, ale 
auf ihre Eintracht; ihr Sohn gab fid) vor Alleın aufrichtige Mühe, 
beide Mächte zu einer Verftändigung zu führen. An diefem Veftre- 
ben hatte feine Abneigung gegen die Revolution ebenjo großen An- 
theil, wie feine perfönlich neutralere Stimmung gegen Oefterreich und 
Breußen; wenigftens galt e6 beim erften Momente, nachdem er den 





Zur Geſchichte des Raftatter Eongreffes. 7 


Thron beftieg, als ausgemacht, dag fich fein Verhältnig zum Berlis 
ner Hofe mindeften® ebenfo freundlich geftalten witrde, wie es zu dem 
Wiener in den legten Tagen Katharinens beftanden hatte. Nahın man 
hinzu, daß bei einer viel weniger fcharfen Erwägung eignen Vortheils 
jeine perfönlichen Gefühle gegen die Revolution ungleich erregter wa- 
ren, al3 bei feiner Deutter, fo erklärte es fich wohl, daß troß des 
frievlihen Programme, womit er feine Regierung antrat, im Ganzen 
die Chance größer war, ihn in eine leidenfchaftliche Partheinahme 
gegen die Revolution hineinzuziehen. 

In dem Berhältniffe Defterreih8 zu Preußen war Paul von 
Anfang an bemüht, die vorhandenen Mishelligkeiten zu bejeitigen, ftatt 
fie zu nähren. Gegen Oefterreidh blieben die Beziehungen freundlich; 
aber auch bei Preußen follte Vertrauen erwedt werden. Aus den 
preußifchen diplomatifchen Quellen ift zu erfehen, daß fich dies in der 
ganzen Haltung der neuen Regierung bemerkbar machte; denn überall 
ſpricht fich die Befriedigung aus über einen Wechfel der Stimmung, 
der Preußen offenbar günftig war. In diefem Geifte war auch bie 
Inftruttion gehalten, womit Baul (April 1797) den Fürften Repnin 
an die deutjchen Höfe ſandte. Er follte vor Allem der Eiferjucht 
und dem tiefgewurzelten Neid beider entgegentreten. „Die gegenwär- 
tige Yage des Wiener Hofes ift der Art, daß er auf lange Zeit hin- 
aus wohl nicht im Stande fein wird, Preußen irgendwie zu fcha- 
den, und daß wir als Bundesgenoffen beider Mächte nicht nachlaffen 
werden, alle Wittel und jede Mühe anzuwenden, um Alles, was man 
zum Schaden Preußens oder zum Nachtheile feiner wirklichen Inter⸗ 
effen etwa unternehmen möchte, zu verhindern.“ 


Preußen ſucht eine Berftändigung mit Oefterreid 
(Yan. u. Febr. 1798). 


Mit der Eröffnung des Triedenscongreffes im Dezember 1797 
waren freilich alle alten Gegenjäte und Leidenschaften neu geweckt, 
Wer etwa einen Augenblid an die vorgefpiegelte „Integrität“ des 
Reiche geglaubt hatte, dem bereiteten jchon die erjten Anfänge eine 
berbe Enttäufhung. Das linke Aheinufer ward den Franzoſen bols 
lende preisgegeben,, bie Reichefeftungen geräumt, der Süden und We⸗ 


8 Lubwig Häufier, 


ften Deutfchlands ſchutzlos dem Drude einer übermüthigen revolutio⸗ 
nären Gewalt überantwortet. Wer irgend Gründe oder Vorwände 
hatte, eine Entfchädigung zu fordern, nahın nun eifrig Theil an dem 
widrigen Wettlauf, um ein möglichft großes Stüd aus der zur Thei⸗ 
Iung ausgeworfenen Beute zu gewinnen. 

Damals entwarf fi) auch Preußen einen Entjchädigungsplan. 
Am den crften Tagen des Jahres 1798 traten Haugwig und Alvens⸗ 
leben mit mehreren Miniftern und General darüber in Berathung, 
welche Forderungen Preußen erheben jolle, falls das linke Aheinufer 
franzöfifch bleiben und der Grundfag der Säcularijation angenommen 
würde. Vor Allem entitand die Vorfrage: wo man die Euntjchädigung 
fuchen folle: ob in Franken oder in Weftfalen? ‘Die Mechrzahl ent: 
fchied ſich für die Anficht, es fei militärifch und politifch vortheilhnf- 
ter, fi in Weftfalen zu entfchädigen und in Franken nur diejenigen 
Gebietövergrößerungen zu beanfpruchen, welche zur Abrundung der 
dort gelegenen Fürſtenthümer nothwendig fein. Es war dabei frei- 
fi nicht verkannt, welche Vortheile e8 gewähre, wenn man ſich in 
Franken ganz entfchädigen,, das heißt ſich etwa mit den fränfischen 
Bisthiimern und der Oberpfalz arrondiren künne. ‘Dadurch erlangte 
man ein anfehnlidhes und fruchtbares Gebiet und ftand außer aller 
Berührung mit der franzöfifhen Grenze Allein man täufchte ſich 
auch nicht, daß dagegen Oeſterreich die lebhaftefte Oppofition erheben 
wärde, und wollte darum nur in der Vorausjegung darauf zurüd- 
kommen, daß die lange gefürchtete Zerreißung Baierns erfolge. m 
biefem Falle ſchien es dann rathfam, das pfälzer Haus mit Weſt⸗ 
falen zu entfchädigen, ihm Oftfriesland, die Graffhaft Mark und das 
rechts vom Rhein gelegene Cleve dazu zu geben, wogegen dann der 
Reft von Baiern zu einer Abfindung des Hauſes Oranien verwendet, 
Würzburg, Bamberg, die mainzifchen Gebiete, die Oberpfalz und der 
Reit des fräntifchen Kreifes die preußifche Entſchädigung bilden 
würden; doch wünſchte man jelbft nicht, daß diefe Eventualität ein- 
trete, die Auflöfung Baierns zu Gunften der öfterreidhifchen Begehren 
erſchien unter allen Umftänden als ein fo bedenflicher Fall, dag aud) 
die Vortheile, die Preußen etwa dann erlangte, ihn nicht völlig auf- 
wogen. Darum einigte man fich vorerft in dem Gedanken: in Weit: 
falen feinen Erſatz zu ſuchen. Es ward dabei vor allem an Mim⸗ 





Zur Geſchichie des Raftatter Eongrefies. 9 


fter und Osnabrück, dann an das Herzogthum Weftfalen, die Herr. 
Schaft Redlinghaufen und Limburg, die Abteien Werden und Eſſen 
und die Reichsftadt Dortmund gedacht. Yu einer fpüteren Berathung 
beftärkfte man ſich in dieſem Entfchluffe und wollte den Plan einer 
Entfchädigung in Franken als ein völlig aufgegebenes Projekt anges 
fehen willen *). 

Mit diefem Programm trat man auf den Congreß, um daffelbe 
dort erft zu modificiren, dann völlig fallen zu lafjen und den Ver⸗ 
zicht auf jede Entſchädigung öffentlich anzubieten. Es ift von In⸗ 
tereffe, die Vorgänge zu verfolgen , welche dieſen Wechſel herbeiges 
führt haben. 

Bei der Eröffnung des Eongrefjes bemühte ſich Frankreich aufs 
eifrigfte, fich der preußiſchen Mitwirkung in Raſtatt zu verfichern. 
Aeußerungen,, die Bonaparte bei feiner kurzen Anmwefenheit an dem 
Congreßorte that, waren gleihfam das Vorfpiel; aus ihnen ſprach 
ein auffällig fcharfer Ton gegen Defterreich neben fehmeichelnder Ars 
tigfeit gegen Preußen. In gleicher Weife redeten die Direktoren und 
die Minifter in Paris zu dem preußifchen Gefandten, Sandoz-Roliin, 
und wie verabredet Hangen auch ganz ähnlich die erften Begrüßun⸗ 
gen der franzöfifchen Bevollmächtigten in Naftatt felbft. 

Als der Kongreß eben zufammentrat, äußerte Talleyrand, in Ge⸗ 
genwart Bonapartes, zu Sandoz: die Gefandten der Republik feien 
(ediglih dahin inftruirt, in Allem mit Preußen zu gehen; eine folche 
Verbindung werde dem Kaiferhofe mehr imponiren, als alle Argu- 
mente der Publiciften. Es ift das, fügte Bonaparte beftätigend hinzu, 
das einzige Mittel, die Chicanen des Congreſſes abzufürzen; denn 
man fann mit Oeſterreich nie etwas zum Abfchluffe bringen, wenn 
man nicht die Deiene annimmt abzubrechen. Euer großer Friedrich 
tannte volllommen die Art, wie man mit Defterreich verhandelt; er 
kann aud) bei diefem Anlaß als Muſter dienen. Ueberhaupt wird 





*) I faudrait en faire abstraction entire pour le moment et 
ensevelir möme leur existence dans le plus profond secret. Die ange: 
führten Mittheilungen find minift. Alten vom 20. 28. 24. Ian. 1798 ent 
nommen. 


10 Ludwig Hänffer, 


Breußen niemals feine politifche Exiftenz feit gegründet haben, als 
wenn es Defterreich bekämpft und niedergeworfen hat *). 

Ganz die gleiche Parole fpielten die Gefandten in Raftatt aus. 
Der mürrifche Bonnier ließ ſich bitter über Defterreich vernehmen, 
floß dagegen über von Betheuerungen der Anhänglichfeit an Preußen. 
Wir find dahin inftruirt, fagte er, mit Euch uns zu verftändigen, und 
die Conferenzen können anfangen, warn Ihr wollt. ALS Lodfpeifen 
für Preußen wurden die beiden Medienburg, Hamburg ausgeboten, 
und die Erhebung der befreundeten Dynaftie von Oranien und Heffen- 
Caſſel zur Kurwürde als ausgemachte Sache bezeichnet. Auch in 
allen anderen Fragen wurde der Ton intimſten Vertrauens angeſchla⸗ 
gen; man erzählte geheimnißvoll allerlei Fabeln von der bevorſtehen⸗ 
den Landung in England, bezeichnete Bonapartes Rückkehr nad Ra⸗ 
ftatt al® nahe bevorftehend und ſchien ohne Bedenken bereit, die ge: 
heimen Artikel von Kampoformio Preußen vertraulich mitzutheilen. 

So weit die diplomatifche Correſpondenz urtheilen läßt, übten 
indeifen diefe Künfte nicht die Wirkung , welche die Franzoſen davon 
erwarten mochten. Mistrauen gegen die gewaltthätige und treulofe 
Bolitit des Direktoriums war doch überall in Fülle vorhanden; die 
Beforgniß vor revolutionären Gewaltſtreichen ift 3. B. bei den preu- 
ßiſchen Staatsmännern, bis zu Haugwig hin, ungleich lebhafter gewe- 
fen, als während der Fahre 1793 und 1794, wo man noch in Waf- 
fen gegen Frankreich ftand. Auch gehörte nicht eben allzu großer 
Scharfſinn dazu, um die grobgenährte Taktif der Franzofen zu durch⸗ 
fhauen. Yun galt es vor Allem, Defterreih und Preußen aus ein- 
ander zu halten; dazu wurden große und Heine Mittel in Bewe⸗ 
gung geſetzt, geſchickte Lodungen und Kunftgriffe niedrigfter Art, 
wie dreifte Ableugnungen und Unwahrheiten. Der Leumumb des 
franzöfifchen Miniſters der auswärtigen Angelegenheiten war fchon 
damals in dieſer Hinficht ſchlecht genug, Talleyrand, fehrieb nicht 
lange nachher der preußifche Geſandte vertraulich nad Berlin, fagt 
nie, was er thut, und thut nie, was er jagt. Stolz wie ein Pfau und 
feil wie ein Lakai, zeigt er beleidigenden Hochmuth, wenn er es unge- 
fteaft thun Tann, und auch weiter die gemeinfte Niederträchtigkeit, wenn 





®) Bericht von SandozBollin d. d. 27. Dez. 1797. 





Zur Gefchichte des Raſtatter Congreſſes. 11 


es ihm Bortheil bringt. Eine Ahnung, daß er diefe Virtuofität fchon 
jest mit weitem Gewiſſen brauche, überfam denn auch die preußifchen 
Staatsmänner und Diplomaten, zumal die Erzählungen von Bona⸗ 
partes naher Rückkehr nad) Raftatt, die Betheuerungen warmer Für» 
forge für das Intereſſe Preußens, die wiederholt verfprochene Mit⸗ 
theilung der geheimen Artilel von Campoformio fich fehr bald ale 
das erwiefen, was fie waren, als ganz gewöhnliche Täufchungen. 

In folder Lage begreift es fich, dag allmälig der Wunfch nad) 
einer Verftändigung mit Defterreich rege ward. Seit wenigen Mo- 
naten war in Preußen ein Regierungswechfel eingetreten, der zwar 
feinen Umſchwung der bisherigen äußeren Bolitit, aber doc veränderte 
Stimmungen nad:fid zog. Friedrich Wilhelm III. ftand nicht fo 
unmittelbar unter den Eindrüden der Politik von 1792—1797; fe 
ner loyalen und uneigennütigen Weife entfprady am erften eine Ver⸗ 
ftändigung mit den deutſchen Neichsftänden, auch wenn diejelbe ein 
Opfer koſtete. Die Perfönlichkeiten, die er nad Raftatt gefendet, 
Görtz, Dohm, Jacobi⸗Klöſt waren zwar frei von jeder Vorliebe für 
die öfterreichifche Politik, aber es leitete fie ebenfo wenig irgend eine 
Spmpathie für die Franzoſen. Dafür legt ihre umfangreiche ver- 
trauliche Eorrefpondenz auf jedem Blatte Zeugniß ab *). 

Nah Allen, was vorausgegangen, war freilid die Annäherung 
der beiden Mächte leichter zu wünſchen, al8 auszuführen, und die er- 
ften Verſuche, ſich zu verftändigen, ergaben allerdings nur eine jehr 
mäßige Ausficht des Gelingens. Als nad) der Thronbefteigung Fried⸗ 
rih Wilhelms III. Baron Ned, diefelbe anzuzeigen, nad) Wier ges 
fommen war, Inüpfte derfelbe, ohne Auftrag, politifche Geſpräche mit 
Thugut an, deren Ergebniß nicht eben ermuthigend war. Auf die 
Bemerkung, daß durch eine gemäßigte und uneigennüßige Haltung 
Defterreich8 die Dinge am erften in leidlichem Gange erhalten wer⸗ 
den könnten, erwiederte Thugut gereizt: es fei nicht an Preußen, diefe 
Zugenden in Erinnerung zu bringen. Als Med wegen der Rhein⸗ 
grenze jondirte, bemerkte der öfterreichifche Diinifter wie zum Hohne : 





*) Neben ber officiellen Correſpondenz, die in deutſcher Sprache die be- 
tannten Berhandlungen des Congreſſes berichtete, führten fie eine vertrauliche im 
franzöftfcher Sprache, meift in Ehiffern, welche die wefentlichften Aufſchluſſe giebt. 


12 Ludwig Häuffer,, 


Preußen könne ruhig fein, es werde feine lintsrheinifchen Gebiete nicht 
verlieren, und fall die Franzoſen fie etwa nicht herausgäben, werde 
Oeſterreich im Vereine mit Preußen fie dazu zwingen! Weber Baiern 
erfuhr der preußifche Diplomat nichts; Thugut zeigte fich hier äu— 
Berft zurücdhaltend. Höchſtens warf er die bedenkliche Aeußerung hin: 
Breußen babe ja zur Erwerbung Baierns feine Mitwirkung verfprochen. 
Als dann die Rede auf die Integrität des Neiches Tamı, hatte Thugut 
den Muth zu verfichern: zu Leoben würde Oefterreich die Integrität 
gefichert haben, dann hätten fich aber die Franzoſen darauf berufen, 
fie feien ſchon durch frühere Verpflichtungen (natürlih mit Preußen!) 
gebunden und deßhalb habe man fie opfern müſſen *). 

Auch die Haltung der kaiferlihen Diplomatie in Raſtatt ließ 
alles andere eher, als ein vertrauenspolles Entgegentommen erwarten. 
Der Eongreß begann ja mit dem peinlihen Schaufpiel der Preißge: 
bung des linken Rheinufers und der Neichsfeitungen, Schritten, die 
mit den ſalbungsvollen Erklärungen von der „Integrität des Reiches“ 
in fo wunderlichem Gegenjage ftanden. Die Vertreter Preußens be- 
urtheilten im Ganzen die Situation richtig: fie fahen das Alles als 
ein abgemachtes Spiel zwifchen Frankreich und Oeſterreich an, trauten 
den VBerficherungen der Einen fo wenig wie denen der Andern, biel- 
ten den Anhalt der geheimen Artitel von Campoformio für höchſt be- 
denklich und zweifelten nicht mehr daran, daß darin ein Stüd von 
Baiern dem Kaifer preisgegeben war. Die öfterreichifche Diplomatie 
nahm freilich zu dem Allem eine ganz unfchuldige Diicne an. Graf 
Metternich, al8 man ihm den Widerfpruch der offtciellen Erflärungen 
und der Handlungen des Eaiferlichen Hofes vorhielt, lächelte erft vers 
legen „wie Jemand, der feine andere Auskunft geben Tann“, betheuerte 
dann feine volllommene Unwiſſenheit iiber alle geheimen Stipulationen, 
beklagte das traurige Schidfal des Reichs und betonte in tapfern 
Worten die Nothiwendigkeit, ben Sranzofen endlich einmal Halt zu ge: 
bieten. Lehrbach zudte die Achfeln und erging ſich in bittern Ausfäl- 
len gegen feinen Herrn. Nach mehr als 3Ojährigen Dienften lohne 


— — — — — 


*, Ans einem Berichte des Grafen Keller vom 23. Dez. 1797. In 
Berlin war man über das Geſpräch verfiimmt und meinte, Red hätte ſich le⸗ 
diglich auf feinen Auftrag befchränten follen. 





HE 


Zur Geſchichte des Raſtatter Eongrefies. 18 


man ihn num damit, daß man ihn über die wahre Lage der Dinge in 
tieffter Unwiffenheit laſſe! Cobenzl verficherte Jedermann, er ftehe ganz 
außerhalb der Sadye; aber feine ftrahlende Miene bewies, daß er mit 
der Lage der Dinge zufrieden war *). Auf preußifcher Seite ſchenkte 
man dem allem feinen Glauben. Wan traute den Franzoſen das 
Schlimmfte zu und hatte wohl einigen Grund , wenn Rofenftiel, der 
Geſandſchaftsſecretair, mit fchamlofer Aufrichtigkeit erklärte: es fei 
am beften „Deutfchland zu polonifiren.“ Allein man war ebenfo 
wenig erbaut über die „politifche Form“, welche die Taiferlichen Ges 
fandten fpielten, und über die Unwahrfcheinlichleit ihrer Betheuerungen, 
die jeden Tag durch die thatfächlichen Vorgänge widerlegt wurden. 

Gleichwohl erfchien e8 in diefer verworrenen Situation immer das 
natürlichfte für Preußen, eine Verftändigung mit Defterreic) zu fuchen. 
In diefem Sinne wurden die Gefandten zu Wien wie zu Raftatt inftruirt. 
Das Berliner Cabinet hatte früher den Inhalt der geheimen Uebereintunft 
vom Aug. 1796 im Bertrauen dem Czaren mitgetheilt, und diefer 
hatte Defterreic) davon in Kenntniß gefett. Jetzt war Graf Keller 
ermächtigt, dem Wiener Cabinette officielle Mittheilung von dem Ver⸗ 
trage zu machen. ‘Darauf berief man fidy jet auf preußifcher Seite. 
Ihr kennt, fagte man in Berlin, unfere geheimen Verabredungen mit 
den Franzoſen; es ift nun an Euch, die gleiche Aufrichtigteit gegen 
uns zu zeigen **). Ihr wißt, wie der König denkt und wie fern er 
jeder felbftfüchtigen Takltik ift; Eure Vorwürfe find alfo grundlog, 
oder wie eine Depefche vom 15. an. an Graf Keller jagt, fie find 
nichts als eine kindiſche Affektation. 

Ganz ohne Frucht blieb denn aud) dies Entgegenlommen nicht. 
Verglichen mit der herben und unfreundlichen Weile, in der fi) Thu⸗ 
gut zuerft gegen Red geäußert, war eine leife Annährung nicht zu 
verfennen und Graf Keller Hatte tröftliche Ausfichten auf eine Ver⸗ 
ftändigung. Mean war wenigjtens, fo weit, daß man äußerlich die 
Symptome feindfeliger Stimmung mied. Der Preſſe 3. B. wurde 





*) Berichte der Gefandten vom 18. und 21. Dez. 1797. Ebenſo vom 

23. Da. 26. De. 
°) Daß man aud die geheimen Artikel von Baſel mitgetheilt Hatte, da⸗ 
für findet fi) wenigflens in der diplomatifchen Correſpondenz feine Anbetung, 


14 endwig Häuffer, 


damals von beiden Seiten der Wink gegeben, die zum Theil fehr 
leidenfchaftliche Polemik einzuftellen. Am 22. Yan. hatte Keller eine 
erfte Eonferenz mit Thugut und Franz Colloredo, welche den von 
Preußen angeregten „Wunſch einer fortgefegten Verftändigung” zum 
Anlaffe hatte. Sehr weit fam man dabei freilich noch nicht. Thu⸗ 
gut ftellte die zwei Säge ald Bafis auf: die Erhaltung der terri- 
torialen und die Bewahrung der conftitutionellen Integrität Deutſch⸗ 
lande. Der preußifche Gefandte meinte: die legtere hänge doch mit 
der erfteren jehr innig zufammen, und es fei wohl am erften Defter- 
reih, das feit lange mit Frankreich unterhandle, in der Lage, die 
Forderungen der Franzoſen zu kennen. Worauf Thugut erwiederte: 
es fei nicht gejagt, daß das ganze linke Rheinufer verloren gehe. Was 
Frankreich begehren werde, darüber könne er Teine Auskunft geben; 
Preußen müffe das beffer wiſſen, es habe ja feit lange einen Ge⸗ 
fandtn in Paris fiten. Doc gab aud) er ſchließlich zu, daß eine 
Verftändigung winfchenswerth und die Zwietracht beider deutfchen 
Mächte nur den Franzoſen förderlich fei *). 

Nicht viel ergiebiger war vorerft die Verhandlung des Gefandten 
in Raftatt. Bei einem Diner, das Metternich (24. Yan.) den preu⸗ 
ßiſchen Bevollmächtigten gab, fam das Geſpräch auf die politischen 
ragen des Tages. Graf Metternich meinte, „einige Sücularifatio- 
nen ſeien vielleicht unvermeidlich, aber fie weit ausdehnen fehiene von 
der allergrößten Gefahr." Die Lebhaftigkeit, womit die preußifchen 
Gejandten das Bedürfniß einer Verftändigung mit Oefterreich beton- 
ten und als den dringendften Wunfch ihres Königs die möglichft „in« 
tacte Erhaltung“ des Reiches bezeichneten, fchien auf den kaiſerlichen 
Diplomaten Eindrud zu machen. Er wollte offenbar nicht zurüd» 
bleiben und äußerte: „der Kaifer will für ſich gar nichts, wenigftene 
fo viel mir bekannt ift.* Im Laufe des Geſprächs kam man dann 
tiefer in die eigentlich brennenden Fragen. Die preußifchen Gefandten 
hielten ohne Bitterkeit, aber auch ohne Rückhalt, Metternich vor, was 
allem Anjcheine nach Defterreih Alles in Campoformio preisgegeben, 
und wie e8 neuerlich noch durch die Räumung von Mainz das Reid) 





*) Berichte Kellere vom 20. und 28. Ian. Roten des Miniftere vom 
8. und 15. Jam. 





Zur GEeſchichte des Raflatter Congrefies. 15 


dem Feinde fchutlos überlaffen babe Um fo dringender aber er- 
ſcheine eine Verftändigung, wenn man nicht wolle, daß die Franzofen 
völlig Meiſter würden. 

Daß es mit diefem Wunfche ernftlich gemeint war, darüber 
läßt die Einficht in die Correſpondenz jener Tage feinen Zweifel auf- 
fonımen *). Die Berichte der Naftatter Gefandten find von diejer 
Vorftellung ebenfo beherrfcht, wie die Depefchen des Minifteriums; 
die Correfpondenz mit Graf Keller in Wien und die Weifungen an 
Sandoz -Rollin in Paris bewegen ſich vorzugsweife um den gleichen 
Gedanken. Nicht nur Deutſchlands Macht und Integrität, auch feine 
Verfafjung ſchien aufs höchſte gefährdet; ſchon ſah man die Franzo- 
fen ihre revolutionäre Propaganda auch auf das rechte Rheinufer 
ausdehnen und die alte Stantenwelt des Reichs unterwühlen. Die 
Folgen eines ſolchen Umſturzes dünkten aber dem Berliner Cabinette 
ganz unberechenbar **). 

Wenn man aufrichtig wollte, fchien es immerhin möglich , die 
Grundlage einer Verftändigung zu finden. Man war in Berlin bes 
reit, das früher erwähnte Projekt einer Vergrößerung in Franken ganz 
fallen zu laffen und nur dann Gebietserwerbungen anzufprechen, 
wenn Defterreich das gleiche thue. Wenn alfo 3. B. in Wien der 
Blan beftand, fi durd Salzburg und Paſſau zu vergrößern, fo 
wollte Preußen Entſchädigung anfprechen, welche der Vertrag vom 
5. Auguſt 1796 feftftellte; wenn Oeſterreich Baiern theilen wollte, 
würde man an einen entſprechenden Erfag für Preußen (in Weſt⸗ 
falen) denken. Falls aber der Kaiſer auf jede weitere Erwerbung in 
Deutichland verzichte, würde aud Preußen gerne den Gefühlen der 
Uneigennügigteit und Verfühnung folgen, die es bereits an den Tag 
gelegt habe ***). 

Indeſſen leiht war es doch nicht, die alten Erinnerungen zu 
überwinden, zumal auf beiden Seiten die Perfönlichkeiten noch am 
Ruder ftanden, welche den fchneidenden Gegenfag der vorangegangenen 
Jahre mit verfchuldet hatten. Schon die Verſuche der preußijchen 





) Die Gefanbten am 26. Ian., das Minifl. am 2. u. 7. Febr. 
°©) Note des Miniſters von 2. Febr. 
* Min. Rote vom 7. Febr. 


16 Zubwig Häufier , 


Diplomatie in Naftatt, den Oefterreichern perfönlich entgegen zu kom⸗ 
men, waren nicht eben ermuthigend. Cobenzl wie Lehrbach zeigten 
weder Offenheit noch Entgegentommen ; für die Aufrichtigleit des 
Letzteren war es ein zureichender Maßftab, daß er auch jegt noch, auf 
Berragen, die Eriftenz des Abkommens vom 1. Dez. 1797 mit aller 
Entjchiedenheit ableugnete. Wir feine Berfönlichkeit erwedte es wenig 
Hoffnung, daß er gleichzeitig in Naftatt herumging und Jedem, der 
es hören wollte, laut betheuerte, wenn die Aheingrenze verloren gebe, 
fei allein Preußen daran fchuld. Nur Graf Metternichs Haltung 
verhieß beſſere Ausfichten; zurüdhaltend und fchweigfam war wohl 
auch er, allein er zeigte ſich doch nicht abgeneigt gegen den Gedanken 
einer Annäherung. Wenn feit Anfang Tebruar die Ausfichten etwas 
güuftiger geworden waren, fo glaubte man im preußifchen Lager, Met- 
ternich fei nicht ohne Antheil an ſolch einem Ergebniſſe. 

Die Franzofen folgten diefer Wendung mit fihtbarer Unruhe. 
Zwar ließen fie höhnend durdbliden, daß fie von diefen Freund- 
ſchaftsverſuchen nicht viel Erfolg erwarteten. Als die Aeußerung 
Preußens belannt ward es werde auf jede Vergrößerung verzichten, 
wenn Defterreih das Gleiche thue, üußerte 3. B. Freilhard: Ich 
laffe mir beide Ohren abfchneiden und mich einen Lügner fcheiten, 
wenn man Euch in Wien beim Wort nimmt. Und Talleyrand be- 
theuerte Sandoz-Rollin : während Defterreich gegen Euch freundliche 
Sefinnungen affeltirt, befümpft es hier das Recht eurer Entſchädi⸗ 
gung und verfolgt feine Pläne gegen Baiern. Kurz, die Franzoſen 
verhehlten nicht, wie verdrießlich ihnen felbft die Möglichkeit eines Ein- 
verftändniffes war, und wandten grobe und feine Künfte an, daffelbe 
im Reime zu erftiden. 


Berhandlungen zwifhen Defterreih und Preußen in 
Wien und Raftatt, 


In der That war ein erfter Schritt auf der fehwierigen Bahn 
geichehen ; es hatten in Wien wenigftens Beſprechungen ftattgefun- 
den. Dan knüpfte zumächft an die von Thugut aufgeftellten Grund⸗ 
lagen an: fo viel wie möglich, die Integrität des Gebiets und der 
Berfaffung zu erhalten. Auf preußifcher Seite hatte man gegen dies 
Princip nichts einzuwenden; nur fand man, daß fo wie die Dinge 





Zur Geſchichte des Raftatter Eongrefies. 17 


einmal ftanden, der Sa viel zu unbeftimmt und allgemein war. 
Man bradyte daher die ſchon erwähnten drei Eventualitäten in Erin» 
nerung, völligen Verzicht auf Vergrößerung, mäßige Arrondirung Oeſter⸗ 
reichs durch Salzburg und Paſſau, ausgedehute Vergrößerung durch 
den Erwerb Baierns. Zugleich war der Wunfc wiederholt, daß die 
Verhandlung mit einem Akt voller Aufrichtigfeit beginnen möge ; fo 
wie Preußen feine geheimen Verabredungen von 1796 mitgetheilt, fo 
möge auch Defterreich das Gleiche thun. 

Ein eigenhändiger Brief, den Kaifer Franz am 13. April dem 
König von Preußen jchrieb, gab darauf Antwort. In fehr freund- 
lihem Zone gehalten Ichnte das Schreiben doch die Mittheilung der 
geheimen Bedingungen ab, „weilder Kaiſer den Franzoſen gelobt hatte, 
fie geheim zu halten.“ Von den drei Fällen bezeichnete auch der Kaifer 
den eriten — Berziht auf jeden Erwerb — als den erwünfchteften. 
Sb dies freilidy ganz ohne Rückhalt gefagt war, darüber regte fich 
in Berlin einiger Zweifel; e8 lagen wenigſtens manche Anzeichen 
vor, daß eine Vergrößerung durch Salzburg und Paffau in Wien 
nody nicht aufgegeben war. Der ausgefprochene Grundſatz felber, 
jeder Vergrößerung zu entfagen, fand aber entjchiedene Billigung. 
„Diefer Weg, heißt e8 in einem Aktenſtück aus dem Cabinet Friedrich 
Wilhelms III, da8 nad den erften Geſprächen mit Thugut gefchrie- 
ben war, würde mir am meiften entjprechen ; denn eine gegenfeitige 
Uneigennügigleit wäre allein im Stande, die Wunden Deutfchlande 
einigermaßen zu heilen und ihm für die Zukunft eine reſpektable Exi⸗ 
ftenz zu fihern. Des Kaiſers Sache ift es, ſich darüber zu bedenken, 
ob er mit mir gemeinfchaftlihde Sache machen will, um und Beiden 
den Dank der Mitlebenden und die Segnungen der Nadjwelt zu fichern. 
Eolite freilich dieſes Entgegentommen unnütz fein und man troß 
meiner Offenheit und meines guten Willens mic, ftetS nur mit leeren 
Ausflüchten hinhalten, danı würde mir das nur die niederfchlagende 
Ueberzeugung erweden, daß mit Dejterreich nichts zu machen ift, daß 
man ihm die Thüre auf immer verfchliegen muß. Doch ich hoffe, 
der Kaijer wird in diefem Punkte fein eigenes Intereſſe nicht ver 
kennen.“ 

Es ſcheint uns nicht zweifelhaft, daß es in Oeſterreichs wahrem 
Intereſſe lag, dieſe Stimmung raſch zu ergreifen und auf eine loyale 

Oderiiqe Beitkgrit VII. Be. 2 


18 Ludwig Häuffer, 


Derftändigung hinzuarbeiten ; denn daß es vorerit in Berlin Ernft war 
mit diefen Maximen und insbefondere der König davon beitimmt 
wurde, dafür Liegt, abgejehen von allem andern, eine fichere Probe in 
dem Verhältniß zu den Franzoſen. Machten dicje aus ihrem Ver⸗ 
druß feinen Hehl, fo verbarg zugleich Preußen fein Mißtrauen gegen 
die Republik nicht. In den vielen Heußerungen, die aus jenen Tagen 
vorliegen, findet fi) nirgends eine Hindeutung auf den leifen Hin- 
tergedanten, fich ſchließlich doch mit den Franzojen gegen Oeſterreich 
zu verbinden, wohl aber taucht nicht felten der Verdacht auf, die bei- 
den Baciscenten von Campoformio fünnten diefen Ausweg wählen. 
Eine folche Gefahr abzuwenden, fuchte das Berliner Cabinet zugleich 
nad einer andern Anlehnung, die fich jedenfalls mit franzöfifchen 
Spmpathien nicht vertrug. Mitte Februar wurde nämlid Rußland 
auf vertraulihem Wege von dem Stand der Dinge in Kenntniß ge- 
feßt und um feine Mitwirkung in den Verhandlungen mit Defterreich 
angegangen *). 

Auch ward die Hoffnung auf einen glüclichen Ausgang geduldig 
feftgehalten und auf jedes günftige Anzeichen forgjam geachtet. Man 
tröftete fich, daß das kaiſerliche Schreiben, wenn auch im Inhalt nichts» 
fagend, doch im Tone verbindlih war; von der Kaiferin hatte man 
Proben geneigter Gefinnung ,‚ von Colloredo verficherte Graf Keller 
das Gleiche und bei Metternich glaubte, wie wir ung erinnern, die 
Raftatter Gejandtichaft verwandte Gefinnungen vorausfegen zu dürfen. 

Eine zweite Beſprechung, die Keller am 10. Febr. mit Thugut 
hatte, fühlte freilich die Hoffnungen wieder ab. Als der preußifche 
Diplomat den Vertrag vom 5. Auguft und die erläuternde Denk⸗ 
fhrift vom 1. Februar 1797 überreidhte, meinte Thugut faft 
verdrießlich: man habe diefe Aufrichtigleit ja gar nicht verlangt, es 
handle fich jet viel weniger um die Vergangenheit, als um bie 
Zukunft. Don einer Gegenleiftung, die in Mitteilung der gehei⸗ 





°) Depefche an Keller mit dem Bemerken über Baul: Si ’humeur qu’il 
temoigne contre la Cour de Vienne depuis la paix de Campoformio 
lui permet d’intervenir aux affaires, dont vous ötes charge il ne tar- 
dera pas d’y autoriser le Comte de Rasumowski et vous vous en apper- 
cevrez aisöment. Die erfie Anmräpfung mit Rußland fand darnad) früher flatt, 
ale bei Miliutin I, 46 erwähnt ift. 





Zur Geſchichte bes Raftatter Eongrefiee. _ 19 


men Artikel von Campoformio beftände, wollte er vollends nichts 
hören; es jei nun einmal das Abkommen getroffen, diefelben erft 
Ipäter befannt zu machen und Preußen könne doc) nicht verlangen, 
dag der Kaiſer diefer Verpflichtung treulos werde! Zudem habe es fich 
über die zwei von Oeſterreich vorgefchlagenen Grundlagen, Integrität 
des Gebiets und der Verfaſſung, nod) nicht einmal geäußert. Dieſe 
Behauptung nahm Keller nicht ohne Befremden auf. Allerdings, er: 
Härte er, habe Preußen feine Meinung darüber fundgegeben ; e8 entfprä- 
chen diejelben der Anficht des Königs durchaus, allein es handle fich 
darum, ob fie im jetigen Augenblid noch anwendbar fein. Man 
braudye nur die gegenwärtige Lage des linfen Rheinufers zu betrachten, 
um an der Möglichkeit zu zweifeln. ‘Der Verluft an Gebiet, meinte- 
Thugut, ſchließe nicht gerade Aenderung der Verfaffung ein; übrigens 
fei ja auch nicht die Abtretung des ganzen linken Rheinufers noth- 
wendig. Wogegen der Andere betonte, wie werthlo® es für Preußen 
wie für Deutichland fei, wenn man den größten Theil abtrete ımd 
einige winzige Parcellen zurüdbehalte. 

Graf Keller nahm feinen günftigen Eindrud von diefer Unter- 
reduug mit; er fah überall nur Ausflüchte und Mittel Zeit zu gewinnen, 
Es fcheint nun einmal, fchrieb er nach Berlin, Thugut durchaus zu 
widerftreben, den Weg gegenfeitiger offener Mittheilungen zu betreten. 
Ich halte ihn für feitgerannt in feinem Vorurtheil, daß die Intereſſen 
Sefterreich® in Deutfchland eine fortwährende Oppofition gegen Preußens 
Abfichten nothwendig machen. Auch war Keller *) nad) diefen Mitthei⸗ 
lungen nicht mehr im Zweifel darüber, daß die geheimen Artifel von 
Campofornio von der Art-feien, daß fie den andern Mächten ver- 
borgen werden müßten. 

In Berlin war man natürlich nicht erbaut von diefem Verlauf; 
aber die Hoffnung gab man doch nicht auf. Wir wollen uns alle 
Mühe geben, fchrieb das Minifterium am 20. Februar an den Ge- 
fandten, den Wiener Hof auf den rechten Weg zu bringen und ihm be- 
greiflich zu machen, daß fein eigenes Intereſſe, ja das Intereſſe aller 
monardyifchen Regierungen das gebietet. 





©, Bericht Kellers vom 12. und vom 14. Februar. 


0 Qubwig Cäxier, 


Am 14. Febr. jend in Wien eine dritte Cowieren; ſtatt, nachdem 
vorher Thugut dem Kaiſer Pericht erftattet hatte. Man ſprach vom 
inten Rheiunfer wie in den frühern linterredungen ; der öfterreichifdhe 
Minifter fand, daß die Entihädigung des Hauſes Oranien eine Deutſch⸗ 
land fremde Sache fei umd hielt das Frincip der Eälularijation für 
bedenklich. Der eigentliche Kern der Unterredung betraf aber die ge⸗ 
heimen Artikel von Campoformio. Oefterreich habe, jo wiederholte 
Thugut, die Mittheilung der Auguſtcowention nicht verlangt und müſſe 
bitten, daß Preußen auf ter Mittheilung der geheimen Artikel 
von Campoformio nidyt weiter beftche. Tas hieße — fo lautete wört- 
lic feine Erflärung , wie er fie Keller dictirte — das hieße verlan- 
gen, daß der Raifer fein gegebenes Wort brädye! Um indefjen jeden Bor- 
wand eines Hinderniffes in der gegenwärtigen Berhandlung zu heben, 
babe der Kaifer das Minifterium zu der Erflärung ermächtigt: daß 
zwifchen ihm und Frankreich keinerlei Verpflichtung beftände, die den 
zwei vorgefchlagenen Grimdlagen widerſpräche: nämlich einmal der un- 
veränderten Erhaltung der Reichöverfaffung in dem, was man bis zum 
Frieden erhalten habe, dann der Erhaltung des gegenwärtigen Befit- 
ftandes, wodurch die dem Reich aufzulegenden Opfer möglichſt ge⸗ 
mindert wirden *). 

Zunächſt hat der Wortlaut diefer Ansfagen ein caralteriftifches 
Intereſſe. Nachdem der urfprimgliche Vorſchlag Thuguts nadt 
und rund die Integrität des Reichsgebiets und der Reichsverfaſſung 
verlangt hatte, wurde jet der Reichsverfaſſing nur mit einer bedent- 
lichen Claufel erwähnt, und die Integrität des Gebiets [wand auf 
die „Erhaltung des gegenwärtigen Beſitzſtands“ zufammen. Rad) dem 
„gegenwärtigen Befigftand“ war aber das linke Rheinufer franzöſiſch. 
Man hatte darum in Berlin Recht, wen man über dieſe neuefte Wen- 
dung bemerkte: „führt man diefe gewundenen Phrajen auf ihren wahren 
Werth zurück, fo erkennt man darin nur die Verlegenheit, die einfache 
oder bedingte Abtretung des Tinten Rheinufers offen einzugeftehen. Biel 





*, ]’une le maintien intacte de la constit. germanique dans oe 
qu’& la paix on serait parvenu & conserver en l’Empire; l’autre de con- 
server l’6tat des possessions actuelles et de diminuer autant qu’il sera 
possible les sacrifices & faire par l’Empire. 





Zur Geſchichte des Raſtatter Congreſſes. 21 


beſſer fürwahr, man ſpräche aufrichtig aus, was doc nicht mehr zu 
läugsen ift, al8 dies Gerede von der Integrität des Reichs mit einer 
fo durdhfichtigen reservatio mentalis.“ 

Der Inhalt der Erflärung aber, die Thugut im Namen feines 
Kaiſers gab, bedarf Faum eines Kommentars, Nachdem Defterreich zu 
Sanıpoformio den größten Theil des linken Rheinufers abgetreten, 
fih nicht nur Salzburg und das Innviertel hatte zufagen laſſen, fons 
dern noch weitere Erwerbungen, fall® Frankreich ſolche in Deutſchland 
mache, nachdem es die Entſchädigung der in Verluſt gerathenen 
Fürſten zugegeben, die ohne Säknlariſation und Umgeftaltung der Ver⸗ 
falfung nicht zu denken war, nad) den Allen feierlicd) zu erklären, 
man habe feine Verpflichtung gegen die Integrität des Reichs und 
feine Verfaſſung eingegangen; das hatte felbft bei Thugut etwas 
Ueberrajdyendes, wenn an ihm noch irgend etwas überrafchen dürfte, 

Aber es war diesmal nicht Thugut allein, Kaifer Franz felber 
hatte ſich in dies falſche Spiel tief eingelaffen. Am Tage vor ber 
Gonferenz (13. Febr.) war ein weiteres Schreiben von ihm an Friedrich 
Wilhelm III. abgegangen, da8 ımjerer deutjchen Gutmüthigfeit eine 
noch jtärlere Probe ftellt, als jene Ausflucht Thuguts. 

Mit faolbungsvollen Worten war darin die Hoffnung ausgejpros 
hen: daß die vorgefchlagenen Grundlagen zum Ziele führen würden. 
Der Kaiſer fei darum überrafcht gewejen, daß Preußen die Forderung 
erhoben, die geheimen Artikel zu erfahren, zu deren Geheimhaltung 
ſich Defterreich doch verpflichtet. Man werde ihn, den deutjchen 
Kaifer,dod nicht veranlaſſen wollen, in fo [hweren 
Zeiten den Franzoſen das Beifpiel eines Wortbruds 
zu geben! Aufs cordialfte verficherte er im Webrigen feinen Wunfd) 
nah aufrichtigem Einverſtändniß; nicht ohne Schauder könne er an 
die Gefahr eines Umfturzes des h. römischen Reichs denken, deſſen 
Haupt er fei. 

Die Erwiederung Friedrich Wilhelms III. (24. Febr.) verwies 
zunächſt auf die Mittheilungen feines Gefandten in Wien. Auch er 
ſei einverftanden mit den beiden vorgefchlagenen Grundlagen; allein 
man müſſe doch vor Allem willen: was in der heutigen Lage unter 
„Integrität des Reichsgebiets und Stand feines gegenwärtigen Gebiets” 
verftanden werden könne. Er erinnere nur an das thatſächliche Schick⸗ 


28 Ludwig Häuffer, 


fal des linken Rheinufer, an die Räumung von Mainz. Aus diefem 
Grunde fei e8 allerdings wünjchenswerth gewefen, die geheimen Ar» 
titel zu erfahren. Ich fchlage Ew. Majeftät vor, fuhr dann das Schrei- 
ben fort, fih mit Ihren Entfchädigungen in Stalien zu begnügen, 
die erblihen Befigungen des Reiches unberührt zu laffen und auf jede 
Gebietserwerbung in Deutfchland zu verzichten; ben Grundfat der Sä⸗ 
Kularifation jo viel zuzulaffen, al® es nothwendig ift, um die auf dem 
linken Rheinufer in Verluſt gerathenen Fürften völlig zu entfchädigen 
und diefen Grundfag aud auf da® Haus Oranien anzumenden. Ich 
verfpreche dagegen mid) lediglich auf die Entfehädigung zu befchränten, 
die mir als Erfag für den Verluft meiner überrheinifchen Gebiete zu⸗ 
fallen wird, und id) werde auch in diefer Rückſicht alle denkbare Diä- 
Bigung zeigen. 

Indeſſen pflog Thugut mit Keller noch weitere Unterredungen, 
die er übrigens felber für lediglich perfönliche Gefpräche erklärte, und 
deren Inhalt nicht eben große Neigung verrieth, fich raſch zu verftän- 
digen. In Berlin wurde man allmälig ungeduldig. Die Haltung 
des öfterreichifchen Minifters erfchien wie ein „&ewebe von Chilanen, 
Ausflüchten und Zögerungen” und als cin Beweis, daß der Wunſch 
eine aufrichtige Eintracht herzuftellen ehr gering fei. Statt ſich in diefem 
Cirkel nutlofer Abjchweifungen zu bewegen, follte man raſch aufs Ziel 
losgehen und rund heraus erklären, ob der Grundfat uneigennüßiger 
umd mäßiger Haltung, den der König ausgefprocdhen hat, dem Kaifer 
genehm ift oder nicht! *) 

Dod kam man um einen Heinen Schritt weiter. Der letzte Brief 
Friedrich Wilhelms ward am 8. März vom Kaifer ausführlich er» 
wiedert ; in diefem Schreiben war zwar das Recht Defterreichs auf 
eine ausgedehntere Entſchädigung betont und auf die Vergrößerungen 
Preußens in Polen hingewiefen, allein ber Kaifer erklärte ſich zugleich 
bereit auf Unterhandlungen durch bevollmädtigte Mi- 
nifter einzugehen, die in Berlin oder Wien ftattfinden und an benen 
Rußland Theil nehmen könnte, 

Der Anhalt des faiferlichen Schreibens befriedigte zwar in Ber- 
Im nicht ; man vermißte eine beftimmte Erflärung auf die geftellten 





*, Min. Depeihe vom 10. März. 





Zur Geſchichte des Haftatter Congreſſes. 28 


Fragen; aber es bot doch einen Punkt der Anknüpfung. Syn der 
ifolirten Lage, in welcher ſich die preukifche Politit befand, bei der 
Coalition als Franzofenfreund verdächtig und von den Franzofen be 
ſchuldigt, mit Coalitionsplänen umzugehen, ohne fichere Anlehnung 
bier wie dort, durfte Preußen eine Handhabe möglicher Verftändigung 
nicht ohne Weiteres zurüchweifen ; in einem eignen Memoire des Mi- 
nifteriums an den König war diefe Anficht näher begründet. „Wir 
fünnen Ew. Majeftät nicht verhehlen, daß, welchen Weg wir aud) wäh- 
(en, wir gefährlidye Klippen finden. Wenn man die Verhandlung mit 
Wien aufgiebt, fo zweifeln wir feinen Augenblid, daß, fall® wir die 
mit Frankreich wieder aufnähmen, ed uns gelänge, uns nicht allein 
demjelben zu nähern, fondern daß die Republik vielleicht entgegenloms 
mender und coulanter al& je in Betreff der Entjchädigungsfrage fein 
würde. Allein die Gefahr, die in der Einmiſchung der Franzofen 
in die inneren Neichsfachen liegt, ift doch jehr zu beachten; was das 
heißt, fieht man eben in der Schweiz und in Stalien*). Die fran- 
zoſiſche Occupation, auch rechts vom Rhein, wird dann die unvermeid- 
liche Folge fein. Um diefe zu hindern und die Franzofen zur Räu⸗ 
mung des deutſchen Gebietes zu bewegen, tft eine Verftändigung mit 
Defterreich nothwendig; diefelbe kann freilich zu ernften Conflikten, 
vielleicht zu einem Kriege führen. Auch diefen Fall muß man wohl 
in Erwägung ziehen, zumal Oeſterreich fortdauernd fo wenig Aufrichtig- 
feit zeigt.” So fei, hieß e8 einige Tage fpäter in einem andern Alten- 
ftüde des Minifteriums, jeder Weg gefahrvoll ; aber Alles in Allem 
erwogen, habe der Kaifer "das gleiche Intereſſe wie Preußen oder ein 
noch größeres, Deutichland von dem graufamen Joch zu befreien, das 
die Sranzofen im Begriffe feien, Deutſchland aufzulegen. Darum fei 
man entfchloffen,den Weg zu betreten, der zur Annäherung 
an Defterreih führe Die Verhandlungen follten in Berlin 





*, Damit traf zuſammen, was am 7. März die Gefandtichaft in Ra» 
Ratt fchrieb: Un accord heureux entre V. M. etl’Emp. pourrait seul dans 
ces circonstances sauver l’Empire de l’influence ulterieure et pernicieuse 
de la nouvelle Republ. ine minifl. Note vom 23. (f. fol. 88) ift darauf 
gleichfam die Antwort. 

” Mini. Darlegungen vom 16. und 20. März 1798. 


4 Ludwig Häuffer, 


ftattfinden, um fie ber unmittelbaren Einwirkung Thuguts zu entziehen 
und auch Rafumorwsti, deſſen ſchlechte Dieinung bekannt fei, zu beſei⸗ 
tigen. Auch fcheine Berlin der pafjendfte Urt für eine Verhandlung, 
die zugleich mit Peter&burg und Wien zu correjpondiren habe. 

Im gleichen Einne beantwortete Friedrid Wilhelm das Echreiben 
des Kaiſers (19. März). Er verhehlte nicht, daß ihn die kaiſerlichen 
Aeußerungen nicht befriedigt hätten, und daß er es, nach Thuguts 
eignem Ausſpruch, für unnüg halte, jegt auf Vergangenes zurüdzulom- 
men, wo es fi um die Zukunft handle — aber er knüpfte daran 
die Einladung an den Kaifer, die Conferenz in Berlin zu bejchiden 
md erklärte fich zugleich bereit, Rußland zur Xheilnahme aufzu- 
fordern. 

Mit Rußland war, wie wir uns erinnern, dur Friedrich Wil⸗ 
heim III. ſchon im Februar eine Anknüpfung verfucdht worden ; dann 
hatte Raifer Franz in feinem erwähnten Schreiben von 8. März die 
Theilnahme des Czaren vorgefchlagen *), und fi an Paul ſelbſt ge- 
wandt, um deſſen Vermittelung in den öfterreichifch-preußifchen Diffe⸗ 
renzen nachzuſuchen. Die Antwort des Czaren (16. März) lautete 
fehr entgegenfommend. In einem Ton, der gegen Oeſterreich wie 
Preußen gleich freundfchaftlicy Fang, erklärte er fich bereit zu vermits 
teln und an den Verhandlungen in Berlin Theil zu nehmen. Wenn 
er freilich dabei ſchon die Hoffnung ausfprah, einen Defenfivbund 
zwifchen den drei Mächten geſchloſſen zu fehen, dem auch England und 
Dänemark ohne Zweifel beitreten würden, fo eilten feine Wünfche der 





*) Bei Miliutin I. 889 ift diefes Schreiben nad einem Beridjt von 
Panin erwähnt und davon gejagt, daß es die Termittlung Pauls vorfchlug. In 
bem Briefe felbft aber, von dem eine Abfchrift uns vorliegt, ift indeſſen nur 
von der Theilnahme Rußlands die Rede. Aehnlich if der Sache auch in Friedrich 
Wilhelms III. Antwort (19. März) erwähnt und in der Depefche Kellere vom 
20. März lautet der Ausdrud: de faire intervenir l’Empereur de Russie 
dans la discussion de nos differens. Bei Miliutin ift aber im Terte S. 46 
bereits von einem „Schiedsrichteramt”‘ Pauls die Rede, während das in den No 
ten ©. 340. mitgetheilte Schreiben davon nichts fagt, fondern nur bemerkt: 
la proposition qu’elle me fait de devenir mediateur entre V. M.]. et 
le Roi de Prusse etc. Man darf dabei freilidy nicht vergeflen, daß biefer 
Theil des ruſſiſchen Wertes von Michailoweli⸗Danileweli verfaßt ifl. 





Zur Geſchichte des Raftatter Congreſſes. E >) 


Situation, wie fie war, um cin bedeutendes voran. Ein folder De 
fenfiobund wäre der Anfang einer Koalition gewefen, und das war 
es gerade, was das preußiſche Eabinet auf jede Weife zu vermeiden 
ſuchte. 

Die Rückwirkung dieſer Vorgänge war in Raſtatt wie in Paris 
zu ſpüren. Am Congreßort traten die beiden Geſandtſchaften unter 
fich in eine beſondere Verhandlung, während die Franzoſen in Raſtatt 
wie in Paris ihren Unmuth über die Bemühungen Preußen's, ſich mit 
Oeſterreich zu verjtändigen, unverhüllten Ausdruck gaben. 

Die Kothwendigfeit der Aunäherungen ward aber in Raftatt fo 
lebhaft wie in Berlin empfunden. Wenige Tage bevor man fich hier 
entichloß, zu den Conferenzen die Hand zu bieten, war aus Najtatt 
ein wahrer Nothſchrei gelommen über das Verfahren der Franzofen. 
Kur eine glüdlidhe Uebereinftimmung, fchrieb die Geſandtſchaft 
am 7. Diärz, Tann das Reich vor dem weiteren verderblichen Einfluß 
der Republik bewahren. Und nicht nur diefe, eine jede Depeſche der 
Gefandten war erfüllt mit Schilderungen von dem brutalen Uebermuth 
der Fremden, ihren Erprefjungen auf dem linken, ihren Gewaltthaten 
und ihrem revolutionären Unfug auf dem rechten Rheinufer. Gleich⸗ 
wol, ſchrieb damals das Minifterium (23. März) können wir Euch nicht 
ermäcdhtigen, eine entjchiedene und fräftige Sprache in diefen Dingen 
zu führen, ehe wir mit dem Wiener Hof uns über ein aufrichtige® 
und wirkſames Zuſammengehen verftändigt haben. 

Den Franzoſen entging diefe Lage der Dinge nicht; ihr Vers 
druß über die preußifchen Bemühungen äußerte ſich in der verfchie- 
denften Weife. Anfangs drohte Zalleyrand in einem Geſpräch mit 
Sandoz: wenn Preußen ohne Frankreich fich verftändigen wollte, fo 
würde das Direktorium bei der erften Gelegenheit die Auflöfung des 
Congreſſes veranlafjen; worauf dann das Berliner Cabinet meinte, 
unter den gegenwärtigen Umftänden würde dies fein großes Unglüd 
fein. Kin andermal verfpottete der franzöfiihe Miniſter das gut« 
mũthige Bertrauen der Preußen, die da immer noch meinten, Oeſter⸗ 
reich werde ihnen die geheimen Artikel mittheilen. „Sie werden das 
in Wien nie thun, dem fie würden Eud) damit die Geheimniffe ihrer 
künftigen Bolitit preis geben.“ Mit den drohenden und unmuthigen 
Mienen wechfelten dann die freundlichen; man gab fi in Paris alle 


260 Ludwig Häuffer, 


Mühe, durch erneuerte Lieblofungen Preußens Vertrauen zu gewinnen 
und es von Oeſterreich abzuwenden. Oder man nahm fchmollend die 
Miene an, als glaube man das Berliner Cabinet mit Coalitionsno- 
ten beſchäftigt und als fei die Verhandlung, die e8 betreibe, nur der 
erfte Schritt zu einem Bündniß der öftlihen Mächte gegen Frank—⸗ 
reich ®). 

Den intereffanteften Verſuch, auf Preußen zu wirken, madhte 
Bonaparte in einer Unterredung mit Sandoz-Rollin. Oeſterreich, fagte 
er, ift mit mir übereingefommen, zur Abtretung des linfen Rheinufers 
feine Zuftimmung zu geben; die Schwierigfeiten, die e8 heute macht, 
haben lediglich den Zwed, feine Verabredungen mit Frankreich zu ver- 
bergen, um fich feine Popularität in Reich zu ſichern. Unterhandeln 
heißt befanntlidy für Defterreich Geduld und Zeit erfchöpfen. Gewiß 
der Befit von Mainz, das der Kaifer auf eine Hägliche Weiſe und 
ohne Noth an Frankreich überließ, hat dem Direktorium die „dee 
ımd bald auch das Recht gegeben“, das linfe Rheinufer zu fordern; 
ber Kaifer bat mit der Auslieferung von Mainz diefe Grenze geopfert 
und man wird ihn, was er auch fagen mag, für den Urheber der 
Theilung des Reiches halten. Jetzt wünſchte aber das Direktorium, 
dag Preußen fi in die Vollziehung des Friedens einmifchte, nament- 
lich von Sachſen und Hannover die Zuftimmung zur Abtretung der 
Nheingrenze verlangte. Die Verpflichtung, die wir dadurch 
gegen Preußen hätten, würde mande eventuelle Be 
dingung ſchwächen, deren Ausführung Preußen fo wenig wie Frank⸗ 
reich wünfchen Tann. Es gibt fein anderes Mitiel Baiern 
vor jeder Art der Theilung zu retten. Wenn freilich 
Preußen zwifchen Frankreich und Oeſterreich ſchwankt oder mehr zu 
legterem neigt, dann wird das Direktorium ſich von jeder Art Rück⸗ 
fiht entbunden erachten ımd die Bedingungen von Gampoformio 
ftritt vollziehen; den Schaden wird dann Preußen tragen. Auf den 
Wunſch des preußifchen Gefandten, Frankreich möge durch Mittheilung 
ber geheimen Artikel einen ernften Beweis feiner Aufrichtigleit geben, 
erfolgte feine Antwort von Bonaparte, wohl aber fchloß er die Linter- 





*) Dies und das folgende nad Sandoz’ Berichten 4. Febr. und 14. März. 
Mini. Note vom 26. März und 2. April. 





Zur Geſchichte des Raftatter Congreſſes. 21 


redbung mit dem faft drohenden Winkl: „Wenn Preußen glaubt, feine 
Neutralität fo weit ausdehnen zu Fönnen, daß e8 in feinen theuerften 
Intereſſen völlig paffiv bleibt, fo heißt das, feinen Rang als Groß- 
macht aufgeben. * 

Die Andentung Yonapartes, daß Baiern gefährdet und nur durch 
eine Berftändigung Preußens mit den Franzofen zu retten fei, ift ſchwer⸗ 
lich auf ganz unfruchtbaren Boden gefallen ; wenigftens erinnerte man ſich 
fpäter daran. Damals aber madjten diefe Bemühungen fammt und fon« 
der& feinen großen Eindrud. Man befchräntte fic auf die Verficherung, 
dag die Verabredungen nichts gegen Frankreich Feindſeliges bezweckten, 
fondern eher dahin zielten, Defterreic) in feinen Forderungen zu mäßigen. 
Bertraulic, aber fagte man fih*): Oeſterreich habe doch ein ehr 
großes Intereſſe der Verftändigung, und Frankreich fpelulire wahr: 
ſcheinlich nur darauf, Defterreih und Preußen zu trennen. Eben dar: 
um trug man and) Fein Bedenken, in denfelben Tagen lebhafte Be- 
ſchwerden an die Franzoſen ergehen zu laſſen fomwohl über ihr Ver⸗ 
fahren auf dem linken Nheinufer, als über die revolutionären Wüh- 
lereien im Reich und über das Vorgehen gegen die Schweiz. 


Die Berliner Eonferenzen. 


Während man fid fo, unter groffender Oppofition Frankreichs, 
m Wien dahin einigte, Conferenzen der drei öftlihen Mächte 
nach Berlin zu berufen, war die Verhandlung, die diefe Conferenzen 
befcyäftigen follte, auf einem feltfamen Umweg vorläufig begonnen 
worden. Graf Cobenzl hatte der preußischen Gefandtichaft in Ras 
ftatt in der letzten Woche März vorgefchlagen, Befprechungen über 
die gegenfeitige Verſtändigung zu eröffnen, dabei aber ausdrücklich be- 
merft, er äußere dabei lediglich feine Anfichten al8 PBrivatmann. Die 
preußifchen Gefandten gingen bereitwillig darauf ein; denn fie waren, 
wie ihr Bericht nad) Berlin fagte, für eine Verftändigung mit Defter- 
reich, auch wenn diefelbe Preußen Opfer koftete. „In einer Krifis, wie 
die gegenwärtige ift, müſſen alle andern Erwägungen der Wohlfahrt 
Deutſchlands und Europas nachſtehen; und dies Ergebniß wird allem 





* Mini. Rote vom 2. April. 


28 Ludwig Häufler, 


Anfchein nad) von unferer Verhandlung mit dem Wiener Hofe ab- 
hangen *).“ 

Die erften Gefprähe trugen einen allgemeinen Charakter; es 
war zunächft von der gegenfeitigen Entichädigung die Nede, ohne daß 
man zu einer näheren Seftftellung kam. Bemerkenswerth war dabei 
nur Eind. Die Gefandten Preußens hatten ſich bereit erflärt, ihre 
Forderungen auf's mäßigfte zu befchränfen, wenn ausdrüdlid das 
Princip an die Epite geftellt würde: die erblichen Fürftenthümer 
auf dem rechten Ufer des Rheines intakt zu erhalten. Mit andern 
Worten, fie verlangten eine Garantie Baierns gegen jeden Tauſch⸗ 
oder Theilungsplan. Im erften Moment zeigte ſich Cobenzl damit 
einverftanden, nahm aber dann, nad) einer Beiprechung mit Lehrbach, 
die Zufage zurüd. Vergebens ftellten ihm die Preußen lebhaft vor, 
wie ſolch eine Weigerung dem weiteften Verdacht in Betreff Baierne 
Nahrung gebe; der öfterreidhifche Minifter blieb bei feiner Ablehnumg. 

Nun überreichte Cobenzl einen Entwurf, den er apergu eventuel 
nannte. Darin waren namentlih 5 Punkte hervorgehoben. Für's 
Erſte entfagten Defterreih und Preußen jeder Erwerbung im Reid). 
Zweitens erhielt Preußen nur Erfag für feine Linfsrheinifchen Gebiete, 
und zwar war das Stift Hildesheim dazu auserfehen. Dranien follte 
eine Entſchädigung erhalten, dody nur wenn für Modena das Gleiche 
eintrete, und in jedem alle follte die oranifche nicht in der Nähe des 
Kaiſerſtaats gelegen fein. Drittens follten beide Mächte gemeinfam 
dafür wirken, daß das Neid) möglichjt wenig Einbuße an Gebiet er⸗ 
leide und feine Verfaflung erhalten bleibe. Viertens follten die drei 
geiftlichen Kurftanten fortbeftchen und entjchädigt werden. Fünftens 
follte die Laft der Entjchädigung gleichmäßig vertheilt, der Grundſatz 
der Vergrößerung der weltlichen Fürften befämpft und überhaupt die 
Sälularifation möglichſt befchränft werden. Auf diefen Grundfägen 
würden dann Defterreih und Preußen gemeinfam handeln, den fran⸗ 
zöfifchen Uebergriffen aufs rechte Ufer entgegentreten, und die Räu⸗ 
mung des deutjchen Gebiets von den fremden Truppen zu erwirken fuchen. 

Die preußifche Geſandtſchaft erklärte ſich mit den Schlußfägen 
ganz einverftanden ; ihre Bedenken betrafen außer dem Intereſſe des 


— — — 


*) Depeſche der Geſandten vom 26. März. 





Zur Geſchichte des Raſtatter Congreſſes. 29 


Hauſes Oranien und der Entſchädigung der geiſtlichen Kurſtaaten 
vornehmlich den fünften Punkt, der nach ihrer Anſicht, „als dunkel und 
verwidelt“ ganz umgeftaltet werden müßte. Aehnlich war auch die 
Auffaffung in Berlin*). Dan ſprach dort feine Befriedigung aus, daß 
endlich etwas geſchehen, und war bereit, ſich mit Hildesheim und eini- 
gen Abrundungen der fränkifchen Fürſtenthümer zu begnügen, fobald 
der Kaifer den Grundfag ausfpräde: de conserver intactes les 
principautes her6ditaires de la rive droite aux maisons qui 
la poss2dent. Gegen eine Entfhädigung Modenas hatte man nichts 
einzuwenden, nur wollte man ihre Reciprocität mit der oranifchen nicht 
zugeben. Die entjchiedenfte Oppofition erhob ſich aber au in Ber- 
Im gegen den fünften Artikel. ‘Der Grundfag, die Verlufte des 
Reiche auf alle Mitglieder, geiftliche wie weltliche, zu übertragen, er: 
ſchien dort ganz unzuläffig und in der Ausführung unmöglich. Die 
in Berluft gerathenen Fürften follten nichts als eine ſtrikte Entſchä⸗ 
digung erhalten, allein diefelbe könne lediglich auf dem Wege der Sä- 
Iularifation beigebracht werden. Diefe letztere folle nur fo weit aus 
gedehnt werden, als fie durchaus nothiwendig war und dabei immer der 
Grundjag beachtet bleiben, die erblichen Fürſtenthümer umverjehrt zu 
erhalten. ' 

Das Wefentliche diefer Beſprechungen lief alfo immer auf die 
Frage hinaus, ob man das Princip der unveränderten Erhaltung der 
weltlichen Fürftenthümer aussprechen folle oder nicht, und gerade in 
diefem Punkt war man auf öfterreichifcher Eeite befonders ſpröde. 
Je zurüdhaltender man ſich aber darin zeigte, defto mehr regte ſich auf 
der andern Seite der Verdacht, daß bedenkliche Abfichten im Hin- 
tergrunde lägen. Ye genauer wir, fchrieb die preußifche Gejandtichaft 
am 31. März, über die hartmädige Oppofition des Grafen Lehrbach 
gegen diefen Grundſatz nachdenken, defto mehr find wir von der Noth« 
wendigfeit durchdrungen, darauf mit unerfchütterlicher Feſtigkeit zu bes 
barren. 

Dan kam denn aud) in diefer Frage zu feinem fichern Ergebniß. Nur 
einen flüchtigen Moment hatte es den Anfchein, al8 wiürbe man fidh 
verftändigen. In einer Unterredung der preußifchen Gefandten mit 





©) Rote von 2. April. 


80 Ludwig Häuffer, 


Lehrbady und Cobenzl erklärten die Legteren, fie hätten nichts gegen 
die Aufnahme jenes Sates zu erinnern, wenn Preußen auf die ge 
forderte Abrundung in Franken und auf eine Entfchädigung für das 
Haus Dranien verzichte. Die preußifhen Xevollmädtigten gingen 
im Ganzen darauf ein, ließen die fränkiſche Entſchädigung fallen und 
begehrten für Oranien nur einige trierifche Aeuiter, für welche dann 
wieder Oeſterreich eine ihm entfprechende Erwerbung erhalten follte. Auch 
in Berlin wollte man fid) mit dem Statusquo in Franken begnügen ; nur 
an der für Oeſterreich verheißenen Gegenleiftung hatte man fein Ge⸗ 
fallen. Weiter fam die Sache nit. Cobenzl reijte nad Wien, die 
befannte Streitigfeit mit Bernadotte nahm alles Intereſſe in Anſpruch. 
Aber Eines hatte Cobenzl vor feiner Abreife, als die preußifchen &e- 
fandten von Neuem auf die Anerkennung jenes Princips drangen, ge- 
fprächsweife gefagt: Was kann denn Preußen daran liegen, wenn 
der Kaiſer irgend einen Fleinen Streif Landes (quelque petite lisidre) 
der uns eine bejjere militärische Stellung gibt, in Baiern gewinnt; 
- eine ſolche Bagatelle follte in einer Krifis, wie die gegenwärtige ift, 
nicht fo viel Zänferei verurjadhen *). 

So blieb die Sadye im Ungewifjen und erhielt aud) von anderer 
Seite feine Förderung. Wohl war in den Geſprächen, die Keller 
mit Thugut pflog, der Ton minder jchroff, als zu Anfang, aber die 
Unterhandlung rüdte nicht von der Stelle. Ich billige durchaus, 
hieß es in einer preußifchen Note von 9. April, die Anfichten, 
welche S. Kaiſ. Majeftät in der letten Audienz Ihnen über die pers 
fide Politik der Franzofen und über die Gefahr, wonit fie Europa 
bedroht, geäußert hat; aber ich muß bedauern, daß eine jo weife Theorie 
nicht beffer in die Praxis übertragen wird. Kaiſer Franz fchrieb 
(3. April) einen neuen Brief an den preußiſchen Monardyen und 
fprah in den freundlichiten Worten feine Zuftimmung zu den 
berliner Conferenzen aus; indeffen die Gonferenzen begannen nicht. 
Fürſt Neuß pflog mit Finkenftein und mit Haugmwig Unterredungen 
über die Modalitäten der Verftändigung; allein Yuftruktionen hatte 
er noch keine. In Berlin wurde man ernjtlid) ungeduldig; man ſah 
überall nur berechnete Umſchweife und Zögerungen, und dic alten Geg- 


+), Geſandtſchaſt am 10. 18. April, Minift. am 20. April. 





Zur Gefchichte des Raſtatter Congreſſes. 8 


ner Defterreichs, wie Alvensleben, äußerten faft fchadenfroh: das jet 
die überlieferte Taktik, man wolle Preußen dazu bringen, daß es ge- 
meinſam gegen Frankreich auftrete, ohne daß man vorher die geringfte 
Verpflichtung eingehe. Der Zwed fei, Preußen die Vortheile des Auguft- 
vertrags zu entreißen, e8 mit Frankreich zu überwerfen und dann 
über feine Stellung in voller Abhängigkeit zu verfügen. Auch der 
König Hatte (10.) dem Fürften Reuß in einer Audienz fein Bedauern 
ausgedrüdt, dag inmitten der beunruhigenden Krifis, die Deutſchland 
bedrängt, die VBerftändigung beider Mächte auf fo viele Zögerungen 
ftoße ; jo lange die Grundſätze jenes Cinverftändniffes nicht firirt 
feien, könne er feinen Gefandten in Raftatt nur eben anweijen, Mit⸗ 
tel der Borftellung und Weberredung anzuwenden, um ‘Deutjchland 
einen vortheilhaften Frieden zu fichern. 

So war, wie ſich eine minifterielle Schrift (30. April) ausdrückte, 
die Unterhandlung „completement pendue au croc“, Dank der Un- 
thätigkeit, womit beide Kaiferhöfe, in Petersburg und Wien, die Sache 
behandeln. 

Die Branzofen ließen nicht ab, diefe Verfchleppung für ſich zu 
wüsen; freundliche und umfreundliche Mittel wurden angewendet, um 
Preußen von einem Abſchluß mit Defterreich zurüdzuhalten. Zunädjt 
wurde mit fchmeichelnden Worten der Werth hervorgehoben, den Frank⸗ 
reich gerade auf die Sreundfchaft Preußens lege. Der König von Preußen, 
äußerte einer der Direktoren gegen Sandoz *), wird mehr und befje- 
res erlangen, wenn er nur in feinem Namen feine Begehren ftellt 
und nicht im Gefolge von Defterreich ; fo jehr das Directorium ge- 
neigt ift, den Wünfchen des Königs nacdhzugeben, fo fehr widerftrebt 
es ihm, auf die Anfchauungen des Kaifers einzugehen. Oder e8 murde 
Preußen eifrig zugeſetzt, daß es bei der Convention vom Anguft 1796 
mverrüdt ftehen bleibe und — wie e8 nachher 1802 geſchehen ift — 
einftweilen unter franzöfifcher Proteftion faktiſch von den dort ver: 
ſprochenen Entfehädigungen Befig ergreife. Würden wir das thum, 
fagte damals ganz richtig das Berliner Cabinet, jo würden wir nur 
Defterreich den Vorwand geben, da8 Gleiche in Baiern zu verfuchen. 
Dann wäre der Umfturz in Deutſchland allgemein — und das ift 





©) Deſſen Depeſche vom 11. April. 


823 Ludwig Häuffer, 


gerade, was wir hindern wollen. Gleidy nachher trat (am 10. Mat) 
der franzöfiiche Gefandte in Berlin, Caillard, mit dem offenen Vor⸗ 
ſchlag eines franzöfifch-preußifchen Bündniffes hervor. Er übergab eine 
Dentichrift, worin die Unmöglichkeit einer Allianz mit Defterreich und 
Rußland nachgewiefen und die Gefahr einer Iſolirung Preußens 
hervorgehoben ward. Halb fchmeichelnd, halb drohend wurde 
das franzöfifche Bündnig anempfohlen. Schmeichelnd durch die ent⸗ 
ſchiedenſte Verficherung, daß die Republik durch die Allianz den Frie- 
den umd nichts als den Frieden erftrebe. ‘Drohend, indem am Schluffe 
daran erinnert ward, daß Frankreich zum zweiten Male dies Begeh—⸗ 
ren fruchtlos geftellt habe. Sie werden begreifen, ſchloß Caillard, daß 
die Würde der fränfifchen Republik ihr nicht geftatten würde, fich 
abermals einer abjchlägigen Antwort auszufegen, und daß wir une 
aledann genöthigt fehen würden, andere Combinationen zu fuchen, in 
denen für Preußen keine Stelle mehr wäre. 

Nach den obigen Mittheilungen braucht c8 kaum des Nachweifes, 
daß von einer Allianz mit Frankreich die Stimmungen in Berlin feit 
lange nicht fo entfernt waren, wie damals *). Seit Monaten bemüht, 
ein Gegengewicht gegen die Franzoſen zu fehaffen, das nicht geradezu 
eine Eoalition war, hoffte das preußifche Cabinet immer noch auf 
den Erfolg diefer Bemühungen und war darum gerade in biefer 
Stunde am wenigften verfucht, plöglich fein Syftem zu wechſeln. Es 
liegt uns ein Gutachten von Alvensleben über die franzöfifche Denk⸗ 
Schrift vor. Sogar er, der fonft unter den Cabinetsminiftern ſchon 
feit 1793 am meiften nad) diefer Seite geneigt und für eine Annähe⸗ 
rung an Oefterreich am wenigften geftimmt war, wollte die franzöfifche 
Allianz nicht empfehlen. Selbft auf die Gefahr bin, daß fid) dann 
eine engere Verbindung zwifchen Defterreih und den Franzoſen bilden 
würde, fchien die Ablehnung des Anerbietens ihm der einzig richtige 
Weg. Denn eine Allianz Preußens mit Frankreich, meinte er, werde 
nur die Gegenallianz Rußlands mit Defterreich befchleunigen und 





*) Die ruffifhe Auffaffung, die nad) Repnins Berichten nachher von ber 
Anfiht ausging „die Zımeigung des berliner Hofes fei bereits eben fo groß, 
als deffen Haß gegen Oeſterreich“ (Miliutin I. 348) war, wie die folgenden 
altenmäßigen Mittheilungen beweifen, in einem entjchiebenen Irrthum befangen. 





Zur Gefchichte des Raftatter Congreſſes. 33 


Breußen möglicherweife einen Krieg bereiten, ber wegen der polnijchen 
Befigungen fehr mißlich werden konnte. Und das Alles um eines 
Staates und einer Regierung willen, mit ber überhaupt eine feftere 
Verbindung nicht wohl zu fchließen fei. Mit Defterreid) und Ruß⸗ 
and Tönmten wohl vorübergehende Zwiſtigkeiten beftehen, aber man fei 
auch wieder durch gemeinfame Intereſſen mit ihnen verknüpft, einmal 
durch Bolen, dann durch die Solidarität, die zwifchen ihnen in der 
Abwehr der Revolution und der Erhaltung der alten Ordnungen 
beftebe. 

Die ablehnende Haltung Preußens beftimmte die Franzofen, es 
mit einer andern Taktik zu verfuchen. Sie jchmollten, [pielten die 
Beleidigten und nahmen die Miene an, als ftehe Preußen auf dem 
Buntte, eine Coalition gegen die Republik zu bilden. Zallcyrand 
ſprach fpöttelnd von dem „[chismatifchen Congreſſe“ in Berlin, der 
die Thätigkeit in Raftatt nur hindern und durchlreuzen werde. ‘Die 
Geſandten in Rajtatt folgten natürlich dem Zone, der in Paris an⸗ 
geſchlagen war. Empfindlicher war die gleichzeitig laut gewordene 
Abficht des Directoriums, Caillard in Berlin durch Sieyes zu erjeßen. 
Seit lange hatte nichts den preußifchen Hof fo aufgeregt, wie die Aus⸗ 
ficht, den Mann als Geſandten begrüßen zu müſſen, den das abfolute 
Europa recht eigentlid) wie den verantiwortlichen Urheber der verhaßten 
Dinge feit 1789 anfah. Der König erflärte zürnend feinen Mini- 
ftern: die Anweſenheit von Sieyes werde ihm im höchften Grade un: 
angenehm fein, und Sandoz erhielt einen ftarfen Verweis, daß er 
dies nicht hatte hindern können. Erſt durch die Nachricht, daß Sie- 
yes nur als aufßerordentlidher Abgejandter fommen werde, ließ man _ 
fi einigermaßen beruhigen, hielt fi) aber ausdrüdlich aus, daß der 
ju erwartende Repräſentant Frankreichs das Thema von der Allianz 
nicht weiter berühre *). 

Indeſſen Hatten die Befprehungen in Berlin (Ende 
Mai) wirklid begonnen. Es war um bdiefelbe Zeit, wo fich 
der Wiener Hof entichloß, durch die Separatunterhandlung in Sclz 
einen Weg der Verftändigung mit Frankreich zu verfuchen; der Eon- 





®) Gender berichtet darlber am 5. Mai; das Minifterium am 15. und 
231. Mei. 


OVeriſche Beitkarift Vil. Band. 3 


84 Ludwig Häuffer, 


flift mit Bernadotte diente al8 Vorwand ; der eigentliche Zwed war, _ 


ſich Gewißheit zu fchaffen, ob eine volltommene Erfüllung der Zufagen 
von Campoformio oder doch ein hinreichendes Wequivalent dafür von 
den Tranzojen zu erlangen fei. Wenn nicht, jo war Thugut ent- 
ſchloſſen, die Bildung einer neuen Koalition zu verſuchen. Die bei- 
den Unterhandlungen in Selz und in Berlin ftanden darım in enger 
Beziehung ; mislang die erfte, fo war die zweite beftimmt, Preußen 
in die Bahnen der GCoalitionspolitif zu drängen. 

Rußland hatte, wie wir eben fahen, gleich anfangs mit der Un- 
geduld, die Pauls Bolitit charakterifirte, auf died Ziel hingewiefen. 
So war denn auch jest die Inſtruktion, womit Fürſt Repnin nad 
Berlin gefandt ward, unverblümt auf eine active Theilnahme Preußens 
gerichtet. Im alle eines Bruches zwiſchen Defterreid und Frank⸗ 
reich follte Preußen alle Mühe anwenden, un die Republik zur Aner- 
fennung der Neutralität Geſammtdeutſchlands zu vermögen und, falle 
diefer Vorfchlag von Frankreich nicht angenommen würde, fo follte 
fi Breußen verbindlich machen, im Verein mit dem Kaifer alles auf- 
zubieten, um das deutſche Reich vor dem ihm drohenden Verderben 
zu ſchützen. 

Wer ben Gang der preußischen Politik aufmerkfam gefolgt war, 
fonnte über die Ablehuung diefes Anfinnens kaum im Zweifel fein. 
Die Neutralität nicht zu verlaffen und jeder Verpflichtung auszuwei⸗ 
hen, weldye zu einer aktiven Parteinahme führen konnte, das war 
und blieb der leitende Gedanke, von dem das berliner Cabinet feit 
1795 beherrfdht war. Wohl lag der Einwand nahe und ift auch er- 
hoben worden, dag mit dem offen ausgeſprochenen Willen, au diefer 
Maxime feftzuhalten, Preußen die Kraft feiner diplomatifchen Action 
lähmte und ſchließlich in die Gefahr fam, ſich mit beiden ftreitenden 
Barteien zu überwerfen. Allein fein Entſchluß ftand einmal feft und 
lieg darum von Anfang an wenig Hoffnung zu, daß es auf den von 
Rußland vorgeichlagenen Weg eingehen werde. 

Für Oefterreid) beftand, jo Lange die Selzer Unterhandlung fchwebte, 
noch fein dringendes Bedürfniß, auf dies Ziel loszujtenern und, wie 
es fpäter gefhah, fi das Weſen der ruffifchen Forderungen anzu⸗ 
eignen. Die erften Gefprädhe, die es in Berlin anregte, betrafen darum 
zunächſt nod) die Entſchädigungsfrage. Es wurden „vorläufige An⸗ 





Zur Geſchichte des Raftatter Eongrefjes. 35 


gaben” mitgetheilt über die Art, wie ſich der Kaifer das Verhältniß 
der geiftlihen Kurftuaten dachte. Man fprad) davon, Kurmainz mit 
dem Reit von Worms zu entichädigen, an Kurtrier nach den Ab» 
leben der jegigen Bilchöfe Würzburg und Bamberg als „Kurfürften- 
thum Würzburg“ abzutreten, mit dem Reſt von Eöln das Stift Münſter 
und das Deutfchmeiftertfum auf immer zu vereinigen. Ueber die 
Art, wie man ſich die weltliche Entſchädigung dachte, fehlten nod) be» 
ſtimmte Andeutungen; nur lieg der Vorfchlag, Pfalz und Zweibrüden 
mit dem Reit des Speierer Bisthums und allenfall® mit Regens⸗ 
burg zu entfchädigen, feinen allzu reichen Erjag für die Verluſte er: 
warten. 

Auf preußischer Seite jah man die Entichädigungsfrage natür⸗ 
(ih anders an. Dort war die Meinung, es habe fich bis jett vor- 
nehmlich nur von der Entfchädigung der weltlichen Fürſten gehandelt 
und es jei darum fchon eine Conceffion von Preußen, wenn es zu- 
ftimme, dag die geiftlihen Kurjtaaten nicht felbft verwendet würden. 
Aber die weitere Zumuthung, diejelben auch noch zu entſchädigen, äu⸗ 
dere bie Lage wie die Anſprüche Preußens. 

Ueber den Grundſatz gegenjeitigen Verzichts auf Vergrößerungen 
ſchien jett feine Schwierigkeit mehr zu beftehen; wenigitens erklärte 
fih auf die Anfrage des Fürften Neuß das berliner Gabinet zu dies 
fen Berzicht bereit. Nur wlinfchte e8 zugleich (23. Mai) die Erhaltung 
des gegenwärtigen Bejitftandes in Franken, die Unterdrüdung aller 
darüber fchwebenden Proceſſe, und die Ertheilung des Privilegiums 
de non appellando für die fränfifchen Fürſtenthümer; auch beſtand 
e8 auf der Entjchädigung Oraniens mit den Trierfchen Aemtern rechts 
vom Rhein. 

Der Eindrud diefer erften Geſpräche war auf preußifcher Seite 
ein gemiſchter. Einzelne Stimmen äußerten fich zufrieden und hoffe 
ten auf eine Berftändigung,; Andere, wie namentlich Graf Keller in 
Wien, wollten nicht daran glauben, daß e8 Oeſterreich Ernft fei mit 
der Bolitil der Reſignation. Ihm dünkte e8 vielmehr feit Anfang 
Ami mit jeden Tage wahrfcheinlicher, daß bereits eine Coalition im 
Berte fei und dag Deſterreichs Hauptzwed dahin gehe, Preußen in 
dieſelbe hineinzuziehen. Thuguts ganze Thätigleit fand Keller ſchon 
damals nad diefem Ziele gerichtet; ihn unterftügten aber mächtige 


86 Ludwig Hänffer, 


Einflüffe, wie Golloredo, der hohe Clerus, ein Theil des Adels mb 
die Gejandten von England und Rußland. In der That leitete den 
Grafen Keller darin fein diplomatifcher Anftinkt ganz richtig, daß er 
von dem Ausgang der Selzer Verhandlung die Entfheidung über 
Krieg oder Frieden abhängig machte. Sein diplomatifcher Inſtinkt, 
fagten wir ; denn fichere Nachrichten über den Zwed und den Inhalt 
der Conferenzen in Selz empfing weder er und fein Deinifterium, noch 
feine Collegen in Paris und Raſtatt. Vielmehr erhält man dur) 
die Vergleichung ihrer ſämmtlichen Berichte lediglich den Eindrud, 
daß fie von franzöfifcher wie von öfterreichifcher Seite mit den hand⸗ 
greiflichften Ausflüchten bedient worden find, und daß es höchſtens der 
Prüfung werth wäre: wer in diefem alle die preußifche Diplomatie 
ärger zu dupiren verſucht hat — Zalleyrand oder Thugut? Wurde 
doch die Raſtatter Geſandtſchaft fo lange mit Erfolg im Dunkeln ges 
halten, daß fie nad) dem Abbruch der Selzer Verhandlung bei Cobenzl 
ernftlidy ihre Vermittlung anbot, um die gejcheiterten Conferenzen 
wieder anzuknüpfen *). 

Yange freilid) konnten ſolche Täuſchungen nicht vorhalten, da fidh 
aus allem Andern die politiiche Bedeutung der Selzer Beſprechung 
Har genug herausſtellte. In Raftatt ftanden die Verhandlungen dar⸗ 
über ftil, in Berlin und Wien fam man gleichfall8 nicht von der 
Etelle — woraus auch ein mäßiger Scyarffinn errathen konnte, dag 
es nicht der Bernadotte'ſche Auftritt vom April war, was den Stoff 
der Verhandlung bildete, und daß Deiterreih nicht darum Cobenzl 
nad) Selz gefandt hatte, um Frankreich zu milderen Bedingungen ges 
gen Deutichland zu beftimmen! In Berlin war man denn audy ſchon 
im Juni ziemlid auf der richtigen Spur in Betreff der Selzer Ber- 
handlung, zumal ungefähr um diefelbe Zeit Azzara an Sandoz eine 
vertrauliche Mittheilung über die geheimen Artikel von Sampoformio 
machte, die von der Wahrheit nicht weit entfernt war **). 





*) Pour tächer d’effectuer par nos representations un renouement 
des conferences, Geſandtſchafts⸗Bericht vom 7. Zuli. 

**) ine Depeche des Minifterinms vom 4. Juni fpricht zuerft die Ueber⸗ 
zengumg aus, daß die Selger Berbandlung die geheimen Arkitel betreffe und 
die Grreihung ‚des plus grands avantsges en Allemagne‘ zum Zweck 
babe, 





Zur Geſchichte des Raftatter Congreſſes. 37 


Wenn aber auch nichts anderes darauf hingedeutet hätte, jo reichte 
der Gang der Berhandlung in Berlin ſchon Hin, Licht über die Lage zu 
verbreiten. Rad jenen erften allgemeinen Erörterungen ruhte die Sache 
wieder ein paar Wochen lang. Darm kam endlid) Mitte Juni Reuß 
und erflärte: er habe Antwort von Wien. Es fand eine Conferenz 
ftett. Aber wie lautete die Antwort? Die Entfyädigungsfrage war 
darin wie eine Nebenſache bei Seite gejhoben, nur der Anſpruch Mo⸗ 
denas neu betont. Ehe man, hieß es, diefe Angelegenheiten erledige, 
handle es fih vor Allem darum, die Franzofen durch ein gemeinfames 
Auftreten dahin zu bringen, daß fie die letzten Forderungen fallen 
ließen und ihre Truppen zurüdzögen. Das kehrte alfo die Sache plöß- 
li um und forderte ein gemeinfames Auftreten, ehe man fic über 
die Vorfragen verftändigt hatte. So behielten diejenigen Recht, die 
von Anfang an behauptet hatten, Oeſterreich wolle nichts anderes, 
als Preußen in die Action hereinziehen, ohne irgend eine Gegenleistung. 
Man war in Berlin ernftlid unmuthig über diefe Wendung *), aber 
man wartete noch einmal ab. ‘Denn die Gefahr war nicht vorhan- 
den, daß man fich num im Verdruß etwa den Franzoſen genähert hätte. 
Mit denen war das Berhältnig nicht freumdlicher geworden. Zu der 
Ablehnung des Bindniffes war erit die ärgerlicdye Erörterung über 
die Sendung von Sieyed hinzugekommen. Dann hatten die lebten 
Borgänge in Naftatt, die belannten erorbitanten Forderungen und 
der brutale Ton, worin fie vorgebradyt waren, auf preußifcher Seite 
eine Gereiztheit hervorgerufen, die dem Gedanken der Annäherung we- 
niger Raum ließ als je. Am ſtärkſten ſprach fidy diefe Stimmung 
in den Berichten der Naftatter Geſandtſchaft aus. Dieſelben find 
erfüllt mit Anklagen gegen die Tranzofen. Aber auch der mildere 
Sandoz rief den Machthabern in Paris nad) einer lebhaften Unter: 
redung, die kurz nachher ftattfand, ärgerlich entgegen: Stellt billige 
Bedingungen, die werden wir unterftügen; aber verlangt nicht, daß 
der König von Breußen die Knechtung und den Ruin des Reichs mit Euch 
bewirten hilft. Darum madıte es auch keinen bejonderen Eindruck, 





*, Minift. Berichte vom 14. und 19. Juni; wo es heißt: je ne puis 
vous eacher qu’elle se repent de la marche peu franche et cordiale de 
oette cour. 


88 Ludwig Häuſſer, 


ale die Franzoſen, nad) dem Abbruch der Selzer Verhandlung ſich 
wieder ſichtbar Mühe gaben, einen freundlicheren Zon anzuſchlagen; 
die Erinnerung an das kurz vorher Erlebte war noch zu friſch, und 
die eben jetzt erfolgte Ankunft von Sieyes war nicht dazu angethan, 
befiere Stimmungen zu erweden. 

Die Berliner Verhandlung fchleppte ſich inzwifchen langſam fort, 
wie eine Sache, die ihre Entſcheidung von anderer Seite her erwartete. 
Man war zwar über eine Faſſung übereingekommen, die den beider⸗ 
ſeitigen Verzicht auf jede Erwerbung ausſprach, aber das Alles ſtand 
doch in der Schwebe, ſo lange nicht von Wien eine beſtimmte Auffaſ⸗ 
ſung über das, was man wollte, erfolgt war. 

In Wien aber ſchwankte die Situation noch zwiſchen Krieg und 
Frieden, zwiſchen Coalitionsgedanken und einer Verſtändigung mit 
Preußen. In den diplomatiſchen Kreiſen erzählte man ſich: Thugut 
im Verein mit ihm ergebenen Elementen arbeite auf eine Triegerifche 
Enticheidung bin, während von einflugreicher Seite, namentlidy der 
Kaiferin, ihm entgegengewirkt werde. „Sehen ie nicht“, follte fie dem 
Kaifer gejagt haben, „daß diefer Menſch Cie jet mit der gehofften Un⸗ 
terftüßung Preußens cbenfo täufcht, wie früher mit der Catharinens 7 
Wollen Sie nody einmal Krieg anfangen, um Ihre Familie wieder 
aus Wien flüchten zu ſehen?“ Noch fchien Thuguts Stellung im Mi- 
nifterium nicht befeftigt.. Er war nad) dem Bernadotteſchen Vorfall 
zurüdgetreten, und man hatte das als eine Conceſſion an die Fran⸗ 
zofen gedeutet — allein fchon nad) wenig Wochen übernahm er „einfts 
weilen“, während Ludwig Eobenzl nad) Selz ging, die Yeitung der Ge 
Schäfte wieder und führte fie feitdem in feinem Sinne weiter. In 
dem Conflitt widerftreitender Richtungen, der jeit Juni und Juli ums 
verfennbar die Parteien am kaiferlichen Hofe ſchied, war dann natür- 
lich, Alles geipannt, was nun geichehen würde, als (Mitte Zuli) Eos 
beuzl nad) Wien zurückkehrte. Manche glaubten, er werde fofort die 
Yeitung des Auswärtigen übernehmen; da kam in den legten Tagen 
des Monats die überraſchende Nachridyt, Graf Cobenzl rüfte fich zur 
Abreife, um fiber Berlin nach Petersburg zu gehen. Wenige Ereig⸗ 
niffe, berichtete damals Seller , hätten jo große Senfation in Wien 
gemacht, wie diefer plößliche Aufbrudy ; zwar habe ſich Cobenzl fehr 
berzlic; von Thugut getrennt, und Viele wollten wiſſen, er werde bald 





Zur Geſchichte des Raftatter Congreſſes. 39 


zurüdiehren, aber feine Anordnungen denteten anf eine längere Ab- 
weſenheit. Es gelte als ein Meiſterſtreich Thuguts, auf diefe Weife 
einen möglichen Nachfolger losgeworden zu fein, der nicht verhehlt 
babe, daß er einen andern Weg verfolgen wolle. 

Cobenzl follte alfo den Weg nach Petersburg über Berlin antre- 
ten. Seine Ankunft ward dort mit der Bemerkung angelünbdigt, daß 
feiner Miffion eine lange und lebhafte Berathung vorangegangen war, 
im weldyer Thugut unterlegen ſei. Cobenzls Auftrag ſei „offene und 
herzliche Erflärungen“ in Berlin zu geben *). 

Am 4. Auguft traf Cobenzl in Berlin ein. Seine erſten Eröff- 
nungen machten aber nicht den verheißenen Eindrud. Es ſchien viel- 
mehr, wie ein minifterielles Aktenſtück jagt, lediglic) darauf abgeſehen, 
Preußen zu energiichen Schritten gegen Frankreid) zu beftimmen und 
eventuell aus feinen Reutralitätsiyften herauszudrängen. „Das 
legte wird ihm aber nicht gelingen“ — ſagte das Miniſterium. Syn der 
That gingen Cobenzls Erklärungen nach diefer Richtung. Man könne, 
meinte er, den Faden nicht mehr da aufnehmen, wo man ihn habe 
fallen lafjen; die Dinge jeien nım in eine neue Krifiß getreten. ‘Der 
Kaiſer wünfche vor Allem über die ſchließliche Entſcheidung Preußens 
Hear zu feben; jich darüber Gewißheit zu fdjaffen, fei jein Auftrag. 
Zu dem Ende folle er Breußen zuerft auffordern, daR es gemeinfam 
mit Defterreich eine möglichſt energifche Erklärung abgebe: wie man 
keinerlei Erwerbingen und Anfprüde Frankreichs auf dem rechten 
Ryeinufer zulafien werde. Zweitens möge Preußen für den Fall 
einer Weigerung der NRepublif oder des Wiederausbruchs von Feind» 
feligleiten zwifchen Oeſterreich und Frankreich feine guten ‘Dienfte 
anufbieten, um die Neutralität des Reiches zu bewirken. Für den Fall 
aber, daß die franzöfifche Republik die Anerkennung diefer Neutralität 
verweigere, folle er fragen: weldye Stellung Preußen dann nehmen 
werde und ob es gejonnen fei, dann zur Wertheidigung des Reichs die 
Waffen zu ergreifen? 

Es waren alfo im Wefentlichen die früher erwähnten ruſſiſchen 

*, So berichtet am 27. Juli das preußifhe Minifterium felbft der Rau: 


Retter Geſandtſchaft. Z 
+, Mini. Bericht vom 6., 10. und 13. Auguft, 


4 Ludwig Häuffer, 


Vorſchläge, die Cobenzl vortrug. Schon in ihrer erften Geftalt hatten 
diefelben, wie zu erwarten war, in Berlin feinen Anklang gefunden, 
fondern waren mit dem Wimjche nach Neutralität erwiedert worden. 
Kaifer Paul hatte damals diefen Befcheid mit unverholenem Verdruß 
aufgenommen ; feine Amftruftionen an Repnin und Panin fprachen 
zürnend von der Nothwendigkeit, die preußiiche Bolitit dur Männer 
geleitet zu fehen, „die befler al das gegenwärtige Minifterium gefinnt 
feien.“ Außerdem erhielt Repnin den Auftrag, nah Wien zu gehen 
und für den all, dag der Krieg mit Frankreich wirklih zum Aus⸗ 
bruch käme, das Weitere zu befprechen über die von Rußland zu lei- 
ftende Hülfe. Der eben erwähnten Conferenz wohnte er noch bei. 

Auch die etwas modificirte Faſſung, in weldyer der ruffiiche Vor⸗ 
ſchlag jeßt von Cobenzl vorgelegt ward, hielt jujt die Punkte feft, 
welche der preußifchen Neutralitätspolitit am meiften widerftrebten: 
namentlich das Anfinnen ciner gemeinfamen kriegeriſchen Aktion. Es 
ließ fi darum kaum eine andere Antwort, als eine ablehnende, er» 
warten. 

Der Beicheid des Berliner Cabinets erinnerte zunädft daran, 
daß Preußen genau das Maß der Kräfte erwägen müffe, deren Vers 
wendung ihm zur eignen Vertheidigung und zum Schuß feiner Mit 
ftände geftattet fei. In diefer Betrachtung nehme es keinen Anftand 
zu erklären: daß im Falle ein neuer Bruch zwijchen Defterreich und 
der Republik erfolge, bevor der Reichsfriede geichloffen und die Neu- 
tralität des Reiches gefichert fei, Preußen fich keine weitere Verpflich⸗ 
tung auflegen könne. Da indeffen vorerft die Unterhandlungen noch 
nicht abgebrochen ſeien, werde es in Raſtatt nach wie vor den fran- 
zöſiſchen Prätenfionen entgegentreten und theild allein, theils mit dem 
Kaifer auf dem Wege dringender Vorftellungen dahin zu wirken ſu⸗ 
hen, daß das Neid) möglichft günftige Bedingungen erhalte. Sollte 
dies fruchtlos fein und die Feindſeligkeiten zwifchen Oeſterreich und 
den Franzoſen neu beginnen, jo würde Preußen wenigftens Alles, was 
in feinen Kräften ftehe, thun, um Deutfchland die Leiden des Krieges 
zu erfparen und ihm die Neutralität zu fichern. 

Cobenzl erwiederte darauf : mit diefer Erklärung fei ihm alle Hoff- 
nung entzogen, Preußen aktiv Theil nehmen zu ſehen. Sein Aufent⸗ 





Zur Geſchichte des Raflatter Congreſſes. 4 


halt habe damit den Zwed verloren, ımd es bleibe ihm nichts übrig, 
als feine Abſchiedsaudienz zu verlangen. 

Dabei blieb es. Was im Webrigen vorher beſprochen worden 
wer, fam nicht mehr zur Verhandlung. Cobenzl und Repnin rüfteten 
fi zur Abreife. In Raftatt war — für fo wahrfcheinlid) galt dort 
die Berſtündigung — eine gemeinfame Erklärung entworfen worden, 
die Defterreih und Preußen den Franzoſen übergeben follten; fie 
blieb jest liegen. Die preußifche Geſandtſchaft ſah fid wie früher 
ifofirt und quälte fit mit frudhtlofen Vorſtellungen. Während die 
Deiterreicher es fichtlicy mieden, itber den Ausgang der Berliner Vers 
handlung zu fpredhen, waren die Franzoſen aufs Neue bemüht, den 
fremdlichiten Ton anzufchlagen und Preußen mit Verficherungen ihrer 
Liebe zu überhäufen. Denn es blieb ihnen nicht verborgen, daß man 
fi) in Berlin eben von Neuem zur Neutralität befannt hatte. So⸗ 
bald freilich die preußifche Diplomatie es unternahm, den franzöfls 
ſchen Begehren entgegen zu treten, dann bedacdhten fich die Andern keinen 
Augenblid, ihre rauhe Seite herauszufehren. Sie waren dann gleich 
bereit, mit Krieg und NRevolutionirung zu drohen und von der preufis 
ſchen Politif wegwerfend, wie von einer Politik der Schwäche, zu res 
den. Deun fie wußten, daß man dem unwandelbar neutralen Preußen 
ſchon etwas zumuthen durfte. 


Der Ausgang. 


Indeſſen mehrten ſich auf allen Seiten die Anzeichen des Krieges. 
Was die Franzofen thaten, deutete ebenfo fehr darauf hin, wie die 
Verhandlungen, die Repnin in Wien pflog. Wenn nod) irgend etwas 
für den Frieden in die Wagfchale fiel, fo war es die Finanznoth 
Deſterreichs und die Linfertigleit feiner Rüftung. 

Die Situation erſchien in Berlin nichts weniger als behaglid). 
Ueber die Beziehungen Rußlands und Oeſterreichs war man dort 
nur unvolllommen unterrichtet, aber was man wußte, wies auf die 
Rahrfcheinlichleit eines Krieges hin. In Raſtatt hatte man täglich 
Gelegenheit, die Fruchtloſigkeit feiner „dringenden Vorftellungen“ ken⸗ 
nen zu lernen; die Franzoſen waren fo ungejchmeidig und troßig, wie 


42 Ludwig Häuffer, 


je. Vergebene rednete ihnen Preußen jekt vor, was es Alles für bie 
Erfüllung ihrer Forderungen gethan und welche Anſprüche auf Dank 
e8 zu haben glaube; e& mußte die Erfahrung machen, daß eine Bo- 
Litit, die fich felber unwandelbar zur Neutralität verurtheilt hat, we⸗ 
der zu imponiren noch zu fchreden vermag. Der Verbruß Preußens 
machte jetst auf die Sranzofen jo wenig Eindrud, als die Mahnun⸗ 
gen an frühere Freumdfchaftsdienfte. 

Vielmehr ließ die Haltung der Franzofen die Beſorgniß zu, 
daß auch die norddeutfche Neutralität von ihnen nicht werde reſpeltirt 
werden. Wenigftens ſchien es nöthig, lebhafter als man fonft zu 
fprechen gewohnt war, die Folgen eines foldyen Schritte zu betonen, 
ja umverblümt zu drohen. Es wurde den franzöfifchen Gefandten bes 
deutet, daß Preußen einen ſolchen Uebergriff mit aller Kraft abwehren 
würde. Wir fürchten, hieß es, den Krieg nicht, und es wird unfehl- 
bar dazu kommen, wenn uns das Direktorium durd einen Angriff 
auf Norddeutfchland dazu nöthigt *). 

Noch immer gab Preußen die Hoffnung einer friedlichen Aus. 
gleihung nicht ganz auf. Es ließ zu Anfang Oftober durch Keller 
feine Vermittlung Defterreicy anbieten. Das Wiener Cabinet erwie⸗ 
derte: es ſei zwifchen den deutfchen und italienischen Dingen zu unter 
icheiden; in den legteren made Schon die örtliche Entfernung eine Ver⸗ 
wendung Preußens ſchwer, und wenn die Sranzofen fi) auf billige 
Bedingungen einließen, fo könne man fid) leicht mit ihnen direlt ver- 
ftändigen. In einer Unterredung, die Thugut mit Keller pflog, wurde 
diefe Ablehnung etwas gemildert**). Der Kaifer wünjche die Bande 
der Freundfchaft zwifchen beiden Höfen enger gefnüpft zu ſehen, ine- 
befondere zum Zweck der Berftändigung über die deutichen Angelegen- 
beiten. Diefe hätten aber nicht gemein mit den Anordnungen des 
befonderen Friedens zwifchen Defterreih und Frankreich. Wie dann 
im Verlauf des Geſprächs die Rede noch einmal auf die Entjchädi- 
gungsfrage kam, ergriff Thugut diefen Anlaß von Neuem, um feine 
Abneigung gegen die Entfchädigung der weltlichen Fürſten durch Säcu⸗ 


— — — — 


) Depeſchen an Sandoz, vom 3., 18. und 20. Sept. 
*2) Keller am 6., Miniſt. am 12. Ofteber. 





Zur Geſchichte des Raflatter Congreſſes. 48 


larifationen unverholen auszufprechen. Stellt Euch, fagte er, an unfern 
Platz; „nie könnt Yhr verlangen, daß wir mit fröhlichem Herzen dieje- 
nigen opfern, die uns anhänglicd; waren, um Andere zu begünftigen, 
die, wie 3. B. Heffencaffel und Würtemberg, ſich Frankreich angefchloffen 
haben. Daß die Stimmung Defterreich8 gegen Zweibrüden nicht gün- 
fliger war, als gegen Heflen und Würtemberg , Tonnte Keller aus 
anderem entnehmen. „Allee wohl erwogen“ warf Thugut hin, „läge es 
nit aud in Eurem Intereſſe, die Macht der Reichsfürſten nicht noch 
mehr zu fteigern; würden die beiden Höfe, darüber einig, nicht das 
Ganze der ReichBangelegenheiten viel leichter keiten?“ Auch anf die 
Neutralität des Reichs kam die Sprache. Wenn Preußen, meinte Thu⸗ 
gut, die im Norden auf fi) nähme und Defterreih die im Süden, 
jo müßte doc) jedenfalls die Verletzung der einen wie der andern als 
eine gemeinfame Sache betrachtet werden. 

In Berlin war man von diefen Aenfferungen nicht eben erbaut; 
namentlich das letzte Wort des öfterreichiichen Miniſters über die 
Aentralität erregte neue Bedenken. Man fah darin auf einem Um⸗ 
weg das alte Anfinnen erneuert, ſich der öfterreichiichen Politil ohne 
Weiteres anzufchließen. Die Partie ift nicht gleid), erwiederte einer 
in Berlin, der Norben ift wirklich neutral, der Süden ift durch Oefter- 
reiche Politik und Kriegführung den Franzoſen ſchutzlos preisgegeben. 
Eine Verbindung der norddeutichen Neutralität mit der im Süden 
würde daher nothwendig zur Garantie des Ganzen führen, die wir ab» 
gelehnt haben, oder mit andern Worten zu der Angriffscoalition, in 
weiche Oeſterreich, Rußland und England ums auf allen möglichen 
Ummegen bereinzichen möchten. 

Das war ganz richtig; aber darin hatte Thugut Recht, daß er 
die Unfruchtbarkeit der preußifchen Neutralitätspolitit perfiflirte. Als 
ihm damals ein Diplomat der Mittelftaaten feine Freude ausſprach, 
dag Preußen in Raftatt gegen die maßloſen Anfinnen der Franzoſen 
fo entſchieden aufgetreten fei, erwiederte er: „es ift nur Schade, daß 
alle energifhen Erklärungen ihre Wirkung verfehlen durch die zugleich 
immer wiederholte Verfiherung Preußens, daß es fid) niemals zu 
aktiven feindlihen Schritten entichließen werde,“ 

Roc, eine Zeitlang dauerten die Beiprechungen in Wien wie in 
Berlin fort, aber ohne Zuſammenhang und ohne Ergebniß; der Krieg 


4 Ludwig Häuffer, 


hatte in Italien bereits begonnen und ftand auch diesfeits der Alpen 
nahe bevor, als die letten Grörterungen darüber Statt fanden, wie 
man durch gemeinfame Schritte dem Ausbruch ded Kampfes vorbeu- 
gen könne. Das Geräuſch der Waffen übertönte dann bald bie letz⸗ 
ten ſchwachen Verſuche der Verftändigung. 

So endete der ganze diplomatijche Feldzug ohne Frucht und mit 
gegenfeitiger Verftimmung. Breußen, fo viel ftand vorerft feft, nahm 
an dem bevorftehenden Goalitionskriege nicht Theil. Der Verdruß 
Defterreich8 darüber war unverfennbar, aber aud) die Franzofen wa⸗ 
ren keineswegs zufrieden. Es war Preußen volllommen gelungen, fidh 
mit den beiden kämpfenden Parteien gleidy fchlecht zu ftellen. 

Denn wenn auch mit Oeſterreich der Faden der Verhandlung 
noch bis zum Ausbruch des Kampfes nicht völlig abgebrodyen war, 
eine fühle Stimmung trat doch ſchon hervor, feit man fi) in Berlin 
überzeugt, daß der Kaifer von Neuem zum Kriege fchreiten, und jeit 
man in Wien die Gewißheit erlangt, dag Preußen diefen Waffengang 
einft mitmachen werde. An Heinen Klatfchereien und Heßereien, welche 
den Unmuth ſchüren, pflegt e8 in foldhen Fällen nie zu fehlen. Zu⸗ 
dem glaubte Breußen reelle Urfachen des Misvergnügens gegen Deiter- 
reich zu haben. In den Congreßverhandlungen der lebten Wochen 
des Jahres 1798, worin der Triedensdeputation ſchließlich mit den 
gröbften Mitteln die Zuftimmung abgepreßt ward, benahm fich die 
taiferliche Diplomatie lau und indifferent, ſchon weil fie diefen Ver⸗ 
bandiungen überhaupt kein Gewicht mehr beilegtee Im preußiichen 
Lager fuchte man darin tiefere Gründe und ärgerte fid) in gleichem 
Maße über die Dreiftigkeit der Franzoſen wie über die Gleichgültig- 
feit der Defterreiher. Dazu famen denn bedenkliche Anzeichen, daß 
das bairiſche Projekt wieder fpule. Bon Lehrbach erzählte man fid) 
bie Aeußerung: vertagen könne Defterreich wohl ſolche Plane, aber 
aufgeben niemals, jo lange die Staatsmänner in Wien ihren Ber: 
ftand behielten. Man bejorgte, die Lift und Gewaltthätigleit der Fran⸗ 
zofen könne fich diefen Wink nicht entgehen Lafjen. Aud) Anderes, was 
zu Lehrbachs befannte Weife paßte, konnte nicht chen beruhigen. In 
Paris war man bisweilen fehr genau unterrichtet über den Inhalt 
der preußifch-öfterreichifchen Verhandlungen und, als die Preußen nach⸗ 
forfchten, ſchien es nicht undenkbar, daß Lehrbach in berechneter Yu: 





Zur Geſchichte des Raftatter Congreſſes. 45 


biscretion den franzöfifchen Sejandten in Raſtatt Meittheilungen ges 
macht. Ya man wollte Spuren haben, daß der intriguante Mann 
die Franzoſen gegen Preußen aufhetze. Kine Acußerung wenigftens 
wurde wiederholt ihm nacherzählt*) : die nordifche Neutralität fei Oeſter⸗ 
reich nachtheilig, aber fie hemme auch die franzöfifchen Operationen. 
Ueberhaupt, was fei eine neutrale Macht anderes als ein verftedter 
Feind, der das Teuer des Kriegs ſchüre und die Gelegenheit abpajfe, 
fih auf Koften der Streitenden zu vergrößern ! 

Das Bernehmen des preußifchen Cabinets mit den Franzofen 
wor im Ganzen nicht befier. Diefelben hatten feit dem Scheitern 
der Berliner Berhandlung wiederholt angellopft wegen einer engeren 
Zerbindung mit Preußen. Sie hatten dabei, feit die Wahrfcheinlichkeit 
des Krieges entjchieden war, manche Andeutungen fallen laffen über 
Defterreich6 ehrgeizige Adfichten, die es namentlich zulekt noch in Selz 
kundgegeben; oder fie deuteten auch wohl an, weldye Indiscretion die 
Eniferliche Diplomatie auf Koften Preußens ſich erlaube. Erfolg hats 
ten freilih diefe Bemühungen keinen. Auch wenn nicht die Neutra- 
lität ein Hinderniß gegen jede aktive Politif gewejen wäre, — mit 
den Franzoſen zu gehen, beftand unter den gegebenen Umftänden am 
wenigften Neigung. Wir erinnern uns des Wortes, das nicht felten 
uns damals in preußifchen Staatsjchriften begegnet ; mit Oeſterreich 
und Rußland beftehe troß einzelner Differenzen doch eine Gemein: 
famfeit der Intereſſen, mit Frankreich nicht. Diefe Anfiht war neu 
beftärft durch den Gang der letzten Raftatter Verhandlungen. Die 
maßlojen Forderungen der Franzojen, das fruchtlofe Bemühen diefel- 
ben berabzuftimmen, namentlich die Monate lang fortgefetsten Correſpon⸗ 
denzen wegen Ehrenbreitftein, die ohne allen Erfolg blieben, hatten 
die preußifche Politif tiefer verftimmt, als es den äußeren Anfchein 
hatte. Dazu kamen die Uebergriffe in Rom und in der Schweiz, 
die Beſetzung von Neapel, da8 Vorgehen gegen Piemont. Namentlich 
der letzte Punkt ward als eine „violence atroce“ bezeichnet und führte 
zur Grörterungen, die mit einer gewiſſen Leidenfchaftlichkeit geführt 
wurden. In Raftatt aber fuchte man auf die einzelnen Heinen Reichs» 





2) Minifl. Bericht vom 9. Nov. Bericht der Raftatter Gefandtichaft vom 
10. Dg. 


46 Ludwig Häuffer, 


ftände zu wirlen, daß fie fich nicht von Frankreich ins Schlepptau 
nehmen Lieben. Von Zweibrüden fürdhtete man (Ende des Jahres) 
ernftlich, e8 werde den verzweifelten Weg der Andern ergreifen und 
fein Heil bei den Franzoſen ſuchen. Wir haben nicht unterlaſſen, 
fchrieben die Gefandten am 29. December, mit allen Mitteln ihre 
patriotifchen Gefühle zu ſtärken; allein in einer Krifis, wo die Klei⸗ 
neren fürdhten das Opfer der Größeren zu werden, kann man für 
nichts ftehen. 

Ihre eigene Lage fchilderte die Geſandtſchaft (21. Dez.) damals 
mit den Worten, „wir jtehen bier zwifchen der franzöjiichen Geſandt⸗ 
ſchaft, die feinerlei Vertrauen verdient, zwiſchen der öſterreichiſchen, 
deren Stimmungen wenigftens zweideutig fiud, und den verfchiedenen 
fich ftreitenden Parteien der Deputation.* Cie durften hinzufügen: 
Syinpathien für uns beftehen wenige, eine feſte Stüte aber nirgends. 

Die ganze Epifode war ein charakteriftifches Vorſpiel der Ver: 
hältniffe, die wenige Jahre nachher unter Bonaparte die Geſchicke 
Preußens und Deutichlands bejtimmt haben; in diefer Nichtung ger 
währt ihre eingehende Schilderung auch heute uoch ein eigenthümliches 
Intereſſe. 











I. 


Kirchenſtaat, Kirche und Nationalſtaat. 
Bon 


Hermann Rendlin. 


— — — 


Kirche und Kirchen, Pabſtthum und Kirchenſtaat, hiſtoriſch⸗politiſche Be⸗ 
trachtuugen von J. 3. Döllinger, Münden 1861. 


Dante und die italieuifchen Fragen, ein Vortrag von Kari Witte, ge 
halten im März 1861. Halle. 


Memoires pour servir & l’histoire de mon temps par Guizot, 
Paris et Leipzig 1858. 


L’öglise et les soci&tes chretiennes par Guizot. Paris et Leip- 
zig 1861. 


Note circulaire adressee par le gouvernement des Romagnes & 
ses agents à l’ötranger. Bologne 1859. 


Pour la cause Italienne aux evöques catholiques, apologie par 
un pretre catholique (Passaglia). Paris 1861. 


Delle cinque piaghe della santa chiesa. (Rosmini). Lugano 1848, 
Revue des deux mondes 1.®Dec. 1861. VOII: Pellegrino Rossi, 
V’Italie et la pepaut& par Ch. de Mazade. 


Revue d. d. mondes, Auguft bis December 1861, mehrere Arbeiten von 
Borcade, theils eigene Aufſätze, teile in der revue de la quinzaine,. 


Edinburgh review. Juli 1861. (von Cartwriht?) 


Die Jufrageſtellnng des Kirchenftaats, das an den Papft ger 
richtete Apfinnen, ſich gutwillig feines alten, anertannten, auſchulichen 


48 Hermann Reuchlin, 


Länderbeſitzes und feiner weltlihen Souveränität zu begeben, ift ge- 
wiß etwa ganz Unerhörtes. Die päpftlide Souveränität über 
Land und Leute jchien mehr als irgend eine andere den Stempel „von 
Gottes Gnaden” an ſich zu tragen. Wohl war fie jchon öfters 
thatfächli angegriffen, zeitenweife aud) aufgehoben worden. Aber 
diefes war im feindlichen Zuſammenſtoße der Mächte, kurz in Kriegs⸗ 
zeiten gejchehen. Der Frieden mußte dann fchlieglid) irgend eine Ver: 
ftändigung bringen und ftellte auch jedesmal dem Papfte ein weltliches 
Gebiet zurüd. ‘Diefesmal aber wird nach einem Striege, bei deflen Er- 
Öffnung die Sicherheit des päpftlichen Gebiets ausgeſprochen worden 
war, nad) geichlofjenem Frieden, nicht blos eine Provinz, fondern der 
ganze Kirchenftaat und Rom felbit in Anfprud) genommen. Und die 
jelbe Macht, welche dieſes Anfinnen ftellt, verlangt, daß ber Papſt 
vertrauensvoll in ihrem Schooße bleibe und mit ihrem weltlichen Herr⸗ 
ſcher diefelbe Hauptjtadt theile. 

Auf welchen Rechtsgrund Hin, mit welcher Begründung, Traft wel⸗ 
yes Motivs wird dieſes ımerhörte Verlangen ausgeſprochen? — Kraft 
‘einer zu politifchem Ariom erhobenen dee, durch welche die Tatholifche 
Kirdye wiederholt in ihrem Innern, nicht blos in ihrem äußern Be 
ftande, erfchüttert und gefährdet wurde, im Namen des Principe 
der Nationalität, über welches das Papftthum fich geftellt hat. 
Dean betheuert, nur dur Erhörung diefes Anfinnens fei die Frei- 
heit, die Unabhängigkeit der Kirche, wie die Italiens zu gewinnen. 
Allerdings haben ſchon berühmte Vertheidiger der Anſprüche der fa- 
tholifchen Kirche und Bevölkerungen „die freie Kirche in dem freien 
Staate“ auf ihr Panier gefchrieben. Allein fie waren hierzu von der 
Kurie nie bevollmächtigt, und es erfcheint beinahe al8 Sronie diefe 
jeßt dafür am Worte nehmen zu wollen. 

Und dieſes Anfinnen, ja die dafjelbe erhebende Idee tft noch jehr 
jung. — Wohl haben ſchon in den Jahren 1831 und 1849 Ver- 
fammlungen der Abgeordneten der infurgirten päpftlichen Provinzen er- 
Härt, daß der Papft für immer feine Souveränität über fie verloren habe. 
Aehnliches ift ſchon mander Dynaftie und manchen anderen Fürften, 
bejonders in Wahlreichen, gefchehen. Der Gedanke aber, daß der Bapft 

— zum Beſten Italiens und der Kirche, fügt man bei — feine 

Vowseränität niederlegen folle, ift in dieſer Form, mit ber 





Kirchenſtaat, Kirche und Nationalftaat. 49 


Meotivirung durch die Rothwendigkeit des italienischen Einheitsſtaats 
umd durch die Unentbehrlichleit Roms für denjelben, noch fein Jahr⸗ 
zehnt alt. — Denn bei der Erhebung Italiens im Yahre 1848 hoffte 
man dur ein Bündniß der italienischen Fürſten das ſeit Jahrhun⸗ 
derten erfehnte höchſte Gut, die Unabhängigkeit Staliens vom Auslande, 
zu erringen. Erſt feit die andern Fürften Italiens in ruhigeren Zeiten 
die Verfajjungen aufhoben und fich der öjterreihiichen Reaktion an⸗ 
Ichlojjen, während Victor Emanuel mitten in fürchterlihen Prüfungen, 
weiche fein Boll und ihn perfünlich trafen, die Verfaſſung und die 
nationale Fahne unerfchütterli aufrecht erhielt, erſt feit diefer Zeit 
keinite, außerhalb der mazziniftifchen Verfchwörungsbande, in Manin 
md einigen PBatrioten der Gedanke, daß Ztalien nie die Unabhängigkeit 
umd die politifche Freiheit erringen, daB es fie noch weniger behaupten 
fünne, wern es nicht Ein Staat und zwar unter dem Haufe Savoyen 
werde. Erſt die Betheiligung Piemonts am Krinikrieg flößte einer 
Anzahl Batrioten das nöthige Vertrauen in den Unternehmungsgeift 
des Hauſes Savoyen ein. 

Es war zuerft im Jahre 1856, als der DVerfaljer Dieſes von 
einigen gewiegten Bolitilern in Italien äußern hörte, der Papft werde 
fih unter der gemeinfamen Garantie der chriſtlichen Mächte, ohne 
Land und Yeute, einer würdigeren Unabhängigkeit erfreuen, als indem 
er für immer in Rom auf franzöfifche, in der andern Hälfte des nur 
nominell päpftlihen Staats auf öfterreichiiche Bajonette geftütt bleibe. 
Erft die kurz darauf geftiftete italieniſche Nationalgefellfchaft predigte 
die Einheit ganz Ytaliens unter dem Haufe Savoyen. Die römijche 
Frage wurde von ihr anfangs wenig berührt. In dem vom 21. Fe⸗ 
bruar 1858 datirten Glaubensbekenntniß der Gefellichaft heißt es ganz 
furz: „wir wollen eine gemeinfame Hanptjtadt haben, welche Ihres⸗ 
gleichen in der Welt nicht haben und Rom heißen foll.“ 

Gavour verhielt fid) ſehr vorfichtig zu diefen Ideen; die Leiter 
jener Gefellichaft, namentlich La⸗Farina fuchten ihn wider feinen Willen 
dafür zu compromiittiven. In der altpiemontefifchen Politik wurzelnd 
wollte Cavour zunächſt ein ſtarkes oberitalienifches Königreich ; vom 
Kirchenſtaat bedurfte er dazu nur der Romagna. Diefe fiel unmittel- 
bar nach Diagenta vom Bapfte ab. Das Weitere waren ihm „Tragen 
ber Zeit”, Rom blieb ihm dies bis an fein Ende. Turin wäre ihm 

Seele Beiikgeii| Vii. Br. 4 


50 Hermann Reuchlin, 


nod) auf Jahre der erwünſchte Regierungsſitz geweſen. Wit dem 
Ausdrud „Frage der Zeit“ wollte er indeß durchaus nicht das Poftulat 


feugnen , fondern vielmehr feine Weberzeugung ausſprechen, daß bie 
Idee und die Logik der zum Theil aus ihr fich entwidelnden That⸗ 
fachen, wie fie ihn zur Anerkennung gezwungen hatten, aud) die öffent: 
lihe Meinung der gebildeten Nationen befiegen würden. Er wußte, 
daß hier eine bloße materiell vollendete Thatſache nicht nüken würde, 
dag die Frucht in den Geiſtern reifen müßte. 

Nachdem felbft die Mehrheit der italienifchen Nationalgefellfchaft 
— dies kann man als Zeuge erhärten — vergeblich verſucht hatte 
den Ausbruch des Feuers noch Jahr und Tag zu dämpfen, ſteckte der 
grimmige Haß der Sicilianer und der Calabreſen gegen die Bourbonen 
im Frühjahr 1860 Italien am jüdlichen Ende in Flammen. Bald fehlte 
Italien zum Zuſammenſchluß feiner Hauptglieder nur der feine Mitte 
durchichneidende Kirchenſtaat. Wenn SYtalien diefen Zufammenfchluß 
nicht durch die Krone Piemont erlangte, fo waren die Rothhemden 
von einem tollfühnen Verſuche, denfelben auf eigne Fauſt und zu ihrem 
Nutzen zu verſuchen, unmöglicd abzuhalten. Darum fchritt jett Ca⸗ 
bour unter zum Theil nur fcheinbaren Vorwänden im Kirchenftaat, 
aber immer noch jo ein, daß Rom felbjt und das Verhältniß Italiens 
zu Frankreich Tragen der Zeit blichen. 

Dog Rom für die Länge die einzige mögliche Hauptftadt des 
italienischen Einheitsſtaates ift, kann nicht beftritten werden. Daher 
ift e8 diefer, gegen welchen alle Diejenigen anlämpfen, welche dem 
Papſt Rom, das Erbtheil St. Petri und vielleicht wieder fein ganzes 
Gebiet vindiciren wollen. Wir haben daher im Folgenden diejenigen 
Männer, welche bedeutend genug find, um al® Vertreter geiftiger Rich⸗ 
tungen und namhafter Parteien zu gelten, je nad) ihrer Stellung ge- 
gen oder für den nationalen Cinheitsftaat Italien gruppirt. Eben 
daraus erhellt aud), daß und wie die ſich gegenwärtig ausſchließlich 
papſtfreundlich Nennenden und die Partei der Reſtauration der ver- 
triebenen Dynaſtieen folidarijch zufammenhängen. Der Einheitsftaat 
ift ihr gemeinfamer geiftiger und materieller Feind und Erbe. 

So legt denn diefe junge Idee Hand an den geheiligten Beſitz 
und ſpricht: gib mir ihn, ich brauche ihn nothwendig! Sonft gehe ich, 
fonft rennt der fittlich-religidfe, wie der politifche Beſtand des italie- 





Kirchenflaat, Ride und Nationalſtaat. 61 


niſchen Volles dem Abgrunde zu, fonjt entzlinden fich für Europa die 
größten focialen Gefahren. — Diefes unerhörte, naiv liftige Anfinnen 
mit den begleitenden Handlungen mußte natürlich in allen Ländern 
der ühriftenheit, je nach dem Charakter, der Gefühls- und Denkart 
jedes Einzelnen den verfchiedenften Eindruck hervorbringen. Während 
die Einen, vielleicht die jugendlicheren Geifter, in dieſem Greigniß die 
Madyt der Idee und ihrer unaufhaltfamen Logik bewundern und da⸗ 
rin den Borboten eines Völferfrühlings für das eigne Vaterland bes 
grüßen, find die Anderen, vielleicht die Gewißigteren, die Starrgewor⸗ 
denen, entrüftet zugleich über die Frechheit und über die Hinterlift des 
Frevels. Diefe jehen nicht blos das Königthum von Gottes Gnaden 
tief erfehättert; nicht blos innerhalb der katholiſchen Kirche Stehende 
fehen dadurch die fittlihen Grundlagen aller legitimen Negierungen, ja 
die des Privatbeſitzes unterwühlt. Und es ift wohl feine Trage, daß 
wenn der Papit „an dieſes Geſpenſt“ des Zeitgeiftes fich feiner Sou- 
veränität über Land und Leute, über die ewige Stadt entäußern müßte, 
fo ftet zu befürchten, daß felbft zwiſchen Boten und Meklenburg 
nicht Alles bis ans Ende der Tage Beitand hätte. Jedes Hecht, 
jeder Beſitz müßte fid) den Anfprüchen des Zeitgeiftes gegenüber immer 
anfs Neue thatjächlich rechtfertigen. 

Es ift daher gar nicht zu erwarten, daß fich bald eine Verftän- 
digung diefer einander gründlich entgegengejeten Auffaffungen finde, 
mag dem Anfinnen der Staliener binnen der nächſten Jahre thatſächlich 
eutſprochen werden oder nicht. Erſt wenn diefes eben fowohl geiftige 
als greifbare Weltereigniß Gegenftand der Gefchichte geworden ift und 
objeftiv, auf einige Entfernung fiberblictt werden kann, werden von den 
fittlih und geiftig Gebildeten auf beiden Seiten immer mehr ver- 
mittelnde Gefichtepunfte gewonnen werden. 

Dieſes gemahnt uns aber an den Beruf und an die Kraft, welche 
die Geſchichte, fofern fie nicht ein Parteimachwerk ift, zu üben berufen 
ft Sollte nicht aud die Geſchichte des Sirchenftants von feinem 
Unfange herab bis auf unfere Tage bie Kraft haben, den Geiftern 
ans der Barteiauffafjung der vorliegenden Trage, ben Gemüthern aus 
ber fubjeltiven Stimmung heraus zu helfen, die Kraft, jene An⸗ 
näberung der nod) fo ertremen Anfichten, die Verftändigung in einigen 
Vuuften, zu befördern? — Zwar hat man es in Parteigefchichtsfchrei- 


63 Hermann Reuchlin, 


bung jchamlos weit gebradht; fie ift unermüdlich die Wundenränder 
wieder auseinander zu zerren und ihr Gift einzuträufeln. Aber foll 
darum die Wahrheit und Verſöhnung fuchende Gejchichtsforfchung ver- 
zagen? Es würde ſich vielleicht nur darum handeln, einen Mann zu 
finden, weldyer bei beiden Hauptparteien die nöthige Autorität genieht, 
um ihn als Führer durch die Entwiclungsgefchichte des Kirchenſtaats 
anzuerlennen. Wir behalten uns vor, unfere Anficht auszuſprechen, 
wo feine Wegweiſung uns nicht beftinunt genug oder vielleicht mangel- 
haft erfcheinen follte, 

Unter allen oben genannten Werten ift nur Eines, welches die 
Entitehung und Entwidlung und damit ben Charakter des Kirchen- 
ſtaats und feiner Regierung gejchichtlich beleuchtet, nämlich da6 Wert 
Döllingers. Dieſe feine Gefchichte ift eine in vieler Beziehung 


treffliche. 


„Die weltliche Macht,“ heißt es bei Döllinger als Summa, „flel 
dem Bapfte zu als Sadye der Noth und der Pflicht.” Dabei weiß 
er aber das Einzelne genau zu unterjcheiden, namentlich die Zeiten, 
wo der Papſt nur großer Grundbefiger unter der Hoheit und dem 
Scuge der byzantinischen, fpäter der deutjchen Kaiſer war, diefe Zeiten, 
als ein Gregor VIL den großen Kampf um die Unabhängigkeit, um 
die Weltherrichaft der Kirche glorreich kämpfte, von den [päteren Zeiten, 
als der Pabſt wirklicher Randesherr wurde. Dieſes geſchah nad) Döl- 
linger erft unter Innocenz ILL (ſeit 1198). ‘Der Kontraft der eig- 
nen weltlichen Unmacht und der geiftigen Macht im Kampfe Gregors VII. 
um die Unabhängigkeit der Kirche, nicht um weltliches Gebiet, wird in 
feiner Großartigkeit hingeftellt; damit ift aber zugleich der Beweis ge- 
liefert, daß das Papftthum ohne weltliches Fürftenthum nicht blos 
bejtehen, fondern auch eine großartige Stellung behaupten könne. 

Kaum ein Jahrhundert lang war der Papft auch weltlicher Fürft, 
als der größte Dichter und Prophet Italiens, einer der größten der 
katholiſchen Kirche, gegen den Hochmuth und dic weltliche Verderbniß 
des Klerusregiments, als gegen einen Auswuchs des Kirchenftants ge- 
waltige® Zeugniß ablegte. Der berühmte Herausgeber und Ausleger 
Dantes, Karl Witte, hat in einer im März 1861 gehaltenen 
Rede die bezüglichen Ausfprüche zufammengeftellt. Gonftantin, am 





Kirchenſtaat, Kirche und Nationalſtaat. 68 


defien Schenkung Dante glaubt, fieht im Jenſeits, „wie fehr er fich 
dabei betrogen und daß die Welt darum in Trümmer geht." Dante 
fhaut im Baradiefe in einem Gefichte den Wagen derKirche voll von 
den Federn des kaiſerlichen Adlers, „deren diefer zum Fluge wohl bes 
bürfte.” Aus dem Himmel ertönt ein Klageruf: mein Scifflein, 
wie ſchlecht bift du beladen! und der Wagen der Sirche verwandelt 
fi) in das apokryphiſche Thier mit fieben Häuptern und zehn Hörnern. 
St. Beter fpricht glühende Worte heiligen Zorns über den Miß- 
brauch feines Namens und feiner Schlüffelgewalt, über den, „der 
meines Stuhls fid) anmaßt dort auf Erden“; befonders ergrimmt er 
darüber, daß Kriegsheere unter ber Schlüjfelfahne in Chriftenländer 
einrüden, ja daß wegen zeitlicher Befigungen der Bann ausgejprochen, 
dag „den Kindern dort und hier das (geiftige) Brod entzogen werde, 
welches doc, der Vater droben nicht verichloffen." — Wir mülfen 
Hermann Grimm darin beiftimmen, daß gerade die Unvereinbarteit 
weltlicher Herrſchaft mit Kirchlihem Oberprieftertfum derjenige Punkt 
im politifchen Glauben der göttlichen Komödie ift, weldyer auch noch 
auf die Jetztzeit Anwendung leidet. 

Döllinger zeigt, daß Dante nur gegen dasjenige Waffenthum 
feiner Zeit war, welches mit den Anjou und mit den Sranzofen ver» 
bunden das Papittum unterjodhtee Die Orthodorie Dante und 
feine® Gedichtes ift nicht angezweifelt, vielmehr war und ift diefes 
einer der Edelſteine, womit fich die Fatholifche Kirche ſchmückt. Wie⸗ 
derbolt haben Päpſte die Widmung neuer Ausgaben der göttlichen 
Komödie angenommen. Dieje Riefendichtung hat feit mehr als einem 
halben Yahrtaujend viele Hunderte der edelften Ytaliener im Glauben 
ihrer Kirche erhalten. Vernachläſſigung feines Studiums in Italien 
daralterifirt immer Zeiten materialiftiichen Unglaubens wie fittlicyer 
Erſchlaffung. Nicht felten hört man in Stalien die Ueberzeugung aus» 
fprecken, Dante bilde beffere Chriſten als die Bibel, 

Zugleich ift aber durch dieſes erjte große Werk in italienischer 
Volksſprache auch das Bewußtſein der Italiener als Einer Nation, 
ale Einer Kulturnation erwedt worden und das italienische National« 
bersußtfein ijt im Studium der Räthjel Dante's erſtarkt. Mazzini 
hat die Schriften feines Vorläufers Ugo Yoscolo über Dante heraus» 
gegeben. Aus diefens erhellt, dag Dantes Anſicht über die weltliche 


54 Hermann Reuchlin, 


Furſtengewalt des Papſtes die Geifter in Italien empfänglid für 
antitirchenftaatliche Anfichten maden mußte, wenn die Ereignifie ihnen 
foldye nahe legten. 

Nach Döllinger war ſogar ſchon zu den Zeiten von Sunocenz ILL, 
des Griinders des Kircheuſtaats, aus denfelben Diotiven von einem 
Ungenannten der Vorſchlag gemacht worden, die Ränder des Bapftes 
einem mächtigen Könige gegen die Berpflidhtung, dem Papfte das reine 
Eintommen daraus frei zu verabfolgen, in Emphyteuſe (alfo zu Erb 
lehen nach römiſchem echte) zu geben. — Deufelben BBorfchlag 
machte Cavour der Kurie vor ein Paar Jahren. 

Döllinger verfichert, das Verhältniß des Papftes zu feinen Un- 
terthanen fei ſchon früh ein gejpauntes, gewaltfames gewefen, weßhalb 
felbft die Welfen fi) von ihm ab, der franzöfiihen Partei zugewandt 
haben. So fei ed möglich geworden, das Papftthum in die Ge 
fangenjchaft der franzöfischen Nation zu bringen, woraus die von der 
deutfchen und von der italienifchen Nationalität aufgeftellten Gegen» 
päpfte und das Aergerniß der gegenfeitigen Verfluchung entiprangen. 

Den Kardinal Albornoz, welcher während jener babylontichen 
Sefangenfchaft des Papſtthums, jeit dem Jahre 1353, die meiften 
Städte wieder für den Papſt gewann, diefen großen Staatsmann 
nennt Döllinger den zweiten Gründer des Kirchenſtaats. Wir felbft 
aber muſſen darauf aufmerkſam machen, daß diefer edle Spanier der 
Prototyp der Hoffnungen Döllingers if. Denn derfelbe wußte, wäh» 
rend der Papſt jenfeitö der Alpen lebte, nicht nur die Mauern, fon- 
dern auch die Herzen für die päpftliche Herrfchaft zu gewinnen und 
war Indem er Mittelitalien von eingedrungenen Tyrannen befreite, 
Iden die Areihelt der Selbftverwaltung gab und verbürgte. — 
Und dieſe Wiederaufrichtung des Kirchenftants erfuhr von keinem gro- 
Re Italiener Widerſpruch; Italien wlnjchte den Papſt wieder in 
ſeiner Witte zu haben. Ihn in Italien zu behalten wünſchte Cavour 
unn wminfegen Die piemontefifchen Politiker. 

Machdem die Einheit und die Autorität des Papftthums in Con⸗ 
ram aue dem Zerfall zu unerwarteter, gefährlicher Höhe wieder er- 
dahen wur, begann für feine weltlichen Unterthanen die Zeit der 
waritnrnewalt der Kurie, während kriegeriſche Päpfte wie 
dalıne dd. das zum SCheil an tapfere Kriegehauptieute gefallene 





Kirchenſtaat, Kirche und Nationalftaat. 65 


Gebiet wieder zufammenfaßten,, arrondirten und vergrößerten. Döls 
linger hat vergeilen zu zeigen, daß diefe dritte und legte Gründung 
des Kirchenftaats nach türkifcher Art vor fi) ging ‘Denn wie der 
Ariftliche Adel bei dem Sturze des byzantiniſchen Reichs in den Se 
rail der türfifchen Großen elend verendete, jo hat auch der zärtlich 
geliebte Sohn des Bapfted Alerander VI. (1492), das Sceufal 
Säfear Borgia, nachdem er jene Dynaſten Deittelitaliens durch Meitteid 
gefangen, getödtet und beerbt hatte, jelbit ihre Söhne feinen unnatürs 
lichen Lüften geopfert. Bapft Julius II. (1503) vertrieb den ſchänd⸗ 
lichen Nepoten, den raubreichen Paſchah aus feinem Königreiche, aber 
er gab deſſen Raub nicht an die da und dort Überlebenden Nachlom- 
men jener Dynaſten zurück, fondern er behielt Alles als Eigenthum 
der Kirche. 

Behufs jener und nod) größerer Pläne wurden von diefen Päpſten 
die Fremden nad) Italien berufen, welche diefes zum Tummelplatz ihrer 
Eiferſucht machten und es bald fo, bald anders unter ſich vertheilten. 
In Stalin wurzelt der Glaube feit, das weltlihe Bürftenthum der 
Bäpfte fei die für fremde Interventionen ftets offne Pforte in 
die innern Angelegenheiten Italiens gewejen und würde es für im⸗ 
mer fein. In jenen Zeiten war ein gewaltiger Zeuge gegen die Verweltli⸗ 
hung der Kirche in Savanarola aufgeitanden, der von der im Sinne 
des Urchriſtenthums gereinigten Republit Florenz die Heilung der 
Kirche und Stalins erhoffte. Er wurde von Alexander VI. excom- 
municirt und verbrannt. 

Döllinger fagt, erft feit Leo X (1513), alfo erjt feit 360 Jahren 
fei der Papft im ruhigen Beſitze des Landes. Dieje Verbindung geift 
liher und kirchlicher Macht ertlärte er ſchon in feinen Reden für bes 
denklich, indem er fagt: „Die Herren der kirchlichen Wiſſenſchaft haben 
in der Verbindung der böchiten kirchlichen Gewalt und Würde mit 
einem weltlichen Königthum nicht etwa einen Vorzug oder eine Voll 
kommenheit gefehen, fondern nur etwas durch die Noth der Zeit Ges 
botenet. „An fi,“ jagt Kardinal Bellarmin (um 1580) „würde es 
wohl befier fein, wenn die Büpfte ſich blo8 mit geiftlichen Dingen, 
die Könige aber mit den weltlichen befaßten; aber durd; die Bösartig- 
feit der Zeiten feien dem Bapfte und andern Bifchöfen weltliche Für⸗ 
ftentbiimer gegeben worden.“ Auch gegenwärtig, fügt Döllinger hinzu, 


*4 


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x Zenlerisfi MI nr Zum V. 1583). 
. MioomaDeo sm dere Zrautsbanferott. 
wgr, gm IS Nrrelre Zerten, in de 


. gayfabrueg dreier Zevasioon> Ziutlo: 
ders den derteertiden gerenuber machen 
So. der Kirchenitaat. weit entiernt die papftliche 
x pehrebr sis cm Mars Letrachtet und be— 
war durch Decuratton von Provinzen (in fird): 
oz retggn zu zwingen. die er Some nicht getban 
3.0 Rue VL nund VIIL. urtheiit derielbe, haben 
een. zen gegeniiber ihr Benehnten darnach geregelt, 
sy: ren hoher ſtellten ald das Rirchenoberhaupt 

das Concordat mit dem erſten Conſul gemeint 
und * ſeien nur zu ſtummen Zeugen bei Promul- 
og Beichlüſſe herabgeſunken: in den ſeltenen Fällen, 
su Rath zu begehren ſchien, hatten ſie ſich darauf 


on Papfte Vorgeſchlagene zu loben. — Tufür nahm 


So 


NT, 





Kirchenftaat, Kirche und Rationalftaat. 57 


die Brälatur befonders die weltliche Macht an fich, das heißt, Leute 
weiche nad) dem Ausdrud der Ktaliener nicht Fleiſch noch Fiſch find, 
„vom Geiftlihen nur das Gewand und zeitweife das Cölibat haben.“ 
Alſo herrſcht im Kirchenftaat nicht einmal der Priefter, fondern fein 
Schein, jeine ‚Maske“, fein Rod, wie dort des Kaiſers Hut. Nur 
ſie können nebjt Kardinälen bekanntlich bis zu unſern Tagen die hö⸗ 
heren Staatsämter, ſelbſt das Kriegs-, das Finanzminiſterium führen. 
Doch wir werden bald ſehen, wie Döllinger dieſe ſpecifiſche Erſchei⸗ 
nung des Kirchenſtaats noch in unſerer nächſten Gegenwart charak⸗ 
teriſirt. 

Dieſe Darſtellung bedarf einer kleinen Ergänzung. — Seit 1560 
war Kom das Hauptquartier zur Nicderfämpfung der Reformation 
und der aus ihr entitandenen Staaten und fo bis 1648 der Mittel 
punft der grogen europäiſchen Politif, der Sammelplag der ſtaats⸗ 
männijchen Geiſter. Daher wurde eine ganze Weihe politiſch ausge⸗ 
zeichneter Männer Kardinäle und als ſolche auch Gouverneure der 
Provinzen des Kircheuftants, weldyen nicht felten auch ihre ungeheuren 
Einkünfte aus anderen Yändern zu gut famen. Aber feit Ludwig XIV. 
fammelten ſich die hervorragenden Söhne hochadeliger Familien in 
Baris um den neuen Mittelpunkt der enropätfchen Politi. Die ſtaats⸗ 
männifhe Schule in Rom wurde hauptjähli in kirchlichen Dingen 
fortgepflanzt. Die Zradition der Kandesregierung durd Kleriker erlitt 
von 1797 bis 1814 eine erfolgjchwere Unterbrechung. Während in 
dieſer Periode die Unterthanen an eine eingreifende weltliche Regierung 
gewöhnt wurden, wurde der Klerus, fo lange der Staatsgeſchäfte ent- 
wöhnt, dazu viel untauglier. Seit 1814 waren es meift nur ro- 
mantifche, aljo zum weltlichen Regieren unpaſſende Berfönlichkeiten, 
weildye fi aus andern Yändern in Ronı einftellten. 

Beitechend ift die Bemerkung Döllingers, daß während der Res 
volntionöfriege mit dem deutſchen Kaiſerthum die natürliche 
Stũtze des Bapites fiel, „denn, fagt er ganz im Sinne Dantes, wenn 
der Bapft das Schwert führte, fo war es ein Fehler oder ein Alt 
der äußerſten Nothwehr.” Auch Karl Witte glaubt einigen Werth 
berauf legen zu dürfen, daß die Römer noch um 1819 Yranz II. von 
Defterreich als ihren Kaifer begrüßten. — Allein der Fall des deut⸗ 
fen Reiches war für den Papſt nur infofern von Bedeutung, als 


58 . Hermann Reuchlin, 


bei diefer Kataftrophe alle die vielen geiftlichen Fürſtenthümer, die 
Kirchenftaaten dieſſeits der Alpen jäkularifirt wurden, fo baß ber 
päpftliche Kirchenſtaat allein, vereinzelt in der neuen Welt übrig blieb. 
Bar von nun an der Papſt gegen jelbjtbewußtes Auftreten der 
fürftlichen Erzbifchöfe, gegen Emfer Punktationen gefichert, aljo feine 
tirchliche Autorität unbeſchränkter geworden, fo war feine weltliche 
Souveränität jet wie ein altes Gebäude, an deſſen Seiten andere zeit» 
genöffifche Gebäude niedergeriffen werden. 

Durch bie Niederlegung der deutjchrömifchen Kaiſerkrone (6. Aus 
guft 1806) aber verlor der Bapft in der That nichts. — Schon 
Dante bedroht ein halbes Jahrtauſend früher die erften Habsbur- 
gifhen Kaifer mit Unheil, weil fie ihrer Kaiferpflicht vergeffend 
Stalien nicht heimgeſucht. Gewinngier habe fie davon abgehalten. — 
Und fo blieb es denn durdy die Jahrhunderte herab; die Habeburger 
fuchten ihre nationalitätslofe Hausmacht auszudehnen. Es gehört zu 
ihrem profaifchen Charakter, daß fie fort und fort, unbelimmert um 
die Pflichten des deutfch-römifchen Kaiſerthums, nur die daran hän⸗ 
genden Anſprüche zu verfolgen und die Nugungen auszubeuten fuchten. 
Hätten fie blos dieſes gethan, ohne in jenes ſich zu verirren, fo 
würden fie damit eine Pflicht gegen ihre Unterthanen erfüllt haben. 
Auf diefem Standpunkt der Familienerrungenjchaft ftehend gab Karl V. 
bei feiner Abdankung 1565 das vor Kurzem an das Reich zurückge⸗ 
faline Herzogthum Mailand nebſt Neapel und Sicilien an Spanien. 
Bekanntlich gewannen die öſterreichiſchen Habsburger erft als Erbe 
der 1700 ausgeftorbenen fpanifchen Habeburger die Hälfte von Ita⸗ 
lien, wovon fie jedoch, trog der Waffenhilfe Preußens und anderer 
deutfchen Fürſten, nur den Heinften Theil zu erhalten wußten. Es 
iit befannt, wie das deutſche Reichsland Lothringen an Frankreich 
abgetreten wurde, um in Toskana eine habsburgiſche Secundogeni- 
tur zu gründen. Das fehr verkleinerte Herzogthum Mailand und 
dad auch im Namen des Reichs eingezogene, von Defterreich fi) 
einverleibte Mantun, infularifhe Vorlande, blieben bis zu ihrem 
völligen Verluſte 1797 die einzigen Stationen der öſterreichi⸗ 
chen Politif in Stalien. Die deutfchefte Habsburgerin, Mutter 
Maria Therefia betrachtete fie durchaus nicht als einen Brücken⸗ 
topf zur Verbreitung deutſchen Weſens, deutſcher Intereſſen, 


Kirhenftaat, Kirche und Rationalftaat. b0 


ſondern ausdrücklich als eine Brücke um die öſterreichiſche Politik, 
ihren Schwerpunkt aus Deutſchland heraus zu verlegen. Franz II. 
dadıte, fo lange er deutjch -römifcher Kaifer war, ebenfo wenig 
an jeine Pflichten als Schutzherr der römifchen Kirche, wie au die 
gegen das deutſche Reich, fo ausfchlieglih an Vergrößerung feiner 
Hausmacht, daß er feine eigene Niederlage 1796 dazu zu benußen 
juchte, den geängfteten Papft zu Abtretung der Romagna an Deiter- 
reich zu bewegen. In mehreren Traktaten *) 3. B. von 1800, von 
1813 ließ ſich Franz von England einen großen Theil vom Gebiete 
dieſes jeines unglücklichen Verbündeten, wie von Piemont garantiren. 
Sclbjt englijdye Diplomaten fühlten darüber Gewiſſensſtrupel. Da- 
ber war denn auch Franz durd) den ihm vom Wiener Congreß aus⸗ 
geworjenen Yänderbejig, wodurch fein Gebiet in Italien arrondirt und 
im Vergleich zu 1796 verdreifacht wurde, durchaus nicht zufrieden ; 
er ſuchte feine mittelbare Herrſchaft in Stalin um fo mehr auszudeh⸗ 
nen, indem er von feiner mißtrauifchen Herrichaft ſich leiten ließ und 
fih den italienifhen Fürſten als Beichüger gegen den böſen Geift 
ihrer Unterthanen empfahl. Franz haßte die Italiener, weil fie unter 
dem italienifchen Königreiche die liberalen Ideen der Neuzeit eingefo- 
gen hatten; er hapte fie, wie ein Italiener den andern haft, mit der 
ganzen Kraft feines mißtrauiſchen Inftinlts. Nur zum Hohn, wenn 
es galt gerechte Anjiunen der Staliener abzuweifen, erinnerte er daran, 
daß aud er (in Florenz) geborner Italiener ſei. Gebildete Italiener, 
Patrioten befennen, daß fie ſchöne Jahre im dieſſeitigen Oeſterreich 
verlebten, daß der Abſolutismus an der Donau patriarchaliſche Züge 
batte, aber in Stalien fei er ein ganz anderer gewejen. Metter⸗ 
sich erkannte im Italiener das gewedte moderne Nationalbewußtfein, 
dejjen Gefahr für Oeſterreich er vorausſah. Deſto verliebter war 
er in jeinen bitteren Wig, Italien fei nur ein geographiicher Begriff. 
Guizot fagt, er habe Metternich diefen Sarkasmus ſchon vor feinem 
Halle verwiejen. 
Sind wir aber damit nicht von unferer Aufgabe abgeirtt? — 
Rein, gewiß nicht! Die reaktionäre Partei fucht unermüdet und nicht 





©) Vergleiche die Berveisfläde in den Preußifchen Jahrbüchern Band J. 
Seht 6 und Band IL. Heft 2. 


60 Hermann Renchlin, 


ganz ohne Erfolg durch falſche Darftellung der Verhältniſſe Deutſch⸗ 
lands zu Stalien, Defterreiche zur Kurie das deutjche Nationalbe⸗ 
wußtjein und die Kirchlichen zu verblenden, um fie auszubeuten. So 
lange die Unwahrheit fich breit macht, darf und muß aud die Wahr- 
beit auf dem Plane bleiben. — Obige Thatfachen liegen vielmehr recht 
im Mittelpuntte unfrer Aufgabe. Man bat mit Recht gefagt, es 
gebe Zeiten, wo es nicht erlaubt, wo es Unrecht, unpatriotijcy ſei die 
ganze Wahrheit zu fagen. &ine-folche Zeit war das Frühjahr 1859. 
Jetzt aber ift e8 durch das, was wir alle felbjt mit anfahen, Jedem 
einleuchtend geworden, daß die Verfchlingung in den öfterreichifchen 
Abſolutismus in Stalien den Papft wie die übrigen Fürſten der ſitt⸗ 
lichen Etügen beraubt, fie in den Verluft ber Anhänglichkeit ihrer 
Unterthanen und damit ihrer Länder hineingezogen hat. Biel erheu- 
cheltes Ehriftenthum und falfchen Batriotismus ſchlägt Döllinger durch 
die Bemerkung, dag man, daß namentlich Deutfchland den Italiener 
wicht zumuthen, noch aufbürden dürfe, was es felbft nicht von Andern 
ertragen wollte. 

Der Kaiſer von DOefterreih war alfo feit 1814 nicht mehr je 
ner Kaifer des Mittelalters, welcher geftügt auf die feubalen Ele⸗ 
mente im Lande feine uralten Oberhoheitsrechte als halbheimifcher, 
als deutichrömifcher, wenn auch nur zum Schein zum Beſten des „Nei- 
des“ geltend machte; er war ein fremder Souverän, welcher ſich felbft 
ausdrüdlich nur auf das Recht der Eroberung berufend, feine neue, 
äußerft glinftige, die Unabhängigkeit der italienischen Staaten mit 
Nothwendigkeit bedrohende Stellung ausnützte, um durch diplomatifche 
ft und Waffen Italien jede eigene Bewegung, beſonders auf den 
Bahnen der Freiheit und Nationalität, unmöglich zu machen. Je mehr 
es ihm gelang die Fürften Italiens folidarifch mit fich zu verbinden, 
defto fremder mußten fie dem eignen Volle werden. 

Diefe allgemeinen Elemente der Loslöſung der Unterthanen von 
den Türften wurden im Kirchenftaat durch eigenthümliche Mißver⸗ 
hältniffe verfchlimmert. Der aus dem Gril zurüdtehrende Papft 
wurde in der Romagna als Friedensbote mit Jubel begrüßt; feine 
Regierung bewahrte immer noch etwas von ihrer Milde oder Gleich⸗ 
giltigkeit; feine finanzielle Lage war durch die Franzoſenherrſchaft 
verbejiert, welche das viele alte päpftliche Papiergeld außer Cours 





Eirchenſtaat, Kirche und Nationalſtaat. 6 


geſetzt und Vieles in Ordnung gebracht hatte. Nichts defto weniger 
fam es bald dahin, daß die Romagnolen lieber Unterthanen des ver⸗ 
haften Oeſterreichs werden, als päpftlicye bleiben wollten. 

Döllinger fagt, die Bölter haben längft Teine Sympathie mehr 
gehabt für geiftliche Regierungen. Als Nachkomme eines fürſtbiſchöf⸗ 
lihen Beamten weiß er diejes genau zu ſchätzen. Ganz befonders 
war dies der Fall bei den Bevölkerungen Mittelitaliens. Roſſi fagt, 
in dem Königreih Italien (mit Romagna und den Marken) feien 
beinahe alle Beamte italienische Laien gewefen. Hier umd in den ums 
mittelbar dem franzöfifchen Kaiferreid) einverleibten Provinzen des 
früheren Kirdyenftaats, füdweftli vom Apennin, hatte man um das 
Lehrgeld von Strömen Menfchenbluts Sinn und Gefühl für die Ehre 
des Bürgers, für militärifhe Ehre befommen. Diejer Ehrenpunkt 
ift ein wefentlicher, ein Punkt, worüber man nicht markten kann, 
während die materiellen Bortheile des Laien- und des Kieriterregiments 
noch gegen einander abgewogen werden könnten. Deßhalb wollten die 
Eöhne der befieren Familien, wenn fie irgend zu leben haben, durch⸗ 
aus feine Dienfte im päpftlicden Beamten- oder Offiziersftand neh⸗ 
men, während man ſich um die Anftellungen im Königreich Ita⸗ 
lien reißt. 

Mit dem klerikalen Charakter der päpftlichen Regierung ift die 
Form des Wahlreichs unzertrennlich verbunden. — Schon in ſei⸗ 
nen Vorträgen bemerkte Döllinger: „Die Wahlform, vortrefflich für 
die Kirche, ift für den Staat ein bedeutender Nachtheil im Vergleich 
zu der Erblichleit der Dynaftieen. Dieſe bilden ein Bollwerk ber 
Stätigleit und Dauer. Die Gefchichte lehrt, daR die Wahlreiche 
ftärteren Erſchütterungen ausgejegt find, leichter zu Grunde gehen 
als Erbreiche“. — Man könnte dagegen einwenden, daß die weltliche 
Regierung des Kirchenſtaats feit lange von dem Kardinal» Staatsfe- 
cretär geführt werde. Döllinger fagt aber mit gutem Grunde, daß 
feit längerer Zeit im Conclave die Maxime herriche, nie den Kardinal- 
Staatsferretär zum Papft zu wählen, und daß der neugewählte Papft 
ftets einen neuen Staatöfecretär ernenne. „Denn feiner foll zwei 
mal regieren“, fagen die Kardinäle. Dieſes verlangt der ariſtokra⸗ 
tiſche Charakter der Kurie, welcher fid) in einige folche Punkte zuräd- 
gezogen hat. Jeder Kardinal will einige Ausficht behalten zur Res 


68 Hermanıı Renchlin, 


gierung zu fommen. Dekbalb, fagt Döllinger, fei auch „Mandher 
wegen feiner nahen Sterblichkeit zum Papft gewählt worden.“ Daher 
berrfche bei den Püpften eine Kürze der Regierungszeit wie bei keiner 
Dynaftie. Als Beleg dafltr bringt er merkwürdige Parallelen bei. Er 
beweift mit bedeutenden Autoritäten, daß in feinem andern Staate 
ein folcher Wechſel der leitenden Perfonen und der Regierungsmanie- 
ren eingerifjen fei wie im Kirchenſtaat. Es fei, als ob dieſes Er- 
trem eine natürliche Compenfation für die Stabilität der Kurie in 
kirchlichen Dingen wäre. 

So richtig dieſes Alles ift, müſſen wir doch darauf aufmerffam 
machen, daß fich die Untergrabung der weltlichen Autorität der Kurie 
feit 1814 nicht aus der kurzen Kegierungszeit der Päpfte erklärt. Denn 
unfer Jahrhundert zählt einige langlebige Päpfte, Pius VII. von 1800 
bie 1823, Gregor X VI. von 1831 bis 1846; Pius IX. wurde ab» 
fichtlic) als junger Dann von 54 Jahren von der Eirchenftaatlichen 
Reformpartei gewählt. Wir müffen und alfo nad; anderen Erflärunge- 
gründen des Zerfall der geiftigen und materiellen Stüßen der päpft- 
lien Regierung umfeben. 

Auch für diefe Periode feit 1814 ftellt Döllinger die Mo- 
tive mit feltener Wahrhaftigkeit und Klarheit hin. Dieſes zeigt fich 
fon in der Anerkennung der Zeugen. Die ultramontanen Organe 
waren gewöhnt Farini und alle diejenigen wegwerfend zu behandeln, 
welche ihm Glauben ſchenken. Döllinger fagt beftimnit, in Rom ver- 
fihere man, das von Farini über die Klerusregierung Gefagte ent- 
fpreche der Wahrheit. Sodann hat fi) Döllinger für die Zeiten vor und 
nach 1848 der bittern Mühe unterzogen, die von Genarelli 1860 aus den 
Archiven der Romagna und der Marken zufammengefteltten Dokumente, 
die Berichte der päpftlichen Legaten, die Prozeßakten über politifche 
Unterfuchungen (zwei ftarke, enggedrudte Quartbände) durchzuarbeiten. 
Dillinger hat zwar die Einzeliheiten diefer Inquiſition nicht gegeben, 
aber daß fie ihm ind Blut übergegangen find, ift aus dem Accent zu 
fühlen, womit er fein Urtheil ausfpricht. 

Je genauer fi Döllinger an die prägnanten Ausbrüde jener 
Berichte hält, um fo mehr halten wir es für unfere Pflicht, im fpä- 
ter Folgenden einen Moſaik feiner Worte zu geben. 

Man follte nach obiger Darftellung glauben, der päpftliche Ab⸗ 





0 


Eirchenſtaat, Kirche und Nationalſtaat. 68 


folntismus babe ſchon lange vor 1789 feinen Höhepunkt erreicht. Dol⸗ 
Iimger beflagt es aber ſchon in feinen Reden, daß Kardinal-Staate- 
fecretär Conſalvi feit 1814 mit Vergnügen in die Erbichaft der na» 
poleonifchen Bielregiererei eingetreten fei und die Rechte der Korpo- 
rationen nicht wieder bergeftellt habe. „ES blieben nur Schatten von 
Municipalitäten. Selbjt die Gemeinderäthe wurden (und werben) 
von flerifalen Präfekten ernannt. Im Ganzen war die Gewalt der 
Geiftlichleit in der weltlichen Regierung bedeutend größer geworden, 
al® fie früher geweſen.“ — „Seitden wurde die geiftlide Regie 
rung, und das ift fie, obgleidh im jahre 1848 in der Staat$- 
verwaltung 109 Geiſtliche auf 5059 Beamte trafen, als eine wider- 
willig getragene Laft empfunden, die man je eher je lieber abſchütteln 
möchte.“ — In der „Alles überfchattenden Stellung des Klerus“, in 
der Disharmonie, in dem innern Widerſpruch diefer franzöfifch mo⸗ 
dernen Einrichtung neben der hierarchiſch wittelalterlichen babe die 
Krankheit ihren Grund. Er weiß offenbar nicht abzufehen, wie 
diefelbe von innen heraus geheilt werden Tünnte. — Das lautet frei- 
lid ganz anders als die von Anderen immer wieder aufgewärmte 
Zabel von dem municipalen Leben unter der Aegide der Klerusregie- 
rung. „Dabei war das päpftliche das complicirtefte unter allen euro- 
päifchen Berwaltungsfgftemen.“ — Und wen war bie Leitung diefer 
complicirteften Mafchine anvertraut, auf wen laftete die ungeheure 
Berantwortung ? — Die breite Grundlage diefer Verwaltung waren 
Yaienbeamte „denen das Gefühl der Standesehre fehlte, weil fie 
meift aus geringeren Familien durch die Proteltion einer geiftlichen 
Genoſſenſchaft mit einer Stelle verforgt“, nur als niedere Diener 
betrachtet, feine Ausficht auf ein ehrenvolles Vorrüiden haben. Denn 
die leitenden Stellen waren und find den Kardinälen und Prälaten vor- 
behalten. „Die Pflanzfchule, woraus die Regierung diefe ihre höheren Be- 
amten nahm (und nimmt), war jene Klaffe römijcher Abbates, welche 
mit fehr unzureichenden juriftiichen und ohne alle ftaatSwirthichaft- 
liche Studien, mehr abgerichtet, al8 gebildet, befjer vertraut mit kirch⸗ 
lichen Geremonien ald mit den Verwidelungen und Intereſſen des 
bürgerlichen Lebens, ihr Vertrauen auf das Patronat eines Kardinals 
felgten.“— Der Klerus namentlich im Kirchenſtaat charakterifire fich durch 
Erhebung über das bürgerliche Geſetz. Haben doch bedeutende Auto⸗ 


64 Hermann Reudlin, 


ritäten erflärt, baß der Briefter nur denjenigen bürgerlichen Ge⸗ 
fegen Gehorſam ſchuldig fe, welchen die Giltigkeit auch fiir Geiftliche 
vom Gefegeber ausdrücklich beigefügt fei. Der Geiftlihe fet ale 
Berwaltungsbeamter wie als Richter geneigt, ſich und feine moralifche 
Weberzeugung „über den Buchſtaben des Geſetzes“ zu ftellen, welcher 
doch eine Bürgichaft der Gleichheit vor dem Gefeke iſt. Döllinger 
nimmt Aergerniß beſonders an dem Brud) diefer Gleichheit, welcher 
in dem Vorrechte des Seiftlihen im Sirchenftaate liegt, für ergehen 
leichter beftraft zu werden als Laien. 

Wir können leider unferem Führer, wie überhaupt nicht ins Des 
tail, fo auch nicht in die Eigenthümlichkeiten der einzelnen Päpfte folgen. 
Die Reftaurationsbeftrebungen Leo's XII. (1823) haben nad) ihm 
hauptſüchlich das Spionierfyften zur bleibenden Folge gehabt. Gre⸗ 
gor, mitten unter dem Aufftande des Februar 1831 gewählt, hielt 
nicht einmal die allgemeinen Verſprechungen; ein frommer, gelehrter 
Theologe habe er „die kirchlichen Dinge fehr gut, die weltlichen (tie 
fo mancher andere Papſt) um fo weniger verftanden.” 

Während die Mächte dringend riethen den Laien auch zu den ent- 
fcheidenden Aemtern den Zugang zu öffnen, wurde gerade die von der in- 
tereflirten Brälatur beftimmt abgewehrt. Döllinger erkennt, daß in diefer 
Epoche die weltliche Macht des Papftthuns einen tödtlichen Stoß er- 
litt; die Fremdenregimenter erfcjöpften die Finanzen und die unver: 
meidliche öfterreichifche Militäroccupation machte das Kleriferregiment 
nicht bloß verhaßter, fondern auch veradıteter. 

Während der zweiten Hälfte der Regierung Gregors X VI. erſchienen 
einige Schriften, worin das Verhältnif des Papſtthums und feines welt: 
lichen Regiments theils zu feinen linterthanen, theil® zu Italien beleudh- 
tet wurde. Das erfte war der Fall in Maſſimo d'Azeglios 
Schrift: icasi di Romagna, welde die tiefe, grimmige Unzufrie- 
denheit der Romagnolen mit der Klerusregierung ſchilderte, aber 
von Aufftänden abrieth. Charakteriſtiſch war darin die princi⸗ 
pielle Erörterımg der Trage, ob man Böfes thun dürfe um 
einen guten Zwed zu erreichen, ob nämlich einige Millionen Menſchen 
al® Unterthanen der Kurie politifch rechtlos und auf einer niederen 
Rulturftufe zurückgehalten werden dürfen, weil man vorausfeke, daß 


diefe Karyatiden fiir das Beftehen der Kirche nöthig feien. Diefe Fra⸗ 





Kirchenſtaat, Kirche und Nationalftaat. 65 


geftellung war keine fubjeltive, zufällige; fie war ganz aus dem Her- 
zen ber gebildeteren Bewohner der päpftlichen Provinzen herausge- 
wachſen, welche natürlih, da es ſich um ihr eigenes Loos handelt, 
umd fie fi) wie andere Menſchen als Selbftzwed betrachten, zur Ver- 
neinung jehr geneigt waren. Dieſſeits der Alpen Wohnenden wird 
es leicht anders zu urtheilen. — Der geniale Maffimo ift vor Kur⸗ 
zem, in Folge eines indisfreter Weife veröffentlichten Privatbriefeg, 
plöglih für die Reaktionäre eine Autorität geworden, da er ſich ge- 
gen die ausgedehnten Annerionen ausſpricht. Er ift nämlich feit Jahr 
und Tag in eine Bequemlichleit verfunfen, weldye ihm auch den An⸗ 
blid energifcher Ruͤhrigkeit unangenehm macht. Es ift bezeichnend für 
die Reaktionspartei, daß fie bedeutende Männer oft erft dann anzu⸗ 
ertennen, ſich erft dann auf fie zu berufen weiß, wenn fie fich felbft 
überlebt haben. 

Eine ganz entgegengejegte Seite der italienischen Lebensfrage 
faßte Abbate Gioberti in feinem primato morale e civile degl'. 
Italiani an. Er ignorirte die Lage der päpftlichen Unterthanen, wie 
den überwältigenden Drud Oeſterreichs, er ftellte fid) auf den welt- 
geichichtlihden Standpunkt: „alien ift feit zwei Jahrtauſenden der 
Mittelpunkt der Menfchheit, befonders für ihre geiftigen Angelegen- 
heiten, und zwar feit dem Sturz des römiſchen Kaiſerthums kraft 
des Papftthums. Diefes ift für Italien noch die große Leuchte der 
Givilifation, der nationale Einheitöfnoten, die Bürgfchaft des Sieges 
der vernünftigen Freiheit.” Die Völker Italiens werden ermahnt 
nur folde Reformen zu wünfchen, bei weldyen fi) das Papſtthum 
auch betheiligen könnte, alfo keine Verfaſſung; dann wird Italien 
abermals das ihm entjprechende nationale Leben verjüngt ſehen. — 
Am Freudentaumel dieſes Optimismus beſuchten Tauſende von Libe⸗ 
ralen die Kirchen wieder, ein ſchwerer Bann ſchien von Italien ge⸗ 
nommen, die Prieſter waren entzückt über den Abbate, welcher ihnen 
die Achtung der gebildeten Vollsklaſſen wieder geſchenkt hatte. 

Diefe Kircjlichteit der nationalen Bewegung pflanzte fich in der 
Mehl Pins IX. fort. Der von den Confervativen viel gerühmte 
Roſſi ſchreibt im Frühjahr 1847, Vater Ventura und ähnliche natio- 
nale und liberale Geiftliche feien nur nothwendige Symptome der natio- 


nalen Bewegung, mer mi Der Air dand in Dans are us 
Sertihe Beitigeift Vii. Baub, 


66 Hermann Reuchlin, 


Dentura damals bei der Todtenfeier D’Connels ausführte, daß die 
Kirche und die politifche Freiheit fich gegenfeitig tragen, habe unter 
den Tauſenden keine Miene einen farkaftiichen Zug verrathen. Diefe 
Bewegung war Yahr und Tag nichts weniger als kirchenfeindlich, fie 
tft es alfo nicht principiell, fie will und Tann ſich immer wieder mit 
der Kirche verfühnen. Diefes beabfichtigte ſchon Gioberti, indem er 
al8 piemontefifcher Minifter zu Ende des Jahres 1848 dem nad) 
Gaeta entflohenen Pius anbot, mit piemontefiihen Waffen ihn als 
conftitutionellen Fürften nad) Rom zurüdzuführen. Die lebte Schrift 
Giobertis, weldye er nad) der Niederwerfung der nationalen Hoffnun- 
gen bei Novara in freiwilliger Verbannung in Paris ſchrieb, for- 
derte die Staliener auf, ihre Sitten zu reinigen md zu ftählen,, er 
that dies auf eine Weife, welche mit der Praxis der Kirche in Italien 
unfanft zufammenftiek. Aber die Ueberzeugung, daß der Stk des 
Papftes im Herzen Italiens eine Zierde und eine Ehrenſache für Ita⸗ 
„ten fet und der lebhafte Wunſch denfelben fich zu erhalten, fofern es 
irgend ohne Gefährdung der Nationalunabhängigteit gefchehen Tünne, 
ift durch Giobertis erfte, Epoche machende Schrift in den Italienern 
geweckt oder befeftigt worden. Dieſe Ueberzeugung beherrſcht auch die 
gegenwärtige Situation. 

Entfernt nicht fo fanguinifch hoffnungsvoll, als ernfter Cenſor 
hatte unmittelbar nach dem Primato der piemontefiihe Graf Cäfer 
Balbo von den Stalienern vor Allem ſittliche Kräftigung an ber 
Hand der Kirche als Gymnaſtik für den unvermeidlichen Kampf der 
Befreiung von der Fremdherrfchaft gefordert. In diefem könne nicht 
der Bapft, fondern nur Piemont den Reigen führen; fei aber ber Fremd⸗ 
ling verdrängt, dann möge eine Conföberation die Unabhängigkeit der 
reformirten lebensfähigen Staaten beſchützen. Er hoffte die Dynaſtieen 
würden in diefem Kampfe wirklich italieniſch werben. 

Auf diefe Ueberzeugung Balbos vom Jahre 1844 berufen fi 
jet Guizot und andere Gegner des italienifchen Einheiteftaate, Fin⸗ 
fprecdyer der Eonföberation der zu reftaurirenden Dynaſtieen. Allein 
ſchon Balbo hatte bei der „Auferftehung Italiens“ durch feine engen 
Schranken hindurchgebrochen. Als 3. B. Pius dich die Allokution 
vom 29. April 1848 feine Betheiligung an dem nationalen Unabhän- 
gigteitslanıpfe verweigerte, that Balbo, der Mann der ftrengen Dis- 





Kirchenftaat, Kirche und Nationalftaat. 67 


ciplin, des Gewiſſens, damals piemontefifcher Minifterpräfident, alles 
Mögliche, um die püpftlichen Generäle zu bewegen, ihre Truppen den- 
noch über den Po gegen die Defterreicher zu führen. Zu gleicher 
Zeit annezirte er für Piemont nad) Kräften die Lombardei, die Her- 
zogthümer, und auf dem Papier aud) Venetien. Im Mai 1849 reifte 
er nach Gaeta, mehr mit dem Wunfche, als in der Hoffnung Pius 
zum Feſthalien an der Verfaſſung zu bewegen, welches diefer noch 
wenige Wochen zuvor gelobt hatte Balbo lebte und ftarb in der 
Hoffnung, daß für Stalin von Piemont das heilige Feuer der Na⸗ 
tionalität und der Freiheit und damit der chriftlichen Civilifation er- 
halten würde. Als er 1853 ftarb, war er derjelben Ueberzeugung 
mit Bielen, weldye ſeitdem durd) die Nothwendigkeit der Dinge Ver⸗ 
theidiger des Einheitsſtaates geworden find, aber damals mit Ca⸗ 
vour ein ſtarkes oberitalienifches Künigreich erftrebten. Die DVerföh- 
nung ber Kirche mit Rationalität und Freiheit war der Herzenswunfch, 
weldyen beide mit ins Grab nahmen. — Und diefer Balbo ift eine 
Danptautorität, welche die Reftaurationsmänner gegen die Einheit Ita⸗ 
lien® anzurufen wagen! 

Ale diefe mahnenden, ermunternden Stimmen hatten bis 1846 
im Batilan leine Aenderung bervorgebradyt. „Bisher ift es unſäglich 
ſchwer gewefen, gewilfe Reformen im Kirchenſtaate durchzufeßen, 
ſchreibt Döllinger, da ein Bapft mit dem reinjten Willen an dem 
ftillen, beharrlichen, gemeinſchaftlichen Widerftande Derer fcheiterte, die 
bei der Erhaltung des Herkommlichen ihre Rechnung finden.“ Aus 
den Dokumenten entnimmt Döllinger über die Stimmung folgendes: 
„Aus Ferrara wurde der Regierung im Jahre 1843 berichtet: Die 
ganze Beoöllerung der Romagna fei regierungsfeindlich gefinnt. Aus 
JImola berichtete der Legat Kardinal Maffimo 12. Yuguft 1845: 
der Etolz der Bevölkerung mache ihr das Priefterregiment unerträglid) ; 
vom Patrizier bis zum niedrigften Yadenjungen hinab jeien alle ver- 
ſchworen, Jeden von den Behörden Verfolgten zu befchügen und der 
Strafe zu entziehen. Viele Beamte und Geiſtliche feien geneigt fich 
wit den Reuerern zu verftändigen; man müſſe die ganze jeßige Gene⸗ 
ration von 18 Jahren an aufwärts verloren geben, denn fie fei grund- 
fäglich feindlich gegen die Regierung und man werde ſich immer mit 
ge im Sriegezuftande befinden. Der Governatore von Nom, Ma- 


68 Hermann Reuchlin, 


rini, meinte in feiner Antwort: nad) vielen, auch anderwärts her ein- 
gelaufenen Berichten verhalte es ſich freilich fo; zugleich aber berührte 
er eine Hauptquelle des Uebels, die gezwungene Thatenloſigkeit, welche 
das Regierungsſyſtem mit ſich brachte.“ Gemäßigte, der Kurie fonft 
ergebene Laien fagten, „gerade die großen Gebrechen und Miß- 
bräude in der Civilverwaltung fein es, welde das Bolt aud 
in feinem &lauben irre machten, fein Vertrauen auf die päpft- 
liche Leitung der Kirche erfcdhütterten; in ganz Italien bahne die 
ungänftige Meinung, die man von den Zuftänden und der geift- 
chen Regierung des Kirchenftaats hege, religiöfer Irrlehre den Weg.“ 

Döllinger fchreibt ferner: „Yon 1833 an verfchlimmerte fidy die 
Lage mit jedem Jahre. Die aus den unterften Klaſſen gebildeten päpft- 
lichen Volontärs übten argen Terrorismus und politifche Mordtha⸗ 
ten, durch die revolutionäre Bartei begonnen, wurden immer häufiger, 
die Negierung ward unvermeidlich immer argwöhnticher und quäleri⸗ 
fcher, man verließ ſich auf den vierfachen Arın der Defterreicher, der 
Franzoſen, der Schweizer, und der Sanfediften (eine reaktionäre, bes 
waffnete Partei meift aus dem niederen Landvolt) und die Volon⸗ 
tärd -» Spionage, doppelt verhaßt und gefährlich bei einer Priefterre- 
gierung, da das Volt fofort Misbrauch religiöfer Mittel dabei arg⸗ 
wöhnt, ward in großem Maßſtabe getrieben.“ 

Um fo leichter athmete das Volk, feit Pius IX. im Yuli 1846 
durd) die Amneſtie feiner Herzensgüte Genüge gethan hatte. Wenn 
aber bald darauf daffelbe Volk ihn drängte, fo dürfen wir nicht ver- 
geilen, daß der vielgepriefene Roffi von Anfang an dringend gerathen 
hatte, der Papſt folle Mar und frei erklären und ins Wert feken, wie 
viel oder wenig er gewähren könne und wolle. Aber ſtets unentſchloſ⸗ 
fen und zögernd müßte ihm die Führung der Bewegung gänzlich ent- 
fallen. Schon im Sommer 1847 hielt daher Roffi die Revolution 
für beinahe unvermeidlih. Mit großartiger Satyre fchilderte er dic 
Unmöglichkeit einer conftitutionellen Regierung für den Kirchenftaat, 
in weldyem der Klerus politifche Privilegien, 3. B. durch Aufftellung 
der Pairskammer in Geftalt des Kardinalstollegiume, behalten ſollte. 
Dann könnte das Minifterium in den Fall kommen, einen Pairsſchub 
von zwanzig Kandidaten für die Papftwürde vornehmen zu müſſen. 
Die katholifche Welt müßte den von einer ſolchen Majorität ale von 





irchenſtaat, Kirche und Rationalfant. 69 


einer bloß Tirchenftaatlichen Partei gewählten Bapft mit ſolchem Miß⸗ 
trauen betrachten, daß ein Schisma nahe läge. Es ift tragifch, daß 
Roffi den dennoch über fi) genommenen Verſuch eine wahrhaft conftis 
tutionelle Regierung im Kirchenftaat durchzuführen, den Prälaten 
und den Radikalen gleich verhaßt, mit feinem Leben bezahlte. — An⸗ 
dere gewichtige Bedenken einer conjtitutionellen Regierung in einem 
Staate mit Rardinalcollegien und Prälaten bringt Döllinger vor. 

Schon die Allofution vom 29. April 1848, worin der Papft 
erflärt, er tönne als folcher fi nicht an dem nationalen Unabhängig» 
keitskampfe betheiligen, hatte den tiefen, unheilbaren Bruch zwifchen dem 
weltlichen Fürſten Pius und feinem Volke herbeigeführt. Die Furcht, 
in Oeſterreich möchte fih der Joſefinismus mit dem Deutfchkatholi- 
zismus verbinden, welche ihn von der öfterreichifchen Gefandtichaft 
eingeimpft war, ja feine Stellung als PBapft ftieß ihn in diefen Wirs 
bel; fteuerlos trieb er als Raub der entgegengeickten gewaltigen 
Strömungen, bis er nad Ermordung Roffis im November 1848 
heimlidy nach Gaeta entfloh. Da die vom Papſt zur Regierung wäh- 
rend feiner Abweſenheit Berufenen diejelbe nicht antraten, da Antos 
nelfi, jet überwältigender Berather von Pius, jede Verjtändigung 
abwies, wählte das Volt des Kirchenftaates, troß des päpftlichen Ver: 
boto und des gedroheten Bann, feine Abgeordneten zu der Conſtitui⸗ 
renden nah Rom, weldye den Berluft der weltlichen Souveränität des 
Bapftes und die Republik proflamiren mußte. 

Döllinger urtheilt: „Auch diesmal fiel die päpftliche Gewalt im 
ganzen Yande, trog der Verehrung, die Pius IX. perfönlich genoß, 
mit größter Yeichtigfeit. Die völlige Urtheilslofigkeit einer Bevölkerung, 
von welcher mindeitene 99 Hunderttheile nie, weder vor noch nad) der 
Roolution, ein Buch oder eine Zeitung zur Hand nahmen, erleichter- 
ten den Triunwirn und ihrem Anhange ihr Werl." — Wir möchten 
mur fragen, ob aud) damal& oder 1831 piemontefifche Hinterlift und 
Geld Schuld waren? . 

Die Wideriprühe des bemitleidenswerthen Papites und die Gras 
beseinfamleit feiner Regierung fchildert unfer Führer mit wahrheite- 
ſchwerer Kürze: „In der Allokution vom 29. April 1849 hatte Pius 
erflärt, er habe nie daran gedacht, die Natur und den Charalter feiner 
Regierung zu ändern, er hatte aljo das Statuto mit feiner Repräfen- 


70 Hermann Reuchlin, 


tattoverfaffung als völlig verträglich mit dem Charakter der päpftlichen 
Herrichaft bezeichnet. Allein nun kamen Jene zur Herrſchaft, weldye 
da8 Heil des Staats in der fchleunigen Wiederherftellung alles beffen, 
was gefallen war, erblidten. Auch die Inquiſition erftand wieder. 
Pius war (binnen weniger Donate) überzeugt worden, daß die um« 
verbefjerlihen Radikalen als Feinde der ftaatlidhen Ordnung und po- 
fitiven Religion jede Conceffion zu ihren Zwecken ausbeuten würden. 
Durd die Einfegung der Staatsconfulta erhielten die Laien das Recht 
in innern Angelegenheiten ihre berathende Stimme abzugeben, aber 
die Enticheidung und faſt alle höheren Aemter kamen wieder ganz in 
die Hände der Prälaten. Den Municipien wurde eine gewiffe Selb- 
ftändigleit zugefagt; aber die eriten Gemeinderäthe zu ernermen behielt 
fi) der Papft vor. Und der Kardinal⸗Staatsſekretär Antonelli, der 
eigentliche Lenker des Staatsweſens, hat durch ein Eircular vom 29. 
April 1854 verordnet, daß die Wahlcollegien wieder nicht zufammen 
berufen werden follen.” 

Diefe Praxis, welche mit dem Buchſtaben der Verfprechungen, 
ja der Geſetze in fo fchroffen Widerſpruch fteht, rechtfertigt Antonelli 
den Rathichlägen der fremden Gejandten gegenüber mit der fatalen 
Bahrheit, „daß der Kurie nur wenige tüchtige Laien zu Gebot ftehen; 
fobald fie die Beſetzung auch nur der Gemeinderäthe durch die Wahl 
der DBegütertfien zuließe, fo würden bdiefelben mit den Feinden der 
Kurie befegt werden.“ 

Wie führte nun das reftaurirte Priefterregiment, durch fremde 
Bajonette wie in ein ſtarkes Quarre eingefchloffen, unangreifbar, feine 
unumjchräntte Gewalt? „Geiſtliche, fchreibt Döllinger, beftraften als 
Nichter politifche Vergehen. Wenn man, wie es häufig geichah, &e” 
finnungen und Meinungen, die nad) dem eigenen Geftändniffe der 
Negierenden die allgemein herrfchenden waren, ats fubfidiäre Beweiſe 
gebrauchte, um darauf die Verurtheilung eines nicht gehörig überführ⸗ 
ten Menſchen zu den fchwerften Strafen zu begründen, dann mußte 
freilicy die Kluft zwifchen dem Volle und dem Klerus immer breiter 
werben. — Syn den traurigen Zeiten feit 1849 erzeugte das Syſtem 
des maſſenhaften Einterferns in den ungejunden Gefängniſſen noch 
größere Erbitterung. ‘Der Governatore von Faenza ftellte im Jahre 


1863 vor, man babe eine große Anzahl von Berfonen ohne VBerbör, 





Kirchenflaat, Kirche und Nationalftaat. 71 


ahne Proceß, vielleicht felbft ohne Verdacht, blos zur Borficht in die Ge: 
fängnijfe gebracht, wo fie nun fchon Jahre lang fid) befünden. Mehr 
als 450 Proceſſe feien fchon feit vier oder fünf Jahren anhängig. 
Auf ſolche Weife könne keine Liebe zum Fürjten beim Volke gepflanzt 
werden.“ — „Politiſch Verdächtige feien in den Gefängniffen mit 
Berbrechern gegen Eigenthum und Leben vermengt.“ 

Aber auch derjenige Theil der päpftlichen Unterthanen, weldyer 
außerhalb der Gefängniffe lebte, war durch das Mißtrauen der 
berrichenden Partei bei jedem Schritte überwadht und gebunden. 
Die Bolizei und die geiſtliche Gerichtsbarkeit, in Einer Hand zus 
janımengefaßt, fuchte jelbft in das Heiligthum des Familienlebens ein- 
zubringen. Die Familie in.unferem Sinne und die Dienftboten bils 
den in Stalien in bürgerlichen Kreiſen mit patriarchaliſchem Gleich» 
beitsbewußtfein eine familie. Die Klerusdeipotie wußte auch diefes 
Ayl zu ftören und das Vertrauen darin zu vergiften. „Im Sabre 
1856, ſchreibt Döllinger nach Dokumenten, erließ der Inquiſitor Ais 
raldi in Ancona ein langes Edict, worin wieder ter Androhung der 
ſchwerſten Cenſuren die Denunciation jedes kirchlichen oder religiöfen 
Bergehens, weldyes Jemand an Anderen wahrgenommen habe, Allen 
zur ftrengften Pflicht gemacht wird, fo daß eine Magd z. DB. in den 
Bann verfiele und ftraffällig würde, wenn fie verfäumte, der Inqui⸗ 
fition anzuzeigen, daß jemand im Haufe an einem zSeiertage oder 
Sonnabend Fleiſch gegefien habe.” Das Mißtrauen wird nur um fo 
ichrantenlofer, al8 dem von der Inquiſition in Unterfuchung und 
zu Strafe Gezogenen der Name des Anflägers und Zeugen nicht ges 
nannt wird. 

Gerade durch ſolche Fälle fei die öffentliche Meinung in Frank—⸗ 
reich gegen die Fortdauer des franzöfiichen Waffenfchuges für eine 
foldye fogenannte Regierung immer entfchiedener geftinmt worden. 

Das Bisherige entnimmt Döllinger Dokumenten, er läßt aber 
in Zolgendem auch liberalen, ja piemonteſiſch gejinnten Italienern das 
Wort, auf die Gefahr hin, daß man auch ihm nachſage, er habe auf 
den Echmerzensruf des Kirchenitaats geachtet. Kin foldyer Kirchen» 
ſtaatler ſchreibt: „Unfrer Gefeßgebung fehlt Einheit; Niemand Tann 
wifien, welches ältere oder neuere Geſetz gegen oder für ihn zur Ans 
wendung lommen wird. In unferer Strafgejeßgebung ift Alles vag, 


72 Hermann Reuchlin, 


ungewiß und widerfpredhend. Kine gejeßlofe Polizei treibt eben darıım 
ihre Willkür aufs Aeußerjte und miſcht fih in Alles. Anftellung und 
Beförderung im Staatsdienjte hängt völlig von der Gunft oder Un⸗ 
gunft einiger Mächtiger ab; wiſſenſchaftliche Bildung, Erfahrung und 
Verdienft hat wenig damit zu fchaffen. Der Handel erliegt unter dem 
drüdenden Prohibitivfyften. Wir werden ausgefogen durch Wonopole 
und Steuerverpadhtungen, welche die unentbehrlichiten Lebensbedürfniſſe 
vertheuern,, einige Berfonen auf Koften des Staates und Volles be- 
reihern *), einen Theil des Volkes demoralifiren und die Regierung 
mit dem Hafje von vielen Tauſenden belajten. Durch unfer unver- 
nünftige® Mauthwefen ift unſer Land der Haffiiche Boden des Schmug- 
geld und Schleichhandels geworden. Eine Induſtrie hat bei unfern 
Auftänden und Gefegen fidy nicht zu entwideln vermodt umd bei dem 
dadurch verurfacdhten enormen Mißverhältniſſe zwiſchen Ausfuhr und 
Einfuhr gehen wir einer völligen Verarmung entgegen. Dan rechnet 
uns freilich vor, daß wir weniger Abgaben zahlen al® andere Völker, 
aber e8 wird dabei nicht angefchlagen, daß wir weit ärmer find ale 
die anderen, und daß drüdende Communalabgaben und Laften daneben 
fteßen.“ . 
Durch jeden diefer Sätze wird irgend eine Thefe der landläufigen 
Lobredner und DVertheidiger der Klerusregierung umgeftoßen. — Bir 
müſſen noch einen Umſtand zur Spradye bringen, welcher uns nament- 
ih in Bologna öfters genannt wurde. Die Vergehen des niederen 
Volks, Raub, körperliche Verwundung, Mord feien von der Klerus 
regierung fo nachſichtig geftraft worden, daß der Beſchädigte lieber 
feine Klage erhob, um dadurd nicht die Rache des vorausfichtlich bald 
wieder frei gelafjenen Verbrecher auf fich zu ziehen. Im Frühjahr 
1860, als eben die Piemontefen in die Romagna eingerückt waren, 
rühmten fich die Bürger, daß fie jet zufammenftünden und die Ver⸗ 
brecher einlieferten. Diefer Bürgermuth fcheint zwar nunmehr wieder 
gefunten zu fein. Die Aufgabe für die piemontefiiche Gensdarmerie 
und Juſtiz ift von Stcilien bis an den Mincio eine zu riefenmäßige. 
— Bent die hiftorifch-politifchen Blätter nit ohne Grund fagen, 
daß die Fehler der päpftlichen Verwaltung großentheil® aud von den 


*) Man glaubt dies in Stafien beſonders von den Gebräbern Autenelli. 








Kirchenflaat, Kirche und Rationalftaat. 78 


meiften andern italienifchen Beamtenhierardjien getheilt worden feien, 
jo rechtfertigen fie durch diefe Solidarität das über diefelben ergangene 
Gericht. Die genannten Blätter erkennen die Tüchtigfeit der Disci⸗ 
plin bei dem piemontefifhen Heere und Beamtenftande an *), wozu 
Döllinger ſich nicht entſchließen Tann. 

Obgleich Döllinger hochpoetifch vom „piemontefifchen Raubthier“ 
ſpricht, jo fieht er doch ein, daß die tiefen Schäden der päpftlichen Regie⸗ 
rung und Verwaltung allein denfelben den Schaafftall der Prälaten öffnen 

> fonnten. Der englifche Diplomat Lyons hatte vorausgefagt, im alle 
eines Einfall in den Kirchenftaat würde fidy feine Hand für die 
Regierung erheben. Diefe Vorausfagung fieht Döllinger in den Er- 
eigniffen des Septembers 1860 erfült. Am Anfange feiner zweiten 
Rede erllärt er, „die fchwierige Lage des Kirchenjtaates (Wohl des dem 
Bapft gebliebenen Reſtes) habe ihren Grund mehr in inneren Mißs 
verhältniffen, da die Feinde eben die Unzufriedenheit im Volke zum 
Borwande und zum Stügpunkte ihrer Operationen nehmen.“ 

a der — wie e8 fcheint, Döllinger unbelannten — note 
circulaire adress6de par le gouvernement des Romagnes & ses 
agents à lV’ötranger von Bologna 1. November 1859 heißt e8: 
„Wir Romagnoli weigern und, uns der ganz ausnahmelofen Uwer⸗ 
antwortlichleit der Kurie zu unterwerfen. Wir geben nicht zu, baf 
die Wohltdaten (der civilifirten Regierung), deren die ftrengft Tatholi« 
ſchen Nationen Europas genießen, uns verboten bleiben follen. Wir 
weigern und eine Ausnahme unter den uns umgebenden Völkern zu 
fein und ohne Recht, ohne politifche Bürgichaften, ohne nationales 
Leben zu vegetiren. Auch wir jagen (wie der Papſt): non possumus. 
Wir fagen e8 im Namen der Würde der menjchlidhen Natur und le⸗ 
gen vom Papfte Berufung an den ein, defjen Vertreter er if. Auch 
wir wollen in der Kirche eine Mutter ſehen. Warum foll fie fir 





*, Die Hiftorifchpolitifchen find darum nicht piemontefifh geworben, 
verlangen vielmehr „Rebucirung Piemonts; diefer Raubftaat von Haus aus muß 
verſchwinden oder boch auf ein befcheidenes Maaß einſchrumpfen, daß es nicht 
einmal mehr das Preußen Staliens jpielen kann.” Das war immer das Ziel 
Ksifer Franzens IL und ift der Traum der Reftauration. Dazu fol ſelbſt 
Preugen Helfen! — Die Tüchtigkeit der Piemontefen lommt nach jenen Blät- 


term Daher, daß fie feine Italiener find. 


14 Hermann Reuchlin, 


uns allein eine Stiefmutter fein? Und das ift fie und. Sagen wir 
es offen: die Attribute, welche fi) das Haupt der Kirche im römi« 
ihen Staate hartnädig beilegt, machen den Charalter ausarten, wel⸗ 
hen er vor Allem für immer bewahren muß.“ — Dieſes mit bewei⸗ 
enden Dokumenten verfehene Manifeſt klagt die Klerusregierung blu» 
tiger Unbarmberzigleit an, unheilbarer Unverfühnlichkeit, der Entwür⸗ 
digung ihrer felbft und ihrer Unterthanen, ja fie made fid) daraus 
eine Pflicht. Berläumdung, kecke Lüge, Mißbrauch der geiftlichen 
Strafgewalt,, felbjt der Excommumikation feien die Mittel zu Erhal⸗ 
tung und Wiedereroberung himmelfchreiender Gewaltherrfchaft. — Hier 
fchlägt da6 Wort Forcade'& ein: „Weberali erkennen die Regierungen 
an, daß fie für das Voll da feien ; diefes muß auch im Kirchenftaat 
eine Wahrheit werden. Unter feinem noch fo heiligen Vorwande darf 
der Menſch, dürfen Millionen Dienfchen zum Mittel werden.“ Das 
Urtheil, weldyes Italien auch außerhalb der Grenzen des Kirchenſtaats 
fällt, die öffentliche Meinung Italiens ſchildert Döllinger mit jchla- 
genden Worten Seite 648: „Dadurch ift die jekige Lage von jeder 
früheren fo völlig verfchieden, daß die aktive Mehrheit der Nation 
entfchloffen fcheint, diefe Regierung nicht länger in der Mitte der 
Halbinfel zu dulden. Sie ift, heißt es, mit ihren der Vergangenheit 
angehörigen Zuftänden, mit ihren dem übrigen Stalien jo frand, fo 
antipathiſch gewordenen Einrichtungen und ihrer Abhängigleit vom 
ansländiichen Schuge und erbetenen Beſatzungen ein entjtellender Ans» 
wuche, ein athembeklemmender Kropf am Xeibe Italiens und eine ſtets 
drohende Gefahr.” 


Nachdem wir nun an der Hand ımjeres gelchrten, geiftlidhen Füh⸗ 
rer die Entſtehung und Geftaltung des Kirchenftaats und feines Kle⸗ 
rusregiments, wie die geiftigen Früchte betrachtet haben , welchen fie 
im Zufammenftoß mit dem Geifte der italienifchen Nationalität her» 
vorgebracht haben, drängt es un® zu einer etwas kürzeren Geſchichte; 
dies iſt die Geneſis und Entwicklung der Weberzeugung, des Beiftes- 
werte Döllingere felbſt. Es hat fein eigenes Intereſſe nach den 
Motiven und Zwecken zu forſchen, nad) den Einflüffen, von welchen 
fo überrafchende öffentlihe Erklärungen hervorgebracht und welche 
Wirkungen auf die Zeitgenoffen dadurch beabfichtigt wurden. 





Kirchenftaat, Kirche und Rationalftaat. 75 


Döllingers Reden und fein neueſtes Wert müſſen von allen Bar- 
teien, fofern anch fie etwas vom Sinn für Wahrheit haben, anerkannt 
werden al& die Frucht ernftlichen Studiums der Kirchengeſchichte und 
der Geſchichte der Dienfchheit ebenſowohl als der unmittelbar einfchla- 
genden Dokumente verichiedenfter Art. Nicht blos feltene Geiſtesga⸗ 
ben, fondern aud) Kühnheit des Gedankens und des Entſchluſſes 
mußten das Objektiv dafür bilden. Nur der Glaube an die unverwüſt⸗ 
liche Geiſtes⸗ und Lebenskraft feiner Kirche, ftarke Liebe zu ihr konn⸗ 
ten ihm befähigen, in die Mitte der Käufer und Verkäufer von angeblich 
heiligen Borurtheilen und Unwahrbeiten zu treten und den Wechslern 
ine Gefiht zu fagen, daß fie auch falſche Deünze in Cours ges 
bracht haben. 

In der Vorrede fagt Döllinger: „Schon feit vierzig Jahren ift 
der Zuftand des Kirchenftants die Achillesferfe der katholifchen Kirche, 
der ftehende Vorwurf, den die Gegner in der ganzen Welt erheben, 
der Stein des Anftoßes für Unzählige.” Da Anhänger und Gegner 
der Tatholifchen Kirche in dem Vorurtheil gefangen waren, als würde 
diefe mit der weltlichen Macht des Papftes zufammenfallen, fo wollte 
Döllinger die Dluthlofigleit der Einen, die Schadenfreude der Anderen 
entwurzeln. Er fagt weiter: „So oft krankhafte Zuftände der Kirche 
bervorgetreten find, hat es nur einen Weg des Heil® gegeben, den des 
erwedkten, erneuten, gefunden kirchlichen Bewußtſeins, der erleuchteten 
übermächtigen öffentlihen Meinung in der Kirche; wenn man aufs 
hörte die Uebel zu befchönigen oder abzuleugnen, zu vertufchen. Auch 
beute ift das, was uns vor Allem Noth thut: Wahrheit, nicht bloß 
die Erlenntniß, daß die weltliche Macht des Papftthums der Kirche 

 nöthig fei — das leuchtet, wenigftens außerhalb Italiens, Jedem ein 
md ift Alles darüber bereits gejagt — fondern auc die Erkenntniß, 
unter welchen Bedingungen dieſe Herrſchaft fernerhin möglich ſei. 
Möge deun auch dem neunten Pius eine ſtarke, gefunde, einmlüthige 
öffentliche Meinung im Tatholifchen Europa entgegenfommen." Denn 
ohne diefen Verbündeten feien auch die beiten, entfchiedenften Abfichten 
des Papſftes fruchtlos. 

Dieſe öffentlihe Meinung gedachte Döllinger durch feine Vor⸗ 
träge anzubahnen, — ohne Geräufch zu machen. Es iſt zu verwun⸗ 
deru, daß er ſich dieſes einbildete, da er doch feine Leute Tennen mußte 


16 Hermann Nenchlin, 


Nach dei hiftorifch-politifchen Blättern entftand auch dadurch Allarm, 
daß Döllinger in feinen Reden fich nicht näher erklärte, was er unter 
der unvermeidlichen Säkulariſirung des Kirchenftaates verftehe. Die 
Reden hätten einen bleibenden Verluſt des Kirchenftants ohne tiefe 
Verlegung der Kirche angenommen, — fein neueftes Wert aber habe 
dies verſchwiegen. — Wie uns fcheint, fo ift Letzteres der rechte Ausdruck. 

Aus der Menge Derer, weldye Döllinger wegen feiner Reden 
fofort zurechtzumeifen fidy berufen fühlten, nehmen wir auf gut Süd 
eine Brofchüre heraus „die weltliche Macht des Papftes vor dem 
Richterftuhl de H. Prof. Dr. von Döllinger, von einem Militär, 
Sreifing 1861.” — Ein feltfamer Militär der e8 der päpftlichen Res 
gierung zum Lob anrechnet, daß fie „den Tribut des Bluts“, die 
Conſcription, nicht fordert, denn „diefe iſt bei einer väterlichen Re⸗ 
gierung ein Attentat auf die Freiheit des Individuums” Der Ver⸗ 
faffer diente in den Fremdenregimentern des Bapftes. — Ein feltfa- 
mer Bayer, weldyer die bayrijchen Fürften anklagt, daß „fie befonder® 
die Ehrfucht der Gegenpäpfte unterftügt haben.” Cr könnte von 
Döllinger lernen, daß der Trotz der Nationalität Gegenpäpfte aufs 
wirft; weßhalb follte dies nicht aud) der Trotz der bayrischen Natio- 
nalität thun? Er rechnet fogar die Bayern offenbar zu den „man« 
cherlei nordifchen Barbaren“, gegen deren Einfälle und Bedrückungen 
der Katholizismus, der Papſt Italien beichügte. ‘Dem Herzog Arnulf 
von Bayern follte er wegen feines Einfalls nicht fo gram fein, denn 
er fam, wie fo viele andere Barbarenfürften, vom Papft gerufen nad) 
alien. — Auch dadurch unterfcheidet ſich der Verfafjer von dem 
großen Haufen feiner Landsleute, daß er als Augenzeuge die Italiener 
„meift Hug und gut“ finde. „Nur piemontefiihe Beitechung und 
Gewaltthätigleit bilden in Wahrheit die Unzufriedenheit der päpftlichen 
Beoölferung.“ 

Eben fo glaubwürdig ift unfer Militär, wenn er fagt: „Man 
darf nicht glauben, daß für die Vereinigung beider Gewalten, zu po⸗ 
litiſchen Zwecken religiöfe Mittel (3. B. Ercommmmication) angewen⸗ 
det werden; das wäre eine Beleidigung des Papftes.“ O sancta sim- 
plicitas! — Dennody will Autor nicht einmal die abjolute Nothwen⸗ 
digfeit der weltlichen Souveränität beweiſen, jondern nur, daB bie 
Periode von 1500 bis 1797 den evidenteften Beweis von der Noth⸗ 





Kirchenſtaat, Kirche und Nationalftaat. 77 


wendigteit der weltlichen Herrſchaft liefere, weil nur fo der Papft 
den Grundfa der Autorität und Gerechtigkeit gegen die Zerjtörung 
durch den BProteftantismus retten konnte. Ebenſo fei es mit den ge 
genmwärtigen politifchen, moralifchen und religiöfen Verbältniffen. „Die 
Religion wird fonft überall verfolgt, der PBapft braucht ein Gebiet, 
um einen Beinen Theil der Gefellfchaft von religiöjen Irrthümern zu 
retten und zum Märtyrerthum zu erziehn. Wahr ift, der Bapft giebt 
feine Freiheit zum Stehlen, zum Ehrabfchneiden, zur Ausbreitung des 
Proteftantismus; aber feine Geſetzgebung ift die erleuchtetfte ; die Per⸗ 
fon, da8 Eigenthum ift geachteter al8 an andern Orten, die Wiffen- 
ſchaft wird gepflegt.“ — DO wie fchade, daß aud) diejes Paradies 
großentheil8 zerftört ift! Wieder ein Augenzeuge, welcher den Ita⸗ 
lienern Achtung vor deutfcher Wahrhaftigkeit, Scharffinn und Gerech⸗ 
tigkeit abmöthigen muß ! 

Der über die Reden ausgebrochene Lürm mußte Herrn von 
Döllinger überzeugen, wie Viele „nur mit den Ziffern: Revolution, 
Geheimbünde, Mazziniemms, Atheismus, rechnen“ oder ſich doch fo 
anftellen. Aber er verzichtete darum nicht auf feine Pflicht die öffent- 
lihe Meinung felbft im katholiſchen Deutichland aufzuflären. Gr 
bäufte feine Beweisſtücke. Unglücklicher Weife für ihn traf es ſich, 
daß gerade während der hiezu nöthigen Awifchenzeit die fatholifchen 
Bereine in Minden ihre Riefenverfanumlung hielten, in welcher nad) 
Art jenes Militärs abgerichtete Leute die breite Bafis bilden mußten. 
Nachdem er fi einmal durch Montalembert und Genofjen, durch ihr: 
„auch du Brutus?“ hatte bewegen laffen zu bleiben und fich zu bes 
theiligen,, jo war feine zweideutige Rolle fchon eine gegebene. “Der 
iharfe Krititer fühlte fi) zu einem, überdieß unmittelbar fruchtlofen 
Märtyrerthum erft berufen. Wenn er bei feiner Erklärung eine fa» 
tyrifche Ader fühlte, fo mar es zugleid eine Satyre auf fid) felbft. 
Sie erinnert und an Ballileis: „und fie bewegt fi) doch“; nur 
daß es Gallilei nicht frei ftand fich einer folchen, immerhin nicht 
ehremoollen Situation zu entziehn. Das Ganze, namentlich das, daß 
fi die Leiter mit feinem Schweigen über eine Hauptjache, über den 
Buftand des Kirchenſtaats, zufrieden gaben, beweift, daß zunächft ein 
Effekt auf den großen Haufen beabjichtigt wurde. 

Der innere Widerfpruch, um nicht zu fagen, die Unwahrheit der 


78 Hermann Rerchlin, 


ganzen Scene ftellt ſich grell heraus, wenn wir bedenken, daß Döllin- 
ger den Ausdrud feiner Ueberzgeugung mit Beweilen und Zeugſchaften 
in jeuem Moment beinahe fegelfertig im Hafen liegen hatte. Diefes 
fein Wert trägt aber fchon in feiner gelehrten Maſſenhaftigkeit das 
odi profanum vulgus an fid). Die vorangehende Kritik der alatho⸗ 
lichen Kirchen ijt wohl nicht blos ein Zollgroſchen oder Beſtechung, 
um den Wahrheiten über den Kirchenſtaat den Cingang zu erlaufen. 
Die Brage über die weltliche Souveränität konnte nicht vereinzelt, fon- 
dern nur im Ausblid auf den Erſatz durch geiſtige Eroberungen erör- 
text werden. Als Bürgfchaft dafür mußte die beliebte Selbftauflöfung 
des Proteftantismus mit ftarten Farben gemalt werden. Auch that 
man dies gerne, denn man batte ſich dadurd das Meiſterrecht er- 
worben. 

Ws Döllinger feine Reden bielt, hatte er darauf gerechnet, daß 
die vorjchreitenden Thatſachen die Geiſter in gleicher Richtung vor- 
wärt® drängen würden. Diefe hatten fich aber im Verlauf des Sommers 
geändert. Im Jahre 1361 war die Tage des Papſtes Döllinger nur 
in fofern erträglich erfchienen, als fie nur eine kurz vorübergehende 
fein fünne. Da Oeſterreich der franzöfiichen Occupation kein Gegen⸗ 
gewicht mehr böte, ericheine der Bapft ale abhängig von Frankreich und 
dies ſei faft eben fo ſchlimm als wenn er es fei. „Denn wenn nur 
der Schein, die Vermuthung entftände, daß der päpftlicdhe Stuhl in 
kirchlichen Dingen unter dem Einfluffe und nach den Jutereſſen einer 
politifchen Macht handle, jo würde das wie ein tödtliches Gift 
in der Kirche wirken.“ (Oben bat aber Döllinger anertannt, daß 
in Stalien längft die Ueberzeugung berrfche, der Papſt fei bie 1859 
nur der Unterthan Oeſterreichs geweſen). „Auf dieſe Weiſe würde 
der Beſitz des Kirchenſtaats gerade das Gegentheil von dem bewirken, 
was er erreichen joll und wodurch er allein gerechtfertigt werden kann; 
ftatt die oberfte Yeitung der Kirche felbftändig zu machen und ihre 
Freiheit zu fihern, würde fie als ein Ynftitut, das die Krüde aus: 
wärtiger Soldaten nicht entbehren Tann, in der Öffentlichen Meinung 
allmahlich ſinken. 

Die hiſtoriſch⸗politiſchen Blätter ſagen, im Frühjahre ſei Dol⸗ 
linger der Kirchenſtaat ſo wohlfeil geweſen, er ſei ihm als im Noth⸗ 
fall entbehrlich erſchienen, weil damals Cavour noch lebte und ber 





Kirchenſtaat, Kirche und Nationalſtaat. 79 


Bat der Auslieferung Roms an die Italiener als abgefchloffen er- 
ſchien. Da nun aber feit Cavours Tod Napoleon fich die Sade 
nochmals und ernfter anfehe, babe fi) auch Döllingers Anficht mo⸗ 
dificiren müſſen. — Hat deßhalb Döllinger fein fühnes: laissez pas- 
ser la justice de Dieul zurüdgezogen ? 


Was oben der befreundete Gegner über Döllinger8 Motive bei⸗ 
bringt, beftätigt nur, daß diefer ein realer Politiker if. Er läßt nicht 
feinen Wünſchen den Vortritt, um nachher zu fragen, ob fie auch Aus- 
fiht auf Verwirklichung hätten. Er fragt vielmehr, wohin die Dinge 
von felbft treiben. In der Borrede zu feinem Werke fagt er: „Wenn 
das drohende Ereigniß eintritt, der Papft feines Cänderbefiges beraubt 
wird, fo wird von drei Eventualitäten ficher eine fich verwirklichen : 
entweder der Verluſt des Kirchenftaats ift ein zeitweiliger, und das 
Land Tehrt ganz oder zum Theil nad) einigen Zwifchenfällen zu feis 
nem rechtmäßigen Souverän zurüd. Oder die Vorfehung führt auf 
uns unbelannten Wegen und durch nicht errathbare Kombinationen 
eine Stellung des päpftlicden Stuhls herbei, durch welchen der Zweck, 
nämlich die Selbftändigkeit und ungehinderte Bewegung diefes Stuhls 
ohne die bisherigen Mittel erreicht wird. Oder endlih: Wir gehen 
in Europa großen Kataftrophen, einem Zufammenbrechen des ganzen 
Gebäudes der gegenwärtigen gefellfchaftlichen Ordnung entgegen, Er- 
eigniffen, von denen der Untergang des Kirchenftants dann nur der 
Borläufer, fo zu jagen die erfte Hiobspoft iſt.“ 


Wenn die zweite Möglichkeit eine bleibende Verdrängung des 
Bapftes von Land und Leuten fein muß, fo hat es den Anfchein, als 
ob die dritte der Untergang des Papſtthums fein müßte. Allein Döl- 
linger ift gewiß noch unerjchütterlic in feinem Glauben an die 
Unvermwöüftlichleit , des von der Kirche unzertrennlichen Papftthums. 
Diefes ift „für die weltliche Macht eben fo unerreichbar“, durch fie 
fo wenig zu tödten als die Seele. Es ift ein Poftulat, „das 
durch nichts und von Niemanden erjegt werden kann.” Wir ges 
ftehen daher, uns nicht Har machen zu können, wie fi die dritte 
von ber zweiten Möglichkeit unterfcheiden fol. Gerade diefer fein 
Glaube, der Glaube an bie geiftigen Kräfte, nicht an Bajonette 
sen Söldnern und ſelbſtſüchtigen Alliirten ift es, was Döllinger® 


80 Hermann Renchlin, 


Blick befreite; diefes war es, wodurch er den Abergläubiichen, den 
Götendienern der materiellen Gewalt Aergerniß geben muß. 

In Kraft diefes feines Glaubens wagt er es auszufprechen, die 
Religion felbft fei nicht bedroht, auch wen die Piemontefen in Nom 
einzögen. „Der in ganz Europa herrfchende Widerwille gegen die 
Vermifchung des Geiftlichen und des Weltlichen oder gegen die Hand- 
babung der politifchen und polizeilihen Gewalt dur Geiftliche iſt 
feine Wirkung eines geſchwächten Religionsgefühls, fondern Folge 
einer veränderten Anfchauung und Lage.” 

Merkwürdig, aber durch das, was unfer Führer über die Ge- 
fhichte und den Charakter des Klerusregiments im Kirchenftaat ge- 
fagt hat, Hinreichend erklärt und getragen ift das völlige Schweigen 
über die Möglichkeit einer Erfüllung der gerechten Anforderungen der 
päpftlichen Unterthanen durch eine von der Kurie ausgehende Reform. 
Diefe hat ja auch neueftens erklärt, auf gewiſſe Reformen erſt dann 
eingehen zu wollen, wenn fie durch die Mächte wieder in den Befit 
ihres ganzen Gebiets eingefeßt fei. — Bon der abjtraften Möglichkeit 
einer Wiedereinfeßung bes Papftes durch die Tatholifchen Mächte fpricht 
auch Döllinger. Aber er und überhaupt diefe Spanische Anficht vergißt, daß 
ed auf dem Wiener Congreß die nicht fatholischen Mächte waren, welche 
die damalige Wiedereinfegung des Papftes in fein ganzes Gebiet be- 
fonder& gegen bie Ländergelüſte Oeſterreichs durchſetzten. Allein Döl⸗ 
lingers Hoffnung anfert nicht auf der Reftauration durch fremde Ba⸗ 
jonette, denn ſchon am Schluffe feiner Reden jagt er über bie Pflich- 
ten des Katholiken bei der bevorftehenden Kataftrophe: „Wir werden 
willig und freudig und reichlich unfere Beiträge entrichten, um unfe- 
rem Oberhaupte und gemeinfchaftlichen Water feine Lage zu erleich- 
tern, ihm die Mittel zur freien und fräftigen Handhabung feines er- 
babenen Amtes darzureichen.“ Döllinger will nichts von der mober- 
nen Theorie, daß die drei Millionen Tirchenftaatlicher Unterthanen wie 
SHaven den zweihundert Millionen Katholifen zu eigen gehören, um 
bie zur Erhaltung und zum Glanz des Papftthums nöthigen Laften 
md Frohnen zu leiften. Er will für den heiligen Water beten und 
bezahlen und fagt weiter: „Aber wir wollen uns nicht anflammern 
ein etwas Bergängliches und Zufällige, wir wollen nicht begehren, 
daß einem Volke etwas aufgenöthigt werde, was wir felbft nicht tra- 





Kirchenftaat, Kirche ımb Nationalftaat. 8 


gen würden, nicht einftehen wollen wir für eine Negierungsmethobe, 
die im Grunde erft 45 Yahre alt, deren Mängel der Papſt felbft 
erfannt hat, und die feit diefer Zeit nur Aufruhr und Mißſtimmung 
in der Mehrzahl der Bevölkerung erzeugt hat!“ 

Hat alfo der Herr Stiftsprobft auch den Maſſen bes fatholi- 
ſchen Bolls gegenüber feinen Militärmuth gezeigt, fo erprobte er doch 
vorher und nachher einen nicht gewöhnlichen Civilmuth, 

Da Döllinger fowohl von der äußerften Nothwendigkeit einer 
gründlichen Reform und Sähularifirung der Regierung der ‚päpftlichen 
Provinzen, als von der Unmöglichkeit ihrer Durchführung durch bie 
Kurie felbft feft überzeugt ijt, fo begrüßt er gewiffermaßen die Noth 
des Augenblids. Die Kirche werde zulegt fagen: mein Verluft ift 
mein Gewinn. Aber es werde durch Bitterfeit und Gefahr hindurch 
mürfen. 

Die hierin gewiß wohlunterrichteten politifch-hiftorifchen Blätter 
erfennen da8 Motiv der Wünfche, der Politik Döllfingers in feinem 
Zorn über den Verſuch Napoleons, mit milderen Formen als fein 
Oheim das Papfttyum als ein Mittel zu einem Weltreich auszunügen. 
Auch das Königreich Italien erjcheint ihm als bloßer Laftträger die- 
fes imperialiftifchen Planes; Döllinger denkt nicht an die Möglich- 
feit ımd an die Mittel, demfelben aus diefer Knechtichaft herauszuhel- 
fm. Das Nationalitätsprincip in diefer feiner apodiktiſchen Erſchei⸗ 
nung erſcheint ihm ja als eine große Gefahr für die Kirche. Daher kann 
ihm ein Eingehen, aud nur ein Unterhandeln auf die von Cavour 
und Ricaſoli der freien Kirche im freien Staate gebotenen Bedingun⸗ 
gen gar nicht al8 möglich in den Sinn kommen. 

Deßhalb, ob er gleich die Schwierigkeiten und peinlihen Situa⸗ 
tionen vorausficeht, verlangt Döllinger, daß bei ftärferem Anbringen 
der Gefahr der Papft Rom verlaffe. Diejes fei jedenfalls das kleinere 
Uebel im Zergleih mit der principiellen Entſagung, die nie wieder 
surhefgenommen werden könnte. — Aber wohin foll ſich der h. Vater 
wenden? — „ine Verlegung des püpftlichen Stuhls nad, Frankreich 
würde fo viel fein, als eine förmliche Herausforderung des Schisma, 
oder doch zur Beſchrünkung ber päpftlichen Rechte durch die Regierun⸗ 
gm. Welche Demüthigungen ftehen Papſt und SKarbinälen bevor, 


welches Joch wird ihnen auferlegt werben, wenn fie einmal in Frank⸗ 
Sißeciite Beisfgriß VI. Bo. 6 


82 Hermann Reudhlin, 


reich ganz in der Gewalt der Imperialiſten find, welche bereits ſich 
rühmen bei dem nächſten Conclave über eine Anzahl von Stimmen 
zu verfügen?“ 

Dagegen erwartet Döllinger von einem Aufenthalte der Kurie 
in Deutſchland die Folge, daß diefelbe ficy von der Möglichkeit einer 
Verſohnung der Kirche, des Glaubens mit dein modernen Staate über: 
zeugen könnte. Er hofft, die Kurie würde aus dein Kampfe des deut⸗ 
fchen Klerus gegen die Büreaufratie die Berechtigung des Widerſtands 
der Kirchenftaatlichen Unterthanen gegen die Büreaufratie der Prälaten 
erkennen lernen, — was wir bezweifeln müſſen. So ſchön das 
Alles gejagt wird, jo wäre gewiß der Sig des Papftes für ein paritäti- 
ſches Land wie Deutfchland ein großes Unglüd. Auch wir wünſchen 
den Mittelitalienern alles Gute, aber nur nicht auf Koften Deutfchlande. 
Die Gefahr, daß die hochnöthige Annäherung, das Zufammenwachfen 
feiner Theile durch Confeſſionshader geftört würde, wäre zu naheliegend. 
Nur eine widerdeutfche Partei könnte jich darüber freuen. Aus dem- 
jelben Grunde würde ſich wohl auch die Schweiz bedanken. Belgien, 
Spanien find rein Fatholifche, conftitutionelle Länder, welche als folche 
gedeihen. Sie, beſonders Spanien, find das rechte Patmos. 

Gewiß werde die Zeit kommen, jagt Döllinger weiter, „in der 
die italienische Nation ſich wieder mit dem Papftthume und deſſen 
Machtſtellung in ihrer Witte verfühnen werde. Die Erfahrungen 
der Kurie in ihrem Afyle werden gute Früchte tragen, wenn die Stunde 
der Heimkehr fchlägt, wenn die Reſtitution erfolgt. Dieſe wird er: 
folgen, mag das italienische Königreich fich befeftigen, oder mag es, 
was allerdings wahrfcheinlicher ift, wieder zerfallen.“ 

Alfo im unwahrſcheinlicheren Falle, im Nothfalle, nachdem man 
das Aeußerſte gethan hat, um fein Recht auf den Kirchenftaat zu 
wahren, müßte man denn doch ſich mit dem Königreich Italien verftändi- 
gen, offenbar mit Aufgebung des größten Theils des alten Kir⸗ 
chenſtaats, um etwa das Erbtheil Ct. Peterö wieder zu erlangen. 
Aber dabei ſieht Döllinger den großen Nugen, daß die „Böſen“ indeß 
die Regierung des ganzen Landes fäcularifirt, nach dem modernen 
Staatöbegriff eingerichtet hätten, eine unvermeidliche Arbeit, wozu die 
Guten weder Luft noch Geſchick haben. 

Wie follte aber der heimgekehrte Papſt als Fürft regieren? — 





Kirchenflaat, Kirdde und Nationalſtaat. 88 


„Stlar ift, dag das conftitutionelle Syftem für den Kirchenftant nicht 
anwendbar iſt.“ — Einverftanden. — „Aber Souveränität und eine 
Berilatifch- bitreaufratifche Allgewalt (mie die bisherige) nnd Alles 
bevormundende, in Alles fich einmifchende Verwaltung, — das find 
zwei himmelweit verjchiedene Dinge. Die autofratifche Souveränität 
des Bapftes könnte beitehen, wen auch dem Volke ein Antheil an der 
Gefekgebung , den Gorporationen autonomifche Bewegung, wenn eine 
gemäßigte Preßfreiheit und eine Scheidung von Religion und Polizei 
geftattet würde.“ Bisher fei es nur Defterreich geweſen, welches 
unter dem Vorgeben, das Princip der Volkswahlen jet mit der Staats 
ordnung unvereinbar, fich der Einführung der Vollswahlen zu den Pro- 
vincials und Municipalrüthen widerfetst habe. “Der Papft habe diefelbe 
aber 1850 verordnet, und würde fie, zurückgekehrt, gelten laſſen. Dann 
wird diejed Recht nicht mehr durch Feinde der Kurie mißbraucht werden. 

„Denn Rom wird einfehen gelernt haben, daß es des Papftes 
weit mehr bedarf, als der Papſt Roms. Ya tief im Gefühl Italiens 
wurzelt die Ueberzengung, daß Italiens Geſchicke durd, das Papſtthum 
beftiummt werden, daß beide aufeinander angewieſen feien, daß es die 
Beſtimmung des päpftlihen Stuhles fei, als der fchütende Genius 
der Nation in ihrer Mitte und über ihr zu walten.” — Erinnert das 
nicht an Gioberti, an den Anfang der großen Nationalitätsbewegung ? 

So flieht denn, wie einen herrlichen Regenbogen nad dem Ges 
witter, Döllinger im Glauben einen vielleicht weniger ausgedehnten 
Kirchenftaat — (und wirklich hätte die Hoffnung nur für einen ſol⸗ 
den einige Möglichkeit, „je Meiner das Gebiet, je größer wäre der 
Fürit”, fagte das Programm des Imperialismus) — welcher unter 
der Garantie der katholifchen Mächte ſtehend, weil der Papft weder 
innere noch äußere Feinde hätte, keiner Sonfeription, eines Heeres be- 
dürfte. „Der Kirchenftaat fönnte dann durch die Zufriedenheit feiner Be⸗ 
völlerung ein Mufterftaat werden. Die Schranken des materiellen und 
geiftigen Verkehrs wären gefallen; vermöge der internationalen Be⸗ 
Hehungen umd einer gewiſſen Freizügigkeit würden die chrgeizigeren 
Köpfe feines Landes im übrigen Italien zur Carriere der ſtaatsmän⸗ 
niſchen und militärifchen Stellen zugelajjen.“ 

Der Herr Stiftoprobſt ift überzeugt, daß der Freiheit, nament- 
lich der des Gewifſens die Zukunft gehört. Für die Freiheit des Ge⸗ 


84 Hermann Renchlin, 


wiſſens habe die katholiſche Kirche befonders Raum; wie er denn 
eines Lüngeren nachweift, daß der Proteftantismus intolerant, quälerifch 
ſei, der Katholicismus die Gewiffensfreiheit hege. Um fo unangeneh- 
mer muß ihm die Ausfchliegung auch diefer Freiheit aus dem Kirchen⸗ 
ftaate fein, da durch Verweiſung darauf diefe Glorie der katholifchen 
Kirche fehr in Zweifel gezogen wird. Aber die Verbannumg wird 
Alles heilen, auch diefen Flecken. Wir zweifeln daran, abermals in 
Webereinftimmung mit den Hiftorifch » politifchen. Der tribdentinifche 
Katholicismus hat diefe Biegſamkeit nicht. Neuen Wein bewahrt 
man nicht in alten Schläudhen. Roſſi jagt einmal, Napoleon I. hätte 
das PBapftthum untergraben können, wenn er es mit liberalen Staa- 
ten umgeben hätte; das Eindringen neuer Anfichten würde das alte 
Geflige gefprengt haben. Cavour beabjichtigte lange Daffelbe. — Und 
wenn Döllinger fogar joweit geht zu hoffen, abweichende Glaubensan- 
fihten würden nicht mehr von den weltlichen Aemtern des verjüngten 
Kirchenſtaats ausſchließen, fo hat Pius im Jahre 1861 feine Erklärung 
der Unmöglichkeit feiner Verföhnung mit dem Königreich Italien auch 
damit motivirt, daß in diefem bei Staats-Anftellungen nicht auf bie 
Katholicität gejehen werde. 

Döllinger fieht es für ein providenticlie® Zufammentreffen an, 
dag die Biſchöfe der katholifchen Welt noch nie anhänglicher, gebor- 
famer gegen den Bapft waren, als eben gegenwärtig während diefer 
Krife, deren Gefahr dadurch jehr verringert werde. Woher kommt 
diefer einmüthige Gehorſam? — Kommt er nicht hauptjächlich daher, 
daß in Deutfchland, Frankreich, Spanien und in den meiften andern 
Ländern die Bifcöfe ihre LXänder, ihre großen Grundbefigungen vers 
loren? In Rordamerila, rühmt man, made die fatholifche Kirche 
die größten Fortſchritte Fraft der gründlichen Trennung von Kirche 
und Staat; darum find auch die Organe des amerikaniſchen Ultra⸗ 
montaniemus für Aufgeben des Stirchenftaats ; fie behaupten, daß 
dies die Einheit und Kräftigung der Kirche auf ihren Gipfel brin- 
gen müßte. Eonfequenter erfcheint diefer Standpunkt der amerifani- 
ſchen Ultramontanen. 

Doch fehen wir von den Stalien freundlichen amerifanifchen 
republilanifhen Katholiten ab; auch die dem italienifchen Einheits⸗ 
ftante feindlichen Katholifen im ftrengeren Sinne find, wie wir 





irchenſtaat, Kirche und Nationalſtaat. 88 


uns im Bisherigen überzengten, in dieſer innern Angelegenheit 
ehr verfchiedener Anficht, ſowohl rüdfichtlich des Thatbeſtands über 
die päpftliche Regierung, als in Betreff des für die nächſte Zu- 
tunft einzufchlagenden Wege. Die Hiftorifchepolitifchen z. B. hoffen 
offendar auf die Reftauration des weltlichen Regiments der Kurie 
durch Defterreich und dann auf TFremdenregimenter und energifchere 
Strenge, woran ed dem bisherigen patriarchalifchen Regiment gefehlt habe. 

Ihnen fcheint ein nichts weniger als verächtlicher Bundesge- 
noffe, eine hohe nicht blos intellektuelle, fondern auch fittliche Auto- 
rität beizutreten, der Proteſtant Guizot. — Er glaubt die Groß- 
mächte berufen, berechtigt, für Wiederaufrichtung der Klerusregierung 
im Kirchenftaate einzufchreiten. „Denn die alten ragen der Riwali⸗ 
tät der Mächte und des europäifchen Gleichgewichts bejtehen in Ita⸗ 
lien nody fort“, „während — nad ihm — die Unabhängigkeit Ita⸗ 
liens von dem Ausland bereits eine verbürgte iſt.“ 

„Durch den deßhalb ganz unnöthigen italienifchen Einheitsftaat, 
einen Anachronismus, werden die höchſten Güter der Ehriftenheit, der 
Menfchheit, die Civilifation , da8 fie ſchützende Völkerrecht, die Frei⸗ 
heit, namentlich die des Gewiſſens, die Fatholifche Kirche angegriffen.” 
Das Streben nad) dem nationalen Einheitsſtaate ift nichts Anderes 
als fündige Eitelkeit. Weder die Völker noch das Individuum wollen 
in unfern Tagen Klein fein. Sind fie doc überzeugt, daß fie groß 
fein können — nad) Zahlen. Das ift eitel Materialismus.“ — Bon 
der öfterreichifchen Herrſchaft über Italien weiß Guizot nur, daß fie 
eine fremde war und blieb. Warum? — das kümmert ihn nicht. 
Iſt fie doch jest für immer gejtürzt, Frankreich garantirt ja die Un⸗ 
abhängigfeit Italiens. Nur einmal fällt e8 ihm ein, daß Deiterreich 
noch einige Spannen Landes in Italien befigt. Aber wie diefe fich 
zu feiner belobten italienifchen Eonföderation verhalten follen, darüber 
giebt er keine Andeutung, obgleich öſterreichiſch Venetien der ftärkite 
Einwand, weil die größte Schwierigkeit diejer Conföderation wäre. 

Der Heine Umſtand, dag im Kirchenftaat Webelftände in der 
Regierung waren, wird ignorirt. Aber das iſt ihm ein. Aergerniß, 
dei im jegigen Italien die Freiheit für Alle gekränft wird, denn 
„während bafelbit jegt die protejtantifchen Difjenters frei find, find bie 
Retholiten unterjocht und zwar in ihrer eignen inneren Organifation.* 


860 Hermaun Reuchlin, 


„Der Lünderbefig und die weltliche Regierung find nemlich für 
das Bapitthum ein natürliches Anhängſel und eine nothwendige Stütze 
feiner großen religiöfen Stellung geworden, nach Maßgabe der Ent- 
wicklung diefer Situation. Indem der Bapft Haupt der Kirche wurde 
und um dies wirklich zu fein, ift er Souverän eines Staated gewor- 
den. Diefe Vereinigung der Gewalten war eine natürliche. Unter 
dem Schuß diefer Heinen weltlichen Souveränität hat das PBapftthum 
in Europa die wejentliche Verjchiedenheit der Kirche und des Staats, 
die Unterfcheidung der beiden Gefellfchaften und Gewalten, ihre gegen- 
feitigen Rechte proflamirt und aufrecht erhalten. Dieſe Thatſache, 
— das Heil und die Ehre der modernen Civilifation, — fand ihren 
Urfprung und ihre Stüße im geboppelten Charakter des Bapftthums, 
und wiegt reichlid) die Mißbräuche auf, welche die Päpſte mit ihrer 
gedoppelten Herrichaft getrieben haben.“ 

Es ift nicht zu verlennen, daß der Geſchichtſchreiber der chriftti- 
hen Civilifaton Recht hätte, wenn er jagen würde, daß der Patriarch 
von Rom gegen Byzanz und gegen andere Gewaltherren die Rechte 
der unterdrlicten Romanen und des großentheild aus ihnen hervorge- 
gangenen Klerus und damit manden edlen Lebens⸗ und Kulturleim 
Aug und fühn vertheibigte.e Aber mit der Webertragung der Kaifer- 
frone an Karl ftiftete der Papft die Vermengung der Gewalten. Die 
beiden von Gott eingejegten univerfellen Gewalten mußten um die 
Weltherrichaft in Kampf gerathen, das Papftthum prätendirte und er⸗ 
langte mit Hilfe der Provinzialgewalten die Oberherrichaft, bis fein 
daraus erwachfener Uebermuth und die Nationalitäten es theilten und 
fhwädhten. Das Landgebiet, wie wir oben fahen, wud)8 dem Bapft- 
thum wie der venetianifchen Republik erſt zu, als es feine welthifto- 
riſche Bedeutung in der Hauptſache erfüllt hatte. Seitdem hat es je 
länger je mehr eine kirchliche Centralgewalt gebildet, und die Frage 
ift ja eben die, ob das Papſtthum dieſem Berufe nicht nad) Verluft 
des Kirchenftaats beffer entjprechen würde. — Ten Geſchichtſchreibern 
des Mittelalters ergeht es bekanntlich leicht fo, dag fie einem Inſtitut 
eine Bedeutung, welche es damals hatte, noch jett zufchreiben. 

Ueberfättigt von der franzöfifchen Eentralifation, weldye ihm nicht 
mehr zu Gebot fteht, vertennt Guizot eine der geiftigen Kräfte der 
Gegenwart , die Nationalität; Guizot iſt ihr im vorliegenden Falle 





Kirchenſtaat, Kirche und Nationalftaat. 87 


feindli, denn, ſagt er: „der italieniſche Nationalftant, den man grün⸗ 
deu will, bedarf des Befiges von Rom als Hauptitadt. Rom ift die 
moraliſche Hauptitadt Italiens. So lange der König des neuen Kö- 
nigreich® feine Refidenz nicht in Rom bat, iſt er nicht König von 
alien. Damit in den Augen, in der Anſchauung der Welt die ita- 
lieniſche Einheit reeli fei, muß Rom ihr Sit fein. Piemont, um 
wirtlich das Haupt der italienifchen Einheit zu werden, ift verurtheilt, 
m Rom das Bapftthum zu enttbronen, alfo das Völlerrecht und bie 
religiöfe Freiheit mit Füßen zu treten, indem es die Verfaffung der 
katholiſchen Kirche über den Haufen wirft.” Während Guizot fonft 
die Nothwendigkeit der Verſöhnung der Kirche mit dem Princip der 
Freiheit ſtark betont und die Eolidarität beklagt, worein die Sirche 
mit dem Abfolutismus getreten ift, ftellt er die Feindſchaft der Natio- 
nalität mit dem Papftthum an diefem Veifpiele ſchroff hin. Und doch 
identificiren gerade die nad Geftaltung ihrer Nationalität ringenden 
Boller diefelbe mit der Freiheit, betrachten jene als die Wurzel diefer. 

Iſt Guizot dem italienischen Nationalftaat wohl nur ans Ver- 
ehrung für das große Inſtitut der Kirche feindfelig ? 

Er theilt mit den andern Feinden der italienifchen Einheit den Haß 
gegen Piemont und deſſen Vergrößerungsſucht; denn nur aus diefer weiß 
der berühmte Gefchichtfchreiber entfernter Zeiten ſich die Annerionen zu er⸗ 
flären. Bon der großen nationalen Einheit8partei hat er gar keine Notiz, 
keine von der legten, großen Geiltesarbeit Manin’s, fo wenig al® von 
au den Strömen Bluts, weldye Italien feit 1815, namentlich 1848 
und 1849 für feine Unabhängigkeit vergoffen hat. „Manin's einzige 
Hoffnung, fo lange jein Geiſt frei war, jo lange er nur auf feine 
Vernunft und auf das Intereſſe feines Baterlandes zu hören hatte, 
war die Conföderation,“ fchreibt Guizot. — Wann hörte Manin auf, 
ih von der Vernunft und von dem Intereſſe feines Vaterlandes lei- 
ten zu laffen? — Nah Guizot offenbar, feit er im Exil lebte. — 
Hört man denn aber auf, der Vernunft und der Vaterlandsliebe zu 
folgen, wenn man von der Gewalt kommt? — Wohl hat Gutzot 
allen Grund, die Borausficht, die Entichloffenheit, die feine Fühlung 
des Bolkögeiftes zu bewundern, welche Manin bei der Bertheidigung 
ſeiner Baterftadt mit den wenigen ihm zu Gebot jtehenden Mitteln 
bis zur legten möglichen Stunde erprobte. Es mögen dabei Guizot 


88 Hermann Reuchlin, 


gegen feinen Willen Vergleichungen auffteigen. ‘Die Anerlennung der 
Vernunft und des Patriotismus des Manin von 1848 und 1849, 
welche ihm Guizot zollt, wurzelt aber offenbar darin, daß Manin da- 
mals fein engeres Vaterland vertheidigte. Dieſe Provinzialnationali- 
täten, die von Benetien, von Toscana, Neapel, wie die von Bayern, 
Sachſen zu hegen, iſt die alte neidifche Weisheit der franzöfijchen Di- 
plomatie, und Guizot hofft, diefe „Völker“ werden nicht fo leicht ab» 
danken, wie ihre Dynaſtieen. Darum, weil ein Nachbarſtaat Franf- 
reiches, Piemont, jo ungemein vergrößert wurde, ift in Guizot's Augen 
Cavour ein fo fehlimmer Politiker, der leider mit Savoyen-Nizza nur 
ein geringe® Entgeld für die nur zu uneigennügige Hilfe Frankreichs 
bezahlt habe. Auf die Meittel und Wege Cavours ſchaut Guizot, ſich 
in das Schaafkleid feiner Zugend hüllend, herunter. Denn obgleid) 
Guizot anertennen muß, „daß die italienifche Bewegung mehr national 
als politiſch, mehr politifch als focial ijt, daß dabei, wie bei der eng: 
lichen Revolution, der Adel die erwünjchte Rolle fpielte, jo ladet fie 
doch einen ftarfen Bruch des ewigen Nechts durch Anwendung der Mittel 
der inneren Anarchie, des allgemeinen Stimmrechts auf ſich.“ — Wir 
wollen annehmen, dag nur nationale, nicht perfönlihe Scheelfucht 
Guizot diefe Abfchägung Cavours und feines Werkes einflößt. 

Das Eigenthümliche der fpäteren Schriften Guizot's, namentlich) 
aber diefer feiner Ietten bejteht darin, daß er fehr ſchöne Grundſätze 
aufitellt und diefe eindringlich zu machen fucht, indem er feinen Sag 
uno tenore in verjchiedenen Wendungen, mit andern ſchönen Worten 
zu wiederholen weiß. Leider finden wir mandmal die Brüde von 
dieſen fchönen allgemeinen Grundfägen zu den Thatſachen, zu den 
prattiichen Behauptungen nit. Doch wer wollte Guizot darüber 
verklagen, bleiben wir nicht alle auch in der Ausführung hinter unferen 
Grundfägen zurüd ? 

Guizot entbrennt natürlich von gerechtem Cifer gegen die piemon- 
tefiiche Invaſion in den Kirchenjtaat im September 1860. Formell 
war zwar die gewaltſame Beſetzung Anconas durd die Franzoſen im 
Jahre 1832 eben fo ein Xandfricdensbruch; der peinlich überrajchte 
Bapft proteftirte Fräftig dagegen. Die Gefandten der nordifchen 
Mächte in Baris begaben fich fofort zu dem verantwortlichen Miniſter 
L. Perier. Der preußifhe, Baron von Werther, apoftrophirte ihn, 





Kirchenſtaat, Kirche und Nationalftaat. 89 


ob es noch ein öffentliches Recht in Europa gebe? Guizot erzählt 
mit ftolger Freude in feinen Memoiren Perier’s Antwort: „Eben 
das öffentliche Recht Europas, mein Herr, wird von mir vertheidigt. 
Stauben Sie, es fei etwas fo leichtes, die Traftaten und den Frieden 
aufrecht zu halten? Aber auch die Ehre Frankreichs muß aufrecht 
erhalten werden; fie heijchte diefe meine That. Ich habe das Recht 
anf das Vertrauen Europas, und ich habe darauf gerechnet.“ — 
Könnte nicht auch Cavour dafjelbe von feiner Bolitit im Großen fa- 
gen? — Guizot allerdings bat feine Ahnung davon. Allerdings find 
die Italiener, felbft ihre confervativften Staatsmänner, 3. B. der 
Graf Joſef Ye Maiftre, in ununterbrocdyenem Kampf gegen die ihnen 
unvertreten aufgedrungenen Beitimmungen des Wiener Congrefjes und 
deßhalb nicht legal. Daß Frankreich, welches auf dieſem Congreſſe 
eine große Rolle zu ſpielen und ſeine Intereſſen größtentheils durch⸗ 
zuſetzen wußte, bei erſter Gelegenheit ſich eine ſeine Grenzen erweiternde 
Compenſation“ geben läßt, findet Guizot ganz in der Ordnung. — 
Mit vollſtem Rechte jagt Forcade, Guizot hätte als Staatsmann 
alle Gelegenheit gehabt zu bemerken, dag man nicht bloß das Selbft- 
beabfichtigte zu vollziehen, jondern nicht felten der Nothmwendigfeit zu 
folgen habe. Bei der Erbitterung über die Abtretung Nizzas habe 
Cavour die Expedition Garibaldi’d nad) Sicilien nicht verhindern 
Isumen; nachdem diejer einmal in Neapel ftand,, habe Cavour weder 
feine Bernihtung noch den Sieg der Rothhemden allein zulaffen 
dürfen. So fei Cavour in der Nothwendigkeit gejtanden, in den Kir⸗ 
denitaat und in Neapel einzufallen. ‘Die Rothen waren ihm darum 
eben fo feind wie dic Schwarzen. 

Was iſt nun aber die Ueberzeugung Guizot’8 von dem Zuftande 
des Kirchenſtaats und von feiner Zukunft ? 

Im zweiten Bande jeiner Denfwürdigfeiten fchreibt er: „Es war 
ſchon im Jahre 1832 evident, daß jo lange die römifchen Staaten in 
derfelben inneren Lage blieben, die Inſurrektion ohne Unterlaß ſich darin 
ernenern mußte. Denn es gibt einen Grad von fchlechter Regierung, 
weichen die Völker, feien fie groß oder Klein, aufgeklärt oder unwiſſend 
heut zu Tage nicht mehr ertragen. Es iſt im Grund ihre Ehre und 
der ficherfte Fortſchritt der Civiliſation, wonad) fie dichten und trach⸗ 
ven , fie fordern von ihren Regierungen eine ungleich größere Dofie 


1) Sermaun Gbenlhlin, 


Gerechtigkeit, gefunden Berftandes, Aufklärung, Sorge für das Yn- 
tereſſe Aller, als diejenige war, welche früher für die Aufrechthaltung 
der Gejellichaft genügte.” — So einverftanden man damit fein muß, 
fo muß man ſich nur verwimdern, daß Guizot diefes in feiner neueſten 
Schrift völlig ignorirt. 

Outzot glaubt, daß wenn dem Papſt jekt das PBatrimonium 
Betri (im engeren Sinne) bliebe und er etwa noch etwas Weiteres 
von den verlorenen Provinzen wieder erhielte, jo könnte er den Stüb- 
ten deſſelben republikaniſche Diunicipalfreiheit geben und.mır eine ges 
wiffe Souveränität darüber behaupten. Auf daſſelbe befchräutt ſich 
ungefähr auch Döllingers Hoffnung. Roſſi hatte diefe Idee im Jahre 
1832 an Gnizet ald eine ausführbare mitgetheilt. Wir unterdräden 
allerlei Fragen, 3. B. wer die Ordnung in diefen Kleinen Republiten 
gegen Mazzini aufrecht erhalten folle ? 

Ebenfo verfchmweigen wir die Selbftwiderlegung mandyer Vor⸗ 
wärfe, welche Guizot gegen Italien fjchleudert, durch andere Stellen 
feiner Schrift nachzuweiſen. Wir geftehen, daß wir die praftifch fein 
folfenden Aufftellungen Guizot’8 ſehr allgemein ftizzirt finden; wir 
haben oben ein ſtarkes DBeifpiel gegeben , wie er die ſchwerſten, ſich 
dngegen erhebenden Einwürfe ignorirt. Daher konnte unjere Meinung 
von feinem ſtaatsmünniſchen Berufe durch feine neuefte Schrift wicht 
erhöht werden. Selbft als Schriftiteller hat er durd feine Stellung 
an der Spike cined großen Staats und durch die reiche ihm gebotene 
Gelegenheit, über die Urſachen des Sturzes der Dynaſtie Orleans 
nachzudenken, nicht gewonnen. Wer ſich die Mühe nimmt die Schrift 
zweimal mit der Abficht praktifcher Belehrung zu lefen, wird mit 
dieſem Urtheil übereinftimmen müffen. Jeder Deutjche, welchen fein 
Nationalgefühl höher fteht ald das Bewußtſein feiner Confeſſionspartei, 
wird fich daher freuen müſſen, daß in Betreff der gründlichen Auf: 
fefjung der Sachlage und in der Eonception der Zukunft Döllinger 
über Guizot den Preis davonträgt. 

An ihn fchließt ſich die Schrift: La souv6erainet6 du Pape 
et lalibert6 de l’&glise par le prince Albert deBroglie an. 
Diefer eifrige Katholif hält die Concordate für nöthig, die weltliche 
Soweränität aber für die nothwendige Bafis der Concordate. Die 


von Cavour verjprochene Freiheit ber Kirche fcheint ihm gefährlich für 





Kichhenftast, Kirche und Rationalftaat. 91 


die Staaten, namentlich fir die centralifirten. Wir möchten fragen, 
wäre e8 ein Unglüd, wenn die übermäßige Centralifation, z. B. die 
franzöfifche, auch etwas Bürenufratie durd) Selbjtverwaltung der kirch⸗ 
lien und der bürgerlichen Gemeinde beſchränkt und fo die Kirchlichen 
mit der politifchen Freiheit verjühnt würden ? . Die Vertheidiger der 
weitlihen Souveränität des Papftthyums felbit haben das Wort Ca- 
voure, daß ihre Erledigung eine Trage der Zeit fei, gerechtfertigt. Es 
fehlt ihr allerdings, namentlid in Spanien und Süddeutjchland, nicht 
an Bertheidggern , welche durch combinirte Bajonette der fremden 
Mächte dem Papft die Provinzen wieder erobern und fie durch Vers 
ftärlung der Söldner, der Fremdenregimenter wieder zu halten win- 
hen. Allein alle Schriften, welche irgend auf Gebildete berechnet 
find, Haben in Deutſchland feit einem Jahre, zumal ſeit ‘Döllingers 
Reden, doch einen ganz andern Ton angefchlagen, fie mußten fich zur 
Anertennung mancher bisher leidenfchaftlidy beftrittenen Thatſachen 
herbeilaſſen. Wie viele Bogen haben die Hijtorijch-politifchen vor 
zwei Jahren gegen Farini und gegen meine Geſchichte Italiens ver: 
ſchwendet! Sept wollen auch fie fich nicht mehr zu Vertheidigern 
der Prälatenwirthſchaft aufwerfen. — Die Freude, die Wahrheit etwas 
früher zu fagen, wird durch Angriffe nur pilanter; man belommt bald 
immer zablreichere, intereifante Geſellſchaft. 

Weſentliche Punkte find durch die geiftig hervorragendften Ver⸗ 
tBeidiger der weltlichen Souveränität des Papſtthums feſtgeſtellt; vor⸗ 
erft die Unleidlichkeit der weltlichen Klerusregierung, ihre Unverträglic- 
feit mit dem Gewiſſen aller Sachkenner; jodann die Anerlennung der 
Nothwendigkeit, weitaus auf den größten Theil des bisherigen Kirchen- 
ſtaats zu verzichten; die unter der päpftlichen Souveränität bleibenden 
Gemeinden follen republitanijche Selbitverwaltung haben. Wenn nur 
dieje Ideen und Worte nicht jo jehr an die Türkei erinnerten ! 

Allein damit bleibt der Hauptpunkt der Reibung noch in feiner 
ganzen Sprödigfeit, der Bejit Rome. Man kann die Nothwendigkeit 
Roms als Hauptitadt eines nationalen Einheitsſtaats nicht ſtärker aus- 
drüden, als Guizot dies gethan hat. Die Turiner, die Neapolita- 
ner beanſpruchen zwar zeitweifen Aufenthalt des Könige; Perfetti 
hofft, der Bapit werde in Zukunft auch bei feinen andern Kindern 
hesumreifen. Beide follten es alſo halten, wie bie deutjchen Kaiſer 


9% Hermann Reuchlin, 


thaten, welche auch keine Nefidenz hatten. Aber diefe hatten aud) keine 
einheitliche Regierung, wie fie der italienische Einheitsſtaat hat. 
Könnte diefe mit der Kurie im Frieden in Einer Stadt zufammen- 
wohnen ? Das ift die Trage. 

Sie wird von manchen geiftig hervorragenden Männern unter 
der Bedingung bejaht, daß das Papftthum fich des weltlich-politifchen 
Charakters begebend, nur, und zwar um jo mehr den Tirdhlichen, den 
religiöfen behaupte. Einer der feinften Geifter der gegenwärtigen Li- 
teratur, Forcade, hat nachzuweiſen geſucht, daß die Umabhängigfeit 
der Kirche felbft verlange, daß das weltliche und das davon unzer⸗ 
trennliche nationalitalienifche Element aus der Oberleitung der Kirche 
ausgefchicden werde, 

Mit der zarteiten Achtung vor dem Gewiſſen auch der ftarren 
Katholiken erktärt er gefchichtlich, wie der Papft ihnen Perfonification 
der Kirche, feine Unabhängigkeit ihnen die Bürgſchaft der Unabhängig- 
feit der Kirche wurde, zumal feit die Kirche durch die Revolution von 
1789 aufs Büdget gejtellt wurde. Aber er behält eben diefen Haupt- 
zwed ber Unabhängigfeit der Kirche feiter im Auge, als viele Eiferer 
um diefelbe und zeigt, daß der Kirchenftaat, während des großen fitt- 
lichen und religiöjen Zerfalls des Papſtthums (um 1500) arrondirt, 
von Anfang an die Kirche in ihren heiligften Angelegenheiten gefähr- 
dete, 3. B. bei der Wahl des Papftes. Denn feit diefer ein weitlicher 
Fürft war, mußten die Fatholifchen Fürften ſich eine Sicherheit ver- 
ichaffen, daß der Gewählte nicht ein Feind ihres Staates fe. So 
erhielt jeder derjelben im Wahlconclave ein Veto, wodurch das Fird)- 
liche Antereile, „der H. Geift“ gebunden wurde. 

Die weltliche Landesregierung erzeugte das fatale, nur fcheinprie- 
ſterliche Ynftitut der Prälatur ; diefe ift die Pflanzjchule des Kardi- 
nalscollegiums. ‘Diefes, die höchſte Garantie und Stütze der Unfehl- 
barkeit des Papftes, ift fomit verweltliht. ‘Der Kardinal-Staatefe- 
cretair, welcher die Beziehungen des Papſtes zu allen Landeskirchen 
vermittelt, ift zugleich der eigentliche weltliche Itegent des Kirchenſtaats; 
je ſchwieriger es wird diefen zu regieren, defto mehr muß bei feiner 
Ernennung auf die hiezu nöthigen weltlichen Gigenfchaften geſehen 
werden. So kam es, dag von allen Kardinal-Staatsfecretären des 
Bapftes in diefem Yahrhundert nur Einer, Lambruschini, ausgeweihter 





Kirdhenftaat, Kirche nnd Nationalſtaat. 98 


Priefter war. Antonelli bat wie die Andern eine weltliche Laufbahn 
gemacht und nur die niederften Weihen empfangen. 


Um feinen weltlichen Staat gegen die Eroberungen Kaiſer Karla V. 
zu fihern, begünftigten Päpfte in Ungarn, in Graubünden, in der 
Ffalz, in Württemberg, mit Geld Unternehmungen, welche gegen den 
Kaifer, zu Gunften der Reformation gemacht wurden (vergleiche Ranke). 
Tiejes ftimmt ganz mit dem in biefen Blättern von Söltl mit- 
getheilten Vortrage für den römifchen König Joſef L (Yahrgang III 
Heft 3) überein, welcher die Beweiſe dafür häuft, daß feit der Papft 
Yandesfürft fei, jo „thut die ratio status bei dem römifchen Hofe den 
Intereſſen religionis vordringen.“ — Celbft Montalembert hatte 
ſich daran geftogen, daß PBapft Gregor XVL, in feiner Noth über 
den Aufitand feiner Unterthanen 1831, die Zufage Rußlands, Oeſter⸗ 
reich bei feiner Intervention zu Gunften des Bapftes in der Romagna 
im Nothfall gegen Frankreich zu unterftügen, mit der Verdammung 
des polnischen Aufftande durch die Kurie erfaufte. Forcade verfichert, 
nach deifen Niedertretung habe Rußland etiwa eben fo viele mit Rom 
Unirte wieder in die griechiiche Kirche hineingenöthigt, als der Papft 
weltliche Unterthanen bat, nemlich drei Millionen Eeeln. — Das 
ift die gerühmte, der Kirche durch den Kirchenftaat verfchaffte Unab- 
bängigfeit des Geiftlicden vom Weltlichen ! 


Die Theſe Döllingers, daß die Vergewaltigung der Kirche durch 
die Nationalität das Schisma erzeuge, erhält durch Forcade gewaltige 
Belege. Die jchon vor Conftanz (1410) von der ganzen Kirche er⸗ 
hobene Forderung der Reform an Haupt und Gliedern wurde über 
ein Jahrhundert lang von den Päpiten abgewieſen, weldye den prin- 
cipe des Macchiavell in Italien zu fpielen trachteten. Eben al Rom 
von der höchſten, aber halbheidnifchen Verfeinerung des italienischen 
Geiftes erfüllt war, brad) das große Schisma der Reformation aus, 
Sat die Päpſte zu den größeren italienischen Fürſten gehörten, 
gelang es einem Nichtitaliener nicht mehr Papſt zu werden. ‘Die 
Stalimer fahen in dem ganz nationalifirten Papftthum eine füße 
Rache und Wiedervergeltung für ihre politifche Unterjochung durch 
andere Voller. Die Kirche könne daher aus diefer Unterjochung 
burch den Atalienismus fich zu ihrem Univerfalismus wieder erheben, 


4 Hermann Reuchlin, 


mar indem fie mit dem weltlichen Fürftenthum in Italien die Wurzeln 
dieſer Stalienifirung abſchneide. 

Haben aber in dem katholiſchen Prieſterſtande Italiens ſchon 
ähnliche Ideen ſich entwickelt? Iſt dadurch eine Loslöſung der Kirche 
von der weltlichen Darſtellung des Papſtthums ſo vorbereitet, daß ein 
Verzicht des Papſtes auf den Kirchenſtaat bei dem Klerus Italiens 
nicht Aergerniß gäbe? — Diefer Trage haben wir nun Rede und 
Antwort zu ftehen, oder vielmehr, e8 follen namhafte italienifche Briefter 
darauf antworten. 

Die Schrift des Rombarden Rosmini „über die fünf Wunden 
der Kirche“ erfchien zwar erjt 1848 im Drud, fie war aber fchon 
fünfzehn Jahre früher abgefaßt. Der Verfaſſer genoß längft auch 
außerhalb feines engeren Vaterlandes eines wohlbegründeten Ruhmes, 
nicht blos als ideenreicher theologifcher Schriftfteller. Er hatte eine 
Brüderfchaft von Prieftern und von Laien der verfchiedeniten Berufs- 
arten geftiftet; der Grundgedanke war eben der, daß diefe verſchiede⸗ 
nen Organe der Kirche, zu gemeinfamem thätigem Leben vereinigt, 
ein thatkräftiges Ebenbild des urfprünglichen Chriftenthums darftellend, 
das Volksleben und die Kirche einander wieder näher bringen follten. 

Denn die Krankheit der chriftlichen Gefellichaft beftand nad 
feiner Ueberzeugung darin, daß der Klerus als eigene Kafte mit eige- 
nen Intereſſen und Gewohnheiten, mit eigener Sprache fid) vom Volke 
getrennt hält, während er fich felbft auf eine dem geiftlichen Alterthum 
unbelannte Weife in hohen und niederen Klerus fpaltet. Ja die brüder- 
lie Verbindung der Biſchöfe unter fich ift gelöft. Die Wurzel diefer 
Schäden ift der weltliche Länderbejit, der Xehensverband, worein der 
Epislopat im Drang der Zeiten eintrat. Papſt Paſchalis IL war 
daher auf dem rechten Wege, ale er im Jahre 1110 in dem großen 
Rweſtiturſtreite auf die Lehen des Reichs im Namen der Bifchöfe 
verzichtete, worüber ihn diefe aber bekanntlich hart anlieken umd ihn 
zum Widerrufe nöthigten. So blieben die Kirchen weltliche, unfreie 
Rationalfirhen, in alle politifche Streitigkeiten und Intereſſen ver: 
flochten; e8 war und ift daher natürlich, daR der Staat ein Recht auf 
die Ernennung der Bifchöfe beanſpruchte. Die Geiftlichen wurden 
dadurch aus Männern Gottes Männer, Beate des Könige, fie wa⸗ 
ven innerlich fäcularifirt, ihre Pfründen cin Gegenftand des Gelüftens 





Kichenflaat, Kirche und Nationalſtaat. 0 


für Habgierige, des Neides für das Vol Daher genießt der Klerus 
nicht mehr der Achtung umd des Vertrauens bei dem Volle, welche 
ihn zu einem Bollwerke gegen die Revolution machen könnten. Viel 
mehr wird er wohl erſt durd die Revolution von der Sklaverei des 
Fendalismus befreit werden. 

Dadurch, daß der Bapit fouveräner weltlicher Fürſt geworden: ift, 
bat er ſich über die doch minder begüterten, halbfouveränen anderen 
Biſchöfe unmäßig erhoben, indem er Appellationen und Nefervationen 
zur Kränkung ihrer kirchlichen Gerichtsbarkeit beanjpruchte. Der Papft 
flog Bündniſſe und Verträge mit anderen Fürften im Intereſſe 
feines weltlichen Fürſtenthums, worin er Intereſſen der Kirche, na- 
mentlich ihr Juwel, die freie Wahl der Biſchöfe, den Fürften opferte. 
Rosmini z0g aus dieſen feinen Vorderfügen nicht felbft den noth- 
wendigen Schluß, daß der Bapft fich des Kirchenitantes begeben folite. 
An feiner Statt thaten es die Feinde feiner Kongregation, die Jeſuiten, 
welche diefelbe als das evangelifche Gegenbild ihres Ordens haften. 
Diefe feine Feinde wie liberale Freunde Rosmini's brachten feine will 
fürlich gehenunte Gedankenentwidlung in Fluß. 

Rosmini ftarb zu früh, um über das Verhältniß des nationalen 
Einheiteftaats zum Papftthum fein Votum abgeben zu können. 

Dölfinger fagt Seite 649: „ALS in biefem Frühjahre (1861) 
Pape Hennefſey im hbrittifchen Parlamente beredt zu Gunften der 
papſtlichen Rechte geſprochen, forderte ihn Layard auf, er möge einen 
einzigen getftig bedeutenden Dann in Italien nennen, der in der Frage 
des Kirchenftaats auf der Seite der püpftlichen Regierung ftehe. Hen⸗ 
neſſey wußte nur Ginen zu nennen und diefer war — der Jeſuit 
Serdi. In der That haben fich ſelhſt zwei geiſtig hervorragende 
Märnmer im Klerus dafür ausgefprochen, daß der Kirchenſtaat, wer 
nigiten® in feiner jeßigen Geftalt, aufhören und umgewandelt werden 
möge, nemlich Bafjaglia und Zofti (Benediltiner von Monte Eaffino).“ 
So Döllinger. 

Es ließe fi von den Zeiten Rosminis ab eine Kette von ita- 
lieniſchen Prieſtern aufweifen, welche zugleich die Befreiung der Kirche 
umb Italiens durch Säkularifirung des Kirchenftants verlangten. Unter 
ihnen würde der demokratische Theokrat Pater Ventura eine intereffante 
helle einmehmen. Wir wenden ums aber fofort zu Paſſaglia, 


86 Hermann Reuchlin, 


weil ſeine Schrift das Eis gebrochen hat, und weil er zu Aufang des 
Jahres 1861 mit Wiſſen des Papſtes, und, wie wenigſtens verſichert 
wird, im Auftrag von Kardinälen zwiſchen Rom und Cavour ale 
Träger von DBermittlungsvorfchlägen hin und her reifte, bis Pius im 
März durch feine Altokution jede Verftändigung von ſich ftieß. 

Nicht die Neuheit der Ideen, fondern die alterthümliche Kirch⸗ 
lichkeit der Beweisführung charakterifirt feine erfte Schrift. Man 
muß von ihm fagen, was aud) von den Staatsfchriften Gioberti's 
gejagt wurde, fie verläugnen den Seminariften nicht. So wenig dies 
nah dem Geſchmack unfrer Liberalen fein mag, Yorcade bemerkt 
richtig, daß die meiften jetzt reifen Männer in Stalien eine Art von 
Seminarerziehung genofien; es muß fie daher wie eine fromme Ju⸗ 
genderinnerung anmuthen, eine ganze Wolle von Kirchenvätern und 
Heiligen für ihre nationalen Wünfche auftreten zu fehen. 

Demgemäß beginnt PBafjaglia mit dem Axiom, daß die Wahrheit 
ſich nur auf Autoritäten geftüßt Geltung zu verſchaffen wiſſe. So- 
dann betheuert er, daß er guter Katholik fei, daß es ſich nicht um 
ein Dogma handle. Ein Parallelismus finde allerdings Statt; denn 
wie im Dogma ber Trinität und in der Chriſtologie durchdringt fich 
in der Lehre von ber Kirche unzertrennlich Einheit und Mehrheit. 
Nachdem der Lehrberuf des Einen Prieſterthums auf eine für den 
ftrengften Katholiken beruhigendfte Weife weitläufig (fcheinbar über- 
flüffig) nachgewieſen ift, wird gezeigt, daß auch die Laien nothiwendig 
zur Kirche gehören; man barf es alfo nicht darauf ankommen Laffen, 
fie zu verlieren. Auch ift e8 Ein Prieftertfum bis zum Papfte 
hinauf, und jeder Priefter hat das Recht, ja nad) Lmftänden, wenn 
e8 gilt der Gefahr bed Schisma vorzubeugen, die Pflicht, über ‘Dinge, 
worüber die Kirche noch nicht beſtimmt entfchteben hat, feinen Oberen 
bie Wahrheit zu fagen. 

Nachdem Paffaglia die Herrlichkeit der Kirche bewundert hat, 
feufzt er: „aber der Anblid der kirchlichen Gefellfchaft in Italien 
erregt mir einen lebhaften tiefen Schmerz.“ Cr läßt fich durch den 
Mund mehrerer Kirchenväter tröften; aber der Schmerz übermannt 
ihn ‚wieder, „denn wer ift fo blind nicht zu fehen, daß das ittalieni- 
je Volk in einer Lage ſich befindet, die e8 der dringenden Gefahr, 
aus dem Paradies der Kirche auszutreten, gegenüberftelt! Schon 





Kirdenftaat, Kirche und Nationalftaat. 97 


bat fi ein Theil der Italiener und gerade eine ausgewählte Schaar 
von diefer Mutter getrennt. Der Statthalter Ehrifti und die Bi⸗ 
fhöfe ftrafen, verwerfen, verfluchen einftimmig Alles, was alle Ita⸗ 
liener von jedem Alter und Stand heiß erfehnen und mit Muth ver- 
folgen. „Aber,“ jagt ein Heiliger: „Woher kommt es denn, daß 
die Hirten nur von ihrer Macht zu binden Gebrauch machen? Wollen 
ſich auch die Italiener vom orthodoren Glauben losſagen? verachten 
fie vielleicht die höchſte geiſtige Autorität des Oberprieſters in Rom ? 
— Nichts weniger als dies, fie leiften vielmehr mit Freuden ihren 
Hirten den von Gott gebotenen Gehorfam. Zurückgeſtoßen beginnen 
die Italiener das zweite und drittemal um Frieden zu bitten und er- 
Mären fich einmüthig bereit durch Thaten zu beweifen, daß fie nichts 
fo fehr wünfchen, als die volle Freiheit der Kirche.“ 

„Heißt aber dies nicht, da8 Wort St. Auguftins verachten: folfen 
uns unfere zeitlichen Herrlichfeiten vor den ewigen Errungenfchaften 
des Herrn gehen? Wird dadurch nicht das ärgſte Verbrechen, das 
Schema, herbeigeführt ?“ 

Zur Beruhigung frommer Seelen wirb jet nachgewiefen, wie 
in der ganzen Kirche Alles auf ihre Einheit angelegt ift. Das Epis- 
fopat hat die Blüthe der ganzen und der einzelnen Kirchen zum Zweck. 
Aber die meisten Kirchen in Italien find dur die Schuld der Bi- 
fchöfe nur noch) Schatten, nur noch einige gewähren den tröftlichen 
Anbli einer Heerde, welche ſich nicht ſchämt ihrem Hirten fich zu 
nahen. — Und nun ertönen die Klagelieder Sjeremiä über den Trüm- 
mern der h. Stadt. 

„Die Strafen der Kirche dürfen nicht unterfchiedslo8 anf ganze 
Maſſen gefchleudert werden, man mache bie Verbrecher namhaft. 
Wenn aber bie Veberzeugung,, welche man verfluchen will, die im 
Bolte herrichende ijt, jo erwäge man, ob nicht bie Ercommunication 
tödte, ftatt die Wunde zu heilen? — Worin befteht denn die Verſchul⸗ 
dung Stalins? Glauben unfere Gegner wirklich, eine Verfühnung 
wäre nur unter der Bedingung möglich, daß die Bifchöfe einen Rechts: 
bruch fanktionirten umb der Bapft fich einer tempeljchänderifchen Skla⸗ 
verei unterwürfe 7 — Was nun den durch Vertreibung der andern 
Iegitimen Fürften begangenen Rechtsbruch anbelangt, fo fagt Paſſaglia 
wit Chriſto: „wer hat mich zum Schiebsrichter über eure weltlichen 

Hißeciige Behfgritt VII. Bas. 7 


98 Hermann Reuclin, 


Dinge geſetzt?“ „Ich leſe in der h. Schrift, daB die Apoftel 
vor den weltlichen Richterſtühlen erfchienen, nicht um zu richten, fon- 
dern um gerichtet zu werden.” St. Bernhard fchreibt: „ihr Habt 
die Schlüfjel des Himmelreichs erhalten, nicht um die Beſitzer zeitli- 
den Guts, fondern um die Eünder auszufchließen. Weltliche Gren⸗ 
zen feftzuftellen ift Sache Weltlicher; der Beruf der Kirche ift ein 
höherer. Wozu foll fie ihre Sichel an eine fremde Erndte legen?“ 
Baffaglia verlangt ſomit Scheidung der kirchlichen und der weltlichen 
Gewalt; er verbietet ihr unter dem Vorwande, daß fie die höhere 
fei, ſich beliebig in bie weltlichen Angelegenheiten vergewaltigend ein- 
zumifchen. Jedes diefer Gebiete hat fein eigened Recht und feine 
Ordnung. 

Wenn Paffaglia ung manchmal an de Lamennais erinnert, fo 
tritt bei Belämpfung ber Legitimitätstheorie der vertriebenen Fürften 
die Caſuiſtik unferes Exjeſuiten widerlich hervor. Jener probabeln 
Theorie glaubt er eine mehr oder minder probable entgegenftellen zu 
können. Es wird bewiefen, „daß die Gerechtigkeit wie die Ungerech⸗ 
tigkeit des Urfprungs des Königreichs Italien mit Schein der Wahr- 
heit befämpft werden kann; eine Anzahl Berfonen vertheidigt feine 
Gerechtigkeit mit foliden, glänzenden Gründen.“ — Mean follte nicht 
auf Mazzinis Lehren allein die fittliche Anbrüchigfeit fo vieler Ita⸗ 
liener ſchieben; wenigftens eben foviel ift die jefuitifche Erziehung 
daran Schuld, welche über den Künjten ihrer Rabuliſtik und über 
ihren Autoritäten die oberfte, die de8 Gewiſſens zu wecken vergißt. 

„Die bedeutenditen Autoritäten aller Jahrhunderte find uneinig, 
ob die Völfer das Recht haben über ihr Schickſal zu entfcheiden, oder 
ob die Fürften ein unverlierbares Hecht auf fie befigen. Die Anficht 
der Rechtmäßigkeit der Conjtituirung Italiens ift aber um fo wahr- 
ſcheinlicher, als fie durch die That felbft legitimirt iſt. Allerdings 
ift das Recht der vollendeten Thatſache ebenfomwohl angezweifelt als 
behauptet. Doc fpricht ſich Ehriftus offenbar für fie aus, indem er 
fih den Zinsgrofchen geben läßt und fragt: weh iſt das Bild und 
die Ueberſchrift?“ — Auf diefelbe Trage erfchalle von Sicilien bis 
zu den Alpen bie jubelnde Antwort: Biltor Emanuel! „So haben 
nach die Bäpfte in den alten Zeiten die faktiſch Regierenden anerlannt, 
z DB. St. Gregor der Große den (wollüftigen Truntenbold) Phokee 





Kirchenftaat, Kirche und Nationalftaat. 99 


mit “Jubel begrüßt, ob er gleich feinen rechtmäßigen Vorfahren und 
deifen Kinder ermordet hatte!“ — Seltfames Borbild ! — 

„Bern man alfo der Lehre und dem Beiſpiele der Schrift und 
heiliger Päpfte folgte, fo würden die Bifchöfe den Namen „Eatholifche“ 
nicht über dem Webernamen „üfterreichijche, bourbonifche“ verlieren. 
Allein zeitliche Ehre und Bortheile find vielen Biſchöfen die Haupt- 
ſache; handelt es fi) darum zum Beiten der Seelen auf zeitliche Vor: 
theile zu verzichten, fo hält man diefe feft unter der Bethenerung, fie 
fein Gottes Sache.“ 


Die Disputation gipfelt in der Frage: „Kann man aber hoffen, daß 
fih die Bifchöfe dem Königreich Italien günftig bezeugen, fo lange 
der Papft der Nation den heißerjehnten Trieden verweigert? — Ges 
wis nit. — Daher müfjen alle Bemühungen darauf gerichtet fein, 
Bins zu bewegen, daß er diefen Frieden gewähre. Zwar hat der 
Papft feierlich dieje Bitte zurückgewieſen; allein feine Erklärung hängt 
mit feinem Glaubensartifel zufanımen, fie ift materieller irdifcher Na⸗ 
tur, wie das Königreich felbft. Cine Abänderung diefer Erklärung 
wäre alſo eben fo thunlich al& lobenswerth. Daher haben wir die 
fefte Weberzeugung, wie man das Papftthum bisher durch das Silber 
der Beharrlichleit glänzen fah, jo wird es bald durch das Gold feiner, 
die Rothwendigleit anerlennenden Nachgiebigkeit leuchten.” — Hält 
man den Krönımgseid des PBapites entgegen, fo antwortet Paſſaglia: 
fein Eid darf eine Feſſel der Ungerechtigkeit werden, für zeitliches 
Gut läßt fi) immer ein Aequivalent geben. 


„Aber, fagt man, der Verluft der weltlichen Majeſtät würde 
auch den der priejterlihen Macht mit fich bringen, mit dem Verluſt 
der politiſchen Unabhängigkeit wäre auch die Freiheit des Papites 
felbft gefährdet. Die davon überzeugten Bijchöfe werden daher den 
Bapit ermuthigen, mit derfelben Hartnädigfeit die Majeſtät des Für⸗ 
jten und die politifche Autonomie, wie die des Priefters und wie die 
Freiheit der Kirche zu vertheidigen.” — Tiefe Traurigkeit umhüllt 
den Geift Angefichts diefer dem chriftlichen Alterthum unbelannten 
Anfihten. „Dad Recht, die Majeftät, die Freiheit des Papſtes find 
göttlichen Urfprungs, fie find unveränderlich ; weltliche Souveränität 
tut nichts dazu. Allerdings darf der Glaube an ihn auf feine Weile 


100 Hermann Reuhlin, 


erfchüttert werden; aber eben der Slaube ift nur dann Glaube, wenn 
er nicht vom Zeitlichen, Veränderlichen abhängt.“ 

„Man fagt, deu Papft müfje doch die Ausübung feines Beru⸗ 
fes durch feine weltliche Souveränität erleichtert werden. — Keines⸗ 
wegs ift dies der Fall. Und die Kirche und der Papft haben keine 
Verheißung, daß fie von der Welt unangefocdhten bleiben follen, fon- 
dern die gewille Verheißung von Verfolgung, von Kämpfen und von 
fiherem Siege. Dagegen follen fie nicht mit weltlichen Diitteln einen 
Zaun aufrichten wollen.” „Wenn der Papft nur in Dingen des 
Sottesdienftes volle Freiheit genießen wird, fo mag er in weltlichen 
Dingen, wie andere Chriften, fogar den bürgerlichen Gefegen und einem 
weltlihen Fürften unterthan fein. Befteht dody nad) St. 
Auguftin unfere Freiheit darin, daß Gottes Gnade uns zu neue Krea⸗ 
turen macht, welche das Gute aus Liebe dazu vollbringen. Wer die 
Freiheit des Papites will, treibe ihn zur rechten Nachfolge Chrifti 
an! St. Bernhard ermahnt den Bapft, die weltlihe Gewalt, wodurd 
er nur zerftreut werde, als die ſchlimmſte Knechtſchaft von fich zu 
werfen. Denn, ruft er, was ift des Papftes unwürdiger, was ift 
ſtlaviſcher al8 mit Leuten, welche ganz in weltlichen Händeln, in 
Weltfinn verdorben find, jeden Tag, nein, jeden Augenblid ſich be- 
Ichäftigen zu mifjen?« — Zielt Paſſaglia mit diefem Citat etwa auf 
die „Prälaten ? 

„Mag es auch Zeiten gegeben haben, wo die Lage der Gefell- 
fhaft die Verbindung der weltlichen Gewalt mit dem Oberpriefter- 
thum zu fordern ſchien; die öffentlichen und die Privatverhältnifie 
find heut zu Tage fo verändert, dag Nichts auch für das Papftthum 
jelbft wünfchenswerther fein muß al® die Trennung von Schlüffel 
und Scepter. Dieje Tremung ift der eimmütbige, heiße Wunfch aller 
Derer, welche noch durch fremde Bajonette unter der päpftlidhen Re⸗ 
gierung gehalten werden. Es berrfcht die Ueberzeugung, daß die Weir 
bebaltung der weltlichen Macht den Ruin der Religion und des PBapft- 
thums (in Italien) herbeiführen müßte.“ 

Paſſaglia ift offenbar überzeugt, dab die Orthodorie feiner An⸗ 
fihten mit der St. Augufting und Cyprians ftehe und falle. Er 
geht auf die Kirche ber erften acht Jahrhunderte zurüd, vor der Ein- 
fegung des Kaiferthums, weiches den Bapft durch Wetteifer in bie poli- 





a see. 


Kirchenſtaat, Kirche und Nationalfiaat. ” 181 


tifche Rolle hineinriß. Ganz auf demfelben Boden mit Paffaglia ffank- 
vor zwei Jahrhunderten eine Gemeinfchaft von Katholiken, welche fi.-- . 


auch nicht aus der Kirche Hinausdrängen laſſen wollte. Bifchof Sanfen’ 
faßt Auguftins Lehre in das Wort zufammen: servitus Dei vera . 


libertas; Vergeiftigung der Kirche, Verinnerlichung des Glaubens, Ver: 
fechtung der Rechte der Nationalität charalterifirten die janfeniftifche 
Bewegung. Selbft Doktor Arnolds Interfcheidung von fait und 
droit, der änßeren Thatſache, worin Freiheit, Verfchiedenheit zuläffig 
if, vom Dogma findet feine Parallele bei Baffaglia, welcher aber 
noch zu viel vom Sejuiten beibehalten haben dürfte, um diefe Vor⸗ 
läufer anzuertennen. 

Bekanntlich hat es Paffaglia nicht an italienischen Brieftern ge⸗ 
fehlt, welche fid) an feine Seite ftellten. Der Jüngſte unter ihnen, 
Berfetti, erflärt das Papftthum für leb- und machtlos, feit es ſich 
ımter die Gewalt der Jeſuiten gab ; diefes ift beinahe gleichzeitig mit 
der Abſchließung feines Territorialitantes gejchehen. Seitdem habe 
das Papftthum aufgehört fich zu reformiren, e8 hat ſich von Europa, 
vom Fortfchritt losgetrennt. Dennoch verfpricht er dem Bapftthum 
eine große Zukunft, wenn es die weltliche Laſt von fich werfend, fich 
nur auf das reine Chriſtenthum und auf feine göttliche Einſetzung 
ftüßen würde. Ya er fürdhtet, e8 möchte dann den weltlichen Regierun- 
gen zu fehr imponiren. ‘Dem Kinmwurfe, das Königreih Italien 
würde den landesfäfligen Papſt als Unterthanen zu feinen Zwecken 
ausnügen, begegnet er durch die Verficherung, Italien würde fo Klug 
fein diefes nicht zu verſuchen, da es ſich dadurch von Papſtthum ab⸗ 
bängig machen müßte. Aus diefem Grunde ift es allerdings der Pfaff- 
heit überall fehr ärgerlich, wenn fie von einer Regierung nicht zu ihren 
Sweden gebraudjt wird. 

Berfetti gibt zu bedenken, daß durdy Verhinderung der Confoli- 
dirung des Nationalkönigreichs die Zerfplitterung Staliens in Repu⸗ 
bliken veranlaßt würde, wodurch gewiß aud Rom fich zur Republik 
fortreißen ließe. — Allein Nichts wäre der rothen Reftauration erwünſch⸗ 
ter, fie läßt fich durch diefe Perſpektive gewiß nicht zur Nadjgiebig- 
keit ftimmen! 

Es fragt ſich nun, ob Paſſaglia und Genoffen Wurzel im ita- 
lienifchen Klerns haben ? 


’ Der Berfafjer des interefianten Aufjages über Kirchenreform im 
u 8* im Julihefte der Edinburgh-Reviews, Jahrgang 1861, Nr. 231, 
“Mt nad) Döllinger wahrſcheinlich Cartwright. Er fucht nachzuſpuren, 


"., wvelche Geftalt der Gedanke der Treumung der weltlichen Souveräni- 


tät vom kirchlichen Oberprieftertfum in den einzelnen Orden und 
zwar in ihrer italienifchen Zunge gewonnen hat. Daß diefes in den 
DOrdenshäufern dieſſeits der Alpen weniger der Fall ift als in Ita⸗ 
lien jelbft, dürfte im Großen al® Thatſache anerfannt werden. Im 
Epistopat, wie wir fahen, hat andy in Stalien die liberale Anſicht 
weniger Anhänger. 


Dei der Uebung in der Selbftbeherrichung, bei dem durch ftrenge 
gegenjeitige Ueberwachung großgezogenen Mißtrauen und Vorſicht der 
Drdensleute ift es fchwer, von den im Schooße der Orden oder ein⸗ 
zeiner Abweichungen derfelben gehegten Anſichten über wichtige kirch⸗ 
liche Fragen zuverläffige Kunde einzuzichh. Mag auch die Gäh—⸗ 
rung der Geifter und des italienischen Bluts mande Zunge über Ge- 
wohnheit entfeſſeln, fo bleibt das Urtheil über die im Schooße eines 
Ordens entwidelten Anfichten ein fehr ungewiſſes. Es ift nicht zu 
bezweifeln, daß im Schooße des ftolzen Dominikanerordens eine tiefe 
Mipftimmung über das neue Dogma der unbefledten Empfängniß 
Mariens herrſcht. Nachdem fie Zahrhunderte lang nad) dem Bor: 
gang ihres großen Lehrers Thomas Aquinas biefe Lehre der Franzis 
kaner befänpft hatten, ift e8 für fie, die betrauten Hüter der Ortbo- 
doxie und Verwalter der Inquiſition, allerdings fehr ärgerlich, dag 
im entgegengejeßten Einne, für das „franzöfifhe Dogma,” wie die 
Staliener es nennen, entichieden wurde. Allein damit ift noch nicht 
bewiefen, daß der Orden die Forderungen der Nationalpartei unterftüße. 
Etwas mehr Grund möchten folgende Worte Cartwrights haben: 
„Es wird im Vertrauen behauptet, daß die populäre Korporation ber 
Rapuziner offenbar geneigt ift, gegen die weltliche Souveränität des 
Papftes zu proteftiren und thätlich mit der vorjchreitenden National: 
bewegung zu fympathifiren und fie zu ermuthigen. Es iſt jedenfalls 
gewiß, daß die päpftlichen Behörden an das Begründetjein diefer An- 
Schuldigungen glauben. Denn die Haltung des Ordens ift aufgefallen 
durch unzweibeutige Zeichen freier, populärer Anſichten, wie durch den 





e 


Kirchenſtaat, Kirche und Rationalftaat. 103 


Grad entichlofjener, ausgefprochener Kühnheit, welche mit der fonftigen 
Zurückhaltung contraftirt.“ 

Der Stammorden der Kapuziner, die Franziskaner haben jeit 
dem großen Kampfe des Kaiſers Ludwig ded Bayern gegen die fran- 
zöfifchen Päpfte von Zeit zu Zeit wieder ihre Abneigung gegen bie 
weltliche Macht des Bapftes an den Tag gelegt. Die Kapuziner hän⸗ 
gen befanntlich nicht blos mit dem Volke, mit feiner Stimmung eng 
jufammen, fie hängen auch von demfelben ab. Daher ijt obige Bes 
bauptung nicht ganz unwahrſcheinlich, und wie fie die Stärke der 
nationalen Bewegung beweifen würde, fo müßte diejelbe aud) durch 
den Beitritt diefes populärften Ordens, ja auch nur einer bedeuten» 
den Minorität defjelben befördert werden. 

Belanntlid find die Benediktiner in einem ganz anderen Sinne 
als die Kapuziner immer mit den edleren Regungen des Zeitgeiftes 
in Verkehr geftanden. Vom Boden ihrer alten Kultur aus haben 
fie demfelben uneigennüßig die Hand geboten. Nun fchreibt das Edin- 
burgh Review: „Es ift notorifche Thatſache, dag die Anfichten, welche 
die Benediktiner in Betreff der Verwaltung der Kirche, der politifchen 
Entwidelung Staliens als eines Ganzen und ganz befonderd in Be⸗ 
treif der weltlichen Macht des Papſtes befennen und verbreiten, der 
Art waren, daß jie dadurch feit einiger Zeit Gegenjtand des Verdachts 
für die höchiten Behörden wurden. Diejes war namentlich mit Monte 
Sajfino der Fall, von wo unter der bourbonifchen Regierung die Druder- 
prefjen entfernt wurden. Einige Monche wurden ausgetrieben, andere 
ins Sefängnig gejegt, unter ihnen Pater Papalettere, welcher jetzt die 
Mitra als Abt von Monte Caſſino trägt. Der bedeutendfte unter 
dieſen Wönchen, Pater Toſti, Verfaſſer der Gejchichte des lombar- 
difchen Bundes, wurde verbannt. Die katholiſche Rechtgläubigkeit diefer 
Männer ift über allen Zweifel erhaben. Die freifinnigen Anjichten 
derfeiben find in ihrer ganzen Ausdehnung in den Schriften Toftie 
zufammengejtelt. Sie beichränten fi) auf die Bereitwilligfeit, die: 
jenigen Stüde der kirchlichen Einrichtungen zum Opfer zu bringen, 
weiche gegen die Errichtung einer kräftigen italienischen Regierung 
anſtoßen, und in dem herzlichen Slauben, daß die Pflichten eines 
froumen SKatholiten und eines freien Bürgers in einem freien Staate 
fi vollkommen vertragen.” Wegen ähnlicher Weberzeugungen, welche 


104 Hermann Reuchlin, 


fich felbft in den ülteften Benediktinerklöſtern bes Kirchenftants, 3. B. 
in Subiaco fejtgefett Hätten, joll die Kurie fih zu Bifitationen ver 
anlaßt gejehen haben. 

Zu verwundern ift, daß der Engländer der in vielen Klöftern 
Siciliens herrfchenden Stimmung nicht erwähnt. Diefe auf ihre 
Charaktereigenheit eiferfüchtige Inſel hegt in ihren Klöſtern Hunderte 
von nachgebornen Söhnen der beften Familien, welche zu ben eifrigften 
Pflegern der Kultur gehören. Gut katholiſch im Dogma rühmen fich 
die Sicilianer, Weltgeiftliche, Mönche und gebildete Laien, daß fie in 
Fragen geiftlicher Gerichtsbarkeit und Oberhoheit „Broteftanten“ 
fein. Sie haben ihr glühendes Streben nad Unabhängigkeit ihrer 
Inſel unter einem eigenen Fürſten der Idee der italienifchen Natio- 
nalität zum Opfer gebracht; fie glauben daher auch dem Bapfte ein 
Opfer auf demjelben Altare anfinnen zu dürfen. 

In ber Hauptfache werden biefe Ordensgeiftlihen mit dem am 
Schluſſe des Aufjages von Cartwright mitgetheilten Briefe aus 
Montecaffino übereinftimmen: „Wir glauben,“ heißt es darin, „nicht 
an die Ewigkeit, noch an die Nothwendigfeit des Kirchenſtaats. Aber 
wir ımterwinden uns nicht die Stunde zu beftimmen, für welche der 
Rathſchluß Gottes die Ablegung der weltlichen Souveränität beftimmt 
hat. Daher möchte ich wohl die Kniee vor Pius beugen und ſprechen: 
Heiliger Vater, werfet diefe weltliche Laſt weg; fie ift biutig durch 
Kriege und Aufruhr, fie tft unerträglich ; denn in unfern Tagen laſ⸗ 
fen fich die Völker nicht mehr tragen, fondern fie wollen auf ihren 
eigenen Füßen gehen; fie ift böfe und jchädlich, da fie den Bufen der 
Kirche durch das Schisma zerreikt, unb fie betrübt das Herz der 
Menfchheit , welche mit Nationalitäten in fcehmerzlichen Wehen Liegt. 
Gebet diefe Laft euren Feinden Preis. Dann werdet ihr, während 
diefe an diefen trockenen Beinern nagen, allmächtig durch die Freiheit 
auf den Sinai jteigen, um da das Myſterium der Einheit der Heerde 
mit dem Hirten zu finden. Wenn mir aber Pius antwortete: 
Noch ift die Stunde nicht gefommen, — wolltet Ihr dann, daß ich 
mich gegen feine Autorität, als die eines ehrgeizigen Papites em- 
pörte? Ich glaube dies nicht, weil der Papft für uns Katholiken 
ein Menſch ift, welcher unter bem fräftigen Beiftande des Geiſtes 
(ebt, welcher nicht für vergängliche menſchliche Individuen herabitieg, 





Kirchenftaat, Kirche und Nationalſtaat. 108 


fondern für die unfterbliche, übernatürlihe Perfon der Kirche. 
Aber ale Menſch läßt der Papft es gefchehen, daß ich zu feinen 
Fügen mit ihm fpreche, denke und rathee Denn der Geift, wel- 
her weht wo er will, kann ſich aud durch das geſchaf— 
fene Bort, den Menſchen, offenbaren.“ 

So hat denn bie italienifche Nationalität mit ihren fühnen An- 
forderungen nicht blos ihre Staatsmänner, ihre Generale, fondern 
auch ihre Myſtiker. Und nichts ift kühner, nichts unbeugfamer als 


die Demuth ſolcher Myſtiker. 





Bei der gegenwärtigen Verflechtung der Intereſſen aller civili« 
firten Böller wird jede bedeutende lokale Frage zu einer europäifchen, 
ja zu einer Weltfrage. Aber keine von allen dieſen Tragen hat eine 
ſolche Ausbreitung und Verwachſung ihrer Wurzeln und Zweige mit 
denen auch der entfernteren Stämme, wie die römijche Trage. Deß⸗ 
halb ijt darüber nicht vom Standpunkte Eines Princips aus, weder 
von dem der Kirche allein, noch von dem der Nationalität, zu ent- 
ſcheiden. 

Staatsmänner werden dieſes auch gar nicht verſuchen. Roſſi 
hat 17. Februar 1848 — alſo unmittelbar nach dem Verfaſſungs⸗ 
verſprechen in Neapel, acht Tage vor der pariſer Februarrevolution — 
die Umriſſe der künftig noch möglichen Papſtſouveränität entworfen: 
„Sie ift nur noch thunlich, wenn man rein und ftreng das Weltliche 
von der Kirche trennt und jenes fäcularifirt. Dieſe weltliche Vers 
waltung wäre ganz in den Händen von Laien, und die Kirche würde 
fih iure proprio nur in der Perfon des Papfted an der Spige fin» 
den; die Kirche wäre ber König, aber nur der König (fie würde alfo 
regner, nicht gouverner). So würde die Kirche an Würde und fitt- 
lihem Einfluß mehr gewinnen, als fie an weltlicher Macht verlöre.“ 

Iſt zwiſchen diefer zwar von der Kirche jelbit nicht angenomme- 
nen Auffafjung eines jet von ihren Dertheidigern hochgerühmten 
Staatömannes und dem Angebot perfönlicher Souveränität für Bapft 
und Kardinäle durch Cavour und Ricafoli ein großer praftifcher Unter» 
ſchied? Dieſes Angebot hätte feinen Vorgang in ber Souveräni, 
tät, welche ein Monarch bei feinem perfönlichen Erſcheinen aud in 


106 Hermann Reuchlin, 


fremdem Staate behauptet. Daffelbe dürfte fogar für das König- 
reich Italien drückendere Bedingungen enthalten, als die Ausſchei⸗ 
dung eines Heinen Gebiets, fofern nur nicht ganz Rom darein einge: 
fchlofien wäre, — Sollte bier bei gutem Willen nicht ein neutraler 
Boden für Unterhandlungen zu gewinnen fein? Oder haben bie 
Stürme der legten vierzehn Jahre auch diefes Blatt der Sibylle 
zerriffen ? 

Roſſi verlangt, daß innerhalb des päpftlichen Gebiets dem Papſte 
freie Hand gelafjen werde in gemifchten Sachen — in Eheſachen, 
im Unterricht, bei Vermächtniſſen, Stiftungsvermögen,, Gütern in 
tobter Hand. Soviel Weltliches auch in diefe Dinge verquidt ift, 
obgleich der Papſt Vieles davon im Concordat mit dem erften Conſul 
an Frankreich aufgegeben hat, fo muß doch die Kurie diefes Alles 
überall, zumal in ihrer nächiten Umgebung verlangen. Der italieni- 
fhe Staat muß Viele davon verweigern, während er für die Frei» 
beit der Kirche in kirchlichen Dingen hinwieder ungleich mehr bietet. 
Es würde ihm fehr ſchwer werden, diefes Anerbieten zu halten. Denn 
während fi) die Kurie mit diefer Ambrofia durchaus nicht für be⸗ 
friedigt erklärt, murren viele Liberale darüber, daß der Staat weſent⸗ 
liche Rechte aufgeben wolle; die Sicilianer proteftiren dagegen auf 
Grund der Privilegien ihrer Inſellirche und ihrer jelbftändigen Ju⸗ 
riediltion. 

Mag man aber über die PBrincipien in Ewigkeit fortftreiten, es 
muß fich doch während des nächſten Jahrzehnts, wenn es nicht zu 
einem für beide Theile fehr gefährlichen Bruche kommen foll, ein 
modus vivendi zwifchen dem Papftthum und Italien anbahnen ; 
die Stellung Roms, Siciliend und vielleicht anderer Provinzen zur 
Kurie dürften dadurch eigenthümfich nünncirt werden. Durch zeit- 
weilige Entfernung des Papftes von Rom würde die nöthige innere 
Reifung vielleicht befördert. 

Eine Reform der Kirche auch in Punkten, welche zu Trient bei: 
nahe fo feit wie Dogmen feftgeftellt wurden, wird nidyt blos wegen 
Italiens nöthig werden. Doc das find innere Fragen der fatholi- 
fchen Kirche, welche intra parietes entfchieden werden mögen. Das 
durch Nichtitaliener verftärkte Kardinalcollegium wird dabei wohl äuch 
auf Laienftimmen zu achten haben, welche bereits von Männern wie 





Kichenftaat, Kirche und Nationalftaat. 107 


Segeller (Neue Studien und Gloſſen zur ZTagesgefchichte im Jahre 
1860. Nördlingen) erhoben werden. 

Möge doch Jeder, welcher in der großen jet vorliegenden Frage 
das Wort erhebt, in feinem Gewiſſen wohl erwägen, daß es hier 
nicht bartnädige Behauptung einer Parteianficht gilt, fondern "bie 
böchften Güter der Menſchheit, Wahrheit und Recht, für den Katho- 
liten feine Kirche. Seit den Zeiten der Longobarben, feit dem Fall 
der Karolinger war es die Politik der Kurie, eine einheimifche 
Macht, welche die Grundlagen eines italienifchen Reichs gelegt hatte, 
ſich befeftigen zn laſſen: wie oft Hat fie deshalb die Fremden nad 
Stalien gerufen! Die Einen werben baraus fchließen, daß die Kurie 
es auch ferner jo zu halten habe; fie mögen dann die Schuld ber 
Bergiftung des italienifchen Geiftes auf ihr Haupt nehmen. Andere, 
weiche ihr Vaterland lieben, werden nad dem Worte handeln: was 
du nicht willft, daß dir bie Leute thun follen, daß thue du ihnen 
auch nicht. 

Welcher von beiden legt das geiftesftärfere Zeugniß davon ab, 
dag er in Wahrheit an die providentielle, dauernde Berufung des 
Papftthums glaubt? 

Ein Mittel, fcheint es, würde eine ſchnelle, gründliche Entſchei⸗ 
dung herbeiführen und baffelbe wird vielleicht bald verſucht: das 
Zerhauen des Knotens, entfcheidende Siege der Waffen der Reaktion 
über Stalien und über — Oefterreih. Durch diefes Mittel würden, 
etwa die Lombardei ausgenommen, nicht nur die alten Xerritorial- 
gränzen wieder aufgerichtet werden, fondern gewiß auch ber Glaube, 
der Glaube an Mazzini, nein, — an Orfini und Genofien. 





III. 
Ueber Darftellungen der allgemeinen Geſchichte, insbeſondere 
des Mittelalters. 
Bon 


Max Bübdinger. 


Antritterede, gehalten bei Uebernahme einer ordentlichen Brofeffur der allgemeinen 
Geſchichte an der Hochichule zu Züri am 28. Dftober 1861. 





Hochanſehnliche VBerfammlung ! 


Unter den Gegenftänden, über welche ih an unferer Hochſchule 
während des nächſten Winterſemeſters Borlefungen zu halten beab» 
fichtige, ift die Gejchichte des Mittelalters nach Stoff und Umfang 
der bedeutendfte. Es fchien mir deshalb angemeſſen, an diefem Orte 
darzuthun, auf welche Weife der Begriff eines Mittelalters als eines 
großen Abfchnittes der Menfchengefchichte entſtanden ijt. 

Die Natur der Sache bringt es mit fi), daß die Entftehung 
diefes Begriffes nur im Zuſammenhange mit dem Gange der miver⸗ 
falhiftorifchen Studien und Anfchauungen überhaupt erörtert werden 
fann. Indem wir diefen Gang verfolgen, dürfen wir von einer Be⸗ 
merkung umfaffenderer Art ausgehen. 

Wie in dem Yeben der Völker und Staaten jede neue Stufe der 
Entwidelung die früheren vorausfegt und in ihnen ihre befte Erklärung 
findet, jo ift auch in der Auffaffung und in der Unterfcheidung der 
Entwickelungsſtufen unferes ganzen Geſchlechtes eine ftrenge Geſetz⸗ 
mäßigfeit allmählidher Aufeinanderfolge bemerkbar. Wenn irgendivo 





Ueber Dorfiellungen d. allgemeinen Geſchichte, insbef. d. Mittelalters. 109 


in literärifchen Dingen , fo zeigt fich aber zugleidy bei den bedeutend- 
ften Epochen diefer Aufeinanderfolge die Ruckwirkung der großen po- 
litiſchen Geftaltungen auf die geiftige Thätigkeit. Cine Beobadytung 
diefer Art läßt fich befonders einleuchtend bei den hierhergehörigen 
vornehmften Werten des Alterthumes machen — idy meine unter den 
gräco sitalifchen Volklern; denn die Analogien im Oriente, wenn 
fie überhaupt vorhanden waren, entziehen fid) unjeren Blicken. Aus⸗ 
geichlofjen bleiben bei unferer Betrachtung natürlid) auch die literä- 
rifchen Hervorbringungen, welche wenngleich bleibende Mufter hiſtori⸗ 
cher Kunft, nur einen einzelnen Staat oder einen engbegrenzten Zeit 
abfchnitt im Auge haben. 

Gleich das erite Werk, das unmittelbar in unfern Kreis gehört, 
die Hiftorien Herodot’s, faun als ein Erzeugniß des in der Nachwir⸗ 
fung der Perferfriege jlingft erjtandenen athenienfiichen Großſtaates gel- 
ten, in welchen der Berfafjer den cigenthümlichen Vorort des freien 
Griechenthums erfannte*). Wie die Arbeit erſt mehrere Jahrzehnte 
nad) den Greigniffen verfaßt ift, die fie Ichildern will, fo trägt fie 
bei aller Urſprünglichkeit in Auffafjung und Darftellung doc das 
Gepräge einer echten wiffenfchaftlichen Forſchung, welche nad) Mög- 
lichteit alle Völker des bekannten Erdfreifes und ihre Entwidelung 
umfaßt. Dem Herodot hat als legten Zweck zwar durchaus nur den 
epochemiachenden Kampf zwifchen Griechen und Berfern im Auge; 
aber er weiß in das Gebäude, welches er zu diefem Zwecke aufführt, 
eine Univerfalgefchichte einzufügen, mit einer Anmuth, welche auf die- 
fem Gebiete nie wieder erreicht worden ift, und mit einer verhältniß- 
mäßigen Volljtändigkeit, welche nicht anzuerkennen weder gerecht noch 
verftändig ift. 

Den Vorzug der Bolljtändigkeit hat man dagegen bereitwillig 
dem umfaffenden Werte des Ephoros zugeitanden, das, vor dem Un⸗ 
tergange griechifcher Freiheit, während der enticheidenden Kriege gegen 
Shilipp von Dlacedonien abgefaßt, als die rechte Grundlage einer all- 
gemeinen griechifchen Geſchichte gepriefen wird. Es verdient für die 
Gefchichte der Hiftorifchen Kritik an biefem überaus nüchternen For: 
ſcher hervorgehoben zu werden, daß er e8 ſich zum Grundfage machte, 





°) Niebubr Vorträge Aber alte Geſchichte I, 389. 


110 Max Büdinger, 


allemal nur den Zeitgenofjen der betreffenden Creigniffe volles Ver⸗ 
trauen zu fchenten *). 

Noch einmal hat es, als Aeranders Croberungen alle Weltver- 
hältniffe veränderten, Theo pompos unternommen, in der Weife Hero: 
dot's zahlreiche Völkergeſchichten in die Darftellung jüngftvergangener 
griechiſcher Gefchichte einzufügen. Die politifche Größe des macedo- 
nischen Philipp hat zu dem Werke wie feiner Benennung die Veranlaffung 
gegeben **). Wie Theopompos ſich aber felbjt rühmt die Mythen beſſer 
erzählen zu wollen als Herodot ***), jo kann man leicht denken, daß ein 
weſentlich anderer als ftofflicher Fortſchritt bei ihm nicht vorliegt. 

Um fo mehr aber müffen wir einen folchen bei Bolybios aner- 
fennen, indem er mit einer hiftorischen Methode von ganz anderer 
Schärfe als Ephoros, alles Unweſentliche und Sagenhafte bei Seite 
laffend, mit laut betonter Abfichtlichkeit, das eben eintretende Ereigniß 
der Begründung einer römischen Weltherrfchaft in feinen Urſachen zu 
erfaffen und in zufammenfaffender Darjtellung der Entwidelung der 
Mittelmeerftanten zu erklären weiß: eben mit dem Mangel univerjaler 
Anfchauung der Geſchichte in den früheren Werken glaubt er zum Theile 
das Erjcheinen des feinigen rechtfertigen zu können F). 

Die energifche Auffaffung der Völkergeſchichten bei Polybios, die 
ftrenge Folgerichtigkeit feiner Bemweisführung und der Anordnung feines 
Stoffes haben lange keinen Nachahmer im Alterthume gefunden : die 
große Maſſe der Lefer verlangte eben damals wie heute für die all- 





*) ITepd ubv yüp rwv xa° nuas yeyevnulvay tous axgıßforara AE- 
yoysas nıarorarovs jyovusde, negl BE ıuv nalumy rous ovrw dıefiovtes 
arıdavararovs £iver voulfouev. Müller Fragmenta histor. graec. I, 234 
n. 2. Seine nüchterne Art erhellt aus fragm. 1 und aus 119 über die Ur⸗ 
jachen des peloponnefiichen Krieges hiulänglid). 

++), _ di auto ualore napopungiva ynoas noos ıny Enıßoinvy ıns 
neoyuarelus dıa To undenore ıyy Eipwnnv Evmyoyevas toourov &vdon 
To nagancı, olov ToV 'Auuyrov &lkınnov. Philippicorum fragm. 27 ap. 
Müller I, 282. 

“) _ örı zul uudous Ev reis Eoroplas Eopei xgeirrov 7 as “Hoodoros. 
Ib. fragm. 29 p. 283. 

}) - undeva ru xas° nuäs mıßepljode rj ray xadolov nouyuc- 
zwv ovvrafe. 1, 4, 2. 





sr Ihuikibunge : ıhgrmmmmme Tessin. zum. : Zsmsien IT 


ganzur Gier zur Sr kuewıms: ur Zumimeäre al 
EU O3 3 

Ss S Sr SEOSECHEEERBETTIBE 
BEE ze 2 em Übsmerttreße ZUR 
zu Bes let BET mr 2= 2 25 um Sr Dim 
sulluz me zumiliss Teperrer Sinnen WO DE: ED 
WERE-ERG EEE BENME BiCI. Nur Sr f!I TW 
ZumE mi X Immer SUNE mi: Ic le 
gödsäsı_ ze BE zIemmimige 
ame 8 Züne Xu mc me ee Sei mb Zorgab 
Fexırız m men nme zeuermiemr Qi. Mr 
under Gedkuizer ze wozu — t WER 
Zuttilrnüßer 25 wrisenor ir 2 Seretee u Brei 
mei *", Fer zuifinnmer Geumnt er Ruta 
kur Jane, mr -uex Sehe of er m ine tk. 2 06 or 
Umeram x ler Aukson Aue ver = yohtrier Min 
em geunmmer Klang ScÄnmmmemeeeNe. 

Pisx wie, ze xt gricı arız nr Züihrenseeittang Mr 
Auffetun; sr alnrersers Geräeher na Tree Ie6 Trognk ie 
ihrem kei autsrde Zr meer or Nr Ratte dat 
Deustmsmrxiz beradshnpenren Peralemns ink et TRETEN 
Leritzlizugeu ter risıäen Geicaber azufır Ad lafın, pen Fer 
eine groie Yahl von Ztastragerduchten , weeidet in TUT enden. wit zu 
behandeln nicht wohl wermciten fazı. Ar für ie Audit der 
univerjalbiiteriichen Auihaunngen Yınd doch and dieſe Darſtelnungen 
von hoher Bedentung geweſen: von der Wirkung der großen Geſchicht 
ſchreiber gan; abgeiehen, muKten jo verbreitete Handducher er Koiſerzeit 
wie die des Florue, Fictor und Eutropiue die Vorſtelung nur 
immer mehr befeftigen, dab in dem Römerreiche dat eigentliche Welt 
reich gefonmen, deifen Entwickelung die aller anderen Wölker aufn 





*) Bol. Mommien, röm. Geſch. II, 427 fig. 
**) Sufficit enim mihi — apud posteros cum obtrontationis Invidin 
decesserit, industriae testimonium habituro. Prarf. 


110 May VBüdinger, 


allemal nur den Zeitgenoffen der betreffenden Ereigniffe volles Ver⸗ 
trauen zu ſchenken *). 

Noch einmal hat es, als Aleranders Croberungen alle Weltver- 
bältnifje veränderten, Theo pompo& unternommen, in der Weife Hero» 
dot’8 zahlreiche Völkergefchichten in die Darftellung jüngftvergangener 
griechischer Gefchichte einzufügen. Die politifche Größe des macedo⸗ 
niſchen Bhilipp hat zu dem Werke wie feiner Benennung die Veranlaffung 
gegeben **). Wie Theopompos ſich aber felbjt rühmt die Mythen beſſer 
erzählen zu wollen ala Herodot ***), fo kaun man leicht denlen, daß ein 
weſentlich anderer als ftofflicher Fortſchritt bei ihm nicht vorliegt. 

Um fo mehr aber müffen wir einen folchen bei Bolybios aner- 
fennen, indem er mit einer hiftorifchen Methode von ganz anderer 
Schärfe als Ephoros, alles Unwefentliche und Sagenhafte bei Seite 
laffend, mit laut betonter Abfichtlichkeit, das eben eintretende Ereigniß 
der Begründung einer römischen Weltherrichaft in feinen Urſachen zu 
erfaflen und in zufammenfaffender Darftellung der Entwidelung der 
Mittelmeerftanten zu ertlären weiß: eben mit dem Mangel univerfaler 
Anſchauung der Geſchichte in den früheren Werken glaubt er zum Theile 
da8 Erſcheinen des einigen rechtfertigen zu können F). 

Die energifche Auffaffung der Völtergefchichten bei Polybios, die 
ftrenge Bolgerichtigteit feiner Beweisführung und der Anordnung feines 
Stoffes haben lange keinen Nachahmer im Alterthume gefunden : bie 
große Maſſe der Leſer verlangte eben damals wie heute für bie all- 


— —— 
— — 


®) ITeol ubv yap tur za yuüs yeyernulvoy tous axgıßfarera 1- 
yorras nıororerovs jyovusde, nel IR ıwy naluımy rous ovrw dıefiovrag 
anıdavwraroug elvaı vouffouss. Müller Fragmenta histor. grasc. I, 284 
n. 3. Seine nüdterne Art erhellt aus fragm. 1 und aus 119 über die Ur- 
ſachen des peloponnefiiten Krieges binlänglich. 

**) _ di auto ualıora napopundivaı yroas noos ınv Enıßoinvy rijc 
npayuarelas dia To undenore ıyv Eipwnnv Evnroyeva toovrov ardem 
16 napanaı, 0109 zov 'Auuvrov $llınnor. Philippicorum fragm. 237 ap. 
Mäller I, 282. 

“) _örı zul uudous dvruis loroplas 2oei xgeirov 7 ws "Hoodoror. 
Ib. fragm. 29 p. 288. 

}) - undeva tar xa9' nuäs InıBedljadn: rj rev xa9olov neayud- 
ıuy owrafeı. 1, 4, 2. 





Ueber Darfiellungen d. allgemeinen Gedichte, insbe. d. Mittelalters. 111 


gemeine Geſchichte eher die Auffafjung eines Schulmeifters als die 
eines Staatsmannes. 

Als inzwilchen mit der Gründung der Smperatorenherrichaft auch 
der letzte unter den Mittelmeerftaaten in dem Römerreiche aufging, 
umd dieſes jelbft weit mehr als in den Zeiten der Republik den Cha- 
rafter eines einheitlich regierten Weltftaates gewann, da war die Aufr 
forderung nahe genug gelegt, da8 Werk des Theopompos in römifchern 
Sinne ımd in römischer Zunge wieder aufzunehmen: alle die Völker⸗ 
geichichten, die endlich in die griechifcherömifche einmünden, im Zu⸗ 
fammenbange zu erzählen. Das war nun das Werk des Trogus 
Bompejus, der felbft*) den ganz unpaffend gewordenen Titel phi- 
lippiſcher Geſchichten von feinem Vorgänger herüber und mit breiter 
Ausführlichleit das herodoteifche Recht der Digreffion in Anſpruch 
nahm **). Wie volltommen er Bedürfniß und Geſchmack des Publikums 
getroffen hatte, zeigte fich erft recht, als nad) etwa zwei Jahrhunderten 
jener Yuftinus, mit einem Fleiße auf den er ftolzer ift, als es fein 
Umverftand in der Auswahl rechtfertigt, feinen in zahlreichen Abfchrif- 
ten auf uns gelangten Auszug zufammenftellte. 

Man fieht, wie den großen Bhafen der Völterentwidelung die 
Auffaffung der allgemeinen Gejchichte von Herodot bi8 Trogus in 
ihrem Fortſchritte entſpricht. Wir mußten aber bei unferer nur bie 
Hauptmomente berüdfichtigenden Betrachtung felbft die bejonderen 
Darftellungen der römifchen Geſchichte außer Acht laſſen, obgleich fie 
eine große Zahl von Staatengefchichten, welche in ihr enden, mit zu 
behandeln nicht wohl vermeiden kann. Aber für die Ausbildung der 
univerfalbiftorifchen Anfchauungen find doch auch diefe Darftellungen 
von hoher Bedeutung gewefen: von der Wirkung der großen Geſchicht⸗ 
Schreiber ganz abgejehen, mußten jo verbreitete Handbücher der Kaiferzeit 
wie die des Florus, Bictor und Eutropius die Borftellung nur 
immer mehr befeftigen, daß in dem Römerreiche das eigentliche Welt- 
reich gefonmen, deifen Entwidelung die aller anderen Völker aufzu- 





*) Bgl. Mommfen, röm. Geſch. II, 427 fig. 
©) Suffeit enim mihi — apud posteros cum obtrectationis invidia 
decesserit, industrise testimonium habituro. Praef. 


113 Mar Büdinger, 


faugen beftimmt fe. Und diefe von Polybios zuerft wiſſenſchaftlich 
begründete Vorftellung hat denn auch die Gemüther nody lange Zeiträume 
hindurch unter einem ganz veränderten Staatenbeitande in idealer Täu⸗ 
fhung über die fortwährende Weitereriftenz des römifchen Weltreiches 
gehalten: von Formeln ganz abgefchen, die bis in unfer Jahrhundert 
gedauert haben, werden wir dieſem Gedanken bei Hiftorifern bis ge- 
gen das Ende des fiebenzehnten Jahrhunderts begegnen. 

Im Uebrigen aber verloren doch mit der Verbreitung des Chri⸗ 
ftenthumes und vollends feit dem gänzlidhen Siege beilelben unter 
Eonftantinus alle bisherigen Auffaffungen der Univerfalgefchichte einen 
großen Theil ihres Werthes. Mehr und mehr gewöhnte ſich die Le⸗ 
ferwelt, die biblifchen und die zunächſt an diefelben ſich anfchließenden 
Geſchichten als das Hauptfächlichite und Wejentlichfte zu betrachten. 
Dem neuen Bebürfniffe, das hierdurch entftand, fam noch unter Con⸗ 
ftantinus mit einer bei aller ihrer Kinfeitigleit anerkennenswerthen 
Seichichtlichkeit und auf eine reichliche Kenntniß der alten Autoren ge- 
ftügt, Eufebio® entgegen: er zuerft hat die Weberlieferungen der Bi⸗ 
bel und der erften Zeiten des Chriftenthumes in die Darſtellung der 
allgemeinen Gejchichte, chronologiſch geordnet, eingeführt. Sein Ueber- 
jeger Hieronymus übte alsdann in doppelter Beziehung den nad)» 
haltigften Einfluß auf die Auffaffung des folgenden Jahrtauſends: 
einmal eben dadurch, daß er diefen Eufebianifchen Kern *) hiftorifcher 
Ueberlieferung der heidnifchen wie der chriftlichen Vorzeit, mit zahl⸗ 
reichen Zuſätzen aus römischer Geſchichte und einer entfprechenden Forts 
fegung verfehen, in lateinifchem Idiom zugänglich machte. Weber: 
bied aber hat Hieronymus auch zuerft die weltgefchichtliche Entwicke⸗ 
Iung als ſolche aufzufafien gelehrt und zwar, wie man erwarten kann 


*) — Sciendum etenim est me et interpretis et scriptoris ex parte 
officio usum, quia et Graeca fidelissime expressi et nonnulla quae mihi 
intermissa videbantur adieci. 8. Hieronymi praefatio ap. Roncalli, ve- 
tustiora latinorum scriptorum chronica I, 7. Der befic Kenner des @egen- 
ſtandes Joſeph Scaliger meinte aber: si quis hodie ita ut fecit Hierony- 
mus Graeca verteret, non dico ab alienis, sed ut Actaeon a suis canibus 
mordicus discerperetur. Wngef. bei Bernays, Joſeph Juſtus Ecaliger 221; 
vgl. defien Bemertungen ©. 98, 





Ueber Darfielungen d. allgemeinen Geſchichte, insbeſ. d. Mittelalters. 118 


im Anſchluſſe an feine bibliihen Studien: die Weifjagung Daniels 
hat er im Widerfpruche gegen eine ältere und einfachere Erklärung *) 
auf vier Weltmonardyien gedeutet, die afjyrifch-babylonifche, die mediſch⸗ 
perfifche, die griechifdye und jene römische, welche nad) Hieronymus’ 
Worten „jest den Erdkreis innehat“ **), deren Eriftenz bis an das 
Ende der Tage ohnehin, wie wir wiſſen, in den Gemüthern feftitand. 

Nun findet ſich bereits in dem äußerft nachläffig gearbeiteten all- 
gemeinen Geſchichtswerke de8 Oroſius, einem nad) der heiligen Sie⸗ 
beuzaht ***) in Bücher gefchiedenen Abriffe, der zugleich als Handbuch 
und als Streitfchrift gegen die Ungläubigen dienen follte, diefe Auf⸗ 
falfung von vier Weltmonardyien mit Cinjchiebung des karthagifchen 
an die Stelle des perfifchen Reiches +) als die geiftige Grundlage der 
ganzen eigentlich biftorifchen Darftellung. Da Orofius fich wenige 
Jahre, nachdem die betreffende Schrift des Hieronymus erfchienen 
war, der mündlichen Belehrung deffelben erfreute, fo darf man wohl 
annehmen, daß er aus dem Munde des Sirchenvaters felbft die Deu⸗ 
tung der, Brophetenworte noch einmal vernommen, nach feiner Weife 
aber die Quelle verfchwiegen hat, welcher er feine in der Welthiftorie neue 





*) Daniel VII. 3 — 24 vgl. II. 37 fi. Ueber die wahre Bedeutung 
biefer fogenannten Weiffagung vgl. Hitig, das Buch Daniel (Leipzig 1850) 
16, 98 fi. Ueber die weitere Entwidelung der in ihr liegenden univerjalhifte- 
rifhen Idee in dem dritten fibyilinifchen Belang, der Offenbaruug Johannis 
und dem vierten Buche Esra vgl. Volkmar, über die Apolalypie ©. 2 ff.; 
über das vierte Bud Era ©. 7 ff. 

*) &. Hieronymi comment. in Danielem (opp. ed. Basil. 1516 V.) 
451 sq. 496 sq. 602 sqq. 

“=, Moerner de Orosü vita (Berolini 1844) p. 46 v. 87, p. 22. 

+) Quodsi potestates a Deo sunt, quanto magis regns, a quibus 
religuae potestates progrediuntuer. Si autem regna diversa, quanto 
sequius regnum aliquod maximum —? quale a principio Babylonicum 
et deinde Macedonicum fuit, postea etiam Africanum, atque in fine Ro- 
manum, quod usque ad nunc manet. — perquatuor mundi cardines quatuor 
regnorum principetus fuere — ut Babylonicum regnum ab Oriente, a 
meridie Carthaginiense, a septentrione Macedonicum, ab oocidente Ro- 
menum. ÜOrosius II, 1. 

Hißerikhe Zetcſcheia Vii. Band. 8 


114 Mer Büdinger,, 


Anſchanung verdantte*). Es war eben nur gerechte Vergeltung, wenn 
Anguftinns feinerjeits, im Gegenfage zu einer früher von ihm geäu- 
ferten abweichenden Meinung **), die Erflärung des Hironymus als 
die unzweifelhaft richtige pries ***), der Abweichung des Orofius aber, 
defien Wert doch eben auf Auguftinus’ Rath entftanden ift, nicht mit 
einem Worte gedachte. 

In der That blieb denn auch die von ihm gebilligte Deutung 
des Hieronymus das fefte Schema der allgemeinen Staatengejdyichte, 
nur dag nod im Anfange des fiebenten Jahrhunderts der Biſchof 
Iſidorus von Sevilla, während er ſich im Uebrigen der Eufebianifchen 
Chronik anſchloß, eine Abtheilung der geſammten Menſchengeſchichte 
in ſechs den Schöpfungstagen entſprechende Weltalter einführte +), 
deren letztes mit Chriſti Geburt und Auguſtus Erhebung beginnt. 

Hier bei dem Eintritte in eine Zeit tiefſter Verwilderung und bei⸗ 
nahe völligen Erlöſchens aller wiſſenſchaftlichen Thätigkeit, aus welcher 
oft unſere beſten Nachrichten von ſtammelnden Chrouiſten berrühren, 
die, wie ſich Einer mumwunden ausdrüdt „der bäuriſchen Beſchränkt⸗ 
beit ihrer Anfchauungen“ fich volllommen bewußt find, bei dem Eintritt 
in diefe Zeit vergegenwärtigen wir uns noch einmal das kümmerliche 
Material, in welchem für die erwachfenden romaniſch⸗germaniſchen 





*) Hieronymus in Danielem gehört vor das Jahr 410, Teinesfells 
fpäter; cap. Il. gehört in da8 Jahr 407 (Bernays über die Chronik des Sulpicius 
Gervus 28). (Clinton fasti Romani II, 468), Oroflus Befuc hei Hieronymus 
in das Jahr 415; deſſen Geſchichtowerk entftand 416—417 (Moerner 28,26,88). 

**) De civitate Dei XVII, 17 XIV, 2 (cf. 22) hält das alte Baby 
(on und das neue, Rom, für zwei Weltreihe, zwiſchen Beiden das ſikyoniſche 
und ägyptiſche. 

“**, Quatuor illa regna exposuerunt quidam Assyriorum Persarum 
Macedonum et Romanorum. Quam vero convenienter id feoerint, qui 
nosse desiderant, legant presbyteri Hieronymi liprum in Danielem satis 
diligenter eruditeque conscriptum. De civ. Dei XX, 28. Id erinnere 
übrigens daran, daß vor Drofius Werk die zehn erſten Bücher de civ. Dei erw 
fjienen waren (Orosii prol. ad Augustinum), 

+) Das kommende fiebente Weltalter fümmert Iſidorus wenig: Resi- 
duum saeculi tempus humanse investigationi incertum est; — unus- 
quisque ergo de suo cogitet transitu — ; quando enim unusquisque de 
saeculo migrat, tunc illi oonsummatio saeculi est. Roncalli II, 462. 





Ueber Darftellimgen d. allgemeinen Geſchichte, insbe. d. Mittelalters. 115 


Nationen zunäcft die ftoffliche und ſyſtematiſche Kenntniß der Uni- 
verſalgeſchichte beſchloſſen lag. Bon den Darftellungen des Herodot 
und Theopompos, ſowie anderer älterer Autoren lag der Juſtiniſche Aus- 
zug aus Trogus Sammlung vor: eine und die andere Nachricht bes 
Bolybios und der beiten Geſchichtsſchreiber Roms, war, zum Theil auf 
Unmmegen, in das Werk des Drofius übergegangen*): für die rö- 
nische Kaifergefchichte und alles Chronologifche blieb Hieronymus, für 
die periodifche Anordnung der Thatſachen wurde neben ihm etwa nod) 
Mdorus maßgebend. 

Eben in den duntelften Jahrhunderten, die mit den karolingiſchen 
Schulen ein Ende finden, find die Arbeiten des Hieronymus von un⸗ 
vergleichlicher Wirkſamkeit gewejen. „Auf dem Fleiße des feligen In⸗ 
terpreten“ beruht **) die Schrift „von den ſechs Weltaltern“, welche ein 
Yahrhundert nad) Iſidorus und nach dem Vorgange dejjelben abthei- 
iend, jener ehrwärdige Angelſachſe abfaßte, der alle Gebiete des Wiſ⸗ 
jene, wie fie etwa noch in den letten Zeiten des abendländifchen Kai⸗ 
ſerthumes behandelt wurden, mit eindringendem Eifer bearbeitete. In⸗ 
dem aber Beda in der genannten Schrift die Darftellung der Welt: 
begebenheiten an dem Leitfaden der Folge byzantinifcher Kaifer in einem 
kurzen Abriffe bis auf feine Zeit fortführte, ift er der Gründer einer 
allgemeinen Geſchichte für die Jahrhunderte der Völkerwanderung ge- 
worden. Bon diefer Quelle gehen von nun an alle Weltchronifen un» 
abänderlih aus. Ä 

Eo viel ich fehe, ift nur eine Ausnahme von diefer Regel aus 
dem karolingiſchen Zeitalter zu verzeichnen. Ein weftfränfifcher Bifchof 
Frekulf hat, wohlim J. 830, der Kaiferin Yuditta eine auf ung ge- 
kommene aus zahlreichen Autoren zuſammengeſtellte Weltchronif über: 
reicht, welche neben mäßigen Reminiscenzen an die hergebrachten An- 
ſchauungen von Weltaltern doch nad, ihrem Beſtande wie ihrer Deko; 





*, Bolybios hat er zwar citirt, aber nur durch Vermittelung des Livius 
benutst ; eine unmittelbare Benukung des Herodot bfeibt unglaublich. Bgl. 
Moeruer 50, 103 sag. 

*°) Haec decursu praeteriti saeculi ex hebraica veritate prout po- 
tauimus elucubrare curavimus — qui per beati interpretis Hieronymi 
industriam puro hebraicae veritatis fonte potamus. Bedae de sex aeta- 
tbus liber. ed. Venet. 1505 (Giles’ Edition ift ınir hier micht zugänglich). 


116 Mar Bhdinger, 


nomie von der Maffe ähnlicher Chroniken ſich vortheilhaft unterſchei⸗ 
det. Wie es dem Derfafler früher von feinem Lehrer eingefhärft 
worden war*), in den Schriften der Alten, aud der heidniſchen 
Autoren der gefchichtlichen Wahrheit nachzuforſchen und feine Er: 
gebniffe bis zu Chriſti Geburt kurz umd deutlich zufammenzuftelfen, was 
er in feinem erften Bande ausführte, fo verfuhr er denn auch bei der 
eben der Kaiferin für feinen jungen Herrn Karl den Kahlen **) über- 
reichten Fortfegung; von den herkömmlichen Anfchauungen abfehend, 
führte er mit befonnener Erwägung ***) fein Wert bis zu dem Be 
ginne einer neuen Zeit, wie fie die Gründung des fränkiſchen und 
(angobardifchen Reiches, fo wie die eines eigentlichen Papftihumes durch 
Gregor I bezeichnet. 

Aber das fo bedeutende Werk Frekulf's wurde wie feine Oeko⸗ 
nomie wenig beachtet und gar nicht nacgeahmt. Was das neunte 
und zeimte Jahrhundert an Weltchroniten aufzuweifen haben, ift im- 
mer nur eine Wiederholung des Beda mit einzelnen Zufägen, im 
beften Falle mit neuer Zuratheziehung des Hieronymus und mit einer 
Anfügung fonftiger fremder und eigener Annalen bie auf die jedesmalige 
Zeit der Verfafler +). 





” — iussisti ut perscrutando diligenter volumina antiquorum 
seu hagiographorum sive etiam gentilium scriptorum quaecungue per- 
tinent ad historise veritatem diligenter ac lucide colligere desudarem. 
Praef. ad Elisacharum. (Freculphi ep. Lexoviensis chronicorum tomi Il. 
ed. M. Novesianus. Colon. 1589). 

**, In his enim (quinque operis mei libris) velut in speculo per 
tuae sanctissimae devotionis ammonitionem atque iussionem dominus meus 
Carolus gloriosissimus tuse filius excellentiae inspicere quid agendum 
vel quid vitandum sit poterit. Decet enim dominam te venerabilem 
unicum erudire filium. L. 1. fol. XCV a. 

***) _ ob amorem dominae meae augustae Iudith aggressus sum 
opus quod usque ad Gregorii eximii doctoris obitum perduxi. — Roma- 
norum iudicibus et Gothis ab Italia et Galliis depulsis, his Francis et 
Longobardis succedentibus in regnum. L. 1. fol. CLX a. Id gedenfe 
an einem andern Orte auf ben merkwürdigen Autor und feine Quellen näher 
einzugeben. 

+) Wattenbach, Deutichlande Gefchichtequellen im Mittelalter &. 118 
—180, 139 —141 ind für das Folgende 289, 272, 296 fig. 808-818. 





Ueber Darfkellungen d. allgemeinen Gefchichte, insbeſ. d. Mittelalters. 117 


Im elften und zwölften Jahrhunderte freilich find Weltchronifen 
entftanden,, welche einen Anſpruch auf höhere Bedeutung wenigftens 
von Seite des Materialed machen dürfen. Im elften war es nament- 
lich ein dem alamanniſchen Stamme angehöriger Gelehrter, der durch 
ftofflicde Erweiterung, chronologische Reinigung und eine nad) Haffi- 
ihen Muftern gebildete Form das herkömmliche weltgefchichtliche 
Schema verbeifert auf die Nachkommen brachte. Raſch nach einander 
wurden hierauf, zum Theil im Anjchluffe an diefen Vorgänger, in 
der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts und im Anfange bes 
zwölften von einem Irländer, dann in Franken und in Belgien drei neue 
Weltchroniten angelegt, auf denen ſammt ihren Yortfegungen bis in 
das fünfzehnte und zum Xheile bis in das fiebenzehnte Jahrhundert 
die weltgefchichtliche Kenntniß in der Regel beruht. Was fie, nad 
nnjerer Auffaffung nicht eben zu ihrem Bortheile, weſentlich von den 
früheren Arbeiten diefer Art unterfcheidet, das ift die chronologifche 
Regiftrirung und Cinfügung des bereits zu einer ungeheuren Maſſe 
angefchwollenen LXegendenftoffes: einzelne wirklich hiſtoriſche Thatſachen 
haben bei der auf Chronologie gewendeten Richtung der Zeit Daneben 
in der That eine Berichtigung erfahren, und der eine’ nnd andere von 
Reuem auftauchende römifche Hiſtoriker bot anderweitige gelegentliche 
Zermiehrung des Stoffes. Von einer eigentlich geiftigen Auffaſſung 
des welthiftorifchen Berlaufes ift bei Keinem von ihnen die Rede. 

Und doch hat das zwölfte Kahrhundert in dem Biſchofe Ottovon 
Freiſing, der während feiner Etudien in Frankreich in den Kämpfen 
der dort neu erftandenen Philofophie feine Anſchauungen zugleich ver- 
tieft und erweitert hatte, einen Dann hervorgebradjt, der es unterneh- 
men durfte, wenn auch im Anfchluffe an Ideen und felbjt an Formen 
des Auguftinus und Orofius*), die Gejchichte des Mienfchengejchlechtes 
von einem höheren Standpunkte zu erfaſſen. In feinem Buche „von 
den beiden Staaten“ **), dem irdifchen und dem himmliſchen, hat er 





©, Bequor autem in hoc opere praeclara, potissimum Augustinum 
et Orosium, ecclesiae lumina. Zueignung an Iſingrim (ap. Urstisium Germ. 
script. t. ]. p. 8). 

**) Hoc opus nostram quod de duabus civitatibus intitulavimus 
trifarie distinctum invenitur (1. I. p. 167); Petivit vestre imperialis 
maiestas a nostra parvitste quatenus liber qui ante aliquot annos de 


118 Mar Büdinger, 


den üblichen feit einem Menſchenalter chronologiſch geordneten Stoff 
der Weltchroniken freilich nur durch gleichſam zufällige, kritiſche oder 
fachliche Zufäße vermehrt. Aber das Buch ift doch bei all feiner trü⸗ 
ben Befangenheit von dem Werfalle diefer Welt ımd ihrem nahen 
Ende, bei all feiner Flüchtigkeit und leidenfchaftlichen Einſeitigleit ein 
ungemein bedeutender Fortſchritt geiftiger Freiheit gegen die bisheri- 
gen mit ftierem Blide an dem Materiale haftenden Chroniften. Wie 
der Berfafjer felbft in fpäteren Jahren es ausdrüdte: diefe in Bit⸗ 
terfeit des Gemüthes nad) Art einer Tragödie gefügte Gefchichte folle 
die Wechjelfälle diefer Welt erkennen lehren *). Auch Otto hält die da⸗ 
nielifche Prophezeiung von den vier Monarchien feft; auch er, wie alle 
bie anderen Chroniften diefer Zeit, findet einen Troſt in der Ueber⸗ 
zeugung, daß das vierte diefer Reiche, das römiſche, nunmehr an die 
Deutichen gebradjt, „bi8 an das Ende der Zeiten‘ **) beftehn werde. 
Aber er hat genug von dem Hauche des echten Geſchichtſchreibers, 
um die Phafen der Vergangenheit nad) eigenen Gefichtspunften zu 
fcheiden. Der Chronograph, fagt er, wähle da8 Wahre, fliehe die 
Lüge; fein Werk folle eine Zucht des Geiftes fein und jede Geiſtes⸗ 
zucht beftehe in Flucht und Wahl. Man begreift, wie neben ſol⸗ 
der Auffafjung der Hiftorie ein poetifches Gemüth, wie das des Ber. 
faffers, in wunderbaren Kombinationen ſich ergießen, wie es den Got⸗ 
tesftaat der Zukunft mit glühender Begeifterung malen Tann; vor 





mutatione rerum ob nubilosa tempora conscriptus est vestrae transmit- 
teretur serenitati (Ib. p. 5). In der erften Stelle if der wirllihe Zitel am 
gegeben, in der zweiten nur der Inhalt des Buches bezeichnet. So hält aud) 
Wattenbach S. 852 die Sache offenbar für völlig entſchieden, während Wilmans 
(Archiv für deutſche Geſch. X, 133) noch zweifelte. 

*, Nobilitas vestra cognoscat, nos hanc historiam, nubilosi tem- 
poris quod ante nos fuitturbulentia inductos, ex amaritudine animi scrip- 
sisse ac ob hoc non tam rerum gestarum seriem quam earundem mise- 
riam in modum tragoediae texuisse. Begleitichreiben an Kaifer Friedrich I. 
(. 1. p. 5). Id habe den Inhalt diefes und des oben citirten erfien Gates 
des Schreibens verbunden. Bgl. aud) V, 36, VI, 22. (p. 117 u. 129). 

**) hoc — usque in finem temporum — expectandum aestimans. 
Begleitichreiben an den Erzkanzler Reinald, woraus auch das Yolgende (1. 
L p. 6). 





Ueber Darſtellnugen d. allgemeinen Geſchichte, insbeſ. d. Mittelaltere. 119 


Allem aber ſucht Otto doch den urſachlichen Zuſammenhang der Dinge 
zu ergründen. Noch heute iſt überaus leſenswerth, in welcher Weiſe 
dieſer Geſchichtſchreiber in der politiſch und geiſtig ſo hoch civiliſir⸗ 
ten und ſittlich ſo tief verſallenen römiſchen Welt die Entſtehung des 
Chriftenthumes darzuthun weiß *). Freilich ſagt er einmal in alter 
Weiſe, von Conftantinus' Regierung an gebe es faft nur eine Geſchichte, 
die der Kirchere); aber er ſagt es, indem er mit dem Zuſammen⸗ 
fturze des weitrömifchen Reiches, mit der Beſitznahme Galliens durch 
die Franken ein neues Bud) beginnt, weldyes mit der Scheidung der großen 
Staaten des Mittelalters, mit dem Vertrage von Verdun, fchlieht ***), 

Man fieht: feit Frekulf und unabhängig von dieſem tritt uns 
bier zum erften Dale wieder eine Darſtellung der allgemeinen Ge: 
ſchichte im großen Stile entgegen. 

Auch Otto hatte in gewiſſem Sinne das Schidfal des Polybios: 
der geiftige Inhalt feines oft copirten, aus politiicher Gegnerjchaft 
verkürzten und interpolirten+) Werkes verflüchtigte ſich in wenigen 
Sahrzehnten in der Hand ftumpfer Schreiber, die weiter auf diejer 
Grundlage bauen wollten. Eine Compilation des folgenden dreizehnten 
Sahrhumderts, die auf einer etwa dem Yuftinus entfprechenden Stufe fteht, 
die des Martin von Troppau, hat an Dito’8 Stelle nur zu lange 
Schule und Leben beherrfcht. Martin tt) fand es bequem, mit einer 
jüngft aufgelommenen ärmlichen ſynchroniſtiſchen Erfindung wieder 
zu der Art des Hieronymus und Drofius zurüdzufehren, die für Otto 
doch nur Material waren, wie anderes. 





*) II. 51 uud Prolog zu III. (1. 1. 51 — 54). 

*%) Ac deinceps quis omnis non solum populus sed et principes 
catholici fuerunt exceptis paucis, videor mihi non de duabus civitatibus, 
sed psene de una tantum quam ecclesiam dico historiam texuisse. Pro- 
leg zu V. (1. 1. 100). 

®**) Nos qui ad ostendendas rerum mutationes res gestas scribi- 
mus bsc regni mutatione tanquam sufficienti argumento — huic quinto 
operi finem imponamus V. 86 l. 1. 117. 

+) Wilmanns im Archiv für ält. deutfche Geſch. XI, 18 ff. 

) Wattenbach Geſchichtsquellen 426. Ueber die von Otto von Freifing 
eingeführte paraficle Katalogifirung von Kaiſern und Päpften vgl. übrigens 
deſſen Brief au Reinald 1. L 6. 


120 Dar Bübinger, 


Und die alte Methode der Weltgeſchiche wurde denn auch in 
der Zeit des eudlichen Wicderauflebens der Wiſſenſchaften im fünfzehn⸗ 
tem, ja im ſechszehnten Jahrhundert nicht wieder verlafien. 

Eie wurde «8 natürlich nicht von den Gegnern der neuen Rich⸗ 
tung, wie denn etwa ein Kölner Karthäujer, der um 1470 ein noch 
lange vor anderen beliebtes Compendium ſchrieb, ansdrüdlich auf die 
religiöfe Gefahr hinweift, welche in einer Abweidhung von den chro⸗ 
nologifchen Feftiegungen des Euſebios und Hieronymms liege*) und 
bei dem Beginne der erften Monardyie mit Belus I den Leſer be- 
ruhigt: das fei jo von Eufebioß feſtgeſetzt. 

Aber auch die Vertreter der neuen Richtung wagten nicht, das 
alte Seleife zu verlaffen. Um Sie an ein Beifpiel aus der Echweiz 
zu erinnern, fo wußte im Jahre 1540 der Berner Arzt und Ehronift 
BaleriusAnfhelm in feinem vielbelobten Doppeltataloge der Zeiten 
amd Sürften, indem er fich für die alten Zeiten an die Fälſchungen 
des Annius von Viterbo hielt **), feine beſſere Eintheilung vorzuneh⸗ 
men, als nad) Beiden, den ſechs Weltaltern und den vier Monarchien; 
in einem Anhange gab er dann das Nöthigfte aus jpanifcher und 
franzöfifcher Regentengefchichte von Athanaridy und Faramund an. Ver⸗ 
ließ aber eine Chronik die gewohnte Bahn, wie z. B. die in Deutſch⸗ 
land gern gelefene des Nauclerus ***), welche nad) äußerer Bequemlichkeit 
die geſammte Geſchichte bis zum Jahre 1500 in zwei Abfchnitte vor 
und nad Ehrifti Geburt und jeden derjelben nad) ein Paar Dutzend 
Generationen ſchied, jo lag in der Veränderung doch nichts weniger 
als ein Fortichritt. 





*) Et quia periculosum est de magistrorum ecclesie iudicare sen- 
tentiis — — ideo Beda elegit modum Orosü, qui satis concorditer cum 
Hieronymo et Eusebio et aliis magis (wohl magistris) autenticis de his 
loquitur. (Rolewinck) fasciculus temporum ed. Colon. 1481 fol. 15. 6a. 

**) Annio Viterbiense antiquitatum perscrutatore omnium, quas 
eo tempore mihi videre licuit, diligentissimo tum materiam tum modum 
praebente. Catalogus annorum et principum per.D. Val. Anselmum Ryd. 
Bern. 1540. Aueignung an den Berner Rath. 

ve, Mauclerus nimmt 68 generationes bis zu Chriſti Geburt an, 51 
nachher. Im 93. 1500 wurbe die Arbeit nad; der Borrede bereits beendigt. 





Ueber Darfellungen d. allgemeinen Geſchichte, insbef. d. Mittelalters. 121 


Nimmt man dann die Chronik E arion’s zur Hand, die geradezu 
als ein Wert Melanchthon's gelten fann*), fo findet man natürlich 
ganz anders bei jenen älteren gründliche und umfafjende Kenntniß: 
die Namen nicht nur, fondern auch die Gedanken der großen Hiftorl- 
ter des Alterthumes treten wie zum Xrofte wieder auf; der eine und 
andere Autor aus der Zeit der Pölferwanderung, mit deren Ende 
Melanchthons eigentliche Arbeit fchließt, wird mit raſcher Erfafjung 
verwerthet; auf das nachdrücklichſte wird im Webrigen für eine echte 
Erfenntniß auf die Quellenjchriftiteller Hingewiefen **) ; die Erzählung 
endlich fhreitet trog der zunehmenden Ermüdung des Autors ***) les⸗ 
bar genug in möglidhjt ſynchroniſtiſcher Weife fort. Und inſoweit 
ift die Rückwirkung der humaniftiichen Studien auf die hiftorifche 
Forſchung und Darftellung einleuchtend genug. Sieht man nun aber 
auf die geiftige Durchdringung und Anordnung des Stoffes, fo fin- 
det man ſich durchaus wieder auf dem Standpunkte des Hieronymus 
und Iſidorus: die daniclifhen Weltmonarchien, nunmehr mit befonderen 
Beziehungen auf die Türken, werden genau nad) dem erfteren erklärt; 
ftatt der ſechs Weltalter des letzteren treten nach einer bedenflichen 
Weiſſagung des Elias ihrer drei auf, je von 2000 Jahren Länge, 
deren zweites mit Noah's Tode anhebt und mit Chrifti Geburt fchlieft. 
Es leuchtet ein, daß das Werk troß feiner anhaltenden Verbreitung 
in den Schulen auf die Weiterentwidelung der Hiftorifchen Anſchauun⸗ 
gen nur geringen Einfluß üben konnte. 

An die hergebrachte Form ſchloß ſich aber auch zunädjit das 
Buch an, welches für anderthalb Jahrhunderte in proteftantifchen 
Sanden und zum Theile auch in Frankreich auf dem Gebiete der all» 
gemeinen Geſchichte eine Herricherftellung gewann. Es ift das zwei Jahre 





*) Das Nähere in C. Peuceri epistola dedicatoria zu der Ausgabe 
von 1581. Melanchthons Borrede ift von 1558 datirt. 

**, Etsi autem necesse est iunioribus initio proponi talia com- 
pendia, tamen cum accedit aetas, legendi sunt fontes et historiae — 
eognoscendae sunt integrae. Epistola dedicatoria Sigismundo archiepis- 
copo Meideburgensi. 

æ) Fatsor, ut res est ut in longo itinere ita in hoc opere, quo 
longius progressus sum, co magis defatigatus sum. L. 1. p. 215. 


122 Mar Büdinger, 


vor Melanchthon's Arbeit erfchienene Wert des Johaunes Sleida⸗ 
nus, deſſen Inhalt der hervorragenbfte Kenner diefer Zeiten *) mit dem 
Urtheile geehrt Hat, daß e8 „wenige Compendien geringen Umfanges 
von fo gründficher Arbeit geben mag“: noch heute bildet daffelbe durch 
feine genauen, auf dieſem Gebiete zum erſten Male erfcheinenden Quel⸗ 
Imcitate, wie durch feine gedrängte Faſſung eine anregende Lektüre. 
Wie es nach ben vier Weltmonardhien genannt ift, fo gibt fih Slei⸗ 
danus noch einmal die undankbare Mühe, die Nichtigkeit der betreffen- 
den Prophezeiung in alle Einzelheiten nachzuweifen **). Uber neben 
diefer Abtheilung geht eine andere nad) drei Büchern; wenn fich 
nun Melanchthon . bei feinen drei Weltaltern noch von rein theologi- 
ſchen Geſichtspunkten leiten läßt, fo berrfchen bei dem befonnenen 
Geſchichtſchreiber Karl's V. die echt hiftorifchen vor ***). Schon bei Be⸗ 
ftimmung des Alters der Welt fchreitet er über den Kreis der kirch⸗ 
lihen Tradition hinaus; für feine Eintheilung der Gefchichte gibt er 
ihn nicht formell, aber doch ſachlich völlig auf. Sein erftes Buch 
endet wohl mit der Gründung der vierten, der römifchen Monarchie 
durch Cäſar; aber das zweite führt nun nicht alle folgenden Zeiten 
als ein Ganzes auf, fondern fchließt mit der Kaiferfrönung Karls des 
Großen, bei weldem Melanchthon nur zufällig geendet hatte , ein 
Ueberblid über die byzantiniſche Gefchichte bis zur Eroberung Con⸗ 
ftantinopel8 ift diefer Abtheilung angehängt. Sleidanus zuerft jah 
in dem erneuerten römischen Reiche nicht das alte, fondern mit dem 
großen Karl beginnt ihm eine neue Aera der Staatengejchichte, welche 
er in feinem dritten Buche bis zu Karl V. darftellt. Allmählich ſcheint 
ihm felbft der Name diefes neuen römifchen Reiches bedenklich ge- 
worden zu fein: „es beichränkt ſich“ jagt er „heutzutage nur auf Deutjch- 
land“, die Nachbarn und feine eigenen Glieder ſuchen es noch mehr 
berabzubringen ; „es ift ein gar Heines NReichslörperdhen“. 





*) 2, Ranke, deutiche Gefchichte (3. Aufl.) V, 383. 

**, Joh. Sleidani de quatuor summis imperis libri tres; — (con- 
tin. — Strauchii et — Schurzfleischii. Lipsiae 1698) 368 sqq. 

*#*) Ueber die Abtheilung nad) Weltmonardhien fagt er in der Zueignung 
an Herzog Eberhard von Wirtemberg kurz: commodissima autem est illa 
ratio quse totum huius mundi curriculum in quatuor imperia partitur. 

+) — ipsum quantulumcungus corpus imperii. L. L 867 44. 





Ueber Darfellumgen d. allgemeinen Geſchichte, insbef. d. Mittelalter. 198 


Man fieht Leicht, daB es nad Sleidan's Arbeit für einen unbe» 
fangen denfenden Menſchen nur eines weitern Schrittes bedurfte, um 
fi von der ganzen Willfür der vier Weltmonarchien zu befreien und 
die Scheidung der Völkergeſchichten nach innerlicher Verfchiedenheit 
vorzunehmen. Dennoch mußten, ehe e8 dazu kam, Einwirkungen von 
anderen Gebieten aus ftattfinden, deren ich hier an einigen hervorra- 
genden Bertretern andeutungsweije zu gedenken habe. 

Wenn die Forſchung auf einigen Gebieten des menſchlichen Wif- 
fen® feit dem fünfzehnten und fechszehnten Jahrhundert durch das 
Studium des klaſſiſchen Alterthumes erwedt, auf allen gefördert, an 
die Hervorbringungen der zunächjt vorhergehenden Zeiten aber nur 
mit dünnen Fäden geknüpft ift, fo muß das legtere auch ganz befon- 
ders von der Forſchung und, wie wir gleich hinzufügen dürfen, von 
der Darftellung der Gefchichte gelten. Von dem neunten Jahrhunderte 
bis in das fünfzehnte haben ſich wohl wieder Hiftorifer erhoben, welche, 
wie jie im Stile die antifen Mufter nahahmten, fo aud hie und 
da in antifem Geifte die Begebenheit zu erfaljen fi) bemühten; aber 
die echteften und größten Mufter aller Daritellung, wie fie nur die 
helleniſche Yiteratur bietet, waren ihnen verfchloffen und die Natur 
der dort niedergelegten, nur auf die volle, fchöne Wahrheit der Er- 
ſcheinung gerichteten Geiftesarbeit blieb ihnen im Wefentlichften fo 
unverftändlid wie unnahbar. 

Eben in Italien aber, wo das Haffifche Altertum zuerft wieder 
in dem Geijte der Menfchen lebendig geworden ift, da hat man auch 
zuerft auf hiftorifchem Gebiete den Bann jener Brophetenformeln 
gründlich zu durchbredyen und die Dinge in reiner Wirklichkeit zu er⸗ 
greifen und wiederzugeben gewußt. Mit ticfer Bewunderung lefen wir 
noch heute die Einleitung u Machiavelti’s florentinifchen Gefchichten, 
und fein Kundiger wird ſich an dein Irrigen einzelner Thatfachen jtoßen, 
die er berichtet. Eben der große Kenner der Borzeit, welcher in der 
detaillirten Darftellung allein das Ergögende und Belehrende der Hi- 
ftorie fand *), der aber doch die Erzählung von Florenz eigener Ber 





% Se niuna cosa diletta o insegna nella istoria, & quella che par- 
tieularmente si descrive. Istorie Fiorentine ed. Niccolini (Firenze 185#) 
p. 12. 


124 Mar Büpdinger, 


gangenheit bis ins dreizehnte Jahrhundert in ein Dugend Säge zu- 
fammendrängte — eben Macchiavelli begann fein unfterbliches Wert 
zum Unterfchiede von feinen Vorgängern mit einer Weberfidht über 
die Gefchjichte von ganz Italien. Erfüllt wie er.ift von einer echten 
Kenntniß der Antike, hebt er nicht mit den Nömerzeiten an, fondern 
mit den großen Wanderungen der Völker, welche, wie die übrigen Staa» 
ten des heutigen Europa, fo die des Stalien in Macchiavelli's Tagen 
gegründet haben : er ift der erfte Autor, welcher nicht mehr in ſchüch⸗ 
ternem Verfuche wie Frekulf und Otto von Freifing, fondern mit 
bewußter Entfchiedenheit in jener Völlerwanderung den Anfang einer 
neuen, von der früheren fcharf gefchiedenen Zeit erfennt. Er beginnt 
mit den Weberlieferungen des alten Gefchichtfchreibers der Langobar- 
den, welche den Leſer in den unlibertroffenen Formen der italieniſchen 
Proſa diefer Zeiten mit neuem Reize anmuthen. 

Aber die tiefe Erkenntniß Macchiavelli's hat die berfömmlichen 
Formen auch im fechszehnten Jahrhundert, wie wir fahen, nody nicht 
verbrängen können: zu fehr waren die Geifter von dogmatifchen Käm⸗ 
pfen und religiöfen Zraditionen erfüllt, um unmittelbar jene freie 
Anſchauung hiftorifcher Entwidelung fid) aneignen zu können. 

Aus ganz eng philologiſchen Studien vielmehr erhoben ſich zu- 
nächft mit fchulmäßiger Genauigkeit die Geſetze hiftorifcher Kunft, 
wie fie Gerhard Voſſius in dem nad) ihr genannten Werke nieder- 
gelegt hat. Muſter und Regel entnimmt Voſſius ausfchlieglich dem Al: 
terthume, für das er ſich aber doch volle Freiheit des Urtheils wahrt, 
wie er denn die dyronologifche Anlage des Thukydideiſchen Wertes 
wenig lobenswerth findet. Seine Beweisführungen fchreiten in rein» 
licher Sicherheit vorwärts und jtchen durdaus auf der Höhe des 
Gegenſtandes. Mit Behagen hebt er eine Stelle des Lucian hervor, 
der einen bei dem Unbedeutenden verweilenden Geſchichtſchreiber mit 
einem Manne vergleicht, welcher bei dem Anblide des Zeus von Olym⸗ 
pia vornehmlidy den kunſtreichen Schemel zu rühmen wilfe*). Man 
kann danach erniefjen, wie die Chroniften des dreizehnten Jahrhun⸗ 
derte, von denen ihm freilich in den Annalen von Colmar ein pe, 





*) G. Vossii ars historica (Lugd. Bat. 1658) p. 127, 686. 





Ueber Da rſtellungen d. allgemeinen Geſchichte, insbef. d. Mittelalters. 125 


ſonders engherziges Eremplar dienen muß, von Voſſius gründlich 
verurtheilt werden *). 

Diefen ausſchließlich der Schönheit und Wahrheit der Sache ent« 
nommenen Geſichtspunkt hält er auch für die Univerfalgefchichte ein, 
für deren Oelonomie er genau diefelbe Forderung wie für die Des 
tailgefchichte ftellt **): daß fie den innern Zufammenhang der Dinge 
darthuun und die Kegel nur aus ihrer eigenen Natur nehmen dürfe, 
Er verweift den Leſer einfach auf die von Diodoros aufgeftellten 
Geſetze. 

Trifft man nun eine von aller Tradition ſo entſchieden freige⸗ 
wordene Anſchauung bei dem ſtreng proteſtantiſchen Freunde der Toch⸗ 
ter Guſtaf Adolf's, fo begann man auch in den Jeſuitenſchulen, von 
der fteigenden Einfidht in den wirklichen Hergang der Dinge gedrängt, 
von dem alten Syſteme mehr und mehr abzulaffen. Schon ein halbes 
Jahrhundert vor Voſſius (im Jahre 1600) hatte Juſtus Lipfius, 
den man von feiner zweiten Belehrung an wohl hieher zählen darf, 
mit Ignorirung der bisherigen eine neue Eintheilung der allgemeinen 
Geſchichte in orientalifche, griechifche, römische und barbarifche vorge 
nommen umd dabei die römische ihrerfeits in eine alte, mittlere und 
nenere getrennt **®). Bald nachher (1633) hat dann eines der fcharf- 
finnigften und gelehrteften Mitglieder des Ordens Denys Petau in 
dem, Hauptbuche der Zeiten“, welches er im Anfchluffe an fein berühm⸗ 
tes chronologiſches Wert abfagte}), die ſechs Weltalter, übrigens 
etwas abweichend von Iſidorus, zwar an die Spike feiner Arbeit 





*, Ib. p. 66. Er weint die aunales Colmarienses maiores, wie fte 
Zaffe jet hergeſtellt und genannt hat. (Mon. Germ. Scriptt. XVII. 186, 
202 sqq.). 

*) Quomodo vero 7 xovij foropla« scribi debeat, cognoscere est 
ex iis quae hactenus de unius rei gestae atque unius imperii historis 
tradidimus. Ib. p. 87. 

e⸗) Die mittelalterfichen Autoren kommen fchledht genug weg: sed meam 
hanc barbariem varii scripsere atque ipsi fere barbarıi et addam barbare 
et extant Germanici, Gallici, Britannici scriptores cet. J. Lipsius Nico. 
Haquerillio epist. cent. III. miscell. 61 (opp. II, 281—288). 

+) Cum sit igitur duplex — huius libelli dos ac tum perpetuam 
sb mundi primordio rerum historiam, tum rationem temporis — exhi- 
best. D. Petavii rationarium temporum (Lugd. Bat. 1724) I. praef. 


126 Ä Mag Büdinger, 


geftelit; dieſe felbft aber ift nach ganz anderen, durchaus nüchternen, 
flachen und Leicht faßlichen Gefichtspunkten in acht Bücher getheilt, 
vier vor und vier nach Ehrifti Geburt. Im Stile und in der Tendenz 
des Ordens gehalten, tft diefe ſynchroniſtiſche Darftellung ohne Zweifel 
eines der beften Handbücher, welche die Jeſuiten aufzuweiſen haben. 
Aber es bedurfte doch einer andern geiftigen Thätigkeit, als der 
verftändlichen und gedrängten Meittheilung des Materiales, wie fie 
bei Petau vorliegt oder der älteren ftillen Negation eines Lipfius, um 
die allgemeine Aufftellung der Haffifchen Muſter, wie fie nad) Beiden 
Voffins vornahm, für die Auffaffung der Univerfalgefchichte wahrhaft 
nußgbar zu machen. Da ift denn der geiftesgeiwandte Minifter der 
Königin Anna von England, Lord Henry Bolingbrofe, von tief ein- 
greifender Wirkung gewefen. Die „Briefe über das biftorifche Stus 
dium“, die er aus feinem franzöfifchen Exile gefchrieben hat, übertragen 
zum eriten Male den Geift der freien und rüdfichtslofen Kritit, wie 
fle auf den Spuren des großen Proteltors in England erwachſen war, 
auf das Gebiet der allgemeinen Geſchichte. Ein Berftändnig kirchli⸗ 
her Fragen oder der Größe eines Papftes wie Gregor I. war, Ge 
rechtigleit gegen die ehrliche Thätigkeit der Männer, welche im To⸗ 
ben der Völferftürme mit roher Feder eine biftorifche Notiz malten 
oder die Reſte der alten Kultur, wenn auch in kümmerlicher Geftalt 
den folgenden Jahrhunderten überlieferten — ein Eingehu auf derar⸗ 
tige Verbältniffe darf man bei dem englifchen Freidenker nicht erwar- 
ten. Eufebios, der, wie wir fahen, der hiftoriichen Tradition den Stab 
lieferte, an welchem allein fie fi durch die dunkeln Jahrhunderte 
fortbewegen konnte — Eufebios hat mit feiner Verbindung von hei⸗ 
liger und profaner Gefchichte, nach Bolingbroke's Anficht „nur die 
Waffer getrübt”. Wie Voſſius verweift auch er, der wie feine Ges 
lehrſamkeit in Frivolität, fo feinen gemefien methodifchen Gedanken⸗ 
- gang in zufällige Laune zu hüllen liebt, auf die Alten, um feine 
Grundfäge zu rechtfertigen: er entnimmt dem Dionyfios von Hali- 
karnaſſos den Saß, daß Geſchichte nur eine durch Beispiele wirkende 
BHilofophie fei*). Aehnlich wie Otto von Freifing fieht er Gefchichte 





— ⸗ 


* Henry St. John lord viscounnt Bolingbroke, letters on the 
study and use of history. London 1752 p. 106, 128, 8, 14. 





Ueber Darfieliungen d. allgemeinen Geſchichte, insbeſ. d. Mittelalters. 197 


und Erfahrung als die Lehrer an in der Beifpielfchule, Welt genannt *). 
Mit aller Energie eines in glücklicher Leitung der Weltverhältnifie 
erfahrenen Geiftes verlangt er von einem Hiftorifer nächft der Er- 
kenntniß der Wahrheit durch Abhörung verſchiedener gleichzeitiger Zeugen 
ein detaillirte® Eingehen in den urfachlihen Zuſammenhang der Dinge. 
Die Römerzeiten find ihm die rechte Schule des Staatsmanues ; was 
auf fie folgt, will er nur kurz behandelt wiſſen; mit dem Ende des 
fünfzehnten Jahrhunderts beginnt ihm dann wieder — und feine Bes 
weife hierfür **) find von ımwiderlegliher Schärfe und Wahrheit — 
eine neue Zeit, die unferer heutigen Staaten, die unfered modernen 
Denkens; in wenigen Zügen entwirft er felbft, wenn auch mit par» 
teiifcher Feder, eine Meifterflizze von der Entwidelung diefes unferes 
Staatenſyftemes feit jener Zeit***). Für die Form empfiehlt er als das 
edle Mufter diefer Gattung vornehmlich das erfte Buch von Macchia⸗ 
vellis florentiniſchen Geſchichten +). 

In dieſen Briefen weht bereits der Geiſt, aus welchem Gib⸗ 
bon's unfterbliches Werk zwei Menſchenalter fpäter entſtanden iſt, 
der Geift, welcher den großen brittiſchen Hiſtoriklern ihre Richtung ges 
geben bat. Zu einer umfafjenden Auffaffung und echten Darftellung 
der allgemeinen Geſchichte aber ift es dort nicht gelommen ff). 

Und eben fo wenig in Franfreih. Eine Unzahl von Auflagen 





*) The school of example, my lord, isthe world and the masters 
of this school are history and experience. p. 18. 

“) — those modern compositions in which we find rather the 
heads of history, than any thing that deserves to be called history. — 
Naked facts without the causes that produced them and the circum- 
stances that accompanied them, are not suflicient to characterise actions 
or oounsels. Letters p. 124, 136 cf. 97, 107, 113, 102. 

**®, Letters 168 sqq. 391 sqq. 

}) I know nothing of this sort (of general history) well done 
by the ancients. — Polybius does not come up to this idea neither. 
Among the moderns the first book of Macchiavel’s history of Florence- 
is a noble original of this kind. p. 898. 

+r) Denn die große allgemeine Weltgefh. von Gray und Guthrie iſt in 
der That nad, Wachler's Ausdruck (Geſch. der hifter. Forſchurg und Kun II, 
b, 615) „nur eine Sammlung einzeluer Bölter- uud Staatengeſchichten“. 


128 Mar Büdinger, 


bis in unfer Jahrhundert beweift, weldyen Anklang Vofftus jüngerer 
Zeitgenofje Bo ffuet mit feinen Abhandlungen über die allgemeine er 
fhichte gefunden hat. Sieht man nun aber von der gewählten und 
ftitgerechten Form des Buches ab, das an dem Leitfaden der Bibel 
lebhaft converfirt, zuerjt über die zwölf Epochen bis zu Karl dem 
Großen, dann über die allgemeine religiöfe Entwidelung und endlich 
über die großen Reiche der Vorzeit, alles mit der Salbung eines geift- 
lichen Prinzenlehrers *) — fieht man, wie gejagt, von der Form ab, 
in welcher diefe Dinge vorgebracht werden, fo findet man ſich völlig 
auf den Standpunft des damald noch viel gelefenen Oroſius und des 
Ifidorus zurückverſetzt: noch einmal läßt Bofjuet ein fiebentes Welt» 
alter, das bis auf unfere Zeit reicht, mit Ehrifti Geburt beginnen. 

Es war vielmehr der deutfchen Wiffenfchaft vorbehalten, auch 
auf diefem Gebiete einen beinahe unüberjehbaren Stoff in gedanken⸗ 
mäßiger Folge darzuftellen. 

Wir gedachten früher des großen Yortichrittes, der in Sleida⸗ 
nu’ Arbeit lag, wie man von ihm an ſich gewöhnte, neben den Welt 
monarcdien eine aus der Natur der Ereigniffe geſchöpfte Dreitheilung 
anzunehmen, bei welcher der Zeitraum von Auguftus bis zu Karl 
dem Großen alte und neue Zeit fchied. Nun wurde es im fieben« 


zehnten Jahrhunderte **), vielleicht ſchon früher, bei den Philologen 





*) Der Anfang der dritten Abtheilung mag hier eine Stelle finden: 
quoiqu’il n’y ait rien de comparable & cette suite de la vraye église 
que je vous ai reprösent&e, la suite des empires, qu’il faut maintenant 
vous remettre devant les yeux, n’est guere moins profitable, je ne dirai 
pas seulement aux grands princes comme vous, mais encore aux par- 
ticuliers qui contemplent dans ces grands objets les secrets de la divine 
providence. Weber die unmittelbare Abfiht des Buches vgl. Ranke, franz. 
Geld. IV, 308 

”, In dem Bormworte, mweldes Du Gange 1678 dem index scripto- 
rum in feinem glossarıum mediae et infimae latinitatis vorfette, findet ſich 
der Sat: nominatos — inveniet (lector) — plerosque medise aetatis 
Latinos scriptores — sumptoque initio a collabente Latinitate, quod 
circa Antoninorum AA. tempora accidisse constat ad medium usque 
quintum decimum saeculum quo studiosorum opera rursum Latini elo- 





Ueber Darfteinugen d. allgemeinen Geſchichte, insbeſ. d. Mittelalters. 129 


üblich, etwa mit der Zeit der Autonine den Beginn eined Mittelalters 
einer media aetas für die lateinifche Literatur anzunehmen, welche 
mit dein Wiederaufleben der Wiffenfchaften im fünfzehnten Jahrhun⸗ 
dert endigte. Durch die verfchiedene Cintheilung bei den auf Slei- 
danus bafirten Hijtorifern und den Philologen findet ſich denn im 
Laufe des fiebenzehnten Jahrhunderts der Begriff eines mittleren Zeit- 
alters ganz willtürlich angewendet für Zeiträume von Auguftus bis 
in das fünfzehnte Jahrhundert. Als technifcher Ausdrud für eine 
beftimmte biftorifche Periode dürfte fich übrigens zuerft in der früher 
erwähnten Anleitung des Lipfius ein Deittelalter erwähnt finden, und 
zwar reicht es dort von Auguftus bis Conſtantinus. 

Und in ähnlicher Weife ſchloß noch Chriftoph Cellarius im Jahre 
1675 die alte Geſchichte mit Chriſti Geburt ab, indem er eine Heine 
Zortfegung bis zur Eroberung Conftantinopeld durch die Türken als 
Anhang beifügte. Aber eben diefer Gelehrte, der während der vielen 
Jahre, da er in Halle Profeffor war, nur einmal auf einem Spa- 
ziergange gejehen wurde — eben Gellarius überzeugte fi) allmählich 
von der Unhaltbarleit der alter Syſteme. ‘Da trat er denn von 
1685-1696 mit drei Bändchen voll des gewiſſenhafteſten Studiums 
hervor , einem weltgeidhichtlichen Handbuche in lateinifcher Sprache, 
in weldhem er im Weſentlichen die Eintheilung, die wir noch heute 
einhalten, aufftellte. Da fein Buch über alte Geſchichte zunächſt für 
junge Philologen beſtimmt war, jo glaubte er nicht länger mitten 
im Angufteifhen Zeitalter abbrechen zu dürfen und ſchloß nunmehr 
Die alte Gefchichte mit Konftantinus. Da ferner, wie er jagt *), 
der gelehrte Gebrauch Mittelalter nennt, was in die barbarifchen Jahr: 
hunderte oder deren Nähe fällt — man fieht wie ſchwankend noch der 
Begriff ift — fo umfaſſe fein zweiter Band eine Gefchichte dieſes Mit- 





qeii splendor eflloruit. Hier ift der Begriff ſchon ein ziemlich feftftehender ; 
ich hoffe vom philologiicher Seite belehrt zu werden, wo er zuerft auftritt. 

®) Accedit doctiorum loquendi consuetudo, qui illa medii aevi vo- 
cant, quae in barbara saecula inciderunt aut ab illis abfuerunt propius. 
Acsomodatius ergo facturi videmur, si antiquam ad Constantinum mag- 
zum, medii. asvi historiam ad Constantinopolis expugnationem deduce- 
mus. Praef. ad lectorem 16886. 

Hlberiite Brirfgeilt VII. Br. g 


130 Mor VBübinger, 


telalter8 von Gonftantinus bis zur Eroberung von Conftantinopel ; 
fein dritter die neue Zeit behandelnder Band kommt dann nach einigen 
leichten Andeutungen über das Zwifchenliegende raſch in das ſechszehnte 
Jahrhundert. — Cellarius ift nicht etwa wie fein jiingerer Zeitge⸗ 
noſſe Bolingbrofe ein Freigeift: an Bibelgläubigkeit darf er fich viel. 
mehr durchaus Bofjuet an die Seite ftellen”); aber er hat doch ges 
nug biftorifchen Forfchertalt, um — die Bibel ausgenommen — bei 
nahe mit Ephoros’ Ausdrude nur den gleichzeitigen Quellen volle 
Glaubwürdigkeit zuzugeftehen. 

Raſch genug fand diefe, wie wir fahen, der Entwidelung der Ideen 
über Univerfalgefchichte ziemlich entfprechende Eintheilung in Deutſch⸗ 
land und außerhalb deifelben Eingang **). Bereits in der erften 1725 
in deutfcher Sprache gefchriebenen Geſchichte des Mittelalters wird 
dafjelbe mit einer weiteren, vernünftig begründeten Modifikation ***) 
als vom Ende des fünften bis zu dem des fünfzehnten Jahrhunderts 
reichend angefehen. 

Nfuurlich konnte es nach Bolingbrote's Skizze kein Einfichtiger 
mehr verkennen, daß mit dem letzteren Zeitpuntte ein neuer Haupt» 
abfchnitt in der Geſchichte der romanifch-germanifchen Nationen und 
damit der Dienfchheit beginme, daß die äußerliche Abtheilung nach dem 
fachlich wenig bedeutenden Ereigniſſe der Eroberung Conftantinopels 
vor der verfchwinden müſſe, welche Bolingbrofe in jener tiefern und 
dauernden Umgejtaltung am Ende des Jahrhunderts feitgefegt hatte. 

Da haben denn ein Baar Göttinger Gelehrte nach den fo ge⸗ 
wonnenen Anfchauungen die jetzt übliche Eintheilung im Einzelnen feft- 
geſetzt und begründet, nad) welcher die drei großen Zeiträume ber all» 

*) Praestat in obscura antiquitate pauciora proponere quae divinis 
literis consentiant, quam conficta et falsa plurima jactare. Prooemium 
generale p. 8. (ed. Jen. 1708) der hist. nova beigegeben. 

*r Noch J. G. Echardt beftimmte übrigens 1725 anf dem Titel feiner 
befannten Sammlung das Mittelalter anders: corpus historicum medii aevi 
sive scriptores res in orbe universo — a temporibus maxime Caroli M. 
imperatoris usque ad finem saeculi p. C. n. XV. gestas enarrantes. 

) Die Hiftorie der mittleren Zeiten als ein Licht aus der Finſterniß 
vorgeftelt von Val. Ernft Löchern D. (Leipzig 1725) Borwert ©. 10 fi. 
253 fl. 





Ueber Darfiellumgen db. allgemeinen Geſchichte, insbeſ. d. Mittelalters. 181 


gemeinen Gefchichte durch die Abdankung des Romulus Auguftulus im 
Sabre 476 und die Entdedung Amerikas im Jahre 1492 geſchieden und 
der zwifchen dieſe beiden Jahre fallende Zeitraum Deittelalter genannt 
wird. Insbefſondere war Gatterer’s auf dem Gebiete des Sche- 
matifirens vielgeübtes Talent geeignet, diefe Tanonifche Feſtſetzung 
durch engere mehr oder minder wohlüberlegte Beriodifirungen in die 
Schulen einzuführen. Das eigentlich Geijtige und Entjcheidende aber 
an dem Aufbau einer fo von aller Tradition losgemachten Univerfal- 
biftorie hat der mit rüdfichtslofer Schärfe vorfchreitende, immer ftreit- 
fertige Genius Ludwig Schlözer’8 geleiftet. 

Auch Schlözer beſchwert fih in feinem Heinen, gedantenreichen 
Handbuche noch viel mit den Zeiten der Ur- und Vorwelt von Adanı 
bis Noah und Cyrus, aber doch nur um ihnen ein leidliches chrono⸗ 
Logifches Kleid zu geben: „erft mit der Gründung des perjifchen Reiches“ 
fagt er, „wird die Welt univerfalhiftorifch” und ihre Epochen treten bei 
Schlözer in großen, wahren Zügen hervor. Er erfennt, wie nod) 
der allgemeine Blick fehle, der „die Völker bloß nach ihrem Verhältniffe 
zu den großen Revolutionen der Welt fchäßt“. Cr geftand es zu- 
gleich, gegen Herder's unbillige Kritit, wenn nicht mit ausdrüdlichen 
Worten, doch ſachlich mit edler Beicheidenheit zu, daß er die Fähigkeit 
zn einer Darftellung von fo hohem Gefichtspuntte nicht befige, zu einer 
Darftellung des welthiftorifchen Verlaufes, die zugleich den Ideen der 
Boffins und Bolingbrooke entfpricht *). 

Und dazu gehörte denn in der That jene reiche Vereinigung gleichſam 
wideriprechender Gaben, wie fie Johannes Müller zu Theil gewor⸗ 
den ift — eine Vereinigung, welche diejen mächtigen Geiſt im Leben 
fo vielfach irren und das Urtheil der Nachwelt über feine öffentliche 
Thãtigkeit hart genug ausfallen laffen mußte. Seine „vier und zwan⸗ 
zig Bücher allgemeiner Geſchichten“ find eine Arbeit, die den Stem⸗ 
pel der bewegungsreichen Zeit vom Ende des vorigen Jahrhunderts 
an fich trägt, in welcher fie im Weſentlichen vollendet wurde, aber 
es ift doch das einzige Werk, welches die allgemeine Gefchichte in 
feft gefuglem Zufammenhange wie eine Einzelgeſchichte darftelft, wel« 

” u 2, Schlozers Vorftellung der Univerfalhiftorie (Göttingen 1776) 
2378 fi. 2384, 263-2370. 


182 Bar Büdinger, Ueber Darfichungen der aligem. Geſchichte x. 


des in ununterbrochener Ausführung die große Beiſpielſchule der 
Menſchheit kennen lehrt: mit tiefem Verſtändniſſe auch der mittleren 
Zeiten weiß es diefe Eontinuität in den dunfeljten Jahrhunderten feit- 
zubalten und aus ihnen die Quellen des mit dem ſechszehnten begin- 
nenden neuen politiichen Dafeins zu erflären. In vertraulicher Stunde 
Ionnte Johannes Müller bei diefer Arbeit, die ihn durch das Leben 
begleitet bat, jagen”): „Die Blätter der Annalen der Menſchheit find 
mir alle gleidy wichtig, und bin idy mit meiner Betrachtung allein bei dem 
unfichtbaren Führer aller Dinge, die im Himmel und auf Erden find.“ 

Andere bändereihe Werte über allgemeine Geſchichte find feit- 
den in Italien und überaus zahlreidy in Deutfchland erichienen. Was 
fie bieten, läßt ſich vielleicht mit den Leiftungen jener Chroniften des 
elften und zwölften Jahrhunderts vergleichen: auch die Eflchard von 
Aura) und die Sigebert von Gemblour haben damals höchft nütliche 
und unendlich vielgelefene Bücher geichrieben; jeder Heine Fortſetzer 
konnte bequem genug fich ihnen angefellen, jede folgende Chronik 
war nad) irgend einer materiellen Seite reicher als die vorige, wie 
heute bei den allgemeinen Geſchichtsbüchern vom Mittelfchlage allemal 
das in diefem Jahre erſchienene das beſte ift. 

Und fo kann jeder Schüler auf gar mander Seite von Müller's 
Lebensarbeit fein Beſſerwiſſen geltend machen; aber die innere Größe 
der Leiftung wird gegen ihres Scöpfers eigene Meinung **) aud) 
ferner beftehn bleiben, wie fie bis heute nicht übertroffen worden ift. 





% 4. Aufl. 1828, ©. IX. 
**) Bergl. Sr. Raumer Lebenserinnerungen. Berlin 1861. I, 80. 








IV. 


Das Berhältuiß von Heer und Staat in der Römiſchen 
Republik. 


Bon 
8.8, Risig. 





Es ift vielleicht feit Lange nicht durch die modernen Verhältniſſe 
der europäifchen Staaten die vergleichende Betrachtung der römifchen 
Berfaffung ımd der römifchen Gefchichte uns jo nahe gelegt worden, 
als in den leßten Jahren. 

Soll man die eigentlichen Knotenpunkte der politifchen Entwicke⸗ 
lung des letzten Jahrzehnte bezeichnen, fo ift der erfte vielleicht die 
Frage der Nationalitäten und ihrer politiichen Berechtigung, der zweite 
ift ohne Zweifel in allen Staaten der Romaniſch-⸗Germaniſchen Welt 
das Berhältniß der Deilitär- zur bürgerlichen Verfaffung, die doch erft 
beide zuſammen den Staat bilden. Allerdings fcheinen die ungeheue- 
ren Rüftungen eine Nothwendigkeit für alle, und fie bringen biefe 
Fragen dringend an die Gegenwart heran, aber doch nicht fie, doch 
wicht diefe augenblickliche Nothwendigkeit allein. Die gleichmäßige Ent- 
widelung der Kriegskunſt und der friedlichen Kultur hat ung feit lange 
ber immer dichter an die Frage herangeführt, wie ein vollfommen 
fchlagfertiges Heer mit einer volfflommen freien Verfaffung zu ver» 
einigen: fei. 

Macaulay fchildert noch gegen den Schluß feines Werks bie 
Debatten , die in England über die Nothwendigkeit und die Gefahren 
eines ſtehenden Heers 1697 geführt wurden. Bis auf Wan Smith 
waren von da an mweientlich alle Schriftfteller der englifchen Nation 


184 8. ®. Rise, 


einig über den Werth eines geworbenen Heers für die Bildung ihres 
Boll. Adam Smith felbft fieht in ihm das große Prinzip der Thei⸗ 
lung der Arbeit zum Schuß der Kultur glücklich angewandt, aber doch 
eben nur defhalb, weil der König als oberfter Befehlshaber, der Adel 
in den Öfftciersftellen diefe Waffe für die reichen und befigenden 
Stände zum Schuß gegen die Befiglofen in Händen haben. Dann 
ward in den großen franzöfifchen Kriegen die Frage immer von Neuem 
angeregt und die Ausdehnung der Waffenpfliht entweder gefordert, 
oder als eine Beſchränkung der perfünlichen Freiheit zurückgewieſen. 
Schon der amerikaniſche Krieg hatte die Frage im vollftändig entgegenge- 
fetten Sinn entfchieden, noch mehr in diefer Richtung wirkten die fran⸗ 
zöfifchen Kriege bis zur Einführung der allgemeinen perfünlichen Wehr- 
pflicht in Preußen. England fah jenfeitd und diesfeits des Oceans 
die Vollsbewaffnung in raſchem Fortſchritt begriffen und das Prin- 
zip, in feiner ganzen Konfequenz durchgeführt, brachte den Krieg zu 
Ende, an dem fich feine geworbenen Heere matt gearbeitet hatten. Es 
blieb dennoch bei feinem Syſtem und ift dabei in unferen Tagen auch 
noch in der Bildung der Freiwilligenkorps geblieben. Der Grund liegt 
auf der Hand. Sein Heer und deſſen Kriege haben die Verfaffung nicht 
afficirt, die Vollsheere dagegen erjcheinen immer von Neuem als ge: 
waltige Schöpfungen, die mit den englifchen d. d. mit den modernen 
Prinzipien bürgerlicher Freiheit kaum ins Gleichgewicht zu fegen find. 

Bon Frankreichs Schidfalen brauchen wir nicht zu fprechen. Die 
Deiterreihifche Monarchie erfcheint wefentlic in der Armee und nur in 
der Armee. Rußlands Militärverfaffung und die bisherige Verfaſſung 
feiner bäuerlichen Commune war wejentlic) der Staat. In Preußen tft 
die Armee, je mehr die Verfaſſung fich belebt, immer mehr wie das Urge⸗ 
birge hervorgetreten, um welches die alten Bildungen ſich lagerten, das die 
neuen entweder verjchieben oder dem fie fid) anbilden müſſen, bevor 
ein geficherter neuer Fruchtboden entjtchen kann. Ohne oder faft ohne 
ein ftehendes Heer ficht fi) die Nordamerilanifche Republik plöglich 
in zwei Feldlager verwandelt und in Nüftungen geftürzt, für bie es 
an Organen, in Schlachten, für die e8 an Generalen fehlt. 

Nom ift die größte militärische Republik, die die Geſchichte kennt. 
Yon Analogien mit den neueren Staaten kann bei ihr eben nicht die 
Rede fein mit Bezug auf die einzelnen Ynftitute, auf die Organifation 





Heer mid Staat in ber Römifchen Republik. 185 


und ben Bufammenhang bes Ganzen. Und doch ift e8 ein Punkt, der 
ihre Betrachtung fiir uns, meine ich, fo außerordentlich lehrreich madht. 

Zür die neuere politifche Theorie ift die Armee immer ein Or⸗ 
gan, ich will nicht fagen, neben dem Staat, aber doch neben der 
Verfafſung. Namentlich hat dazu wohl die Stellung beigetragen, 
welche die englifche Verfaſſung dem ftehenden Heere gibt, indem fie 
daſſelbe als eine Größe hingeftellt, für die innerhalb der conftitutio- 
nellen Gewalten fein Raum if. So erſchien die Armee dort ſtets 
wie ein Werkzeug, das der Staatskörper, wenn er es nicht brauchte, 
auf ein Nichts reduciren oder ganz bei Seite legen könnte, nicht aber 
als ein nothwendiges Glied, ohne das der Körper nicht allein wehrlog, 
fondern in dem gefunden Zufammenhang feines innern Lebens bedroht 
fi. _ In dem Idealſtaat der modernen Politik jenfeitd des Oceans 
war die Armee für die Verfaſſung wirklich auf ein Schattenbild re- 
ducirt, das im fernen Welten ein verborgenes Waldleben führte. Ge- 
rade dieſe Thatſache fand die höchſte Bewunderung in einer Zeit, da 
hochgebildete Militärs des alten Continents Feine anderen Kriege 
als Handelökriege für möglich erklärten. 

Diefe Periode liegt jegt fürzer oder länger hinter ung. Wider 
Willen erfennen wir mehr und mehr, daß der Krieg eine Nothwen- 
digkeit irdifcher Zuftände, daß der militairische Stolz eine nationale 
Tugend ift und daß eine der wichtigften Aufgaben aller Bolitit darin be⸗ 
fteht, die Armee nicht allein zu erhalten, fondern ihren Einfluß auf 
die Verfaſſung voll und gedeihlich zu entwideln. Für diefen Geſichts⸗ 
punuft aber und gerade für diefen ift die Römifche VBerfaffungsgefchichte 
reich wie feine andere an gefunden und gewaltigen Eindrüden. ‘Das 
feine Exempel von der Mifchung der drei Gewalten, dad uns jo oft 
an ihr vorgerechnet ift, mag das politifche Calcul anziehen und bes 
ſchaftigen, die Idee des Rechtsſtaats par excellence mag die juriftifche 
Iheorie von Yuftinian zurüd bis zu den Königen leiten; was Rom 
zu Rom machte, frei, bejonnen, lange glüdlich und groß, das war 
der friſche und tüchtige Zufammenhang der militärischen und der 
bürgerlien Berfaffung. 





186 8. W. Nitzſch, 


Es iſt nicht unfere Abſicht mit dieſen Betrachtungen in Zeiten 
zu beginnen, die wir nur mit Hypotheſen durchmeſſen können. Sichere 
Nachrichten aus ganz oder verhältnißmäßig ſicheren Quellen bietet 
uns die Geſchichte für unſere Zwecke ſeit dem Ende des zweiten 
puniſchen Kriege. Die friſcheſte Blüthe der Verfaſſung war dahin, 
aber ſie hatte ſich in der härteſten Probezeit bewährt, die ihr je ge⸗ 
kommen. 

England hat die napoleoniſchen Kriege ebenſo ohne eine Aenderung 
der Verfaſſung glücklich beſtanden. Aber dieſe Analogie trifft nicht 
vollſtändig zu, nicht ſowohl weil es ſeinen Hannibal nicht vor ſeinen 
Thoren ſah, ſondern weil unter der unveränderten Form der Verfaſſung 
ſich auf der brittiſchen Inſel die wirthſchaftlichen Verhältniſſe voll⸗ 
ftändig umgeſtalten konnten. ‘Die Möglichkeit dazu war erſt durch 
die im engſten Wortverftand unerhörte Entwickelung der Maſchinen⸗ 
induſtrie möglich. Erſt in Jahrtauſenden war der menſchliche Geiſt 
zu der Erfindung jener Kräfte herangereift, die jetzt zu wirken began⸗ 
nen, neue Werthe ſchufen und ein Proletariat, das den Staat erdrückt 
oder geſprengt hätte, zum Werkzeug eines Nationalwohlſtandes ohne 
Gleichen machten. Es ift kein Wunder, daß in Rom diefe Hilfsmit- 
tel der Nationalfraft nicht disponibel waren; dag Wunder ift, daß 
es ohne foldhe oder ähnliche Hilfsmittel die Gefahren jenes Kriegs 
beftand. 

Man hatte im Verlauf deffelben die Dictatur angegriffen, dann 
an eine lebenslängliche Dictatur gedacht, man hatte den Plan aus» 
gefprochen, die Latinen in die Bürgerfchaft aufzunehmen, man hatte wirt: 
ih aus gefauften Sclaven zwei Legionen bilden müſſen; aber am 
Ende des Kriegs war bie Dictatur, was fie am Anfang gewefen, die 
Bürgerſchaft ohne jedes unrömische Blut und die Legion die Bürgers 
truppe, als welche fie in den Krieg eingetreten. Der ganze Mecha⸗ 
nismus, als hätte er nicht immer von Neuem in allen Schrauben 
und Zapfen gekracht, arbeitete ruhig und ficher weiter. Diefe ganze 
Berfaffung aber konnte für die Aufgaben, die fie gelöft hatte und für 
die, die fie löfen follte, allerdings durchaus unzweckmäßig erfcheinen. 

Die Souveränität war den Volksverſammlungen geblieben. In 
zwei verfchiedenen Formen, die ſich weder verfchoben noch verengert 
hatten, umfaßten fie die ganze Maſſe des Volks wie früher. Sie 





Heer und Staat in der Römifhen Republik. 187 


wählten die Mägiftrate, die Vermaltungscommiffionen und die Stabs⸗ 
officiere und in ihnen mittelbar den Senat. Alle Magiftrate waren 
noch jährig und ihre Zahl kaum um eine Stelle erweitert. Trotz 
dieſes beftändigen Wechſels der executiven Behörden, troß der fchein- 
baren Unberechenbarkeit jener großen fouveränen Urverfammlungen 
tritt die Republik, überall Meifter der Situation, fofort in die Lei⸗ 
tung der gefammten Mittelmeersverhältniffe ein. 

Man hat fi, namentlich die nachniebuhrſche Philologie, gewöhnt, 
in den religiöfen Vorftellungen und den Mitteln, die der Cultus bot, 
in der Beobachtung der Himmelszeichen und dem Recht der Aufpicien 
das Mittel zu fehen, durch welche die Magiftrate den Gang der Ver 
handlungen zu hemmen und zu temperiren vermodht. In diefen Zeiten 
hören wir von ſolchen Auskunftsmitteln außerordentlich wenig. Das 
Ganze bietet und nur den Anblick nüchterner Verftändigleit und Zus 
verficht. 

Mommfen namentlich hat, wie wir anderswo hervorgehoben, bei 
der Erflärung diefer Erfcheinungen das Hauptgewicht auf das egoiftifche 
Intereſſe der Ariftotratie gelegt. Wir glauben, daß diefe Erklärung 
zum Theil auf falfchen Prämiffen beruht und zum Theil doch die 
pofitiven und gefunden Urfachen zu fehr in Schatten ftellt. 

Jedenfalls ift es fehr zu bedauern, daß uns fein Zeitgenoffe von 
den römifchen Comitien ein fo deutliches und lebendiges Bild über: 
liefert hat, wie wir e& von der damaligen Legion aus der Hand des 
Bolybius befiten. Die innere Gliederung der Senturiatcomitien ift der 
Gegenstand jo mannigfacher gelehrter Debatten gewejen, daß man fchon 
daraus fchlieken mag, daß wir aus den Quellen Fein deutliches Bild 
gewinnen können. Dennody treten einige und zwar ſehr anffallende 
Züge in der Gefchäftsform der Verhandlungen beftimmt hervor. 

Die Diftrikte, nad) denen wahrſcheinlich damals bei beiden For⸗ 
men der Verſammlung geftimmt wurde, die Tribus lagen in unzäh- 
Ligen Barcellen zerftreut ; diefer Umftand, der die Vorberathungen fehr 
erfchweren mußte, hatte ſich allmählic) gemacht. Der eigentliche Ort 
der Borverhandlung war Rom. Nur für die Wahlen gab es beftimmte 
Zeiten, nicht file Befchlüffe. ‘Die Vorverhandlungen über die letzteren 
lagen deſſ enungeachtet nicht in den Händen des ftädtifchen Pöbels, 
weil deſſen Stimme in der einen Verſammlung gar nicht, in der andern 


138 K. W. ih, 


faſt gar nicht entſchied. Es liegt auf der Hand, daß ſomit, ohne 
eine beſtimmte Saiſon, die vorhergehenden Debatten in Rom haupt⸗ 
fächlich vor denen geführt wurden, die ein bejonderes Intereſſe für die 
Frage oder ein anderer perjönlicher Grund gerade hinführte. Die 
KRücwirkung diefer Debatten fiel immer, wie gejagt, in Heine Kreiſe 
und konnte ſich alfo nicht von dem Diftrift auf die county, von der 
county auf den state unaufhaltfam mittheilen. Man mag dies 
einen Zufall nennen, ein großes Prinzip tritt uns in dem Folgenden 
entgegen. 

Es gab feine geheime Abftimmung, nod) im Anfang des vierten 
Jahrhunderts der Republik. Vergleihe man nun Rom in diejem 
Bunkte mit Athen oder Florenz oder Venedig, die Thatſache bleibt 
Immer gleid) bewundernswerth. Es Handelt ſich dabei nicht wie in 
England um eine Wahl von Repräfentanten in langen Zerminen, nein 
um die der ganzen Maſſe der Beamten jährlid), die der Adminiftra- 
tiocommiffionen, wie fie die Bedürfniffe des Staats erheifchen, die 
Geſetzgebung mit ihren immer neuen Aufgaben und Verſuchungen, um 
diefe ganze Thätigfeit eines taufendlöpfigen Volks, die überall fonft 
wie nach einem Naturgejeg unaufhaltfam raſch der verdedten Abjtim- 
mung oder der Entjcheidung durchs Loos zugedrängt hat und noch heute 
zudrängt. 

Die Vollsverfammlung ftand, fie faß nicht, und Cicero hat be- 
kanntlich dies im Gegenſatz gegen die figende Efklefia von Athen ſchon 
bemertt. Wir wilfen, daß die Senturiatcomitien noch zu der Zeit, 
von der wir fpredhen, auf Commando zur Abftimmung antraten. 
Auch diefe Heinen Züge ftunmen zu jenen andern. Der Eindrud fel- 
tener Haltung, eines ruhigen Tacts macht ſich mit Entjchiedenheit gel: 
tend. Es war nicht viel Raum für eine breite oder zügelloje Debatte, 
aber eine ſolche erſcheint auch überhaupt als etwas Fremdes in diefen 
Berfammlungen. 

Man hat ein großes Gewicht auf den Umftand gelegt, daß der 
Senat jeden Gefegesantrag für die Verfommlung vorbereitete oder 
doch unzweifelhaft die meiften, daß aljo gleichfam hier die Bills immer 
vom Oberhaus an das Unterhaus gebracht wırden. Gewiß mit Recht; 
jedoch auch bier fällt es auf, wie einfach, man könnte fagen, wie roh 
biefe vorberathende Verſammlung organifirt war. 





Heer und Staat in der Römifhen Republik. 189 


Die Verfaffung zeigt hier vielleicht mehr als irgendwo fonft jene 
innere Kraft, welche die Entwidlung in ihren erften, frifcheften 
Stadien retardirte und fo das Zeitalter ungebrochener Mannes 
fraft weit über das Maaß gewöhnlicher Sterblichkeit ausbehnte, 
Der römifhe Conſul blieb an der Spite bes Raths, ohne daß 
diefer die Bahn einfchlug, ihn auf das Maaß eines venetianifchen 
Dogen herabzudrüden oder ein folches Präfidium ganz abzuftoßen. 
Damit ftimmt es, daß es in dem Senat zu feiner Organifation wie 
in Athen oder Florenz fam, zu feinem wöchentlichen oder monatli⸗ 
hen Wechſel der Gefchäftsführung, unter dem Vorfig eines Prytanen 
oder Propofto. Defto nothiwendiger follte die Ausbildung einer feften 
Debattenordnung für eine folche Verfammlung fcheinen. 

Man kann fi kaum eine rohere als die des damaligen Senates 
denten, da fie nicht allein Jedem die Möglichkeit ließ, einen neuen 
Gegenftand in die Verhandlung einzuführen, fondern auch ohne jede 
Beſchränkung der Zeit die Verhandlung ins Unendliche auszufpinnen 
und fo jeden Antrag zu eludiren. 

Unter diefen großen Rath war allmälig das ganze Syſtem ber 
italiſchen Bımdesverhältniffe, die Behandlung der auswärtigen lau⸗ 
fenden Sachen und bie Verwaltung der Provinzen zu einem großen 
Feld ftaatsmännifcher und adminiftrativer Thätigkeit zuſammenge⸗ 
wachſen. 

Mommfen vermißt hier mit Recht jede Spur einer Organiſation, 
wie fie z. B. in Venedig die Eollegien der Savj für Finanzen, Armee, 
Marine, Auswärtiges bieten, zugleich felbftändige Minijterien und 
doch Mitglieder des herzoglichen Raths. Vor diefem letzten Stabium 
bleibt die Verfaffung ftehen. Der große Bundesverein der italifchen 
Städte und Stämme hat allerdings in dem Senat feinen Herrn, 
aber diefer Herr erfcheint faft unfcheinbar in der einfachen Form 
eines umbrifchen oder ſamnitiſchen Stadtraths. So impofant feine 
unmittelbare Gewalt, das Kleid, wenn ich fo jagen barf, die Zeichen 
und die Mittel feiner Macht unterfcheiden ihn nicht von den be 
fcheidnen altväterlichen Behörden, die er fo unendlich tief unter ſich 
gelajjen. 

Wenn dem aber fo ift, fo läßt fich anbrerfeits nicht verlen⸗ 
nen, daß eben die Stellung an der Spike ber italifhen Bünbuifle 


140 8.8. Ripih, 


bie Verfaſſung, wie fie war, das Ganze und die einzelnen Gewalten 
hob und Träftigte. Ich muß, um mic) bier deutlich zu machen, doch 
wieder zu einer Parallele greifen. 

Wie Athen mit feiner Hegemonie wirthichaftete, ift bekannt. 
Spartas Entwidlung faßt man, meine ih, nicht immer richtig auf. 
Das Ausfterben der alten Bürgerfchaft, das Verarmen vieler Ge⸗ 
Schlechter rebucirte die große Politik auf immer engere Kreiſe. Man 
entging fo der Gefahr, der die attifche ‘Demokratie erlegen war, voll« 
ftändig. In Sparta warb allmälig aus den Bürgerfoldaten ein Elite 
folbat, aus dem Eliteſoldaten ein General und Diplomat, und je mehr 
fih gegen den Schluß des peloponnefifchen Krieges und weiter hinaus 
der Kreis der großen Verhältniffe erweiterte, je mehr ward der im- 
mer engere Kreis der fouveränen Bürgerfchaft befähigt, eine geheime 
und tiefberechnete Politik auszubilden und feftzuhalten. 

Mm Rom kam es nicht dazu. Wie die Nobilität auch fich ge- 
ftaltete, die Volksverſammlung bfieb fo zahlreich wie früher und der 
Senat jedenfalls der Verfaffung nach Jedem zugänglich. Und beide zeig- 
ten offenbar in der Behandlung der großen Gefchäfte einen Takt und 
eine Ehrlichkeit, die freilid nicht da8 Maaß fterblicher Verhältniffe 
überfchritt, die aber trot alles Egoismus unzweifelhaft einzig in der 
Geſchichte daſteht. Eben jene altitalifchen Gewalten, senatus po- 
pulusque Romanus, wie fie oben uns entgegentraten, ließen Luft 
und Licht überall zu und, was man auch von der Hartherzigkeit und 
der Tücke diefer Politik hervorheben mag, zunächſt gab es für fpar- 
tiatifche Harmoften= oder venetianifche Inquiſitorenpolitik hier Teinen 
Raum und keinen Hinterhalt. Das Ganze bemegte ſich frei und 
offen vor ben Augen des verbündeten Italiens und der ganzen gebil- 
beten Welt. Bor dieſem ungeheueren Publitum verhandelten die bei- 
den großen Factoren unter dem deutlichen Bewußtſein, daß unzählige 
Blicke des Vertrauens wie des Mißtrauens, der Bewunderung und 
des Haſſes jede ihrer Wendungen beobachteten. 

„Was von einer Vürgerverfammlung, wie die römiſche war,“ 
fagt Mommfen, „gefordert werden kann: ein ficherer Blick für das 
gemeine Beſte, eine einfichtige Folgfamkeit gegenüber dem richtigen 
Führer, ein feite® Herz in guten und böfen Tagen und vor allem die 
Anfopferungsfähigkeit des Einzelnen für das Gauze, des gegenwärti⸗ 





Heer und Staat in der Römiſchen Republik. 141 


gen Wohlbehagens für das Glück der Zukunft — das alles hat bie 
römifche Gemeinde in fo hohem Grabe geleiftet, daß, wo der Blick 
auf das Ganze fich richtet, jede Bemäkelung in bewundernder Ehr- 
furdt verftummt." Wir geben diefer Charakteriftit volljtändig Recht, 
aber wir leugnen, daß zunächſt nur diefe Eigenfchaften zur Behand⸗ 
fung der großen Gefchäfte nicht genügt hätten und daß hier die bäner- 
liche Bornirtheit in ihrer vollen Unfeligfeit beroorgetreten jei. Im 
Gegentheil, wenn ber römiſche Bauer den angebornen Trieb feines 
Standes, Nichts in der Gegenwart für die Zukunft zu opfern, fo 
vollftändig überwand, wenn er weiter den unüberwindlichen Eigenfiun 
defielben großen Männern und ‘Dingen immer von Neuem ıumterorb- 
nete, jo waren bamit die Hauptbeftandtheile jeder Kirchthurmspolitik ges 
brochen, und diefe freie und hohe Haltung, ohne daß die Vollsverſamm⸗ 
(ung das demagogifche „Zreibrad* der Verfaſſung war, bezeugt gerade, 
daß fie das Gefühl der Verhältniffe hatte, als deren Mittelpunkt fie 
wirkte. Der einzelne Fall einer Diffonanz zwifchen Senat und Comi⸗ 
tien beweift Nichts dagegen, fondern vielmehr nur, daß die Comitien 
keineswegs ohne Willen waren und daß fie, wenn fie in den meiften 
Fällen die Senatspolitik acceptirten, dies mit Bewußtſein und nicht 
ohne Selbftändigkeit thaten. 

Sowie man fid, Tebhafter in die Wechfelwirkung dieſer großen 
Gewalten hineindentt, fowie man fie nicht einfach acceptirt als ein 
felbftverftändliches Product der felbitverftändlichen Weltgefchichte, fo 
wird man ja freilid von der römifchen Tradition felbft unmittelbar 
von der Betrachtung der Stadt auf die des Lagers hingeführt. Es 
gibt eigentlich Feine ftrift politifche Verfaffungsgefhichte Roms. Bon 
den älteften Zeiten der Republif an faßt die Ueberlieferung immer 
beides zufammen: bei den Aushebungen beginnt meiftens die Schil- 
derung des politifchen EonflictS und wo er, von Moment zu Moment 
fortgeführt, die höchften Phaſen erreiht, dba tritt das Heer an bie 
Stelle der Comitien. Diefe innige Verflechtung der Kriegs: mit der 
inneren Verfafjungsgefchichte, die Aubino fo entfchieden negirt, ift ge 
rade eine der eigenthümlichiten Züge der ganzen altrömifchen Sage. 
Die verfaffungsmäßige Grenzlinie, welche das imperium militare 
von der Stadt unb dem forum fernhielt, ift ihr wohl bekannt, aber 
mis einem angebornen Inſtinkt kommt fie in ihren einzelnen. Geſtal⸗ 


148 8.8. Nitzſch, 


ten und ihren großen Compofitionen immer von Neuem auf ben 
Bunkt zurüd, wo ber bürgerliche Verftand und das Soldatenherz, 
wo der Parteigeift der Comitien und der Corpsgeiſt des Lagers das 
punctum saliens aller politifchen Entwidlung bilden. 

Wir haben es bier nicht mit ihr zu thun. Mag die Sage 
Recht haben, fo zeugt fie zunächft doch nur für die Zeiten einer ra- 
fern, leidenfchaftlicheren, faft unbewußten Entwidiung Dort ent- 
fpringt neben der kühnen That unmittelbar das kecke Bild ihrer Mo⸗ 
tive und Conflicte, und wenn in diefem Bild jene Wechjelwirkung fo 
fchlagend hervortritt, fo war fie unzweifelhaft in dem Geiſt des Er- 
zäblers und des Hörers vorhanden. Auf dem biftorifchen Boden un» 
ferer Betrachtung entbehren wir eines ſolchen Zeugniffes. Es ift ein 
Grundzug wirklicher Hiftorifcher Verhältniffe, daß die verfchiedenen Les 
bensiphären fich gegeneinander abſetzen, jedenfalls für die Beobachtung, 
vielfach auch in ihrem wirklichen Beftand. 

Gewi Hat Rubino Necht, dag in ber fpäteren Zeit für den 
römifchen wie für den heutigen Politiler der Staat und fein Recht 
ſich als ein befonderes, fcharf abgefchloffenes Gebiet ausſonderte. 
Aber diefe Ausfonderung ift eben überall eine fpäte und, fo fehr der 
Bolititer diefem Prozeß fein ganzes Intereſſe widmen mag, für die 
biftorifche und ftaatsmännifche Betrachtung ift fie nur eine äußere, 
Jene reinen Staatsformen, je abfoluter fie erjcheinen, werden eben 
deshalb räthfelhafter. So fein und feftorganifirt die Maſchine er- 
ſcheint, die fcheinbar ohne die rohe Einmifhung der Menfchenhand 
arbeitet, fo wunderbar und felbjtändig ihre Wirkſamkeit, wir können 
uns nicht mit dem mechanischen Geſetz genügen lafjen und fuchen nad) 
den unfichtbaren Gewalten, bie durch ihren Drud und Gegendrud 
biefe gewaltigen Maſſen regeln und bewegen. Als eine foldye un- 
fihtbare Kraft entdedite Toqueville in der Verfaffung der vereinigten 
Staaten ben tiefreligiöfen Geift der alten Colonien; als eine eben 
folche Kraft tritt uns der militärifche Geiſt der Legion noch in jenen 
Perioden der römifchen Verfaffungsgefchichte entgegen, mit denen wir 
uns hier befchäftigen. 

Polybius hat uns in jenen oft commentirten, oft üÜberjegten Ca⸗ 
piteln des fechiten Buchs eine fo Lebendige Schilderung bes römi- 
fen Heeres gegeben, daß wir das Ganze in feinem vollen Detail 





Heer ımd Staat in der Römiſchen Republik. 148 


vor uns zu fehen glauben. Bon ber beivegten Scene der Aushebung 
auf dem Capitol bis zu dem Bilde des Feldlagers fehen wir die Les 
gion fi bilden und allmälig in die volle Wirkfamkeit ihrer inneren 
Ordnung eintreten. Diefe 4500 Dann feldtüchtiger Bürger, faft 
gleichbewaffnet, der Eine vielleicht etwas ficherer noch durch längere 
Uebung als der Andere, aber im Ganzen Jeder ganz durdherercirt und 
eingelernt in die eracte Bewegung der Glieder de8 manipulus und 
der Legion. In diefer ganzen jtattlihen Maffe, diefem Wald von 
fhwarzen und rothen Helmbüfchen, Jeder ein echter, der feinen 
Mann faßt umd fteht, wenn er nicht fchon dem Hintermann das Ges 
fecht abgetreten oder e8 von dem Vordermann aufzunehmen erwartet. 
Wir werden uns immer von dieſem römischen Legionsgefecht famım 
eine deutliche Borftellung machen können. Aber was wir volltommen 
deutlich verftehen, das ift ihre Zufammenfegung und ihre Gliederung. 

Jeder grundbeſitzende Bürger war kriegsdienſtpflichtig. Dies 
fer in der alten Welt fo gewöhnliche Grundfat widerfpricht unferen 
Gewohnheiten vollftändig. Wir wiffen nicht genau, auf welchen Prin- 
zipien urjprünglich diefe Regel in Rom berubte, aber wir wiffen 
foviel, daß e8 in der Legion Feine Beſitzloſen und Feine Handwerker 
gab. Die römische Legion würde alfo faft den ganzen Beitand des 
englifchen und einen bedeutenden Theil der continentalen Heere gar wicht 
aufgenommen haben. 

Zur Zeit des großen M. Furius Camillus war der Römer dicht 
daran geweien ein Söldner und Neisläufer zu werben, wie e8 damale 
der Sampaner ward. Damals aber bildete fich die neue Legion und 
bereitete fich die Reftauration des Bauernftandes durch die Licinifchen 
Gefeke vor. Es ward für Jahrhunderte entfchieden, daß die Sölb- 
nerei kein vömifches Geichäft und die Legion ein Bürgerheer fein 
folite. Nicht die Einführung des Soldes auf Staatsloften allein, 
fondern mehr noch die Feftftellung der Treffen nach den Altersklaſſen, 
beides zufammen ficherte dies wichtige Rejultat. 

Der römische Soldat war allerdings befoldet, aber er bewaff⸗ 
nete und verpflegte fich felbft, und der Staat brachte bei der Ant« 
zahlung des Soldes in Rechnung, was er ihm während der Cam⸗ 
pagne an Waffen, Kleidung und Verpflegung geliefert hatte. Für ben 
Charakter ber Armee war dies unzweifelhaft von der größten Beben⸗ 


144 8. W. Niki, 


tung. ‘Der einzelne Mann war viel mehr als heut zu Tage auf 
ſich ſelbſt und feine eigene Wirthfchaftlichkeit angewiefen und er konnte 
dies eben um fo ficherer fein, da er von einer eignen Wirthichaft 
herkam und alfo die Aufgaben einer folchen kannte. 

In der Zeit, von der wir fprechen‘, hing der Vorzug der einen 
Abtheilung vor der andern nicht mehr von dem Vermögen des ein- 
zelnen ab; nur die Länge des Dienftes, alfo die größere militärifche 
Ausbildung machte aus dem Haftaten den Princeps, aus dem Prin⸗ 
cep8 den Triarier, nur daß die Neichften in allen drei Gliedern ftatt 
ber Herzplatte den vollen Kettenharnifch trugen. Der Xriarier, die 
Veteranenreſerve, ohne einen höheren Sold, ohne eine glänzendere 
Waffe, ift die Blüthe und der glänzendfte Ausdrud des römifchen 
Soldatengeiftes. Die ganze Organifation tft darauf berechnet, daß 
biefe Srundfchicht der römischen Bauernfchaft immer vorhanden und 
immer ausgiebig fei an ungeſchwächter Willfährigfeit und Zuver⸗ 
laſfigkeit. 

Dabei iſt nım freilich klar, daß der Soldat, der in Jahre⸗ und 
SYahrzehnte langen Campagnen mit Luft und Eifer auch jenfeits des 
Meeres dienen follte, follte er Beſitzer bleiben, nur ein Feiner Be⸗ 
figer fein konnte Es ift bei dem Zuſtand unferer Quellen nur ein 
reiner Zufall, daß wir die perfünlicden Berhältniffe eines folchen 
Zriariers, wie fie den Kern ber Zegionen bildeten, wirklich kennen. Er 
tritt und bei der Aushebung des Jahres 171 unter die Augen. Li⸗ 
vins erzählt von einem großen Andrang zu den ahnen, weil man 
bie Soldaten der Teßten öjtlichen Kriege jo wohlhabend Habe zurück⸗ 
fchren jehen. Wir möchten denken, daß ſich Landöfnechte ohne Hab 
und Gut zu einem vortheilhaften Werbegefhäft drängten. In den 
Debatten, die zufällig entftanden, tritt jener Legionar auf und erzählt 
feine Geſchichte. Er ftellt fih vor als „Sp. Liguftinus aus der 
Tribus Cruſtumina, geblürtig aus dem Sabinerland“. Er hat ein 
Fugerum Land und eine Kathe vom Vater und hat fie noch. Zwei 
Fahr Hat er in Griechenland als Gemeiner, dann im dritten als Cen⸗ 
turio im zehnten Manipel der Haftaten, dann in Spanien in der⸗ 
felben Charge beim erften Manipel der Haſtaten, dann wieder in 
Griechenland und Aſien als erſter Centurio der principes gedient. 
Seine folgenden Campagnen — es waren tm Ganzen 22 — brad)- 





Heer und Staat in der Römifchen Republif. 148 


ten ihn bie in die erjte Centurionenftelle der Legion. Seine Deco⸗ 
rationen waren 34 Ehrengaben der commandirenden Generale und 6 
Bürgerfronen. Er war jet 50 Jahre und hatte zu Haus 4 erwach⸗ 
fene und 2 unerwachſene Söhne und 2 verheirathete Töchter. Das 
ift der Mann, einer für alle Daß er durd die hier wiederholten 
Notizen auf die verfammelten Militärs Eindrucd machen will umd 
daß er ihn wirklich macht, dies zeigt ſchon, daß die Verſammel⸗ 
ten mehr oder weniger Männer defjelben Schlages fein mußten, feine 
Landsknechte, fondern kleine Befiger, für die der Krieg ein ehrenvolles 
und einträgliche® Handwerk war. 

Hält man den Eindruck diefes Soldaten feit, fo erſcheint er na- 
mentlich als die eigentlihe Grund» und VBorbedingung des römischen 
Lagers. Der Schanzpfahl und der Wallgraben find gleichfam die na- 
türfihen Producte feiner angebornen Kunftfertigfeit, und die Sau⸗ 
berfeit und Ordnung, die uns Polybius auf allen Gaffen und Plägen 
befielben zeigt, wird das Refultat guter landmännifcher Uebung. Man 
ertennt überall nicht die Trägheit eines geworbenen Knechts, fon- 
dern bie Accuratefje eines, wenn auch Heinen, Herren und Meifter- 
mann. 

Je lebendiger ung dies aber it, defto mehr muß die Stellung 
auffallen, welche gegenüber diefer Infanterie die Gavallerie einnimmt. 
In der Hauptlagergaffe ihrer ganzen Länge nad zu beiden Seiten 
liegen ihre Zelte mit den betreffenden Stallungen dahinter. ‘Der rö- 
mifche Cavallerift hat aber keinen Stalldienft bei feinem eignen Pferd, 
fondern diejer wird von den Zriariern geleiftet, die Hinter ihm nad) 
den beiden nächiten Zagergafien Hin liegen. Die ältefte, vornehmite 
Waffe der Infanterie ift der Stalljunge des Cavalleriften. Dies 
würde noch fonderbarer ericheinen, wenn nicht eben jeder einzelne Ca⸗ 
vallerift eine bevorzugte Stellung einnähme. 

Die ganze Eontrolfe des nächtlichen Dienftes liegt in den Hän⸗ 
den der Kavallerie. Ein einfacher eques mit feinen amici begeht 
die einzelnen Boten, rapportirt darüber und auf feinen Rapport wird 
die etwa nothwendige Strafe dictirt, die equites als folche find Mit- 
glieder des Kriegsrathe. *) 





*) Polybius macht im feiner Darfiellung bes Lagers durchaus feinen Un⸗ 
Hißeriige Beitfgrin VII. Br. 10 


146 8.8. Nitic, 


Diefe Stellung der Waffe ift um fo auffallender, je entſchiede⸗ 
ner bie Weberlegenheit der Infanterie als Truppe anerkannt war. 
Das Verhältniß ift nicht neugemadht, die ganze Lagereintheilung ift 
von Anfang an darauf berechnet. Es ift, foweit ich ſehe, die alte 
politifche Prärogative des patricifchen Reiters über das plebejiſche 
Fußheer, die bier in der Armee ihre legte militärifche Bedeutung 
äußert. 

In ben neueren Heeren hat die Infanterie mit immer größerer 
Entjchiedenheit den Einfluß und die Bedeutung ber Cavallerie ver- 
drängt. Seitdem die Gensdarmen Bajard’s mit Naferimpfen neben 
die deutfchen Kuechte traten bis auf den heutigen Tag bat die Ca— 
vallerie al& die fpecififch adliche Waffe immer mehr die fteigende Su: 
periorität jene Rivalen anerfennen müfen. In Rom gab es be- 
fanntlich fpäter Leine Bürgercavallerie mehr; zu der Zeit, die wir ins 
Auge fallen, beftand fie aus adlichen und nichtadlichen Elementen, 
ihre militärtfche Bedeutung war, wie gejagt, fehr geſunken. Deſſen 
ungeachtet hatte fie nach allen Fortfchritten der militärifchen und po» 
litiſchen Verfaffung jene einflußreiche und, nach unferen Begriffen, 
für die Infanterie demüthigende Stellung behauptet. 

Einmal mochte der altgewohnte Nefpect vor dem Adel des 
adliden und vor dem Weichthum des bürgerlichen Cavalleriften 
ein ſolches Verhältniß eher möglih machen. Dann erklärt fi 
dieſes Gefühl der Unterordnung von einer anderen Seite her. ‘Der 
Heine Grundbefiger, fparfam und erwerbsluftig in Nom wie 
überall, bedurfte des juriftifchen Raths nicht allein, fondern 
bie Confultation war für ihn, wie noch heutzutage aud) da- 
mals , fo zu fagen, eine Seelenftärtimg. Alte und neue Juriſten 
haben die Wichtigkeit des consulere und ber consulentes fir die 
privatrechtlicde Entwidlung Häufig genug gejchildert. Man wird aber 
auch ihren Einfluß auf ben Charakter des römischen Bauern d. h. 





terfchieb zwiſcheu equites equo publico und equo private. Wir find daher 
auch nicht berechtigt, feine Angaben etwa nur auf die equites eqyo publico 
zu beziehen. Vielmehr möchte ich eben deßhalb im Gegenſatz zu Marquardt 
Hist. eg. Rom. p. 15 wenigftens auch in &tellen wie Liv. 22, 15 u. 25, 57 
unter ben equites die ganze rümifche Cavallerie verfichen. 





Heer und Staat in der Römiſchen Republif. 147 


auf die Verfaffung nicht hoch genug anfchlagen können. Er verhei- 
rathete keine Tochter, er verfaufte fein jugerum, er ſchloß fein Anle- 
hen, ohne fich bei feiner juriftifchen Freundſchaft in irgend einem ſe⸗ 
natorifchen Haufe Raths zu erholen, und aus den Söhnen der fena- 
torifchen Häufer beftand zum heil die Cavallerie, deren junge Herren 
ihn Nachts auf dem Feld⸗ und Lagerpoften infpicirten und deren 
Pferde er in den legten Jahren feiner Dienftzeit al8 Triarier in 
ihren Stallungen zu beforgen hatte. 

Es kam auch das hinzu, daß der Legionar fich der ganzen Maſſe 
der Bundeögenoffen gegenüber gleichzeitig als die Elitetruppe Italiens 
fühlte. Diefe bevorzugte Stellung trat nach allen Seiten hervor in 
den militärifchen Strafen, in der Anordnung der Lagerpläge, ja in 
gewiljen Sinn in der Weife der Verpflegung. ‘Der römifche Soldat 
verpflegte fich felbft, während der Bundesgenofje feine Nationen un⸗ 
entgeltlih vom Staat erhielt. 

Jedoch der wichtigfte Erflärungsgrund liegt unzweifelhaft darin, 
daß es eben feinen Infanteriſten gab, der nicht gleichzeitig ſouveräner 
und ftummfähiger Bürger der Republit war. In die Zeit der Ausbil: 
bung der neuen Legionsverfaffung fällt die volle Ausgleichung ber 
Stände. Jene wunderbaren Nachrichten über den Soldatenaufftand 
während des latinifchen Kriege zeigen doch den Zufannnenhang zwi⸗ 
den der Disciplin des Heeres und der heimifchen Ordnung der 
Verfaſſung. Unter den unfinnigen Forderungen der Rebellen nimmt 
die Beſchränkung der Wahlen eine Hauptitelle ein. Daß diefe und 
ähnliche Berhältniffe ſich ordneten, gab auch den Legionen für die 
folgenden Jahrhunderte ihrer größten Siege ihre ftätige Diſciplin. 
Allerdings fie blieben in gewiſſem Sinne immer eine Bürgermiliz, wie 
etwa in den legten Monaten die Times die preußifche Armee unter biefe 
Kategorie brachte, aber eben ale Miliz blieben fie in ftetiger Verbin» 
bung mit der politifchen Thätigleit der Heimath. Der Verſuch, das 
Heer zu Staateftreichen im Lager zu benugen, ift während einer Reihe 
von Jahrhunderten unerhört geworden und geblieben, aber dies doch 
eben deßhalb, weil dieſes Heer beftändig, jeder einzelne in nicht zu 
langen Zwifchenräumen zu Haus feine Stefle für feine foupeniue 
Stimme offen fand. 

Gerade dieſas fiäkige Ab⸗ und Zufluthen militärifcher Intereſſen 


148 8. W. Niki, 


in die Comitien, politifcher in die Armee, mußte jene und diefe in 
dem glücklichen Tempo halten, das uns faft unbegreiflich erjcheint. 

Die Thatfache, in der gerade biefer Zufammenhang jo befonders 
ſchlagend hervortritt, ift folgende. 

Das Avancement innerhalb der Legion durd die Ernennung 
des commandirenden Generals reichte nur bis zu der Stufe, die Sp. 
Liguftinus erreicht hatte, bis zum erften Centurionen des erften Ma⸗ 
nipel® der Zriarier. Mit diefer höchften fubalternen Stelle ſchloß 
die Stufenleiter, die man im gewöhnlichen Dienft erfteigen konnte. 
Die Stabsofficiere wurden noch in den erften Jahrzehnten nad) dem 
barinibalifchen Krieg alle durch die Comitien gewählt. Dieje Regel, 
fo fehr fie aller militärifhen Raiſon zu widerſprechen fcheint, hat 
fih Jahrhunderte der fchwerften Kriege hindurch behauptet und es ift 
vielleicht das auffallendfte Factum der römifchen Staats- und Kriegs- 
geichichte, dag die Kegionen unter vom Volt gewählten Stabsofficieren 
Italien nnterworfen, Pyrrhus und Hannibal gefchlagen haben. Dieſes 
Yactum nad) unfern heutigen Begriffen zu befriteln, ift nicht Hilto- 
riſch; für die eingehende und einfache Betrachtung tritt uns vielmehr 
in ihm wie nirgend fonft der glückliche Zuſammenhang entgegen, der 
zwifchen den Comitien und Legionen ftattfand. Die Wahl der Mi- 
(itärtribimen durch da8 Volt fo lange und mit fo glänzenden Reful- 
taten drängt uns ummwiberleglich den Eindruck auf, daß der Geift der 
Comitien weſentlich ein Soldatengeift war, aber ein Soldatengeift 
voll Befonnenheit umd nüchternem Blick für die geeignete Perſönlich- 
keit. Und von diefer Bemerkung aus erfcheint die Thätigkeit der 
Somitien überhaupt bedingt durch die Traditionen und Crfahrungen 
der Armee. Dieſer civis Romanus, zu Haus in befchränkten Ver: 
hältniffen, kein beiferer Bauer als jeder andere, warb in der Legion 
geſchult in der Zucht der Gefahr und der milttärifhen Discipfin. 
Ich Habe ihn an einer anderen Stelle mit dem Matrofen und Ca— 
pitän umferer frififchen Küften verglichen, deſſen enger Inſelhorizont, 
unter dem er feine Landftelle baut, erweitert wird durch die wechjeln- 
den Aufgaben immer neuer Seereifen, durch die Noth und Zucht feines 
Schifferlebens. Nur ift hierbei dein römifchen Legionar gleichzeitig 
der Segen einer fieg- und ehrenreihen großen Kameradſchaft weient- 
tich init in Anschlag zu bringen. Und während die Legion auf die 





Heer und Staat in der Roͤmiſchen Republik. 149 


Comitien wirkt, wirkten gleichzeitig fie wieder auf jene zurüd. Unter 
der eifernen Ruthe der Difciplin blieb der Legionar immer der ſouve⸗ 
räne Dann, deifen Stimme daheim eben deshalb von Gewicht war, 
weil er die Ehre und die Mittel hatte, in der Elitetruppe Italiens 
zu ftehen. 


Bon hier aus, von diefer Verſchmelzung politifcher und militäri» 
ſcher Erfahrung aus erfcheint endlich der Begriff der Nobilität uns 
wenigften® noch beſonders verftändlid. Man faßt fie zu leicht nur 
als die natürliche Ausgeburt einer allmählich abfterbenden Ariftofratie. 
Und doch liegt in ihr ein großes Rejultat jener Wechfelwirkung zwis 
fhen Armee und Staat. 


Es liegt auf der Hand, daß dem Bürger und Legionar, wie 
er bier vor uns fteht, der Credit desjenigen Haufes von befonderer 
Wichtigkeit fein mußte, bei dejfen redjtserfahrenen Mitgliedern er und 
fein Haus ſich Generationen Hindurd) Raths erholt hatten. Daß der 
Yurisconfult von feinen Clienten feine Stimme bei den Wahlen ale 
Gegenleiftung beanfpruchte, ift befannt. Aber dieſes Verhältniß der 
geſchäftlichen Abhängigkeit, wie es noch heutzutage dem Sohn die Clien- 
ten und den politiichen Einfluß des Vaters zuführt, war hier wefent- 
lich durch die militärifchen Einflüffe des Lagers gehoben und verjtärkt. 
Das lebhafte Gedächtniß glüclicher und beliebter Officiere Tennen wir 
wohl auch in bäuerlichen Kreifen, das fi) Jahrzehnte hindurch erhält, 
fagenhaft ausbildet und umgeftalte. Aber in unjeren Verhältniffen 
ift es nirgends zugleich verknüpft mit jener Anhänglichkeit, die fich 
profaifch genug unter den Bedürfniffen des Alltagslebens an eine bes 
ftimmte Firma , fozufagen, unter den Beamten: und Yuriftenfamilien 
hängt. Nie oder faft nie trifft bei uns der Glanz der militärischen 
und der gefchäftlichen Tradition zufammen, wie das bei jeden römi- 
ſchen Staatsmann fein konnte nd follte Wäre die Beamtencarriere 
der Republik nicht fo durchaus gleichmäßig eine civile und militärifche, 
eben beide® zugleich gewefen, fo würde ſich nie der Begriff jenes ſtaats⸗ 
männifchen Credits fo ausgebildet haben, wie er in der Bezeichnung 
des nobilis, der nobilitas und in dem Gegenſatze des homo novus 
jo deutlich erfcheint. 


Daß in der einen Perfon, in der einen Familie die eine, in ber 


180 Q. W. Nitzſch, 


anderen die andere der beiden Seiten überwog, iſt natürlich, aber es 
konnte nun einmal kein Staatsmann gedacht werden, der nicht zugleich 
dienftpflichtiger oder gedienter Officier war und umgelkehrt kein Tomı- 
mandirender General, der nicht zugleich in den großen Civilämtern 
gedient hatte. Alle diefe Stellen wurden durch die Comitien bejekt. 
In einzelnen Scenen ift uns der Eindrud dieſes perjönlichen Zufam- 
menhangs befondere lebhaft erhalten. Jener große Yurift, der nad) 
feiner Wahlniederlage unwillig zu den Bürgern ausrief: consulere 
scitis, consulem facere nescitis fteht da neben dem jungen und 
tühnen Stabsoffizier, dem bei der Bewerbung um die reinftädtifche 
Aedilität fofort alle Stimmen zufielen. Aber das Sprechendite ift 
doh die Eumme des ganzen Reſultats. Jene unabjehbare Reihe 
großer Feldherrn und Magiftrate, jene wunderbare Sicherheit der in- 
nern und auswärtigen Politit wäre bei einer politifchen Organifation, 
wie wir fie oben ſchilderten, nicht denkbar, ohne den natürlichen Ein- 
fluß, den die Disciplin und die ftolge Tradition der Armee auf den 
Geift der Comitien übte. 

Die militärifchen Formen der Genturiatcomitien find allerdings 
die Reſte ihrer älteften DVerfafjung, aber fie find zugleich auch ſpäter 
jenem Geiſte congruent, der in ihnen lebte umd fie zu dem machte, 
was fie waren. Q. Fabius Marimus ließ, nad) einer fchönen Ge: 
fchichte des Livius, einmal nad) Eröffnung der Abſtimmung, die erjte 
Centurie wieder abtreten, nachdem cr erflärt, dak er das Commando 
nur mit einem anderen Collegen annehmen könne, als man ihm ge: 
geben. Die Centurie trat ab, berieth ſich umd ſtimmte dann nach 
dem Wunfche ihres großen Conſuls. So bezeichnend die Anecdote 
it, fo ift noch viel beachtenswerther, daß eine foldye unmittelbare 
Einwirkung fo felten erwähnt wird und daß fie unzweifelhaft im Gan- 
zen fo felten möglich und nöthig war. 

Der militärifche Einfluß wuchs in den Zeiten der Gefahr. Große 
friegerifche Anftrengungen brachten in ausgebehnterem Maße die Legio- 
nen zu den ahnen. Die Augenblide, wo diefer Einfluß zu ftart 
ward, haben nicht gefehlt. Die dunkelſten und vielleicht erhabenjten 
Momente im Leben des Eurius Dentatus — Cato ftellte ihn neben Beri- 
Hes8 und Epaminondas — oder des älteren Africanus find wahrfcheinlid) 
folche geweſen, wo der Einfluß der Armee den der Vollsverfammlung 





Heer und Staat in der Roͤmiſchen Repubfit. 151 


zu überwuchten drohte. Aber immer blieb neben den Comitien auch 
der Senat eine Verſammlung alter, anerfannter Generale, die Blüthe 
der militärifchen Ehre und der großen auch friegeriichen Tradition. 
Diefen wichtigen Kern deſſen, was man Robilität nannte, darf man 
nicht vergeffen. Er erklärt uns wenigftens, wie diefe Verſammlung 
mit jener rohen Geſchäftsform, die wir oben erwähnten, fo innerlich 
disciplinirt blieb. Er erflärt weiter zum Theil jenen großen Einfluß, 
den fie auch in den gefährlichiten Zeiten auf die Comitien behauptete. 
Cineas, der den Senat eine Berfammlung von Königen nannte, war 
in der Zeit foldatifcher Könige der Freund des ächteften Soldaten unter 
ihnen. 


Wenn nun die Wechſelwirkung, die wir hier gefchildert haben, 
einen der wichtigiten Züge der Verfaſſung bildet, fo drängt fich die 
Frage allerdings auf, mit welchen Mitteln wurde diefes Mittel eines 
fo gefunden politifchen Lebens ermöglicht. Wir könnten cine ganze 
Neihe aufführen. Die feine VBegränzung des Amts und des militäri- 
ſchen Imperiums würde in einer ſolchen Aufzählung obenan ftehen. 
Das Tribunat in feinen verfchiedenen Geftaltungen und manches an⸗ 
dere eigenthümliche Inſtitut könnte ebenfalls dafür in Anfchlag kom⸗ 
men. Aber wir |prechen von den letzten glücklichen Zeiten der Re⸗ 
publi. Da bedeutet das Tribunat nicht eben viel, und die Schran- 
ion des Imperiums waren eine fejtjtehende Linie. ‘Die Hände, bie 
fie forgfältig und gewaltig gezogen, waren längft todt und die, welde 
fie keck verwiſchen follten, noch nicht geboren, die Linie war da wie 
eine Thatſache des natürlichen Lebens. 

Damals fcheint mir für unfere Frage das wichtigfte Inftitut die 
Cenſur und das bedeutendite ſtaatsmänniſche Prinzip, die unmittelbare 
Erhaltung des civis Romanus. Ich muß leider geftehen, daß ich 
mit meiner Auffaffung der Cenſur wohl allein ftehe. Livius hat 
es gejagt, daß die Cenſur anfänglich nur ein unbedeutendes Finanz- 
amt war, und Mommſen hat die Ausbildung diefes Amtes als 
eined der wichtigften Mittel bezeichnet, durch welche die fpätere 
Ariftolratie ihren Einfluß hob *) Aber, das wende ich ein, die 


— 








*) Durch Mommſens Unterfuhung, Chronologie p. 95. f,, find die Gem 


15% 8. W. Ritzich, 


Cenſur hat von Anfang an das große fünfjährige Sühnopfer des 
Staats als den Mittelpunkt ihres Amts betrachtet. Es iſt wenig⸗ 
ſtens trotz Livius wicht denkbar, daß das Luſtrum erſt ſpäter zum 
Cenſus hinzugethan ſein ſollte. Wenn aber damit gegeben iſt, daß 
das Amt von Anfang an eine ſo zu ſagen hoheprieſterliche Seite 
hatte, fo ſtimmt damit ſehr gut, daß ihre Amtstracht nach Po- 
Inbius die der Könige war. Darin mit Mommijen eine ſpäte Neue- 
rung zu ſehen, ift jo lange nicht möglich, als man nicht das Gewicht 
der anders bericdhtenden jpäteren Quellen gegen Bolybius zu heben 
vermag. Dazu kommt, daß in dem einzigen ausführlichen Bericht 
über den Cenſus die Muſterung der Ritterpferde erft nach dem Luftrum 
vorgenommen wird. Ich ſchließe daraus, daß diefes urſprünglich für 
die Ritter gar keine Bedeutung hatte. Die Ritter erfcheinen mir hier, 
wie obenim Lager, als die Reſte der alten patricifchen Heergemeinde, 
bie als ein reines Volk keines Sühnopfers wie die Pleb6 bedarf und 
. die im Felde der plebejiichen Infanterie als die Rathsgemeinde des 
Feldherrn gegenüber ftebt. 

Wie dem aud) fei, das fteht feft, daß die Cenſoren da® Recht 
hatten bei der ‘Durchführung des Cenſus die ganze Ordnung der rö- 
mifchen Bürgerfchaft umzuftellen und neu zu redigiren. Der große 
Knotenpunkt unſeres heutigen Berfaffungslebens lag ſomit bier einfach 
in den Händen zweier Beamten. Es iſt dies vielleicht die auffallendfte 
unter den vielen auffallenden Erſcheinungen der römischen Verfaſſung. 
Eben dieſe ihre Singularität hat, meiner Anſicht nach, auf alle neue: 
ren Unterſuchungen über diefen Gegenftand Einfluß gehabt. Seit dem 
Wiederaufleben der Wiffenfchaft hat man immer nur für ınöglid) den: 





foren des erfien Jahres Liv. 4, 8 als eingeichoben nachgewieſen. Das Re⸗ 
fultat fcheint mir auch deshalb wichtig, weil damit aud) Livius Notiz über die 
urfprüngliche Bedeutung des Magiftrats an dieſer Stelle auf eine fpäte und un. 
jzuverläffige Quelle oder auch das eigene Gutdünten des Livius felbft zurüdge- 
führt wird, Was die übrigen hier in Betracht kommenden Data betrifft, fo 
brauche ich nur auf die betr. Abichnitte des Beder- Marquardt'ſchen Handbuch’s 
zu verweifen, wo ſich da® ganze Material zufammengeftellt findet, und auf meine 
kurze Auseinanderfegung in den Neuen Jahrb. für Phil. und Pädag. 1857 
p. 416 f. 





Heer und Staat in der Römifchen Republik. 158 


fen können, daß eine foldhe wichtige Veränderung nur einmal vorge: 
nommen fei und, mit Rückſicht auf eine Stelle des Livius und Dio⸗ 
nys, jede Wiederholung derjelben nicht gelten laffen wollen. Die Wis 
derfprüche, die dabei in den Quellen zu überwinden waren, haben es 
denn auch bis jet nicht zu einem ficheren Reſultat über die Zeit 
kommen laffen, in der das gefchehen iſt, und ebenjo wenig über die 
Form. Nun finden wir aber 3. B. in der dritten Decade des Livius 
eine andere Abftimmungsordnung der Genturiatcomitien als in der 
fünften. Bei jener erften Erwähnung in der früheren ‘Decade ift 
die Form der Abftimmung aber aud nicht die ganz urſprüngliche. 
Wir find alfo einfach berechtigt wenigftens zwei Veränderungen anzu⸗ 
nehmen und dics um fontehr, da Living (40, 51) ausdrüdlih und fo 
beftimmt als möglich von einer allgemeinen Veränderung der Stimm- 
ordnung ſpricht, nad) der dritten Decade und vor der Stelle, in der er 
die fpätere Form der Abjtimmung erwähnt. 

Nehmen wir darnad) an, dag das cenſoriſche Recht die Stimm- 
ordnung umzuändern nicht allein gejeglidy feftitand, fondern aud) prals 
tifch ausgeübt ward bis nach dem zweiten punifchen Krieg, fo bietet 
diefer Dlagiftrat unzweifelhaft die ſchlagendſte Erklärung für jenes 
Phänomen ruhigen Gleichgewichts, das ung bei der Betrachtung der Co⸗ 
mitien jo räthjelhaft entgegentrat. Die priefterlide Bedeutung deijelben 
trat damals zurüd, aber die Leitung des Steuerweſens in denjelben Hän- 
ben mit der unbeſchränkten Controlle über die Stimmordnung fchuf 
eine Gewalt, die wir heutzutage mit einem gewiſſen Recht eine regel⸗ 
mäßig wiederfehrende Diktatur nennen möchten. Nur damals nicht. 
Wie die Wahl der Stabsoffiziere den militärifchen Takt der Comitien 
bezeugt, fo ift die Genfur, nad ımferer Ausführung, ein Document 
für die politiſche Mäßigung der Perioden, in der fie wirkte. Daß die 
Bolleverfammlung die Wahlordnung in ihren Händen ließ, ſtimmt 
wie im fchönften Accord dazu, daß fie fo lange nicht an die geheime 
Abftimmung dachte. Die eine Thatſache erklärt die andere. a, 
was faft noch auffallender iſt, ſelbſt nachdem die Comitien fich felbft 
bie verdedte Abſtimmung verjchafft, ſank die Cenſur nicht in Folge 
demokratischer Angriffe, fondern durd) die unbemerkte Veränderung des 
politiihen Geiſtes. Sollte fi) eine rein ariftotratifche Erfindung fo 
ruhig ansgelebt haben ? 


184 K. W. Nitzſch, 


Erklärt ſich die Cenſur eben nur aus eigenthümlichen Anfängen 
dieſes fpeciellen Deagiftrats und aus dem ganzen langfam reifenden 
aber tiefgefunden Gang der Verfaffungsgefchichte, fo tritt in der Pe⸗ 
riode ihrer reifften Entwidelung, von der wir fprechen, ein Grundzug 
der Verfaffung zu Tage, auf den wir fchon im ganzen Verlauf diefer 
Betrachtung hingewieſen haben. 

Wie wir es ſchilderten, beruhte das innere Leben der Armee und 
der Volksverſammlung zum Theil auf der Lebendigkeit einer Menge 
perfönlicher Beztehungen und Erfahrungen, die fich gegenfeitig beftimm- 
tem und bedingten. Aus den Erfahrungen des Kinzelnen im Felde, 
ans feinen gefchäftlichen Verbindungen daheim entwickelte ſich der po⸗ 
litiſche Takt der Somitien und daraus auch bildete fich das, was man 
den politifch » militärifchen Credit der einzelnen Häufer nennen könnte. 
Wenn eine Reihe curulifcher Magiftrate den Mitgliedern der Familie 
Anſpruch auf ſolche Aemter gab, fo bildete fid) eine folche Sitte in 
der römischen Verfajfung doch eben nur dadurch, daß man fo die 
Richtung und die politifche Methode diefer Häufer noch beftimmter 
als die der anderen überfchaute. Polybius fchildert uns bekanntlich 
die echtrömiſche Sitte, bei jedem Begräbniß die Masten und Thaten- 
verzeichnifje der verftorbenen Magiftrate des Hauſes öffentlich vorzu- 
führen. Uns erinnert fie an den Gebrauch mancher deutfchen Gegen- 
den, wo man für die Verſammlungen der Leidtragenden feſtlich alle 
Berſchlüſſe und Räume des Hauſes öffnet und ihnen gleichſam cine 
Einficht gibt, was dafjelbe bisher beichafft und weſſen es aud) ferner 
wohl im Stande jei. 

Die andere Seite diefes perſönlichen Staatsverkehrs bietet ung 
die Senfur. In einer Menge Kleiner und offenbar gern erzählter 
Geſchichten fehen wir den Magiftrat auf die concreteften und intimften 
Verhältniffe der einzelnen Wirthſchaft, des einzelnen Mannes Rück— 
ficht nehmen. Der Eenfor kümmert fi) um ZTifchgeräth und Ader, 
um das Pferd, um Frau und Kind des Bürgers. Unzweifelhaft war 
die Möglichkeit dazu eben durd) die Cenjuscontrolle gegeben, aber et: 
was Anderes ift doch noch der eigenthiimliche Ton jener Gefchichten, 
der Humor, den in manden der einzelne Bürger fid) gegen den 
Magiftrat erlaubt, und die kurzangebundene Sicyerheit, mit der der 
Cenſor wieder eingreift. In diefem allem fühlt man das perfönliche 





Heer und Staat in der Romiſchen Republik. | 158 


Intereſſe durch, das der Magiftrat gewiß in vielen Fällen fir den 
Einzelnen Hatte, und die perfönlidhe Kenntniß, die wie von unten nad 
oben fo audy von oben nad) unten tief hineinreichte.e Daß deffemm- 
geachtet und zum Theil grade deshalb bei der Handhabung der cen- 
forifhen Gewalt große Fehlgriffe möglich waren, ift natürlih. Die 
Geſchichte zeigt im Kleinen und Großen Beifpiele genug, wo politifche 
und perfönliche Leidenſchaft das gewaltige Werkzeng nad) des Herzens 
Gelüfte regierte. Aber eben auch hier ift das Inſtitut bewunderns⸗ 
werth. 

Die Möglichkeiten, die es eben bot, madten e8 zu dem großen 
Ventil, durch welches Barteileidenfchaft, doctrinäre wie perfünliche, 
Luft erhielt, in vollen Strömen fic) gegen den Einzelnen und die Maſſen 
zu entladen, ohne daß der Staat auf die Dauer von diefen Ausbrü⸗ 
hen bedroht ward. Daher war die Cenfur vor allen der Zielpuntt 
der Parteien, die eigentliche Stelle für die großen und ausgeprägten Ber: 
fünlichteiten ımd die Wahl zur Eenfur dann auch in den größten Wo- 
menten ber Akt der Verfühnung für die entgegengefegten Anfichten. 

Der Athenienfiihe Stantshaushalter, der gewählt mit feiner 
vierjährigen Amtsdauer , fo einzig innerhalb der vollen Demokratie 
bafteht, wie kleinlich erfcheint er in all feiner Bedeutung neben dieſem 
Magiſtrat, beffen Gleichen die Gefchichte nicht wieder hervorgebradtt. 





Wenden wir uns denn zum Schluß zu dem andern Punkt, auf 
den wir oben fchon hinwiefen. Aus dem, was bisher gejagt, wird 
fchon erhellen , daß in der That von einer unmittelbaren Analogie 
zwifchen der römischen und den neueren Verfaflungen eben nicht die 
Rede jein kann. Ebenſo unterjcheiden fi) unferer Anfiht nad für 
den Zeitraum, den wir betrachten, die politifche Theorie und die po⸗ 
litiſchen Ziele der römifchen Staatsinänner ganz wefentlid von denen 
der neueren Zeit. In unferen Tagen arbeitet die Gefeßgebung zu⸗ 
nächft dahin, jedem Einzelnen die volle Entfaltung feiner gefammten 
Kräfte zu geftaften. Diefer Gedanke ift da8 edelfte Lebensblut unſe⸗ 
res ganzen politifchen Daſeins. Durd die Yortfchritte umferer Eul- 
tur ift die Entwidelung der materiellen und geiftigen Kräfte nad) 
allen Seiten hin in einer Ausdehnung ermöglicht, die für Jeden Raum 
zu gewähren fcheint. ‘Die Freiheit der Bewegung zu erleichtern, galt 


156 8. W. Nistzſch, 


lange für die einzige oder doch für die wichtigſte Aufgabe. Erſt dann 
fing man an um die Exiſtenz der Einzelnen beſorgt zu werden, als 
jene gewaltige Bewegung mit jedem Schritte weiter an unwiderfteh- 
licher Kraft zunehmend eine Mafje von Eriftenzen zu ertränken drohte, 
ftatt fie flott zu machen. 

Nom, wie gefagt, kannte eine folcye Bewegung nicht. Die alte Welt 
blieb vor der induftriellen und wiſſenſchaftlichen Entwidelung ftehen, 
die die neueren Völker feit dem Schluß des vorigen Jahrhunderts 
ergriff. Es genügt hier eben daran, zu erinnern. Die conjervative 
und die Fortfchrittspolitit des römischen Staatsmannes hatte e8, ohne 
ſolche Deöglichkeiten, mit einem Objekt zu thun, das mit feiner der 
früheren Geftalten unſeres Staatslebens verglichen werden kann. 

Man bat die Repräfentativverfaffung als den natürlichen Fort: 
fehritt der römifchen bezeichnet. Aber mit der Repräfentativverfajjung 
fiel die Vollsverfammlung weg und mit ihr der veredeinde Einfluß, 
den fie auf die Legion äußerte. Ebenfo gefährlich) mußte für die Volle: 
verfammlung jede Veränderung der Armee und noch gefährlicher 
mußte für die Bundesverfaffung gleichzeitig eine Reform erfcheinen, 
die gleichzeitig Rom eine Nepräfentativverfaflung und ein geworbeneg 
Heer gab. 

Gewiß war die geringe Ausbildung der Magiftrate und die 
rohe Verfaſſung des Senats, wie wir oben andeuteten, ein wefentlicher 
Mebelftand, aber war eine glüdlicdye Fortbildung möglich ohne eine 
ftärtere Sonderung der militärifchen von den civilen Aenitern? Und 
fiel nicht damit eben jener concentrirte Einfluß weg, der nur durch 
die Verſchmelzung der Beamten: und Officiersftellung erreicht wurde. 

Allerdings gibt die Geſchichte dem Kritiker Hecht, der eine durch⸗ 
greifende Reform in irgend welcher Richtung verlangte, denn fie führte 
fie wirklich durch. Im gewiſſen Sinne aber hat fie dody auch den rö- 
mifchen Staatsmännern der Scipionenzeit Recht gegeben. Sie hat 
nichts wieder hervorgebracht, was ſich dem civis Romanus jener Zei- 
ten vergleichen ließe, und die politifche Berechnung der Scipionenzeit 
concentrirte fi) in den Plänen zur Erhaltung diefer eigenthümlichen 
Berfünlichkeit. 

Worauf es anfam, war eben die merhvürdige Zufammenfegung 
von Heinen Grundbefigern und Soldaten, das Heine Eigentum, das 





Heer ımd Staat in der Römifchen Republik. 157 


feinen Mann wirthſchaftlich, befonnen und geſchickt zum militärifchen 
Dienft machte, das ihm die Luft am Dienft gab und doch von der 
Söldnerei zurüchielt. Don allen Seiten hat man die Lücken dieſes 
Standes wieder zu füllen, feine fintenden Schichten wieder zu heben 
geſucht. 

Die erſte große Gefahr für ihn war die Ausdehnung des über⸗ 
ſeeiſchen Dienſtes. Die einzige Möglichkeit einer feſten Begränzung 
lag in einer Veränderung der auswärtigen Politik. Man verzichtete 
in Griechenland und Aſien auf Provinzen und ſchuf ein Syſtem ım- 
abhängiger Staaten. 

Gleichzeitig hatte der Staat im ager publicus die Möglichkeit 
durch Adervertheilungen neue Bauern zu ſchaffen oder dem herimter- 
gefommenen aufzuhelfen. Man verfuchte es fowohl mit Affignationen 
al8 mit der Gründung von GColonien. 

Binanziell hat der Senat immer möglichſt niedrige und möglichft 
feite Kornpreife zu erhalten gefucht. Freilich ward dabei der Bauer 
nicht reich, aber auch fein Speculant und Geldmacher. Ob er bei 
feiner vielgetadelten Politit abfichtlich diefen Geſichtspunkt verfolgte, 
willen wir nicht. Die Laft der Zwangsanleihe, des tributum, hat 
er und hat die Cenſur wiederholentlich regulirt und endlich ganz 
fiftirt. Mit Einem Wort, nad) allen Seiten hin erfcheint jene Sorge 
als die eigentliche XLebensaufgabe des Staats im Ganzen und der 
einzelnen Parteien. Das troftlofe Refultat ijt befannt genug. Die 
Reformen der Gracchen und des Livius Drufus waren weiter und 
tiefer gegriffen, aber der fette Geſichtspunkt iſt immer derfelbe, nur 
einen großen Schritt weiter und über das alte Syitem hinaus. Das 
legte Ziel des E. Grachus und Livins Drufus, die Aufnahme der 
Bundesgenoſſen in die Bürgerfchaft, follte mit&inem Male eine ganz 
neue Bürgerfchaft an die Stelle der alten fegen. Wäre diefer An- 
trag nicht für fie der wicdhtigite ihres ganzen Plans geweſen, fo wäre 
es unbegreiflicher Wahnſinn geweſen, dadurd eine Eiferfucht der Comi- 
tien wachzurufen, die alle ihre fonftigen Pläne gefährden mußte. Daß 
Gracchus eine ſolche Rogation nach allen feinen übrigen vorbereitete 
und daß Livius trog feines Mißlingens fie nochmals aufnahm, ſcheint 
uns unwiderleglich für die ausgefprochene Anficht zu fprechen. ine 
fpecififch bauerliche Majorität, unberührt von großſtädtiſchen Ein⸗ 


168 Heer und Gtaat in der Römiſchen Republik. 


flüffen, der civis Romanus in feiner nüchternen Energie, der Mann 
für die Verfaffung, nicht die Verfaffung für den Mann war das 
Grundthema der römifchen Politit in den anderthalb Jahrhunderten 
vor dem Bundesgenofjenkrieg. 

Man werfe uns nicht ein, daß namentlich die lebten beiden 
großen Gefetsgeber gleichzeitig eine Reihe anderer wichtiger Verände- 
rungen einführten, daß Marcus’ Militärreformen vor Drufus die 
Armee wefentlich umgeftaltet hatten; was fie eben doch bejtehen Tiefen, 
war nebeneinander die Armee und die Volfsverfammlung. Diefe bei- 
den Organe, ſchon vielfach in ihrer jegensreichen Wechſelwirkung ge- 
ftört, konnten durch die Aufnahme der Bundesgenoſſen gefräftigt wer- 
den und follten es auch. Und damit wäre für die römifche Politif 
die Berfaffung von Neuem und lange gefichert erfchienen. 








V. 


Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur des Jahres 1861. 


1. Weltgeſchichte. Allgemeines. 


Schm id t'e, Prof. Dr. EN, Leitfaden f. den Unterricht in 
der Weltgeſchichte. 8. Aufl., beforgt v. Oberlehrer Holte. gr. 8. (VII 
u. 120 ©.) Mülheim a. d. R., Bagel. 


Bumüller, Dr. Johs., die Weltgeihichte im Ueberblid f. Gym⸗ 
nafien, Real» und höhere Bürgerſchulen u. zum Selbfiunterriht. rei bearb. 
Auszug aus des Verf. größerem Werte. 2. Abtb.: Geſchichte d. Mittelalters. 
gr. 8. (VI u. 1380 S. m. 8 Tab. in Imp.-%ol.) 8. Abthlg. Geſch. der ueuern 
3t. (VI 148 ©. m. 3 Tab. in Imp.-%ol.) Freiburg im Br., Herder. 


Struve'e, Guf., Weltgeſchichte in 9 Büchern. 6 Bde. Einzig 
vehtmäß., durchaus verb. u. verm. Aufl gr. 8. New Yort 1856—59. Inhalt: 
1—3. Bud. Alte Geſchichte. (520 S. m. 3 Tab. in Fol.) — 4-6. Bud. Ge 
ſchichte des Mittelalters 2 Bde. (1186 S. m. 3 Tab. in gr. Fol.) — 7. Bud. 
Geſchichte der Neu⸗Zeit. 1. Bud. Bom Anbeginn der Reformation bie zum 
weftphäl. Frieden. (1517 — 1648.) (778 S. m. 1 Tab. in Imp.⸗Fol.) — 
8. Buch. Geſchichte der NewZeit. 2. Bud. Vom weftphäl. Frieden bis zum 
Anfange der franzdf. Revolution (1648—1739.) (628 ©. m. 1 Zab. in Imp.- 
Hol.) — 9. Bud. Geſchichte der Neu-Zeit. 3. Buch. Vom Anfange der frauzdf. 
Revolution 1789 bie zum 3. 1848. (980 S. m. 1 Tab. in Imp.⸗Fol.) 


Rudgaber, weil. Gymn.-Reltor Prof, Heine, Handbuch ber Uni. 
verfalgefhicdhte f. die höhere Unterrichteſtufe u. zum Selbſtſtudium bearb. 


160 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Fortgeſetzt v. Dr. Ant. Hepel 8. Bd. 2. Abth. Neuere Geſchichte. Vom 
80jähr. Kriege bis zur franzöſ. Revolution. Ler.-8. (S.1—528.) Schaffhaufen 
1862. Hutter. 


Dr. 9. Dittmar. Die Geſchichte der Welt vor und nad 
Chriſtus, mit Nüdficht auf die Entwidelung des Lebens in Religion und Po- 
litit, Kunſt und Wiſſenſchaft, Handel und Induftrie der welthiftorifchen Völker. 
Für das allgemeine Bildungebebürfnig bergeftellt. Neue verbejjerte und ver- 
mehrte Ausgabe. 5—22 Lg. Bd. 2—5. (IV, 584 ©. IV, 698 ©. IV,560 &.) 
Heidelberg. K. Winter. 8. 


Dtto-Reventlow, Dr., mnemotehnifher Commentar zur 
allgemeinen Weltgefhichte od. Aumeifung fi die wichtigften in der⸗ 
felben vorkommenden Zahlen in wenigen Zagen einzuprägen. Mit beſond. Rüd- 
fiät auf Dr. Heinr. Dittmar’s Weltgefchichte f. den Schul- n. Selbftunterricht 
ausgearb. gr. 8. (80 S.) Stuttgart, Metzler's Berl. 


Rotted's, Karl v., allgemeine Geſchichte vom Anfang ber 
biftorifchen Kenntniß bie anf ımfere Tage. 28. Aufl. 21 — 40. Lg. 8. (7 Bd. 
VIII S. u S. 145— 327, 8—10. ®b. XII u. 1416 ©.,11.8d. S. 1—288 
m. Namen. u. Sachregiſter 38 ©. u. 10 Stahlſt.) Braunſchweig, Weftermann. 


— — allgemeine Geſchichte f. alle Stände von den früheften Zeiten 
bis zum 3. 1860. Mit Zungrundelegg. feines größeren Werles bearb. u, hrag. 
7. Orig.-Aufl. Sorgfältig durchgefehen u. bis auf die neuelte Zeit fortgeführt 
von Dr. Wilhelm Zimmermann. 15—30. Lg. gr. 16. (3. Bd. 481—486, 
4. ©. 429 S., 5. ®b. 586 ©., 6. Bb. 668 ©. 6 Stahlfl. u. 3 Tab. in 
gr. Fol.) Stuttgart, Rieger. 


Cantn, Cäſar, allgemeine Weltgeſchichte. Nach der 7. Orig. 
Ausg. f. das kathol. Deutichland frei bearb. v. Dr. J. A. Mor. Brühl. 62—64. 
%fg. gr. 8. (10. Bd. A. u. d. T.: Allgemeine Gefchichte der neueren Zeit. 1. Bd. 
8. Abth. S. 529-671 u. 2. 8b. S. 1—240.) Scaffhaufen, Hurter. 


Franke, Gymn.Oberlehr. Dr. Aug. Ludw., chronologiſche Ueber⸗ 
ſicht der allgemeinen Weltgeſchichte f. Schüler höherer Lehranſtalten. 
2. Aufl. 16. (VII u. 96 ©.) Leipzig 1862, Hübner. 


Nöffert, Froͤr., Lehrbuch der Weltgeſchichte f. Töchterfchulen 
n. zum Privatunterricht heranwachfender Mädchen. 4 Thle. 13. verb. u. ſtark 
verm. Aufl. Mit (4) Stahlſt. gr. 8. (XXVI u. 1492 &. m. 4 in Stahl gefl. 
Titeln.) Bresian 1862, Mar & Co. 


Defer’s Weltgeſchichte f. das weibliche Geſchlecht. 5. Aufl. neu 
bearb. unter Leitg. n. Mitwirtg. von Prof. Dr. G. Weber. 8 Thle. gr. 8. 
(AXVII u. 1801 ©. m. 8 Stabi.) Leipzig, Brandſtetter. cart. 





1. Weltgeſchichte. Allgemeines. 161 


Eaner, Gymm.- Oberlehr. Dr. &d., Sefhichtstabellen zum Ge 
brauch auf Gymnaſien u. Realfchulen mit einem Anh. Ab. die brandenburgiſch⸗ 


preuß. Geſchichte u. m. Geſchlechtstafeln. 9. Aufl. gr. 8 (72 ©.) Breslau, 
E. Trewendt. 


Bild. Schillerwein. Abrif der allgemeinen Gedichte in 
fachlicher Dispofition. 1. Abth. 8. (VIII 176 ©.) Wien, Sallmeper. 


Bas, Symn.-Oberlehr. Wilh., Hiftorifhe Darftellungen u. Cha⸗ 
raftereriftifen f. Schule u. Haus gefammelt u. bearb. (In 3 Bdn.) 1. Bd. 
4. u. d. T.: Die Geſchichte d. Altertfums in abgerımdeten Gemälden. gr. 8. 
(XI u. 760 S.) Köln, DuMont-Scauberg. 


Koepert, Dr. H., Geſchichts⸗Curſus f. die mittleren Klaffen der 
Gymnaſien. Ueberſichtlich dargeftellt 1. Abthg. Die alte Geſchichte. 75 ©. 
2. Abthg.: Mittlere u. neuere Geſchichte. 8. (75 ©.) Eisleben, Reichardt. 


Stahlberg, Het. W., Leitfaden f. den Unterricht in ber 
Geſchichte. gr. 8. (VIII u. 211 ©.) Berlin, Dunder & Humblot. 


Müller, Präceptor Wilh., Teitfaden f. den Unterridt in der 
Geihichte m. befond. Berkdficht. der neueren deutſchen Geſchichte f. Gym⸗ 
nafien, Latein. u. Realſchulen, Schullehrerfeininare, Töchteranftalten u. f. den 
Selbftunterricht bearb. Mit einem Borw. dv. Prof. Dr. Hirzel. Ler.-8. [XV 
279 ©.) Heilbronn 1862. Scheurlen. 


Sdäufter, Dr. Guſt, Tabellen zur Weltgeſchichte in mehreren 
duch den Drud gefchiedenen Curſen ausgearb. 5. Aufl. 8. (IV u.79 &) Ham⸗ 
burg, O. Meiner. 


Dr. 30f. Bed. Leitfaden beim erftien Unterridt in ber 
Geſchichte in vorzugsweife biographifcher Behandlung und mit bef. Berüd- 
fichtigung der dentſchen Geſchichte. 11. verb. Aufl. 8. (XVI, 160 &.) Carl 
rube, Braun. 


8. F. Beder’s Weltgefhichte. Achte, neubearbeitete bis auf bie 
Gegenwart fortgeführte Ausgabe. Herausg. von Adolf Schmidt Mit der 
Kortfegung von Eduard Arnd. 3—8 u. 28—83 Lig. (2. Bd. IV, 418 ©. 
— 3.82.IV,395&.— 14. ®b. VI, 6389 S. — 15. ®b. VI, 608 ©.) 8. — 
16. ©. 664 S. — 17. 8b. 1—288 ©. Berlin, Dunder und Humblot. 


Meier, H. D. aligemeine Weltgefhichte. Bon dem älteften 
Zeiten bis 1861. Mit chronolog. Tabellen. 1. Thl. Das Altertum. gr. 
8 (XH u. 247 ©.) Bremen, Kaiſer. 


Weber, Schul⸗Dir. Brof. Dr. Geo., allgemeine Weltgeſchichte mi. 
befonderer Beruckſicht. d. Geiftet- u. Culturlebens der Völfer n. m. Benupg. 
Yißeriige Beufarift VII. Band. 11 


16% Ueber ſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


ber neueren geihichtl. Forſchgu, f. die gebildeten Stände bearb. 8. Bd. 9. u. 
d. T.: Nömifche Geſchichte bis zu Ende der Republit u. Gedichte der ale 
randrinifch-bellenifchen Welt. 2. Hälfte gr. 8. (X ©. u. &.401—915.) Leipjig, 
Engelmann. 


Keferfkein, Lehr. Dr. Horft, Gefhihts-Repetition. Kür Schu⸗ 
len u. zum Privatgebraud. Ethnographiſch u. m. ausführf. Berücfficht. d. eul⸗ 
turgefchichtl. Stoffes. 5 Abthlgu. 8. Dresden, am Ende. Inhalt: 1. Amerita 
und Auftralien. (S. 1—64.) — 2. Aften u. Afrita. (S. 65—164.) — 3. Europa. 
1. Hft. Turkiſch⸗griechiſche Halbinjel. Apenninifhe Halbinjel. (S. 165 — 354.) 
— 4, Europa. 2. Hft. Das Chriſtenthum u. die chriftl. Kirche. Deutſchland. 
(S. 855606.) — 5. Europa. 3. Hft. Schweiz, Niederlande, Frankreich, Py⸗ 
venäifche Halbinfel, Großbritannien, Skandinavien, Dänemark, Rußland, Bolen, 
Ungarn. Nebſt Inder üb. 1—5. (VE S. u. S. 607—752.) 


Kohlrauſch, Fror,chroönologiſcher Abriß der Weltgefhichte, 
m. 2 ſynchroniſt. Tabellen der alten Geſchichte u. der neuern Staatengeſchte. 
Zunähft für den Jugend Unterricht. 15., verb. u. verm. Aufl. gr. 4. (78 ©.) 
Leipzig, Friedlein. 


Dietſch, Rud. Lehrbuch der Geſchichte für die oberen Maffen der 
Symnaflen und zum Gelbfiftubium. 2. vollftländig neu bearb. Aufl. 1. Bd. 
2. Abth.: Geſchichte der Römer u. der m. ihnen in Beziehg. getretnen Völlker. 
gr. 8. (VI u. 422 ©.) Leipzig, Teubner. 


— — Grundriß der allgemeinen Gedichte für bie oberen 
Gymnafialllaſſen. 8. dv. menem durchgeſeh. Aufl. gr. 8. (183 ©.) Leipzig, 
Teubner. 


Slegler, Prof. Dr. Alex. und Prof. Dr. Heine. Rüdert, allge 
meine Weltgeſchichte. gr. 8. (XVI u. 996 ©.) Gtuttgart, Franch. 


Ludwig, Prof. Dr. G, Haudbud der Univerfalgefhidte 
2. ®d. gr. 8. (VIII u. 908 ©.) Regeneburg, Manz. 


Chantrel. Nouvesu cours d’histoire universelle — 
Tom. IV. Histoire du moyen äge 2. partie. depuis la mort de Charle- 
magne jusqu’& celle de Boniface VIII. 12. Paris, Putois-Crette. 


Moeller, F. Cours complet d’histoire universelle 
divis6 en 5 parties. Histoire moderne. 8. edition. 5 vol. 12. Tournai, Le- 
billieux. 

Montönon, Phil. de... Histoire universelle. 1. serie. 
Creation da monde 4004 avant Jesus-Christ, fin. de la captivite de Ba- 
bylone. 536. 12. Paris, Gauguet. 





1. Weltgeſchichte. Allgemeines. 168 


Roguet, le Baron Ernest .. Projet d’histoire univer 
selle par nationalites, siöckes epoques, et hommes characteristiques ou 
Vie des hommes illustres des temps anciens et modernes. 8. Paris, J. 
Dumaine. 

Earl vom heil. Aloys, P. Brieft., die Menſchengeſchichte eine 
göttliche Schöpfungswoce auf dem Gebiete der moralifchen Welt, od. Verſuch, 
die zunächſt fechstaufend Jahre umfafjenden göttl. Erbarmgn. üb. das dv. der 
Sünde Aberwundene Menjchengefchleht in einem Zufammenhange darzuftellen. 
Mit 6 lith. (u. color.) Karten (in Ler.-8. u. qu. %ol.) 2er.-8. (XI u. 552 ©.) 
Würzburg, Stahel. 

Rap, Biſchof Dr. Andr., u. Bifchof Dr. Nilol. Weis, Leben der 
Heiligen Gottes. Neu bearb. v. 3. Holzwarth. 2 Bde. 4. verb. Aufl. 
gr. 8. (IV u. 1562 ©. m. 2 Stahlſt.) Mainz 1860, Kirhmann. 


Stadler, geil. R. Dombdecan Dr. Joh. Evang., vollfändiges 
Heiligen-Leriton oder Lebensgefchichte aller Heiligen, Seligen zc. in alphabet. 
Ordug. c. 2. Bd. 9. Lig. Lex.S. (IV &. u. S. 769— 860.) Augsburg. 
Schmid’s Berl. 


Grube, Eharafterbilder ans der Geſchichte n. Sage, für e. 
propädent. Gefchichtsumterricht gefammelt, bearb. u. gruppirt. 8 Thle. 7. Aufl. 
Mit 8 Stahlſt. gr. 8. Ebend. Inhalt: 1. Die vorchriſtliche Zeit. (XIV u. 
234 ©.) 2. Das Mittelalter. (IV u. 295 ©.) — 3. Die neue Seit (VIu. 899 &.) 
(IV u. 130 &.) Berlin, Hidethier. . 

Nene, 9, Die Entwidelung bes Menfhengefhle ts 
nach der Geſchichte. gr. 8. 

Baillehache, Jerome de, Calendrierperpötuelavec eph6- 
meörides kistoriques. 16: (XVII u. 115 ©.) Mannheim, Löffler. 

Wappän, Prof. Dr. 3. E, allgemeine Bevölterungeſtatiſtik. 
Borlefungen. gr. 8. (XII u. 583 S.) Leipzig, Himriche' Bert. 

Par, Gymn.«⸗Oberlehr. Wilh, Lchrönd der vergleichenden 
Erd beſchreibung f. die oberen Aaſſen höherer Lehranſtalten u. zum Selbſi⸗ 
unterricht. 4., verb. Aufl. gr. 8. (VII u. 428 &.) Freiburg im Br. 1862, 
Herder. 

B. Beiffer, Bilder-Atlas zur Weltgeſchichte. Rah Kunſt⸗ 
werfen alter m. neuer Zeit ger: u. heransg. Mit erläuterudem Text von Dr, 
Heinrich Merz. 23—26 Lg. Stutgart Nitichte. 


Gaflerti, geweſ. Kofrath Prof. Joh. Geo. Aug., allgemeine Welt 
land eo ob. Encyfiepäbie für Geographie, Statifiit u. Staatengeſchichte. Gin 
Hüfemittel beim Studium der Zagesgefihichte f. dentende m. gebildete Leſer. 


164 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur won 1861. 


12., durhaus umgearb. Aufl. Bon Dr. 9. F. Bradelli u Dr. Mar. 
Kalt. 15. u 16. (Schluß-Lfg. gr. 4) (Sp. 1121 —1860 m. 3 chromolith. 
Karten.) Wien 1860, Hartleben’s Berl..Erpeb. 


Bartels, Lehr. Froͤr., Leitfaden zur Geographie u. Geſchichte f. Schule 
umd Haus. 2. verb. us verm. Aufl. gr. 8. (IV u. 83 ©.) Hannover, Hahn. 


Völkerſtämme, die verſchiedenen, aller Nationen in treuefter Geſichts⸗ 
bildung, Farbe, Größe u. Nationaltracht. 4 (lith.) Taf, m. 50 großen color. 
Fig. Zum Gebrauh in Schulen nad) der Zufammenftellg. v. Dr. Latham. 
2. Aufl. qu. Imp.Fol. Mit Zert. (4 ©. in gr. 4.) Stuttgart 1862. Nitzſchle 
In Couvert. 


Soffmann, Dr. Wilh, Encyflopädie der Erd», Böllen u. 
Staatenfunde. 40—43 Lg. (S. 1561-1720) hoch 4. Leipzig, Arnold. 


Ritter, Carl, Geſchichte der Erdkunde u. ber Entdedungen. Vor⸗ 
lefungen an der Univerfität zu Berlin gehalten. Hrsg. v. H. A. Daniel. 
Mit Earl Ritter's Bildniß (in Stahifl.) gr. 8. (VI u. 265 ©.) Berlin, ©. 
Reimer. 


Hoffmann, Karl Fror. Vollrath, die Erde u. ihre Bewohner 
Ein Hand» u. Leſebuch f. alle Stände. 6. durchaus neu bearb. Aufl. v. Prof. 
Dr. Heinrih Berghaus Mit Karten, Stahlfl. u. mehreren 100 Illuſtr. 
6—8 Lig. Ler.-8. (S. 401 — 640 m. 6 Stahifl., eingedr. Holzſchn. u. 3 chro⸗ 
molith. Karten in qu. gr. 4.) Stuttgart Rieger. 


Klöden, Prof. Dr. Guſt. Adph. v. Abriß der Geographie 
zum Gebrauche f. Schüler höherer Lehranftalten. 8. neu bearb, Aufl. gr. 8. 
(XVI u. 430 ©.) Berlin, Lüderig’ Berl. 


Daniel, Prof. Juſp. Dr. Herm. Adalb, Handbud der Geogra- 
phie. 83. Thl.: Deutfchlaud. 3. u. 5. Lg. gr. 8. (S. 853 — 704.) Frankfurt 
a. M., Verlag f. Kunft u. Wiffenfchaft. 


Klöden, Prof. Dr. Guſt. Adph. v., HSandbuh ber Erdkunde. 
25—30. Lig. gr. 8. (2 TH: Handbuch der Länder u. Staatenfunde v. Europa. 
XI ©. u ©. 1153 Schluß.) 3. Thl. 1—384 ©. Berlin, Weidmann. 


Bilder aus bem VBöllerleben ob. Beiträge zur Länder u. Völ⸗ 
funde, Cultur⸗ u. Gittengefchichte fremder Nationen. Gin Hausihag f. Bildg. 
u. Unterhaltg. Hreg. v. Louis Oeſer. 11. %g. Ler.-8 (©. 161—176 m. 
1 Steintaf.) Neufalza, Oeſer. 

Alb, Kretſchmar und Dr. Car! Rohrbach. Die Tradten 
der Böller vom Begiun ber Geſchichte bie zum 19. Jahrh. 3—9. Lg. (©. 
25—102 mit 35 Chromolith.) Imp.-4. Leipzig, Bad. 





1. Weltgeſchichte. Allgemeines. 165 


Kulit, Rath Prof. Dr. Jak. Phil. die Jahresformen der drifl- 
lichen Zeitrechnung. 8. verb. Aufl. gr. 4. (44 ©.) Prag, Stord). 


Spruner’s,Dr.v,historico-geographical hand atlas. 
26 coloured maps engravedon copper. qu. gr. 4. (26 Blatt Tert.) Gotha, 
J. Perthes. 


C. E. Rhode. Hiftorifher Schulatlas zur alten, mittleren und 
neueren Geſchichte. 84 Karten auf 28 Blättern. nebft vol. Text (38 ©.) qu. 4. 
Slogau, T. Leuming. 


Held, Brof. Dr. Joſ. Staat u. Geſellſchaft vom Stand. 
punfte der Geſchichte der Menſchheit u. d. Staates. Mit befond. 
Rüdficht auf die politifch-focialen Fragen unferer Zeit. (In 3 Thln.) 1. Thl. 
gr. 8. Inhalt: Srundanfhauungen üb. Staat u. Gefellichaft. (AXV u. 598 ©.) 
Leipzig, Brodhaus. 

G. W. Vreede. Oratio de iuris publiciet gentium 
praeceptis a liberae Europae civitatibus adversus vim ac dolum poten- 
tiorum fortiter tuendis. Publice dicta die XXTI Martii a. M.D.CCCLXI 
quum academise rectionem solenni ritu deponeret. 8. (48 &.) Traiecti 
ad Rhenum. J. G. Broese. 


Das Hiftorifche u. feine Berechtigung in der Bolitif. Ein 
in der kaiferl. Alad. d. Wilf. in Wien nicht gehaltener Vortrag. gr. 8. (44 ©.) 
Bien, typogr.-liter.artift. Anſt. 


Ranmer, Rob. v., üb. die geſchichtliche Entwidelung ber 
Begriffen. Recht, Staat u. Politik. 3., verb. u. verm. Aufl. gr. 8. 
(X u. 308 ©.) Leipzig, Brochaus. 

Mohl, Frhr. v. Staatsredht, Völkerrecht u. Bolitit, Mono- 
graphieen. 2. Bd. Bolitil. 1. Bd. Lex.S. (XI u. 691 ©.) Zübiugen 1862, 
Zaupp. 

Roſcher, Wilh., Anfichten der Bollswirthfhaft aus dem 
geſchichtlichen Standpunkte. gr. 8. (IX u. 495 ©.) Leipzig, ©. $. 
Binter. 


Zittmann, Frdr. Wilh,, Nationalität u. Staat. gr. 8. (53 S.) 
Dresden, Hödner. 


Laurent, F. Etudes sur V’histoire de l’humanite. 
Tom. V—VII. 8. Bruxelles, Bobue. 


Givodan. Histoire des classes privilegiees dans 
los temps anciens. 3 vol. Paris, Dentu. 


166 Leberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Vanderhaeghen, R.,, La verit6 historique. Revue de- 
stinde & retablir les faits alters par l’ignorance et la mauvaise foi. 
Tom. VL 8 Paris, Lethielleux. 


Schmidt, Dr. Karl, die Geſchichte der PBädagogikiu welt 
geſchichtlicher Entwidelung u. im organifhen Zuſammenhange m. dem Qultur- 
leben der Völker dargeftellt. 3. Bd. U. u. d. T.: Die Gefchichte der Pädagogit 
in der chriſtlichen Zeit. 2. Abtb.: Die Geſchichte der Pädagogik von Luther bie 
Beftaloygi. gr. 8. (XVI u. 699 ©.) Geſchichte der Pädagogik von Peftalozzi 
bis zur Gegenwart. gr. 8. (XVI u. 814 ©.) Cöthen, Schettler. 


Brantl, Brof. Dr. Earl, Geſchichte der Logik im Abendlande. 
2. ®b. gr. 8. (AU, u. 899 ©.) Leipzig, Hirzel. 


Findel, J. G. Geſchichte der Freimaurerei von der Zeit ihres 
Entftehens bis auf die Gegenwart 1. Bd. gr. 8. (1. Lfg. HIu. 112 &.) Leip- 
sig, Luppe. 

Colombey, Emile Histoire anecdotique du duel dans 
tous les temps et dans tous les pays. 12. (842 ©.) Leipzig, A. Dürr. 


Czerwinski, Alb, Seihichte der Tanzkunſt bei den cultivir 
ten Völkern von den erflen Anfängen bis auf die gegenwärtige Zeit. Mit 34 
in den Text gebr. Abbildgn. (in Holzichn.) u. 9 alten Zanzmelodien. 8. (VII 
u, 264 ©.) Leipzig 1862, Weber. 


Flögels Geſchichte d. Srotesl-Komifchen, neu bearb. und 
erweitert v. $rdr. W. Ebeling. Neue rehtmäß. Orig.-Aufl. m. den Orig.» 
Kfm. 1.— 8.%g. gr. 8. (S. 1—192 m. 20 Steintaf. wovon 8 in Buntbr., 
in gr. 8. u. qu. Kol.) Leipzig, Werl. 


Nid, Fr. die Hof u. Boll8-Narren fammt ben närriſchen Luſt⸗ 
barleiten der verſchiedenen Stände aller Völker u. Zeiten. Aus Flögel’s Schrif⸗ 
ten u. andern Quellen. 2 Bde. 16. (XXIV u. 1487 ©.) Stuttgart, Scheible. 


Kugler, Frz, Handbuch der Kunſtgeſchichte. 4. Aufl, bearb. 
v. With. Labte. (In 2 Bon.) 1. Bd. Mit Illuſtr. (in eingedr. Holzſchn.) 
u. dem Bildniß v. Frz. Kugler (in Stahift.) gr. 8. (XVI u. 580 ©.) 2. Bd. 
8. (XXIH, 604 ©.) Etuttgart, Ebner & Eeubert. 


Müller, Prof. Fr., die Künftler aller Zeiten u. Völker, od. 
Leben u. Werte der berühmteften Baumeifter, Bildhauer, Maler x. von ben 
fruheſten Kunftepochen bis zur Gegenwart. Fortgeſetzt v. Dr. Clu nzinger. 
27. n. 238. fg. Ler-8. (8. Bd. S. 225886.) Stuttgart, Ebner & Seubert. 


Bede, WR, Eharalterbilber ausder Knuſtgeſchichte 
in chronologiſcher Folge von den Alteſten Zeiten Bis zur italieniſchen Kumfibläthe. 





1. Weltgeſchichte. Allgemeines. 167 


Nach den Darſtellgn. der vorzüglichſten Kunſtſchriftſteller. Mit 178 (eingedr.) 
Holzſchn. gr. 8. (VI u. 392 S. m. 1 Holzſchntaf.) Leipzig 1862, Seemann, 


Lübfe, Brof. Dr. Wilh., Abriß der Geſchichte der Baufunf 
unter Zugrundelegg. feines größeren Werles als Leitfaden f. Studirende d. 
Baufachs bearb. Mit 238 (eingedr.) Holzſchn.Illuſtr. Ler.-8. (VII u. 260 ©.) 
Efien, Seemann. 


Baagen, ©. F., Handbuch der Geſchichte der Malerei. 
1. Bd. dr. 8. Stuttgart 1862, Ebner u. Seubert.e Inhalt: Handbud der 
deutfhen u. niederländifchen Malerſchulen. 1. Abth. Mit JIluſtr. (in eingedr. 
Sotzfhn. u. 3 Kpfrtaf. in br. 8. u qu. Fol.) (XXIV u. 834 ©.) 


Brendel, Frz, Grundzüge der Geſchichte der Muſik. 5. verm. 
Aufl. Ler..8. (72 ©.) Leipzig, Matthes. 

Ambros, Aug Wilh., Geſchichte der Mufil. 1. Bd. gr. 8. 
(XX n. 548 ©.) Breslau 1862, Leudart. 


Münzftudien. Neue Folge der Blätter f. Munzkunde. Hreg. v. 
H. Grote. Nr. 5. gr. 8. (S. 629—788 m. 2 Gteintaf.) Leipzig, Hahn. 


Schweiger, F., Mittheilungen aus dem Gebiete der 
Numismatilu Archäologie. 6. Decade U. u. d. T.: Notizie pe- 
regrine di numismatica e d’archeologia. 6. Decade. gr. 8. (145 ©. m. 
2 Steintaf. in Tondr.) Trieft. (Leipzig, Kößling.) 


Zeitfhrift für Münz-, Siegel- un Wappen⸗öKunde. Neue 
Folge. 1. Bd. 4. Heft. Mit 3 (lith.) Taf. 4. (8. 193 — 256 m. eingebr. 
Holzſchn.) Berlin, Mittler & Sohn. 


Siebmadhers, I., großes u. allgemeines Wappenbud 
in Berbindg. m. Mehreren neu breg. u. m. hiftor., genealog. u. herald. Notis 
zen begleitet vonDr. Dtto Zitan v. Hefner. 66. Lig. od. 1. Bd. 2. Abth. 
7. Hft. gr. 4. (4 ©. m. 18 Steintaf. in Zondr.) Nürnberg, Bauer & Rappe. 


Hefuer, Dr. Otto Titan v., Handbuch der theoretiſchen u. 
yraltifhen Heraldik unter fieter Bezugnahme auf die übrigen biftorifchen 
Hilfewiſſenſchaften. 1. Thl. Theoretifche Heraldik in 17 Kapiteln unter An- 
füßrg- v. 2873 Beifpielen u. m. Erklärg. der herald. Ansdrücke in 6 Sprachen 
erläutert dur 36 auf Stein gez. Taf. m. 1457 Fig. unter Auffiht u. nad 
Drig. des Berf. gefertigt. gr. 4. (VIII u. 1% ©.) Münden herald. Inftitut. 


— — heraldiſche Bilderbogen. 1. Bd. 52 Bogen m. lith. Ti⸗ 
tel u. Juhalt u. 2. Bd. Bog. 1—12. Lith. Kol. München, herald. Inſtitut. 


J. B. Rietstap, Armorial göneral. Contenant la desoription 
des armoiries des familles nobles et patricieunes de IXTurope, proo6dde 


168 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


d’un dictionnaire des termes du blason. 20. livr. 8. (8. 913 — 1100. 
Goude, G. A. van Goor. 


2. Alte Gefchichte. 


Raumer, Fror. v., Borlefungen üb. die alte Geſchichte 
3 Bde. 3., nochmals weſentlich verb. u. verm. Aufl. gr. 8. (XVIO u. 923 ©.) 
Leipzig, Brodhaus. 

Bonnell, Gymn.Dir. E., diealte Geſchichte nah römifdhen 
Duellen als lateinifches Lefebuch f. die mittleren Claffen bearb. 2. Aufl. gr. 8. 
(XVI u. 262 ©.) Berlin, ©. Reimer. 


Bodemüller, Fr, Erzählungen aus bem Reihe der 
alten Geſchichte f. die Jugend bearb. Völker d. Orients u. Hellenen. gr. 8. 
(IV u. 218 ©.) Stade, Steudel. 


Stade, Gymn.Lehr. Dr. Ludw., Erzählungen ausder alten 
Geſchichte in biographifcher Form. 23. Thl.: Erzählungen aus der römi- 
fen Geſchichte. 4. Aufl. 12. (VIII u. 220 ©.) Oldenburg, Stalling’s Berl. 


Stoll, Gymnm.Prof. H. W. die Götter u. Heroen d. claf 
fiſchen Alterthd um 8. Populäre Mythologie der Griechen u. Römer. 2 Bde. 
Mit 42 Abbildgn. (Holzfehntaf.) 2. Aufl. br. 8. (XVI u. 643 ©.) Leipzig, Teubner. 


Kiepert, Heinr., Atlas antiquus. Zehn Karten zur alten 
Geſchichte entworfen u. bearb. 2., verb. u. dur 2 neue Karten vervoll- 
fändigte Aufl. Lith. u. color. gr. Kol. Berlin, D. Reimer. 


— — hiftorifä-geograpbifher Atlas der alten Welt. Zum 
Schulgebraud)e bearb. u. m. erläut. Bemerlgn. begleitet. 14. verb. Aufl. qu. 
gr. 4. (16 in Kpfr. gef. u. color. Karten u. 30 ©. Tert.) Weimar, Landes 
Induſtrie⸗Comptoir. 

Putz, Syumn.-Oberlehr. Wilh. hiſtoriſch-geographiſcher Schul. 
Atlas. 1. Abth.: Die alte Welt. Mit erläut. Zerte. 2. verb. Aufl. Mit 10 
illum. Karten auf 8 Taf. (in Stahlſt.) qu. gr. 4.(16 ©. Zert.) Regensburg, Manz. 

Lenz, Prof. Lehr. Dr. Herald Othmar, Mineralogie der alten 
Grieden u. Römer, deutih in Auszügen aus deren Schriften, nebſt An⸗ 
merfgn. gr. 8. (VIII u. 194 ©.) Gotha, Thienemann. 


Mayer, Rechtsanw. Dr. Sam., die Rechte der Ifraeliten, 
Athener u. Römer, m. Rüdfiht auf die neuen Geſetzgebgn., f. Juriſten, 
Staatsmänner, Theologen zc. in Parallelen dargeftellt. Ein Beitrag zu e. Sy⸗ 
ſteme u. zu e. Geſchichte d. Univerfalvechts. 1. Bd. Das öffentliche Recht. gr. 8. 
(AXVI x. 418 ©.) Leipzig 1862, Baumgärtner. 





2. Alte Geſchichte. 169 


Bahofen, Appell⸗R. 3. 3, das Mutterredht. Cine Unterfuchg. 
Ab. die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiöfen n. rechtl. Natur. 
Mit 9 Steindrtaf. (in gr. 4. u. qu. Imp.Fol.) 

Docedes, Dr. 3. 3., Handleitung beim Unterridt in ber 


biblifhen Geſchichte. Nah d. Holländ. v. L. M. 8. (79 ©.) Kaiſers⸗ 
lautern, Taſcher. 


Kurt, Prof. Dr. Joh. Heinr., bibliſche Geſchichte. Der heil. 
Schrift nacherzählt u. erläutert. 8. Aufl. 8. (VIII u. 262 &.) Berlin 1860, 
I 4. Wohlgemuth. 

Ballien, Lehr. Th., die bibliſche Geſchichte auf der Ober 
Rufe in Volksſchulen. Ein praft. Handbuch f. Lehrer u. Erzieher. 5. Hft. gr- 8. 
(1. ®d.: Das alte Zeftament. S. 445—688. Schluß.) Stuttgart, Belfer. 

Elkan, Lehr. M., Leitfaden beim Unterridt in der Ge 
ſchichte der Israeliten v. den früheften Zeiten bis auf unfere Tage 
nebſt e. kurzen Abriß der Geographie PBaläftina’s f. israelit. Schulen. (5. verb. 
m. e. Zeittaf. verm. Aufl.) 8. (VIO u. 148 ©.) Oeynhauſen, Eßmann & Co. 

Bangemann,Ludw., biblifhe Geſchichten geordnet u. bearb. 
zu biographiichen Gefhichtsbildern. gr. 8. (XI u. 231 ©.) Eisleben, Reichardt. 


Dreyer, Nelig.-Tehr. Leop., bibliſche Geſchichte u. Geſchichte der 
Juden u. d. Judenthums bis zum Abfchluffe d. Talmuds, nebft e. kurzen Lieber» 
blide der weitern Geſchichte der Juden bis auf unfere Zage f. die ifraelit. 
Jugend. 2 Thle. 3. umgearb. u. verm. Aufl. gr. 8. (XII u. 457 ©.) Wien 
1860, Braumüller. 


Scälefinger, Hch, Luchach Ha-Ittim. Zeittafel der bibl. u. 
nachbibl. Geſchichte der Juden von der Erichafig. der Welt bis zum 3. 8660, 
vn Anfange d. 19. Zahrh. üblicher Zeitredhng.) in 2 Abthign. gr. 8. (vaI 

- 215 &.) Creuznach, (Eoblenz, Reiff.) 

Popper, Dr. Zul., der biblifhe Bericht üb. die Stift“ 
Hätte. Ein Beitrag zur Gefchichte der Compofition u. Diaskeue d. Pentateuch. 
gr. 8. (XVI u. 256 ©.) Leipzig 1862, Hunger. 

Wolff, Superint. Paſtor O., das Bud Judith als geichichtliche 
Urkunde vertheidigt u. erflärt , nebft eingehenden Unterfuchgn. üb. Dauer n. 
Ausdehng. der afiyr. Obmacht in Aften u. Aegypten, üb. die Hylkſos, üb. die 
Urfige der Chaldäer u. deren Zufammenbang mit den Stythen, üb. Phud, Lud, 
am, Chua u. |. w. gr. 8. (VI u. 196 ©.) Leipzig, Dörffling & Franke. 

Baur, Brof. Dr. Gnſt., Geſchichte der altteſtamentlichen 
Beiffagung. 1. Thl. Die Vorgefhichte der altteftamentl. Weifſagg. gr. 8. 
(X u. 490 ©.) Gießen, Rider. 

Dehler, Prof. Dr. Guſt. Yriedr., Ab. Das Berhältniß ber alt 


170 Ueherficht der Kifertichen Biterarur ven 1861. 


tefamentligen Prophetie zur heitmikhen Maxtil. gr. 4. (20 ©.) Ta- 
bingen, (Fues Gert.) . 

Köhler, Frivattec. Lic. Dr. Aug., die wederilifhen Broppe- 
ten. 2. Abth. gr. 8. Griangen, Deichert. Impelt: Der Beiffegungen Eo- 
derjas 1. Hälfte, Cap. 1—8. TI =. 50 ©.) 

Sepp, Prof. Dr. (Joh. Rep), Ierzielem u das heilige fand 
od. Pilgerbuch ned, Pelätime, Cyriem u Aegwien. (Im 4 Age.) 1. Lig. 
Lex.S. (S. 1-240 m. eingeht. Holzichn) Extefihanfen 1862, Surter. 

— — das Leben Jeſn Chriki 6. Bd. Des Leiden Ehriki. 2. Aufl. 
er. 8. XL m. 678 ©.) Regensburg 1562, Manz. 

L’Hommond, Epitome historiae sacerae. Editio nova 
quam prosodiae signis, novague vocum omnism interpretatione , ador- 
navit Geo. Ironside. Editio AX., quam correxit et emendarit Dr. 
Thom. S. Joy. gr. 16. (166 &.) Philadelphia 1860, (Schäfer & Koradi.) 

The Jewish war of Josephus, with his sutobiography. A 
new translation by the late Dr. Trail. Edited with Notes by Isaac 
Taylor. New edition. 1 vol & (S. 716.) 

LA.Martin, Les civilisations primitives en Orient: 
Chinois, Indiens, Perses, Babyloniens, Syrien, Egyptiens. 8. Paris, Didier. 

Rawlinson (Ber. George.) The five great monarchies 
of the ancient world or the history, geography and antiquities of As- 
syria, Babylonia, Chaldaea, Media and Persia. 1 vol. London. Longman. 

Breiteneiher, Gymn-Prof. Dr. Mich, Ninive u Nehum Mit 
Beiziebg. der Refultate der neneſten Gutdedgu. biftorifch-eregetiich bearb. gr. 8. 
(IV a. 120 ©. mit Steintef.) Münden, Lentuer. 

Schoebel, Charles. Examen critique du dechiffre- 
ment des inscriptions cuneiformes assyriennes. Expedition 
scientifique en Mesopotamie, par Jules Oppert. 8. Paris, Challamel. 

Oppert, Etst actuel du dechiffrement des inscorip- 
tions cuneiformes. 8. Paris. Challamel. 


M&naut, Joachim, Les nomspropres assyriens, re 
oberches sur la formation de expressions ideographiques. 8. Paris, Duprat. 

— — Principes elementsires de la lecture des tex- 
tes assyriens. 8. ibid. 

Müller, Dr. Uois, Aftarte. Ein Beitrag zur Mythologie 
d. orientelifgen Alterthums. (Aus den Sixungeber. db. f. Atad. d. 
wir.) Ler.-8. (44 ©. m. 1 Steintaf.) Wien, Gerold's Sohn in Comm. 

Stickel, Dr. Joa. Gust., de Ephesiis litteris linguae Se- 
mitarum vindicandis oommmentatio. gr. 4. (18 ©.) Jena 1800, Deistung. 





2. Alte Geſchichte. 171 


L. Müller, Numismatique de l!’ancienne Afrique. Ou- 
vrage prepar6 et commence par C T. Falbe et J. Chr. Lindberg. 2 vol, 
4. Rollin. 


Judas, A. C., Memoire sur 19 inscriptions numidico-puniques in 
edites trouvdes & Consiantine et sur plusieurs autres inscriptions dans 
la möme langue. 8. Paris, Charlemel. 

Chabas,F. Une inscription historique du rögne de 
Sete L 4. Paris, Duprat. 


— — Le papyrus magique Harris. Transsoription analiti- 
que et commentee d’un manuscrit egyptien comprenant le texte hiera- 
tique un tableau phonetique et un glossaire, 4. ibid. 

Rouge, E.de, Note sur les noms egyptie ns des planötes, 
8. Paris, Duprat. 

—— Le po&me de Pen-ta-our, sur le campagnes de Ramseg 
II (Sesostris). 8. ibid. 

— — Rituel funeraire des anciens Egyptieng. Texte 
complet en Ecriture hieratique , publie d’apres les papyrus du Muse 
du Louvre, et précédé d’une introduction à l’etude du Rituel. — Livrai- 
son 1 et 2. Folio. ibid. 


Reiniſch, Dr. S. 2%, üb. die Namen Aegyptens in der Pharao 
nenzeit u. die chronologifche Befimmung der Aera d. Könige Neilos. (Aus d. 
Giyungsb, 1861 d. k. Alad. d. Wiff.) Ler.-8. (40 ©.) Wien, Gerold's Som 
im Gomm. 


Bartbey, ©., Ptolemaeus Lagi, der Gründer der 82. ägyptiſchen 
Dynafiie. (Aus den Abhandlgn. d. K. Alad. d. Wil. zu Berlin 1860 gr. 4. 
18 ©.) Berlin 1860, Dümmler’s Berl. in Comm. 


Schmibdt,Dr., Zuder Geſchichte der Karifhen Fürſten db. 4. 
Sahıh. v. Ehr. u. ihrer Münzen. 4. (15 ©.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht. 


Nolte, Ed. de rebus gestisregumBithynorumPars L 
gr. 8. (VII u. 62 ©.) Halis. Münster, Wundermann. 


Schötenfad, Gymn.-Oberlehr. Heinr. Aug,, üb. die Thraker, als 
Stammoväter der Gothen, und die verfchiedenen Verzweigungen des gothifchen 
Bölterfiammes. Hiflorifche Unterſuchg. gr. 4. (74 ©.) Stendal, Franzen & Große. 


Zugendbibliothek des griehifhen und deutfhen Alter 
thams, Hreg. v. Dr. Fror. Aug. Eckſte in. 4—9. Lg. 8. Halle, Bud. 
d. Baifenhaufes. Inhalt: Karl Friedr. Beder’s Erzählungen aus der altem 
Belt f. die Iugend. Hreg. v. Dr. Fror. Aug. Edftein. 2. u. 8. Th. Mit 10 
Stehiſt. 9. Aufl. 2. nuverund. Abor. (610 ©.) 


178 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


L. Girault, Histoire de la Gröce, 8, (Bibliothöque Philip- 
part) Paris. 


L. Combes, La Gr&öce ancienne, 8, Paris, La Grange. 


Durng. Histoire de la Gröce ancienne. 8. vol. Aurillac 
Fyury. 


Beiträge zur älteften Gefhichte von Hellas von Dr. 
Amold Bafjom. Aus dem Jahrbuche des Kloſters U. 2. Fr. entnome 
men. Magdeburg 1861. 

Es find durchaus Berfönlichleiten der Sage, mit welchen dieſe Bei: 
träge ſich befhäftigen: Pelops, der mythiſche Stammvater des ebenfalls 
noch durhaus der Sage angehörigen Koͤnigshauſes der Pelopiven, welder 
in der vorhiftorifhen Zeit als Beherricher eines großen Theiles der nad) 
jenem Stammvater benannten ſüdlichen griechiſchen Halbinfel, der Pelopon⸗ 
neſos, erſcheint; Europe die Tochter des Kadmos, von welcher die Griechen 
den Namen unfere® Welttheiles berleiteten; Triopas oder Triops, ein 
mythifcher König, der in den verfchiedenften Gegenden des europäifchen 
wie des Heinafiatiihen Hellas (in Theflalien, Argos, Athen, Knidog, 
Rhodos, Kos und Syme) als Führer von Kolonien und ala Gründer von 
Heiligthümern und Stäbten auftritt; endlich jener Volksſtamm der bei 
jeder Unterfuhung über die älteſte griechifche Geſchichte dem Yorjcher mehr 
wie ein Stein des Anftoßes, ala wie ein Mark: over Gränzftein im Wege 
liegt : der Stamm ver Pelasſsger. Ueber alle dieſe vom Nebel der Sage 
umbüllten Geftalten fucht nun der Verfaſſer, hauptfächlich durch die Leuchte 
der Etymologie, foviel Licht auszugießen, als zur Erkenntniß der jenen 
Sagengebilvden zu Grunde liegenden ethbnographifhen Berhältniffe nöthig 
ft. Daß dies in den meiften Fällen nicht in ausreihendem Maaße ge: 
lungen ift, wollen wir dem Berfafler diefer immerhin recht dankenswerthen 
Beiträge durhaus nicht zum Vorwurf machen; es liegt dies vielmehr in 
der Natur des von ihm behandelten Stoffes, der ja auch einer forgfältig 
und methodiſch geführten Unterfuchung faft unüberwindliche Schwierigfeiten 
darbietet. B. 


Grenier, A, Idees nouvelles sur Homere 8. Paris. 
Durand. 


Delorme, 8, Los Hommes d’ Homöre; essai sur les 
moeurs de la Gröce aux temps heroiques, 8. Paris, Didier. 





2. Alte Geſchichte. 178 


Rossignol, J. P, Des artistes homöriques ou histoire 
critique des artistes qui figurent dans l’Iliade et dans l’Odyssee. 8. Pa- 
ris, Durand. 


GreswellL Origines Calendariae or the history of the 
primitive Calendar among the Grecs. 6 vols. 8. 


Faſelius, Aug, der Attifche Kalender, in der Zeit von Solon 
(584 v. Ehr.) bis zur Einführung der chriftlihen Religion in Griechenland 
(812 nah Chr.) Ein Hülfsbud f. Geſchichtsforſcher, Chronologen, Archäologen 
x. zur richtigen Berechng. der in den Schriften der Alten vorlommenden Atti- 
fen Zeitangaben. gr. 8.(XXVIu. 1708. 2 Tab. in qu. Fol.) Weimar, Voigt. 


Schoemann, G. F. griechiſche Alterthümer. 1. Vd. Das Staat 
weſen. 2. Aufl. gr. 8. (XI u. 575 ©.) Berlin, Weidmann. 


Reynald,H.,Recherches sur ce qui manquait & la liberte Jans 
les r&öpubliques de la gröce. 8. Paris, A. Durand. 


Egger. Memoire historique sur les traites publics dans 
Pantiquite. 4. ibid. 

Caffiaud Del’oraison funebre dans la Grece paienne. 8. 
Paris, ibid. 

Schiller, Gymn.Prof. Dr. Ludwig, Stämmeu.Staaten Gries 


chenlands nad) ihren Zerritorialverhältniffen bis auf Alexander. 3. Abfchnitt: 
Argolis. 4. (29 ©.) Ansbach. Erlangen, Bläfing. 


Roß, Ludw., arhäologifhe Auffäke. 2. Sammlung. gr. 8. Leip⸗ 
zig, Teubner. Inhalt: Zur alten Gedichte. — Zur Geſchichte der alten 
Euftur, Religion u. Kunft. — Griechiſche Baudenkmãler. — Zur Chorographie 
u. Topographie v. Griechenland. — Zur griech. Epigraphil. Mit 20 Tith. Taf. 
(im gr. 4 n. ol.) (AXIV u. 6% ©.) 


Griechiſche Geſchichte von Ernft Curtius. Zweiter Band, 
Bis zum Ende des Peloponnefifchen Kriegs. Berlin 1861. 


Der erfte Band der griehifchen Geſchichte hatte und von den dun⸗ 
felften Anfängen des griechijhen Volles an bis zu dem erften Zufammen- 
ſtoß der Griechen mit den Perjern, dem unbeilvollen Aufftande ver Sonis 
ſchen Städte Kleinafiend, geführt und mit der drohenden Berfpeltive auf 
die gewaltigen Rüftungen des Dareios zum Rachezuge gegen die Förderer 
jenes Aufftandes jenſeits des Meeres abgeſchloſſen: das erhebende Schau⸗ 


174 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


fpiel der Vereitelung dieſer Anftrergungen durch die kühne Entjehlofienheit 
und Opfermilligleit des Atheniſchen Volles eröffnet den zweiten Band, 
der im erften Abjchnitte des dritten Buches, welchen der Verfafler in Hin- 
bli auf die Geſchichte unſeres Baterlandes „die Freiheitskriege“ betitelt 
bat, die Kämpfe gegen die Perfer in Hellas felbft, vom Zuge des Datis 
und Artaphbernes bis zum Siege bei Plataiai, erzählt. Der 2. Ab: 
ſchnitt, „die wachſende Macht” Athens, ſchildert dann die Fortjegung des Krie⸗ 
ges in Afien, die Uebernahme der Hegemonie zur See durch die Athener 
and die dadurch bedingte Stiftung des von Athen geleiteten Bundes, die 
fpäteren Schidfale des Themiftofles, die Thaten und die Politik des Kimon, 
endlich die Kämpfe Athens gegen die Beloponnefiihen Seeftaaten wie ge: 
gen die von den Lafebaimoniern unterftügten Brioter bis zum Abſchluß 
des breißigjährigen Frieden? (DI. 83, 3) und der Verbannung bes ein: 
jigen ebenbürtigen Gegners des Perilles, des Thukydides des Sohnes des 
Melefiad (DI. 84,1). Der dritte Abjchnitt, „vie Friedensjahre“, beginnt 
mit einer kurzen Schilderung der geiftigen Strömungen, weldhe Athen um 
die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. bewegten, einer Schilderung melde 
gleihfam den Hintergrund bildet, von welchem fi dann die glänzenve 
Geftalt des Perikles abhebt, deſſen Charakter, politiihe Stellung, Einfluß 
auf die Verfafiungsverhältniffe wie auf die auswärtige Politit Athens in 
ebenfo anziehender als treffender Weife dargeftellt werben: eingeflodhten 
in biefe Darftellung ift die kurze Erzählung des Samiſchen Krieges (DI. 
84, 4— 85, 1), defien für Athen fiegreiher Ausgang auf das Berhält: 
niß defjelben zu den Mitgliedern des von ihm geleiteten Bundes einen 
weitreichenden Einfluß ausübte Cine mit bejonverer Liebe behandelte 
Schilderung des gewaltigen Aufihwungs, welchen Wiflenihaft, Poefie und 
bildende Kunft in Athen zur Zeit und zum großen Theil unter dem Ein- 
flufje des Perilles genommen haben (mir verweifen insbeſondere auf das 
Kapitel über die Malerei, Blaftit und Architektur in Attila S. 247—280) 
bildet ven Schluß diejes Abfchnittes und damit des dritten Buches, ber 
Darftellung der Blüthe Griechenlands im fchönften Sinne des Wortes, über: 
haupt. Das ganze 4. Buch ift dann der Darftellung des erjten großen 
Rationalungläds der Hellenen, des Peloponneſiſchen Krieges, gewidmet, wel⸗ 
der vom Berfafler in 5 Abfchnitten erzählt wird : der erfte behandelt bie 
dem Atheniſch⸗ Spartanifhen Kriege vorausgehenden Creigniffe in Epi⸗ 
damnos, Korkyra und Poſidaia und die beiden erften Jahre des Krieges 





2. Alte Geſchichte. 176 


bis zum Tode des Perikles (DI. 87, 4); der zweite den weiteren Verlauf 
des eriten Krieges bis zum Frieden des Nikias (DI. 89, 3); der dritte 
„Italien und Sicilien”, gibt, als Vorbereitung und Grundlage für die Er: 
zählung der folgenden Greigniffe, Bericht über die Schidfale der griechiſchen 
Bflanzftädte in Unteritalien und Sikelien von DI. 70 bis zur Ankunft der 
Geſandtſchaft der Egeitaeer in Athen (DI. 90, 4); der vierte beginnt mit 
der Schilderung der politifhen Berhältniffe und Stimmungen in den wid: 
tigeren Staaten von Hellas (wobei unter anderem die Politik der zu 
Sparta ſich hinneigenden atheniſchen Dligarchen, die allerdings in mancher 
Hinfiht an die Velleitäten unferer Großdeutſchen erinnert, nicht unpaflend 
als die großgriehiiche bezeichnet wird), woran fih dann die Charalteriftit 
des Alkibiades und die Erzählung der unter feinem Einfluß begormenen 
oder doch vorbereiteten friegeriichen Unternehmungen im Peloponnes, gegen 
Sikeli en (vie „Sicilifhe Frage” nennt es C. mit einem modernen Schlag: 
worte), des Hermalopidenprocefjed und der Kämpfe in Gilelien bis zur 
Bernihtung des atbenifhen Heeres (DI. 91, 4) anſchließt; ver 5. und 
legte Abjchnitt endlih behandelt den ſogenannten Deleleifhen (oder nad 
einer anderen Gintbeilung den Defeleifhen und Joniſchen) Krieg, die letz⸗ 
ten Alte der großen Tragödie, die 8 Jahre rühmliden, wenn auch ver 
geblihen Widerſtandes, welhen das durd die Sikeliſche Kataftrophe ſchwer 
niedergebeugte Athen noch gegen feine an Zahl und Hülfsmitteln immer 
wachſenden Feinde leiftete, bis es envlich, hauptſaͤchlich durch den von je 
ner „großgriechiſchen“ Partei geübten Verrath, unterlag (DI. 93, 4). 
Dies ift in denallgemeinften Umrifjen der Inhalt vorliegenden Bandes: 
daß dieſer reihe und dankbare Stoff vom Verfaſſer in wahrhaft künſtle⸗ 
rifcher Weife verarbeitet und dargeftellt worden ift, brauchen wir wohl nicht 
erft hinzuzufügen. Bergleihen wir nun den 2. Band mit dem eriten, 
fo bat derfelbe ſchon äußerlich etwas voraus, was wir als einen entjchie: 
denen Gewinn mwenigftend für den gelehrten Leſer und zugleich als cine 
Art Bertheidvigungswert gegen allerhand Angriffe für den Berfafier bezeich: 
nen lönnen: wir meinen die Anmerkungen (S. 685—703), in welden 
derjelbe theils in Turzer Erörterung der eigenen Anficht, theils mit Ber 
weilung auf die Unterfuhungen Anderer die im Texte gegebene Darftellung, 
namentlich in Hinfiht auf die Chronologie der Greignifie, rechtfertigt. 
Aber aud) einen innern Borzug möchten wir biefem zweiten Bande vor 
dem erſten zuerlennen, der zumaͤchſt durch die Ratur des bier behandelten 


176 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Stoffes bebingt ift: wir meinen die größere Quellenmäßigfeit der Darftels 
lung, indem bier weit weniger, als im erften Bande, die Läden unjerer 
Ueberlieferung dutch Divination oder vielmehr bir die Phantafie des 
Verfaſſers ausgefüllt oder überfleivet find. Auch in der Behandlung ber 
Berfafiungszuftände der griechiſchen Staaten glauben wir bier einen Fort⸗ 
fhritt gegen den vorhergehenden Band zu erkennen, ſowie und auch die Zeich⸗ 
nung ber Charaltere der bervorragenderen attiſchen Staatsmänner faft 
durchgängig ebenfo fein als richtig erjheint; nur dem Kleon und feinem 
freilich weit unbebeutenderen Nachfolger, dem Kleophon, ſcheint und Curtius 
— wohl in Folge einer Art von Reaktion gegen die enthufiaftifche Auffaflung 
der atheniſchen Demokratie durch Grote — nicht ganz gerecht geworden zu 
fein. Die glänzenpften Partien des Buches übrigens find ohne Frage 
die culturgefhichtlihen Schilderungen, obgleich wir aud hier gegen mande 
Einzelheiten, wie gegen die Beurtheilung des Pindaros und des Simoni⸗ 
des in Bezug auf ihre Stellung zu der großen nationalhelleniichen Frage, 
zum Freibeitälampfe gegen die Perſer, gegen die Deutung des Parthenon⸗ 
friefes als Darftellung des (angeblihen) Proagon der Panathenden, 
u. ä., Widerſpruch erheben müſſen. Doch dies find Kleinigleiten, bie 
nit der Art find um unfere Freude an dem fchönen Buche zu ftören, 
das in hohem Grabe den beiden Hauptanforberungen, die man an ein 
Geſchichtswerk ftellen muß, der kritiihen Sichtung der Weberlieferung 
und der künftleriihen Darftellung der dadurch gewonnenen Nefultate, 
entfpridht. B. 


Herodotus by Rawlinson assisted by Col. Sir Henry Raw- 
linson and Sir J. G. Wilkinson. 4 vols. 8. London. 


Cox. The tale of the great Persian war from the histories of 
Herodotus. 12. (&. 447.) London. 


Lugedil, Karl, üb. das Wefen u. die HiftorifheB®edeutung db. 
Dftralismos in Athen. (Abdr. aus dem 4. Suppl.Bd. der Jahrbücher f. 
Haff. Philologie.) gr. 8. 59 S. Leipzig, Zeubner. 


Recherches critiques sur l’histoire de la Grece pendant 
la periode des guerres Mödiques, par M. de Koutorga, professeur 
d’histoire & l’universit6 de Saint -Pötersbourg. A Paris 1861. 4°. (Ex- 
trait du tome VII, Iöre serie, Iöre partie des Memoires presentös 





2. Alte Geſchichte. 177 


par divers savants à l’Academie des Inscriptions et des belles 
lettres). *) 

Eine Arbeit, die auf jeder Seite von dem wiſſenſchaftlichen Streben 
ihres Berfafierd Zeugniß ablegt, deren Rejultate aber großentheild unmög- 
lich Zuftimmung finden können. Es ift für denfelben verhängnißvoll, daß 
ihm die bebeutendften neueren Leitungen auf dem Gebiete ber griechiſchen 
Chronologie unbelannt geblieben find, wir meinen die beiden Schriften 
Boͤch's „zur Gefchichte der Mondcyclen der Hellenen” und „epigraphijchschro: 
nologifhe Studien”; andernfalls könnte er unmöglih an eine jo ausgebehnte 
Tragweite der metoniſchen Kalenververänderung glauben wie er thut, denn 
er lehrt zu der Anfiht Corſini's und Dodwell's zurüd, daß bis auf die 
Zeit diefer Veränderung das bürgerliche Jahr der Aibener im Winter 
mit dem Gamelion begonnen habe. Diefe Annahme ift aber die Baſis 
feiner meiften übrigen Unterfuhungen. Im Allgemeinen leidet feine Me: 
thode an dem fehler, daß er in die Augen fpringende reale Berhältnifie 
unberüdfihtigt läßt, um nur wenn möglihd allen Zeugnifien des Alter 
thums ohne Unterſchied gerecht zu werben. Daher verfchließt er fih 5.2. 
der nahe liegenden Grwägung, daß die Athener der 87. Olympiade fi 
eine fo tiefgreifende Ummälzung aller bürgerliden Berhältnifie, wie fie 
mit einer Verlegung des Jahresanfanges verbunden war, nimmermehr 
bloß aus Nüdfiht auf die Webereinftimmung mit dem Jahrescyclus ver 
Dlympien werden haben gefallen laſſen und daß, wenn eine ſolche über: 
baupt anzunehmen ift, fie nur in viel älterer Zeit unter dem ungeheueren 
Einfluffe der delphiſchen Prieftermaht Statt gefunden haben kann; er 
überfieht, daß Hiftorifer, ' die nicht gerade Chronographen fein mollten, 





*) Aus einer andern uns vorliegenden Anzeige diefee Buches, die im 
Wefentlihen mit obiger übereinftimmt, entnehmen wir noch, daß der Berf. ſchon 
feit längerer Zeit wiffenfchaftliche Arbeiten publicirt bat, bie in Deutfchland kaum bes 
tannt geworden find. Wir führen fie auf: De antiquissimis tribubus 
Atticisearumquecumregni partibus nexu. Dorpat.1882. 
— Essai sur l’organisation de la tribu dans l’antiquite,. 
Paris. 1889. Essai historique sur les trape6zites ou ban- 
quiers d’Athenes, prec6de d’un notice sur la distinction de la pro- 
prist6 chez les Athöniens, Paris 1859. — Mömoire sur le parti 
persan dans la Gröce antique et le proosds de Themistocle. Paris 1860. 

u». Red, 


Hiberlige Beiikrift Vu. Be. 19 


178 Meberficht ber .Hiflorifchen Literatur von 1861. 


ſehr leiht dahin Tommen mußten, den Ausprud „Sabre“ ebenfo wohl für 
die Periode der Kriegführung als für das bürgerlihe Jahr anzuwenden 
und dadurch eine gewiſſe Unbeftimmtheit in ihre Darftellung zu bringen; 
er läßt, um eine Stelle des Paufanias mit den Worten anderer Schrift 
fteller in Uebereinftimmung zu jeßen, den Gelon erft eine Reihe von Jahr 
ren nachdem er Syralus erobert bat zum Tyrannen deflelben (wiederum 
einige Jahre fpäter zum Könige) werden. Am meiften verdient wohl ber 
im zweiten Theile mitgetheilte Verſuch einer von der Krüger'ſchen abmweir - 
chenden Datirung der legten Scidjale des Paufaniad und Themiftolles, 
wobei freilih eine durchaus unannehmbare Deutung von Cic. Lael. 12. 
angewandt wird, in feinen einzelnen Momenten die Beachtung der Yors 
ſcher. Leider bat fih Hr. K. durch feine charalterifirte Tendenz verleiten 
lofien, die fogenannten Briefe des Themiftofles nicht allein als hiftorifdhe 
Quelle zu benugen, fondern fogar — für ächt zu erklären, eine Anficht, 
deren Durchführung eine zweite, der eben beſprochenen fih anſchließende 
Schrift: „Examen de la dissertation de Richard Bentley sur 
V’authenticit6 des lettres de Themistocle, par M. de K., Pa- 
ris 1861, 4” gewidmet if. Wir hoffen, daß er davon felbft zurücklom⸗ 
men wird, fobald er ſich bie Frage vorlegt, ob ſich denn irgendwo auch 
nur die entferntefte Spur eines Beiſpiels von ähnlihem Projaftyl aus der 
Zeit der Perſerkriege nachweiſen läßt. Sch. 


Goettlingii, C., commentariolum de inscriptione monumenti 
Plataeensis. 4. (7 ©. m. 1 Steintaf.) Jena, Bran. 


— — commentstio de Metonis astronomi heliotropio Athenis in 
muro Pnycis posito. 4. (10 ©.) Ebd. 


Sauppii, Herm., Co mmentatio de inscriptione eleusinia. 
4. (12 ©.) Göttingen, (Vandenhoeck & Ruprecht.) 


Der Abfall Mytilene’s von Athen im peloponnefiihen Kriege. 
Ein Beitrag zum hiſtoriſchen Verſtändniß des Thukydides. 1. Theil. Bon Dr. 
Wilhelm Herbfl. Köln 1861, 4. (Gymprogr.) 


Diefe Abhandlung ift ein Ausflug der nämlichen Tendenz, welche bie 
befannte Schrift deſſelben Verfaſſers: „Zur Geſchichte der auswärtigen 
Politik Sparta’3 im Zeitalter des peloponnefiihen Krieges, Leipzig 1853‘ 
eingegeben bat, der XTenbenz, bie inneren Motive der gewaltigen Gonflilte 
des peloponnefifhen Krieges in den Berhältnifien der griechiſchen Staaten 





2. Ute Geſchichte. 179 


nachzuweifen und bie dabei wirkenden politiichen Nothwendigkeiten zu bes 
greifen. Der feine biftoriihe Sinn und die Gabe, die gelegentlihen Winte 
des Thucydides zu verfteben, welche jene frühere Arbeit auszeichnen, zei- 
gen ſich auf das vollftänvigfte auch in der vorliegenden, in welcher Herbft 
die Urſachen des Eonflittes zwischen Athen und Mytilene erörtert. Gr 
findet fie in der oligarchiſchen Berfafiung der legteren Stabt und in ihrem 
Streben nah Begründung einer äoliſchen Symmachie. In Betreff des 
erfteren Bunttes ſucht er die Regierungsform etwas näher zu beftimmen 
und erflärt für das Wahrſcheinlichſfte das Vorhandenſein eines alle Ange: 
legenheiten leitenden Ausſchuſſes von taufend Mitgliedern, wie er in ven 
Kolonieen häufig beſtand — freilich ift hierin bei der unbeftimmten Auss 
drudsweife der Quellen faum über Vermuthungen binauszulommen — ; 
in Betreff des letzteren führt er aus ven in Bödh’3 Staatshaushaltung 
mitgetheilten Tributliften den fehr gelungenen Nachweis, daß in Troas 
ala dem Hauptziele des mytilenäiſchen Machtſtrebens das Intereſſe dieſer 
Stadt mit dem Athen’3 pofitiv collidirte. Leider ift der Verfaſſer durch 
die Rüdfiht auf den ihm zugemefjenen Raum genöthigt worden nicht bloß 
den zweiten Haupttheil feiner Abhandlung, fondern aud die zweite Hälfte 
des erften Theiles für eine fpätere Gelegenheit zurüdzulegen: nach feis 
nen Andeutungen foll diefe durch eine nähere Beleuchtung der auswärtis 
gen Beziehungen die Gründe entwideln, wegen deren das Unternehmen 
der Mytilenäer ein von vornherein unmögliches war, jener an dem Wechſel⸗ 
verhältnig der beiden Reden des Kleon und Diobotos bei Thucydides 
die Methode diefes Geſchichtſchreibers zur Daritellung bringen. Bir wün- 
ſchen lebhaft, daß die hierdurch angekündigte Fortfegung recht bald erjcheis 
nen möge. Uebrigens war, wie der Berfafler ©. 7. bemerkt, die Abhand⸗ 
lung vor dem Erſcheinen des zweiten Bandes von Curtius' griechiſcher 
Geſchichte niedergeſchrieben, mit vem fie in einigen Punkten zufammentrifft. 
Die Erklaͤrung der Stelle Thuc. II, 47, 1 möchte wohl anders zu faſſen 
fein als e8 von Herbft S. 8 geſchieht. Sch. 


Egger, de Petat civil chez les Atheniens. Observations 
historiques. 4. Paris, Durand. 

— — M&moire sur cette question: Si los Atheniens 
ont connu la profession d’savocat. 8. ibid. 


— — Des honneurs publics chez les Athonions 
& propos d’un dseret insdit de l’orateur Lycurgue. 4. ibid 


280 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Briegleb, Oberlehr. Dr., zur Kritil d.Antipbon. gr. 4. (16 ©.) Auclem, 
(Diege.). 

Kirchner, Fridr., de Andocidea quae fertur tertia oratione. 
Dissertatio inauguralis. gr. 8. (III u. 82 ©.) Berlin, Calvary & Co. 

Baur, Prof. Dr. Ferd. Fridr., de Tyche in pragmatica Polybii 
historia disputatio. gr. 4. (25 ©.) Tübingen, (Fues’ Sort.) 

Mayer, 8., Griechenlands Befreiung dur die Römer. Ein Beitrag 


zum Berſtändniß der neueften Geſchichte. Vortrag, gehalten zu Münden im 
Dezbr. 1860. gr. 8. (85 S.) Erlangen, Bläfing. 


Ein ſeltſames Schriftchen ; ohne weitere Vergleihungen mit der neues 
ften Zeit wird doc eine Parallelifirung gegeben durch Weberfchriften, oder 
durch Beimwörter, die den Zwed baben an die Creigniffe des ital. : franz. 
Krieges gegen Defterreih — und befonder3 an das dem Verfafler höchſt 
ſchmaͤhlich erſchienene unthätige Verhalten „ver natürlihen Bundeögenofien” 
zu erinnern. Was auf diefe Weife gewonnen werben foll, ift una we: 
nigftens nicht Mar geworden. M. 


Finlay, Dr. Geo, Griehenland unter den Römern. Hs 
ſtoriſche Ueberſicht d. Zuſtandes der griech. Nation ſeit ihrer Unterjochg. durch 
die Römer bis zum Erlöſchen der röm. Macht im Orient, 146 v. C. bis 716 
n. ©. Antorifirte Ausg. gr. 8. (XXXI u. 486 ©.) Leipzig, DO. Wigand. 


Breller, %, Griechiſche Mythologie 2. Band. Die Heroen, 
2. Aufl. 8. (X, 546 ©.) Berlin, Weidmann. 


Es war dem Berfafler dieſes Buches nicht beichieven baflelbe in der 
buch die zweite Bearbeitung wefentlic geförderten Geſtalt vollendet vor 
ih zu jehen. Wenige Tage nah der Vollendung des Manufcripts zum 
2. Bande, im Juni des verflofienen Jahres raffte ihn ein fchneller Tod da- 
bin, und es trifft diefer Berluft nicht nur die eigentlihe Fachwiſſenſchaft 
der Mythologie und Sprachforſchung aufs ſchmerzlichſte, ſondern er berührt 
auch den weiteren Kreis der übrigen biftoriihen Wiſſenſchaften. 

Dieje vorliegende 2. Auflage nun tritt in wejentli veränderter 
Geftalt vor den Lejer, und zwar fo, daß ihr die Vorzüge, welche dem Werte 
ſchon bei feinem erften Erſcheinen eigneten, ungejchmälert geblieben find, 
insbeſon dere die Lebenvigleit und Gewandtheit des Styles, die unmittel: 
bare und feflelnde Darftellung, in der er den Stoff am liebften ganz neu 
aus ſich heraus geftaltete, abſehend von aller Polemik und den verſchlungenen 





2. Wte Geſchichte. 181 


Wegen gelehrter Ginzelforfhung, durch die er oder andere Mitarbeiter 
vorher das Material zu Tage gefördert hatten. Er ſelbſt fpricht ſich bier: 
über in einer Heinen Selbftanzeige feine® Buches fehr Kar und belehrend 
aus (Jahn Jahrb. für Phil. Bd. 71 pag. 33) wo er ſelbſt für fein Buch den 
Borzug einer lebhaften Konzeption mit Recht in Anſpruch nimmt. Diefer 
Vorzug einer vortrefflihen Darftellung ift es auch, welcher Preller's My- 
thologie allfeitig auerlannt worden ift, von feinen Freunden ſowie von denen, 
welche fich fonft ala Gegner des Standpunktes beiennen, welchen er der My: 
thologie gegenüber einnimmt. Es kann nicht unfere Aufgabe fein über 
diefe feine eigentliche Behandlung der Mythologie bier zu urtheilen, wie 
dies von Fachgenoſſen beiftimmend oder polemifirend bereits geſchehen ift. 
Vielmehr wollen wir die Lefer diefer Zeitſchrift noch insbeſondere darauf 
aufmerffam machen, daß Prellers Buch auch infofern fi vor anderen 
für den Handgebrauh eignet als es eine vollftändige Sammlung des 
mptbologifhen Stoffes enthält; die Gruppirung dieſes Stoffes ift, mag 
fe vom fachwiſſenſchaftlichen Stanppuntte aus auch nidyt ganz mit Unrecht 
angefochten werden, zum mindeften eine fehr überfidhtlihe und brauchbare. 
Richt minder beachtenswerth ift, daß Preller es verftanden hat, überall 
feinen mythologiſchen Stoff zu verfnüpfen mit den mannigfadhen übrigen 
Glementen des griech. Rulturlebens ; wie man denn überall die engfte Ber: 
bindung mit der Poeſie und den bildenden Künften hergeftellt finden wird. 
Und fo dürfen wir dem Buche mit Recht nahrühmen, daß e3 eine treff- 
liche Löfung der Aufgabe ift, den ganzen mweitverzweigten Bau der gried- 
Mythologie darzuftellen. — Die zweite Auflage bietet nun insbeſondere 
eine nicht unbedeutende Vermehrung des Materials, Da für den Ge 
ſchichtsforſcher vorzugsmweife der zweite die Heroen behandelnde Theil von prak⸗ 
tiſchem Intereſſe ift, fo fei ermähnt, daß dur die neu hinzugelommenen 
Abſchnitte über Kadmos, Danaos, die Herafliden, über die attifhe Königs- 
chronik die vielfeitigften Berührungspuntte mit jenen Fragen gegeben find, 
die feit Jahren die Geſchichtswiſſenſchaft in Bezug auf die ältefte griech. 
Weſchichte befcäftigen. 

Endlich fei noch als Borzug des Buches die gediegene Auswahl 
literariſcher Anmerkungen zu bemerlen welche ein mühjam und forgfältig 
eeiammeltes Material für denjenigen bieten, der die nur furz angedeutete 
Jerſchung weiter verfolgen will. —l—e. 


182 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Müller, H. Dietr., Mythologie d. griehifhen Stämme. 2.90%. 
1. Abth. gr. 8. (VIO u. 216 ©.) Göttingen, Bandenhoed & Ruprecht's Berl. 

Rathgeber, Geo., Gottheiten der Aioler. Mit Exeurſen kunſt⸗ 
geſchichtl. Inhaltes, auch m. dem Schema der Geſchichte hellen. Philofophie. 4. 
(XXVII u. 692 ©.) Gotha, Thienemann. 

Gerhard, Ep, üb. Orpheus n. die Orphiler. (Aus den Ab⸗ 
handign. der f. Alad. d. Wiff. zu Berlin 1861.) gr. 4. (87 &.) Berlin, Dümm- 
ler’s Berl. 

Zohannes DOverbed., Beiträge zur Erkenntniß mb Kritik ber 
Zeusreligion. Leipzig 1861. Aus den Abb. der philel, hiſt. Klaffe der k. füdh- 
ſiſchen Gef. d. Ww., Bd. IV. 

Belanntih hat Welder in feiner griechiſchen Götterlehre ven Gag 
burchgeführt, daß in dem griechiſchen Feus von Haufe aus eine monotheifti« 
She Zorftellung liege, wofür er fi theil auf den mit dem allgemein 
indogermanifchen Worte für Gott identischen Namen theils auf die Bezeichnung 
als Kronion beruft, melde nach feiner Erflärung den Sohn der Seit, d. h. 
der ewigen Zeit, bebeutet. Hiergegen hatte jhon Mar Müller in einer 
Recenfion in Saturday Review Widerſpruch erhoben ; ausführlicher thut 
es Dverbed in der vorliegenden Abhandlung. Er macht zuvörberft geltend, 
daß eine monotheiſtiſche Geiftigleit des Gottesbegriffs ein fpecififches Eigen⸗ 
tbum des ſemitiſchen Stammes, bie arifhen Götter dagegen durchweg Ras 
turgötter jeien, jedoch find die dafür angezogenen ſprachlichen Momente 
nicht eben entſcheidend, der Sat überhaupt in folder Allgemeinheit eine 
Petitio prineipii, daher die betreffende Ausführung kaum geeignet if 
die Löfung der Frage erheblich zu fördern. Viel werthvoller ift ver ziveite 
Theil der Abhandlung, welder die Bebeutung des Kronos zum Gegen 
ftande bat, den O., wefentlich mit Preller übereinftimmend, aber in ums 
fafienderer Behandlung, gegen Welder als ven Zeitiger (von xeaıyo), d. h. 
ala einen dem italiſchen Saturnus entfprechenden Exrntegott beftimmt. Wir 
find geneigt ihm bierin Recht zu geben, müflen jedoch bemerken, daß dies 
für die Zeußfrage eigentlih nichts beweilt, da, wie D. ſelbſt richtig ber 
vorhebt, die Affiliationen der Götter ein verhältnikmäßig fpätes Produkt 
der foftematifirenden Theologie find. Die Uebereinftimmung bed Namens 
Beus oder Jovis mit den appellativiihen Bezeichnungen des Gottesbe⸗ 
griffa bleibt immerhin ein ſehr affallendes Faltum und läßt fchließen, daß 
zur Zeit der Trennung der Gräco-Staliler von der ariihen Böllerfamilie 
bei diefem Ramen etwas wejentlih Anderes empfunden wurbe als bei 





2. Alte Geſchichte. 188 


dem irgend eines andern Gottes, wodurch eine urſpuüngliche Naturbedeu⸗ 
tung deſſelben in einer noch älteren Periode freilich keineswegs ausge⸗ 
ſchloſſen wird. Sch. 


Wieſeler, Friedr, der Apollon Stroganoff u. der Apollon vom 


Belvedere. Eine arhäolog. Abhandig. Nebft 1 Kpfrif. gr. 8. (121 ©.) Leim 
ig, Teubner. 


3. Löwenherz, die Aethiopen der alt» Haiflfchen Kunſt. 8. (68 ©.) 
Göttingen, Rente. 
Byl,Doc. Dr. 8. Th. die griech Rundbauten im Zufammenhange 


wm. dem Götter und Heroencultus erläutert, gr. 8. (VI u. 1232 ©.) Greife⸗ 
wald, Koch. 


Zahn, Dtto, Rb. Darftellungen griechifcher Dichter auf Vaſenbildern. 
Mit 8 Taf. (wovon 1 lith., 6 hromolith. u. 1 in gr. 4 u. Fol.) (Abdr. aus 
den Abbandigu. d. k. Sächſ. Gef. d. Will.) hoch 4. (VIII u. 64 ©.) Leipzig, 
Hirzel. | 

!üßow, Dr. Karl Fr. v. Münchener Antiten. (In 8-10 
Zigu.) 1. ig. Fol. (6 Kpfrtaf. m. 12 ©.) München, Fleiſchmann's Sep.Cto. 

Jan, Carol de, fidibus Graecorum. Dissertatio inaugu- 
ralis. gr. 8. (IH u. 44 ©. 1 Steintaf.) Berlin, Calvary & Co. 

Bernhardy, G. Grundriß der Griechiſchen Literatur; m. e. 


vergleichenden Neberblid ber Römiſchen. 8. Bearbeitg. 1. Thl.: Iunere Geſchichte 
der Griechiſchen Literatur. gr. 8. (XXVI n- 764 S.) Halle, Anton. 


Belder, F. G. Heine Schriften. 4. Thl. U. u. d. T.: Kleine Schrif⸗ 
tem zur griechifchen Literatur 8. Thl. gr. 8. (V un. 258 &.) Bonn, Weber. 


Rapp, Mor., Gefchichte d. griehifhen Shaufpiele vom Stand» 
yunft der dramatifchen Kunft. gr. 8. (VIII u.407 ©.) Tübingen 1862, Laupp. 


Dronkte, Yuf., die religiöfen und fittlichen Borftellungen d. Aeſchylos 
n. Sophotles. (Abdr. aus dem 4. Suppl.Bd. der Jahrbücher für klaſſ. Phi⸗ 
lologie) gr. 8. (116 ©.) Leipzig, Teubner. 

Lohde, Lubw., die Scene der Alten. 20. Programm zum Wintelmanne 
fe der archäolog. Geſellſchaft zu Berlin. Mit 1 lith. Vildiaf. gr. 4. (24 ©.) 
Berlin 1860, Her in Comm. 


Helbig, Wolfg., Quaestiones scenicae. dissertatio inau- 


gurales, Bonn, Henry & Cohen. 
Strumpell, Prof. L. die Geſchichte d. griechiſchen Philoſophie 


184 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


zur Ueberficht, Repetition u. Orientirung bei eigenen Stubien entworfen. 2. Abth. 
Die praft. Philofopbie. 1. Abſchn. A. u. d. T.: Die Gefchichte der praftifchen 
Bhilofophie der Griechen vor Ariftoteles. gr. 8. (X u. 510 ©.) Leipzig, Boß. 

Zeller, Dr. &b., bie Philoſophie der Griechen in ihrer ge 
ſchichtlichen Entwidelung bargeftellt. 2. Thl. 2. Abth.: Arifioteles n. die alten 
Beripatetifer. 2. fg. 2. Aufl. gr. 8. (X ©. u. S. 358-773.) Tübingen 1862, 
2. F. Fues. 

Morel, A, esprit des Grocs. Pensées, maximes, senten- 
ces et proverbes tir6s des meilleurs écrivains grecs, recueillis et mis 
en ordre alphabötique. 12. (355 ©.) Leipzig, A. Dürr. 


Krempelhuber, M. C. v., Ausiprüde, Meinungen u. mertwärbige 
Heben der vorzüglichften griechiſchen Philofophen u. Weltweifen d. Alterthume. 
(Abdr. aus dem Werke: „Kür flille Stunden.“) 16 (IH u. 48 ©.) Münden, 
Kranz. | 

®rote, Dr. Geo. Blaton’s Lehre v. der Rotation ber Erde 
u. die Auslegung bderfelben durch Wriftoteles. Mit Bewilligg. bes Berf. aus 
b. Engl. überf. v. Dr. Joſeph Holga mer. gr. 8. (IV u. 86 ©.) Prag. 
Gredner. 


Ueberweg, Doc. Dr. Fror, Unterfuhungen üb. die Echt⸗ 
beit und Zeitfolge platonifher Schriften u. üb. die Hauptmo⸗ 
mente aus Blato’s Leben. Gekrönte Preieſchrift. Lex.S. (VIII u. 298 ©.) 
Bien, Gerold’s Sohn. 


Ott, Prof. Meinard, Charakter u. Urfprung der Sprüde d. Phi 
Lofophen Gertius. 4. (71 ©.) Rottweil, Tübingen, Fues Sort. 


Hipler, Brief. Dr. Frz, Dionyfius ber Areopagite. Unter 
ſuchungen über Echtheit u. Slaubwürbigleit der unter diefem Namen vorhande⸗ 
nen Schriften. gr. 8. (139 ©.) Regensburg, Many. 

Michaelis, Ad., üb. den jegigen Zuftand ber Alropolie 
v. Athen. Zur Begleitung des Planes derjelben in „Pausaniae descriptio 
arcis Athenarum ed. Otto Jahn.“ Taf. 1. 2. gr. 8. (28 ©.) Frankfurt a. M., 
Sauerländer’s Berl. 


Erinnerung an Athen. Zwölf Unfihten der merhvürbdigften Dent- 
male aus bem klaſſ. Alterthume in Athen (in Stahif.) qu. gr. 4. Trieſt, Di- 
reltor d. öfterr. Lloyd. In Mappe. 





Jaäger, Bemerlungen zur Geſchichte Aleranders des Großen 
(Synmafalprogramm aus Wetlar.) 4. (12 ©.) 





3. Alte Geſchichte. 186 


Kluge, Carol, de itinerario Alexandri Magni. Disser- 
tatio. gr. 8. (IV. u. 67 ©.) Vratislaviae. (Berlin, Calvary & Co.) 

Betry, Hieron U. von Syrafus. — (Gymnaftalprogramm von 
Giberfeld). 4. (19 ©.) 

E. Gerhard, etrusfifhe Spiegel. 3. Thl. 1. 2. 3. 8fg. 4. (©. 1 
—144 m. 80 fin.) Berlin, ©. Reimer. 

Rösner Praenestinarum rerum part. 1. — (Öyimaflalprogr. v. 
Glas.) 4. (26 ©.) 


Belder, F. G., alte Denkmäler erflärt. 4. Th. A. u. d. T.: 
Die Ternitefchen Wandgemälde v. Herceulaneum u. Pompeji. Mit e. Ab- 
handlung Ab. Wandmalerei u. Zafelmalerei. gr.8. (X u. 249 S. m. 2 Kpfıtaf.) 
Göttingen, Dieterid). 


Kenner, Dr. Fror., üb. einen ſemmeialen Duadrans v. Larinum. 
[Aus den Sigungsber. 1861 d. k. Alad. d. Wiſſ.] Ler.-8. (15 S.) Wien, Ge 
rold’s Sohn in Comm. 





Dsc. Jäger, Geſchichte der Römer. Mit 1 Titelbi. 8. (VII 691 ©.) 
Gütersloh, Bertelsmann. 

Mommſen, Th, Römiihe Geſchichte. 1. Bd. Bis zur Schlacht 
von Pydna. 3. Aufl. 8. (XV. 942 ©.) — 2. Bd. Bis Sullas Tod. 8. Aufl. 
vVIH. 470 ©.) Berlin, Beidmann. 


Beter, Rektor. Studien zur römifhen Geſchichte mit befon: 
bever Beziehung auf Th. Momnifen. (Brogramm ans Pforta.) 1861. 4. 68 ©. 

Ueber diefe neue Auflage Mommſens und die Angriffe Peters auf 
die Forſchungen Mommſens wird die hiſtor. Zeitjhrift in nächfter Zeit 
eine eingehende Kritil liefern. 

Brewer A guide to roman history. 3. edit. 8. (©. 550.) 


L. Homond, Viriillustres urbis Romae. a Romulo ad 
Augustum. Editio emendata et ster. To which is added a dictionary 
of all the words which occur in the book etc. By James Hardie. 
12. (VO u. 44 ©.) Ebd. 1859. In engl. Einb. 


Ampöre, J. J., Histoire romaine & Rome. 2 vol. 8. Pa 
ris, Michel Levy frere. 

L. Girault, Histoire romaine. — 8. (Bibliothöque Philip- 
port.) Paris, 

Lefaulg, Ernſt v., zur Bhilofophie der romiſchen 9% 


186 Ueberfiht der hiflorifchen Literatur von 1861. 


{dichte [Aus den Abhandign. db. k. bayer. Alad. d. Wifj.] gr. 4. (48 ©.) 
Münden, Franz in Komm. 


Bröder, Dr. L. O. Unterfuhungen üb. bie Slanbwärdig. 
feit der altrömifchen Geſchichte. 2. (Titel-)Ansg. gr. 8 AXXIm 
561 ©.) Bafel (1865) 1862, Bahnmaier. 

Ritschl, de inscriptione: columnae rostratae Duellianae com- 
mentatio. II. gr. 4. (10 ©. m. 1 Gteintaf. in qu. ol.) Berlin 1861. 


— — de titulo AletrinateL. Betilieni Vari commentarius. 4. (18 &.) 
Ebd. 1852. 


Degenfolb, Dr. Heinr., die lex hieronica u. das Pfändungs- 
recht der Steuerpächter. Beitrag zur Erklärg. der Verrinen. gr. 8. (XU u. 
149 ©.) Berlin, Lüderit’ Berl. 


Sambeth, Prof, de Romanorum coloniis. gr.4. (28 &.) 
Tübingen, (Fues’ Sort.) 
Merkens, Gul, Quomodo Romani Asiam provin- 


ciam constituerint, exponitur. Dissertatio historica. Vratisla- 
vise. (80 ©.) 


®öler, Generalmajor Frhr. Aug. v., Bürgerfrieg zwiſchen Ci. 
far u. Bompejus im 3. 50/19 v. Chr. Nach Cäfare bell. civ. lib. I. be 
arb. nebft e. Anhang üb. röm. Daten. Mit 2 (lith.) Taf. (im qu. ol.) Ler.-B. 
(VII u. 9 ©.) Heidelberg, 3. C. B. Mohr. 


Baulcy, F. de, Les campagnes de Jules Cesar dans 
les Gaules; ötudes d’archeologie militaire. 1. partie. 8. Paris, Didier. 


Jal, Auguste, La flotte de C&sar. Etudes sur la marine an- 
tique. 12. Paris, Didot freres. 


Sermann, Lehr. Fr. C., der römifhe Schalttag ſeit Yufius 
Cäfar. Abhandlung. 4. (28 ©.) Berlin. Calvary & Co. 


Anton, de sideribus Augusti natalıiciis quae con- 
jioienda videantur. Halle. (Programm der Klofterfchule.) 4. (18S.) (Rofleben.) 


Aſchbach, Dr. Joſ. die Eomjulate der Kaifer Auguftus u. 
Ziberins, ihre Mitconfuln u. die in ihren Eonfulatsjahren vorlonmenden 
Consules suffeoti. [Au® den Gitungsber. 1860 d. !. Alad. d. Will.) Ler-8. 
(73 ©.) Wien, Gerold's Eohn in Comm. 


Merivale, Charles, late fellow of St. John’s College. 7 vols. 
History of the Romans under the empire. (To the point where 
Ue narretäte of Gibbon oommenees.) London. 





23. Alte Geſchichte. 187 


Laurentie, Histoire de ’empire romain. Tom. 1. 2. 8. 
Paris, Layny, freres. | 


Cohen, Henri. Description historique des monnaies 
frapp6es sous l’empire romain, commun&dment appelees medailles impe- 
riales. Tom. 4—6. 8. avec planches. Paris, Rollin. | 


Gibbon's Geſchichte d. allmäligen Sinkene u. endliden 
Untergauges d. römifhen Weltreihes. Death v. Joh. Spor 
il. 4. Anfl. (In ca. 30 Lfgn.) 1. Lfg. gr. 16. (1.8. &.1—1%8.) Leip⸗ 
sig 1862, DO. Wigand. 


Koehler, Ulr., qua ratione T. Livii annalibus usi sint histo- 
rici latini atque graeci, describitur et quid ınde in Livii textu quem 
dicunt constituendo repeti possit exponitur et exemplis illustratur. 
Commentatio philologica. gr. 4. (IX u. 99 &.) Göttingen, (Dieterich.) 


Spengel, über die Gefichtebüher des Klorus. [Aus den Ab» 
handlgu. ber f. bayer. Alad. d. Will.) gr. 4. (34 S.) Ebd. in Comm. 


Aſchbach, Dr. 3of., die Eonfulate derrömifhen Kaiſer 
von Saligula bie Hadrian. [Aus den Situngsber. 1861 d. k. Alad. 
d. Wifl.] Ler.-8. (82 ©.) Wien, Gerold’s Sohn in Komm. 

Dirkſen, H. E., üb. ein epigraphiſches Zeugniß dv. ber 
BWeihung des zur Zeit d. Neroniſchen Stadtbrondes gelobten Heiligenthums in 
Rom. [Aus den Abhandign. d. k. Afad. d. Wiff. zu Berlin 1861.) gr. 8. (86) 
Berlin, Dümmler’s Berl. in Comm. 


Koenigsbeck, Max, de stoicismo Marci Antonini 
Dissertatio inaugnralis philologica. gr. 8. (40 ©.) Königsberg , (Bchu- 
bert & Seidel.) 

Mommfen, Th, über die Zeitfolge der Berorbnungen 
Diocletiansn. feiner Mitregenten. [Aus den Abhandign. der k. 
ülad. d. Wiſſ. zu Berlin 1860.) gr. 4. (99 &. m. 1 Chromelith.) Berlin, 
Dümmler’s Berl. in Komm. 


Jurisprudentiae antejustinianae quae sapersunt. In usum 
maxime academicum composuit, recensuit, adnotavit Ph. Ed. Huschke. 
8. (KVI un. 748 &.) Leipzig, Teubner. 

Fragmenta juris antejustiniani quae dicuntur Vaticana. Post 
Ang. Maium et Aug. Bethmann -Hollweg recognovit Th. Mommsen. 
Adjectum est oodicis Vaticani specimen. 12. (XXIV u. 144 ©. m. Stein 
taf. iu qu. Fol.) Bonn, Marcus, 

Eichhorst, Otto, quaestionum epigraphicarum de 
procurstoribus imperatorum romanorum specimen. Dis- 


% 


188 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


sertatio inauguralis philologica. gr. 8. (83 ©.) Königsberg , (Schubert 
& Seidel.) . 

Kanik, F, die römiſchen Funde in Serbien. Mit 3 (lith. 
Taf. (in Lex.8. u. qu. gr. 4.) [Aus den Sitzungsber. 1861 d. I. Alad. d. 
Diff.) Ler.-8. (11 ©.) Wien, Gerold’s Sohn in Comm. 


Jahn, Otto, die Lauersforter Phalerae erläutert. Feſwpro⸗ 
gramm zu Windelmanns Geburtstage am 9. Dechr. 1860. Hrsg. von dew 
Borftande des Vereins dv. Alterthumsfreunden in ben Rheinlanden. Imp⸗. 
(28 ©. m. 1 Kpfr.- u. 2 Steintaf.) Bonn 1860, Marcus. 


Rich, Anthony, illuftrirtes Wörterbud der römifden 
Alterthumer m. ficter Berücſichtigung der griedhifchen. Enthaltend 2000 
(eingedr.) Holzſchn. nach Dentmälern der alten Kunft u. Induftriee Aus d. 
Engl. überf. unter der Leitg. v. Dr. Carl Müller. gr. 8 XI n. 716 ©.) 
Baris 1862. Didot fröres, files & Cie. 

Mund, Dr. &., Geſchichte der römifäen Literatur. Yür 
Gymnaſten u. höhere Bildungsanftalten. 8. (Schluß-)Theil. U. u. d. T.: Ge 
ſchichte der nach.claffiichen Literatur der Römer. gr. 12. (VII u. 816 &. Ber. 
iin, Dümmler’s Berl. 


Held, Julius, Quaestionum ad litterarum Romanarum 
historiam specotantium capita II Suidnicii. 4. (0 ©.) 

Bolia, Dr. Car. Jul., de Horatio et Juvenale, satiraram 
auotoribus. gr. 8. (TIL u. 81 &.) Freiburg im Br., (Wagner.) 

Suhl, Ernf u. Wild. Koner, das Leben der Griechen und 
Rönter nad) antifen Bildwerken dargeftellt. 2. Hälfte: Römer. Mit 211 in 
den Tert gedr. Holzſchn. Zeichnung u. Schnitt v. 8. Baum. Lex.S8. (VI u. 
407 ©.) Berlin, Weidmann. 

Magerftedt, Pfr. Eonfift.-R. Dr. Abph. Frdr., Bilder ans der 
römifhen Landwirthſchaft. Für Archäologen u. wiffenihaftlich gebil 
dete Landwirthe nach dern Quellen bearb. u. brag. 4. Hft. A. u. d. T.: Die 
Obſtbaumzucht der Römer. gr. 8. (VII 0. 290 ©.) 5. Hft. 1. %fg. A. u. d. T.: 
Der Bel», Barten- u. Wiefenbau der Römer. 1. Lg. gr: 8. (S. 1—240.) 
Sondershaufen, Eupel. 

Riede, Dr. Af., Marcus Zerentius Barro, ber römiſche 
Landwirth. Eine Scilderg. der röm. Landwirthichaft zur Zeit d. Zul. Käfer. 
Mit 1 lich. Plan v. Varro's Ornithon. gr. 8. (IV n 64 ©.) Stuttgart, Neff. 

Boissier, Guston, Etude sur la vie et les ourrages de 
M. T. Varron. 8, Paris, Hachette. 





2. Ulte Geſchichte. 189 


Aus philslogifchen Beilfchriften. 

Neue Jahrbücher für Philologie u. Pädagogit Bd. 83 u. 84, 

Kampe: Zur Hifori.e — Av. Gutſchmid: Anzeige von Bran- 
dis de temporum Graecorum antiquissimorum rationibus (1857). — 
a. Kirähoff: Zur Urkunde der Aufſeher der Propyläenbaus. — M. Herk: 
Anzeige von Bruns: Fontes iuris Romani antiqui (1860). — Dr. ©. R. 
Sievers: Anzeige von A. Noel des Vergers: Essai sur Marc. Au- 
röle. — Dr. F. Lübker: Zur richtigen Würdigung des qutiken Heiden 
thums im Gymmafialunteriht, — ©. Kurtins: Anzeige von: Dönhoff die 
Ionier auf Euböa. — Die galliihen Mauern nad) Cäſar von A. Zefter 
mann. — 2. Breitenbad: Drei Stellen in XZenophons Hellenila von 
G. Brote mißverftanden. 

4ter Supplementband: Die religiöfen und fittlichen Borftellungen 
des Aeſchylos md Sophokles, von G. Dronte — Ueber das Weſen und 
die hiftorifche Bedeutung des Oftratismus in Athen von Carl Lugebil. 


Yhilologus. 
Zahrgang 17. A. Schäfer: Das Chrendefret für Phanokritos von 


Barion. — H. Dünger: Der Ausruf an den Kalenden. — H. Froh—⸗ 
berger: Die letzten Lebensjahre Thrafybuls von Steiria. 


Zahrgang 18 A. Schäfer: Themiſtokles und Hieron von Syralus. 
— A Schäfer: Die Geſchichtſchreiber Soſilos, Menodotos, Phaon. | 

2ter Supplementband. Heft 2. H. Lehmann: de familiis qui- 
busdam Romanis Caesarum aetate florentibus. 


Rheinifhes Mufenm für Philologie. Hregeg. von Welder 
und Nitfchl. 


W. Pierſon: Schiffahrt und Handel der Griechen in ber Homerifchen 
Zeit. — W. Helbig: Alcibiades ale politifcher Schriftfteller. — Th. Momm- 
fen: Die römifchen Batriciergefchlehter. — 5. Wach zmuth: Zu Genecas 
Driefwechfel mit dem Apoftel Paulus. — U. Schäfer: Das erfie römiſch⸗ 
fartbagifhe Bünbniß. 

Berichte der. ſachſ. Geſellſchaft der Wiſſenſchaften. 
Burfian: Ueber ein Lobgedicht auf Kaifer Johannes II. Eomnenos. 


Zeitſchrift für die öferreihifhen Syumuafien Zwölfter 
Jahrgang. 

Die neueflen Urbeiten über Cäfars bellum gallicum (eine Reihe von 

Secenfiowen verfchiebener Verfafſer), — D. Lorenz: Zur Frage über dem 

Geſchichteuntericht am Oummafum. — M.Büdinger: Anzeige von Gräffe 


1% eberficht ber hiſteriſchen Literatur vom 1861. 


Orbis latinus. — 3. Btafhril: Gefchichtstabelien. (Unzeige der WBerle vom 
Schäfer, Peter, Schufter , Wunderlih.) — Ptaſchnik: Anzeige von Kie- 
perts Geſchichtekurfus 1. Abthig. 

Müpel: Zeitfhrift für das Oymnafialwefen. 


Shnfzehnter Jahrgang. Schwarze: Anzeige von Andrä Grmbrif 
der Weltgeſchichte. — R. Fuß: Die Juſel Chile, 
Monatsberichte der Berliner Alademie . 

Gerhard: Weber Orphens ımd die Orphiker. — Kiepert: Ueber ben 
Bolkonamen Leleger. — E. Hübner: Epigraphifche Reifeberichte. — Rep 
fin‘: Weber die arabifchen Spradlaute und deren Umſchrift. — Rudorff: 
Ueber die Bruchſtüde einer neuerdings für die königl. Bibliothek erworbenen 
griechiſchen Handſchrift jurift. Inhalte. — Rudorff: Ueber das epigraphifch 
jedoch äußerft lüdenhaft erhaltene Repetundengefey vom Jahr der Stadt 631 
ober 632 in lateinifher Spradhe. — Kiepert: Ueber Herhmft und geogue- 
ſtiſche Verbreitung der Pelasger, zunächſt im continentalen Griechenland. — 
Kirchhoff: Bemerkungen zu den VBruchftüden einer Abrechnung von Vorſte⸗ 
bern eines öffentl. Wertes aus perifleifcher Zeit. 


3. Allgemeine Geſchichte des Mittelalters. 


Brocard, Cours d’histoire du moyen &ge à l’usage des 
eleves des etablissements d’instruction publique et speoislement des 
eccles. ecclesiastiques. 12. avec cartes. Paris. Delatin. 

Duruy, Histoire du moyen äge depuis la chute de l’em- 
pire d’Occident jusqu’au milieu du XVsiecle. 12. Aurillac Fleury. 

Giefers, Dr. Wild. Engelbert, Hronologifhe Ueberfidt der 
Geſchichte d. Mittelalters, insbefondere der deutichen u. preußiichen Ge⸗ 
fhidhte. gr. 16. (69 S.) Soeſt, Naſſe's Berl. 


Damberger, Erprof. 3. F., fyuäronififhe Geſchichte der 
Kirche u. ber Welt im Mittelalter. Kritifh aus den Quellen bearb. 
m. Beihülfe einiger gelehrten Freunde. 15. Bd. (7. Zeitraums 5. Abſchn.) 
2. Hft. gr. 8. (S. 828—596.) Regensburg, Puftet. 


Hopf, Dr. Karl, hiſtoriſch-genealogiſcher Atlas feit Ehrifi 
Geburt bie auf unjere Zeit. Abth. I: Deutichlaud. Bd. II. 2. Lig. Fol. (©. 
41—80 m. 1 Holzichntaf.) Gotha, F. A. Berthee. 


Die hriflihe Kirche des Mittelalters in den Hauptmomen- 
ten ihrer Entwidlung von Dr. &. Ehr. Banr. Nach des Verfaſſers Tod 
heransgegeben von I. %. Baur. Tab. 1861. (658 ©.) 





8. Allgemeine Geſchichte des Mittelalters. 19i 


Diefe Schrift ift das Vermaͤchtniß eines Mannes, deſſen Ramen kei⸗ 
nem Xheologen und feinem Geſchichtsforſcher unbekannt ift, und deſſen 
auch dieſe Blätter, zunächſt wegen feiner epochemachenden Leiftungen auf 
dem Gebiete der neuteftamentlihen Kritik und der älteren Kirchengefchichte 
ſchon eingehend gedacht haben. Sie wird un als ſolches um fo werth⸗ 
voller fein, da wir von dem Herausgeber erfahren, daß fie von dem Ber 
fafler volllommen drudfertig binterlafien, und fomit auch ihrer Form nad 
no durchaus fein eigenes Werk if. In ihrem Inhalt fchließt fie fi 
unmittelbar an Baur’3 frühere Schriften: „Das Chriftenthbum und die 
chriſtliche Kirche der drei eriten Jahrhunderte”, „Die hriftliche Kirche vom 
Anfang des 4. bis zum Ende des 6. Jahrhunderts” an, indem fie ben 
Faden der firhengejhichtlihen Darftellung von dem Schlußpunft des legs 
tern Werts an bis ing zweite Jahrzehent des 16. Jahrhunderts, über 
einen Zeitraum von 900 Jahren fortführt. Der Stoff, welchen fie hiebei 
zu bewältigen hatte, ift jo umfaflend, die Mühe, die er dem Bearbeiter 
auferlegte, jo ungemein groß , daß wir die Geifteäkraft des Mannes bes 
wundern müſſen, der fich in feinem 68ften Lebensjahr einer jo ſchwieri⸗ 
gen Aufgabe zu unterziehen wagte, und fie fo meifterhaft zu loͤſen wußte. 
Baur’3 Kirchengeſchichte des Mittelalters ift ebenfo , wie ihre Vorgänger, 
wicht bios ein Werk ftaunenswerthen Fleißes und gründlichfter Gelehrſam⸗ 
keit, fondern fie gehört auch ala hiſtoriſches Kunſtwerk zu dem vollendet: 
ften, was der Berf. geichrieben hat. Der mafienhafte Stoff ift mit großer 
Geihidfichkeit zufammengefaßt und überfichtlich geordnet, der Gebante, wel: 
her Baur bei allen feinen wiſſenſchaftlichen Arbeiten leitete, der Gedanke 
einer organiihen Geſchichtsbehandlung, tritt hier reiner hiſtoriſch und von 
Schulformen freier auf, als in den großen dogmengeſchichtlichen Werlen, 
und er bat dadurch an geftaltender Kraft entjchieden gewonnen, ohne an 
feiner wifienfchaftlichen Strenge zu verlieren; ver DVerfafler weiß ſich mit 
acht geihihhtlihem Sinne in die Eigenthümlichleit vergangener Jahrhun⸗ 
derte zu verfegen,, und in feiner durcdgreifenden Weiſe denſelben Grund» 
&aralter an den verſchiedenſten Erſcheinungen einer gejchichtlihen Periode 
nachzuweiſen; und während er das Große im kirchlichen und wiſſenſchaft⸗ 
lichen Leben des Mittelalterd mit unbefangenem Verſtaͤndniß würdigt, hat 
er fich doch zugleih, wie von einem fo freien Geifte nicht anders zu er⸗ 
warten war, das offene Auge für vie Mängel jener Zuftände und für 
De frühen Anzeichen des Verderbens bewahrt, welches fi fpäter in fo 


193 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur von 1861. 


weitem Umfang entwidelt hat. Die Folgerichtigleit diefer Entwidlung, bie 
geihichtliche Nothwendigkeit, mit der das Spätere in dem Früheren wur⸗ 
zelt, die lange und vollftändige Vorbereitung des Gerichtes, welches im 
16, Jahrhundert über das mittelalterlide Kirchenweſen hereinbrach, if 
und aus feiner anderen Darftellung fo lichtvoll, wie aus Baur's Wert, 
entgegengetreten. 

Um auf feinen Inhalt etwas näber einzugeben, fo theilt der Verf. 
die Geſchichte der mittelalterlihen Kirche zunähft zwar in drei Perioden, 
deren Grenzpunlte in Gregor VII. und dem Anfang des 14. Jahrhun⸗ 
dert3 liegen: die Periode des fi bildenden und fi in fi zuſammen⸗ 
faſſenden hierarchiſchen und theologiſchen Syſtems; die Periode bes herr⸗ 
ſchenden Abſolutismus der Kirche; die Periode der Auflöfung des bie 
rarchiſchen und dogmatiſchen Syſtems. In feiner Darftellung ſelbſt jedoch 
faßt er die zweite und dritte von dieſen Perioden zuſammen, ſo daß er 
demnach nur zwei unterſcheidet: die Zeit vom Anfang des 7. Jahrhun⸗ 
derts bis auf Gregor VII., und die von Gregor VII. (einſchließlich) 
bis zur Reformation (ausſchließlich). 

In der erſten Periode beſpricht Baur zunächſt das Verhält⸗ 
niß des Chriſtenthums zu den nichtchriſtlichen Religionen, ſeine Erobe⸗ 
rungen unter deutſchen, ſcandinaviſchen und ſlaviſchen Voͤlkern, ſeinen Zu⸗ 
ſammenſtoß mit dem Muhamedanismus, von welchem bei dieſer Ge⸗ 
legenheit eine intereſſante Charakteriſtik gegeben wird, ſeine Vermiſchung 
mit manichaͤiſch-dualiſtiſchen Elementen bei der Partei der Paulicianer. 
Er geht dann weiter zur Geſchichte des Dogma fort, welches jept zuerft 

durch Johannes von Damaskus, Iſidor u. U. zu einer vollitändigen Dog: 
matik, freilih mehr von kirchlich⸗poſitivem als wiſſenſchaftlichem Gepräge 
zufammengefaßt wird; er zeigt insbeſondere an den dogmatiſchen Ber: 
bandlungen dieſes Zeitraums, an der Geſchichte der monotheletiſchen, adop⸗ 
tianiſchen, präbeftinatianifhen und der Abendpmahlsftreitigleiten, neben 
forgfältigem Eingehen in das Eigenthümliche zugleih den gemeinjamen 
Charakter der Zeit auf: einerjeit3 dag Bedürfnig, welches jelbit in Sco⸗ 
tus Grigena’3 Idealismus ſich nicht ganz verläugnet, neben dem Göttlis 
hen auch das Menſchliche in feiner Realität und feiner relativen Selb» 
ftändigfeit zu feinem Recht kommen zu laſſen, andererſeits jenen materiel: 
len Supranaturalismus, der nicht blos im Dogma, ſondern aud im Kul⸗ 
tuß und in der Kirchenverfafjung als ber berrihende Zug der Zeit her 





8. Allgemeine Geſchichte des Mittelalters. 198 


vortritt, „das Beſtreben, das Göttliche mit aller Macht in das Einnliche 
berabzuziehen und mit demjelben fo zu iventificiren, daß es mit ihm zur 
Einheit einer und derjelben Anſchauung zufammengeht.” An die Gejchichte 
des Dogma fchließt ſich die der Hierardie an, welche zuerft das Papſt⸗ 
thum, hierauf die Ausbildung bes bierarchifchen Syſtems, und enpli das 
Berhaͤltniß der Kirche zum Staate befpridt. Um aus dem vielfach an- 
ziebenden Inhalt dieſes Abſchnitts Cinzelnes herauszuheben, verweifen 
wir bier nur auf die Erörterung über Karl's Erhebung zum roͤmiſchen 
Kaiſer (5.76 f.), auf Baur's Urtheil über die Erzählung von der Päpftin 
Johanna (78 f.), deren urjprünglihes Motiv ihm ein novelliftiiches, nicht 
das der Dppofition gegen das römische Papfttbum zu fein fcheint, auf bie 
Darftellung der umfafienden Säcularifationen unter Pipin (151 f.), auf 
die eindringende Unterfuhung über die pfeuboifivoriihen Dekretalen und 
das Berhältnig Nicolaus’ I. und Hincmar’3 zu vdenfelben (6. 93 ff.), 
anf die Schilderung des Verhältnifies von Klerikern und Laien, Kirche 
und Staat, welche namentlih am Schluffe (134 f.) fehr treffend zeigt, 
wie dieſes Verhaͤltniß in unjerer Periode noch zwiſchen dem Ineinander⸗ 
fein des Geiftlihen und Weltlihen und ihrer Trennung, unter fortwähren- 
den beiderfeitigen Webergriffen, bin und ber ſchwankt. Mit dem vierten 
Abſchnitt: „Der hriftliche Kultus und die riftlihe Sittlichkeit,” ſchließt 
die Darftellumg der erften Periode. Aus dem Gebiete des Kultus wird 
bier beſonders die Geſchichte ber Bilderftreitigleiten und de Meßopfers 
eingehender behandelt, aus dem des fittlichen Lebens bie Wallfahrten und 
guten Werke, das Buß: und Ablaßweſen und das Moͤnchſthum, welches 
im diefer Periode im Abendland einen fo bebeutenden Aufihwung nahm, 
und feit dem Anfang des 10. Jahrhunderts an Clugny feinen einfluß: 
reihften Mittelpunkt hatte. Wie eng alle dieſe Erfheinungen mit dem 
ganzen Charakter und der religiöjen Anſchauungsweiſe des Zeitalterd zu: 
fammenhängen, wie neben dem religiöfen Ernſt und den fittlih mohlthäs 
tigen Wirkungen de3 damaligen Kirchenweſens doch zugleich überall der 
jene Beit beberrihende finnliche Realismus, ihre Außerlihe und materielle 
Auffafiung der Religion zum Vorſchein kommt, hat der Berf. überzeugend 
nachgewiejen. 

Rad venfelben Hauptgefichtspuntten ift auch die Darftellung der 
weiten Beriode gegliedert, nur daß die Ordnung der einzelnen Ab⸗ 


ſchuitie theilweiſe verändert if, und dem lehten (der chriftliche Kultus und 
Oxpeciiqe Befärift. VIL Ds. 18 


19 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1881. 


die chriſtliche Sittlichkeit) die Gedichte der haͤretiſchen und reformatori⸗ 
ſchen Barteien des fpäteren Mittelalters zugetheilt iſt. Der Berf. giebt 
uerft einen gebrängten, aber inhaltsreihen Ueberblid über die Ausbreb 
tung des Chriftentbums in Norddeutſchland und den Dftfeeländern und 
über die Miffionsverfude im öftlihen Aſien (S. 174—176), fiber deu 
Verlauf und die gejchichtlihe Bedeutung der Kreuzzüge (176—181), über 
die dualiftiihen Selten der Bogomilen und Katharer, ihre Lehre, ihre 
Lebensweife und ihre Stellung zur Kirche, ihre Belämpfung und ihre 
ichlieplihe, mit fo gewaltfamen Mitteln erfolgte und der Kirche fo wenig 
zur Ehre gereichende Unterbrüdung (181—196). Ausführlider behandelt 
der zweite Abſchnitt: „Die Hierarchie”, zunaͤchſt die Geſchichte der Päpfte 
von Gregor VII. bis zur Reformation, ſodann bie durch dieſe geſchicht⸗ 
lihe Entwidlung gefchaffenen kirchenrechtlichen Zuftände. In der erſten 
Hälfte diefes Abſchnitis (S. 196—243) treten unter den Päpften, wie 
billig, Gregor VII. und Innocenz III. ala Männer, deren ganze Größe 
der Berf. anerkennt, ohne doch darum auf die kritifhe Betrachtung ihres 
Charakters und Standpunlts zu verzichten, vor allen hervor ; von deu 
geihilderten Ereigniffen find die widtigiten : der Inveftiturftreit mit ſri⸗ 
nem nad Verhaͤltniß doch nicht fo fehr bedeutenden Ergebniß ; der Ber 
nihtungslampf des Papftthums mit den Hobenftaufen ; der Streit Bomi⸗ 
fag’ VIII mit Philipp von Frankreih und die babyloniſche Gefangene 
Schaft de8 Papſtihums; das päpitlihe Schiama und die reformatorifchen 
Concilien, welche aber troß ihrer hofinungerwedenven Anfänge, wie dies 
der Verf. fchlagend zeigt, ihren Zwed gerade deßhalb nicht erreichen konn- 
ten, weil fie ihn nur auf dem Boden des beſtehenden kirchlichen Syſtems 
erreichen wollten. Die zweite Hälfte des zweiten Abſchnitts (243—277) 
bejpricht das Verhaͤltniß des Papſtthums zum Kaifertbum und zum Gpiss 
copat; die päpftlihen Rechte und Webergriffe in bie Landeskirchen, das 
Syſtem der Legaten, die Appellationen , die Pfründenvergebungen , bie 
Annaten u. |.w.; das Verhaͤltniß der Bifchöfe zu den Landesfürften, ihre 
politiihe Stellung, die Biſchofswahlen, Spolien und Regalien ; pie Bir 
hengüter und ihre Beiteuerung; die kirchliche Gerichtsbarkeit; die innere 
Verfaflung des Klerus (Bilchöfe, Domkapitel, kanoniſches Leben, Gölibat), 
feine Herrihaft über die Laien und die Mittel diefer Herrſchaft, insbe: 
fondere die Chegejege, Bann und Juterdilt, Ohrenbeichte, Inquiſition, Vi⸗ 
helverbot. Sehr eingehend und Uar find in dieſem Abſchnitt namentlich 


8. Allgemeine Geſchichte des Mittelalters. 198 


Vie beiden ſich entgegenftehenden kirchlichen Syfteme, das, Bapalfuftem und 
das Eoncilienfyftem, und die von den beiverfeitigen Hauptwortführern bei- 
gebrachten Gründe dargeftellt (248 fi.) ; und wenn der Verf. die will: 
ührlihen Borausfegungen und grellen Webertreibungen des Papſtthums 
gebührend bervorhebt, verbirgt er ſich doch zugleih nicht, daß diefed Sy 
ftem ſammt feinen Uebertreibungen aus den bisherigen Anſchauungen und 
Uebungen mit einer Folgerichtigkeit erwachſen ift, in deren Berlennung 
eben die ſchwache Seite des entgegengelegten Syſtems Tiegt. 

Grundlich und Iehrreich behandelt der dritte Abſchnitt (279— 393) 
die dogmatiſche Entwidlung der ſcholaſtiſchen Periode. Nach eindringenden 
Bemerkungen über den Zuſammenhang der Scholaftit mit dem hierarchi⸗ 
ſchen Syſtem, wirb uns zuerft in Anjelm von Canterbum (S. 285—290) 
der erite große Vertreter der ſcholaſtiſchen Wiſſenſchaft vorgeführt; es wird 
bierauf der Gegenfag des Realismus und Nominalismus, wie er ſich bis 
auf Duns Scotus herab entwidelt hat (290—299), die Auffafiung des 
Verhaͤltniſſes von Elauben und Wiflen (299—301), die Myſtik des 
geöliten Jahrhunderts (302—307), die Herrihaft der ariftotelifhen Phi⸗ 
loſophie (307 f.), das für die ganze Folgezeit grundlegende Sentenzen- 
wert Peters des Lombarden (309 f.) beiprochen. Es werben uns in eins 
gehender Darftellung (S. 312 — 354 und 354—371) die zwei merk 
würdigften und vollendetften fcholaftifchen Syiteme, die des Thomas und 
Scotus, dargeftellt, Syiteme, melde bie ganze weitere Entwicklung ver 
Scholaſtik beherrſcht haben, und welche in ihrem bis auf den heutigen Tag 
durch die Latholifche Theologie ſich hindurchziehender Gegenjag eines der 
wichtigſten Momente für die Auflöfung der Scholaitit enthalten. Es wird 
an der Lehre Durand's von St. Pourcain (S. 372 — 376) und Wil⸗ 
beim Dccam’s (376 f.) der Webergang zum Nominalismus nachgewieſen; 
es wird gezeigt, wie unter ber Herrihaft des Nominaligmus die fcholas 
ſtiſche Vernunft an ſich felbit irre wird, und ber irrationalfte Supranatur 
raliamus, der äußerlichfte Autoritätäglaube immer allgemeiner wurde, — 
jener Supranaturalismus, welcher 3.3. einen Occam behaupten ließ, Gott 
hätte ebenjogut, wie er Menſch wurde, aud ein Stein, Holz, oder Eſel 
werben Tönnen, indem es ihm ſchon ald eine unerlaubte Beſchräͤnkung ver 
gättlihen Allmacht erſchien, dies zu läugnen; es wird endlich die fcholas 
ſtiſche Behanblung der kirchlichen Lehren, die zunehmende Aufloͤſung ber 
Mesbiubung , welche vie Philofophie bier mit dem Kirchenglauben einge 


196 Veberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


gangen hatte, und ber Uebergang der Scholaftit in einen inhaltzleeren 
Formalis mus noch bejonders an dem Beispiel der Lehre von den Sacramens 
ten, und namentlich der Transfubftantiationslehre, zur Anſchauung ges 
bracht (381—393). Einige andere, dem Berfall ver Scholaftil zur Seite 
gehenden Erſcheinungen aus ven legten Jahrhunderten des Mittelalters, die 
Moftit des 14ten und 18ten, den Humanismus des 15. Jahrhunderts, 
bat der Berf. übergangen,, oder auch als Vorbereitungen der Reformar 
tion der Fortfegung feines kirchengeſchichtlichen Werts aufgefpart. 

Im legten Abſchnitt feines Werts behandelt derjelbe zuerft (5. 393 
—406) die Geſchichte des Kultus in ber zweiten Periode, namentlich die 
Heiligen: und Reliquienverehrung, den Mariendienft und die aus ihm ent 
fprungene Lehre von der unbefledten Empfängniß Maria’ , das Fron⸗ 
leihnamsfeft und die Kelchentziehung, und das bem Liturgifchen gegen: 
über fojehr vernadläffigte Predigtweſen. Sodann gebt er mit dankens⸗ 
wertber Ausführlichleit (S. 406 fi.) auf die fittlihen Zuſtaͤnde und Bes 
griffe jener Zeit ein: er ftellt die ſcholaſtiſche Sittenlehre nad AbAlard, 
Thomas von Aquino und A. genauer dar, als dies bis jebt irgendwo 
fonft gefheben ift (S. 412 — 443), und berührt bei diefer Gelegenheit 
auch die interefianten Verhandlungen über den Tyrannenmord und die 
über den Werth des ascetiſchen Lebens, welche beide um den Anfang des 
15. Jahrhundert? geführt wurden; er verfolgt die Geſchichte des Ablaß- 
weſens bi3 zu dem nur allzu früb eingetretenen Zeitpunkt, wo daſſelbe, 
wenn man die Wahrheit jagen joll, nicht gegen feine urfprünglide Ten 
denz, zum ſchmachvollſten und verberblichften Geldgefhäft wurde, und er 
ſtellt dieſem unkraͤftigen priefterlihden Bußweſen die ernfte vollstbünliche, 
mitunter auch wohl fchroff antihierarhiihe Buße der Geißler entgegen 
(443—453); er zeigt und (S. 453—489) die merkwürdige Entwidlung, 
welche das Monchsweſen feit Gregor VII. in den großen Gongregationen 
der Eluniacenfer und Gifterzienfer, in den geiftlichen Ritterorden, vor 
Allem aber in ven Bettelorven nahm, die zu den bezeichnendften und wich⸗ 
tigften Erſcheinungen jener Beit gehören. Unter den lepteren bat Baur 
befonder8 den Franciscanern feine Aufmerkjamleit gejhentt, und neben 
der kirchlich hierarchiſchen Richtung ber Bettelorven hebt er mit eindrin⸗ 
gendem gejchichtlihem Blicke nicht minder aud das reformatorifhe und 
antibierarchifche Element hervor, welches in ihnen, vorzugsmweife jedoch bei 
den Franciscanern, zum Vorfchein kommt; und er beipricht deßhalb nicht 





8. Allgemeine Geſchichte des Mittelalters. 197 


allein den Eonflict der Franciscaner:-Spirktualen mit den Bäpften verhält: 
nipmäßig ausführlich , fondern er bringt auch die Bettelorden mit foldhen, 
die vor und nah ihnen Aehnlidhes wollten, einem Arnold von Briren, 
einem Joachim von Floris, den Brüdern des gemeinfamen Lebens, ſach⸗ 
gemäß in Berbindung. Um fo leichter reiht fi dann von dieſem Geſichts⸗ 
punft aus an bie Geſchichte des Moͤnchsweſens die der bäretifhen Par: 
teien an, melde tbeilmeife auf verwandten Wegen eine fittlihe Reform 
der Kirche anftreben , der Katharer (die nach diefer Seite hier noch ein- 
mal berührt werden) , der Waldenſer, der Brüder und Schweitern des 
freien Geiftes, der Apoftelbrüder (S. 489—516), und an beide weiter 
die Geſchichte des Wicleff und Huß und der übrigen Männer, welde im 
engeren Sinn man ald Borläufer der Reformation zu bezeichnen pflegt, 
wie Weflel, Savonarola u. A. (S. 516—537). Hiemit ift der Verf. an 
dem Punkt angelommen, an welchem die Umbildung der Kirche, die Re: 
formation, nicht mehr blos mittelbar, durch die Mängel der vorhandenen 
Zuftände gefordert, fondern auch unmittelbar vorbereitet ift. Dieſe jelbft 
in einer Fortſetzung ſeines Werts darzuftellen, war ihm nicht mehr ver: 
gönnt ; doch ift die beftimmte Ausfiht vorhanden, daß diefe Lüde aus 
feinen jorgfältig ausgearbeiteten Gollegienheften wenigſtens theilweiſe er: 
gänzt werde. Die Kirchengeſchichte des 19. Jahrhunderts, von Baur jeit 
10 Jahren in einer eigenen Borlefung vorgetragen, wird gleichzeitig mit 
dieſer Anzeige unter die Prefle kommen; aud die Zeit vom 16.—18. 
Jahrhundert ift in feinen Borlefungen über Kirchengeſchichte eingehend 
behandelt, und jo mwirb ed möglich fein, durch die Beröffentlichung dies 
fer Arbeiten ein Wert zu vollenden , welches die Früchte eines langen, 
der firhen: und dogmengeſchichtlichen Forſchung gemibmeten Lebens zus 
fammenfaßt, und fie nicht blo8 dem Fachgelehrten, fondern jedem, der für 
ſolche Dinge Sinn bat, in geiftvoller Behandlung und würbiger Form 
darbietet. Z. 


Winter, Bartt., Geſchichte der Hriftl. Lehre und Kirde 
für Refigionslehrer u. Geelforger, gebildete Laien u. höhere Studirende. 8. 
(VID u. 250 ©.) Wien, Meyer & Comp. 


Baaſch, R. Gh., 100 Männer der Lirhengeihiäte Chrono⸗ 
logifch geordnet. 8. (20 ©.) Hamburg, Gaßmann in Komm. 


Rohrbacher, Histoire universelle de l’eglise co 


198 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


tholique. Table generale par L&on Gautier suivie des pidoes ju- 
stificatives. 3. ed. Tom. XXIX. 8. Paris Gaume fröres et Duprey. 

Henrion, Histoire ecclesiastique depuis la creation jus- 
qu’au pontificat de Pie IX publi6e par M. l’abb&e Migne. Tom. XVII 
(depuis le pontificai de saint Gregoire le grand jusqu’a Charlemagne.) 
8. Paris, Migne. 

Jorry, l’abb6, Histoire universelle de l’öglise et des pe- 
pes. 2. edit. augment&e des evenements actuels jusqu’en 1861. 8. Paris 
Putois Crette. 

Darras, J. F. !’abbe, Histoire gön&rale de l’öglise de- 
puis le coommencement de l’Ere chretienne jusqu’& nos jours. 5. edit. 
Tom. 1. et 2. 8. Paris, L. Vives. 

Drioux, Pabb6, Pr&cis d’histoire de l’&glise depuis le 
oommencement du monde jusqu’& nos jours. Tom. I. 8. Paris, Belin. 

Hardwick (Charles), a history of the christian church. 
Middle age; with four maps constructed for this work. by Johnston; 
edited by Frances Phorster 8. (498 ©.) 

Chalamel Augustin— Histoire populaire des papes 
depuis saint Pierre jusqu’ & la proclamation du royaume d’Italie. (33— 
1861) 12. Paris, Dentu. 

Chantrel J., Histoire populaire des papes, Tom. 6— 
11. — 8. Paris, Dillet. 

Es umfafien diefe 6 Bände den Seitraum vom 7. bis 12. Jahr⸗ 
bundert in folgenden Abfchnitten: Die Päpfte und der Monotheismus, Leo 
III. und das päpftlide Königthum — Nikolaus der Große und fein Jahr 
bundert. — Sylveſter IL. und das eijerne Jahrhundert — Gregor VIL und 
die Freiheit der Kirche. — Die Päpfte und die Kreuzzüge. 

Chantrel, J, populäre Geſchichte der Bäpfte. Aus dem Kranz. 
überf. v. e. Briefter der Erzdidcefe Kreiburg (In ca. 20 Bochn.) 1. Bdochn. 8. Sig⸗ 
maringen, Zappen. Inhalt: Der heilige Petrus u. das apoftolifche Zeitalter. 
(161 ©.) 

Clarke, C., The aots and writings of the apoatles. 
vol 1, 8. (290 &.) London, Longman. 

Tischendorf, Prof. Dr. Aenoth. Frid. Const., Anecdota sa- 
o ra et profana ex oriente et occidente allata sive notitia codicum 
graecorum, arabioorum, syriacorum et6. cum excerptis multis maximam 
partem graccis et 35 scripturarum antiquissimarum exemplis. Editio 





-B. Agemeine Geſchichte des Mittelalters. 190 


vopetits, emondata, aucte. gr. 4. (XVI u. 242 ©. m. Steintel) leiprig 
Fries. 


Blunt, Rev. J.J., History ofthechristian ohurch during 
the first three Centuries. 8. (329 &.) London, Longman. 


Veyssiöre, Aug. Essais historiques sur les 3. et 4. 
siöcles de l’&re chretienne. 8. Gorodon, Daurias. 


Haſel, Hoflaplan Dr. Frz. Seraphicus, der Brimat d. römifhen 
Bapfes. Auch e. geiftl. Beterspfennig. Ler.-8. (IV u. 433 ©.) Wien 1860, 
Mayer & Ey. 

Vie ausden römifhen Bifchdfen BPäpfte wurden. Zur 
Belehrung f. Jedermann , ber es noch nicht weiß. Bon Laurentius Balla II. 
gr. 8. (89 ©.) Zeig, Webel. 


| Thierſch, Heine. W. 3, Döllingers Auffajfung d. Urdri- 
Renthums beleuchtet. gr. 8. (42 ©.) Frankfurt a. M., Heyder & Zimmer. 


Manahan, Dr. Ambros, der Triumph ber Fatholifhen Kirde 
in den erfien Jahrhunderten. Aus d. Engl. v. Earl B. Reiching. gr. 8. (XII 
n. 4%0 ©.) Regensburg, Manz. 


Eusebii Pamphili historise ecclesiasticae libri X. 
Grascum textum collatis qui in Germaniae et Italiae bibliothecis asser- 
vantur codd. et adhibitis praestantissimis editionibus reoensuit atque 
emendavit, latinam Henrici Valesii versionem passim correctem subjun- 
xit, apparatum criticum apposuit etc. presbiter Dr- Hugo Laemmer. 
Fasc. UI. et III. Cum tab. trium codicum Romanorum specimins cont. gr. 8. 
(&. XV—XXV u.149—516 m. 1. Steintaf. in Fol.) Schaffhausen, Hurter. 


Johannes v. Ephefne, Kirhen-Gefchichte. Aus d. Gyr. Aberf. Mit 
e. Abhandlg. üb. die Zritheiten v. Kaplan Dr. J. M. S hönfelder, gr. 8. 
(XVI n. 813 ©.) Münden 1862, Lentner. 


Werner, Prof. Dr. Karl, Geſchichte der apologetifhen u. pole- 
miſchen Literatur der chriſtlichen Zheologie. (In 5 Bon.) 1. Bd. gr. 8. 
(KXVI un. 664 ©.) Schaffhaufen, Hurter. 

Bayerle, geiftl. Rec. 8. &, bass Hriflide Alterthum, od.: 
die Tathol. Kirche in ihrem Kampfe m. den Verfolgge. u. Irriehren. Ein voll 
ünd. Leben der Heiligen d. chriſtlichen Alterthums, im Anfchiuffe an die Kir- 
Gengefchichte. (Fine Fortfeßg. v.: Die Erlöfung der Welt). 8-21 (Schluß) 
Sie. Ler.-8. (&. 327 -980 mit 10 Ehromolithen.) Berlin, Brigl & Lobed. 

Leben un. Thaten der Heiligen. Eine Legenden-Sammig. f. das 
chriſttachoi. Boll. Zuerſt v. einigen kathol. Geiſtlichen in der Schweiz, dann 
von Hrn, Bid. Sintzel und jet neu bearb. n. hetg. v. geifl. R. Dömtaptl. 


200 Ueber ſicht der hiſtoriſchen Literatur vom 1861. 


30. Gero. Dreer. 10. — 18. %fg. Ler-8. (3. 8b. ©. 481740 u. 4. BD. 
©. 1482 m. 2 Holzſchnutaf. u. 1 Stahlſt.) Augsburg, Kollmann. 


Lutzow, Dr. Earl 5. U. v, die Meifterwerte d. Kirchen bau⸗ 
tunft von ben älteſten Zeiten der chriftlichen Kirche bie zur Renaiffanee. Mit 
Abbildgn. (Iu 2 Abthgu.) 1. Abth. Ler.-8. (192 S. m. 12 Holziähutaf. in 
Zondr, und eingedr. Holzſchn.) Leipzig 18623, Seemann. 


Fassy. Les catacombes. Etude historique. 8. Paris, Denta. 


Müller, Dr. Ed. War Apollonius von Tyana e. Weifer od. e. Beträger 
oder ein Schwärmer und Kanatifer? Eine culturbiftor. Unterfudig. 4. (56 ©.) 
Breslau Mag & Comp. in Comm. 


Aub6, Saint Justin philosophe et martyr. Thöse pr&sent6e 
& la facults des lettres à Paris. 8. Orleans, Durand. 


Bondelit, Brief. Frz. Joh, Iguatius Martyr, ob. die apoft. 
Kirche in Syrien. Ein Abbild wahrer Ehriften. 8. (IV und 160 ©.) Prag, 
Bellmamn. 


Mertin, E. l’abbe&. Saint Jean Chrysostome ses oeuvres 
et son siecle 8 vol. 8. Montpellier, Seguin. 


Boigt, Baftor Heinr., die Lehre d.Athbanafiusv. Alerandrien 
od. d. tirchl. Dogmatik d. 4. Jahrh. auf Grund der bibl. Lehre vom Logos. 
In geordnetem Zufammenbange, wie im Kampf m. ihren häret. Gegenfäten 
bargeftellt. gr. 8. (XIX u. 846 ©.) Bremen, Müller. 


Graetz, Dr. H. Geſchichte der Juden von ben älteſten Zeiten bis auf 
die Gegenwart. Aus den Ouellen nen bearb. 5. u. 6. Bd. gr. 8. Krotoſchin 
1860. (Leipzig, Leine.) Inhalt: 5. Geichichte der Juden vom Abſchluß des 
Zalmud (500) bis zum Aufblühen der jüidifch- fpanifchen Cultur (1027) (X nm. 
666 ©.) — 6. Geſchichte der Juden vom Aufblühen der jüdifd-fpanifchen Enf- 
tur (1027) bis Maimuni’® Tod (1205). (XII u. 471 ©.) 

Berles, Dr. J., die Leihenfeierlihleiten im nachbibliſchen 
Judenthume. Eine archäolog. Studie. (Abdr. aus der Krantel’fchen Mo- 
natoſchr.) gr. 8 (32 ©.) Breslau, Schletter. 


Kittfeer jun, Ial., Inhalt d.Talmuds u, feine Autorität, nebſt 
e. geſchichti. inleitg. Aus den erſten Quellen gefchöpft u. unparteiiſch beham- 
beit, 2. Ausg. gr. 8. (IH u. 219 ©.) Leipzig, Leiner. 

— — Geſchichte der chriſtlichen Kirche in ihrer erften Entwide 
fungsperiode bis zum Anfange des 4. Jahrh. Unter Benutung talmud. Quellen 
Dem Bolte Ifrael zur Beherzigg. gewidmet. 8. verb. Ausg. gr. 8. (IV u. 189 3.) 
Berlin 1856, (Rüukel & Bed.) 





8. Allgemeine Gefchichte bes Mittelalters. 201 


Lam é, Emile, Julien l’apostate, précédé d’une étudo sur la 
formation du ohristianisme. 12. Paris, Charpentier. ' 

Eckardt, deaneodotis Prooopii Caesariensis. Dissertatio 
historica Regimonti. 44 ©. 8. 

Gundlach, QuaestionesProocopianae. Marburgi. 4, (28 S.) 

Mommfen, Th. die Chronit d. Caffiodborus Senator vom 
3. 519 n. Chr. Nach den Handihriften hrsg. (Abdr. aus den Abhandlgn. d. 
t. Sächſ. Gel. der Will.) Ho 4. (150 ©.) Leipzig, Hirzel. 

Bietersheim, Dr. &d.v., Sefhihte der Böllerwanderung. 
8. Bd. gr. 8. (IX u. 536 ©.) Leipzig, T. D. Weigel. 


Sine Recenfion diefes Werkes wird die hiftorifche Zeitfchrift im nächſten 
Hefte bringen. 

Contzen, Lehr. Leop., die Wanderungen der Kelten. Hiſto⸗ 
rifchefritifch dargelegt. Gekronte Preisſchrift. Ler.-8. (X u. 269 ©.) Leipzig, 
Engelmann. 

Fragmente gothica selecte ad fidem codicum Ambrosianorum 
Carolini Vaticani ed. Andr. Uppström. gr.8. (XIVn.486©.) Upsaliae. 
Stockholm, Bonnier. 

Schupfer di Chioggia, Franc, degli ordini sociali et.del 
possesso fondiario appo i Longobardi. Investigationi storiche. (Aus den 
Sitzungsber. 1860 d. k. Akad. d. Wiss.) Lex.-8. (149 ©.) Wien, Gerold’s 
Sohn in Comm. 


Sprenger, A., das Leben und die Lehre d. Mohammed. Rad 
bisher größtentheils unbenugten Quellen bearb. (In 3 Bdn.) 1. Bd. gr. 8. (AXVIL 
u. 582 ©.) Berlin, Nicofai’s Berl. 


Es bat eine Zeit gegeben, in welcher man e3 gar nicht der Mühe 
wertb bielt, die Geſchichte der Entftehung des Yslam’3 einer tiefern For⸗ 
ſchung zu unterziehen. Man war fo fehr gegen diefen Glauben eingenoms 
men, welder bald über hundert Millionen Menihen zu feinen Belennern 
zäblte, daß man ihn einfach eine Abjurbität nannte und den Stifter deſ⸗ 
felben als einen gemeinen Lügner und Betrüger, als einen blutbürftigen 
Ipramnen und entnervten Wollüftling, oder aud als einen Zauberer und 
als den in der heiligen Schrift propbezeiten Antichriſt anſah. Diefe Zeit 
Begt nicht fo fern binter ung, ala man nad den Fortichritten, welche die 
hiſtoriſche Wiffenihaft auf anderen Gebieten gemadt hat, glauben follte, 
Beltaire ſchilderr uns Mohammed no als einen felbftfüchtigen Heuch⸗ 


„03 Ueberfidht der hiſtoriſchen Literatur vom 1861. 


ler, der an fi ſelbſt nicht glaubte, Göthe hielt e8 der Mühe werth 
diefes elende Machwerk, in einer Zeit in welcher ſchon große Antipathie 
in Deutfchland gegen die Einführung franzöfiiher Bühnenftüde berrichte, 
zu überjegen und unfer Schiller, der Profefior der Geichichte, munterte ihn 
zu diefem Unternehmen auf und ſchrieb ihm, am 15ten Öftober 1799: 
„So viel ift gewiß, wenn mit einem franzöfifchen, beſonders Boltairfchen 
Stüd der Verſuch gemacht werben follte, fo ift Mahomet am beften dazu 
gewählt worden.“ 


Mohammed und der Islam find noch nah Schillers Tod in units 
verfalbiftoriihen Werten wie in denen ver Geſchichte des Mittelalter mit 
wenigen Seiten, mehr ober weniger im Geifte deö „prodromus“ eines 
Maraccius oder der Voltair'ſchen Tragödie, abgefertigt worden. | 


Biel früher ſchon wäre es indeſſen europäifchen Hiſtorilern möglich 
gewejen, das audiatur et altera pars gelten zu laſſen. Gagnier hat zw 
erſt in lateiniſcher Sprache Abulfeda's Leben Mohammed's mit vielen Ex 
läuterıngen belaunt gemadt , dann eine ausführlihde Biographie Mos 
hammed's in franzöfiiher Sprache, nad anderen orientalifhen Quellen, ges 
ſchrieben. Eine ſolche unkritiſche Arbeit, bei welcher der Berfafler fi 
darauf beihräntte, feine Quellen zu überfegen und zufammenzureiben, Tonnte 
aber natürlich in neuerer Zeit eben fo wenig anſprechen, als die jüngere 
eines Cauffin de Perceval, jo weit fie vie Lebensbefhreibung Mo: 
hammed's angeht, obgleich dieſer mit tiefen Sprachkenntniſſen und beſſern 
geſchichtlichen Vorſtudien ausgerüftet mar und auch zuverläffigere ältere Quel⸗ 
Ienwerle zu feiner Verfügung hatte. Ref. glaubt, ohne Selbftüberhebung, 
da er ſich auf competente Beurtbeiler feines Wertes berufen Tann, fagen 
zu dürfen, daß er zuerft vor achtzehn Jahren den Verſuch gemacht hat, einmal 
die Berichte der Araber über den Stifter des Islams kritifch zu unter 
fuchen und biftoriih glaubwürbige Thatſachen von jpäteren Mythen gu 
ſcheiden, ſodann, ohne comfejfionelle Befangenheit, Mohammed's Charakter 
als Menſch, als Prophet und als Geſetzgeber zu prüfen und endlich deu 
Koran, dieje bunte Milhung von Hymnen, Gebeten, Legenden, Dogmen, 
Brevigten, Gejegen und Berorbnungen chronologifch zu orbnen. Seit jener 
Zeit haben andere Drientaliften, denen zum heil mehr Quellenwerle gu 
Gebote fanden, denjelben Weg betreten, mandye Partien ausführlicher bes 
handelt und weiter ausgeführt, auch wicht unerhebliche neue Notizen bins 





8. Wlgemeine Geſchichte des Mittelalters. 208 


zugefügt, in den Hauptfragen ftimmen fie aber doch fo ziemlich mit ben 
Refultaten des Ref. überein. 

9. Sprenger bat jhon im Jahr 1851, in engliiher Sprade, den 
erſten Theil einer Biographie Mohammed's veröffentlicht, welcher fich bis 
zur Auswanderung befielben nah Medina erftredt. H. Noͤldeke bat im 
Sabre 1856 eine Abhandlung gejchrieben, welche ven Titel führt: de 
origine et compositione surarum (Joranicarum ipsiusque Qo- 
ranı. Ginige Jahre jpäter beichäftigte er fi aufs Neue mit dieſem Ge 
genitande und bewarb fih mit H. Sprenger und Amari um den von 
der kaiſerlich franzöfiihen Akademie der Inſchriften ausgeſchriebenen Preis 
über die befte Geſchichte des Korans. Seine Arbeit wurde mit der Sprens 
ger’3 und Amari's gelrönt, er bat fie im vorigen Jahre ins Deutſche 
überfegt und unter dem Titel „Geſchichte des Korans“ herausgegeben, 
G. Amari bat bis jegt feine Preisfchrift nicht veröffentlicht, feine vortreff⸗ 
liche Geſchichte Siciliend unter der Herrihaft der Araber läßt, auch abs 
gefeben von dem Urtheile der Akademie, nur Gebiegened erwarten. H. 
Sprenger verſchmilzt wahrfcheinlih feine Preisfchrift mit feinem auf drei 
Bände berechneten Leben Mohammed, von weldhem der Erfte uns vorliegt, 

Noch eine andere neuere Arbeit über den Stifter des Islams darf 
bier nicht übergangen werden, nämlich dievon William Muir, die ſchon 
fragmentariſch in der Calcutta review, nun aber ald Ganzes, in vier Bäns 
den, (London 1861) unter dem Titel „the life of Mahomet“ ers 
ſchienen ift. 

An Quellen zu einer Lebensbefchreibung Mohammeds ift die arabifche 
Literatur ſehr reih. Außer dem Koran, der, wenn auch nicht ala himm⸗ 
lifche Offenbarung, doch jedenfalls im Allgemeinen als das Wert Moham⸗ 
meds gelten kann und der auch die wichtigſten Ereigniſſe feines Lebens 
berührt, bietet fie zahlreiche Biographien und Traditionsfammlungen, die 
zum heil bis in das zweite Jahrhundert mohammedaniſcher Zeitrechnung - 
binaufreichen. Sie find zwar alle mit religiöfem Borurtheile geichrieben 
und mehr oder weniger ſtark mit Sagen gewürzt, doch kann der Kritiker 
in deu meiſten Fällen das hiſtoriſch Glaubwürbige von fpäterer mythiſchen 
Zuthat fcheiden und die Raivität arabiiher Biograpben, die für die Ber 
urtheilung ihres Propheten einen ganz andern Maaßſtab anlegen, fo wie 
bie Unmöglichkeit, in der fie ſich befanden, Thatſachen zu verſchweigen obes 
zu fällen, die im Koran erwähnt find, gefaltet uns, troß ihrer bage 


„sr Ueberfiät der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


matischen Richtung, einen tiefen Blid in das innere dieſes Propheten gm 
werfen, 

H. Sprenger beabfidhtigt, nach Vollendung feiner Prophetenbiograpbie, 
die Refultate feiner Forſchungen über die Quellen, welde die Geſchichte 
der Entjtehung des Islams behandeln, in einem befondern Werten bes 
fannt zu mahen. 9. Muir widmet diefem Gegenftande bie erften 1085 
Seiten feine? Buches. In Bezug auf den Koran pflichtet er ſowohl als 
Sprenger der Anficht des Ref. bei, daß er, obgleich erft nach dem Tode 
Mohammeds aus vielen zerjtreuten Fragmenten gefammelt, doch als fein 
Wert angefehen werden kann. Hinſichtlich der zweiten unentbebrlichen 
Quelle, der Tradition naͤmlich, mit deren Hülfe allein die im Koran ohne 
allen Zufammenbang mehr angebeuteten als erzählten Ereigniſſe zu einem 
ganzen Lebendgemälde gebildet werben können , jpriht H. Muir mit 
Necht mande Zweifel an ihrer unbevingten Glaubwürbigleit aus. Giners 
feit3 ftieg die Verehrung Mohammeds in dem Maaße ald das von ihm 
geftiftete Reich an Macht und Umfang zunahm und bie Zahl feiner Zeit« 
genofien, die ihn als Menſchen mit allen menſchlichen Schwächen kannten, 
abnahm. Andererſeits mußte, da bei den neuen Zuftänven der Koran 
allein nicht mehr als Religions: und Geſetzbuch ausreichte, die Sunnah 
das heißt Mohammed: Worte und Werke, vie Lüde ausfüllen. Das Tras 
ditionsſammlen wurde zum Bebürfnig und nahezu zum Handwerk. Mande 
Leute reiften von einem Lande und von einem Stamme zum anbern, 
um jeber Rede und jeder Bewegung Mohammeds nachzuſpüren und bie 
Refultate ihrer Wanderungen wurden theild niedergeſchrieben, theils münd: 
lich ihren Schülern vorgetragen. 

Bon allen diefen frühern Trapitionsfammlungen hat ſich aber keine 
einzige bis jegt vorgefunden. Die ältete befannte Biographie Moham⸗ 
meds ift die des Ibn Ishak, der in der Mitte des zweiten Jahrhunderts 
der Hipirab geftorben ift und ſelbſt dieſes Werk ift nicht in feiner ur 
fprüngliden Geftalt auf uns gelommen, fondern nur in der Bearbeitung 
des Ibn Hifham, deſſen Tod in das Jahr 213 der Hidjrah fällt. 
Ibn Ishalk bat aber fein Werk unter den Aufpicien der erften Abbafte 
denthalifen geichrieben. Er mußte natürlich ihre Ahnen auf Koften derer 
der geftürzten Omejjaden, welche eine hervorragende Rolle in der Geſchichte 
der Gründung des Islams fpielten, fo viel ald möglich heben, und ſchon 
unter Altern Mohammedanern wurden manche Zweiſel an ver Glaubwürs 





8. Wllgemeine Geſchichte des Mittelalters. 306 


digkeit der Weberlieferungen Ibn Yshald laut. Ibhn Hifham hat fein 
Werk unter dem Chalifate Almanums gejchrieben, ebenjo Alwakidi, ein 
anderer Hiftorifer, der neben Ibn Hiſcham die Grundlage aller fpäs 
tem Biographien Mohammeds bildet. Welches Vertrauen verdient aber 
ein Buch, das zu einer Zeit verfaßt wurde, in welcher jebes Wort zu 
Gunſten Muawia’s, des erften Omejjadendalifen den Tod nad ſich zog, 
und jeder für vogelfrei erklärt war, der nicht Ali als den vorzüglichften 
aller Menſchen anerlannte? Steht nicht die ganze Geſchichte der erften 
Zeit des Islams mit der Perfönlichleit diefer beiden Männer und ihrer 
Anhänger oder Gegner unter den Gefährten Mohammeds im engften Zu 
fammenhange? H. Muir macht diefe, vom Ref. in feiner Chalifengefchichte 
ſchon ausgeſprochene Anficht über die Unzuverläffigfeit diefer Berichte, zur 
Seinigen , während H. Sprenger Wativi höher ald Ibn Hifham ftelkt, 
obgleich Letzterer, da er in Egypten lebte, jevenfall® unabhängiger war, 
als Grfterer, ver Kadhi von Bagdad und ein Günftling des Hofes 
war. Bon Walidi felbft ift übrigens nur ein Buch über die Feldzüge 
Mohammeds bekannt, von feinem Selretär Ibn Sad aber eine Lebens» 
beihreibung Mohammeds aufgefunden worden, welche fomohl Sprenger 
als Muir benugt haben. Walidis urjprünglihed Werl wird außerdem 
in allen folgenden Biographien und Chronilen citirt und es ift anzuneh⸗ 
men, daß in den meiften Fallen, wo dies nicht geſchieht, es mit Ibn 
Jahak im Weſentlichen übereinftimmt. 

Zu den älteften Biographien Mohammeds gehört noch die des Tas 
bari, (geb. 224 d. H. geft. 310) der zwar aud in die Fußftapfen Ibn 
Hiſchams und Walidiß getreten und deſſen Wert zu zwei Dritibeilen ans 
biefen gejhöpft ift, der aber auch mande, von feinen Vorgängern nicht 
erwähnte Traditionen aufgenommen hat, aus weldhen jedoch felten eine neue 
wichtige Thatſache beigebracht oder über längft belannte neues Licht verbrei⸗ 
tet wird. Spätere Hiftoriler oder Biographen können nicht für das von 
ihnen Mitgetheilte eine Bürgjchaft geben ; wo fie indeſſen, wie dies ger 
wöhnlich der Fall ift, fih auf ältere Quellen berufen, koͤmen fie dieſe 
erfegen. So bat Ref. mit Erfolg, außer dem älteren Ibn Hiſcham das 
neuere Inſan Alujun und dad Chamis benupt, welche größtentheils 
die älteften Quellenwerle anführen und wörtlich abfchreiben, wie es auch 
fon Tabari in Bezug auf Ibn Ishak und Walidi getban, und fo legt 
auch H. Eprenger grofen Werth auf das Buh Iſabeh von Ibn 


208 Ueberſicht ber Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Hidir, obgleih es ein Erzeugniß des neunten Jahrhunderts der Hib⸗ 
ivab iſt. 

Neben den genannten Autoren, welche bei ihren Trapitionsjammlungen 
hauptſächlich eine biftorifche Richtung einfchlugen, thaten fi andere, mit 
mebr dogmatiſch theologiſcher und praftifh juridiſcher Tendenz, auf. Mo⸗ 
hammeds Worte und Handlungen follten über alle dogmatifchen, politi⸗ 
fchen, rituellen und juridiſchen Differenzen und Zweifel hinaushelfen, das 
zum mußte auch über jede neue Yrage, zu deren Löfung der Koran nicht 
außreichte, eine neue Tradition aufgefunden oder erbichtet werben. Wie 
es mit dem Ueberlieferungswejen damals ftand und wie Mohammebs Name 
zu allen möglichen Abfurbitäten und Lügen mißbraudt wurde, geht am 
beiten daraus hervor, daß Buhari, der Angejebenfte unter den Samm⸗ 
lern des dritten Jahrhunderts mohammedaniſcher Zeitrechnung, von 600000 
ihm zugelommenen Weberlieferungen nur 4000 bewährte fand, von denen 
der europäifche Kritiler wohl auch noch die Hälfte zu verwerfen genöthigt 
fein mag. Cine gleihe Zahl wählte fein Zeitgenofie Abu Dawud aus 
einer halben Rillion, die ihm auf feinen Wanderungen in Chorafan, “real, 
Mefopotamien, Syrien und Egypten mitgetheilt worden waren. 

Eine große Birtuofität entwidelten ſchon die älteren Biograpben in 
der Erbichtung oder im Nacherzaͤhlen von Traditionen, welche Mohammeds 
Sendung von gelehrten Juden und Chriften vorherfagen laſſen und feine 
Geburt mit allerlei Wundern ausfhmüden. Weber vie Hauptfadhe aber, 
nämlih die Zeit feiner Geburt, weichen die Traditionen von einander ab 
und zwar nicht nur nad Tagen, fondern auch nad Jahren, da ihm, troß 
der Uebereinftimmung über die Zeit feines Todes (Juni 632), doch manche 
ein Alter von 63, andere von 65 Mondjahren geben, jo daß er entweder 
im April 571 oder im Mai 569 geboren wäre. De Sam jept feine 
Geburt auf den 20. April 571 und dieſes Datum nimmt auch Sprenger 
in feiner neueften Schrift an, während er in feiner engliihen Biographie 
zwiſchen dem 13. Mai 569 und dem 13. April 571 ſchwankt. Gr bes 
merkt übrigens auch bier, in einer Note, daß Mohammed jelbft wahr 
fheinlih gar nicht wußte, wann er geboren worden war, daß aber dieſes 
Datum — 20. April = 12. Rabiasl:amwal — in der erften Hälfte 
des eriten Jahrhunderts der Hidjrah ziemlich allgemein angenommen wurde. 
H. Muir folgt dem chronologiſchen Syſtem des H. Cauſſm de Berce 
wel „whose calculations have already been recommended 





8. Allgemeine Gefchichte des Mittelalters. 207 


for general acceptance“ und ſetzt Mohammeds Geburt auf den 20. 
Auguft 570. Hier handelt es ſich nicht mehr darum, weldher von ben 
verfhiedenen Angaben der Araber über den Geburtstag oder die Lebens 
dauer Mohammeds der Borzug zu geben ift, ſondern überhaupt um die 
Frage, wie das arabiſche Jahr zur Zeit Mohammed, ehe die jekige Zeit 
xechnung feſtgeſetzt wurde, beihaften war. H. Cauſſin de Perceval be 
banptet, die Araber haben au, wie die Juden, bis zur legten Wallfahrt 
Mohammeds, alle drei Jahre einen Monat eingefhaltet, um das Monde 
jahr mit dem Sonnenjahr in Uebereinftimmung zu bringen, während de 
Sacy und andere der Meinung waren , daß ſchon zur Zeit der Geburt 
Mohammed's die Araber reine Mondjahre hatten. Cauſſin de Berceval’s 
Behauptung ift zuerft vom Ref. in feiner Vorrede zum „Mohammed“ und 
noch ausführlicher in den Heidelberger Jahrbücher, fpäter au von Kafim 
Beg und Sprenger, in der Zeitfchrift der deutfchen morgenlänvifchen 
Geſellſchaft, jo gründlich widerlegt worden, daß eine weitere Erörterung 
dieſes Gegenftandes überflüffig wäre, und man fih nur wundern lann, 
dab der gelehrte und auch mit der deutjchen Literatur vertraute H. Muir 
ein fo unhaltbares Syſtem noch empfehlen mag. 

Wie wenig Zuverläffiged man über bie erften Jahre Mohammeds 
wußte, gebt auch daraus hervor, daß mande Traditionen ihn als Wai« 
fentind geboren werden lafien, während er nad andern zwei, fieben, oder 
achtzehn Monate alt war, ald fein Vater ftarb. Gleiche Verſchiedenheit 
herrſcht über den Ort, wo er feine erften Lebensjahre zugebracht hat; 
Ginige behaupten, er jei in Mella erzogen worden, Andere, er babe zwei 
oder gar fünf Jahre auf dem Lande bei den Benu Sad zugebradt. Im 
fehlten Jahre verlor er feine Mutter und wurde zuerft von feis 
nem Großvater Abd Almuttalib adoptirt und als er nah zwei Jahren 
Karb, nahm ihn fein Obeim Abu Zalib auf. Da diejer unbemittelt war, 
mußte Mohammed für feinen Lebensunterhalt forgen, den er ſich als Hirt 
erwarb, indem er die Ziegen und Schafe der Mellaner auf die Weide 
führte und dabei die Früchte des Ciſſusbaumes fammelte. 

Aus feinem Jünglingsalter wiflen die Araber nicht? weiter zu ers 
zählen, ala daß er einem Kriege zwijchen den Meltanern und dem Stamme 
Heiß beiwohnte, bei welchem aber feine Theilnehme ſich darauf befchräntte, 
daß er feinem Oheim Pfeile reihtee Noch wird berichtet, daß er einem 
Bimbmifie beitrat, welches einige Mellaner zum Schuge Reiſender und 


208 ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Fremder ſchloſſen und daß er feinen Oheim auf einer Geſchäftsreiſe 
nah Syrien und jpäter nah Südarabien begleitete Manche Travis 
tionen laffen ihn aud einige Zeit Handel auf eigene Rechnung treiben, 
aber, wie es fcheint, ohne großen Erfolg, denn als er etwa vierundzwanzig 
Sabre alt war, verbingte er fih an eine reihe Wittwe und machte für 
fie mehrere Geſchaͤftsreiſen nad dem ſüdlichen Arabien und nad) Boßra. 
Nah einem Jahr heirathete ihn dieſe Wittwe, nahdem fie die Einwilli⸗ 
gung ihres Vaters im Zuſtande der Truntenheit erhalten batte. 

Nun fehweigen die Quellen wieder über vie folgenden zehn Jahre ; 
dann berichten fie, daß, als Mohammed fünfunppreißig Jahre alt war, 
man, beim Wiederaufbau des Tempels, fih nicht darüber verftänbigen 
Tonnte, wer die Ehre haben follte, den heiligen ſchwarzen Stein an feine 
Stelle zu legen, daß man endlich übereinlam, die Entſcheidung dem gu 
überlaffen, der zuerft in den Vorhof des Tempels treten würde. Diefer 
war Mohammed, welcher den Streit dadurch jchlichtete , daß er ein Tuch 
bringen ließ, auf welches er den heiligen Stein legte. Die Häupter ber 
ftreitenden Familien mußten es aufheben, bis zur Stelle in weldhe er ein 
geihoben werben follte, was er dann wieder mit eigenen Händen that. 
Und abermals find die neuentvedten wie die längftbelannten, vie älteren wie 
die jüngeren Biographen Mohammeds in gänzlicher Unwiffenheit über Mo» 
hammed, bis zu feinem vierzigften Jahre, al3 er, wenn auch noch nicht 
Öffentlich, Doch im Kreife feiner Familie und vertrauten Freunde, ala Ges 
fandter Gottes auftrat. Doch foll er vor diefer Zeit jchon gefaftet und 
ein zurüdgezogene® Leben geführt und mande Tage in einer Höhle in 
der Nähe von Mella zugebraht haben, wo er wahrſcheinlich feine Ein: 
ſamkeit religiöfen Betrachtungen widmete. Daß er zu folhen von Juden 
und Chriftenangeregt ward, befonders von Waraba, einem Vetter feiner Gattin, 
der Schon früher den Gögendienft verworfen hatte und zuerft zum Judenthum 
und dann zum Chriftentbum übergetreten war, ift längft befannt. Nicht weni⸗ 
ger daß ſchon vor diefer Zeit einige andere Araber fi von der Vielgötterei ab⸗ 
gewendet und zum Juden: ober Chriftenthbume befehrt haben. Mohammed folgte 
ihrem Beifpiele, kam aber zu dem Rejultate, daß das wahre Judenthum 
und Chriſtenthum verſchieden fein müfle von dem, welches er aus münd- 
lichen Berichten der Belenner diefer beiden Religionen tennen gelernt hatte, 
Er dachte daher zunädhft daran, den reinen Glauben Abraham’3, des Haupt⸗ 
träger8 der Einheitslehre, der weder Jude noch Ehrift war, wieder her 





3. Wllgemeine Geſchichte des Mittelaltere.. 209 


zuftellem. 5. Sprenger begnügt fi aber nicht mit diefer einfachen Er⸗ 
Härung und widmet den fogenannten Borläufern Mohammeds ein eigenes 
Kapite. Cr zeigt zunädft, wie die Araber, in Yolge ihres Verkehrs mit 
Juden und Chriften, eigentlih nie Götzendiener im ftrengen Sinne des 
Wortes waren, fondern daß ihre Bielgötterei fih darauf beſchraͤnkte, daß fie 
dem Allah Genien an die Seite ftellten. Die Grundidee des Judenthums, 
Unterwerfung unter einen über alle Wejen benen Gott, Glaube an eine 
Bergeltung und eine göttlihe Autorität: e Wahrheiten waren längft 
den Dentenden unter den Arabern zum Bebürfniß geworben. Der Berfafler 
geht dann auf die alten judendhriftlichen Selten, auf die Ebioniten, Efläer, 
Razareer und Sabier zurüd, Wir finden bier fchon Zmweifel an der Hecht: 
beit einzelner Bücher de3 alten und neuen Teftaments, jo wie an der Goͤtt⸗ 
Kichleit Ehrifti, den Glauben an eine mit Adam beginnende Uroffenbarung, 
tägliche Waſchungen und breimalige® Gebet*), Als Weberbleibfel dieſer 
Selten in Arabien, zur Zeit Mohammeds, finden wir die Hanife und 
die Rakuſier. Mohammed bezieht ſich mehreremale im Koran auf „bie 
Rollen des Mofes und Abraham” an weldhe die Hanife oder die Abra- 
bamitifhen Sabier glaubten. Aucd bezeichnet er Abrabam als den Grun⸗ 
der der Lehre der Hanife, der ihm Gott beizutreten befiehlt, In den be 
Iannten urarabifchen Traditionswerlen werden obngefähr zwölf Beitgenofien 
Mohammeds als Hanife bezeichnet, das heißt ala foldhe, welche fi) vor 
der Sendung ſchon vom Goͤtzendienſte abgewendet hatten. Giner derſelben 
war der Dichter Omejja Ibn Abi-l⸗Salt, auf welchen aud einige 
Gommentatoren des Korans den 174. Vers der fiebenten Sura bezieben, 
in welhem Gott Mohammed befiehlt, den Ungläubigen die Kunde vorzus 
tragen, „von Jenem dem er feine Zeichen mitgetheilt, der ſich aber den⸗ 
jelben entzogen, den dann der Satan verfolgte, fo daß er einer der rs 
renden wurde.” in anderer KHanife war Zeid Ibn Amr Gr fol 
fih (wie die Juden) des Fleiſches der Thiere, die nicht mit dem Mefier 
geichlachtet worden waren, fo wie auch des Blutes enthalten und ven Morb der 
Maͤdchen verdammt baben, welhe man aus Armuth, oder wenn fie ein 
Leibeögebrechen hatten, lebendig zu begraben pflegte. Es werben ihm 
Berfe in den Mund gelegt, in weldhen er, wie Mohammed, die Göpen 









©) Letzteres if freilich allen Inden vorgeichrieben, au Sabbat und ef 


tagen fogar wiermaliges. 
Hlßerifge Beitfärifi Vu. Der. 14 


210 Ueberficht der Biftorifchen Literatur von 1861. 


verfpottet und nur ein Weſen, den einzigen Gott Abrahams, als Weltbe 
herrſcher anerkennt, zur Frömmigleit ermahnt und den Sündern die Strafe 
der Hölle androht. Im anderen ihm zugejhriebenen Verſen jpricht er 
von Pharaon, Mofes und Jonas. Cr foll, um die wahre Religion auf- 
zufuden, nah Mejopotamien und Syrien gereift fein, um bei dortigen 
Mönchen und Rabinern Erkundigungen darüber einzuziehen. In Balla 
(Moabitis) fo wird ferner berichtet, traf er einen Aiceten, der in vie 
Geheimniſſe der chriftliden Religion eingeweiht war und fragte ihn nad) 
der banefitiihen Religion. Der Aſcete antwortete: du wirft wohl kaum 
jemanden finden, der dich da unterrichten kann, aber die Zeit ift gelommen, 
in der ein Prophet auferftehen wird, in dem Lande, aus welchem du kommſt. 
Er wird die Religion Abrahams prebigen. Gehe, fuche ihn auf, dies iſt 
gerade die Zeit, zu der er feine Miſſion erhält. Zeid hatte ſich mit be 
Juden: und Chriftentbume vertraut gemacht, aber keine dieſer beiven Ne⸗ 
ligionen genügte ihm. Auf den Rath des Aſceten eilte er nah Melle 
zurüd; als er aber in das Gebiet der Lachmiten kam, wurde er ermordet. 

Letztere Nachricht erklaͤrt H. Sprenger ſelbſt als unridtig, da aus 
andern Quellen hervorgeht, daß Zeid in Mella geſtorben if. Daß aber 
ein Aſcete ihm das Auferſtehen eines Propheten in Mekka angelimpigt 
babe, klam wohl auch als eine Erbichtung angejehen werben, wie fie bei 
den Möndhen Bahirab, Addas und andern judiſchen und chriſtlichen Schrift 
gelehrten vorkommt, die alle Mohammeds Miffion vorbergefagt haben fob 
In. Wo aber einmal ald Finale eine ſolche Tendenzlüge aufgetiicht wir, 
ift es ſchwer auch das übrige Thema als ein hiftorifh glaubwürbiges ans 
zuſehen. Schon Nöldele hat Zweifel an der Aechtheit der Zeid zugejchrie- 
benen Berfe geäußert und zwar deßhalb ſchon, weil fie ganz nad dem 
Koran gemodelt jcheinen. 

Nicht viel zuverläifiger als die Traditionen, welche Zeid angehen, finb 
die, welche Waraba betreffen, den Better der Gattin Mohammeds, ver 
au vor ihm ſchon die Einheit Gottes gepredigt und Mohammeds Gew 
dung vorbergejagt haben fol, Die Berichte über ihn find jo verſchieden 
umd ſich wiberfprechend, daß es bei allem kritifhen Scharfjinne unmöglich 
wird, den einen oder den andern ala fichere Grundlage anzunehmen. 

Wie dem aber aud jei, jo ift fein Zmeifel, daß Mohammed, der 
felbR laum Tefen konnte und zu deſſen Zeit wohl fchwerlich arabifche Bir 
belüberfegungen in Melta belannt waren, mit Schriftgelehrten Umgang 


cd 





8. Augemeine Geſchichte des Mittelalters. 211 


batte, die ihn mündlich mit dem Inhalte des alten und neuen Zeftaments 
belannt machten, aber in einer Weife, daß er fie nicht, jo wie fie ihm vor: 
getragen wurden, als ungetrübte göttliche Offenbarung anfehen konnte. Die 
chriſtlichen Dogmen verlegten feine Begriffe vom Monotheismus und das 
Judenthum konnte feine Weltreligion fein, daher er immer wieder auf 
Abraham zurüdging oder zurüdgeführt wurde; fein Streben ging zus 
nähft dahin die unreine Lehre dieſes Patriarchen wieder berzuftellen. 
Mohammed Tonnte und durfte aber, follten feine Worte Einbrud 
maden, nicht als Religionsphiloſoph auftreten. Gr mußte, um Juden, 
Chriften und Heiden zu bekehten, au mie Mofed und Ehriftus ein Bro: 
pbet fein, und feine neue Lehre im Namen Gottes verlünden. Hat Mo: 
bammed, indem er ala Gefandter Gottes den Koran offenbarte, nur bes 
Zwedes willen, feine SBeitgenofien zu täufchen geſucht, oder hielt er fi 
wirklich für infpirirt und war er ein Selbftgetäufchter ? Dem Ref. hat ſich nach 
gründlidem Etudium des Korams und der Biographien Mohammebs, die 
Ueberzeugung aufgenrungen, daß Mohammed nicht nur an die Wahrheit 
feines Berufs, den Böpendienft ver Araber durd eine vernünftigere Re- 
ligion zu erfegen, glaubte, fondern ſich auch, wenigſtens in der erften Beit 
feiner prophetifchen Laufbahn, für einen wirflih vom Simmel infpirirten, 
für einen wahren Bropheten im altteftamentlihen Sinne des Worte, ge: 
halten bat. Gin Gauller hätte nicht beformene Männer wie Abu Belt 
und Omar zu gewinnen vermocdht, ein Lügner nidyt mit ſolchem Feuer und 
folder Ueberzeugungstraft ſprechen Tönnen, wie er in den ber erften Beriove 
angebörenden Koransabfchnitten, ein Heuchler mit feinem Gharalter hätte 
nicht die Kraft und Ausdauer gehabt, fi) viele Jahre hindurch den Schmähun: 
gen umd Kränkungen auszufepen, welde ihm die Anhänger des alten Glau⸗ 
bens zufügten. Man darf fih nämlih Mohammed nicht als einen ent: 
ſhloſſenen, muthigen und energifhen Helden denken, der, wenn er einmal 
einen Borfag gefaßt, ihn auch, allen Hinderniffen und jeder Gefahr trogend, 
durdführen mußte. Gr war im Gegentheil von fehr zaghafter und furdht: 
famer Ratur, ftet3 bereit zu capituliren, wo er Gefahr witterte. Selbit 
im Kriege fand er nicht fechtenn an der Spike feiner Soldaten, ſondern 
biekt fi) gewöhnlich betend im einer gewiflen Entfernung vom Schladhtge: 
tämmel und trug, zum Ueberfluſſe noch, einen geichlofienen Helm, der ihn 
wntenntlih machte unb ein voppeltes Panzerhemd, das die feindlichen 
Pfeile nicht durchdringen Iomnten. Mohammed muß von einer Innern Stimme 


212 Meberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


getrieben worden fein, die Rolle eines Propheten zu übernehmen und troß 
aller Hinderniffe zu behaupten, eine mächtige Ueberzeugung allein Tonate 
ihn auf diefer Bahn erhalten. 

War einmal Ref. zu dieſem Refultate gelangt, fo mußte er weiter 
darnach forjhen, mie Mohammed dazu fam, das was er, ſei es durch 
eigened Nachdenken, oder in Folge feines Verkehr? mit Schriftgelehrten 
für wahr bielt, ala eine neue Offenbarung zu verlünden und fi für einen 
Gejandten Gottes zu halten. Die Löfung dieſes Räthfels glaubte er in 
der phyſiſchen Beſchaffenheit Mohammeds zu finden. Mohammed war 
Epileptiler und wurde, den Vorurtbeilen feiner Zeit gemäß, für einen 
von böfen Geiftern Befeflenen gehalten. Er jelbft hielt fich einige Zeit für einen 
folden, da er aber zu ſehr von der Reinheit feines Glaubens überzeugt 
war um böfen Dämonen oder Diinn eine Gewalt über fi einzuräumen, 
verwandelte er allmählich viefe unreinen Weſen in Engel, bi er fie zulegt 
wirklich zu ſehen glaubte, feine, nad gemaltiger Aufregung eintretende Ber 
wußtlofigfeit überirdiſchem Zufammenleben mit ihnen zuſchrieb und daß, 
was nad der Nüdkehr des Bewußtſeins Mar vor feiner Seele lag, als 
eine göttliche Offenbarung anſah. 

Daß Mohammed Epileptifer war, behauptet ſchon fein Zeitgenofie 
Theophanes. Die ihm folgenden byzantinischen und islamfeindlihen abend⸗ 
laͤndiſchen Chroniken des Mittelalterd unterliegen es natürlich nicht, diefe, 
nah ihrer Anfıht Mohammed Perfjönlichleit entwürdigende Behauptung 
zu wiederholen, während neuere Drientaliften, wie Ddley, Sale, Gagnier 
und Cauſſin de Perceval, fie zu widerlegen ſuchen. Ref. hat eine Anzahl 
Stellen aus Ibn Ishak und anderen arabifchen Quellen mitgetheilt, welche 
feinen Zweifel mehr über diefe Frage auflommen laſſen. Mohammed bat 
ſchon als Kind an krampfhaften Anfällen gelitten und fie wiederholten 
fih bei ihm bis zu feinem jpäteften Alter und zwar mit folder SHeftigfelt 
„daß er in Ohnmacht fiel, feine Augen fih fchlofien, fein Mund ſchäumte 
und er Töne ausftieß, ähnlich denen eines Kameelfüllenz. 

H. Nöldele ſtimmt dieſer Anfiht des Ref. volllommen bei. Auch 
H. Sprenger, bei all feiner, bie und da zu weit gehenden Geringſchaͤßung 
Mohammed, fieht fi genöthigt, ihn in der erften Zeit für einen Selbſt⸗ 
getäufchten zu halten. Er fchreibt S. 313: „Wir können ihn des Be 
truges nicht beſchuldigen, gerade weil er feine früheren Infpirationen ben 
Dämonen zugefchrieben und fich für befefien gehalten hatte. Der Ueber 





8. Mügemeine Geſchichte des Mittelalters. 218 


gang von Befefienheit zum Prophetenthum beftand einzig in der Vorſtel⸗ 
Iung, welche er fi, unter dem Einfluffe der Hanife, von dem Weſen, wel: 
ches aus ihm fprad, machte und wenn wir die Thatfache, welche die Mos⸗ 
lime nur ungern gefteben, (?) daß er ſich für befefien gehalten hatte, 
glauben, fo haben wir fein Recht, feine Aufrichtigleit zu bezweifeln, wenn 
er fagte: „ed fpriht der Herr aus mir.” 

Ueber die Krankheit, an welcher Mohammed litt, äußert fih Sprenger 
folgendermaßen: „Mohammed litt an einer Krankheit, weldhe in jener aus» 
geprägten Form, wie bei ihm, in unfern Gegenden bisweilen bei Frauen, 
aber felten bei Männern vorlommt. Man hat ihr verfchiedene Ramen ge: 
geben: Schönlein heißt fie hysteria mascularis und weil man gewöhn 
lih annimmt, daß Hyfterie ausſchließlich eine Frauenkranlheit fei, fo ſetzt 
er hinzu: „Jene irren fi, welde glauben, daß’ die Krankheit dem männ- 
lichen Geſchlechte ganz fremd fei; denn fie erſcheint allerdings bei Maͤn⸗ 
nern auch, nur verhältnißmäßig viel feltener.” 

Gie trat, wie gewöhnlich, in Parorysmen auf. Wenn der Anfall leicht 
war, fo zeigte ſich jenes Schwanken zwiſchen Erpanfion und Gontraltion der 
Muskeln, welches viefem Leiden charalteriſtiſch if. Seine Lippen und 
Zunge zitterten, als wollte er etwas aufleden, die Augen verdrehten ſich 
für einige Zeit nad der einen und dann nach der andern Seite und ber 
Kopf bewegte ſich automatiih. Bei leichten Anfällen war der Wille mäd: 
tig genug, diefe convulfiven Bewegungen zu bemeiftern, wie wir beim 
Fröfteln dem Zittern der Glieder mit feftem Willen Einhalt thun können; 
aber bei etwas heftigeren Anfällen waren fie automatifh und vom Einfluß 
des Willens losgetrennt. 

Zugleich litt er auch an Kopfſchmerzen (hysteria cephalica) und 
wern die Parorysmen fehr heftig waren, erfolgte Katalepfie: er fiel wie 
betrunlen zu Boden, fein Gefiht wurde roth, der Athem fchwer und er 
ſchnarchte „wie ein Kameel.“ Es ſcheint aber nicht, daß er dad Bewußt⸗ 
fein verlor und in fofern unterſchieden fih feine Anfälle von Epilepfie. 
Gleich nad dieſen „Engelöbefuhen” mußte er ſtets den Umſtehenden eine 
Offenbarung mitzutheilen, die ihm der Engel überbradht hatte; und wenn 
diefe Oralel manchmal aud ſehr lahm waren , fo beweifen fie doch im: 
merhin, daß er bei voller Befinnung gewefen. 

Es fteht Ref. der nicht Mediciner ift, nicht zu, mit H. Dr. Sprenger 
über ven Ramen und bie Beſchaffenheit der Krankheit Rohammeds zu 


314 Ueberſicht der Hiftorifgen Literatur von 1861. 


ftreiten, Hauptſache ift, daß er an einem Uebel gelitten hat, dad ex zu⸗ 
erft böfen Geiſtern zuſchrieb und das ihn fpäter veranlaßte, ſich für einen, durch 
Bermittlung eines Engels, infpirirten Propheten zu halten. Uns will es 
jevod feinen, daß Mohammed wirklich bei manchen Anfällen dad Be 
wußtfein verloren bat und daß keine entjcheidende Beweiſe dafür vorhan⸗ 
den find, daß er gleih nad den Engelsbeſuchen feine Offenbarungen mit 
getheilt habe. Ibn Ishak berichtet, daß er ſchon vor der erften Offen⸗ 
barung einen Anfall hatte, „welcher einer Ohnmacht ähnlih war.” Fer⸗ 
ner wird berichtet: „Chadidja (feine Gattin) warf ihren Schleier weg, um 
zu ſehen, ob Mohammed eine wahre Offenbarung gehabt oder nur eine 
Ohnmacht.“ An einer andern Stelle heißt es: „fo oft der Prophet eine 
Dffenbarung erhielt, glaubte man feine Seele würde ihm genommen wer: 
den, da hatte er immer eine Art Ohnmacht und fah wie ein Betrunlener aus.” 

Wir Llönnten no mande andere Tradition anführen, in welder 
von einer Ohnmacht die Rede ift, begnügen uns aber mit einer nod, 
aus welcher zugleich hervorgeht, dap Mohammed wirklich aud das Be 
wußtfein verlor. Seine Gattin Yifcha erzählt nämlih bi Ibn Hiſcham, 
daß fie wegen ded auf ihr laftenden Verdachts von Untreue in großer 
Unruhe war „aber plöglih fiel der Geſandte Gottes in Ohnmacht, wie 
dies gewöhnli vor einer Offenbarung der Fall war. Man hüllte ihn in 
fein Gewand und legte ein levernes Kiffen unter fein Haupt . . . Meine 
Eltern waren in der größten Angft, bis der Geſandte Gottes. wieder zu 
ih kam, weil fie fürdteten, das böfe Gerede möchte von Gott beftätigt 
werben, Als Mohammed endlich wieder zu ſich kam, fegte er ſich wieber 
aufreht und wiſchte die Schweißtropfen ab, die wie Berlen von feiner 
Stimme berabrollten, obſchon wir in einem Wintertage waren. Dann fagte 
er; freue dich Aiſchal Gott hat mir deine Unfhuld geoffenbart. Er ging 
dann in dig Mofchee u. |, mw.“ 

Hier ſehen wir au, dab Mohammed als er wieder zu Bewußtfein 
kam, ſich erſt aufrecht fegte, dann den Schweiß abtrodnete, dann Aiſcha 
für unſchuldig erflärte und erft nachher, in der Mofchee, die darauf ber 
züglihe Offenbarung nerlündete., H. Sprenger felbit jchreibt an einer an: 
dern Stelle, gelegentlih der Offenbarung zu Gunften Omm Maltum’s 
„Wie orientalifhe Maler die Berfpeltive vernachlaͤſſigen, jo fallen bei ihren 
Zrabitionen häufig die Entfernungen in der Zeit weg und der parfümirte 
Beduine mag lange in Mohammed’ Lager geweien fein, ehe der Pros 





3. Allgemeine Geſchichte bes Mittelalters. 216- 


phet einen Anfall hatte, und die Ergänzung des Koransverjes zu Gunſten 
de3 blinden Amm Maktum mag mehrere Wochen nad) den erften Of⸗ 
fenbarungen erfolgt fein.” So Tann denn auch aus manden Weberliefe- 
tungen, in denen e3 beißt, daß Mohammed, nah feinem Anfalle, dieſe 
oder jene Rede hielt, keineswegs gefolgert werden, daß fie im erften Augen- 
blide nad der Rudkehr des Bewußtſeins jo gehalten wurde. Die Anfälle 
jelbft mochten übrigens häufig Folge der geiftigen Grregtbeit, in der er 
ſich befand, geweſen fein, der Gegenftand, der fein Inneres beichäftigte, war 
Schon ſpruchreif, der Anfall gab ihm die legte Weihe und er bedurfte, einmal 
wieder bei Sinnen, keines längeren Nachdenkens mehr, um ihn vorzutragen. 

Der uns bier gegönnte Raum geftattet uns nicht dieſe und andere 
Fragen, in welchen wir mit dem gelehrten DVerfafier nicht ganz überein» 
ftimmen, bier weiter zu erörtern, wir. werden an einem geeigneten Otte 
darauf zurüdtommen. Im Allgemeinen verdient vorliegendes Werk, ſowohl 
in feiner Anlage al® Ausführung, die vollfte Anerlennung Der Berf. 
bat feine zahlreichen, zum Theil neuen Quellen, mit größtem Fleiße aus: 
gebeutet und nichts ift ihm zu geringfügig, um nicht einer nähern Unter: 
ſuchung unterzogen zu werben. Mit der Biographie Mohammeds gebt 
die Gejhichte des Korand Hand in Hand, auf den er nit bloß ver: 
weift, jondern den er, weil die vorhandenen Weberfegungen fehr mangel: 
baft find, immer vollitändig in eigener Verfion anführt. 

Befondere Erwähnung verbient noch das fünfte Kapitel — der ganze 
Band gerjällt in fieben Kapitel — in welchem uns die Belehrungen der 
erften fünf Jahre vorgeführt werben, jo wie die beiden folgenden, melde 
von den Offenbarungen Mohammed's in dieſem Zeitraume handeln, bei 
denen namentlih die verfhiedenartigen Drohungen gegen die Ungläubigen 
zur hronologifhen Beitimmung dienen. Der Berf. glaubt, daß Mohams 
med in der erften Zeit in feinen Weiflagungen ſich zu beftimmt geäußert 
batte und daß er, als fie nicht eintrafen, fie auf den jüngften Tag be⸗ 
zog, um aber in feine Widerjprüce verwidelt zu werben, alle feine frühern 
Dffenbarungen dadurch unverftänplih machte, daß er fie p&le möle zu: 
fammenmwarf und aus dem Koran ein Buch voll Mofterien madte. Auch 
darüber behalten wir und vor bei der Beſprechung des zweiten Bandes, ber 
bofientli bald folgen und auf die auf das jüngfte Gericht fich beziehen: 
den Stellen des Korans zurüdlommen wird, unfere Anficht zu äußern. 

Weail. 


16 Ueberſicht ber Hiflorifchen Literatur von 1861. 


Dörr, Rob., de bellis Francorum cum Arabibus ge 
stis usque ad obitum Karoli M. Dissertatio inauguralis historica. gr.8. 
(62 &.) Königsberg. (Schubert & Seidel.) 


Jacobs, Alfred, Geographie de Grögoire de Tours, 
de Freödögsire et de leurs continuateurs. 2. edition. 8, avec oarte. Pa- 
ris, Didier. 

Lecoydela Marche, A., De l’autorit& de Gr6goire 
de Tours, &tude oritigue sur le texte de l’histoire des Franos. Paris, 
Durand. (131 &.) 4. 

Waitz, Geo, über die Münzgverbältniffe in den älteren Rechte 
baden d. Frankiſchen Reiche. Göttingen, Dieterih’iche Buchhandlung (59 ©.) 4. 

Sur le lieu de naissance de Charlemagne. Mémoire 
present& Al’acad. royale de Belgique en r&ponse & la question suivante: 
Charlemagne est-il n6 dans la province de Liöge? par M. Hahn, Dooteur 
en philosophie, & Berlin. (Aus T. XI der Memoires couronn6s et autres 
publi6s par l’Academie royale de Belgique 1861. (115 ©.) 8. 


Die dur einen Anonymus veranlaßte, mit einer nicht unbebentenden 
Summe botirte Preisfrage der Brüffeler Alavemie: ob Karl der Gr. in der 
Provinz Lüttich geboren, hat einen jüngeren deutſchen Gelehrten zu der vor⸗ 
liegenden Arbeit veranlaßt, die den Preis nicht erhalten konnte, weil fie 
fein entſchiedenes Ja oder Nein ausſprach, aber bes Abdrucks in ben 
Schriften der Alademie für würdig eradhtet und gewiß nicht ohne Inter⸗ 
efie if. Sie kommt auf langem Wege zu dem Refultate, dab man übers 
baupt nichts in diefer Frage enticheiden könne, daß namentlih die Ber 
fuche, welche bei einer erften Preisausfchreibung zu einer pofitiven Löfung 
gemacht find, als ganz vergeblih und mißlungen angejeben werben müffen. 
Es ift das mit einem nicht geringen Aufwand von Gelehrjamleit, aber 
allerdings aud mit großer Breite durchgeführt, und in einer Weife, die 
fih wohl den mehr frangöfifhen Neigungen der Beurtbeiler und Lefer 
anſchließen foll, die aber unjerm Geihmad nicht recht entipriht und in 
der es ber Perf. denn aud nicht an einer gewifien Selbftironie fehlen 
läßt, wie ſchon fein Motto aus Fauft andeutet: Entzwei, entzwei, da liegt 
der Brei. In der That ift es nicht fehr erquidlih, der Schrift gu fol: 
gen in der meitläufigen Widerlegung aller möglichen wunderlichen und 
willtürfihen Annahmen, durch die man den gänzlihen Mangel an wirklis 
er Kenntniß hat verdeden wollen. Doch kommen allerbings manche ganz 





-8. Allgemeine Geſchichte des Mittelalters. 217 


nüglihe Unterſuchungen mit dabei vor, über die Perfönlichleit und Geſchichte 
ber Königin Bertha, Karl's Mutter, das Jahr von Karl’3 Geburt, die 
Greignifie in Pippin’3 Geſchichte die in irgend welchem Bezug zu derjelben fte- 
ben können. Nur ift freilich der hiftoriiche Gewinn aud hier kein großer, 
und nicht immer wird man den Ausführungen des Berf’3. beiftimmen 
tönnen. In einer vielbefprodenen Fuldiſchen, aber in Bezug auf ihre 
Echtheit zweifelhaften (ſ. die Nachträge p. 112) Urkunde (Dronte Cod. 
dipl. Fuld. 74 p. 46) wird der Ausdrud terram conceptionis nostrae 
auf die Empfängniß Karl’3 bezogen im Gegenfat gegen Eckhart und neuers 
dings Polain, welche darunter vielmehr einen fogenannten Bifang, ein neu 
gerobeted und eingefriedigtes Land, verftehen wollten. Ich muß aber, wenn 
auch der Ausdrud ſchon früh anders ausgelegt ift, wie eine mitgetheilte 
Stelle einer fulviihen Aufzeihnung aus Eberhard Eoder (Dronte An- 
tiquitates p. 64) zeigt, mid; der legten Anfiht durchaus anfchließen ; 
den vermißten Beleg für conceptio, concaptio, in diefem Sinne hätte 
9. Hahn fon bei Ducange ed. Henſchel LI, 507 finden können ; (Neu: 
gart I, p. 292, Cod. trad. Sang. p. 236); ift die Urkunde nicht ganz 
und gar ald ein Machwerk fpäterer Zeit zu verwerfen, fo lann fie fiher nur 
auf ein ſolches aus Neurobung bervorgegangenes Befigthum bezogen wer: 
den ; der fpäter nicht mehr veritandene Ausdrud mag zu der in jener Auf: 
zeihnung enthaltenen Sage Anlaß gegeben haben, daß Bonifaz bier die 
Empfängniß eines Sohnes Königs Pippins prophetiſch vorhergeſehen habe. 
— Mehr Beahtung verdient der PVerfuh des Verf's, gegen die ge: 
wöhnlihe Annahme des Jahres 742 (oder 743) als Geburtsjahr Karl's, 
die Nahriht der Ann. Betav. zu 747 zu vertbeidigen, woran fich eine 
Beiprehung ver Angabe anderer Quellen, daß die Bermählung mit der 
Bertha erft 749 ftattgefunden, anſchließt. Die bier gegebenen Grörterun: 
gen wie mande andere inzelheiten wird man mit Intereſſe lefen, auch 
wenn man der Hauptfrage nur eine geringe Theilnahme zumenvet. 
G. W. 


De donatione a Carolo Magno sedi apostolicae anno 774 
oblata. Dissertatio historica et critica scripsit Dr. Th. D. Mock. Mo- 
nasterii typis et sumptibus S. C. Brunn (1861). (DI und 102 ©.) 8. 


Eine der ziemlich zablreihen Abhandlungen zur Geſchichte des Mit: 
telalterd, die uns Münfter in der neueren Zeit als Tifiertatiomen gelie- 


218 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


fert bat, und die, wenn aud von ungleihem Werth, ein Beugniß geben 
von eifriger und im ganzen erfreuliher Beichäftigung mit biftorifchen 
Studien. Die vorliegende Arbeit ift jedenfall3 eine der befleren. Der 
Verf. behandelt den oft beſprochenen wichtigen und fchwierigen Gegenftand 
mit Gelehrjamleit und Umfiht, und wenn man auch nicht überall feinen 
Ausführungen beitreten kann, wird man doch bereitwillig anertennen, daß 
er zu neuer Prüfung angeregt hat, Es gilt dies namentlih von dem 
zweiten Theil der Unterfuhung, während in dem erften nur noch einmal 
die Echtheit des Berichts der Vita Hadriani von den Schenkungen Pips 
pin’3 und Karl's vertheibigt wird. Hier bin ich, wie der Berf. auch an» 
führt, vorher ſchon ganz feiner Anficht geweien. Dagegen babe ih mit 
andern, zulegt Abel, Untergang des Langob. Reiche, angenommen, daß bie 
Schenkung Karl's nur eine Beitätigung der von Pippin in dem fogenanns 
ten Pactum Üarisiacense gemadten gewefen fei. Diefer Anficht tritt 
der zweite Theil entgegen und jucht eine weſentliche Verſchiedenheit, einen 
bedeutend größern Umfang der von Karl gemachten Verleihung nad) 
zuweifen; zugleich führt dann der Verfafler aus, daß dieſe nicht den Cha: 
ralter einer eigentlihen Schenkung oder Uebertragung glei für damals, 
fondern nur den eines Verſprechens für die Zukunft gehabt babe, und 
darin findet er die Möglichleit eben zu der Aufnahme von Orten und 
Landſchaften, an deren Ueberweifung an den römifhen Biſchof Karl im 
3. 774 ſicher nit denken lonnte. So wenig auch dieje legte Auskunft 
befriedigt, und fonft alles auf Zuftimmung rechnen kann, fo finde id 
doch, daß wenigitend aud die entgegengejegte Annahme zweifelhaft gemacht 
it. Hr. Dr. Abel ift in einer ausführlihen Anzeige der Schrift in den 
Gött. Gel. Anz. 1861 St. 51 und gelegentlih in einem demnaͤchſt in 
den Forschungen zur Deutihen Gefchichte zu veröffentlichenden Aufjag den 
einzelnen Ausführungen des Verf's. vielfach entgegentreten und bat vers 
ſucht die entgegengejegte Annahme nochmals zu vertheidigen. Mir jcheint, daß 
dadurd die Discuſſion als ziemlich erfchöpft gelten kann, mander frühere 
Irrthum für immer befeitigt, aber freilih in der Hauptſache kein ganz 
ſicheres Refultat gewonnen ift. G. W. 

Floss, De suspecta librorum Carolinorum a Johanne Ti- 
lio editorum fide. (21 &.) 4. Bonnae, Marcus. 

Es iſt eine ſchon öfter angeregte noch keineswegs embgültig entſchie⸗ 
dene trage, ob die von de Tillet 1549 herausgegebenen ſog. libri Car 





8. Allgemeine Geſchichte des Mittelalters, 219 


rolini wirtlih ein literarifches Erzeugniß des 8. Jahrhunderts feien. 
Meiſtens — neuerdings noch von Hefele — wird diefe Frage ftets zu 
Gunſten der Aechtbeit entjchieden. Anderer Meinung ift Floß. Er begrüns 
det feine Zweifel im mejentlihen durch eine Crörterung über die hand⸗ 
fhriftlihe Grundlage der Ausgaben. Da hatte man denn zuerft eine No: 
tig über einen im Batican aufbewahrten Cover. Derfelbe kann aber lei 
der nicht mehr aufgefunden werden, denn Herr Floß war vor 15 Jahren 
in Rom, um kirhengeichichtlihe Studien zu mahen: er fand in den Ca⸗ 
talogen des Batican diefen Coder niht. „Denn hätte ich dort venjelben 
aufgefunden, jo würde ich dies in meinen Notizen (in chartulis meis) 
anzumerken Taum vergeflen haben.” (p. 18). — Ein anderer Coder wirb 
in Paris aufbewahrt, den Herr Floß feiner Prüfung unterzog. Hier fand 
er, „daß die Schriftzüge deſſelben nicht, wie bisher geglaubt wurde, den 
Charakter des 10. Jahrhunderts zeigen, fondern nur eine Nachahmung der 
Schrift des 10. Jahrhunderts, vermuthlich aus dem 16. Jahrhundert, find.” 
Hr. Floß verlangt nun keineswegs, daß wir Andern ihm feine Entvedung 
auf fein Wort glauben follen. Er bedauert fogar fehr, daß er wegen ber 
am „folgenden Tage eingetretenen Bibliothelsferien kein Facſimile vom 
Coder habe nehmen können.” (p. 19). Außer diefen bier erwähnten Angaben 
bringt dieje „Eritiihe” Abhandlung Nichts, was den Schein eines Beweis: 
grundes haben könnte. X. 

Schneider, Pfr. Heinr., base Leben Eginhards, Vertrauter Karls 
d. Sroßen. Kür die reifere Jugend aus dem Volke erzählt. gr. 8. (VIII u. 
188 ©.) Cronach. Bamberg, Buchner. 


Veber das Weſen und den Gefhäftslrei® der Missi domi- 
nici. Inaugural-Dijfertation v. Eduard Dobbert. Heidelb.1861, (46 ©.) 8. 


„Da Waig im dritten Bande feiner D. V. ©. über den Urfprung 
die Beftellungzart u. f. f. der Missi dominici erſchöpfend handelt, 
fab ih mich veranlagt, in diejer Schrift die genannten Punkte zu über 
geben und nad einer allgemeinen Betrachtung des Weſens der Missi do- 
minici mid ſogleich zu ihrem Gejchäftökreife zu wenden, wobei zuerft ihre 
Stellung zur PVerfafjung des Karolingiihen Reichs, dann aber und vers 
nehmlid ihre Thätigleit auf den einzelnen Gebieten der Verwaltung in 
Betracht kommt.” So der Verf. in der kurzen Borbemerlung. Dem ent⸗ 
prechend handelt derjelbe von der Thätigleit der Koͤnigsboten (oder wie 
fer einmal überfegt: Herrenboten, S. 27) in Beziehung auf die Redhtä« 


320 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


pflege, das Heer, die Finanzen, die Polizei, die Kirchenſachen, recht über 
fihtlih und wie au der 4. Band der V. ©. nad der Anorbnung dei 
Stoffs die Sache nit zufammenfaflen konnte. Cigentlid Neues findet ſich 
nit; aber das Material ift fleißig gefammelt und verftändig behandelt, 
Weniger genügt, was über die Stellung der Missi in der Verfafſung des 
Rarolingifhen Reichs überhaupt kurz gefagt wird. — Ich trage bei der 
Gelegenheit nah, daß unter Ludwig dem Yrommen der Herzog der Dres 
tagne ſich als missus imperatoris L. bezeichnet. (Urkunden von 824. 
834 bei De Courfon I. pag. 413. 394) ; was bezeichnend genug ift für 
die Auffafiung des Amts und den Zufammenbang mit dem fpäteren Her 
zogthum. G. W. 

Rozière, Eug. de, Recueil général des formules usi- 
t6es dans l’empire des Francs du 5. au 10 siecle. Tom 1. et 2. 8. Pa- 
ris, A. Durand. 

Huber, Wrof. Dr. Johs, Johannes Scotus Erigena. Ein Bei 
trag zur Geſchichte der Philofophie u. Theologie im Mittelalter. gr. 8. (XV 
n. 443 ©.) Münden, Leutner. 

Maurenbrecher, Guil., de historicis X. seculi scri- 


ptoribus, qui res ab Ottone Magno gestas memorise tradiderunt. 
gr. 8. (II u. 74 ©.) Bonn, Henry & Cohen. 


Sehr, Dr. Zof., ber Sottesfriede u. die katholiſche Kirche 
des Mittelalters. gr. 8. (II u. 125 ©.) Augsburg, Doll. 

Mit dem Berf. diefer Schrift hat ſich die hiſtor. Zeitſchrift I. 200 
bereit3 einmal bejchäftigt und ift ihm damals eine fehr weit gehende woͤrt⸗ 
lihe Ausfchreibung einiger Werke nachgewiejen worden. Heute müfjen mir 
ibm aus demfelben Grunde nahe treten, denn kaum möchte ſeit Jahren 
auf dem Gebiete unferer biftorifhen Literatur fremdes literariſches Cigen- 
thum unter dem Schein einer felbftändigen, gelehrten Forſchung fo arg 
abgefchrieben und dieſes dann veröffentlicht fein, ala es in obiger Schrift 
mit Kludhohn, Geſchichte des Gottesfriedens, geſchehen ift. Obwol dieſes 
Buch erſt S. 6 und auch hier keineswegs in beſonderer Weiſe angeführt 
wird, fo iſt doch aus ihm bereits S. 2 ſowie die ganze S. 3 wörtlich 
ausgeichrieben, indem nur einzelne kleine Wendungen und Ausdrücke vers 
ändert find und das Ganze, da 8. bier S. 9 — 12 ausführlicher ift, 
etwas abgekürzt wiedergegeben wird. Letzteres ift meift in ſehr ungeſchick⸗ 
ter Form geicheben, 3. B. ift Kes Erwähnung der Auflöfung des karolin⸗ 
giſchen Reichs abgekürzt in: entwürdigte ſich ja alsbald das franzöfifche Kä« 





3. Nllgemeine Geſchichte bes Mittelalters. 221 


nigtbum zu einer bettelbaften Armuth. S. 4 und 5 wird meiftentheilg 
mit Lobeserhebungen ver katholiſchen Kirhe ausgefüllt und zu dieſem 
"Zwede aud eine Weberjegung aus Montesquieu, „der gewiß unfern Aufs 
geflärten ein unverdaͤchtiger Zeuge ift“ eingeflochten. Am Ende der ©. 5 
beginnt dann wieder die eigentlihe Aufgabe des Buches, die Ausfchreis 
bung #'3., und damit wird dann, mit geringen Unterbredungen , wovon 
noch zu fprechen fein wird, bis ©. 124 fortgefahren. Nur auf diefer letz⸗ 
ten Seite ift das mörtlih entlehnte Stüd durch Anführungszeihen herr 
vorgehoben, jonft giebt der Verf. fih, wenn auch bie und da A. citirt 
wird, überall den Anſchein, als trage er jeinen Lefern eine tiefe, felbftäns 
dige Forſchung vor. Der Abfchreiber hat fi bei jeiner Arbeit ziemlich 
eng an die Reihenfolge der Erörterungen K's. angeſchloſſen, z. B. ©. 33 
—4l in diefer Weife wörtlih aus K. S. 87—91 ertrahirt, allein das 
ift doc nicht durchgehend, 3. B. finden wir auf ©. 6 Auszüge aus K. 
S. 17, 23, 17, ferner auf S.46 ff. aus S. 66, 64, 67, endlich S.110 
ff. aus 6.79, 82, 75, 83 u. f. wm. Wenn aud längft nicht in der Aus: 
dehnung wie dad Wert von Kludhohn ift Semichon, La paix et la 
tröve de Dieu. Paris 1857. 8. benugt, und man muß, wenn ſich 
eine Notiz findet, die bei jenem fehlt, zunaͤchſt immer an viefen denken. 
Woͤrtliche Weberjegungen aus Semichon finden fih z. B. S. 6, 14 (Sem. 
©. 44) S. 26 (Sem. 51) 54 fi. (Sem. 117 fi) uf. wm. Auch die 
turzen ſprachlichen Erörterungen auf S. 39 find diefer Duelle ©. 84 ent 
nommen. Außerdem ift dann noch S. 105 von dem Sate: Ein bleiben: 
des Andenten u. ſ. w. an, big S. 109 aus Strobel, Geſchichte des El 
fafles I. 277—283 abgefchrieben. 

Selbftändig find in dem Buche eigentlih nur die nichtsfagenden, mit 
Eeitenbliden auf unfere böfe Zeit vermifchten Lobeserhebungen der katho⸗ 
liſchen Kirche. Bon den 47 Eitaten der drei erften Abfchnitte, nah Abzug 
der nur auf Kludhohn und Semichon verweifenden, find z. B. 35 aus 
jenem, 10 aus diefem abgefchrieben, zwei find felbitändig, indem nämlid 
©. 25 Tacitus, Germania cap. 40, offenbar eben nur des gelehrten 
Scheined willen, und S. 37 Brifchar, Gefchichte der Religion Jeſu Chrifti, 
angeführt find. Selbft wo ver Berf. ganz fubjective Betrachtungen anzu: 
ftellen jcheint, wie 3. ®. in ver Heinen Note 5 auf S. 6, ferner ©. 45 
u. ſ. w. bat er vielfach nur ein Flidwert mit Kludhohnihen Worten zu⸗ 
fammengefegt. — Unfere Wiffenfchaft wird dadurch, daß Hr. Sehr feine 


223 Ueberficht der biftorifchen Literatur von 1861. 


Kräfte in der angegebenen Weife verwendet, wohl ſchwerlich Einbuße zu 
erleiden haben, venn auf S. 109 thut der Geſchichtsſchreiber des Got: 
tesfriedens fogar fund, daß er gar nicht einmal weiß, mas biefed denn 
eigentlich für ein Inſtitut geweſen. Hier hätte er auch zeigen können, daß 
er eine neue Nachricht verwertben könne. Bei Strobel hat ber Verf. näm- 
fih ein Document abgedruckt gefunden, wodurch angeblihd 1051 im Ef 
faß ein Gottesfrieden aufgerichtet fein fol. S. 41 ift nun K's. Grörte 
rung ©. 58 ff, wonad die Treuga Dei des Erzbifhof3 Sigiwin von 
Köln vom Jahre 1083 die frühefte in Deutfchland ift, ausgeſchrieben. 
Hier hätte offenbar jene elfaffer Urkunde beſprochen werben müffen, an: 
ftatt deſſen gefchieht e8 exit S. 106, mo über die weitere Gntwidelung 
des Inſtituts auf deutſchem Boden gehandelt werden fol. Cs beißt in 
jenem Document nım ganz beftimmt, dieſe Dei pax folle an ven be 
kannten Tagen in der belannten Weiſe gehalten werben; dem Verf. iſt 
das nicht verftänplich geweien, er ruft aus: Iſt dieſes nicht das erſte 
Beifpiel der Einführung des Gottesfriedend auf deutfhem Boden? Dann 
fucht er einige Gründe dafür hervor, daß dieſes ein Gottesfrieden fei, wor 
bei er nun allerdings die entiheidenden außer Acht läßt, und fügt end⸗ 
lich beicheiden hinzu: Wir wollen hierüber nicht entfcheiden. Ref. fcheint 
die Urkunde falfch zu fein. Datirt ift fie gar nit, denn die Annahme 
des Jahrs 1051 beruht auf einer Muthmaßung Strobel? ; Beatus Rhe⸗ 
nanus, aus defien Rer. Germ. II. 101 uns das Sinftrument allein be: 
kannt iſt, magt fie nicht einmal mit Sicherheit einem beftimmten Jahrs 
humdert zuzuweifen. Der Anfang: Notum sit omnibus pacem cu- 
pientibus, qualiter Alsatienses cum suis primatibus etc. muß 
gleich ein großes Mißtrauen erregen. — Große Unkenntniß bes Berf. zeigt 
fih befonders auch noch in ven Gitaten. So wird 4. B. S. 14 für ven 
Rodulf. Glaber der ehrwürdige Baronius citirt, indem bier Semihon ©, 
44 falſch verftanden if. Der Sachſenſpiegel wird ftet3 nad) der Seiten: 
zahl bei Homeyer, die Kludhohn zufällig hinzugefügt hat, angeführt. Ans 
derer Beilpiele zu geſchweigen. Auch hat der Herr „Docent der Geſchichte 
an der Koͤnigl. Liniverfität Tübingen” die Geſchichtsquellen nicht einmal 
gelaunt, 3. B. werden S. 113 ff. mehrfach Eklehard und die Ursperger 
Chronik einander gegenüber geftellt, was freilich gar nicht einmal möglid 
geweſen jein würde, wenn nicht zufällig Damberger ımd Kluchohn vers 
ſchiedene Stüde aus Eilehard benutzt hätten. 





3. Allgemeine Gefchichte des Mittelalters. 228 


Dieſes möge aber genügen um der faubern Schrift, mit der wir es 
bier zu thun haben, eine verdiente Würdigung auch in weiteren SKreifen 
gu verjchaffen. U. 

Sfrörer, Prof. A. Fr., Pabſt Gregorius VII. u. fein Zeitalter. 
7.85. 2er.-8. (XXITT u. 966 S. m. 3 lith. Karten, wovon 2 color ., in gr. 
4. u. gr. Kol.) Schaffhaufen, Hurter. 

Mit diefem Bande ift das weit ausgedehnte Werl, die Frucht län- 
geren Studiums des verftorbenen Vfs. vollendet. Die bift. Zeitichrift hat 
eine Beiprehung bis zu dieſem Zeitpuntt der Vollendung hinausgeſcho⸗ 
ben; dieſelbe ſoll im nächſten Heft erfolgen. 

Will, Dr. Cornel., Acta et scripta, quae de controver- 
siis ecclesiae graecae et latinae saeculo undecimo compo- 
sita extant, ex probatissimis libris emendatiora edidit , diversitatem 
lectionis enotavit, annotationibus instruxit. Praecedunt prolegomens 
de controversiarum inter Graecos et Latinos agitatarum ratione , ori- 


gine et usque ad XI. saeculum progressu. gr. 4. (VO u. 278 ©.) Mar- 
burg, Elwert. 


Herr Bill, der belannte Berfaffer ver Schrift: „die Anfänge der Res 
ftauration der Kirche im 11. Jahrhunderte” giebt und in dem vorliegenden 
Werte eine Zufammenfafliung bisher mannigfad, in Cotelerius, Caniſius, 
Baronius, Wingarelli, den Eonzilienfammlungen und der Biblioth. 
patrum zerftreuten Quellen in einem Band. Die betreffenden Altenitüde 
beziehen fih jämmtlih auf jene unheilvolle Spaltung der lateinifchen und 
griechiſchen Kirche unter Leo IX, mwelhe von der griechiſchen Kirche ala 
natürliche Oppofition gegen die damalige Erſtarkung des römijhen Stuh⸗ 
les ausgehend, feitvem niemals wieder vermittelt worben tft. In der 
Einleitung entwidelt der Verf. die Geſchichte der Streitigleiten und Span⸗ 
nungen zwiſchen lateinifcher und griechiſcher Kirche von ben älteften Zeiten 
ber, meiftentheilö in Uebereinftimmung mit Hefeles Conziliengeſchichte, de: 
ren vornehmlihe Benugung , fowie die der Gfrörerfhen Kirchengeſchichte 
auch in der Vorrede erwähnt if. Auf den Namen einer jelbftändigen 
Forſchung kann diefe Darjtellung, welche jogar die wichtigen Stseitigleiten 
des 8. Jahrhunderts, (Bilderverehrung, Ausgang des heiligen Geiltes) 
und die pbotianifhen Wirren des 9. Jahrhunderts nur kurz und frage 
mentarifh, mit unverlennbarer Begünftigung der roͤmiſchen Kirche, berührt, 
leinen Anſpruch machen. Neue Aufichlüffe über dieſen oder jenen, bisher 


224 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


dunlleren Bunt haben wir nicht gefunden. Etwas ausführlider hätten 
wir den Bericht wenigftend vom Ausgange des 10. Jahrhundert? ab ers 
wartet, wo nad längerer. Gleihgültigleit die Oppofition der griechiſchen 
Kirche unter Papſt Gregor V. und feinen Nachfolgern wieder heftiger ent- 
brennt, in weiterer Folge zu der Beftehung Johannes XIX und end» 
lih zu der Schließung der lateinifhen Klöfter in Conftantinopel durch den 
beſchraͤnkten Batriarhen Michael Cerularius führt. 

Die vom Berfaffer gefammelten, auf ven Streit des 11. Jahrhun⸗ 
derts bezüglihen Dokumente umfaflen außer den direlt zwiſchen Rom und 
Conitantinopel gewechjelten Briefen und Streitichriften, au die Correipons 
denz zwiſchen Gonftantinopel und dem Patriarchen Petrus von Antiodia, 
fowie einige Steeitfchriften aus der fpäteren Zeit des 11. Jahrhunderts 
über denſelben Gegenftand. Nr. 1, den berühmten, die Feindſeligkeiten 
eröfnenden Brief an den Bifhof von Trani theilt Will im griechiſchen 
Terte nach dem kürzli von Profefior Hergenröther aufgefundenen Drigi« 
nal mit, führt aus der im Briefe angewandten erften Perjon Singularis, 
aus der Aufichrift des Driginald und gleichzeitigen Quellen den Beweis 
für die alleinige Abfafjung des Briefes durch Erzbiſchof Leo von Archidra. 
Als Verfafler von Nro. 7, der Widerlegung des Möndes Niletos, welche 
von Höfler und Giefebreht Wibertö vita Leonis IX. gemäß dem Car: 
dinal und Kanzler Friedrich von Lothringen beigelegt worden, ertennt Herr 
Will, ebenjo wie Neander und SHefele den Cardinal Humbert. Nr. 17, 
einen Brief des Patriarhen Petrus von Antiohia theilt Herr Will aus 
den Handichriften in einer kritiſch gefichteteren und vollftändigeren Form 
al3 Cotelerius mit. Warum er die Fragmente bei Mansi XIX 696 
einer vom Papſt Leo felbit gegen die Vorwürfe des Niletos verfaßten 
Schrift feiner Sammlung nicht einverleibt hat, erfahren wir nicht. 

Nn. 


Langbein, Prof. W., Bilder aus den erfien Kreuzzügen. 
Kür die reifere Jugend bearb. 8. (192 S. mit 1 Chromolith.) Stettin 1862, 
Müller. 


Streit, Ludov., dererum transmarinarum qui Guil. 
Tyrium excepisse fertur gallico auctore specimen. 8. (VIII 
u, 76 ©.) Greifswalde. Akad. Buchh. 


Brossel, M, Les ruines d’A ni capitale de l’Armenie sous 





8. Allgemeine Gefchichte des Mittelalters. 225 


les rois Bagratides aux X. et XI. siöcles. Histoire et description 2. par- 
tie. 4. avec atlas. Leipzig, Voss. 


Travels of rabbi Petachia of Ratisbon, who in the 
letter end of the twelfth century visited Poland, Russia, Little Tar- 
tary, the Crimea, Armenia, Assyria, Syria, the holy land and Greece. 
Translated by Dr. A. Benisch with explanatory notes by Ainsworth. 
2. ed. 12. (128 ©.) 


Conten, Dr. Heinr., Thomas v. Aquino ale volkswirthſchaftlicher 
Schriftſteller. Ein Beitrag zur nationalöfonom. Dogmengefchichte d. Mittelal- 
tere. gr. 8. (16 ©.) Leipzig, Lehmann. 


Plaßmann, M. Prof. Dr. H. E., die Schule des h. Thomas 
v. Aquino. Zur genaueren Kenntnignahme u. weiteren Kortführung f. Deutſch⸗ 
fand nen eröffnet. 4. ®d. Die Moral gemäß der Schule d. 5. Thomas. 3—8. 
Lig. 8. (S. 161—172 Schluß.) 5. 8b. 1—6. Lig. 8. (S. 381—480.) Soeſt, 
Naſſe's Berl. 


Greith, Dombdecan Dr. C., die deutfhe Myſtik im Prediger 
Drden (von 1250—1350) nad ihren Grimdiehren, Liedern u. Lebensbildern 
aus handſchriftl. Duellen. gr. 8. (VIII u. 456 ©.) Freiburg im Br., Herber. 


Charles, Emile, Roger Bacon sa vie, ses ouvrages, ses doc- 
trines, d’apres des textes inedits. 8. Bordeaux. Hachette. 


Duerignac, Histoire de saint Francois d’Assise 
12. Paris, Bray. 
Miklosich, Prof. Dr. Franc., et Prof. Jos. Müller, Acta et 


diplomats graeca medii aevi sacra et profana. Vol. IL Lex.-8. 
Wien 1862. Gerold’s Sohn. 


DiedHoff, Brof. Dr., die Waldenfer im Mittelalter. Ein 
Vortrag. (Abdr. aus d. N. Medib. Kirchenblatt.) gr. 8. (%4 ©.) Güftrom, 


Opit & Co. 


Hillebrand, Carl, Dino Compagni. Etude historique et 
litteraire sur l’epoque de Dante. 8. Paris, Durand. 





Foerſter, Appell⸗Ger.R. Doc. Dr. F. der Staatsgedanke des 
Mittelalters. Ein Bortrag. gr. 8. (32 ©.) Greifewald, Koch. 


Friedberg, Dr. Aemil., de finium inter ecclesiam et civitatem 
regundorum judicio quid medii aevi doctores et leges statuerint. gr. 8. 
(VIII x. 361 ©.) Leipzig, B. Tauchnitz. 

Söeriie Behfärift. VII. DR. 16 


ees Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Mendelssohn-Bartholdy,C., de monitione canonioa. 
Dissertatio inauguralis. gr. 8. (43 ©.) Heidelberg 1860, J. C. B. Mohr. 


du Meril, des formes du mariage et des usages qui s’y rat- 
tachaient surtout en France, pendant le moyen äge. 8. Paris, Frank. 


Walter, Ferd., Fontes juris ecclesiastici antiqui et 
hodierni (in c. 4 fasc.) Fasc. 1 et 2. (1—320 ©.) 8. Bonn, Marcus. 


Monumenta graphica medii aevi ex archivis et bibliothecis 
imperii austriaci collecta etc. Fasc. 3. Imp.-Fol. (12 photogr. BI. u. Die 
Zerte der in den Monumenta graphica medii aevi enthaltenen Schrifttafeln.) 
Hrsg. von Prof. Dr. Th. Sidel. 3. Lg. (S. 85—43 in gr. 4.) Wien, 
(Gerold's Sohn.) 

Brinfmeier, &., Glossarium diplomaticum zur Erläw 
terung fchwieriger, einer diplomatifchen , hiftorifchen , fachlichen oder Worterlla⸗ 
rung bedürftiger, lateinifcher, hoch⸗ u. niederdeuticher Worte u. Formeln, welche 
fih in öffentlichen u. Privaturfunden, Capitularien, Gejeten n. |. w. des ge 
fammten deutfchen Mittelalters finden. 2. Bd. 10. u. 11. Heft. (S. 458— 
548.) Gotha, F. A. Perthes. Hol. 


Rodinger, Dr. Ludw., über Brieffteller u. Formelbücher 
in Deutfchland während des Mittelalters. Bortrag in der öffentl. Sitzg. ber 
ft. Akad. d. Wil. am 26. März 1861 zur Vorfeier ihres 102. GStiftungstages 
gehalten. gr. 4. (41 ©.) Münden, Franz.) 


Steffenhagen, Emil, Beiträge zu v. Savigny’s Geſchichte 
desrömifhen Rechts im Mittelalter. Aus den Handſchriften d. künigl. 
Bibliothek zu Königsberg mitgetheilt. 2. unveränd. Titel-Ausg., nebft e. Bor. 
bemerfg. gr. 8. (39 S.) Königsberg (1859), Gräfe & Unzer. 


Günterbod, Stadtrichter Doc. Dr. Earl, Henricus de Bracton 
u. fein Verhälmiß zum römifchen Rechte. Ein Beitrag zur Geſchichte d. röm. 
Rechts im Mittelalter. gr. 8. (V u. 137 ©.) Berlin 1862. Springer’s Berl. 


Löher, Franz, Ritterfhaft und Adel im fpätern Mittelalter. 
(Abdrud aus den Situngsber. d. k. bayr. Afad. d. W. 1861.) Münden. 8. 
(54 ©.) 


Eine weitere Ausführung der vom Berf. in feinem neueften Werte 
„Jakobaͤa“ nievdergelegten Anfhauungen über diefen Gegenftand. Der Berf. 
widerlegt zuerft zwei falſche Anfihten über das Ritterthum im 14. und 
15. Jahrhundert, daß die Knappen nie Ritter geweſen feien, und daß 
jeder felbftändige Mann, der in voller Rüftung mit feinem Yähnlein Rei⸗ 





8. Allgemeine Geſchichte des Mittelalters. 227 


figer aufgetreten, die eigentliche Ritterwürde bejefien babe. Dieſer faljchen 
Meinung entgegen legt er die wirklihe Abftufung der Stände in jener 
Zeit dar, und kommt zu dem Schluß, daß zu der Nitterjchaft jeder Freie, 
der wehrhaft geweſen, habe hinzutreten Tönnen, daß alfo „die ritterliche 
Geſellſchaft damals fo ziemlich das war, was wir jegt die gebildetere Ge⸗ 
jelfhaft nennen.” Neben und über diefen gab e3 denn noch folche Rit⸗ 
ter, die durch den Nitterfchlag wirklich die eigentliche Nitterwürbe em⸗ 
pfiengen. E3 war dies Teine mit beſonderen Rechten ausgeftattete, jondern 
eine nur auf der öffentlichen Achtung beruhende ausgezeichnetere Stellung. 
Der Zutritt zu diefem allgemeinen europäischen Ritterorden ftand jedem 
Ritterbürtigen, d. b. jedem Freien offen; in der That traten in diefen 
Ehrenftand nur diejenigen ein, die Geld genug ‚hatten, einen größeren 
Aufwand zu beftreiten, auf großem Fuße kurz wie ein vollendeter Gentle⸗ 
man (nad heutigen engliihen Begriffen) zu leben. 

Sn wieweit diefen Ausführungen des Verfs. zuzuftimmen fei, halten 
wir uns nicht für befähigt, jegt zu entfcheiden ; bie hiſt. Zeitjchrift wird 
eine eingehende Kritit des obengenannten größeren Wertes an geeigneter 
Stelle bringen, bei der auch hierauf Rückſicht zu nehmen jein wird. 


Jouve, l’abbe, du theätre et de ses diverses conditions durant 
le moyen äge. 8. Paris, Bl£riot. | 


Eye, Dr. A. v., u. Zac. Falle, Kunft u. Leben der Borzeit 
vom Beginn des Mittelalters bis zum Anfang des 19. Jahrh. in 
Skizzen nad) Orig.» Denfmälern. 2. nad chronolog. Reihenfolge zufammenge- 
ftellte Ausg. in 3 Von. 2. Bd. 3. 4. Hft. gr. 4. (31 Kpfrtaf. u. 1 Chrome 
fith. m. 32 Blatt Zert.) Nürnberg, Bauer & Raspe. 


Halte, Jac., zur Cofümgefhichte des Mittelalters. (Mit 
156 (eingedr.) Holzſchn.) Imp.-4. (46 ©.) Wien, (Prandel & Meyer.) 


Bod, Euralgeiftliher Conſervator Fr(z), Geſchichte der liturgi— 
ſchen Gewäuder des Mittelalters od. Entſtehg. u. Entwickelg. der 
kirchl. Ornate u. Paramente in Rüdficht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichng., 
Schnitt u. rituelle Bebeutg. nachgewieſen u. durd zahlreiche Abbildgn. erläu- 
tert. 4 Lign. (od. Bd. II. Lig. 1.) Lex⸗8. (S. 1—130 m. 18 Steintaf., wovon 
6 in Bumtdr.) Bonn, Henry & Cohen. 


Bailhbabaud, Zul., die Baufunft des 5 bis 16. JZahrhun. 
Derts u. die davon abhängigen Künfte, Bildhauerei , Wandmalerei, Glasma⸗ 
ferei, Moſait, Arbeit in Ciſen x. Unter Mitwirkg. der bedeutendften Architel⸗ 


228 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


ten Frankreichs n. anderer Länder hrsg. 8O—98. Lg. Imp.4. (17 &. m. 36 
Kpfrtaf.) Leipzig, T. DO. Weigel. 

Springer, Ant. Henr., de artificibus monachis et lai- 
cis medii aevi. gr. 4. (44 ©.) Bonn, Marcus. 

Wir glauben die Aufmerkjamleit der Hiftoriter auf diefe Abhandlung 
binweifen zu müflen. Der Berf. erörtert nämlih die Frage: wer bat 
in der Zeit vom 8. bis 13. Jahrh. die Baukunſt und die mit ihr ver 
bundenen Kunftwerle betrieben? — Die Frage ift bisher immer fo ent 
ſchieden worven, daß man alle Runftthätigleit allein den Münden zuwies. 
Davon abweichend entſcheidet der Verf. die Sache zu Gunften der Laien, 
Zum Beweife ftellt er die den Kunftwerlen felbft entnommenen Angaben 
(p. 12—17) und die in Urkunden und Quellen aufgefundenen Rotigen 
(p. 18—-33) zufammen. Als Rejultat ergiebt fi daraus, daß wir für 
diefe Zeit 64 Künftlernamen kennen die dem Mönchsftande, dagegen 146, 
die dem Laienftande angehören. Es leuchtet Jedem ein, welchen Ginftuß 
dieſes bier neu gewonnene Refultat für die ganze Aufjaffung der mittels 
alterlihen Kulturgeihichte haben muß. Möge der Berf. recht bald Beram 
lafjiung nehmen, den bier aufgefundenen Spuren weiter nachzugehen. 


Schnaaſe, Dr. Earl, Geſchichte der bildenden Künſte. Bb. 6. 
A. u. d. T.: Geſchichte der bildenden Künfte im Mittelalter. 4. Bd. Die 
Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der EyP’ichen Schule. (XIV u. 642 ©. 
mit eingebr. Holzſchn.) Düffeldorf, Bubdeus. gr. 8. 


4. Gefchichte der neuern und neueflen Beit. 


Dyer, Thomas, A new history of modern Europe from 
the taking of Constantinople by the Turks to the close of the war in 
the Crimea, vol. 1. 2. London. 8. 


Biernasli, Karl, Bilder aus ber Weltgefhiäte 5. umd 
letter ®d. U. u. d. T.: Bilder aus den Ietten 3 Jahrhunderten der Weltge⸗ 
ſchichte. Mit 4 Stahlſt. br.8. (VII u. 400 ©.) Stuttgart, Schmidt & Gpring. 


Kortäm, Fror., u. Karl Aler. Schr. v. Reihlin-Meldegg, Profl., 
Gefchichte Europas im Uebergange vom Mittelalter zur New 
zeit. 2. Bd. gr. 8. (XVI u, 544 ©.) Leipzig, T. O. Weigel. 


Nachdem in den legten Jahrzehnten die Periove von der Mitte des 


4. Geſchichte der nenern und neueften Zeit. 2239 





15. bis zu der des 16. Jahrhunderts fo vielfahe und allfeitige Beleuch⸗ 
tung erfahren, wird es eine recht lohnende und dankbare Aufgabe fein, 
einmal die Refultate der einzelnen Unterfuhungen zujammenzufaflen und 
das Bild jener Zeit, und den in ihr vollzogenen Umſchwung aller Ber: 
haͤltn iſſe überfichtlih vworzuführen. Daß ein ähnliches Thema dem in Hei: 
delberg verftorbenen Prof. Kortüm vorgefhwebt, hat er felbjt wohl durch 
die Mahl des Titeld angedeutet. Sehen wir aber das von jeinem Freunde 
Herrn Profeffor von Reihlin-Meldegg herausgegebene Buch an, fo müfe 
fen wir geftehben, daß wir kaum jemals übler enttäufcht find. Wir finden 
bier nichts als eine, wie wir meinen, keineswegs gut disponirte Zuſam⸗ 
menftellung aller Greignifje, die im bezeichneten Zeitraum gejchehen find. 
Wir finden au wohl eine Menge für das Ganze höchſt überflüffiger Details 
und Anekdoten, keineswegs aber, wie es die Vorrede des Herm Herausgebers 
verlündet, „eine Menge von bisher unbefannten gefhichtlihen Erkennt⸗ 
niſſen.“ Ebenſo wenig können wir das von demjelben der formellen Seite 
des Buches feines Freundes ertheilte Lob unterfchreiben ; jeltfamer Wort: 
bildungen gibt e3 freilich genug, 3.8. „Reifeläuferfahrt”, „Verkommniß“ 
als Weberfegung von Gonlordat. Und ob wohl der Herr Gerausgeber 
den I. 234 gemachten Uebergang von den „jeuchenartigen Blattern” zu 
den „Kirchengebräuden, Stiftungen, Bruberfchaften und Heiligen” für 
befonders gelungen oder geiftreich eradhtet ? — 

Was demnah die Herausgabe diefer an fi ganz werthlofen Zu: 
fammenftellung von Ercerpten aus andern Geſchichtswerken, an einigen 
Stellen wohl auch aus den Quellen jelbft, rechtfertigen fol: das geftehen 
wir offen nicht eingefehen zu haben. Noch weniger aber vermögen wir 
einen in der Sade jelbft liegenden Grund aufzufinden, der den Herm 
Herausgeber bewogen, im 3. und 4. Hauptftüd des Aten Buches 349 
Seiten feiner Auszüge aus andern biftorishen Werten, die Jedem leicht 
zur Hand find, dem größern Publitum mitzutheilen. —T. 


Kunſtmann, Dr. Fror., die Fahrt der erfieu Deutfhen nad 
den portugiefifhen Infeln. gr.8. (33S.) Münden, Kaijer in Comm. 


Kohl, I. G., Geſchichte der Entdedung Amerika’s von 
Golumbus bis Franklin. 8. (V un. 454 ©.) Bremen, Strack. 


Irving, Washington, the life and voyages of Christo- 
phber Columbus. Abridged by the same for the use of.schools. : Mit 


- 


380 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur vom 1861. 


grammat. Erläutergn. u. e. Wörterbuche. Zum Edul- u. Privatgebraudge. 
7., m. Ster. gedr. Aufl. Mit 2 Stahlſt. 8. (XTI u. 808 ©.) Leipzig, Baum 
gärtner. 


Sön&quier, La vie de saint Francois de Paul. 12. 
Tours. Mame. 


Hafe, Seh. Kirhen-R. Prof. Dr. Karl, neue Propheten. Drei 
hiftorifch-polit. Kirchenbilder. 2. Aufl. 2. Heft. 8. Leipzig, Breitlopf & Härtel. 

Ci&ment, Charles, Michel-Ange, Leonard de Vinei, 
Raphael avec une &tude sur l’art en Italie avant le XVI. siccle et 
des catalogues raisonnes historiques et bibliographiques. gr. 12. (403 &.) 
Leipzig, A. Dürr. 


Shud, Oberlehr. Dr. Jul., Aldus Manutius u. feine Zeitge 
noffen in Italien n. Deutſchland. Im Anh. : Die Familie des Aldus bie zu 
ihrem Ende. gr. 8. (X u. 151 ©.) Berlin‘ 1862, Düummler's Berl. 

Stern, Adf. u. Andr. Dppermann, das Leben der Maler 
nah Bafari u. neueren Kumftfchriftftellern f. Kumftfreunde u. Künftler bearb. 
(In 5 bis 6 Pfgn.) 1. Lg. Ler.-8. (80 ©.) Leipzig 1862, Matthes. 

Reinbed, Dr. Emil, die Zigeuner. Eine wiffenidaftl. Mono 
graphie nad hifter. Quellen bearb. Herkommen, Geſchichte u. eigenthüml. Le 
bensweife diefes räthielhaften Wandervolles, von feinem erfien Auftreten im 18. 
Jahrh. bis auf die neuefte Zeit. gr. 8. (II u. 94 ©.) Salzlotten, v. Sobbe. 

Wydenbrugk, Geh. Staater. a. D. Dr. v., bie Umbildung b. 
Feudalftaates in den modernen Staat au dem Beiſpiel Frankreichs in 
allgem. Umriffen entwidelt. gr. 8. (37 ©.) Münden, Fleiſchmann's SepCto. 

Strad, Karl, Feindfeligleiten der Franzoſen gegen Deutid- 
Ind. Ein Warnungsruf aus der Vergangenheit an die Gegenwart u. Zukunft. 
gr. 8. (VII u, 295 ©.) Leipzig, Schlide. 

Zanffen, Prof. Dr. Johs, Frankreichs Rheingelüfte u. deutſch⸗ 
feindliche Politik in früheren Zahrhunderten. gr. 8. (II u. 72 ©.) Frankfurt 
a. M., Hermann’s Berl. 


Unfere hiſtoriſche Literatur bat ſchon mehrfach Schriften aufzumeifen, 
die von einer Darlegung der Beziehungen zwiſchen Deutfchland und Frank⸗ 
reih ausgehend ein Bild franzöfifcher Umtriebe gegen Deutſchlands Beltand 
und Sicherheit entwerfen. Wenn man nun früber wohl von einem rein 
religiöfen Geſichtspunkte aus die Verdienſte erörterte, die fi Frankreich 
um den Schug des evangelifhen Glaubens in Deutſchland erworben , fo 
pflegt man jept wieder mit erneuerter Stärle bie Gefahren jener Verbim- 





4. Geſchichte der neuern und neueflen Zeit. 231 


dungen hervorzuheben. Es wird einer ſolchen Darftellung, wenn fie mit 
ausreichender Einfiht in die jedesmaligen Berhältniffe verſucht wird, ein 
gewiſſer Werth und berechtigter Einfluß auf die Stärkung nationalen Gefüh: 
le8 und nationaler Beftrebungen nicht abzufpreden fein. Nur liegt die 
Gefahr fehr nahe, daß eine ſolche Hervorhebung nur einer Beziehung des 
Völterlebens allzuleicht einfeitig und unmwahr wird und damit mehr Schaden 
als Nugen bringt. Dies zeigt fih wieder auf unmwiderleglihe Weife in vor: 
ſtehender Schrift. Wir geben gern zu, daß dieſelbe friſch, einfah und 
träftig geſchrieben, daß an manden Gtellen eine treffende Charalte 
riſtik einzelner Dinge oder Perſonen gegeben ift: aber dennoch müſſen 
wir im Intereſſe der biftoriihen Wahrheit gegen eine ganze Reihe 
der wefentlichften Behauptungen des Verf. entfchievenen Proteft einlegen. 
Wenn auch feine Darlegungen franzöjischer Umtriebe und franzöfiiher Anne- 
riondgelüfte meiſtens richtig erfcheinen, fo erhebt fich doch fofort die Frage: 
wen trifft die Schuld, daß dieſe franzöfifhen Pläne in Deutihland Wur: 
zel faſſen konnten, daß Deutfchland fie abzumehren zu ſchwach war, baß 
unfer Vaterland endlich eine Provinz nad) der andern an den eroberungs⸗ 
fühhtigen und fhlauen Nachbar verloren. Diefe Frage, von deren richtiger 
Beantwortung doch wefentlih der Erfolg der ganzen Schrift abhangen 
muß, übergeht der Verf. oder er beantwortet fie fo, daß bie hiſtoriſche Wahr⸗ 
beit theils verlegt theils entftellt wird. Bu einer vollftändigen Widerle⸗ 
gung feiner Darftellung oder einer Darlegung des wahren Sachverhaltes 
fehlt bier natürlih ver Raum; wir beſcheiden uns nur einige ber wich 
tigten Punkte zu berühren, um unfer Urtbeil über dies von fo vielen 
Seiten mit dem Lauteften Beifall begrüßte Buch zu rechtfertigen. 

Da müflen wir denn zuerft unfer Bedenken über die Weife erheben, 
mit welcher der Verf. auf S. 4— 8 den Armagnadenfrieg ſchildert. Es 
wird ficher hier nit daran genug fein, die unter den hochtrabenden Erflä- 
rungen fi bergenden Entwürfe des Yranzofenlönigs, die Gewaltthaten 
der franzöfiihen Söldner gegen Deutfchland zu erörtern: ſondern uner: 
laßlich iſt es, auch den Kern des Uebels aufzudeden. Es kann nun lei» 
nem Zweifel unterliegen, daß das ganze Gewicht der Schuld auf jenen in 
engherziger Familienpolitit befangenen Kaiſer Frievrih ILL. zu werfen 
iſt, der durch feine Privathändel mit den Eidgenofien, die das Intereſſe des 
deutichen Reiches nicht im mindeften berührten, die Armagnaden berbeizog. 
WS er darauf grade wegen jener von ımferm Derf. jo lebhaft geſchilderten 


282 Ueberficät der hiſtoriſchen Literatur von 1861. ° 


Greuelthaten der Franzoſen durch des Neiches Klagen troß aller verjuchten 
Ausflüchte und Verſchleppungen endlich zum Auftreten gegen die Yranzofen 
gezwungen ift, trifft ihn wiederum die Schuld an der Säumniß bes Hee⸗ 
reszuges. Schließlich hat er aud nicht das Geringfte zur Vertreibung 
der Franzoſen getban; des deutihen Volles Unwille mußte vie frechen 
Eindringlinge, die Bundesgenofjen feines Kaiferd, aus dem Lande jagen. 
Diefe Lage der Dinge wird von dem Verf. kaum berührt ; viele Worte reiche 
lihen Lobes dagegen hat er für den Kaifer Mar, der nad) feiner Meinung 
von unbegrenzter Hingebung an bie Intereſſen des Gefammtwohls geweien. 
(S. 8). Diefe Behauptung, unbewiejen wie fie bier auftritt, kann zur Aen⸗ 
derung unjerer bisherigen Auffafjung wenig beitragen. Wir halten trog 
diefer Behauptung feit daran, dab Mar grade durch feine burgun⸗ 
diſchitalieniſche Politik ſowohl alle inneren Reformen erftidte, als auch 
ben Grund zu fortgehenden Conflikten mit Frankreich legte. Wenn dem Kaiſer 
ein „großer deutſcher Nationallkrieg gegen Frankreich“ am Herzen lag, wie 
Janſen meint S. 9, jo war das Motiv nicht „veutfche Ehre” ſondern dy⸗ 
naftiihe Eroberungspolitit; und in ihr von einem den Snterefien der Ra 
tion fonft ganz fremden „Nationalkrieg“ unterftügt zu werben war aller 
dings von dem hoͤchſten Werth für ihn, war das Ziel feiner Wünfdhe in 
Deutfhland, natürlich nur fo lange als ein Krieg gegen Frankreich feinem 
Interefie frommte. Bot fih ihm aber eine Gelegenheit, auf eine andere 
Weile, ohne diefen „Nationalktieg” oder gar im Einverftänbnig mit dem 
Nationalfeind, für feine fpeciellen Zimede Etwas zu erreichen, jo war er 
jhnell bereit, von feiner Seite auf diefen Krieg gegen Frankreich zu ver 
zichten. Deutſchlands Intereſſen kamen in ſolchen Fällen nie zur Frage, 
gejhmweige zur Berüdfihtigung. Sobald man nur dem Thun und Treiben 
jene aͤcht deutfhen Mar näher zuſehen will, zerfließt die duftende Wolle 
nationalen Ruhmes, die ihm unfer Verfaſſer darbringen will. 

Bu einer ähnlichen Einwendung fordert ung die Darftellung heraus, 
die auf S. 15—23, die Verbindung Heinrichs II. mit dem deutſchen Yür 
ftenbund 1551 erfährt. Auch hier geben wir zu, daß die franzöfifchen Intrigen 
die unverfhämten Manifefte und gewaltthätigen Alte des franzöfifhen Kö: 
nigs richtig gezeichnet find. Über wenn man der deutſchen Yürlten Bes 
ginnen richtig beurtheilen will, wird man auf die Motive ihrer Politik 
feben müflen. Wir wollen uns bier auf ein Urtheil eines bewährten Mei⸗ 
ſters hiſtoriſcher Forſchung beziehen, das fiherlih nad keiner Seite bin 





4. Geſchichte ber neuern und neueflen Zeit. 238 


zu viel fagt: „Es muß den Deutſchen jegt tief fehmerzen, daß deutſche Für: 
ften in folder Weife, das Vaterland faft leihtfinnig hintanjegend, fremds 
ländiſchen Gelüften und Intereſſen huldigten und ihre Pflichten gegen ihren 
Kaifer und das Reich vergaßen. Aber fie hatten diefen Kaifer in feinem 
Weſen und Streben gegen Alles, was ihnen das Theuerfte und SHeiligfte 
war... . . volllommen kennen gelernt. Konnte ihnen da im Augenblid 
der Verluft einiger Städte fchmerzlicher fein, als der der hoͤchſten Güter 
des Menfhen, der Freiheit in weltliben und des Glaubens in göttlichen 
Dingen? Man verbamme fie nicht in den Nöthen und Gefahren, in die 
des Kaiſers hochgetriebene Zwingherrſchaft fie jeit Jahren gebracht hatte.“ 
(Boigt in Raumer’s hiſtoriſch. Tafhenbud) 1857. p.145). Und nun, — 
wir beeilen uns e3 binzuzufegen — nah kaum einem Jahre wollen dieſe 
felben Fürſten die Wiedereroberung jener LZandestheile übernehmen; nur 
Karls hartnädiges Feſthalten an feiner fpanischen Politik läßt es nicht dazu 
fommen. Wie das ungejegmäßige Herbeiziehen fremder Heeresmacht zur 
Durhführung der dynaftifchen Entwürfe Karla die Deutfhen in die Arme 
ber Fremden getrieben: ebenjo find es bei ihm ſowohl als feinen Nach⸗ 
folgern ftet3 Grwägungen fremdartigen Intereſſes gewejen, die einer ener: 
giſchen Rüderwerbung der entrifienen Landestheile, fo oft fie auch von ein: 
zelnen patriotifhen Fürften projeltirt wurde, immer wieder hemmend in 
den Weg traten. Iſt es ehrlich, wenn der Berf. alle dieſe Vorgänge, die 
ihm befannt fein mußten, gänzlih übergeht ? Iſt es ehrlich, fragen wir 
weiter, wenn er des Markgrafen Albrecht Raub: und Plünderungszüge, jo 
lange er im franzoͤſiſchen Buͤndniß fteht, mit den lebhafteften Farben ſchwarz 
in ſchwarz malt, aber kein Wort übrig hat, dem Lejer zu jagen, daß mit 
faiferliher Gutheißung (oder wahrſcheinlich Unterftügung) gegen die ben 
allgemeinen Frieden anftrebenden Fürften Albrecht dieſe feine verwüftenden 
Züge fortzufegen wagte? — Man fieht es bier ganz deutlich: der Verf. 
liebt es, Alles was in franzöfifher Verbindung geſtanden, als recht verab: 
fcheuenswürdig vorzuführen; dagegen die eigentliche Krankheit des deutſchen 
Weſens, die jenes Treiben ermöglichte und zum Gedeihen brachte, die un- 
deutſche Gefinnung der Habsburgiſchen Kaifer ganz ſachte zu übergeben oder 
mit fchönen Redensarten in das Gegenbild der geihichtlihen Wahrheit zu 
verlehren. Bon ferneren Anhalt des Buches wollen wir noch das anmers 
ten, daß die Berbindung der proteftantiihen Union mit Heinrich IV 
bier ganz willlürlich außer allen Zuſammenhang bingeftellt den Schein er 


284 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur von 1861. 


weden foll, als handle es fi um ein unberechtigtes Vorgehen der Für: 
ften gegen die beitehende Ordnung der Dinge. Nun weiß aber Jeder, der 
unbefangen die Geſchichte jener Zeit zu erforfchen geftrebt bat, daß auch 
bier grade das Gegentheil wahr ift: die Angriffe der bayeriſch-katholiſchen 
Partei, die mit Spanien im engiten Bunde handelte, brängten die pro« 
teftantifchen Fürften in jene Stellung binein, deren Konſequenz das Bimd⸗ 
niß mit Heinrih IV mar. 

Nah Allem, was wir bisher angeführt, wird es bei Niemanven Ber 
wunberung erregen, daß ber Berf. au im breißigjährigen Krieg keine Spur 
von religiöfen Intereſſen, fondern nur Selbftjuht und Raͤnke auf allen 
Seiten, natürlih die Taiferlihe ausgenommen, erblidt. Außerdem lönnen 
wir au dem bier über Frankreich beſonders über Richelieu Gejagten faſt 
unbedingt beipflichten. — 

Durch diefe Bemerkungen, deren Ausdehnung nur das Intereſſe ber 
bier berührten Fragen entjhuldigen kann, denken wir, ift einerfeit3 darge 
tban wie gefährlich ſolches einfeitige Herausgreifen eines einzelnen Geſichts⸗ 
punktes ohne umfafiendere Erwägungen werden muß, andererſeits aber auch 
nahegelegt, durch welche Tendenzen der Autor zu feinem Buche bingeführt 
und welche Motive der beifälligen Aufnahme de3 Buches an vielen Stellen 
zu Grunde gelegen. W. Maurenbrecher. 

Merle d’Aubign6, J.H, Histoire de la Reformation 
du XVI. si&cle. Nouvelle edition revue par l’auteur. 4 vol. 12. Pa- 
rise, Meyruein. 

Merle d'Anbigné«, Geſchichte der Reformation des 16. 
Zahrhunderts. Aus dem Kranz. überfett. 2. Aufl. 8. Bd. 2. (896 ©.) 
Bd. 3. (493 ©.) Bd. 4. (476 ©.) Stuttgart, Steintopf. 

Ein kirchengeſchichtliches Merk, das ſchon in mehrern Sprachen über: 
fegt, und 3. B. in englifcher Uebertragung in 200,000 Gremplaren ver: 
breitet ift, verdient ficherlih aud hier eine beſondere Beachtung. 

Was dem Werte des großen Genfer Theologen feinen eigenthumli⸗ 
Ken Charakter verleiht, das ift die Acht hiftorifhe, weltgeſchichtliche Auf 
faflung der Reformation. Merle d'Aubigné fieht im Chriftenthbum und tn 
ber Reformation die beiden großen Nevolutionen der Geſchichte, die nicht 
wie die politiihen Bewegungen bei Einem Volle, fondern bei der Maffe 
der Kulturvöller zugleich ftatt fanden, und deren Wirkungen bis ans Cude 
der Welt geben. Daber liefert uns ber Berf. nicht eine Gefchichte des 


4. Gefchichte der neuern und neueflen Zeit. 285 


Proteſtantismus, fondern eine Gejchichte der Reformation, er ſchreibt nicht 
einige Stüde Religionagefchichte dieſes und jenes Landes, fondern eim 
Stud Weltgeihichte. Dabei ruht die ganze Darftellung auf den ſoli⸗ 
deften Duellenftudien, mit denen ſich der Verf. während eines längeren 
Aufenthaltes in Deutfchland, in den Niederlanden und in der Schweiz be: 
fhäftigtee Auch die Handſchriften der Parifer Bibliothelen und anderes 
arhivaliihes Material find von ihm fleißig ausgebeutet worden. 

Tie vorliegenden vier Bände der zweiten Auflage der deutſchen Ueber: 
ſetzung des Werkes (von M. Runfel) liefern die Geſchichte der Reforma⸗ 
tion in Deutichland, der Schweiz (und theilmeife auch in Frankreich) bis 
zum Jahre 1531. M. d'Aubigné jagt rihtig: „Die eigentlich jogenannte 
Reformation ift dann in diejen beiden Ländern faft vollendet, das Wert 
des Glaubens hat da feinen Höhepuntt erreicht; die Wirkſamkeit der Con; 
ferenzen, de3 Interim, der Tiplomatie beginnt.” 

Die „Berbefjerung” diejer neuen Auflage der deutſchen Weberfegung 
beftebt, fo viel wir haben fehen können, nur in einer Verbeſſerung des 
Ausdruds. Wir bedauern daher, daß einzelne Unridhtigleiten oder Unges 
nauigleiten, welde theilweiſe freilich erft nad dem eriten Erſcheinen des 
vorliegenden Werkes von der Wifjenfchaft nachgewieſen wurden, aus der 
erften deutſchen Ausgabe unverändert in die zweite übergegangen find. 
Daß e3 unridtig ift (B. III. ©. 384) die belannte Histoire eccl6- 
siastique des églises r6formees au royaume de France als ein 
Wert Beza’3 zu bezeichnen, konnte fchon aus Soldans Geſchichte des fran- 
zöſiſchen Proteftantismus (B. I. S. 88 Anmerk.) erjehen werden. Das 
Autographon der Marburger Reformationsartitel von 1529 bat Heppe 
nit (wie B. IV. S. 103 gefagt wird) in Bafel, fondern in Caſſel ge 
funden. Die Wahlſtatt der heſſiſchen Synode von 1526 hieß nit Hom⸗ 
burg (v. der Höhe), fondern Homberg (inNieverheflen). Auch ift es nicht 
richtig, wern d'Aubigné, der berrichenden Tradition folgend, das Mar: 
burger Religiondgejpräd in den Nitterfaal des Schloſſes zu Marburg ver: 
legt. Die einzige Nachricht, welche über die Dertlichleit dieſes Geſpräches 
vorhanden it, fagt (Corp. Reform. I. p. 1097), daß baflelbe in in- 
teriore parte (arcis) ad cubiculum principis ftatt fand und daß, 
weil das Colloquium nicht eine offizielle Transaction, fondern eine ver: 
trauliche Beſprechung fein follte,, alle die zahlreichen Fremden , welche das 
mals nad Warburg gelommen waren, von bemjelben fern gehalten wur⸗ 


286 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


den. Das Geſpraͤch fand daher nicht im Nitterfaal, jondern in einem Ge⸗ 
made des Marburger Schlofjes ftatt, von welchem J. Jonas (der die an: 
gegebene Nachricht mittheilt) nur jagen konnte, daß es neben dem Schlaf: 
gemacd des Landgrafen war. Auch ift zu beachten, daß derjenige Flügel 
des Schloſſes, in welchem fich der Nitterfaal befindet, i. %. 1529 in uns 
wohnlidem Zuftand war. H. 


Merle D’Aubigne, Dr., die lutheriſche u. die reformirte 
Kirche. Ihre weientl. Verfchiedenheit bei ihrer Einheit. Ueberſetzt von Dr. 
Srdr. Merfhmann. gr. 8. (47 ©.) Berlin, Raub. 

Renner, Pfr. €. E., auserlefene geiftvolle Briefe der NReforma- 
toren u. fonfliger bedeutender Männer der evang. Kirche. Zur chriſtl. Erbaug. 
u. Belehrg. gr. 8. (VIII u. 262 ©.) Stuttgart, Cammerer. 


Schick, A. H., die hiflorifhen Gegenſätze der evang. Heil 
lehre nebft e. Ueberblick der Reformationsgefchichte im Anfchluffe an Thomaſtus 
Grunbfinien. gr. 8. (XVII u. 124 ©.) Nürnberg, Rednagel. 

Stiller, Stabtpfr. Eid, Grundzüge ber Geſchichte m. der 
Unterfcheibungsiehren der evangelifch-proteftantifchen u. römifch-Tatholifchen Kirche. 
17. Aufl. (5. Ster.-Aufl.) 16. (30 ©.) Hamburg, Kittler. 


Zuinglii, Huldr., opera a M. Schulero et Jo. Schulthes- 
sio edita. Supplementorum fasc. cont. minora scripta hactenus reperta 
omnia tractatus et epistolas curant. Geo. Schulthessio et Gasp. 
Marthalero. Lex.-8. (IV u. 75 &.) Zürich, Schulthess. 


Monumenta Vaticana historiam ecclesiasticam saeouli XVI. 
illustrantia. Ex tabularis 8. Sedis apostolicae secretis excerpsit, diges- 
sit, recensuit, prolegomenisque et indicibus instruxit presbyter Dr. Hugo 
Laemmer. Una cum fragmentis Neapolitanis ac Florentinis. gr. 8. 
(XVII u. 504 ©.) Freiburg im Br., Herder. 

Bon den auf die Gejchichte der Reformation bezügliden Publilatio⸗ 
nen, die Herr Lämmer in feinen „Analecta Romana“ vor einigen Mo 
naten mit drobender Stimm amlünbigte, erfcheint bier unerwartet ſchnell die 
erfte. Nachdem er den angejagten Feldzug gegen den Broteftantismus 
mit den leichten Plaͤnklerſchaaren jener Analelten eröffnet bat, läßt er mm 
ein erſtes bichtgefehaartes Hoplitencorpg gegen die PVofitionen des Feindes 
anrüden,, eine Sammlung von nahe 250 Altenftüden, die zum größten 
Theil dem geheimen Vatikaniſchen Archiv der römischen Curie entnommen 
find. Wir haben in einem früheren Heft diefer Zeitjchrift bei Gelegenheit 





4. Gefchichte der neuern und neueften Zeit. 287 


der „Analecta Romana“ des Verf. uns über den Geift und die Ge 
finnung ausgejprohen, momit er an fein fühnes Wert, den Proteſtantis⸗ 
mus durch die archivaliſchen Enthüllungen, die eine jeltene Gunft ihm ges 
ftattet hat, zu Boden zu fchlagen, berantritt. Darauf zurüdzulommen er: 
jpart und überdieß auch der Umstand, daß die Zuthat des Herm L. 
zu der gegenwärtigen Publikation eine jehr geringfügige ift; wir erhalten 
von ihm bier nichts, als eine ziemlich unbedeutende Einleitung, deren 
Inhalt füglich auf zwei Seiten abzumahen war, und die weiter nichts ift, 
al3 eine in überflüjjiger Breite ausgedehnte Umschreibung des am Schluß 
binzugefügten Inhaltsverzeichniſſes; welchen Werth bat es, bei Publikatio⸗ 
nen diejer Art eine Menge ganz gleichgiltiger Kanzleinotizen wiederzuge⸗ 
ben, oder wer hat einen Nutzen davon, zu wiflen, in welchem Schrank und 
in welder Kapjel ſich die einzelnen Stöde befinden? Im Uebrigen thut 
Herr 2. nichts, als feine Altenjtüde in chronologijcher Folge nach einander 
abzudruden und mit kurzen lateinischen Inhaltsangaben zu verjeben, und 
nur in der Faſſung diefer legteren geitattet er der unterbrüdten Subjeltis 
vität bin und wieder einmal einen Heinen Hieb oder Stich, 

Was Nichtigkeit und Genauigkeit des Abdrucks betrifft, jo mangelt 
und dafür begreifliher Weife die Controle ; indeß fallt doch ſchon bei der 
erften Lektüre Manches ind Auge, mas Bedenken gegen die Sorgfalt des 
Herausgebers erregt ; fo, wenn ſich findet, daß einzelne Stellen, vie ſchon 
in den Analelten abgebrudt waren, bei der jetigen Herausgabe Heine Ber: 
ſchiedenheiten zeigen, jo zwar, daß dort das Richtige und bier ein Unrich⸗ 
tiges ericheint. Ferner wäre zu bemerken, daß nicht felten Stellen vor: 
fommen, die abfolut unverftänplich bleiben und nur durch Fehler des Ab⸗ 
ſchreibers entftellt fein können; freilich ftellt fi) der Herausgeber an, 
als verſtaͤnde er Alles ganz genau, und macht nirgends ein zweifelndes 
Fragezeichen; aber follte er wirlich Stellen, wie 3.8. die folgende in einem 
Brief von Aleander verftanden haben? S. 91 — quando gli huo- 
mini di qualche auctoritä, chi non sono di questa professione, 
fanno preiuditio et alcuno concetto in tal materia dif- 
ficile, epoieruditar gli lo, tanto piu etc. & ift bier 
abfolut kein Sinn zu erlennen, wenn man nicht die Interpunltion ändert 
umd ſich zu einer Heinen Gonjeltur entſchließt: — in tal materia, 
difficile poi eradicarglilo. Ebenfo wird S. 104 ftatt 
obedientia del Regno di Romani jebenfalls ulfenk =l Regno 


288 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


di Boemia. Aehnliche unzweifelhaft fehlerhafte Stellen lehren nicht felten 
wieder, nur daß nicht überall die Auskunft jo leicht zur Hand ift. 

Laſſen wir dieſe Kleinigkeiten und wenden ung zu den Altenftüden 
felbft, fo müflen wir allerdings anerkennen, daß wir es mit einer Publi⸗ 
fation von bebveutendem Werth für die Gejchichte des 16. Jahrdt. zw 
thun haben, und es kann und dabei gleichgiltig fein, in welchem Sinne 
dieſe Veröffentlihung geſchehen if. Der Zeitraum , den fie umfaßt, find 
die Jahre 1521 big 1546; von dem, was in diejer großen Zeit von der 
päpftlihen Curie und ihren Nuntien in Deutſchland an Initrultionen, Mes 
moiren, Depeichen gejchrieben worden ift, wird hier eine reiche Ausleſe ge 
beten, und wir haben es mit einem SHerausgeber zu thun, den wir zwar 
in Bezug auf feine Anwendung der Apofiopeje nicht Eontroliren können, 
der aber durch ein eigenes günftiged Zujammentreffen, im Intereſſe feiner 
Gefihtöpuntte gerade auch Dinge aushebt und Verhältniffe an's Licht ftellt, 
die auch der eifrigite proteftantifche Yorjcher beim Arbeiten in jenen Pa⸗ 
pieren für feine Zwecke ſich nicht würbe entgehen laflen — dies joll fein 
Lob fein für Herm L., es ift mehr ein Verhängniß, dem er folgt, ohne 
es zu wifien. 

Eine Anzahl von faſt 250 vertrauten diplomatiſchen Altenſtücken für 
einen Zeitram von 25 Jahren; es läßt fih denen, daß zuvörberft für 
eine Menge Heiner Verhältniſſe, intimfter Beziehungen und Berhandlungen, 
für Berfonalnotizen , für vergefiene kleine und doch charalteriſtiſche That⸗ 
ſachen, für culturgefhichtliche Einzelheiten u. A. darin eine reihe Duelle 
aufgetban fein muß, und in der That wird man dieje Schriften nicht 
durchleſen, ohne, wie e3 in der Art ſolchen Materials ift, auf allen Schrit⸗ 
ten durch die anſchauliche Lebendigkeit, die ſolche Nachrichten dem biftorts 
ſchen Erkennen eines Zeitalters verleihen, getroffen, erfreut und belehrt zu 
werden. Daneben aber findet fih auch Vieles, was unjere Kenntniß des 
Reformationgzeitalterd in feinen größeren weltgeſchichtlichen Bezügen, wenn 
auch nicht umgeftaltet, jo doch weſentlich bereichert und ergänzt; die Stels 
lung de3 päpftliden Stuhles vor Allem zu der deutihen Erhebung, die 
leitenden Geſichtspunkte der Päpite und ihrer Nuntien, die Weije ihres 
Dperirens, tritt und doch bier in dem Zuſammenhang der Depeichen eines 
Campeggi, Aleander, Bergerio, Morone u. A. jo lebensvoll vor die Augen, wie 
es fecundäre Quellen nie zu bieten vermögen; an zablreihen Stellen 
treten und die intereflanteften Grllärungdmotive entgegen für Dinge, die 





4. Geſchichte der neuern und neueften Zeit. 289 


wir bisher unvermittelt hinnehmen mußten; es ift ein reicher Blid in 
das Getriebe der Zeit, der ſich da eröffnet. Wir führen nur ein Bei« 
ipiel an. Ranke hatte (D. G. III, 334.) aus den: von Dr. Heine in 
Spanien gefammelten Papieren zum erften Male die überraſchende und 
einzeln daftehende Nachricht gegeben, daß im Jahr 1532, ala es darauf 
anlam, die Proteitanten für die Theilnahme am Türkenkrieg zu gewinnen, 
der Papit fih geneigt erklärte, fih zur Noth die Augsburger Confeſſion 
gefallen zu laſſen, diefe den deutihen Proteftanten zu geftatten. Es war 
böchft auffallend, daß eine jo wichtige Conceffion gar keine Folgen zeigte, 
daß von ihr nicht weiter die Rede iſt; der näbere Zuſammenhang tritt 
nun erit hier hervor, wie der Papft dem Kaijer diejed Zugeftändniß bis 
vet, ohne Vorwiſſen der in Deutichland anweſenden Nuntien Campeggi 
und Aleander angeboten bat, wie dann von diefen beiden ein Sturm gegen 
dieſe unerhörte Conceſſion erhoben wurde, durch die fie ihre ganze Wirk 
famleit vereitelt gejehen hätten, wie ihre Operationen dagegen bei dem 
Kaifer und dem Könige („divi fratres“ pflegt fie Aleander zu nen 
nen), bei der latholiihen Majorität des Reichstags die Nachgiebigleit des 
Papſtes vereitelten, die doch auch ſchon zur Kenntniß der Proteftanten ges 
drungen war. 

Neben all ſolchen größeren und Hleineren Einzelheiten wird ein Er⸗ 
gebniß allgemeinerer Art aus der Lecture diefer Actenftüde auch Beachtung 
verdienen. Durchlieſt man dieſe vertrauten Ergießungen hoher Würbenträ- 
ger der römischen Kirche aus diefen Yahren des erbittertiten Kampfes, fo 
wird man nicht umbin können, auf einen Geſichtspunkt aufmerffam zu 
werben, der überhaupt für das innere Verftänpniß der römifchen Kirche 
und ihres Verhaͤltniſſes zu Deutihland von dem größten Belang ift. Diefe 
Brälaten, bochgebilvete, geiftuolle Männer, die als Menſchen unſere volle 
Sympathie erweden können, kämpfen und ringen bier auf den Reichätagen 
und im Berlehr mit Fürften, Staatgmännern und Theologen; fie üben ein 
ſchweres Amt, bringen mandes Opfer; das Alles tbun fie im Dienite der 
Kirche, für die Einheit derjelben. Aber folgt man ihnen in das legte Ges 
beimniß ihrer Gedanlen, oder richtiger in die faft unbewußten injtinctiven 
Triebfedern ihres Handelns und ihrer Hingabe, fo ift es doch nicht allein 
und nicht einmal vornehmlich jene kalte Abftraction der kirchlichen Einheit, 
die ihnen bei dem fchweren Werke jenen fteten Muth, jene Wärme und 
Freudigleit verleiht; im Grunde der Seele liegt doch etwas Menſchliche⸗ 


40 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur von 1861. 


res, Natürliheres, mas fie treibt und begeiftert, was ihr Ideal ik — 
es ift, mit einem Worte, daß eben auch der Kampf um unfere Nefor, 
mation ein Nationalitätenlampf gewejen ift; auf beutfcher Seite ward, nad 
einem erften glänzenden Aufihmwung, durch die bald eintretende Spaltung 
dieſes Princip abgeſchwaͤcht; auf römifcher Seite ift e8 immer lebendig 
und neben anderen Motiven wirkſam geblieben. Die deutihe Reformation 
ward auf diefer Seite immer empfunden als eine Emancipation der ger 
maniſchen Race von dem geiftlihen Herrentbum , welches durch Geſchichte 
und überlegene Bildung die latiniſche Race über fie auszunben berufen 
fei; der römische Nuntius in Deutfchland fühlte fih immer als Diener 
der alleinigen Kirche, aber ebenjo fehr ald Jtaliäner; was ihn in feir 
ner innerften Perjönlichleit zum Kampf gegen die Ketzerei reizte und ans 
feuerte, war minder die entgegengefebte dogmatiſche Ueberzeugung, als die 
Auflehnung feines nationalen Stolges dagegen, daß die Barbaren die eins 
zige Art von Herrihaft, die Italien noch über die Welt übte, nun aud 
noch abjhütteln wollten ; es ift ſehr charakteriftiih, wie einmal Vergerio 
in einem Brief an die Stanoria von Venedig über die Proteftanten ſich 
ausdrüdt: „Die Lutheraner und die ganze übrige Hefe von Barbaren, 
die die Feinde Italiens und Chrifti find.“ (Luterani et 
tutta quella altra fece de huomeni barbari, che sono nemici 
et di Italia et di Christo S. 172.) Diefes wichtige Verhältniß tritt 
dem Lefer viefer Aktenftüde aller Orten lebendig entgegen und verdient 
wohl beachtet zu werben; freilich liegt e8 mehr in dem durch das Ganze 
bindurchwehenden Geiſt, als daß es fich mit zahlreichen einzelnen Stellen 
belegen ließe. Zum Schluß aber mögen noch die Worte angeführt werben, 
die Aleander im Jahre 1531 an den päbftlichen Serretär Sanga ſchrieb: 
„Gott fei Dank, daß er uns einen fo katholiſchen Fürſten (Carl V.) geges 
ben bat; hätten wir in biejen Zeiten einen Friedrich Barbaroffa, einen 
Ludwig den Baiern, oder einen Heinrih IV. oder einen ähnlichen zum 
Kaiſer gehabt, jo würden wir von der Ehriftenheit wenig oder nichts mehr 
abrig haben." Ein Barbarofja im Jahre 15191 Wohl eine Perfpective, 
der man nahhängen mag. Bielleiht wurden wir dann auch feine deut⸗ 
ſchen Gelehrten haben, die nad Rom ziehen, um dort Material für eine 
deutſche Neformationsgefhichte im römishen Sinne zu ſammeln. — 
B. E. 





4, Geſchichte ber neuerm und neueſten Zeit. 41 


Semm;, Charles de, Une question italienne au XVI. sie- 
cle. 8. Paris, Amyot. 

Mignet, Charles Quint. Son abdication, son sejour et 
sa mort au monastere de Yuste. 5. edition. 8. Paris, Didier. 

Combat naval 1555. Recits dieppois. Reimpression de l’6di- 
tion d’Olivier d’Arsy, avec des notes par Jules Thelury. 8. Dieppe, Tardieu. 

Charronet. Les guerres de religion et la societ6 pro- 
testante dans les Hautes-Alpes (15601789). 8. Gap, Jouglard. 


Bungener, Dr. Fel., die Geſchichte des tridentinifhen 
Concils. Ueberfegt von ©. v. B. Bom Berf. anerkannte Ausg. 2 Bde. 8. 
(754 ©.) Stuttgart, 3. F. Steinfopf. | 

Bon dem bekannten und allbeliebten Verf. erihien im Jahre 1846 
in franzöfifher Sprache eine Geſchichte des Triventinums, und eine zweite 
verbeflerte und vermehrte Auflage im Yahr 1854. Nach der legteren ift 
bier mit Genehmigung des Verfs. eine deutſche Ueberſetzung, bier und 
da mit Zufägen verjeben, veranftaltet worden. 

Es ift befannt, daß die Schriften Bungener’3 ftet3 einen bejtimmt 
ausgeprägten religiöfen Charakter an fi tragen. Auch in biefer ift die 
Aufgabe, die der Verf. zu löfen jucht, durch Gefchichte und Vernunft das 
Gebäude des Katholicismus zu zerftören. Die biftorifhe Darftellung dient 
diefem Zwede faft auf jeder Seite; überall Inüpfen fi an die Betrachtung 
der Debatten über das in Trient erft feitzuftellende Dogma der Kirche des 
Vrfs. polemifche Erörterungen vom Standpunkt eines gläubigen Proteftanten. 
Sehen wir davon ab, jo müflen wir in dem biftorifchen Theil ein gründ: 
liches Studium jener Zeit, eine allfeitig über die Orenzen des Bunädjftlie: 
genden weit binausreichende Kenntniß der in Frage kommenden Dinge an⸗ 
ertennen. Rur die Einleitung, meinen wir, hätte etwas tiefer eindringen 
dürfen ; die wenigen Bemerkungen über bie Lage der Kirche vor dem 
Xridentinum hätten mehr ausgeführt und befier begründet werben können, 
vor allem aud die im katholiſchen Klerus felbit vorhandenen Differenzen 
über wefentlihe Punkte gleich anfangs ſchaͤrfer in die Betrachtung gezo: 
gen werben müflen. Das Detail der Verhandlungen und GSigungen ift 
meiftens mehr angedeutet als mitgetheill. Im Großen und Ganzen trifft 
aber B. hierin das Richtige. Eine auch ind Detail eingehende, genaue und 
Eritifche Geſchichte des Concils bleibt freilich no immer eine bis jept ums 


gelöfte Aufgabe. Bis diefe zu löfen möglich wird — vor allem gehörte dau 
Hiöeriige geuiqriſt Vil. Band. 16 


242 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur wen 1861. 


eine umfaffende Benutzung des vatilanishen Archios — mag Bungeners 
Buch beften3 empfohlen bleiben. Fügen wir hinzu, daß aud ber Ueber: 
feger dem eleganten Styl des Originald nachzukommen nit ohne Glück 
fih bemüht hat. —r. 


Chemnicius, Mart, Examen concilii Tridentini. Se- 
cundum ed. 1578 Francofurtensem, collata editione a. 1707 denuo typis 
exscribendum curavit, indice locupletissimo adornavit, vindicias Chem- 
nicianas adversus pontificios praecipue adversus Bellarminum ad cal- 
cem adjecit Lic. Dr. Ed. Preuss. (In 4 2fgn.) 1. fg. Ler.-8. (XIX u. 
272 ©.) Berlin, Schlawitz. 


Daurignac. Vie de saint Ignace de Loyola, fondateur 
de le Compagnie de Jesus. 12. Paris, Bray. 


Bouhours, Dom., das Leben des heil. Ignatius, Stifter 
der Geſellſchaft Jeſu. Aus dem Franz. überf. v. Alb. v. Haza-Rablig. 
2. verb. Aufl. 8. (387 ©.) Wien, Medithar.-Congr.-Buchh. 


Bartoli, Priefter P. Dan., der heilige Franciscens v. Bor 
gia, 3. General der Gejellihaft Jeſu. Vier Bücher. Aus d. Ital. v. Alb. 
Haza v. Radlitz. gr. 8. (410 ©.) Wien, Medithar.-Eongr.-Buchh. 


Guettöe l’abbe. Histoire des jesuites composee sur des 
documents authentiques en partie inedits. Tom. III. 8. Paris, Lecrivain 
et Toubon. 


Boulangs, Abbe T., Studien über den Heiligen Franz 
v. Sales. Sein Leben, fein Geift, fein Herz, feine Werke, feine Schriften u. 
feine Lehre. Aus d. Franz. 1. Bd. gr. 8. (XT u. 402 ©.) Münden, Lentner. 


Slarus, Ludw., Leben des heil. Kranz v. Sales, Stifters bes 
Ordens v. der Heimfuchung Mariens, der Heil. Johanna Francisca v. Chantal 
u. ihrer erften Ordensjchweitern. 4. u. 5. Bd. gr. 8. Schaffhaufen, Hurter. 
Inhalt: Leben der erfien Mütter u. Schmweftern d. Ordens v. der Heimfuching 
Mariens. 1. Bd. (469 ©.) 2. Bd. (VIII u. 656 ©.) 


Berner, Prof. Dr. Karl, Franz Suarez u. die Scholaftil der letz⸗ 
ten Jahrhunderte. 2. Bd. gr. 8. (VIII u. 325 ©.) Regensburg, Many. 


Leben ausgegeihneter Katholiken der drei letten Zahrkum- 
berte. Hrsg. unter Mitwirlg. Anderer v. Alb. Werfer. 16 Bdchn. 8. Schaf: 
haufen, Hurter. Inhalt: Leben des Dr. Johann Adam Möhler. Bon Alb. 
Werfer Leben d. Elemens Brentano. Bon I. G. Schick. (486. mit 


1 Stahlſt.) 


4. Geſchichte der nenern und neneften Zeit. 248 


— — daffelbe1. u. 2. Bochn. 2. Aufl. 8. Ebd. Inhalt: 1. Leben d. 6. 
Karl Barromäus, Kardinals u. Erzbifchofs v. Mailand. Bon Alb. Werfer. 
(VII u. 144 S. m. 1 Stahlfl.) — 2. Leben bes Heil. Ignatius u. d. fel. Pe⸗ 
ter Canifius. Bon I. G. Schid. (156 S. m. 1 Stahffl.) 

Aitter, Dr. Imm. Heine, Geſchichte der jüdifhen NRefor 
mation. 2. Thl. gr. 3. Berlin, Beifer. Inhalt: David Friedländer. Sein 
Leben u. fein Wirken im Zufammenhange m. den gleichzeitigen Eulturverhält- 
niffen u. Reformbeftrebgn. im Judenthum dargeftellt. (VIII u. 174 ©.) 


Baderhagen, Emma Bittoria Eolonna, eine Lebensilizze. 
Mit e. Borworte v. Hof- u. Dompred. Dr. Heinr. Thiele u. d. Bortr. 
der Bittoria Eolonna nad) e. Medaille in Kpfıfl. 16. (X u. 108 &.) Halle, 
Mühlmann. 

Hiſtoriſche Briefe über die feit dem Ende des 16. Jahrh. fort- 
gehenden Berlufte u. Gefahren d. Proteftantismus. 8. (XII u. 544 ©.) Frank⸗ 
furt a. M., Heyber & Zimmer. 


Diefes anonym erfchienene — aber wie der Augenſchein lehrt aus 
hoͤchſt kundiger Feder geflofiene — Buch jammelt eine Reihe von „hiſto⸗ 
riſchen Briefen an einen Sorglojen”, die zum größten Theil in Gelzers pro: 
teftantiichen Monatsblättern erſchienen find, zu einem zujammenhängenden 
Ganzen. Der Berf. behandelt in lebendiger, kurzer Darftellung, die hoͤch⸗ 
ſtens gegen das Ende bin das anfänglih Inappe Maaß ver Darftellung 
überfchreitend etwas zu breit wird, das Verhältnik des Proteftantismus zu 
der latholiſchen Kirche. Die Gejchichte hat ihn gelehrt, daß „von den Zei: 
ten Raifer Rupolf IL. und der Bartholomäusnadht an der Proteſtantis⸗ 
mus im Großen und Ganzen ber verfolgte, verlierende, der die empfinds 
lichſten Einbußen erleidende Theil iſt.“ Der üblichen Borftellung, daß feit 
der Mitte des 17. Jahrhundert? das Ende der religiöjen Kämpfe einge: 
treten fei, tritt er mit aller Entichiedenbeit entgegen; — und, geſtehen wir 
es nur, feine Beweisführung dieſes Satzes fcheint uns eine zwingende, 
feinem Bweifel mehr Raum gebenve zu fein. 

Mit befonderem Nachdrucke erörtert der Verf. die Entwicklung in 
Deutfhland. Und grade auf dieſe Partie des Buches möchten wir die 
Aufmerlfamleit der Kundigen lenken. Uns menigftens ift keine andere kurze 
erihöpfende , das Gejammtergebniß jo richtig treffende Betrachtung der 
deutichen Geſchichte vom augsburger bis zum weftphälifchen Frieden be 
tannt; nicht als ob alle Einzelnheiten volle Zuftimmung finden Tännten, 


24 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


— (3.92. die Perſonlichkeit des Kaiſers Mar II. glauben wir, if 
auch bier nicht ganz richtig daralterifirt) — nicht als ob das Bild 
der Creigniffe durch detaillirtere Erzaͤhlung nicht fih noch vielfach modiſt⸗ 
jiren müßte; aber im Großen und Ganzen ftehen wir nicht an, die 
Auffaffung der deutſchen Geſchichte jenes jo merkwürdigen vielfach miß⸗ 
kannten Jahrhunderts, wie fie und bier vorgetragen wird, nahezu als bie 
richtige, aus den Quellen der Zeit felbit gefchöpfte zu bezeichnen. Die Er: 
fenntniß der Vergangenheit giebt dem Verf. zulegt eine Warnung für un: 
ſere Gegenwart ein; die große Aggreffive des Katholicismus oder genauer 
des innerhalb der katholiſchen Kirche dominirenden Ultramontanismus 
gegen den Beltand nicht nur der proteftantiihen Kirche, fondern unferer 
ganzen modernen Zuftände fol ung eine Mahnung fein zur ernften Ab: 
webr des oft mit Gewalt oft mit Liſt ftet3 aber mit Ausdauer und us 
verficht anrückenden Feindes. Aus diefem ultramontanen Heerlager pflegt 
in neuefter Zeit eine Verdrehung und Entitellung der Thatſachen auszu⸗ 
geben, die gradezu alle hiſtoriſche Wahrheit auf den Kopf ftellt. Diefer 
‚zu begegnen vermweifen wir nachdrücklichſt auf dieſe „hiſtoriſchen Briefe, “ 
fönnen aber den Wunſch bier nicht unterbrüden, daß und doch bald eine 
eingehende Darftellung gegeben werden möge, bie au3 einer ebenjo voll 
ftändigen Kenntniß der urjprünglien Quellen hervorgegangen , denfelben 
fittlihen Ernſt und ächt nationalen GBeift befunde, von dem diefe Skizze 
durchweht ift. —r. 

Segretan, E. A. Sixte-Quint et Henri IV. Introduction 
du protestantisme en France. 8. Paris, Gaume fröres. 

Stähelin, Emft, der Mebertritt König Heinrid IV. von 
Frankr eich zur römiſch⸗katholiſchen Kirche, und der Einfluß dieſes Fürſten 
auf das Geſchick d. franz. Reformation von dem Zeitpunkt der Bartholomäus. 
nacht an bis zum Erlaſſe d. Ebiftes v. Nantes. Cine reformationsgefchichtt. 
Studie. 2., wohlfeile (Titel-)Ausg. gr. 8. (XXX u. 795 ©.) Bafel (1856) 
1862, Bahnmeier. 

Tallemant des Röaux. Les Historiettes. Meömoires 
pour servir & l’histoire du 17. siecle. 2. edition: precedee d’une notice 
sur l’auteur augmentee de passages inedits et accompagnec de notes et 
eclaircissements par M. Moumerque. 5 vols.12. Paris, Garnier, fröres. 

Bousquet, Casimir. D’une erreur historique & propos de saint 
Vincent de Paul et son voyage & Marseille en 1622. 8. Paris, Ger- 
mer Bailliere. 





4. Geſchichte der neuern und neueflen Zeit. Mb 


Bussiöre, M. Th. de, Histoire de saint Vincent de 
Paul, tirde des biographies les plus anciennes et les plus authenti- 
ques. Nouvelle ödition revue et corrigöe, 2 vol. 12. Paris, Putois-Crette. 


Maynard, l’abbe. Vie de saint Vincent de Paul. 8. Pa- 
ris, A. Broy. 

Walewski, Prof. Ant.v., Geſchichte Leopolde I u, ber Hi. 
Ligue. 1657—1700. Nach ungedr. Urkunden. 2. Thl. 1. Abtb. gr. 8. (LIV u. 
668 ©.) Krakau. (Wien, Gerold’s Sohn.) 

Bon diefem in der hiftorifchen Zeitfehrift (1. Jahrg. 2. Heft S. 524) 
bereit3 genügend charakterifirten höchft curiofen Buche ift wieder ein Band 
erſchienen. In der Vorrede beflagt der Verfaſſer die Nüdfchritte Deſtreichs 
und den Verfall ver Latholifchen Weltordnung, tröftet fich aber mit der 
Hoffnung, daß das Deftreih der Leopoldiniſchen Glanzperiode durch die 
firchliche und politifche Ariftofratie der autonomen Kronländer werde wieder 
bergeftellt werden. Er kommt dann endlich zur eigentlichen Geſchichte Leopolds 
und zwar auf 356 Seiten nicht weiter ala bis zu Leopolds Kaiferkrönung. 
Es ift bier einiges wenige brauchbare urtundlide Material — jedoch 
breit, einfeitig und abgejchmadt verarbeitet. Nach ſolchem Anfange wird es 
lange dauern, bis das Bud fertig wird. Doch kann dies dem Publikum 
ziemlich gleichgültig fein, da mit Ausnahme einiger confujer etwas polnisch 
angehauchter ultramontaner Romantiler Niemand fi um bie hiſtoriſchen 
Stilübungen des Herrn von Walewski kümmern wird. Auch dieſer Band 
enthaͤlt einen Excurs von 152 Seiten, eine Ueberſicht der Reformations⸗ 
geſchichte und der daraus entwickelten politiſchen Stellung der Staaten — 
wahrſcheinlich ein Collegienheft des Kralauer Profeſſors, welches den Stand: 
punlt der hiſtoriſchen Studien jener Hochſchule hinreichend charalteriſirt. 

Eb. 

Rapin, le pöre Rene. Histoire du jansénis me depuis 
son origine jusqu’en 1644. Ouvrage completement inedit; revue et pu- 
blie par l’abbö Domenech. 8. Paris, Ganuel fröres et Dufrey. 

Scähloffer, Seh. Prof. Dr. F. €, Geſchichte des 18. Jahr. 
Hunderte u. d. 19. bis zum Sturz des franzöflfchen Kaiferreiche. Mit bes 
ſond. Rüädfiht auf geiftige Bildg. 4. durchaus verb. Aufl. Bollſtändiges Na⸗ 
mien- n. Sacregifter. Mit einigen biograph. u. chromolog. Notizen zur Erlän⸗ 
terg. u. Erganzg. gr. 8. (189 ©.) Heidelberg, 3. C. 8. Mobr. 


GOfrörer, Brof. Fr. Aug, Geſchichte des achtzehnten Jar 


346 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


hunderts. Nah bem Tode des Verf. Hreg. v. Prof. Dr. ID. Weiß. 
1. ®b.: Lubwig XIV. Wilhelm der Oranier. Prinz Eugen. Karl XII. Beier 
ber Große. Die Kaifer Leopold I. u. Joſef J. 8. (VII u. 695 ©.) Schaff 
haufen 1862, Hurter. 


Balentiner, Dorothea, Charalterbilder n. Gruppen aus 
ber Eultur- u. Literaturgefchichte de® 18. u. 19. Jahrhunderts. gr.8. (VIH 
n. 458 S. m. chromolith. Titel.) Mainz, Kunze. 


Prat, Henri. Etudes historiques. Dix-huitiäme siöcdde 
2. partie. 12. Paris, Funier Didot fröre. 


Bagner, Joſ. Maria, die Litteratur der Gauner- u. Ge 
heim-Spraden feit 1700. Ein bibliograph. Verfuch. (Aus Dr. Zul. Ber 
holdt's „Neuer Anzeiger f. Bibliographie ꝛc.“ abgebr.) gr. 8. (30 ©.) Dres 
ben, Schönfeld. 


Wittje, Major . D. G., bie widtigfien Shladten, Bes 
gerungen u. verfchanzten Lager vom I. 1708—1855. Kritifh bearb. zum Stu. 
bium f. Officiere aller Waffen. (In 2 Bdn.) 1. Bd. Ler.-8. (VIII u. 504 &.) 
2. Bd. Mit 1 (lith.) Plane v. Sebaftopol (in Imp.⸗Fol.) Ler.-8. (M u. 198 
S.) Leipzig, €. F. Winter. 


Sybel, H. v. Prinz Eugen von Savoyen. Drei Borlefumgen 
gehalten zu München im März 1861.8. (146©.) Münden, litt. artift. Anftalt. 


Reihe, Dr. 8. E. J. Friedrich der Große u. feine Zeit. Nach 
deu beften Quellen bearb. 3. od. Doppel-Jubel-Fef-Ausg. Mit 24 Stahift. gr. 4. 
(VII u. 557 ©.) Leipzig, Kollmann. 


Nachrichten u. Betradtungen üb. die Xhaten u. Schidfale ber 
Reiterei in den Feldzügen Friedrichs IL. und in denen neuerer Zeit. 1740— 
1813. 2. Aufl. in 1 Bde. gr. 8. (XVI u. 528 ©.) 


Ramshorn, Dr. Earl, Maria Therefia u. ihre Zeit. Mit 
10 Bortr. u. 50 Illuſtr. in (eingedr.) Holzſchn. 10. Lig. Ler.-8. (VII ©. u. 
639 m. 1 Hofzfchntaf. in Tondr.) Leipzig, Voigt & Günther. 


Roy, J. J. E, Histoire de Marie Theröse d’Autriche, 
imperatrice d’Allemagne, reine de Hongrie et de Boheme. 8. avec gra- 
vures. Tours, Mame & Comp. 


Locmaria, Comie de, Marie Therese et laHongrie. 8. Pa- 
ris, Putois-Crett6. 


Smitt, F.de, Frederic DO. Cathörine et le partage de 
la Pologne d’apres des documents authentiques. 8, Paris, Frank. 





4. Geſchichte der neuern mıd neueften Zeit. 247 


Ramehorn, Dr. Earl, Kaifer Joſeph IL m. feine Zeit. Mit 8 
Bortr. (in Holzſchn. u. Zondr.) u. 46 Illuſtr. in (eingebr.) Holzichn. 2. verm. 
Aufl Lex.S. (VIO u. 515 ©.) Leipzig, Voigt & Günther. 

Hellmuth, Ernſt, Kaifer Joſeph IL Ein Buch fürs Voll. Mit 
80 Illuſtr. (in eingebr. Holzichn.) 9. Lg. body 4. (VIII u. 362 ©.) Prag, 
Kober. 

Sybel, Heine. v. Geſchichte der Revolutionsyeit von 1789 
bis 1796. 2. verb. Aufl. 3. Bd. gr. 8. (XVI u. 564 ©.) Düffeldorf , Bud⸗ 
deus Berl. 


Mignet Histoire de la revolution francgaise depuis 
1789 jusqu’en 1814. 8. edition. 2 vol. 8. Paris, Didot freres. 


Blanc, L., Histoire de la revolution frangaise. tom. 
Xl. 8. Paris, Paquerre. 


Barrau, Th.H., Histoire de la revolution francaise,. 
(1789—1799.) 2. edit. 12. Paris, Hachette & Comp. 


Herrmann, Prof. ©, die öfterreifch-preußifce Allianz 
vom 7. Febr. 1792 u. die zweite Theilung Polens. Kine Streitichrift gegen 
Brof. 9. v. Sybel. 8. (IV u. 142 ©.) Gotha, F. A. Perthes. 


Ein mehrmonatlihes Unmohljein hat mich verhindert, an biefer Stelle 
Herrmanns kleiner Schrift eine eingehendere Beiprehung zu widmen, und 
nöthigt mich diejelbe einem fpäteren Hefte vorzubehalten. Hier bemerte 
ib nur foviel, daß ih dem Verf. für einige wenn auch nicht grade be: 
deutende Detall3 der polnischen Geſchichte dankbar bin; daß er mich aber 
in der Hauptſache nirgendwo überzeugt hat. Bielmehr ift das Verhaͤltniß 
auch bier überall daſſelbe wie in dem betreffenden Abjchnitt feiner „ruf: 
ſiſchen Geſchichte“ Der Inhalt der Alten, der Briefe und Depeichen ber 
ſelbſthandelnden Perſonen und Mächte wird kritiſirt und widerlegt theils 
aus den Berichten ferner ftehender Perjonen , theils aus den vorausge⸗ 
faßten und bemweislofen Meinungen des Berl. Es kann mithin weder 
die weitläufigere Entwidlung dieſer Meinungen noch die größere Haͤufung 
feiner Berichte irgend etwas an dem urkundlichen Ergebniß ändern. 

Sybel. 


Zelllampf, Adf., die Franzoſen in Deutſchland. Hiſtoriſche 
Bilder. 3. Aufl. gr. 8. (VIII u. 858 ©.) Hannover, €. Rümpler. 


Börfter, Dr. Fror, Gejhichte der Befreiuugetriege 1818, 


348 Ueberficäht der hiſtoriſchen Literatur von 1881. 


1814, 1815. Nach theilweife ungedr. Quellen u. münd!. uffchiäffen Kebeuten 
der Zeitgenofjen 2c. dargeſtellt unter Mittheilg. eigener Griehniffe. 76—83. ig. 
8. (3. Bd. S. 961—1240 u. 2 Plänen.) Berlin, Hempel. 


Diefer 3. Band der Geſchichte der Befreiungskriege bildet gleiche 
zeitig in der „Neueren und neueften Preußiſchen Geſchichte“ veffelben Ber 
faffers den 5. Band und zugleich ala Fortjegung der ebenfalld von Dr. 
Förfter veröffentlihten: „Preußens Helden im Krieg und Frieden“ den 
T. Band. Ueber den Mangel an Titeln kann man- fi demnach bei 
diefem Werke nicht beflagen, aud nicht über Mangel an Gewicht, denn 
der 3. (oder 5. oder 7.) Band von Herm Dr. Fr. Foͤrſter's großem 
Nationalwert enthält auf nicht weniger als 1342 Seiten die Periode: 
„Von Elba nad Skt. Helena” — Der Herr DVerfafier hat für nöthig ges 
funden dieſe Epoche mit behagliher Breite zu erzählen, wahrſcheinlich aus 
Beſorgniß, daß fonft die Wucht der Creigniffe den Lejer erprüden möchte, 
Dagegen ift nun völlige Sicherheit erlangt, und kann biefe „Geſchichte“ Je⸗ 
dermann als volllommen ungefährlihe Lektüre empfohlen werben, da man 
in felber allen nur wünſchenswerthen Klatih aus Memoiren, Monogeas 
phien x. mit einem der Frau Louife Mühlbah würdigen Eifer zuſammen 
getragen und, mit deutſchthümelndem Liberalismus verquidt, wiedergegeben 
findet. L.H 

Aloys Moriggl, Frühmeffer in Zirl, der Feldzug des Jahres 
1805 und feine Folgen für Oeſterreich überhaupt und für Zirol insbefondere. 
Mit zwei Karten. 2. Bd. Jusbruck, Wagner. 

Eine mit großem Fleiße und gemwiflenhafter Unparteilichleit verfaßt 
Bufammenftellung der Triegeriichen Ereigniffe in Mitteleuropa während 
der legten Monate des Jahres 1805 nad bereit gebrudten Geſchichts⸗ 
werten. Weber bie Ereigniffe in Tirol bringt jedoch der Berfafler, nament⸗ 
lich im dritten Abjchnitte feiner Schrift (Seite 185— 491) aud manchen 
neuen und ſchaͤtzenswerthen Beitrag zur Charalteriftit dieſes trotz allen 
Pfaffendrudes noch immer geiftig gewedten und kräftigen deutſchen Bolls- 
ftammes, L. H. 


Prokeſch, Oberlieut. A., Denukwürdigkeiten aus dem Leben 
bes Feldmarſchalls Fürſten Earl zu Shwarzenberg. Neue (Titel-)Ausg. 
Mit e. einl. Borworte des Berf., des jetigen k. k. Feldmarſchall⸗Lieut Aut. 
von Prokeſch⸗Oſten. Mit Bortr. (in Stahif.) gr. 8. (VII u. 846 ©.) 
Bien (1862), Braumäller. | 





4. Geſchichte der neuern und neueften Zeit. 249 


Heltdorff, General Major 3. D. Frhr. v., aus dem Leben des fai- 
ferlich » ruſſiſchen Generals der Infanterie Bringen Eugen v. WVürtem 
berg. aus beffen eigenhänd. Aufzeihnungen fo wie aus dem ſchriftl. Nachlaß 
feiner Adjutanten gefammelt u. rag. 1. Thl. gr. 8. (V u. 160 ©.) Berlin, 
Sempel. 


Es ift died der Herzog von Würtemberg, der, im bdreizehnten Les 
bensjahre auf Wunſch feiner Zante, der Kaiferin Maria, nach Petersburg 
berufen, dortjelbft das Herz des launenhaften Bauls I. in folhem Maaß 
gewann, daß dieſer auf den Gedanken gerietb, ihn mit Ausfchluß feiner 
vier Söhne zum Thronfolger zu ernennen. Belanntlich fcheiterte dieſes Vor: 
baben an dem blutigen Ende des Gzaren; aber der an den verrüdten 
Ideen des Kaiſers doch gewiß unſchuldige Prinz hatte fein ganzes Leben 
hindurch umter diefem Andenten zu leiden. Belanntlid) leiftete er ſowohl 
im Feldzuge von 1806 und 1807, als auch 1812, 1813 und 1814, 
dann 1828 gegen die Türken in entiheidenden Momenten die wichtigften 
Dienfte; doch jo lange Kaifer Alerander lebte, wurde des Prinzen Eugen 
von Würtemberg in den öffentlihen Berichten entweder gar nicht oder 
nur ganz beiläufig ermähnt. — Den Namen diejeg Prinzen, der mit fo 
abfichtliher Unbilligkeit in Dunkelheit gehalten wurde, auf die ihm gebübh: 
rende lichte Stelle in der Geſchichte zu jegen, fein Andenken von den Ber: 
läumdungen und Anſchwaͤrzungen zu reinigen, die auf den fi „in Uns 
gnade“ befindenden ungeftraft geſchleudert werden konnten, ift ber Zweck 
diefer Schrift. Ihr demnädjt erfcheinender zweiter Band foll den Feldzug 
von 1812 und einen heil von 1813 enthalten; der erfte bringt, außer 
einem kurzen Leberblid der wichtigſten Creignifie aus des Prinzen Leben, 
feine eigenhändig verfaßten und an den Generallieutenant von Balentini 
gerichteten Jugend⸗Erinnerungen, welde feinen Aufenthalt in Petersburg 
umfaflen. Sehr interefiant find darin die Schilderung des ruſſiſchen 
Hofes und die nad) Aufzeichnungen von Benningfen und Aeußerungen des 
Platon Subow verfaßte Darftellung der Ermordung des Kaiſers Baul am 
23. März 1801. Diejelbe ftimmt beinahe wörtlid mit dem im 3. Band der 
hiſtoriſchen Zeitfehrift S. 133 fi. über dieſe Kataſtrophe veröffentlichten 
Berichte überein, nur daß der Prinz fich felbftverftändlich nicht entfchließen 
ann, die Kaiferin Mutter Marie, die ihm, fo lange fie lebte, in mütter 
Hicher Bärtlichleit zugethan blieb, mit der kalten und fhonungslofen Härte zu 
beurtheilen, mit der Died Benningjen in feinen Aufzeichnungen thut. L. H. 


0 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Forgues, E.D. le g&n&ral Sir Robert Wilson oom- 
missaire anglais au camp russe pendant la guerre de 1812. gr. 8. (49 ©.) 
Naumburg, Pätz. 


Wilſon, General Sir Rob., geheime Geſchichte bes Feldzugs 
von 1812 in Rußland. Aus d. Engl. v. Iul. Seybt. gr. 8. (889 ©.) Lei 
zig, Gumprecht. 

Smitt, Frdr. v., Zur näheren Aufklärung üb. den Krieg ven 
1812. Nach ardival. Quellen. Mit 1 lith. (u. color.) Karte (in Imp.Fol. 
gr. 8. (VI u. 568 ©.) Leipzig, C. F. Winter. 

Dieje beiden Werke, welche Beiträge von ruffifher Seite zur Dar 
ftelung des merkwürdigen Feldzugs von 1812 zu liefern beftimmt ſtud, 
haben ſehr verſchiedenen Werth; jedenfalls würde durch eine Verwechſelung 
der Titel ihrem mirklihen Inhalte richtiger entiproden werden können. 
Denn während Sir Robert Wilfon mit dem kecken Leichtfinn, der den 
abenteuernden Wagehals zu allen Zeiten und aller Orten haralterifirt, eine 
und die andere Thatjfache „zur näheren Aufllärung über den Krieg von 
1812° bringt, liefert Friedrich von Smitt in feiner ebenſo gewiſſenhaften 
als gediegenen Schrift in der That eine „geheime Geſchichte dieſes Felb⸗ 
zugs.“ Schade daß der berühmte Verfaſſer des polnischen Krieges feine eigent⸗ 
lihe Darftellung mit der Schlaht von Smolensk abſchließt, mit welder Wil: 
ſon's Aufzeichnungen erft beginnen. Die Möglichleit, die gewagten Behauptums 
gen des Letzteren — namentlich jene, daß Kutofom von Napoleon beftochen 
gewejen — durch die Nachweife, welche der Erftere höchſt wahrſcheinlich 
herbeizuſchaffen vermödhte, zu widerlegen, ift dadurch mindeſtens in fo lange 
abgeſchnitten, ala bis fih Herr von Smitt zu der ſehr wuͤnſchenswerthen 
Fortfegung feines neueften Wertes entichließt. Einſtweilen müflen bier 
für noch Bernhardi's Denktwürbigleiten des Grafen Toll genügen. 

L. H. 


Brühl, Mor., Napoleon I und Rom. Ein Geichichtebild f. bie 
Gegenwart. gr. 8. (XXIV u. 214 ©.) Regensburg, Coppenrath. 


Gervinus, © ©, Geſchichte des neunzehnten Jahrhun— 
derts feit den Wiener Verträgen. 5. Bd. gr. 8. (V u. 516 ©.) Leipzig, 
Engelmann. 

Don den Revolutionen in Spanien und Stalien und dem Unabhäns 
gigleitslampfe des ſpaniſchen Amerila wendet fi der Verf. im vorliegen- 
den Bande zur Geſchichte des Aufftandes und ber Wiedergeburt von Gries 





4. Gefchichte der neueren und neueften Zeit. 2351 


chenland. ine ausführlide Einleitung (bi8 S. 120) orientirt den Lejer 
im türkiſchen Staatsweſen, in der Lage der Raja, ſchildert die Theilnahme 
der lateiniſchen und griechiſchen Chriftenheit an den Glaubensgenofien in 
der Zürlei, namentli die bebrohlihen Cinmifhungen Rußlands im 
achtzehnten Jahrhundert und die dagegen gerichteten Reformverjuche der 
türlifchen Regierung, welche aber weſentlich Verſuche bleiben. Die fran- 
zoͤſiſche Revolution erftredt ihre erjchütternde Kraft in die weiten Räume 
de3 Osmanenreichs; das bonapartifhe Beifpiel reizt die Ali Paſcha von 
Janina und Mehmed Ali in Aegypten fih eine unabhängige Stellung zu 
ufurpiren, während gleichzeitig Montenegriner, Gulioten, Serben und grie⸗ 
chiſche Armatolen fih in Aufftänden verfuhen. An dieje Neibe von Er: 
f&hütterungen, weldhe während der napoleonishen Zeit die Türkei im In⸗ 
nern aufzulöjen beganneu, fließt fi dann die Schilderung der geiftigen 
und materiellen Wiedergeburt der Griechen im adhtzehnten Jahrhundert, bier 
durch die Xhätigleit der Maorokordatos für Vollsbildung, dort durch die 
weiter und weiter auögebehnten Handelöverbindungon der griechiſchen Kauf: 
leute und Rheder geförvert. Diefer Aufihwung ift unpolitifher Natur, 
bis die franzöfifhe Revolution der Bewegung einen patriotiihen Mittel: 
punft gibt und zugleich der europäifche Philhellenismus im Beginne unjeres 
Jahrhunderts der Begeifterung für die Herrlichleit des alten Hellas das 
lebhaftefte Intereſſe an der gegenwärtigen Lage der Griechen zugefellt. Der 
Raub des Lord Elgin, die Entdedungen in Aegina und Baflae, die Reife 
werle der Leale, Gel, Dodwell, der Aufihwung der griehiichen Philologie 
durh Wolf, Hermann, Bödb, alles das zufammen mit einer neuen politis 
fhen Anfhauung Ientt die theilnehmenven Blide Europa’3 auf das Bolt, 
befien Vorfahren nie lebhafter bewundert waren. Zum Schluß der Ein: 
leitung wirb die vielbeſprochene Frage nad) der Abftammung ber heutigen 
Griehen (S. 104 bis 113) eingehend erörtert. 

Unter den geſchilderten Einflüſſen hatten die politiiden Gedanken 
der Griechen in einer ziemlich weitverbreiteten Hetärie einen Sammelpunlt 
gefunden, als der junge, vom unruhigem und unllarem Ehrgeiz getrie- 
bene Fürſt Alerander Ypfilantis gleichzeitig mit dem Siege der Revolution 
in Spanien die Oberleitung de3 Bundes gewinnt. Die Charalteriftil des 
Furſten (S. 139 ff.), die Darftellung des gemwiflenlofen Spiels, das er 
bier mit ruffiihen Einflüffen, dort mit energifhen Complotten treibt, die 
Schilderung des Berlaufes, den unter feiner unfähigen Leitung ber in ben 


252 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur wen 1861. 


erften Monaten des Jahres 1821 in Moldau und Wallachei ausbrechenbe 
Aufftand im Sommer und Herbit deſſelben Jahres zu traurigfter Sataftrophe 
nimmt, ift wenig geeignet die Glorie zu befeftigen, deren fih der Yürk 
in manden Büchern erfreut, Der Verf. konnte die Darftellungen der Gries 
hen, namentlid Philimon's, an manchen Stellen durch handſchriftliche Quel⸗ 
len corrigiren. Sept erſt (S. 179) beginnt die eigentlihe Geſchichte des 
griehiihen Aufftandes an der Hand einer fehr ausgedehnten Literatur, 
in welcher die Griehen Trilapis und Phimon, der Engländer Gorben, 
der Franzofe Pouqueville die bedeutendſte Stelle einnehmen, der Freihert 
von Prokeſch⸗Oſten aber mit einem längft gejchriebenen und gebrudten Bude 
noch immer fehlt. Derjelbe verfaßte eine vreibändige, mit diplomatifchen 
Belegen reich verfehene „Geſchichte des Abfalls der Griechen“, welche auf 
Koften der Wiener Akademie gebrudt wurde, dann aber 1852 „unter bie 
Schlöffer der Oberpolizei, wenn nicht gar unter die Stampfe der Papier 
müble hat wandern müfjen.” Der Verf. bedauert natürlich fehr, daß „vie 
Scidfale trog jo vielen Wandlungen ver öfterreihifchen Regierung und 
Politik noch immer nicht geftatten”, viefes Werk eines hervorragenden und 
in die orientalifhen Dinge tief eingemweihten öfterreihiichen Staatzmanns 
zu benugen. Die Erzählung des eriten Kriegsjahres unterbridt der Ber. 
©. 207 durd einen Blid auf die Lage der Pforte und auf die diploma⸗ 
tifhen Nöthe, in melde fie fofort mit Rußland verwidelt wurde. Hier 
wie in der Darftellung der diplomatiſchen Verhandlungen über die Yen 
würfniffe Rußland und der Pforte in den Jahren 1821 bis 1824 Tonnte 
der Verf. einen reihen Schag archivaliſchen Materials, eine „allfeitig as: 
gedehnte Sammlung handfchriftliher Urkunden und Gejandtihaft3berichte” 
benugen und demnach verſuchen, „die diplomatifhe Geihichte der Wieder 
geburt Eriechenlands, die man bis jegt nur ſehr brudftüdweife gekannt, 
in ihrem vollftändigen Zufammenhange zu erzählen.” Die bier benuste 
Sammlung hat einen fehr viel höheren Werth, ald diejenige, welche bereits 
am Schlufie des vierten Bandes einer nachtraͤglichen Darftellung der Cow 
grefje von Zroppau, Laibah und Berona zu Grunde gelegt wurbe, da 
fie in der That die alljeitigfte Ausdehnung befigt; nad den Litaten und 
der Erzaͤhlung ſelbſt zu jehließen, wurde über dieſe griehifche Frage zwi. 
jchen den Cabinetten von Petersburg, Wien, London, Paris, Berlin und 
Eonftantinopel faum ein wichtigeres Schriftitüd gewechſelt, welches dem Verſ. 
nicht vollitändig oder in diplomatiſchem Auszuge vorgelegen bat. Dadurch 





4. Gefchichte der neueren ımb neueften Zeit. 238 


ift dann nicht allein dieſe diplomatifhe Geſchichte der Wiedergeburt Gries 
chenlands in ein völlig neues Licht gerüdt, fondern wir gewinnen über 
haupt ein urkundlich fundirtes Urtheil über den damaligen politifchen 
Charalter der Hauptmädte und ihrer mwichtigften Lenker ; vor allem aber 
tritt und das Weſen der bisher am forgfältigften verhüllten Peteröburger 
und Wiener Staatsfunft mit frappanter Anſchaulichkeit und fat komiſcher 
Nadtheit entgegen. . 

Die Kriegsgeihichte wird bis Ende 1823 fortgeführt. Diefes letzte 
Kriegsjahr harakterifirt gegenfeitige Erſchöpfung; die Pforte fieht fih durch 
den verzweifelten Mangel an Mittel und Menſchen genöthigt, ven mächtigften 
ihrer Bafallen, ven Ticelönig von Aegypten, „von allen ihren gefährlichen 
Bundesgenofien ven gefährlichiten,” zu einer außerordentlichen Hülfleiftung aufs 
zurufen, während die Griechen neben der Erfolglofigleit ihrer Waffen den offer 
nen Bürgerkrieg erleben. Der ägyptiſche Kriegszug droht das Feine Volt un: 
rettbar zu verderben, „ven Großſtaat unter den afrilanischen Barbaresten noch 
zu der afiatifhen Barbarei der Osmanen über dag europäifhe Land und 
Bolt der Griechen“ zu lagern, ein neuer Triumph de3 Orients, ein neuer 
Schimpf der Chriſtenheit. „Das mar doch allzufehr gegen den ganzen 
Genius der Zeit. Das fhärfte die Sympathien im Werften für das mit 
Vernichtung bedrohte Volt und zog die Bande fefter an zwifchen Europa 
und Griechenland; das rip felbft die Regierungen endlih mit, aus dem 
Schweigen zum Reden, au dem Reden zum Handeln zu kommen.” Diefen 
ferneren Berlauf des Kampfes wird der zweite Theil diejes fünften Ban: 
des behandeln. — 1— 

Die europäifhen Staaten jeit dem Wiener Congreß, 
bis zne neueften franlo-fardifhen Deftrultions- u. Annerionspolitif. Nad) neue 
fin Quellen fiaatenweife gruppirt vom Berf. d. „italien. Gil Blase.” gr. 8. 
(IV u. 282 ©.) Regensburg, Manz. 

Bent, Joſ. Friedrih Gent u. die heutige Bolitif. 2. Aufl. 
gr. 8. (V u. 34 ©.) Wien, Wallishauffer’iche Buchh. 

— — über die Tagebücher v. Froͤr. Gen, u. gegen Barıha- 
gens Nachwort. (Ein Nachtrag zu der Schrift „Friedrich Gent u. die heutige 
Belitil.”) gr. 8. (64 ©.) Ebd. 

Look,F.Histoire de la restaursation 1816—1830. Paris, 
Le Grange. 

Bimmermann, Dr. Wilh., Geſchichte der Jahre 1840-1860 


264 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Zugleich e. unentbehrl. Kortfegung zu allen Aufl. von Dr. Karl v. Rottee 
allgem. Weltgeſchichte f. alle Stände. 2. Lfg. gr. 16. (&. 160-220.) Stut 
gart, Rieger. 

Sermanus, Herm., die Männer u. Ereigniffe der legten 
80 Jahre. Zum beffern Verſtändniß der Gegenwart wahrheitsgetren gefchil- 
dert u. erzählt. 2. Aufl. gr. 16. (326 ©.) Berlin, Reymann. 
© Nigelnadel, Baflor Dr. Fror. Aug., Geſchichte der neneſten 
Revolution. Dem deutſchen Volle erzählt. Hrsg. v. dem chriſtl. Vereine 
im nördf. Deutichland. 8. (X u. 105 ©.) Eisleben, driftl. Verein im nörbl, 
Deutichland. 

Kriedrih Bring v. Schieswig-Holftein-Noer, Aufzeid 
nungen aus den 3. 1848-1850. 2. Aufl. gr. 8. (IV u. 445 ©.) Züri. 
Meyer & Zeller’s Berl. 

Garnier, Pages, Histoire de la revolution de 1848. 
Tom. 1—5. 8. Paris, Gagnerre. 

Rüſtow, W., Geſchichte db. ungarifhen Infurrection“ 
frieges in den Jahren 1848 u 1849, m. Karten u. Plänen. 2. Bd. (409 ©.) 
gr. 8. Züri, Schultheß. 

Monate, fieben aus meinem Leben. KEpifoden aus dem it 
fienifchen Revolutious-Kriege des I. 1848. Bon e. k. f. Offizier. gr. 8. (128 ©.) 
Bien, F. Klemm in Comm. 

Lecomte Ferdinand, Le general Jomini sa vie et 
ses Ecrits. Esquisse biographique et strategique. 8. Lausanne Tanera, 

Pimodan, le general marquis Georges de... Souvenirs 
des campagnes d’Italie et de Hongrie. 2. edition. 12. Paris, Dentu. 

Bimodan, General Marquis v., Erinnerungen ans den Gelb 
zügen in Italien und Ungarn 1848 u. 1849. Nach der 2. franz. Aufl. 
übderf. v. Jul. Seybt. 8. (VIII u. 228 ©.) Leipzig, Gerhard. 


Kretzſchmar, A, Geſchichte Napoleon’s d. Dritten, Kaiſers der 
Franzoſen. Dem deutſchen Volle erzählt. 4. Bd. gr. 16. (VIII u. 207 ©.) 
Salztotten, v. Sobbe. 


Weigelt, Hauptm. ©., die Belagerung v. Sebaftopol 1854— 
1856. Mit befond. Berüdficht. der Thätigkeit der Artillerie bei derfelben nad 
den officiellen franzöf. u. engl. Quellen bearb. Mit e. (fith.) Plane der Um 
gegend n. e. (chromolith.) Plane der Angriffsarbeiten vor Sebaftopol (im Imp.- 
Fol.) Ler-8. (XVII u. 869 ©.) Berlin, Springer's Berl. 


Reife der Sferreigifhen Fregatte Rovara um bie Erde 





4. Gefchichte der neueren und neneften Zeit. 255 


in den 3. 1857, 1858, 1859 unter den Befehlen d. Commodore B. v. Wüller- 
Urbair. 1. ®d. gr. Lex.S. (XII u. 407 ©. m. eingedr. Holzichn., 18 Holz 
ſchutaf. in Tondr., 9 lith. Karten, wovon 8 in Buutdr., 1 Steintaf. n. 1 Tab. 
in Ler.-8., qu. 4. u. qu. Fol.) Wien, Gerold’s Sohn in Comm. 


Döllinger, Joh. Iof. Ign. v. Kirche m. Kirchen, Bapfttyum 
u. Kirhenftaat. Hiftorifchepolit. Betrachtgn. 2. unveränd. Abdr. 8. (XLV 
n. 684 ©.) Münden, liter.-artift. Anft. 


Sriejinger, Thor, Myfterien d. Vaticans od. die geheimen n. 
offenen Sünden d. Papſtthums. Zeit- u. Gefchichte-Bilder. 2 Bde. 2. unveränd. 
Abdr. 8. (IV u. 795 ©.) Stuttgart, Gebr. Mäntler. 


Jürgens, Dr. 8, Dentfhland im franzöfifh-fardinifhen 
Kriege, vom Barifer Congreß 1856 bie zum Frieden v. Billafranfa 1859. 
2., wohlfeile (Zitel-)Ausg. gr. 8. (XV und 610 ©.) Bafel 1860, 1862 Bahn 
maier. 

Bergleihendbe Anfichten, üb. den Krieg in Stalien im 9. 
1859, m. befond. Beziehg. auf die Ereigniſſe bis zum Rückzuge der Oeſterrei⸗ 
her nad der Schlacht v. Magenta, u. ergänzende Bemerkgn. üb. die franzöf. 
Armee. 8. (66 ©.) Glogau, Flemming. 


RNüſto w, Oberfl-Brigadier Wilh, Erinnerungen aus dem ita- 
lienifhen Feldzuge v. 1860.2 Thle. Mit e. (lith.) Briefe Garibaldi's in 
Faeſ. gr. 8. (XU u. 571 ©.) Leipzig, Brodhaus. 


— — der italienifhe Krieg 1860 politifch-militärifc befchrieben. 
Dit 7 — 8 Karten u. Plänen. (Des „italieniichen Krieges“ 2. Band) gr. 8. 
620 ©. 8 lith. u. coler. Karten im gr. 4. n. %ol.) Züri Schultheß. 


Rustow W., La guerre italienne en 1860 etc. traduite 
de l’Allemand par J. Vivien. 8. avec atlas. Paris, J. Cherbuliez. 


Richter, Hauptm. Fror. Robile v., Geſchichte der öflerreihifd: 
flevifhen w.deutfhen Freiwilligen u. ihrer Kämpfe im Kirchenſtaat 
im 3. 1860. Nebſt 2 (Iith.) Plänen (in Fol. u. qu. Fol.) gr. 8. (VII 1.1266.) 
Mainz, Kirchheim. 


Koſſuth, Mazzini, Garibaldi. Leben und Sterben diefer freien 
Männer d. Tages, offen und frei dargeſtellt v. den Tagen ihrer Jugend bie 
anf die füngfte Gegenwart nebft e. vertraul. geheimen Rüdiprache m. dem Lefer 
zum Odlufie. gr. 8. (48 ©.) Wien, Mechithar.Congr.⸗Buchh. in Comm. 


Renchlin, Herm, Lebenebilder zur Zeitgeihiäte IL Ge 


256 Ueberficht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


ribaldi und die Alpenjäger. Den Herzhaften unter der deutjchen Jugend gewib« 
met. gr. 8. (VI u. 115 ©.) Nördlingen, Bed. 


Grabowski, Stanisl. Graf, Hiftorifhe Bilder. 4. Bd. 8. Berl 
1862, Bad. Inhalt: Cavour u. Garibaldi. (248 ©.) 


Bazancourt. Les expeditions de Chine et de Cochin- 
chine d’apres les documents officiels. 1. partie. 1867—1858. 8. Paris, 
Amyot. 

Charles de Matrecy. Journal de la campagnede 
Chine 1859 — 1861. prec&de d’une preface par Jules Noriac. 2 vol 8. 
Paris, Dentu. 

®riefinger, Dr. Thor., das politifhe Welttheater. Eine pe 


puläre Darftellg. der polit. Lage Europas ſeit Napoleons Thronbefteigg. Nebſt 
den Portraits u. Lebensbeſchreibgn. der berühmteften jetst lebenden Männern. 
Jahrg. 1860. 5. u. 6. Lg. gr. 16. (IV ©. u. 8. 821—504 m. Bortr. in 
Holzſchn. Schluß). Jahrg. 1861. (In 6 Ffgn.) 1. Lig. gr. 16. (&. 1—64 m. 
1 fith. u. color. Karte in qu. 4.) Stuttgart, Gebr. Mäntler. 

Dertel, Dr. Fror. Mar., das Jahr 1860. 4. Nachtrag zur 2. Aufl. 
der genealog. Tafeln. d. 19. Jahrhunderts. 12. (62 ©.) Meiſſen, Moſche. 

Berthold,®.,Weltereigniffe. (1860) Ein geſchichtliches Gedenlbuch 
f. Alle. Mit Abbidgn. 8 — 10. (Schluß-)Efg. 4. (S. 113 — 158 m. 3 color. 
Steintaf.) Dresden, Breyer. 

Schult heß, H, europäifher Gefhidhtsfalender. 1. Jahrg. 
1860. Mit einem Vorworte von Heinr. v. Sybel.gr. 8. (VII u. 262 ©.) 
Nörblingen, Bell. 

Das Staatsardhiv. Gammlung der officiellen Altenfiüde zur Ges 
jhichte der Gegenwart. In fortlaufenden monatlichen Heften herausgegeben von 
Ludwig Karl Aegidi und Alfred Klauhold. Bd. I. Juli —Decem⸗ 
ber. 1861. (S. 484.) Hamburg bei Otto Meißner. 

Es ift eine der treffenden Bemerkungen Robert von Mohl's, wenn 
er eine Aehnlichkeit der Staatswiſſenſchaften mit den Naturwifjenkchaften 
darin erblidt, daß für beide der Stoff nie geſchloſſen jei, vielmehr immer 
neue Thatfadhen, die theoretiſch bemeiftert werden müflen, von allen Sei⸗ 
ten zuftrömen, nicht bloß neue Gefege, Verhandlungen zwiſchen mehrer 
Staaten , jondern auch ftatiftifhe Nachweiſungen im weitelten Umfange, 
geichichtliche Thatſachen aller Art, 

Um die Möglichkeit einer Bewältigung dieſes Materiald zu Gunften 
der Staatswiſſenſchaften herbeizuführen, hat man bereit3 vielfach überſicht⸗ 
lihe Sammlungen des neuen Wiſſensſtoffs zu veranftalten geſucht. Auch 





4. Gefchichte der ueuern und neneften Zeit. 257 


das Staatsarchiv ift ein Verfuh in diefer Richtung, und zwar, wie 
bei der Berjönlichleit der beiden Herausgeber nit anderd zu erwarten 
war, ein fehr dankenswerther und glänzender, obgleid oder vielmehr weil 
die Anlage des neuen Unternehmens fih von allen frühern ſehr weſent⸗ 
lich unterſcheidet. Es wäre an fi ein nicht verwerfliher Gedanke geweſen, 
anfnüpfend an das Beilpiel Englands, Frankreichs und Amerikas, die ſaͤmmt⸗ 
lihen neuen Thatſachen, die fih auf den Gebieten der Geſetzgebung, der 
internationalen Verhältniffe, der Statiftif und Geſchichte ergeben, zu einem 
überfichtlihen Lejebuche zu verarbeiten. Indeſſen einmal würde dergleichen 
bei den ftaatlihen Zuftänden Deutſchlands auf ganz unüberwindlihe Schwie- 
rigleiten geftoßen fein, und außerdem kommt es gerade darauf ar, daß das 
urtundlihe Material möglichft vollftändig und möglichft bald der allgemei- 
nen Benupung zugänglid gemaht werde. Es muß deshalb durchaus ge 
billigt werden, wenn die Herausgeber von aller Verarbeitung abitrahirend 
ihre Idee auf ein neues Quellenwerk gerichtet haben, welches in monat 
lien Lieferungen erjcheinend die Betbeiligten foweit möglih auf dem Lau⸗ 
fenden der Greigniffe erhält. Au mit der Auswahl des Materials wird 
man ſich allfeitig einverftanden erflären können; an fi würde man einer 
Sammlung der „officiellen Attenftüde der Gegenwart” einen fehr viel wei⸗ 
tern Umfang zufchreiben müflen ; wie aber die Herausgeber biöher vie 
Aufgabe gefaßt haben, jo handelt e3 fich vorzugsweife um die Mittheilung 
internationaler Urkunden, nicht bloß völterrechtlicher Verträge, fondern nor: 
zugöweije diplomatiſcher Noten, Depeihen u. ſ. w., für welche es auf ver 
einen Seite am wenigften ein ſolches Sammelwert giebt, während doc 
andererjeit3 ein eigenthümlicher Vorzug unferer Zeit darin befteht, daß 
diefelben in ziemlich weiter Ausdehnung zur Deffentlichleit in den Zeitums 
gen gelangen; nur dur ein ſolches Unternehmen wird aber der Gefahr 
vorgebeugt, daß nicht dieſe Attenftüde ebenfo in den Zeitungen vergraben 
werden, wie früher in den Archiven. E3 bezieht fih auf diefe Weiſe uns 
fere Sammlung ebenjogut auf die orientaliihen Verhaͤltniſſe, die englisch: 
amerilanifhe Differenz, die Domingo: und merilanifhen Angelegenheiten, 
wie auf die in Europa anhängigen Fragen, von der italienifhen, polnifchen, 
dentfchbänifchen bis zur ſavoyiſchen, der Angelegenheit des Dappenthals, 
dem Bille-la-Grande Vorfall; und aud die amerilanifhe und deutſche 
Frage gehören bei den eigenihümlichen Berhältnifien dieſer Länder weſent⸗ 


lich in das Internationale Gebiet. In Bezug auf dieſen feinen Hauptin⸗ 
Htheriige Zeitfarift. VIL N. 17 


268 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


halt ſchließt fi alfo das Staatsarchiv an folde Unternehmungen an, wie 
Faber’3 europäifhe Staatskanzlei, oder die in Stuttgart längere Zeit er 
ſchienenen archives diplomatiques, bie 1833 mit dem 36ften Bande 
geſchloſſen wurden, und ähnliche Werke, fie alle aber durch Reichhaltigkeit 
und Schnelligleit der Mittheilung übertreffenn. Es ift nun aber doch nid 
ausfhlieplih die auswärtige Politik und das Voͤlkerrecht, für welche bier 
gejorgt wird, fondern abgefehen davon, daß mande ver mitgetheilten 
Berträge für nationalölonomifche, namentlich) handelspolitifche Verhaͤltniſſe von 
großer Bedeutung find, jo findet auch die innere Bolitit und das Staats⸗ 
recht durch die Mittheilung von Thronreden, Manifeften u. |. w. vielſach 
feine Rechnung. Es wird fogar beabfihtigt eine kurze Chronik der Zeit. 
ereignifie jedes Jahres hinzuzufügen. So hat es denn den Anfchein, als ob 
bier der Grund zu einem Unternehmen gelegt wäre, welches in fortfchreis 
tender Vervolllommnung ein Quellenwerk erften Ranges für vie Zeitger 
Ihihte werden Tann. Auch die äußerlihe Anorbnung läßt Nichts zu 
wünſchen übrig; es werben immer möglichft viele Altenftüäde derſelben Art 
zufammengefaßt, die weitere Ueberſicht erleihtern die Regiſter. Die deut 
fen, engliihen und franzöfifhen Altenftüde erſcheinen im Original, die 
übrigen in der Weberjegung, und zwar in deutſcher, was wenigſtens vor⸗ 
läufig ganz richtig ift, wenn es auch der buchhändlerifchen Berbreitung 
einigen Eintrag thun folltee Im Ganzen wird bei ben einzelnen Gegen: 
ftänden nicht viel über die unmittelbare Gegenwart zurüdgegangen , eine 
Ausnahme ift bisher hauptfählih nur geſchehen durch Mittbeilung ber 
engliſch⸗ruſſiſchen Correfpondenz bei Gelegenheit der polniſchen Frage; eb 
was Aehnliches wird bereit3 für die ungariſche Verfafjungsfrage in Aus⸗ 
ſicht geftellt, mo es fogar auf ein umjfafjendes Urkundenbuch abgefehen zw 
fein fcheint. E. M. 


5. Beutfche Geſchichte. 
L.. Allgemeine beutfhe Geſchichte. 


Sorfhungen zur beutfhen Geſchichte. Herausgegeben von 
der Hiftorifchen Commifflon bei der königlich bayerifchen Akademie der Wiſſen⸗ 
fchaften. 8. Bd. 1. Heft 2. (S. 166-410.) Bd. 2. Heft 1. (8. 1—292.) 
Göttingen, Verlag der Dieterichfchen Buch. 

Ueber Blan und Zwed diefer Sammlung biftoriiher Monographien 


bat die biftor. Zeitfchrift im vergangenen Jahre berichtet und die babe 





5. Deutiche Geſchichte. 259 


Bedeutung dieſes Unternehmens gewürdigt. Wir können daher diesmal 
und begnügen nur einen kurzen Bericht über die feither erfchienenen zwei 
Hefte zu geben, bei dem wir freilich nur referiren wollen. 

% Rofenftein giebt eine Unterfuhung über das Verhältniß 
zwifhen Olympiodor, Zoſimus und Sogomenuß, vornehm⸗ 
lich in Rückſicht auf die Ereigniffe der Jahre 407—410 ; er kommt da: 
bei zu dem Grgebnifle, daß dieſer Theil der Erzählung des Zofimus faft 
ganz aus dem Dlympiodor, einem Schriftiteller des 5. Jahrhunderts jelbft, 
entnommen ift: daß aus derjelben Quelle des Olympiodor auch zum 
Theil die Darftellung des Sozomenus geflofien, der aber daneben noch 
das Werk des Sokrates benugt habe. Dieje ftreng methodiſch geführte Un: 
terfuchung wird gewiß überall Zuftimmung finden; auch für den thatſäch⸗ 
Hohen Berlauf der Geſchichte bietet fie unferer Erkenntniß manchen werth⸗ 
wollen Beitrag, jo beſonders über Alarich und über Stilicho. Wir glauben 
tm ihr eine Vorarbeit des Verfs. zu einer größern Darftellung jener Epoche 
fehen zu dürfen. — Ad. Soetbeer liefert Beiträge zur Geſchichte 
des Beld- und Münzweſens in Deutfhland In dem erften 
Abſchnitt: „Das Geldweſen der Germanen bis zum Untergang des meitrös 
miſchen Reiches” gebt der Verf. davon aus, daß in ber älteften Zeit Vieh 
das Taufchmittel gemweien, daß dabei die Kuh als Wertheinheit, gleih dem 
fpäteren solidus, gegolten habe. Daneben aber zeigten ſich doch ſchon bei 
Caſar Spuren, daß die Germanen auch Metallgeld von den Römern ans 
genommen ımb jelbft gebrandt hätten. Neben dem Viehgeld weift der Verf. 
nämlich au den Gebrauch von fog. „Ringgeld“ nah , zu weldem bie 
Germanen durch auswärtige Handelsleute meiſtens das Gold eintaufchten, 
Für diefes Ringgeld ließe ſich aber kein beftimmtes feſtſtehendes Gewichts⸗ 
foftem nachweiſen, jondern die Größe und Schwere ver Ringe ſei nad 
jedesmaligem Bedurfniß abgemeflen worden. Sonft hatten die Germanen 
allerdings ein Gewichtsſyſtem, und zwar leitet die H. Soetbeer von dem 
in den griechiſchen Colonien an der Norbküfte des fchwarzen Meeres berrs 
ſchenden ab. Schließlich weiſt der Verf. die Annahme zurüd, daß in 
ven ſog. „Regenbogenihüfielhen” die Anfänge des deutfchen Mimzweſens 
zu ſuchen feien ; diefe will er vielmehr als eine teltiihe Müngjorte angeje 
ben wiflen. Im zweiten Abfchnitt entwirft der Verf. eine kurze Skizze des 
zömiihhen Münsiuftems feit Eonftantin, um daran eine Schilnerung bei 
Mangocſens angulnüpfen,, wie es fid) bei den im römischen Reiche anges 


260 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


fiedelten germanifhen Stämmen vorfindet: er zeigt dabei den vorzugb⸗ 
weiſen Gebrauch des Eilbergelves bei Bandalen, Oſt⸗ und Meftgotben, 
Burgunden und Longobarden. Die ganze Abhandlung erſcheint als ein 
böchft werthvoller Anfang einer größern Arbeit über die deutſchen Mün- 
zen, auf deren Fortſetzung mir gefpannt find. 

B. E. Simſon in feiner Abhandlung: Der Poeta Saro und 
der Friede zu Salz will nadhmeifen, aus welchen Quellen der ans 
nyme ſächſiſche Dichter, der ung Karls des Großen Thaten am Ende bed 
neunten Jahrhunderts befchrieben, gejhöpft habe. Bis zum Ende des Zah 
res 801 fei er den Annales Einhardi gefolgt, ftellenweife auch mit 
Zuziehung der vita Oaroli; von da ab laſſe fih eine Belanntfchaft 
mit jmen Annales nidyt mehr nachweiſen; es heine hier eine andere 
Quelle zu Grunde zu liegen; und dieſe aufzufinden, dient dem Verf. deum 
ber Bericht des Poeta über den Frieden zu Salz (ad a.803). Cine ähnliche 
Mittheilung nämlich zeigt fih in den Quedlinburger Annalen, die vorzugs« 
weiſe auf Hersfelver, aber daneben auch aufandern Aufzeichnungen beruben; 
zu diejen meint der Verf. gehörten auch balberftädtijche Quellen, viel⸗ 
leicht fogar ein Dokument, dad von dort datirt, die Ablieferung der Zehn⸗ 
ten anordnete. Dieje halberftädtiihen Gejchichtsquellen feien dann ſowohl 
von dem Quedlinburger Annaliften als aud von dem poeta Saxo be 
nugt worden, welche lettere Benutzung aud im folgenven zu beweifen ber 
Berf. die Berichte deſſelben noch weiter kritifirt. Wir gewinnen aljo durch 
biefe Abhandlung einen weiteren Ginblid in die Art und Weiſe, wie bie 
Annalen und Chronifen de3 Mittelalter gegenfeitig in der engiten Bezie⸗ 
bung und Abhängigkeit von einander ftehen. — Adolf Cohn „Ueber 
zwei Greignijfe des Jahres 1180" Tiefert den Nahmeis, daß 
Herzog Cafimir von Polen im Spätherbft 1180 geftorben, daß aljo ver 
Bericht der Begauer Annalen hierüber richtig und die dagegen angeführte 
Urkunde vom 6. uni 1181 falſch fei. — Bei der Erzählung von ver Be 
lagerung der Feſte Segeberg durch Heinrich den Löwen zeigt fi dagegen 
der Pegauer Annalift zwar in Einzelnheiten ungenau, über das Gange aber 
gut unterrichtet, — Diefe beiden Ausführungen find die Beweife, die Herr 
Cohn früher bei einer Recenfion in den ©. ©. X. ſchuldig geblieben. 

Chr F. Stälin theilt ein Verzeihniß der Aufentbaltsorte 
Kaiſer Marimilians L feit feiner Alleinberrfhaft 1493 
bis zu feinem ode 1519 mit, das fowohl auf die gebrudten Werke 





4 


5. Deutſche Geſchichte. 261 


als mande noch ungenrudte Urkunden geftügt iſt. Es foll eine Grundlage 
zu einer genauen betaillirten Gefchichte dieſes Kaiſers bilden; und demge⸗ 
mäß fordert der bochgeehrte Herr Verf. zu weiteren Beiträgen zu diefer 
feften Grundlegung auf. Als Anhang ift ein Auszug aus dem Itinera⸗ 
rium 8. Ferdinands I. von Gevay, einem nit in den Buchhandel ge: 
Iommenen Werte, beigegeben. 

Zum Schluß des Heftes theilt Herr Prof. W. Havemann einige 
Beiträge aus dem koͤnigl. hannöverſchen, dem molfenbüttelihen und göt: 
tingifchen Archive mit: über das Auftreten Zillys in Nieder: 
fahfen Wenn Herr D. Klopp im 1. Hefte aus dem osnabrüdifchen 
Archive Mittheilungen gemacht, nah denen Tilly Zucht und Gehorfam in 
feinem Heere gehalten und möglichſt fhonungsvoll aufgetreten fein jollte: 
fo wird allerdings dem urkundlihen Nachweis gegenüber für diefen 
Hall dies als richtig zuzugeben fein; aber damit ift doch keineswegs dar: 
getban, daß auch fonft überall Tilly fih und fein Heer in den Grenzen 
der Zucht und Ordnung gehalten. H. Havemann weift hier dad ſchonungs⸗ 
loſe Auftreten des ligiſtiſchen Heeres in einzelnen Fällen urkundlich nad). 
An dem Gefammtrefultat, das längft urkundlich feitgeftanden und hierdurch 
aufs Reue beftätigt wird, ändert fi durch Herrn Klopps Ausführungen alfo 
faſt nichts. Wie es übrigens mit Herrn Klopps hiftorifcher Kritik ausfieht, thut 
Herr Havemann ebenfall3 durch eine Beleuchtung feines Verfahrens mit den 
Berichten des Theatrum Curopäum dar. Der Verſuch des Herm D. Klopp, 
ſich in den biftorifdh > politifchen Blättern dagegen zu rechtfertigen, muß 
als völlig gejcheitert betrachtet werden. Durch eine ermüdende Wiederho⸗ 
Iung feiner Behauptungen an allen möglichen EStellen wird ihm ein Be- 
weis derfelben ficher nicht gelingen, wie er e3 zu erwarten ſcheint. 

Das 1. Heft des 2. Bandes der Forfhungen enthält zwei fehr be: 
deutende Arbeiten: W. Bifher, Geſchichte des ſchwäbiſchen 
Stäpdtebundes der Yahre 1376—1389, die auf den Urkunden 
des ftuttgarter und basler Archives beruht ; und von dem verftorbenen Stadt: 
direltor Bode in Braunfhweig eine Geſchichte des Bundes der 
Sachſenſtädte bis zum Ende des Mittelalters, mit Nüd: 
ſicht anf die Territorien zwilhen Wejer und Elbe, welche Herr Profeffor 
Baig aus dem reihen handſchriftlichen Nachlaſſe des Berf. ausgehoben 
und zufammengeftellt bat. — Weber beide Schriften hoffen wir in Kurs 
gem ned eine eingehende Kritit Tiefern zu können, M. 


262 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literetur von 1861. 


Anzeiger für Kunde der deutſchen Borzeit, Organ b. ger- 
man. Muſeums. Red.: Dr. Frhr. v. u. zu Auffeß, Dr. U. v. Eye, Dr. 
® 8. Srommann u. Dr. Schr. Roth dv. Schredenflein. Neue Folge. 
8. Zahrg. 1861. 12 Nrn. (B.) Mit Beilagen. gr. 4. Nurnberg, Titer.artif. 
Anft. d. german. Muſeums. 

Das germanifhe Nationalmuferm und feine Sammlungen, 
Wegweifer f. d. Beſuchenden. Mit Abbildungen u. Plänen. gr. 8. (IV u. 60 S. 
m. eiugedr. Holzſchn. u. 1 Steintaf. in Imp.Fol.) Nümberg 1860, Titer.ar- 
tift. Anftalt d. german. Muſeums. 

Pfahler, Georg, Geſchichte ber Deutfhen von den Alteken 
Zeiten bie anf unfere Tage. In drei Bänden. Erſter Band bis auf Karl 
ben Großen. (VII u. 683 S.) Stuttgart, Gebr. Scheitlin. 

In diefem erften Bande liegt eine Geſchichte der Deutfchen im 
weiteiten Umfange des Wortes vor. Die Geihide und Staatenbilbuns 
gen fämmtliher deutichen Stämme werben zu gejonverter und eingehen 
der Darftellung herangezogen. Daß ein jo umfangreicher Stoff in einem 
Bande bewältigt werben Tonnte, läßt von ſelbſt hm auf einen gebrängs 
ten Bericht und auf die Abweſenheit kritiſcher Einzelunterſuchungen ſchlie⸗ 
fen. Es ſcheint auch nicht ſowohl in der Abſicht des Verſaſſers gelegen 
zu haben, über dunkle und ſtreitige Partieen der Geſchichte neue maaß⸗ 
gebende Reſultate zu gewinnen, als vielmehr den Zujammenhang aller 
Begebenheiten, welche fi an das Auftreten der Germanen bis zum Ytem 
Jahrhundert unjerer Aera nüpfen, in möglichiter Meberfichtlichleit umb 
erihöpfender Zufammenfaflung dem Leſer vorzuführen. Legtere Abficht iR 
gelungen und der vorliegende Band ift als ein brauchbares Handbuch zu 
empfehlen. Trotz der Fülle des Stoffs ift die Darftellung der Greignifle 
meiftens lichtvoll, die Charalteriftit lebendig und mande gute Gedanlen 
über Urfahe und Wirkung der vorgeführten Begebenheiten begegnen uns. 
Beſonders felbftändig gearbeitet fanden wir den Abſchnitt, welcher die Käm⸗ 
pfe zwiſchen Römern und Germanen zur Zeit ber erften römifchen Kaifer 
behandelt, Sowohl die römische Politit den Germanen gegenüber, wie bie 
Parteiungen unter den legteren hat der Berfafier ſcharf gezeichnet. Weber 
Urgefchichte, Urfprung und Namen der einzelnen deutſchen Stämme find 
bingegen Leo's zweifelhafte NRefultate mit zu großer Zuverfichtlichleit bes 
nust. Während fich fonft, jogar bei der Beurtheilung bes Vandalenkoͤnigs 
Geiferih, des von der Nachwelt vornehmlih um feines Arianismus wil- 
len Berrufenen , eine erfreuliche Unpazteilichleit geltend macht, bat Her 





5. Deutihe Geſchichte 268 


Pfahler bei der Schilderung bes fintenden Roms zu einfeitig Gibbons 
grelle Farben entlehnt. Am mwenigften lönnen wir und mit der Behand: 
lung der fpeziell deutſchen d. h. der fränkifchen Geſchichte einverftanden ers 
Mären. Diefelbe ift zum größten Theile nur ein dürrer Auszug aus Gre- 
gor, Fredegar zc. ohne eigentlihe Verarbeitung. Sogar in der Daritel- 
lung der Karolingerzeit macht ſich eine große Dürftigleit geltend. Es hat 
uns gefreut, daß Herr Pfahler nicht in die jüngfte Canonifirung des h. 
Bonifazius als politifher Größe und diplomatiſchen Kopfes eriten Ranges 
eingeftimmt und im Einklang mit den Quellen den Sturz des legten Mes 
rovingers fi) ohne Zuthun des Bonifazius vollziehen läßt. Eine eigen: 
thuͤmliche Behauptung des Verfaſſers ift, daß die Verftoßung der Tochter 
des Defideriug ein Belenntniß Karls zu der nothwendigen fränkifchen Bo» 
fitit gewefen fei. An einer früheren Stelle übrigens beflagt der Berfafler 
den Sturz der mit ftaatenbildender Fähigkeit ausgerüfteten Langobarben, 
eine Weberwältigung , welde in der Folge nur die alleinige berrſchaft 
des romaniſchen Elements in Italien gefoͤrdert bat. 

Daß die fraͤnkiſche Geſchichte Herrn Pfahlers hinter der Erwartung 
zurüdbleibt, läßt ſich zum Theil aus der auffallenden Vernachlaͤſſigung der 
Berfaffungd: und Rechtsgeſchichte erllären. Wo er diefes Gebiet berührt, 
fehlen größere und Heinere Uinridhtigleiten nit. Den Unterſchied 3. B. 
zwiſchen den römifchen Läten und ben jpätern Liten überjieht er. Schon 
zur Zeit der erften Merovinger ſpricht er von einer Austheilung des Kron⸗ 
autes als Beneficium auf bevingte Zeit. Das gefammte Beneficials und 
Bafallenwejen der Karolingerzeit nimmt er jhon für den merovingischen 
Staat in Anſpruch. Er macht Karl Martell unbedingt für die Säculari- 
fation verantwortlich und feheint bei der Erwähnung der Visio Eucherii 
Rothe Notiz über den Tod des Eucherius drei Jahre vor Karl Martell 
zu überfehen. — Schlieplid möchten wir nody nah dem Prinzipe fragen, 
nach welchem beim Cingange der einzelnen Abſchnitte die Quellen und bie 
wifienkhaftlihen Bearbeitungen notirt find. So wird bei der Voͤlkerwan⸗ 
derung nur Gibbon citirt, bei der Geſchichte der Ausbreitung des Chri⸗ 
ſtenthums unter den Germanen Hefele, Ozanam, ©frörer erwähnt, Rett⸗ 
berg und Krafft verjchwiegen, und fo fort durch den ganzen Band in 
wunberlicher Weiſe. Nn. 

Duller’s, Ed., Geſchichte des deutfhen Volles. Böllig ums 
gearb. v. Bil, Bierjon. 3 Bde. gr. 8, (IV u. 16746.) Berlin, Klomann. 


264 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Rückert, Heinr., deutſche Geſchichte. 23. umgearb. Aufl. gr. 8. 
(XVI u. 712 ©.) Leipzig, T. DO. Weigel. 


Wirth, Mar, dbeutfhe Geſchichte von der älteften Zeit bie zur 
Gegenwart. 8—5. %g. gr. 8. (1. Bd. Deutſche Geſchichte im Zeitalter ger 
man. Staatenbildg. (XIV &, u. &.257—560. Schluß.) Frankf. a. M. Exped. 
bes Arbeitgeber. 


Daß die beutihe Geſchichte von Mar Wirth den ftrengeren Anfors 
derungen des Fachhiſtorikers Tein Genüge leiften werde, ließ ſich ſchon 
aus den vom Perfaffer in der Einleitung aufgeftellten „Entwidlungsge 
fegen” erkennen. Geſchichte fchreiben um gemifle vorgefaßte Doltrinen zu 
bewahrheiten, bleibt immerhin eine mißlihe Sache, und je geiftvoller der 
Berfaffer feine Aufgabe Löft, deſto mißlicher ift der Standpunkt des hiſto⸗ 
riſchen Kritilers feinem Werle gegenüber. Der als nationalölonomiicher For 
ſcher rühmlic bekannte Schriftfteller hat in dem vorliegennen Bande, ber 
bis Jum PVertrage von Verdun reiht, nicht nur manche intereffante Zus 
fammenftellungen auf „dem Gebiete der Culturgeſchichte geliefert, fondern 
aud feine Forfhung auf einzelne bisher wenig beachtete Punkte der ältes 
ven deutihen Gefchichte, (wir erinnern bloß an die vollswirtbichaftlichen 
Buftände der fränkiihen Weltmonardie), gerichtet. Daß er von feinem 
Standpunkte aus moderne Anjhauungen und Beurtheilungen als Maaßſtab 
früherer Jahrhunderte anwendet, zur Erklärung älterer Inftitutionen, wie 
der fränkiſchen Neichstagsverfammlungen moderne Analogien aufſucht und 
über geiftreihe Analogien die charakteriftiichen Unterfdhiede aus den Aus 
gen verliert, ift wohl begreiflih. Ebenjo wundern wir uns nicht, wenn er 
über Perioden, welche wie die merovingiſche feinen Spezialforfhungen wer 
nig Material bieten, raſch hinweͤgeilt. Nur die Zeit der Germanenlämpfe 
mit den Römern madt in diefer Hinficht eine glüdlihe Ausnahme. Ein⸗ 
zelne Schilderungen wie z. B. die der Alemannenſchlacht vom Jahre 357 
find friſch und anfhaulid. Die größte Sorgfalt hat der Verfaſſer in dem 
vorliegenden Bande der Darftellung von Karl innerer Verwaltung ges 
wibmet und es ift bezeichnend, daß der geſchichtsforſchende Nationalölonom 
bei aller Verherrlihung Karl des Großen zu dem Refultate gelangt, daß 
die fchließlihe Wirkung jener gefeierten Politik des erſten Frankenkaiſers 
fih in vollswirtbfchaftlicher Hinficht als eine durchaus verderbliche erweiſt. 
Sn der Grledigung vechtähiftorifcher Fragen fchließt der Verfafler fich un: 





5. Deutſche Geſchichte. 265 


bedingt an Roth an. Prinzipielle Abneigung gegen PBapfttbum und Hie 

rardhie verleitet ihn manchmal zu Ungenauigkeiten,, fo zu der Aufnahme 

der längft widerlegten Behauptung über die faljhen Dekretalen, al3 einer 

von Rom auögegangenen ſchon im 8. Jahrhundert entftandenen Faͤlſchung. 
Nn. 


E. 3. Souhay. Geſchichte der dbeutfhen Monardie von 
ihrer Erhebung bie zu ihrem Berfall. Erſter Band. Geſchichte der Karo 
Iimger und der Ottonen. XVI u. 640 S- Zweiter Band. Geſchichte der Sa⸗ 
lier und ber SHohenftaufen. XVI u. 788 S. Dritter Band. Gefcichte des 
Wahlreichs und der Luxemburger. XVI u. 696. Frankfurt a. M., Sauer- 
länder’8 Verlag. 8. 


Es ift oft gejagt und beflagt, daß mir einer allgemeinen deutſchen 
Geſchichte entbehren, die dem jetigen Standpunkt der Wiſſenſchaft ent: 
ſpraͤche und in etwas ausgeführter Darftellung unferem Volt ein Bild. 
feiner Vergangenheit gäbe. Wiederholt find Verfuhe dazu gemadt; aber 
teiner kann als gelungen gelten, und wenn wir auch bereitwillig das Gute 

. anertennen, was einzelne fürzere und populäre Darftellungen in ihrer Art 
haben, etwas höher gehenden Anſprüchen ift fiher nicht genügt. Wie in 
dem großem Sammelwerk der Geſchichten der Europäiſchen Staaten bie 
Bearbeitung der Deutichen, mit am erften vollendet, längjt als eine der 
wangelbafteften gilt, jo ſteht e8 in der Literatur überhaupt. Bücher von 
fo untergeorbneter oder einjeitiger Bedeutung wie die von Duller, W. Mens 
zel, Wirth befinden fi) in den Händen ver Menge; Pfaff, der dieſen je 
denfalld weit vorzuziehen, ift nicht fertig und befriedigt höhere Anſprüche 
auch nit; Nüdert hat nur einen Abriß gegeben, dem es an Streben 
nach wiſſenſchaftlicher Auffafjung nicht fehlt, aber theils an ruhiger Darles 
gung des Ginzelnen theild an fcharfer Hervorhebung des Weſentlichen; 
Leo's Borlefungen aber gewähren wohl für den, der die deutſche Geſchichte 
tennt, manches Anregende und Intereſſante, namentlich in dem legten Bande, 
find aber im höchſten Grave ungleihartig und voll einfeitiger und will» 
fürliher Annahmen, fo daß der in der That übel führe, der ſich aus biefem 
Bud ein Bild von dem Gang des deutſchen Lebens zu machen unter: 
wähme. Die Urfahen dieſes Standes der Dinge liegen am Ende auch 
wohl zu Tage. Die Aufgabe ift größer, ſchwieriger, als vielleicht irgend 
eine andere, die unſere Wiflenfchaft ftell. Es ift in neuerer Zeit nicht 
wenig geichehen, um eine würbigere Loſung vorzubereiten; aber es fehlt body 


266 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


febr viel, daß fie num mit Ausficht auf Erfolg unternommen werben koͤnnte. Die 
alte Weberlieferung ift erſchüttert, als ungenügend dargethan; doch bie 
Forſchung vieler Orten nicht zu abſchließenden Nefultaten gelommen. Wide 
tige Seiten des Leben? hat man erit angefangen eingehender zu ſtudiren. 
Selbft die Belanntmahung der Quellen, fo große Yortfchritte fie auch ge 
macht, bat doch noch unendlich viel zu thun vor ſich, wie die in den leg 
ten Jahren begonnenen Unternehmungen binreihend zeigen. Unter biejen 
Umftänden gebt offenbar eine Bearbeitung der Deutihen Geſchichte im gan⸗ 
zen Umfang aus felbitftändigem Studium über bie Kräfte des Einzelnen hin 
aus, während wir freilih zujammenfaflender, auf die Einzelarbeiten fi 
ftügender Schilderungen immer bebürfen werden, und auch größere Ab» 
ſchnitte wohl zu ausführliher Darftellung Anlaß bieten und wenigftens 
eber die Möglichkeit einer wirklich wiſſenſchaftlichen Behandlung geben. 

Die große Periode der Geſchichte des Reichs in feiner Macht umb 
Größe hat Giefebreht zu behandeln angefangen und ein Buch geliefert, 
das, wie man auch mandes vermifien oder anders wünſchen mag, mit 
Recht lebhafte Sympathieen gefunden hat. Aber es ift freilich ſelbſt nur 
geeignet, das zu beitätigen, was über die Schwierigkeit einer ſolchen au 
für weitere Kreiſe beftimmten Darftellung gejagt ift: das Werk fchreitet 
viel langjamer vorwärts und erhält einen bedeutend größeren Umfang, als 
der Verf. zu Anfang gedacht und gewollt hat. Ich halte vie Ausführlich⸗ 
feit keineswegs entſchieden für einen PVortheil, und neben diefem Buch iR 
offenbar Raum zu andern nidt fo in epifcher Breite fih ergebenden Dar 
ftellungen. - 

Eben eine folhe nun für einen längeren Zeitraum, die Zeit wo 
überall das Königthum oder Kaifertbum in Deutſchland etwas bedeutete, 
unternimmt das Wert von Souhay. Bon Karl bis Marimilian wird 
die Zeit der deutſchen Monarhie gerechnet, wenn aud der legte Theil 
derſelben als ein foldher gilt, wo dieſelbe tief erfchüttert war und man 
nur nod an eine Erhebung vom Fall denken konnte: eine Möglichkeit, wie 
feit Karl V. und feinem Perhalten zur Reformation als befeitigt anges 
ſehen wird. Auch das ift eine gewaltige, umfang: und inhaltreihe Auf: 
gabe, erheblih mehr als Giefebrecht fi vorgefegt hat, der nur bis zum 
Ende der Staufer die eigentlihe Erzählung zu führen gebenlt : wer fie zu 
loͤſen vermödhte, hätte Großes gethan, für die fehlende Deutſche Geſchichte 
in einem vorzugsweiſe wichtigen Theil Erſatz geboten. 





5. Deutiche Gedichte. 267 


Herr Souchay bringt ernften Willen und tüchtige Eigenfchaften mit. 
Er ift von Acht patriotiſcher Gefinnung, es ift ihm um Wahrheit und Er: 
lenntniß der Dinge, wie fie waren, zu tbun, und er bemüht fich redlich, 
diefe zu erlangen. Er befitt aud eine gründliche juriftifche und biftorifche 
Bildung und hat fich in eingehender umfaſſender Weife mit den Quellen und 
Bearbeitungen der deutſchen Geſchichte beichäftigt. In einer Reihe von Jah⸗ 
ren von Amtsgejhäften freier Muße hat er ein Werk ausgearbeitet, das 
nun in rajcher Folge erjcheint, fo daß doch wahrſcheinlich zu einer legten Ueber: 
arbeitung, aud die neueften Monographien benugt werben. 

Drei ftarle Bände liegen vor, welche ven weitaus größeren Theil 
der erwähnten Periode umfaflen und nur reihlih 50 Jahre für den letz⸗ 
ten Band übrig lafien. Nach dieſen wird ſich jedenfalls ein Urtheil über 
das Ganze bilden lafien, und bezieht fih das, was ich hier ausfprechen 
muß, auch vorzugäweife auf die erfte Hälfte und läßt zu näher eingehen: 
den Bemerkungen über andere Theile Raum, fo glaube id doch, daß daſ⸗ 
felbe im Allgemeinen fich überall weſentlich glei bleiben muß. Und zwar 
lann id nur jagen, daß die Wuͤnſche und Erwartungen, die man hegen 
mochte, nicht recht befriedigt worden find. Ich erwartete eine, daß ich fo 
fage, von praltiſch⸗politiſchem Standpunkt aus entworfene Darftellung, das 
Weſentliche ſcharf hervorgehoben, das Detail, das nothwendig erjcheinen 
mochte, anſchaulich und gut erzählt, nicht gerade neue Studien, aber eine 
kritiſche Benugung der neueren Arbeiten und Zufammenfaflung ihrer Refultate, 
Das Leste ift wohl noch am meiſten der Fall; doch fteht Altes und Neues 
oft recht wunderlich und unvermittelt neben einander, und wenn man auch 
gewiß weit entfernt davon fein muß, unfere älteren Reichshiſtoriler gering 
zu achten und überall al3 veraltet und übertroffen anzufeben,, fo ift doch 
die Art wie bier, nicht ſowohl Leibniz, Mafcov, Hahn, ala Pfeffinger, Schmibt, 
Job. Müller u. a. benugt und angeführt werben, eine ziemlich auffallenve; 
namentlih Schmidt hat vieler Orten eine Beachtung gefunden, zu der 
beſonders in den älteren Theilen feine Deutſche Gefchichte wenig Anlaß giebt. 
Das Urtheil über Berfonen und Dinge ift ganz gefund und fordert nur fel- 
ten zu entſchiedenem Widerſpruch auf; aber es ift doch nirgends recht 
ſcharf und fchlagend. Die Abfchnitte über Berfafiung und innere Zuftänbe 
werfen die Zeiten durcheinander oder gerathen mwenigftens immer fchon bei 
Grwähnung älterer Berhältnifie auf Späteres ; fo im erften Band bei ben 
Gtäbten, im zweiten bei ben ftänbiichen und politiichen BZuftänben bes 


268 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


12. Jahrhundert, wo 3. B. die Heerſchilde eine ganz ungehörige Nolle 
fpielen. Es gibt das zu manderlei Wiederholungen Anlaß; vie Dinge 
find auch jelten recht präci® und genau gefaßt. Namentlich läßt aber die Er⸗ 
zäblung zu wuͤnſchen übrig: fie ift nicht belebt, nicht überſichtlich genug, 
verliert fi leiht in Detail, ohne dies doc anſchaulich vorzuführen. Ich 
fürdte, daß das Buch gerade in Kreifen, in denen man ihm eine günftige 
Aufnahme wünfchen möchte, keinen Beifall finden wird. 

Auf Einzelheiten mag ich wenig eingehen. Doch muß ich bemerken, 
daß wenigſtens nicht überall der Stand der neueren Forſchung wiedergegeben if, 
wenn z. B. die Entitehung des Pfeudo:Sfivor nah Rom gefegt wird, Otto II. 
Niederlage in Süvitalien bei Squillace (nach dem falſchen Chron. Cavense) 
ftattgefunden haben foll, die Briefe, melde das Projekt der Grhebung 
Hillins von Trier zum Primas von Deutichland erwähnen, für echt gelten. 
Aehnliches begegnet befonders bei dem Nachweis der Quellen. Der Gunthe⸗ 
rus Ligurinus wird häufig angeführt, obgleich der Verf. aus Wattenbachs 
Buch die Zweifel an der Echtheit kennt. Dieſes ſcheint nachträglich bes 
nugt, und bat dann über manche Autoren die richtige Auskunft gegeben; 
aber die alten ungenauen Bezeichnungen Chron. Ursp. ftatt Edehard, Lambert 
von Ajchaffenburg u. dergl,, find beibehalten; X’hietmar ift aus des Urfinus 
Ueberfegung benutzt; ganz unrichtig, vielleicht durch Drudfehler, wird Her- 
manus August. ftatt Augiensis citirt; fpätere deutſche Chroniken finb 
manchmal mit einer gemwifien Vorliebe auch für ältere Verhältniſſe her⸗ 
angezogen; und daher jtammt wohl aud eine fo unerhörte Behauptung 
wie die, daß 938 in Nürnberg ein Reichdtag abgehalten fein fol. — In 
manchem andern kann ich dem Verf. wenigſtens nicht zuftimmen, wenn er 
3. B. den Gotteöfrieden gegen Kludhohn unter Heinrih III. in Deutſch⸗ 
land einführen läßt, da8 Wormſer Concorbat in feinen Beftimmungen um 
deutlich findet, die Sage von den Weinsberger Frauen vertheibigt; und 
ebenfo in vielem andern, was die Verfaſſungsgeſchichte betrifft. Dagegen 
bin ich in der Beurtheilung der einzelnen Berjönlichleiten, namentlich der 
Könige, wie ſchon bemerkt, im Ganzen viel mehr auf feiner Seite; wo 
er 3. B. über Heinrich II. gegen Gieſebrechts Verherrlichung ſpricht, Hein⸗ 
rih IV. billig und nicht untreffend beurtheilt; während bie Charatteriftit 
Friedrich IL wenigftend als ungenügend erſcheint, und was über den 
Staatsmehanismus und Despotismus Karl des Großen gejagt, wird mir der 
Begründung und rechten Auffafſung der Berhältnifie gu entbehren fcheint. 





5. Deutſche Geſchichte. 269 


Der Verf. liebt es gelegentlih auch einen Blid auf die Zuftänbe 
der Gegenwart zu werfen ; er hat da feiner politifhen Richtung kein Hebl, 
und e3 hat ihm das wie Beiftimmung fo auch entſchieden feinpfelige Aeuße⸗ 
rungen zugezogen. Allerdings polemifirt er gegen einzelne neuere Autoren, 
wie Gfrörer und Bilmar, mit einer gewiffen Heftigleit; aud mit Böh⸗ 
mer, feinem berühmten Landsmann iſt er offenbar nicht auf dem beften 
Fuß; aber unbillig und entjchieden einfeitig erfeheint er mir nie. Auch 
Sybel3 Anjihten über das Kaiſerthum theilt er nicht und fpricht gegen 
den Ausdrud derjelben, den fie in der Rede zu Münden erhalten haben. 

Einem Mame, der nicht Fachgelehrter iſt und fein will, muß id) 
ſchließlich ſagen, macht dag Buch alle Ehre. Aber was die Wiſſenſchaft 
oder auch nur das größere Publikum beburfte, fcheint mir freilih durch 
daſſelbe nicht geleiftet. G. W. 


Leo, 9, Borlefungen üb. die Geſchichte d. deutſchen Bol 
tes u. Reiches. 3. Bd. gr. 8. (XVI u. 742 ©.) Halle, Anton. 


Diefer Band umfaßt die Regierungen der deutſchen Kaifer von Heins 
rich VI. bis zum Tode Wilhelms von Holland, Der Verf. hat in den 
legten Jahrzehnten eine jo entſchiedene Anficht von der Entmwidelung beuts 
ſcher Politik und Cultur vertreten und nad den verſchiedenſten Seiten 
bin ausgeſprochen, daß es überflüjjig ift, zu bemerlen, wie es auch ges 
zade in dieſem Buh an prägnanten Aeußerungen verfelben nicht 
fehlt. Um fo mehr vervient es anerkannt und hervorgehoben zu werben, 
daß er die Refultate der neueften Unterjuhungen von Abel, Winkelmann 
und Schirrmacher foviel wie möglich für eine unbefangene Darftellung zu 
verwertben gewußt bat. Die außerorbentlihe Friſche und Lebendigkeit 
feines Geiftes tritt gerade hier beſonders fchlagend zu Tage. Ja, für den 
allgemeinen Fortſchritt der deutfchen Forihung kann die erfte Hälfte des 
Buchs als ein erfreulihes Zeugniß gelten. Auf dem Wege unbefangener 
Unterfuhung erſcheint, wenn auch nur bis zu einem gewiflen Punkt, eine 
Berftändigung ſelbſt bier möglich, wo fi) allerdings vie Gegenfäte fo 
baariharf berühren. Namentlich Friedrichs Politik Innocenz, ILL und 
Honorius ILL. gegenüber, wird von dem Verf. als eine berechtigte aners 
kannt. Die Verhandlungen über die Wahl Heinrih3 zum deutſchen Kö- 
nig erſcheinen bei ihm ganz ohne jenen Schein von unverantwortlicher Ber» 
ſidie, die namentlih Böhmer in den Altenftüden zu entdecken glaubte, 


2370 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Friedrichs Behandlung der Kreuzzugsfrage wird in gleicher Weiſe beur- 
tbeilt. Daß der Verfaſſer dabei ſchon nah den Spuren von Friedrichs 
antikirchlicher Gefinnung ſucht und baß er biefelben in zum Xheile gang 
unverfänglichen Thatſachen zu finden glaubt, das darf freilich nicht ver 
ſchwiegen werben. Und der Gegenfag der Anfichten liegt ja bier bekannt⸗ 
lich tiefer al3 in der Auffaflung des Detaild., Wir möchten für die Auf 
faflung des Gejfammtrefultat? nur auf zwei Punkte hinweiſen. Ginmal 
fann man doch gar nit genug und immer von Neuem urgiren, daß das 
Kaiſerthum doch von Anfang an und alle Jahrhunderte hindurd als Pie 
Univerfalmonardjie gedacht wurde. Das Reich aller Chriftenheit war doch 
das Erſte und der Staat, in feinen befcheidenen Gränzen, das Zweite. 
Es gehörte für Deutſchland eine unendliche geiftige Arbeit dazu aus dem 
Reih zum Staat zu kommen, auch der Kirche gegenüber. Diefer Grund⸗ 
gedanke ift, wie ung fcheint, für eine ganze Reihe brennender Controverfen 
von der größten Wichtigleit. Friedrich II., der Nejormator des ſiciliſchen 
Staats, ift eben daneben der volle Vertreter der Reichsidee. Seine koloſ⸗ 
fale Größe liegt unferer Meinung nah darin, daß er dieſe beiden ſich in⸗ 
nerlich widerſprechenden Gedanken fo lebendig erfaßt und umfpannt. Der 
andere Punkt ift der, daß er doch im ganz eminenten Sinne der Sohn 
feiner Zeit if. Auch die Darftellung Leo's kommt, mir können nicht 
anders fagen, aus den bdiplomatiihen Verhandlungen gar nicht heraus, 
Es ift, ald ob die Briefe und Debuctionen des römifhen und bes kaiſer⸗ 
lihen Hofes mit ihrer berechneten Klugheit und Dreiftigleit noch heut zu 
Tage den fafeinirenden Cinprud äußerten, auf ben fie berechnet waren. 
In diefem Gewinde gibt e3 für die Darftellung keinen ruhigen Stand: 
punkt. Diefer liegt doc wirklich viel mehr in den Berhältniffen, aus denen 
die Wetter und Blige jenes Riefenlampfes fi) bildeten , in dem Boden 
nationaler und kirchlicher Gultur, aus dem die Dimfte auffteigen, die jene 
Moltenverfammler gegen einander ballten zu Negen und Wolkenbruch. 
Der Berfafler hat in zwei jehr anziehenden Schlußlapiteln einige der 
Gegenftände behandelt, auf bie es bier wohl anlommt. Das entfpridt 
dem urfprünglihen Organismus feine® Buchs, aber und menigftens ver⸗ 
ſchiebt fih immer durch eine ſolche Anordnung die ganze Auffaflung. Die 
deutihe böfiihe Literatur 3. B. gehört in dem angebeuteten Sinn nicht 
nad, fondern vor Friedrich II.; die Franzisfaner und ihre Richtung, in 
der Franz von Affifi und Bruder Elias neben einander, gehören ebenfo 





5. Deutfche Geſchichte. 371 





vor und nicht nah Gregor. Wir wiflen, indem wir dies urgiren, fehr 
wohl, daß der Verf. gerade mit jeltener Lebenvigleit mitten in dem Ges 
fühl folder Entwidelungen fteht, wir geftehen, daß die Energie feiner Dar: 
ftellung überall von dieſem Gefühl getragen erfcheint, ja dies gerade gibt 
auch feinen ertremen Urtheilen für ung ihre Berechtigung, aber wir find 
trogdem überzeugt, daß er Vieles in anderer Orbnung aud anders dar⸗ 
geftellt haben würde. 

Die fpäteren Partien des Werks führen zu Perioden, die die neues 
ren Unterfuhungen nod nicht berührt haben. Wir vermiffen bier zum \ 
Theil die Hervorhebung wichtiger Punkte. So ift 5. B. die Geſandtſchaft 
Hermanns vom Salza im Sommer 1235 fo bargeftellt, daß man bie 
Bereutung berjelben ganz überfehen muß, mie fie doch aus den Briefen 
Gregord (Boehmer Reg. 112 und 113) fo deutlich hervortritt. Bei der 
Schlacht von Cortenuova tritt gerade der Umſtand nicht hervor, daß Fried⸗ 
richs Entlafjungen die Mailänder veranlaßten , ebenfalld abzuziehen und 
daß er diefe Bewegung benutzte, fih mit dem Reft und Kern feines Heeres 
auf fie zu werfen. Der Zug gegen Rom, den Boehmer Reg. 6. 194 
fo fcharf beurtheilt, wird von dem Verf. S. 471 in feiner politiichen Wich⸗ 
tigkeit anerfannt, doch ftimmt er in der U. der Boͤhmerſchen Auffafjung 
bei. Es fheint uns dafür doch Petr. de Vin. ep. 2, 3 beachtenswerth, 
wo es beißt „in partibus Tyberinis ova rumpentes aspidum, ex 
quibus jam prodiit regulus. Ueber die Gründung bes Ordensſtaats in 
Preußen fheint und auf Waitzs Kritit des Watternihfchen Buchs zu wenig 
Rüdfiht genommen. In Betreff Innoncenz IV. ſpricht fih der Verf. S. 521 
A. dahin aus „daß der hohlen Abftraltion des omnipotenten Staats gegenüber 
fi) in einer dem Kaifer manmigfadh ähnlichen Perfönlichleit des Papftes nun 
die Vorftellung von der Macht und dem Rechte der Kirche faft zu gleich 
hohler Abftraktion der Omnipotenz und folglih aud auf dieſer Seite zu 
tyrannifcher Anmaßung fortentwidelte.” Aber dieſer Gegenſatz zweier ver 
wandter Naturen in biefer Weiſe wirb doch nur ermöglidt durch bie alls 
mählih entwidelte mweltlihe Machtitellung der Kirche. Die Art, wie ber 
Berf. ih S. 552 gegen den Gedanlen der Wieverberftellung ber apoftolis 
ſchen Verfaſſung ausſpricht und ihm jeve Berechtigung abſpricht, überfieht 
jenen Zufammenhang. Hier tritt uns feine Einfeitigleit am ſchaͤrfſten ent 
gegen. Man kann gewiß bevenlli werben, wenn Friebrich in der legten 
Beriope des großen Kampfes dieſen Gedanlen aufgreift, aber babei doch 


278 Ueberficht der hiſtoriſchen Piteratur von 1861. 


unmöglid überjeben, daß das weltlihe Gut der Kirche gerade ben inner 
lichſten und gläubigften Gemüthbern, die nad ihrer Zucht hungerte und 
Durftete, ein furdhtbarer und unverwindbarer Stein des Anftobes war. 
Ya, das wegwerfende Urtheil über dieſe Richtung ift um fo weniger bier 
motivirt, da eben die Kirche in jener Zeit durch die Franzislaner, die 
von Anfang an nad diefer Richtung hinneigten, fo ungeheure Progrefien 
gemacht hatte. Leitet doc der Verf. a. a. O. jolde Anfichten bei Friedrich 
aus Franziskaniſchen Urfprüngen ber. 

In den ſchon erwähnten Schlußlapiteln des Buchs gebt der Berf. 
bei Beurtheilung der inneren Zuftände von dem Grundſatz aus, daß „zur 
mal in Deutihland Krieg und Sieg in geiftiger und politifcher Beziehung 
immer das Erfte und Handel, Inpuftrie und Wohlleben erſt das an zweite 
Stelle Gejegte und an zweiter Stelle Geadhtete fein mußten, wenn ſich 
nicht inmere Demoralifation anfchließen follte.” S. 697. „Sogar ein fol 
ches Zerfahren und Ablämpfen in inneren Gegenjägen und Zerrifienheiten, 
wie das Interregnum mar, war immer noch fegensvoller, als ein lang 
dauernder Friedenzzuftand.” Wenn in dem erften Sat ausgefprochen wer 
den fol, daß der Kampf geiftiger Kräfte für die Entwidlung der Nation 
das Weſentliche fei, fo wird das Niemand in Abrebe ftellen, aber aud 
bie Entwidelung der materiellen Kräfte ift am Ende ein beftändiger Kampf 
und ohne ein gegenfeitige® Ringen nicht denkbar. Was Deutſchland fpes 
ziell anbetrifft, jo fcheint uns gerade das Eigenthümliche und Vorzügliche 
der vorhergehenden Entwidelung, daß fie der ruhigen Entfaltung der mas 
teriellen Kräfte Raum ließ, und das nterregnum würde viel troftlofer 
und beillojer erfcheinen, hätte nicht eben Handel und Induſtrie, d. h. die 
ftädtifche Eultur unter der vorhergehenden Verfafjung die Kräfte gewin⸗ 
nen können, fi nun energifch zur Geltung zu bringen Wir berühren 
damit einen Gegenftand, bei deſſen ganzer Auffaffung ber Verf. unfers 
eigenen Rejultate vollftändig aufgenommen, die Entwidelung der ftädtifchen 
Berfafiungen. Je lebhafter diefelben von verſchiedenen Seiten angegriffen 
worden find, deſto erfreuliher mußten wir durch dieje offene lehrreiche Zu⸗ 
flimmung an biejer Stelle berührt werden. Es dürfte daher bier am 
Orte fein, aus der neueften Debatte über den Gegenftand noch einige Be 
merlungen nadzutragen. Belanntli hat die eingehende Unterſuchung 
Stumpf3 über die belannte koͤlner Urkunde von 1169 vie Unächtheit ders 
felben herausgeſtellt. Auch Waig Forihungen I, 16.162 bat diefelbe 





5. Deutiche Geſchichte. 278 


anerlannt. Das NRefultat darf man doch nad einer Seite bin nicht ge: 
ring anſchlagen. Wenn aud die Verfaffungsformen , die fi bier finden, 
unzweifelhaft zur Zeit der Fälſchung beftanden, jo fällt doch mit der An: 
nahme der Fälihung alles das weg, was man nad) der Einleitung des 
Attenftüds früher über das hohe Alter gerade dieſer Formen vermuthen 
mußte. Sie bezeichnen nur gerade die Phafe der Berfaflungsentwidelung 
etwa in ben eriten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts. Für die ganze 
Berhandlung über den Charalter der Bürgerfchaften ift für Ref. dann be: 
ſonders wichtig die Erflärung Arnolds zur Geſch. des Eigenthums in den 
deutfhen Städten S. 253 U. 1. „der Ausdrud Altfreie hat ohne meine 
Schuld zu der fonderbaren Verwechfelung dieſes Standes mit dem freien 
Herrenftand Anlaß gegeben. Ich braude das, wie mir fcheint, ſprachlich 
richtig gebildete Wort der Kürze halber, um damit für die ältere Zeit 
die fpäter fogenannten Patricier zu bezeichnen. Altfrei kann fo gut 
Einer genannt werden, ber feine alten Freiheitsrechte verloren hat, wie 
Altrathähere Einer, der einmal Rathsherr gemejen.” Mir jcheint mit die: 
fer Erllärung ein bedeutender Schritt zur Verſtaͤndigung gethan, über ben 
früheren Stand der Mitglieder der Bürgerſchaft hat Ref. nie Behauptun: 
gen aufitellen wollen, wenn biejelben aber mit dem Eintritt in viefelbe unter 
einen Namen gebradt werden, der ihren Verzicht auf alte Freiheitsrechte 
bezeichnet, jo muß dieſer Gintritt doch in irgend ein Abhängigfeits: 
verhaͤltniß erfolgen. Arnolds vortrefflibe und fo überaus lehrreiche 
Darlegungen in der a. Schrift find am Ende doch ein neuer Beweis 
für eine folde Annahme; märe eine ſolche Gebundenheit des ftädtifchen 
Eigenthums denkbar ohne eine hofrechtlihe Verfaſſung? Befonders ein: 
leuchtend aber wird durch feine Darftellung, mie ſolche Berhältniffe ganz 
allmählich und unbemerkt verfchwinden und jede Spur ber früheren For: 
men ſich verlieren konnten, K. W. Nitzsch. 


Krank, Paul, Geſchichte d. Deut ſchen f. Schule u. Haus, Leicht. 
faßlih u. in gedrängter Kürze dargeftellt. 2. Bochn. 16. Leipzig, Merfeburger. 
Inhalt: 1. Weltere u. mittlere Geidichte. (IV u. 159 ©.) — 2. Neuere u. 
neuefte Geſchichte. (IV u. 190 ©.) 

Stredfuß, Abdf., das deutfhe Volk. Deutſche Geſchichte in Wort 
u. Bid. Ein illuſtr. Hausbuch f. Leer aller Stände. Illuſtrirt (m. eingedr. 
Holzichn) v. 2. Löffler. (Iu 20 gun.) 1.—11 2fg. Hoch 4. (S.1—141.) Ber- 
iin, Brigl & Lobed. 

Hlberiie Beitigeift Vil. Ban. 18 


274 Meberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Buchner, Dr. Wild, deutfhe Ehrenhalle. Die großen Männer 
des deutſchen Volkes in ihren Deukmalen. Mit lebensgefchichtl. Abriffen 14—26 
(Schluß⸗)Lfg. gr. Ler.-8. (S. 417—810 m. 9 Stahlft.) Darınflabt, Köhler jun. 


Bülau, Prof. Dr. Friedr, die deutfhe Geſchichte in Bildern, 
nah Originalzeichngu. deutfcher Künftler m. erflärendem Zerte, fortgeſetzt v. 
Privatdoc. Dr. 9. 8. Chr. Brandes u. Eymn. Oberlehr. Dr Th. Flathe. 
1. ®d. 15—19 ge. — 2. Bd. 15—21 Wgn. — 3. Bd. 16—18 Lg. (XVI 
u. 135 ©. m. 59 Holzichn.) gr. 4. Dresden, Meinhold u. Söhne. 


Ysabeau Histoire d’Allemagne. — 8. (Bibliotheque Phi- 
lippart) Paris. 


Holzwarth, 3. $, dentſche Legende d. i. Geſchichte der Heili⸗ 
gen d. deutſchen Volles. 1. 8b. 1 — 6. Hft. 16. (IV u. 199 ©.) Cannſiatt, 
Bosheuyer in Kommt. 


Schreiber, H. Shladten der Deutſchen. 2. Th. 8. (IV mb 
188 ©.) Langenfalza, Schulbuchh. d. Thür. 2.8. 


Goehring, &., Deutfhlandse Schlachtfelder oder Geſchichte 
fämmtlicher großen Kämpfe der Deutfchen von Hermann dem Chernsfer bis 
auf unfere Zeit. Rad) den beften Quellen bearb. 2. m. Rüdficht auf die reifere 
Jugend veränd. u. verb. Aufl. Mit (10) Holzſchu. u. (6) Stahift. br. 8. (VII 
u. 432 ©.) Leipzig, Teubner. 


O. Stobbe, Geſchichte der dentfhen Rehtsquellen. Erſte 
Abtheilung bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. (S. 655). 8. Braunſchweig, 
Schwetſchle. 1860. Als erſter Band der „Geſchichte des deutſchen Rechts in 
ſechs Bänden, bearbeitet von ©. Befeler, H. Häljchner, J. W. Plan, Ae. 
Richter und DO. Stobbe.“ 


Es find ſchon zwei Jahre, ſeitdem diejer erite Band des von fo am: 
ertannten Namen angekündigten, allerjeitö mit Spannung erwarteten großen 
Werts an die Deffentlichteit getreten ij. Die Anerkennung, welde das 
Buch bereit3 bei allen Stennern gefunden hat, wird ed nicht als etwas 
Veberflüßiges erjcheinen lafjen, wenn aud) dieſe Zeitfchrift nachträglich fei: 
ner noch einmal in Gutem gedenkt, befonders da e3 „nicht bloß für bie 
Germaniften von Fach, jondern überhaupt für den Juriften und Hiſtori— 
ter, jo wie für Jeden, welcher fih über die Quellen des deutjchen Hecht? 
belehren will” gejchrieben if. Und mie ſchwer war es gerade für dieſe 
bisher, die nah Zeit und Raum zeritreuten Unterfuhungen zu überbliden 
und fih aus dem gelehrten Apparat den eigentlihen Kern herauszuleſen! 





6. Deuiſche Geſchichte. 275 


Hatte doch felbft der Eingeweihte feine Noth, fih in genauer Kenntniß 
des ganzen Materiald zu erhalten. Diefem Mangel ift bier nun, zu: 
naͤchſt bezüglih der Rechtsquellen bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, 
in gründlichfter Weife abgeholfen. Mit unermüdlihem Fleiß bat der Verf. 
die ganze Literatur gefammelt und gefihtet und die einzelnen Refultate 
der Forſchung kurz begründet. Man fieht wie der Verf. überall aus eige: 
ner genauer Kenntniß urtheilt, und man freut ſich über den fiheren Takt, mit 
welchem er zwifchen verſchiedenen Meinungen feine Entſcheidung trifft, ſowie 
über die mwohlthuende Einfachheit und Klarheit des Style, melde durch 
das ganze Buch hindurchgeht. Die bezmedte Bollftändigkeit muß natür: 
fi eine nur relative bleiben. Die Unterfuhungen über mande Volks⸗ 
rechte find noch faum aufgenommen, zablreihe Rechtsbücher, Stadtrechte, 
Landrechte und fonftige Quellen barren nad der befieren Bearbeitung, ja 
der erften Belanntmahung. Dagegen können wir unfere Bedenken darüber 
nicht unterbrüden, daß die Werke der Gejhichtsfchreiber ſowie die Urkunden 
der Kaifer, Päpfte, Landesherrn, Städte u. |. w. gänzlich mit Stillſchwei⸗ 
gen übergangen find. Denn daß Geſchichtswerke und Urkunden, die ja 
zum guten Theil direkte Gefetesbeftimmungen oder Verträge enthalten, zu 
den Quellen gehören, wird Niemand beftreiten mwollen; ja man muß be: 
baupten, daß ihnen eine viel höhere Bedeutung zulommt als Formelbüchern, 
Schriften von gelehrten Profefioren oder ungelehrten Schöffen, die doch 
hier mit Sorgfalt berüdfichtigt werden. Gin prinzipieller Unterfchieb der 
verjhiedenen Quellen, wie er in der Einleitung zu geben verſucht wird, 
laͤßt fi nicht auffinden, ift auch feither nicht gemadt worden. Ob eine 
Rechtsaufzeihnung ferner noch eine befondere „Geſchichte“ hat, ob ein Ge: 
ſeß vermehrt und abgeändert, eine Urkunde gefälfht, aber mit der Zeit 
doch confirmirt worden ift, bleibt zwar beveutungsvoll, unterjcheidet fie 
aber im Grund nicht von Quellen, die ein für allemal unverändert blie: 
ben. Es hätte der Titel daher unjere® Bedünkens ftatt „Gefchichte der 
Rechtsquellen” richtiger gelautet „Uuellen für die Geſchichte des deutjchen 
Rechts.“ Gegen inzelbeiten beſchränken ſich unfere Einwendungen auf 
Folgende. Der Berf. hebt S. 175 u. 176 eine große Verwandtſchaft 
der in der lex Angliorum et Werinorum enthaltenen Rechtsjäge 
mit dem fränliihen Recht hervor. Allein dieſelbe ſcheint ung nicht. befon: 
ders bervorftehend zu fein. Gerade der beim Erbrecht in Grundſtücke 
geltende Borzug des gefammten Mannsftamms bis zum 5. Grad ift eine 


276 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


ftarte Abweihung vom Ribuarenrecht; ganz eigentbämlih überhaupt die 
Unterſcheidung zwifhen Gütern, die von der Märmerfeite und ſolchen bie 
von Weibern herkommen. Könnte dieſe BVeſonderheit nicht ein wichtiger 
Fingerzeig werden, um binter die noch immer verborgene Heimath 
des Geſetzes zu kommen? Man bätte nachzuforſchen, wo fi eine folde 
Unterſcheidung in fpäteren Landrechten erhalten hat. Und da fdheint 
denn die Spur nah Holitein zu führen, da das Epberftäbtifhe Land⸗ 
veht, Theil 3, Art. 35 ähnliche Unterjheidungen macht. Hierher was 
ren ja auch die aus Thüringen aufgebrochenen Angeln und Werinen 
zuerft gezogen, und waren nadber theils nad dem Niederrhein, theils 
nach England übergefegt (Grimm, Geſch. d. d. Sprache ©. 606), wo ber 
Name Dyringas noch zumeilen erfcheint und in Xhorington fortbauert. 
(Kemble 1, 63). Gerade mit angelfähfifhem Dialelt zeigen mehrere 
Ausdrüde in unferem Geſetz große Webereinftimmung, wie Grimm «a. 
a. D. anmerkt; und auf die Aehnlichkeit der Nechtsfäge hat ſchon Lappen 
berg, Gef. v. England 1, 95 hingewiefen. Wenn es in der lex Angl. 
et Wer. heißt: tunc demum hereditas ad fusum a lancea trans» 
eat, fo ftimmt dies gerade nur zur angeljähfiihen „Speerhälfte,“ während 
die übrigen Sachſen nur Schwertmagen Tennen. Und wenn König Kanut 
in feinen constitutiones de foresta $.23 auf die lex Werinorum, 
i. e. Thuringorum Bezug nimmt, (nad dem Sabre 1013), jo beweift 
dies, daß legtere in England belannt war, mag fie nun damals erft oder 
ſchon früher mit den Angeln aus Schleswig:Holitein hinübergelommen fein. 
Mit der in ihr ausgeiprochenen völligen Freiheit letztwilliger Berfügungen, 
welche fih allein noch im Saliihen Recht zu finden fcheint, fonft nad kei: 
nem andern beutfchen Volksrecht gilt, harmoniren ebenfall3 gerade wieder 
die leges Canuti II, c. 70. Alles dies find jedenfalls Gründe, die noch 
zu einem Zweifel berechtigen, ob das Geſetz den in Mitteldeutſchland figen 
gebliebenen Thüringern angehört. — Das S. 189 über die alten ſächſiſchen 
nobiles Gefagte ſcheint ung nur zum Theil das Richtige zu treffen. Unrich⸗ 
tig ift namentlich die Angabe, daß nad Karls d. Gr. Geſetz von 797 c. 8 der 
fählifhe Edle da 12 solidi zahlen folle, „wo der fränfifche 15 solidi zahle”; 
einen Adel gab es ja bei den Franken nit, und das Gejeh lautet da⸗ 
bin: „ubicunque Franci (aljo die gewöhnlichen freien Sranten) soli- 
dos 15 solvere debent, ibi nobiliores Saxones solidos 12, 
ingenui 5, liti 4 conponant,“ — Bei ver Ueberfiht der angelfächfiichen 








5. Deutſche Geſchichte. 277 


Geſetze, die überhaupt etwas knapp ausgefallen iſt, wäre vielleicht die Be: 
mertung am Orte gewejen, daß der angelſächſiſche Tert der Geſetze Aethel⸗ 
birhts, Hlothars, Gadricd und Wihträds nur in einer Handſchrift aus dem 
12. Jahrhundert vorhanden ift, mithin dem Zweifel Raum bleibt, ob man 
die Sprache des 6. und 7. Jahrhunderts rein vor fih hat. — Vollkom⸗ 
men ftimmen mir dem Berf. auf S. 342 bei, daß fi) der Schwaben: 
fpiegel, wenigiteng den bisher bekannten Handſchriften nach zu urtheilen, 
mit dem Sachſenſpiegel nicht vergleichen laffe. Ja wir halten dafür, daß 
er bei der Beurtbeilung der mittelalterlihen Rechtsverbältniffe feither viel zu 
ſehr als Quelle benutzt worden ift, und Ungenauigleiten und Srrthümer er: 
jeugt hat, die mitteljt der wirklichen Gejege und Urkunden erjt wieder befeitigt 
werden müſſen. Zu S. 432 die beiläufige Bemerkung, daß bie von Kopp 
erwähnten „Statuten von Alsfeld” gar nicht eriftiren, fondern nur eine fehr 
wertblofe Privatarbeit bisher dafür gehalten wurde. (Bergl. Soldan, zur 
Geſchichte der Stadt Alsfeld, S. 40. Oſterprogramm des Gymnaſiums 
zu Gießen. 1861.) — ©. 483 gibt der Verfaſſer auf Grund zahlreicher 
Stellen eine gute Erklärung des vielbeftrittenen Wort? wicbilde. Be: 
züglich des erften Theils fei noch auf eine Stelle in Grimm's Weis: 
thümern 1, 166 (Luzern) aufmerkſam gemacht, wo es heißt: „in bifen 
zilen fol oud nieman keinen wydhaften buw buwen;“ es ift offenbar fo 
viel wie fonft „burgliher bau.” Unrichtig erjcheint dagegen die Angabe 
auf ©. 498, daß „bursprate” jo viel als „Buͤrgerſprache“ fei, (vergl. 
Grimm's deutfches Wörterbuch „Bur” u. „Bauer.”) 

Der legte Abjchnitt, von S. 609-655 handelt von der Aufnahme 
des römischen und canonifhen Rechtes in Deutichland bis zur Mitte des 
15. Jabrhundert3. Es iſt eine fehr vollftändige und gebrängte Zufam: 
menftellung alles dejien, was man bis jegt darüber weiß. Der Verf. fommt 
auf S. 654 zu dem Schluß, daß das römifhe Recht „bis zur Mitte des 
15. Jahrhundert? nur in jehr beſchränkten Streifen Wurzel faßte, und faſt 
nirgends zum Nachtheil des einheimischen Rechts die beftehenden deutjchen 
Brundfäge verbrängte oder erſetzte. Wir find darin ganz einverftan: 
den, möchten uns nur mit Eichhorn gegen die Annahme des Berfaflers 
auf S. 646 u, 653 erflären, daß das roͤmiſche Recht vor dem 15. Jahr: 
hundert in Süpdeutichland eine viel größere Verbreitung gehabt habe als 
in Norddeutſchland. Das hierfür angeführte bezieht fih nur auf einige 
wenige Städte und Provinzen, namentlih auf Böhmen, und läßt keinen 


278 Weberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


allgemeinen Schluß zu ; denn folhe Ausnahmen finden fi) au im noͤrd⸗ 
lichen Deutſchland, jelbit in Friesland. Berpfändungen des ganzen Ber: 
moͤgens (General⸗Pfandrechte) waren in Süddeutſchland keineswegs, wie 
©. 650 behauptet ift, bereit3 im 15. Jahrh. durchgängig anerkannt; im 
den meiften Theilen der Wetterau 3.2. find fie gar niemals zur Geltung 
getommen, als höchſtens vorübergehend in den legten 40 Jahren unter 
der Amtöverwaltung von Richtern, weldhe nicht? kannten und anerlannten, 
als ihr römishes Recht und den auf der Univerfität gelernten Sag von 
der volllommenen Reception deſſelben. Auch die 10 beziehungsweiſe 20jäh- 
rige Erſitzung kennt man bier zum Theil erft feit 200 Jahren, da bie 
alte Erfigung von Jahr und Tag im ganzen 16. Jahrhundert fortvauerte, 
— Bon Drudfeblern, deren fi nicht viele in dem Buche finden, find be 
ſonders zwei zu beadhten; auf ©. 202 3. 7 ift Welten ftatt Oſten, und 
auf ©. 554 3. 4. Zindgrafen ftatt Zingrafen gebrudt. Wir fchließen 
mit dem Wunde, daß es dem Verfaſſer möglich jein werde, fein böchft 
verbienftliches und fruchtbringendes Wert recht bald zu Ende zu führen. 
F. Th. 

Sdulte, Dr. 3. Fr., Brof. der Rechte zu Prag, Lehrbuch der 
deutfhen Reichs- und Rechtsgeſchichte. 1.—3. Lfg. (S.546.) Lex.B. 
Stuttgart, Nitichle. 

Wie in der Vorrede angegeben ift, hatte ſich der Derfafler bei der 
Ausarbeitung des vorliegenden Lehrbuchs die Aufgabe geftellt, einen Leit 
faden für alademifche Vorträge, fowie zum Selbftftuvium zu ſchaffen. Mit 
Umgehung von bloßen Antiquitäten und zerftreuenden Einzelheiten wollte 
er die Punkte feftitellen, melde auf die Entwidlung der Rechtszuſtaͤnde von 
weſentlichem, entjcheidendem Einfluß waren, damit dem Lernenden die Ge: 
winnung einer Weberficht ermöglicht fei, ohne daß ihn die Ueberfülle des 
Stoff? erbrüde. Diefem ſchweren und bis jegt allerdings auf diefem Felde 
noch nicht erreichten Ziele ftrebt der Verf. nicht ohne Geihid nad. Die 
Eintheilung und Behandlung des Stoffe ift eine einfachere und überficht: 
lichere als in andern Yehrbübern, und bie Literaturangaben bleiben in 
den Gränzen des Wünſchenswerthen, fo daß das Buch für mande Leſer⸗ 
kreiſe willlommen fein wird. Aber was den inneren Gehalt, die Ergrün: 
dung und Auffaffung der hiſtoriſchen Thatſachen felbft, betrifft, jo läßt es 
weit weniger befriedigt. Bor Allem finden fi) felbftändige und neue Ans» 
fihten darin kaum vor; überall fühlt man fih auf dem alten ausgefab: 





5. Deutſche Gedichte. 279 


renen Geleife, und begegnet namentlid allen den unrichtigen Theorien über 
Ausbildung des Adels, Immunitätsrechte mweltliher Großen, Gerichtöver: 
faflung u. vergl. wieder, die einmal das Glüd haben für ausgemacht zu 
gelten. Der Verfaſſer jagt zwar ſelbſt, daß „Neuheit der Anfichten und 
Ausführungen nicht in feinem Plane gelegen habe, der eine Verarbeitung 
der vom Standpunkte der gegenwärtigen Wiſſenſchaft aus als feſtſtehend (?) 
erjcheinenden Forſchungen bezweden mußte.” Allein eine eingehenvere Prü⸗ 
fung der feitherigen Anſichten an der Hand der Quellen hätte man doch 
erwarten dürfen. Zu rügen find auch allerlei Flüchtigkeiten. So bleiben 
3. B. bei der Aufzählung der ſeit dem 3ten Jahrhundert auftauchenden 
Volksnamen im F. 17. die gewiß nicht unbedeutenden Thüringer uner: 
wähnt. €. 69 heißt es von der lex Frisionum: „Diefe nur in einer 
(belannten) Handſchrift uns erhaltene lex”, während doch gar keine Hand: 
Schrift mehr vorliegt, ſondern nur der gewiß nicht überall zuverläflige Ab: 
drud einer verlorenen Handſchrift. Wenn S. 107 bemerkt wird, es jeien 
die Franken gegenüber den andern deutſchen Stämmen durch ein höheres 
Wergeld „auggezeichnet” gewefen, fo ift dabei überfehen; daß die Franken 
diefes Wergeld bereit3 vor der weiten Ausbreitung ihrer Macht befaßen, 
daß überhaupt der geringere Werth des Geldes in Gallien ſolche Abmei: 
ungen binreihend erklärt. Befremdlich erjcheint auch die Bemerkung auf 
©. 57: „Ale eigentlihen Rechtsquellen dieſer Periode find in lateini: 
ſcher Sprache abgefaßt, weil die deutſche dazu ohne Zweifel noch zu un: 
gebildet war.“ Die einzige Crinnerung an Ulfilas Bibelüberfegung 
bätte davon abhalten follen. Und beweift nicht, ganz abgefehen von der 
Malbergiihen Glofje, jeder Titel der Vollsrechte zur Genüge, daß für alle 
Nechtöverhältnifie beftimmte deutſche Ausprüde und Formeln vorhanden 
waren, die mit Noth ins Lateiniſche umgejegt oder wegen ihrer Unüberjep: 
barleit lediglich latinijirt wurden? — Wir wollen nicht weiter bei dem 
auffallenden Umſtand verweilen, daß der Verf. auf S. 159—163 u. 169 
des Kurvereins zu Renfe und des Frankfurter Reichsſchluſſes, wodurch die 
päpftlibe Ginmifhung in die deutſche Königswahl ein für allemal zurüd: 
gewielen wurde, jo gut wie nicht gedenkt. Dagegen ift an einem andern 
Beilpiel zu zeigen, wie wenig genau er e3 oft mit den Pingen nimmt. 
©.154 fett er auseinander, daß die mittelalterlichen freien Herrn, liberi 
domini, bloße Privatperfonen gewefen feien, naͤmlich Grunpbefiger, die 
ſich ſelbſt, ihren Grunpbefig und die darauf gejefienen Leute theild mit 


250 - Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


telft königlicher Privilegien, theil® auf eigne Fauft (1) von der Gewalt 
der Grafen freigemadt hätten. Es ift dies die alte Eichhorn'ſche, neuer: 
dings wieder von Anderen aufgewärmte Theorie von ven Dinghofherren. 
Der Verf. würde ihr nicht gefolgt fein, werm er feine eigne auf S. 314 
gemachte Angabe befjer in Betracht gezogen hätte, nämli daß ſich bie 
Gerichtsbarkeit der Dinghofherrn nicht auf große Verbrechen erftredite, 
ihre Hinterfaffen mithin der gräflichen Gerichtsbarkeit fortwährend un: 
terlagen. Außer diefen Dinghofherrn, die mit einem ganz unquellenmä- 
Bigen und verwerflihen Ausprud „Dynaften“ genannt werden, kennt der 
Verfaſſer doch jelbft noh „Herren, welche eine Grafihaft von geiftlichen 
oder weltlichen Fürften zu Lehn trugen (©. 172 u. 195), ja ©. 230 
rechnet er zu den freien Herrn die nicht mit dem Fürſtenthum beliehe 
nen (nachgeborenen) Söhne von Fürften. ine Verfolgung dieſer richti- 
gen Spur hätte ihn vor dem Irrthum bewahrt, daß die meiften freien 
Herrn und Dinghofherrn „fi allmählig den Grafentitel beigelegt" hätten 
(S. 155 u. 172). So verwirrt waren denn doc die mittelalterliche 
Zeiten nit, daß Jeder hätte thbun können was ihm beliebte ; ein Bei: 
jpiel von diefer eigenmädhtigen Standeserhöhung ift wenigftend bis jet 
von Niemanden, aud vom Verfaſſer nicht, beigebracht worden; vielmehr 
Scheint diefer ©. 230 Anm. 3 jelbft das Gegentheil anzunehmen. Die 
Ausführungen über die Femgerichte ©. 316 fi. helfen die Kenntniß von 
diefer merkwürdigen Einrichtung nicht mwejentlih fördern; dag Verhaͤltniß 
der Freigerichte zu den Gogerichten, der heimlichen Gerichte zu ven offer 
nen, beſonders in Hinficht der Dingpfliht und Competenz, ift nicht ins 
Klare geitellt. Unrichtig erfcheint ung namentli die BVorftellung bes Ber: 
faffers ©. 316, daß fih in Weltfalen, Dant „des freien , unabhängigen 
Sinns der Bewohner und deren Liebe zum Alten” die alte „Larolingifche” 
Gemeinde = und Geridhtöverfaffung beſſer erhalten habe als anderwärts, 
Lebteres ift eine auf mangelhafter Kenntniß der Zuftände anderer beuts 
Shen Provinzen beruhende, freilih herkommliche Meinung, und erfteres 
paßt nur auf die wenig zahlreihe Klafje der Weſtfalen, die fih in fo 
jeltfamer Weiſe über dem großen Haufen des minderberedtigten und un: 
freien Volles erhob. —, Auf S. 298 bemerkt der Verf, das Recht in 
gewifien Fällen Selbſtrache üben zu dürfen, habe fih „bis“ in die karo⸗ 
lingiſche Zeit erhalten; er jcheint alfo anzunehmen, daß es feitbem wer: 
ſchwunden ſei. Da hätte ihn aber doch ein genauerer Einblid in die 





5. Deutiche Gefchichte. Ne81 


Geſchichte des deutſchen Strafrechts eines Beſſeren belehren können. Bon 
diefer freilich jcheint er wenig zu halten; denn nur beiläufig find bier und 
da in dem Bude einige unzujammenhängende Angaben darüber einge: 
ftreut, und die Vorrede äußert fi nirgends über den Grund, warum ein 
in das Staats: und Privatleben jo tief eingreifender Theil des beutfchen 
Rechts eine fo ftiefmütterlihe Behandlung verdiente. Cine größere Be: 
ſchränkung in dem Abdruck von Urkundenftellen, bezüglich deren überhaupt 
einige Ungleichheit auffällt, würde dem Berfafjer Raum genug gelafien ba: 
ben, dieſe fo wie andere hoͤchſt wichtige Lehren, 3. B. über die Geſchichte 
der Stände, des Lehnsweſens, etwas ausführliher zu behandeln. 

F. Th. 


Waitz, Georg, deutihe Berfaffungsgeihicte. 4. Bd. gr. 8. 
(XI u. 619 S.) Kiel, Homann. 

Im vorigen Jahrgang ift die hiftorifhe Zeitjchrift aus der Hand 
eines bewährten Meifters eine Beiprehung des Zten Bandes dieſes 
grundlegenden Wertes mitzutheilen im Stand geweſen. Dies ift leider 
diesmal nicht möglid. Wenn wir nun biefen Aten Band, der eine Fort: 
fegung des im 3ten Bande behandelten Stoffes bietet, mit anerfennenden 
oder lobenden Worten begleiten wollten , jo könnte dies als ebenfo über: 
flüſſig wie aud vielleicht ald anmaßend erjheinen. Denn wie ſich Waitz 
feine Aufgabe ftellt, und mie er fie löft, weiß Jeder, ver fi mit ge: 
ſchichtlicher Forſchung bejchäftigt: es genüge daher , eine gebrängte Leber: 
ſicht des Inhaltes zu geben. 

Es beſchäftigt fih nun der dte Band, um einen modernen Ausdrud 
zu gebraudhen , vorwiegend mit ber inneren Verwaltung des fränkiſchen 
Reichs unter Karl dem Großen. Die ausführliben Unterfuhungen über 
die Finanzen zeigen ung, wie von einem eigentlihen Finanzweſen im 
Staate Karla des Großen feine Rede fein kann, mie ſowohl die Leiftun: 
gen der Ginzelnen, jo verjhiedenartig diefelben fein mögen, wie die Fi: 
nanzverbältnifie des Königs einen durchaus privatrechtlihen Charalter be: 
wahren. Nicht im Intereſſe des Staat? oder des Staatsoberhauptes mer: 
den die einzelnen Leiftungen erhoben, ſondern jeglihe Leiftung knuͤpft an 
eine Spezielle Pfliht, an die eigenthümlihe Stellung des Einzelnen im 
Reihe an. Eine eigentlihe gefetlih geordnete Beſteuerung im heutigen 
Sinne des Wortes trifft nur die verjchievenen Arten des Handels. Der 
Reihe nad) werben darauf die manigfahen Leiftungen, welche im fraͤnki⸗ 


283 Meberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


ihen Reihe vie einzelnen Klafien, Stände und Perfonen treffen, vorge: 
führt. Nicht zu überjehen ift hier die Notiz (S. 34) über eine von ben 
tirhlihen Sorgen für die Bebürftigen unabhängige Armenpflege nad ven 
Verordnungen Karls. Es folgen dann Unterfuhungen über Münzwefen, 
Münzwertb und die darauf bezügliden Aenderungen, weldhe unter Pippin 
und weiter unter Karl ftatt hatten (S. 65—85). Ein großer Theil ver 
königlihen Einkünfte beftehbt aus den jährlich gelieferten Geſchenken ver 
Großen, Kirhen und Klöfter, welche allerdings mehr und mehr den Cha⸗ 
ralter der Freiwilligkeit verlieren. Gänzlih außer Anwendung ift jept jene 
römifhe Steuerorbnung, welche ehemals mit hartem Drude auf den Ber 
wohnern Gallienz laſtete. Allgemeine größere Auflagen traten erft unter 
der Regierung ber Enkel Karls wieder ein. Karl ver Kahle erhebt eme 
ſolche in drüdender Weife zu verjchiedenen Malen als einen, an die Nor 
manen zu entridhtenden Tribut. ©. 103 ff. handelt W. von dem ſchon 
unter Pippin von der Kirche ala allgemeine Leiftungspfliht geltend ge 
machten Kirchenzehnten. Bis ins Ginzelfte werben die Angaben der Quel⸗ 
len über Verwaltung und Bewirthſchaftung ver königlihen Güter verfolgt. 
Es zeigt fih, daß rechtlich wenigſtens fein Unterfchieb zwiichen dem alten 
Hausgute des auftrafifhen Gejchlehtes und dem neu erworbenen Krongute 
gemaht worden if. Das Verfügungsrecht des Königs über 
tirhlidhe Güter, die Vergebung von Abteien und fogar von bijchöf: 
lihen Gütern zu mweltlihen Zmeden wird, obwohl von der Kirche ftet$ ges 
mißbilligt , von Karl dem Großen in entſchiedenſter Weife zur Geltung 
gebracht. Es ift kein Zweifel daß, mögen im neunten Jahrhundert Bir 
Ihöfe und falſche Delretalen nod jo ſehr dagegen eifern, die öffentliche 
Meinung wenigitend der Laien bereit war den karolingiſchen Königen ein 
ſolches fih über ven gefammten kirchlichen Grunpbefig erſtreckendes Recht 
zuzuerlennen. Denn jener energiſche Widerftand, welcher fpäter im weft 
fraͤnkiſchen Reiche von Seiten der Geiftlichleit ftattfindet, berechtigt doch kaum 
zu der Folgerung wie W. meint (5.139), daß Karl der Kahle rüdjichtälofer 
ala fein Großvater verfahren fei, jondern daß das Sinken des löniglichen 
Anſehens dem geiftlihen Amt gegenüber Forderungen der Prälaten laut 
werben ließ, melde Karls des Großen fraftvollem Cäfaropapate gegenüber 
Niemand einzubringen gewagt hätte. Das Legtere wird noch begründet 
dur die auch von Waitz (S. 239) angeführte Weigerung der vafalliti: 
ihen Huldigung im neunten Jahrhundert , von welcher ebenfalld früher 





5. Deutiche Geſchichte. 288 


teine Spur zu bemerten if. — Den Schluß des eriten Abſchnitts bilvet 
die Unterfuhung über die Einkünfte der Grafen und der übrigen vom 
Könige eingejegten Beamten. 

Das folgende Capitel berührt no einmal das Perhältniß der Krone 
zum kirchlichen Eigenthum — Beneficien, Precarien mit None und De: 
cime — und verfolgt dag gefammte, immer mehr an Ausdehnung gemin: 
nende, auf immer weitere Kreife fich erftredende Beneficialmefen und 
die mit demfelben vertnüpften Gewohnheiten und Pflichten. Mit S. 198 
beginnt der Verfaſſer feine neueiten Forſchungen über Vaflallität darzule⸗ 
gen, jene Inftitution, welche „urfprünglih auf andern Grundlagen erwach⸗ 
fen, jet in die engſte Verbindung mit den Beneficien getreten iſt.“ Mehr 
und mehr ftellt fi) der Grundſatz feft, daß die Ertheilung eines Bene: 
fiium zugleich die commendatio von Seiten des Empfängers bevingt, 
während man umgelehrt der Vaſall Jemandes fein kann, ohne ein Bene: 
fictum empfangen zu haben. In den widtigften Punkten bleibt Waitz bei 
feinen fchon früher gegen Roth vertheidigten Anfihten. Gegen die Gfrö: 
rerſchen Phantafien, als ob das Capitular von Merſen a. 847 den Zwang 
für jeden Freien fi in ein Commendationsverhältniß zu begeben auöge: 
ſprochen hätte, macht Waitz die richtige interpretation der Stelle des be: 
trefienden Capitulars geltend (S. 234). PVorzüglih im weſtfraͤnkiſchen 
Reiche ift es fpäter zu der einjeitigen Ausbildung des Bafjallitätsverbans 
des im DVerhältniß der Großen zu ihrem Könige (Senior) gelommen. 
Ganz bejonders wichtig ift die Unterfuhung über die JZmmunität in 
der Tarolingifhen Zeit (S. 243 ff.). W. verfolgt diefelbe in ihrer hifto: 
rifhen Entwidlung, indem er die einzelnen Urſachen zufammenftellt, welche 
fchließlih eine jo bedentlihe Ausdehnung diefes Privilegiums bewirken 
mußten. Folgerihtig knüpft fih an die Crörterungen über Baflallität und 
Seniorat die Frage nah der Bevorzugung einer bejonderen Clafje als ber: 
vorragenden Standes — Adel. Aus den Quellen läßt fih mit Zuver: 
läffigleit feine fpezielle Bezeihnung für die Ariftolratie gewinnen. Nach 
Roth (Beneficialmejen S. 382) beginnen die seniores als Gefolgsherm 
einen befonderen Stand zu bilden. Einen derartigen Adel als abgefchlof: 
fenen Stand kann Waitz nicht zugeben. Saͤmmtliche durch Eigenbefig, Bes 
neficium oder Amt Herporragenden haben die Ariftolratie gebildet. Ein recht: 
licher Vorzug ift mit einer befonderen Abftammung nicht verbunden (S. 278). 

Den verfhiedenen Formen der Rechtspflege — Grafengerichte, 


24 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Gerichtstage, richterliche Pflichten, geiſtliche Gerichte, Immunitaͤtsgerichts⸗ 
barkeit, Gerichtöthätigleit der Synoden und Neichstage, Strafen und Bu⸗ 
ben — iſt der achte Abſchnitt S. 306—448 gewidmet. 

In Betreff der Heerverfaſſung iſt es bekannt, wie Roth fo: 
wohl für die merovingifche, wie für die farolingifhe Zeit die Dienftpflicht 
als Pfliht jedes freien Mannes, unabhängig vom Grunbbefige, nachzu⸗ 
weifen bemüht war. Dagegen hält Waig aud gegenwärtig an feiner An⸗ 
fit feft, daß ſowohl unter den Merovingern nur der Grundbefiger zum 
Heerbann verpflichtet und befugt geweſen, wie aud in der karolingifchen 
Zeit der Befig von Land als Grundlage des Heerdienfte® anzufeben fel. 
Beftimmungen Karl3 d. Gr., melde von diefer Grundlage abfehen, find 
Neuerungen, welche derfelbe getroffen. Allerdings verpflichtet nicht nur der 
freie Befig, ſondern auch abhängiges Land ven Freien zum Heer 
dienfte. Das Beneficium ift in der Verpflichtung zum Kriegsdienſte dem 
Eigengute gleichgeftellt. Daß auch, wenn Karla GCapitulare vom pauper 
reden, der zum Kriegsdienſte herbeizuziehen ſei, diefer pauper noch Grund 
befig bat, wird S. 453 mit einigen Stellen belegt. Ueber das Verhältuik 
des Fußvolkes zur Reiterei fiehe S. 458 ff. Darauf legt W. die wieder 
bolten Verſuche der gejeßgeberifchen Thätigleit Karls dar, die Laft des 
Kriegsdienftes zu mildern, der dur die vielen, nad den verfjchiedenften 
Seiten hin geführten Kriege jäbrlih bedingt wird. Es ergiebt fidh das 
Refultat, daß Karl, jo eifrig er au eine rationelle, auf die Erleichterung 
ber Dürftigen bedachte Geſetzgebung anjtrebte, doch dem fchließlihen Ruin 
der Heinen unabhängigen Grundbefiger nicht vorbeugen konnte. Nachdrück⸗ 
ih, um jedem Mißverftänpnip vorzubeugen, hebt Waig in Betreff des 
Einflufies des Beneficialmefens auf den Heerbann hervor, daß wenngleich 
bei dem Aufgebote der Senior an die Stelle des Grafen tritt, die Kriegs: 
pfliht des Einzelnen nicht durd fein Berhältnig zum Senior, fondern zum 
Staate bedingt bleibt. Ueber die von Gfrörer und Daniel? jo mißverftan- 
dene Stelle des weſtfräͤnkiſchen Capitulars von Merjen a. 850 bat der 
Verfaſſer fi auch ſchon früher verbreitet (vgl. „Vaflalität”). 

Im lebten Abfchnitte, Auflöfung des fränlifhen Reichs, 
bezeichnet der Verfafler das Reich Karls d. Gr. als die Erfüllung einer 
wichtigen Aufgabe im Leben der abendländiſchen Welt (S. 535), in wel: 
chem e3 indeß bei aller Anftrengung nicht gelungen ſei, die feite Grund: 
lage zu einer dauernden Vereinigung beritellig zu machen. Rur in fehr 





5. Deutiche Geſchichte. 286 


unvolllommener Weije findet Waitz die Bedingungen eines rechten ftaat: 
lichen Lebens in jenem Reiche enthalten. Es ift jo eben hervorgehoben, 
wie die drüdenden Verpflichtungen bes Kriegsdienſtes während der Regie: 
rung Karld die kleinen reien zur Aufgebung des jelbftändigen Grundbe⸗ 
figes drängten ; dag Abhängigkeitsverhältniß zu den mächtigern Herren, in 
welches fie traten, ftärlte natürlih den Einfluß der legteren. Eine be 
fondere Gefährdung der Einheit lag aber nah Waig in der jteigenven 
Macht, welche die Benefizial: und Baflallitätsverhältniffe erhalten haben ; 
die unter den Nachfolgern Karls fih nod immer mehrende Bedeutung je: 
ner Inſtitutionen trug „weſentlich zur Auflöjfung des Reichs und der ein- 
zelnen Herrſchaften bei.” Auch im PVerhältnig der Staatsbeamten zum 
Herrſcher macht fi das überwiegende perjönliche Verhältniß in bebentli- 
her Weiſe geltend. Die unterworfenen Böller und Stämme find mehr an 
die Berjon des Eroberer? als an das fränlifche Volk gelettet, fie geborchen 
Karl nicht ala dem König der Franken, oder ala dem in Rom gekroͤnten 
Kaifer, fondern weil er an die Stelle ihrer Herrſcher getreten if. Mili⸗ 
tärifche Rüdfichten bewogen denjelben Karl, ver jo eben vie jelbftändige 
Herzogwürbe niedergeworfen , einzelne Beamten wieder eine Art terris 
torialer Herrihaft gewinnen zu laffen. Eine andere Urſache ver, nad 
dem Tode Karls ſchon beginnenden Auflöfung des fränkiihen Reichs fin 
det W. in jener Verbindung mit der Kirche, in welcher freilich Karl eine 
Grundlage für die Einheit feines Reiches zu erhalten meinte. So großar⸗ 
tig jene Idee einer Vereinigung von Kirche und Staat, jene gegenfeitige 
Durchdringung ihrer Tendenzen erſcheint, jo „liegt doch darin nicht nur 
ein Hinausgehen für die Kirche über die Grenzen ber ihr zulommenden 
Wirkſamleit“, fonvdern „in no ungleich höherm Grade muß das ganze 
Etreben für die politiihen Intereſſen der Völler als unbefriedigend und 
irreführend erjcheinen.” Ja, „daß das Kaiſerthum eben auch eine kirch⸗ 
lihe Gewalt fein follte, bat ihm faft mehr den Charakter der Schwäche 
als der feften Dauer und fiheren Beitandes gegeben.” Auch die theils 
weife Berechtigung jener Anfiht, welde die Auflöfung des karolingiſchen 
Reiches von dem Streben der einzelnen Nationalitäten nad) ftaatliher Son: 
derung und jelbftändiger Entwidlung berleitet, ertennt W. vollftändig an. 
Mit einer Darftellung des Verfalles des karolingiſchen Reiches unter Lud⸗ 
wig und feinen Söhnen, mit dem die Trennung befiegelnden Bertrage 
zu Verbün, fchließt ver A. Band. 


286 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Möchte die hiſtoriſche Wiſſenſchaft, Schon im voraus dankbar für vie 
weitere erjchöpfende Arbeit des Verfaſſers, bald die Beröffentlihung des 
erften Bandes der rein deutſchen Verfaſſungsgeſchichte begrüßen können. 


Die Alterthümer unferer beidnifhen Borzeit. Nach bem 
in öffentl. u. Privatfanmfungn. befindf. Driginalien zufammengeftellt u. breg. 
v. dem römifch-german. Centralmufeum in Mainz durd) deffen Conſervator 2, 


Lindenſchmit. 7. Hft. gr.4. (29 Steintaf. mı. 34 Blatt Erläutergn.) Mainz, 
vd. Zabern. 


Tacitus, C. Eornel.,,der Freiheitstanpf der Bataver urter 
Klaudius Eivilis. Mit Einleitg., Eonmentar u. 2 Karten verfehen v. Gymu.- 
Oberlehr. Dr. Earl Chriſt. Conr. Bölker. 1. Lig. Einleitung u. Zert. gr. 8. 
(VO u. 111 S. m. 1 dromolith. Karte). Efberfeld, Bädeker. 


Künsberg, Heine, Wanderung in das germanifde Alten 
tbum. gr. 8. (IV u. 456 ©.) Berlin, Dümmler’s Berl. 

Diefe didleibige Schrift lönnen wir leider nicht als eine ſehr glüdliche 
Vermehrung der ſchon fo großen Literatur über das deutſche Alterthum 
anerfennen, mit fo viel Selbftvertrauen aud der Herr Verfafler auf feine 
Entdedungen zu bliden fcheint. Derjelbe ift fich der Bedeutung und Schwie: 
rigfeit feiner Aufgabe offenbar wenig bewußt geweſen, da er es nicht biok 
mit den Sachen gar leiht nimmt, fondern auch einen Zon anfchlägt, ber 
für eine wiſſenſchaftliche Unterſuchung zu dem völlig ungewöhnlichen ge: 
hört. Die erfte Hälfte des Buches befaßt fih mit der Kritif der Nach⸗ 
richten, welhe Cäfar, Plinius, Tacitus, Strabon und die übrigen Alten 
über die Germanen binterlafien haben; die zweite Hälfte will eine zw: 
fammenhängende Darftellung der politiihen, religiöfen und geſellſchaftlichen 
Zuftände der alten Germanen geben. An jene Nachrichten gebt ber 
Verf. mit dem ungläubigften Gemüth von der Welt heran. Er findet 
darin unzäblige Widerfprühe und Ungereimtheiten, Gefchichtchen, die fi 
die Römer von Commis:Tovageurs hätten aufbinden lafjen, oder die fie aus 
fonftigen ®ründen auftifchten. Die Angaben Cäſar's über Leben und Ader: 
bau der Germanen feien ein „Wirrwarr”, worin man fidh nicht zurecht⸗ 
finden könne. (S. 13); nad ihnen erfchienen vie Germanen als „ſchäd⸗ 
liche Raubthiere”, ala „wilde Eber“ (S. 56), mährend fie Tacitus wie 
„eine Art von Faulthieren” ſchildert. (S. 21). Der Verfafler der Ger: 
mania habe mandye Stelle „in arger Zerftreutheit” niedergejchrieben. (S. 24.) 
Der „Broſchüre“ Germania wird von Seite 119 an ein ganzer Abſchnitt 





5. Dentſche Geſchichte. 287 


gewidmet, und 3. B. jo geurtbeilt: „Die Form des Schriftchens ift nahezu 
die jchlotterigfte, die man fih denken kann.” Der Styl, in welchem e3 
geſchrieben ift, „hat große Aehnlichteit mit dem, worin des Tacitus bifte: 
riſche Schriften gefchrieben find,“ aber er erjheint nur als eine „Carrica: 
tur” deffelben. Vieles darin Enthaltene find entweder „ſchlechte Spaͤſſe“ 
oder „ernfte Albernbeiten” ; es bleibt nur die Alternative „ihren Verfaſſer 
entweder für einen Menjhen von ſehr ſchwacher Urtheilsfraft oder aber 
für einen Spaßvogel zu halten”. Eine ſolche „literariihe Mißgeburt” wie 
die auf uns gelommene Germania will der Verf. dem großen Tacitus 
nicht zutrauen; man müjje darin eine Traveftie auf eine Jugendſchrift des 
Tacitus erbliden. (S. 130 u. 131). Allein mit den Annalen und Hi: 
ftorien, an deren Aechtheit der Verf. nicht zweifelt, ſpringt er in ganz ähn: 
licher Weife um, erklärt ihren Inhalt in vielen Beziehungen für Irrthum, 
Widerſpruch, Erdichtung, 5. B. 5. 58 u. 61. Mit der Anmaßung, melde 
ſich in dieſen burfchitofen Ausfällen und gibt, hält dann die Unwiſſenheit 
des Berfailers gleihen Schritt ; das mas die berühmtelten Alterthumsfor- 
fher vor ihm gejagt und feitgeftellt haben, eriftirt für ihn nidt. Es ift 
Har, wie nun das Bild ausfallen muß, das der Verf. von dem Leben, 
den Sitten und den Perfafiungäzuftänden der Germanen entwirft. Er 
nimmt an, was ihm paßt, und was fich mit feinen mangelhaften Kennt: 
niffen und Anſchauungen verträgt, und macht ſich luftig über das ihm Un: 
verſtaͤndliche und alle die leichtgläubigen Gimpel, die vor ihm daran glau⸗ 
ben mochten. So, um ein Beilpiel anzuführen, entnimmt er aus ber 
traveftirten Germania die „wichtige Belehrung,” daß die Germanen ver: 
fchiedene Stände hatten, was Cäſar „forgfältig zu verhehlen fuche” 
(S. 135); er geht alfo dem großen Cäjar zu Leibe mit den Zeugniffen 
eines ſpaßhaften Plagiats. Mo wir auch binbliden mögen, überall zeigt 
fih in dem Buche dieſelbe Leichtfertigleit ber Dinge abzuurtheilen, bie 
fi der Verfafler bei feiner „Wanderung“ nur fo im Porübergehen ange: 
ſehen bat, ohne fid um ihr Berftänpnig weitere Mühe zu geben. Deßglei⸗ 
hen ſcheinen uns feine vielfachen ſprachlichen Verſuche, foweit und ein 
Urtheil darüber zufteht, nirgends einen Sacdlenner jondern höchftens einen 
Spagiergänger zu verrathen, deſſen Einflüjterungen allerdingd den Schaden 
bringen können, bloße Dilettanten in die Irre zu führen. F. Th. 


Zoepfl, Hofratb Prof. Dr. Heint., Alterthümer d. dentfhen 
VNechte. Studien, Krititen u. Urkunden zur Erläuterg. der deutſchen Rechte⸗ 


288 Ueberficht der hiſtociſchen Literatur von 1861. 


gefchichte u. d. praft. Rechts. 8. Bd. X. n. d. T.: Die Aulande-Gäule. Cine 
rechte» u. funfigefchichtl. Unterfuchg. Mit 20 in den Tert gedr. Holzſchn. gr. 8. 
(VIH u. 398 ©.) Leipzig. C. F. Winter. 


Ride, Doc.Dr. Fror. Gefhichte ber deutfhen Bormundfhaft 
1. Bd. A. u. d. T.; Die VBormundfchaft im Rechte der Germanen. gr. 8. (XIV 
u. 284 ©.) Braunſchweig 1862, Schwetſchke & Sohn. 


BWislicenus, Ernft, Entftehung von Königthum u. Adel im 
Deutichland od. Umfturz der urfprüngl. Berhältniffe d. altdentichen Boltelcbens 
durch die Völkerwanderg. Eine Schrift f. das deutfhe Bolt 2. (Zitel-) Aufl. 
8. (216 S) Leipzig 1847, D. Wigand. 


— — der Deutfhen ältefte Geſchichte u. VBollszuftände. Eine 
Schrift f. das deutſche Volt. 2. (Titel-) Aufl. 8. (212 ©.) Ebd, 1846. 


Dahn, Dr. Felir, Privatdocent an der Hochſchule zu Münden, bie 
Könige der Germanen nah den Quellen dargeftellt. Erſte Abtheilung. 
Die Zeit von der Wanderung — Die Bandalen (XXIV 265 ©.) Zweite 
Abtheilg. Die Meinen goth Völker. — Die Oftgotben. (XII 287.) München, 
Fleiſchmann. 


Obwohl wir ſchon verſchiedene ausführliche Werte über das germani⸗ 
Ihe Königthbum befiten, fo war der Berfafier doch der Meinung, daß ſich 
der Gegenftand, einer nochmaligen und zwar noch viel umfaflenderen Behand 
lung lohne. Es ift von ihm auf nicht Geringeres als ein Werk von 5 Bänden 
zu je drittbalb hundert Seiten abgejehen. Zwei Bände (der 2. und 3.) follen 
ih allein mit der Gefchichte der Gothiſchen Reiche und ihrer Könige befaffen, 
der 4. dann die bisher ſchon mehr bearbeitete Geſchichte der Koͤnigs⸗ 
macht bei Franken, Burgunden, Langobarden, Alamannen u. |. w. bringen, 
und der 5. mit den angeljähfifchen und norbijhen Staaten den Beichluß 
mahen. In der ung vorliegenden erften Abtheilung ift außer dem den 
Vandalen gewidmeten Abjhnitt (S. 140—260) eine Unterfuhung über 
das alte „Volkskönigthum“ enthalten, wie es der Verf. zum Unterfchieb 
von dem erft nah der Völlerwanderung entitandenen „Lehenktönigthum” 
nennt. Diejelbe führte ihn aber mit Nothwendigleit auf die Betrachtung 
ber altveutichen Staat3einrichtungen überhaupt, über die er fi denn auch 
näher verbreitet. Bon dem richtigen Gedanken ausgehend, daß es vor 
alien Dingen auf die Ermittlung des Sprachgebrauchs der Quellen ans 
komme, ftellt er von S. 40— 97 unter gewiflen Rubrilen alle Stellen 





5. Dentiche Geſchichte. nn 289 


aus Gäfar und Tacitus zufammen , welche bierbei wichtig werben und 
unterwirft fie einer kurzen Kritik. Er bat bierbei eine größere Vollſtaͤn⸗ 
digleit erreicht, ald die meiften feiner Vorgänger, ift aber, was feine Fol: 
gerungen betrifft, bei weitem weniger glüdlidy gewejen. Diele Säge, die 
man für mehr und mehr anerlannt zu halten geneigt war, 3. B. daß nur 
die obrigteitlihen Perſonen Begleiter (comites) unterhalten durften, daß 
die im 6. u. 12. Kap. der Germania genannten centeni die Hundert: 
ſchaft beveuteten, daß pagus bei Tacitus dad Gebiet der Hundertſchaft 
fei, u. f. w., find bier von Neuem, aber ohne überzeugende Gründe, an: 
gezweifelt. Dabei erfcheint der Stoff theilmeife zu wenig burdhgearbeitet, 
woraus ſich eine gewiſſe Unbeftimmtheit, Breite und auch verſchiedene Wi: 
derfprühe erflären. So folgert der Ber. S. 63 aus Germ. Kap. 18: 
exceptis admodum paucis, qui ob nobilitatem plurimis nuptiis 
ambiuntur, daß es nur wenige Adelige gegeben habe, (mas freilich über: 
haupt ein verfeblter Schluß ift), während er doch daneben die Stelle der 
Annalen 2, 11 anführt, wo gemeldet wird, um den Führer der Bataver Cha: 
riowalda feien multi nobilium gefallen. — ©. 76 folgert er: Es ſei nit 
angegangen, daß ein Graf, ein Haupt des Staats, mit feinem Gefolge 
auf Raubzüge ausgezogen fei, da er dadurch, vermöge feiner öffentlichen 
Gtellung, den ganzen Staat in Krieg verwidelt haben würde; Gefolgichaft 
baben und Graf fein, erjcheine nicht wohl verträglid. S. 75. Allein 
©. 73 war umgelehrt angenommen, daß die „meiften” Grafen Gefolg- 
ſchaft gehabt haben möchten. — Was nun das altdeutihe Königthum 
anbelangt, fo fußen die Beweisführungen des Verjaflerd zum großen 
Theil auf feiner Anſicht über die Könige der Cherusfen, von denen ©. 119 
bis 132 gehanvelt if. Er geht davon aus, daß der Stamm ber Cherus: 
ten nicht ein einziges Oberhaupt, einen Stammgrafen oder Stammlönig, 
gehabt habe, ſondern in eine Reihe von Bezirken mit befonderen Borftehern 
gegliedert geweien ſei. Tacitus nenne mehrere dieſer Vorftände, nämlich 
Armin, Segeft und Inguiomer; dieſelben feien im Frieden alle einander 
glei an Rang und Gewalt geweien; nur für den Krieg habe Armin 
die Herzogsgewalt über den ganzen Stamm geübt. Es entſtehe nun die 
Zrage, von welcher Beſchaffenheit dieſe Vorſtandſchaft geweien fei, ob mo: 
narchiſch oder republilaniih ? Der Verf. meint, die Quellen feien in dies 
fer Beziehung in Wiberſpruch mit einander ; nur ein Grund ſpreche für 


ein „Begiztslöiwigthum"; dieſer wiege aber auch ſchwer genug; nämlich, 
Hleriige Behfärift. VII. Be. 9 


290 ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


daß Tacitus in den Annalen 11, 16 das Geſchlecht Armin's ein kborig⸗ 
lies, regia stirps, nenne; der Name fee aud den Beſitz der Gewalt 
voraus ; und da Segeft und Inguiomer dem Armin gleihgeftauben hätte, 
fo feien fie als Bezirkskönige aufzufaflen. Den Unterfchied zwiſchen Be 
zirksgraf und Bezirkskönig gibt der Berf. folgendermaßen an: Während bie 
Gewalt beider binfichtli ihres Umfangs faft gleich geweſen jei (6. 23), 
fo babe die des republilaniihen Bezirkögrafen „lediglih auf Wahl” bes 
rubt, die des Bezirkstönigs auf „Erbrecht feines Geſchlechts und hinges 
tretender Wahl des Volles” (©. 5 u. 23); einen vorzüglichen Anſpruch 
auf die Koͤnigswürde hätten die Adelsgeſchlechter dann gehabt, wenn das 
feitherige Königsgefchleht auögeftorben fei, oder werm das Voll das Nie 
nigthum ganz neu einführte (!) ©. 65. Nun wird aber Armin zuges 
ftandenermaßen niemals jelbit König genannt, vielmehr im Gegenjag gu 
dem als rex auftretenden Marobod ala Borfechter der libertas binges 
ftellt. Wie Löft fich diefer Widerſpruch? Der Verf. meint 6.129, es mäfle 
bier „ausnahmsweiſe eine ziemlich künftlihe Auslegung verſucht werben.” 
Es fei davon auszugehen, daß libertas nicht fpeciell die republilanifche 
Freiheit bezeichne, ſondern allgemein die Freiheit, wo fie ſich finde, im 
Freiftaaten oder Königreihen. Diefem Sab, jo richtig er für Germ. c. 43 
it, können wir aber keineswegs eine allgemeine Geltung zugeſtehen; 
unrichtig ift er gerade für die Stelle, worauf es bier ankommt, Annal. 
2, 44: Maroboduum regis nomen invisum apud populares, 
Arminium pro libertat.e bellantem favor habebat. Dem 
gewiß erfcheint es etwas gar zu „künftlih”, darthun zu wollen, nicht bez 
Umftand, daß fih Marobod zum König aufwarf, ſondern die große Härte 
feiner Herrſchaft habe ihn verhaßt gemadht; nur biefes mit ver Freiheit 
unverträglihe ftrenge Königthum nenne Tacitus regnum, niemals das „echt⸗ 
germaniſche“ Königthum. (S. 88, 92 u. 129); wenn es von Armin heiße, 
er babe fpäter jelbit nah dem regnum geitrebt, fo fei damit gemeint, 
er, ein bloßer Bezirkskoͤnig, habe die übrigen Bezirtslönige zu befeitigen und 
das Königthum über dad ganze Boll in feiner Hand zu vereinigen ger 
ſucht. (S. 130), Der Verfaffer fieht ſich aber doch felbft in die Roth 
wendigkeit verfeßt zuzugeben, daß Tacitus nicht bloß einen „Tyrannen“ wie 
Marobod, jondern auch „echt⸗germaniſche“ Könige reges nannte; denn 
Armin fol ja Bezirkslönig, fein Geſchlecht eine regia stirps gewejen 
fein. (S. 92 u. 130). Während aljo regnum nur die firaffe Tyrannei 





5. Deutihe Geſchichte. 91 


ausbrädte, ſoll rex, regnare, in verjhiedenem Sinn genommen werben 
dürfen, — gewiß eine gezwungene Behauptung. Der Berfafjer verſchweigt 
ſich auch felbft keineswegs, daß feine Theorie von dem Bezirkskönigthum 
bei den Gherusten noch „großen Bedenken“ unterliege, daß fie mit einer 
einzigen Annahme ftehbe und falle, nämlid der, daß Armin's Gejchlecht 
wirklich ein Tönigliches geweſen fei; ließen fi die Worte regia stirps 
anders deuten, jo müjle man Armin als Bezirkägrafen, alſo als republi: 
laniſchen Vorſteher anſehen. (S. 119 u. 131). Unferer Anfiht nad ift 
die wirklih der Fall, und Lönnen wir daher den Folgerungen des Verf. 
in feiner Weife beiftimmen. Derjelbe hat überhaupt ſchwerlich mohlgethan, 
nad) dieſen ihm ſelbſt doch noch zweifelhaften Vorausſetzungen alle übrigen 
Nachrichten des Tacitus zu meſſen. So führt ihn der Umftand, daß Ar- 
min, Segeft und Inguiomer durdgängig „principes“ genannt werben, 
zu einer höchſt bevenklihen Aufftellung. (S. 67—78 u. 88.) In der Ger: 
mania nämlich bezeichne princeps breierlei; an einigen Stellen, wo es 
dem rox gegenüberitebe, den” republilanifhen Grafen (S. 7); an anderen 
einen gewöhnlichen freien Mann, Adeligen oder Grafen, die reich genug 
woren um Gefolge zu halten; mehrfad gehe es aber auch auf die „Be 
zirtstönige" (1). Vielleicht habe der geringe Umfang der Bezirle den Ta⸗ 
citus abgehalten, den Namen rex zu verwenden; ein beſonderes Wort 
fei ihm nicht zur Verfügung, oder ihm auch der Unterfchieb nicht immer 
recht deutlich geweien; und das habe „jene Widerjprüce und Duntelbeiten 
in den Sprachgebrauch des Tacitus gebracht, welche wir völlig entſchuldi⸗ 
gen, aber nicht völlig löfen künnten.” (S. 89). Die Auslegungen bes Ber: 
fafler? endigen alfo zugeftandenermaßen mit unlösbaren Widerſprüchen, ein 
Ergebniß, das eben kein glüdliches genannt werden kann*). F. Th. 


Hiemer, Karl, die Einführung des Chriſtenthums in den beutjchen 
Landen. 6. Thl. A. u. d. T.: Die Einführung d. Chriſtenthums im weftlichen 
a. mittiern Rorbbeutichland. 8. (VIII u. 507 ©.) Schaffhaufen, Hurter. 


Bolze. Die Sahfen vor Karl dem Großen. Progr. der Luifen- 
Räbt. Realſchule in Berlin. 4. (35 ©.) 


Landau, ©, Der nationale Hausbau 1. — 4. Ausführung. 





®) Ueber dem 2. Theil des Buches bleibt nod eine Kritik vorbehalten. 
A. der Red. 


293 Meberficht der hiſtoriſchen Literatift von 1861. 


Beilagen zum Correſpondenzblatt der Hiftorifchen Vereine 1851 — 62. (10.20, 
6 u. 48 ©.) 4. 

Es mag erlaubt fein, bier mit ein paar Worten auf vie Unterfuchum 
gen hinzumeifen, welche Landau jeit einer Reihe von Jahren über bie An 
lage der Häufer und Dörfer in den verſchiedenen Theilen Deutſchlands 
veröffentlicht, geftüßt theil3 auf Mittheilungen, welche ihm von verſchiede⸗ 
denen Seiten durch die Vermittlung beſonders ver hiſtoriſchen Vereine 
zugegangen find, theil3 auf eigene Wahrnehmungen, die er auf Tleineren 
und größeren Reiſen gefammelt bat, und erläutert durch eine bedentende 
Zahl von Abbildungen und Grunbriffen. Sie haben an fi ein nit ger 
ringes Intereſſe, find aber zugleich nicht ohne Bedeutung für die Beſtim⸗ 
mung der Bolld: und Stammgrenzen und erfcheinen fo als ein Hülfsmittel 
zur Erforſchung wichtiger Seiten der älteren Geſchichte überhaupt. Wie 
derholt bat der Verf. darauf hingewiejen; aber freilih, wie id) meine, bier 
fen Werth au wohl überfhägt, auf dieſem Wege zu viel ermitteln wol 
len. Namentlich in der legten, umfangreihften Ausführung ift das der 
Fall. In der vorhergehenden war von dem fränkifchen und fächfiichen Haufe 
die Rebe ; bei Beiprehung des lehteren wurde befonders auf bie Ber 
ſchiedenheit aufmerkſam gemacht, welche zwiſchen dem nörbliden und fübs 
lichen Weſtfalen in der ganzen Art des Anbau's u. ſ. m. ſtattfindet umb 
daraus auf eigenthümliche Benölterungsverhältnifie in dem Lande nördlich 
der Lippe geſchloſſen; ebenjo fam es zur Sprache, daß in einem bebeutew 
ben Theil des füböftlihen Sachſens nicht die eigenthümlich ſaächſiſche, ſon⸗ 
dern die thüringiihe Baumeife herrſche. Mit vdiefer nım befhäftigt fi 
der jüngft erfchienene Aufſatz. Diefer führt aus, daß in dem jefigen 
Thüringen, außerdem aber in einem Theil des alten Sachſens, und welter 
öftlih bi8 an die Grenzen Schlefiend, in den Marten, Meißen und ber 
Laufig diefelbe Art der Anlage des Haufe und des Dorfes begegme, 
und daraus wird gejchloffen, daß bier zu irgend einer Zeit eine und bie 
jelbe Bevölferung gewohnt haben müffe Damit wird man nun aud im 
allgemeinen wohl einverftanden fein. Wenn der Verf. dann aber barthım 
will, daß dies Slaven gemwejen, daß dieſe vor den Deutſchen das ganze 
jegige Thüringen bis zu den Grenzen Heſſens eingenommen haben, und 
in Zuſammenhang damit der älteren deutfchen Geſchichte eine ganz andere 
Geftalt gibt als bisher, indem er ſchon in früher Urzeit eine Bewegung 
der Germanen nicht non Often nad Weiten, fondern in umgelehrter Rich⸗ 





5. Deutie Geſchichte. 293 


tung annimmt, fo muß man ſich dagegen auf das. entfchievenfte erllären. 
Gine Menge verjhiedener Gründe follen den urſlaviſchen Charakter des 
thüringifehen Landes beweiſen; die meiften ergeben aber nur, daß fpäter 
in Thüringen wie in Oftfranlen eine ziemlich weite Verbreitung von Sla⸗ 
ven ftattgefunden bat, weiter als man früher anzunehmen geneigt war. 
Anderes, dad als ſlaviſch in Anjprud genommen wirb, 3.3. die Endung 
— leben in den Ortönamen, hat entſchieden nicht dieſen Charakter (vgl, 
Bott Ortsnamen ©. 188), wie ſchon das zur Vergleihung berangezogene 
— lef bei den Stanpinaven zeigt. Denn wenn auf Grund diefer und 
einiger anderer ganz unzureichender Gründe aud der flanbinavifche Norden 
als urfprimglich flavifh in Anſpuch genommen wird, fo heißt das in der That 
die Geſchichte auf den Kopf ftellen. Die Inſel Fehmarn aber, die der 
Berf. bier mit in Anfchlag bringt, gehört zu Wagrien, deſſen flavifcher 
Boltscharalter auf belannten hiftorifchen Ereigniffen beruht. Es mußte den 
Verf. wohl auch ſchon auf das Bedentlihe feiner Annahme aufmerkſam 
machen, daß die öftlihen aͤchtſlaviſchen Lande, ſchon Brandenburg, dann 
Schlefien u. ſ. w. einen ganz anderen Charakter ländlicher Anfiedelung zei: 
gen, als den hier beiprochenen. Will man biefen nicht auf die fpätere Ger: 
manifirung Meißen's und der Laufig von Thüringen aus zurüdführen, fo 
mag man an die alten Hermunduren denken, deren Sige öftlid offenbar 
bedeutend weiter reichten als die ber fpäteren Thüringer und die den ein- 
wanbernden Slaven dann ihre Dörfer und Bauwerke überlieferten, mäb: 
vend manches andere in Einrichtungen und Benermungen von diejen ein: 
geführt ward und befteben blieb, als fpäter im allgemeinen wieder das 
germanifche Element in dieſen Gegenden das Uebergewicht erhielt. Im all: 
gemeinen muß man aljo bier wie bei früheren Arbeiten Landau's 
urtheilen, daß feine Einzelunterfuhungen ven beften Dank und alle För: 
derung verbienen, die allgemeineren Ausführungen aber vielfach den größ- 
ten Bedenlen unterliegen. G. W. 

Benkard, 3. Ph., Geſchichte der beutfhen Kaifer und 8% 
ige. Zu den Bildern des Kaiferfanles. 3. Aufl. 8. (VII 1.1556.) Sranl- 
fat a M., Keller. 

Mäürdter, J. R., deutfhe Kaiferbilder. Kür bie reifere Jugend 
entworfen. 1. Abth. Karl der Große bis Heinrich V. (768—1125). 8. (IV u. 
870 &. m. eingebr. Holzſchu.) Stuttgart 1862, 3. F. Steinlopf. 

Sickel, Th., die Urkunden Aubwig des Deutfhen bis zum 
Sabre 859. Wien 1861, k. !. Hof- und Staatebruderei. 


24 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Die Sichtung der Urkunden Ludwigs de Deutichen, welche in biefen 
Beiträgen unternommen ift, läßt es fehr bedauern, daß ber Herr Verfafler 
in der Vorrede diefes Heftes fo entſchieden die Abfafjung eines größeren, 
die ganze Karolingerzeit umfaflenden diplomatiihen Wertes ablehnt. Wie 
ſehr diejer Gegenſtand einer forgfältigen kritiihen Behandlung bedarf, zeigt 
die bier gegebene Probe aud demjenigen deutlich genug, ber nicht bei 
eigener Forſchung in jenen Zeiten den Mangel eines ſolchen Wertes ews 
pfunden bat. Der früher gebräuchlichen Eintheilung der Urkunden Ludwigs 
des Deutfchen nach zwei Perioden feiner Regierung, als König von Baiern 
und von Dftfranten, ftellt Sidel eine Unterſcheidung nad Kategorien ber 
Urkunden, nad Kanzleiperioven und nad) Gruppen von Diplomen, welche 
von verſchiedenen Fürften derjelben Perſon ausgeftellt find, entgegen. Als 
das weientlichfte Mittel zur Prüfung der Echtheit eines Diploma feien bie 
in den Urkunden wieberlehrenden Formeln ins Auge zu faflen unb zu uw 
terfuchen , welche dieſer Formeln während einer gangen Regierungsperiobe 
unveränberlich gleich bleiben, welde einer beftimmten Kanzleiperiode, oder 
beftimmten Urkundenlategorien angehören. Bei der Prüfung der einzelnen 
Diplome Ludwigs des Deutſchen gewinnt ber Verfaſſer die interefianteften 
Nefultate durch die praktifche Anwendung dieſer Formelkritik und erzielt mit 
biefer Methode außer dem Nachweiſe der Unechtheit auch die Herftellung 
unlejerlider und verberbter Urkunden. 

Wir erhalten in der Einleitung nähere Mittheilungen über die Merl 
male der Achten Urkunden Ludwigs d. D., über Pergament, Schrift, Auf 
treten der biplomatiihen Minuskel (die fpezielle Angabe, bei welcher Ur⸗ 
kunde ſich diefelbe zum erftenmal findet, fehlt leider), In mehr als 200 
Urkunden der Karolingerzeit hat Sidel den vom Fürften felbft angefertige 
ten Vollziebungsftrih im Monogramm entvedt. Dagegen unterbleibt die 
Belräftigung dur dad Monogramm gänzlich bei Schug: und Freilafiungs« 
briefen, Rundſchreiben, Ertheilung des königlihen Mundiums, Betätigung 
von Taufchverträgen, falld keine Immunität ertheilt wird, überhaupt bei 
Urkunden, welche die Rechte Dritter beftätigen. Die Beitbeftimmung in den 
Diplomen Ludwigs d. D. gefchieht nad) dem Regentenjahre und der In⸗ 
biktion und zwar nad der mit dem 24. September beginmenven, der Rech⸗ 
nungsweiſe Bedas gemäßen Indiktion. 

Die Eintheilung der Urkunden nach Kanzleiperioden ergiebt ſechs der⸗ 
artige Abſchnitte für die Jahre 830 bis 858. Aus der Aritik der ein 





5. Deutſche Geſchichte. 29 


zelnen Urkunden heben wir nur einiges heraus, Die Urkunde bei Böhmer 
Ro. 723 vom 6. Oktober 831, angefohten von Waitz und Böhmer, ſucht 
Gidel zu retten, obgleich die bertinianiihen Annalen angeben, daß Kailer 
Ludwig eine Zufammentunft mit feinem Sohne Ludwig circa Calendas 
Octobris Noviomagi condixit,, auf welder ein gemeinfames träf- 
tige Handeln gegen die Verſchwoͤrer ftattfand. Daß Ludwig noch am 
6. Oktober zu Regensburg, jo entfernt von Nymmegen meilt, ftimmt kaum 
gu ben circa Calendas ver bertinianifhen Jahrbücher, abgefehen von 
den belamnten äußeren Gründen gegen die Echtheit der Urkunde — Mit 
der Urkunde bei Böhmer No. 735 wird die Behauptung von Waig, daß 
die Ertheilung des löniglihen Mundiums zugleih die Verleihung ver Im⸗ 
munität eingefhlofien babe, widerlegt. Die Erteilung ver letzteren, ob: 
gleich meiſtens gleichzeitig mit der Ertheilung des Munbiums erfolgen, 
iſt doch nicht ſchlechterdings in dieſem einbegriffen. — Bon größtem Sn- 
terefie ift der Nachweis über die Unechtheit des Diplom bei Böhmer 
Ro. 777 vom 20. Auauft 856, weldhes dem Biſchof von Worms die 
Smummmitätögericht3barleit über ein abgerundetes Territorium ertheilt, das 
er thatſaͤchlich noch nicht befigt und erſt unter Arnulf erhält. Bon biftos 
riſcher Bebeutung ift die Verwerfung diefer Urkunde auf Grund der Un: 
eichtigleit der in derſelben angewandten Formeln ſchon darum, weil Arnold 
w. 4. auf diejelbe ihre Behauptungen und Folgerungen über bie frühe 
Entwidiung der Ymmunitätsgerichtsbarleit der Bifchöfe in abgerundeten, 
zur bifchöflihen Stadt gehörigen Territorien gebaut haben. Nn. 

Fider, Zul, das deutfhe Kaiferreih in feinen univerfa- 
Leu und nationalen Beziehungen. Vorlefungen gehalten im Ferdinan- 
beum zu SIımebrud. gr. 8. (IV u. 183 ©.) Innebrud, Wagner. 

Sybel, Heimidh von, die deutfhe Nation und das Kaifer- 
seid. Kine biftorifch- politiiche Abhandlung. 8. (XVI u. 126 ©.) Däffeldorf, 
Zulius Budbeus. 

Die neuerdings lebhaft erörterte Controverje über die Bedeutung bes 
mittelalterlihen Kaiſerthums und den Einfluß der Kaiferpolitit auf die 
Geſchicke der deutichen Nation hat in diefem Jahre in ven beiden erwähn: 
ten Schriften eine weſentliche Förderung erfahren. Yider hat bier mit fteter 
Berüdfihtigung der alademiſchen Rede Sybels dargelegt, was die Noth⸗ 
wendigleit unb ven Segen der Kaiſerpolitik rechtfertigen fol, Die Ant: 
wert Darauf iſt nicht auögeblieben, fondern Sybel hat vie Veranlafiung 


396 Meberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


ergriffen , feine früher geäußerte Anficht weiter im Einzelnen burchzuführ 
ren. Es ift nun grade dieſe Zeitfchrift keineswegs der geeignete Ort, um 
das Ergebniß aus beiden Schriften darzulegen; als unfere Aufgabe erfcheint 
uns nur ein Neferat über bie einzelnen Argumente, 

Zuerft an die Beurtheilung der von Karl dem Großen eingefchlagenen 
Politik und feiner Schöpfung muß die Kontroverſe anlnüpfen Da ſieht 
5. nun das Beduͤrfniß einer größeren ftaatlihen Einigung der dyriftfichen 
Völker gegeben; die Gefahren des Islam für bas chriſtliche Abendland 
nimmt er einen großen Anlauf recht lebhaft zu ſchildern, muß freilich u⸗ 
legt die Thatſache zugeben, daß für die Zeit Karls des Großen biefelben 
ihon abgewenvet waren (S. 23). Auf dieſes Verfahren der Beweisführ 
rung mahen wir bier aufmerkſam: man fieht leicht, welchen Ginprud auf 
den Lefer jene längere Auseinanderfegung bezwedt, Gegen eine von Aue 
gen nabegelegte Nothwendigleit des Kaiferreiches erklärt ſich Sybel auf 
energiihe Weile. In der Frage, ob für das innere Staatsleben Karls 
Kaiſerthum nothwendig ober doc erfprießlich geweſen, ftimmen beide Geg⸗ 
ner Schließlich jo jehr überein, daß ©. wörtlih das Schlußurtheil .'3 ber 
übernehmen konnte. Dagegen zeigt fi bei dem nädften Schritt eine * 
weſentliche, tief eingreifende Divergenz. 

F. iſt der Anſicht, daß das karolingiſche Reich nicht durch Die tvew 
nende Kraft der Nationalitäten, deren Griftenz er läugnet, ſondern durch 
den Gegenſatz der einzelnen Stämme und die Biwiftigleiten der karolingt 
hen Herriherfamilie zerrifien und vernichtet wurde. Das deutfche Neid 
bildete fi dann dur eine neben jener Abneigung der Stämme herge⸗ 
bende, auf einen engern Berein der deutſchen Stämme gerichtete Tem 
denz (5. 44); und diefe beftimmt er dann näher fo: das Berürfnik um 
fafienderer über die einzelnen Stämmen hinausreichender Einigung ſei 
ſchon an und für fi durch die äußeren Gefahren nabegelegt ; für die Ver 
bindung gerade der deutſchen Stämme aber wurden ſowohl vie längere 
thatſaͤchliche Einigung unter demſelben Herrfher, als die Intereſſen bes 
hoben Klerus maßgebend. Heinrich I. Verdienſt war es, daß er das ride 
tige Gleichgewicht zwifchen den Sonderftrebungen ver einzelnen Stämme 
und jener zufammenfafienden Richtung herſtellte. — Gegen dieſe Erörter 
rung wendet Sybel ein, daß troß aller auf bie Spracdgrenze und das 
den Deutfhen des Hten Jahrhunderts mangelnde nationale Bewußtſein 
u. ſJ. w. binzielenden Debultionen feines Gegners eine gemeinfame natie⸗ 





5. Deutſche Geſchichte. 297 


nale Subftang doch vorhanden geweſen; daß im Großen und Ganzen ein 
Segenfag Deutſcher gegen Franzoſen und Staliäner überall zu Tage tritt 
(5. 23—27). Die allgemeinere Bemerkung, daß eine gemeinjfame Natio: 
nalität fi nicht allein in der gemeinfamen Sprache zeige, trägt bier we: 
fentlih dazu bei, die ganze Frage zu präcifiren, die Entſcheidung derjels 
ben beveutend zu fördern und zu erleichtern. (Wir verweifen beſonders 
auf ©. 27 u. 28.) 

In das Lob, das F. Heinrih I. ertheilt, ſtimmt S. aus vollen Tö⸗ 
nen ein; jene Lob allfeitig zu beftätigen und zu erhöhen, dient eine Be: 
leuchtung der von F. mit Stillſchweigen übergangenen auswärtigen Poli: 
fit Heinrichs. - War aber die fih mächtig erhebende Politik Dtto I. aus 
dem wirklichen Bebürfniß der europäifchen Weltlage hervorgegangen ? Diente 
fie zum Seile Deutſchlands und Europas ? 

3. fiebt aud bier eine von Außen gegebene Nothwendigkeit einer 
Einigung des chriſtlichen Abendlandes; befonders Jtalien mußte im Ins 
terefie der chriſtlich⸗ europäifhen Kultur gegen etwaige Angriffe der Sars 
racenen und Byzantiner gejhügt werden: fich ſelbſt zu ſchuͤtzen, aus eigner 
Kraft eine fefte ftaatlihe Ordnung berzuftellen, dazu erfcheint ihm Stalien 
weder geneigt noch befähigt. — Gegen dies legte Argument erhebt ©. 
die lebhafteſte Einſprache: die Zerrüttung der italienischen Berhältniffe fei 
auf Rechnung unbefugter Cinmifhung von Außen, von Deutihland ber 
zu ſetzen. Das politiiche Streben der PBäpfte, das an diefer Stelle von 
Fider gar nicht berüdfichtigt worden ift, babe bei diefen Händeln eine 
große Rolle gejpielt. Auf feine Einwendungen gegen alle einzelnen Behaup: 
tungen und Folgerungen Fider’3 koͤnnen wir bier nicht eingehen. Rur das 
Eine betonen wir noch, daß eine Nothwendigkeit des Kaiſerthumes für bie 
Einheit der katholiſchen Kirche, wie fie F. aufgeftellt, ungegründet erjcheint 
(8.40). Im 9. und 10. Jahrhundert war die geiftlihe Autorität des 
Papſtthumes trog aller ftaatlihen Wirren unverlegt geblieben ; not hwen⸗ 
dig erfheint das Kaiferthum für die päpftlide Maht nur dann, wenn 
wan ihm die Aufgabe zutheilt, für eine päpftliche Weltherrſchaft, mie fie 
Gregor und Innocenz erftrebten, die Wege zu ebnen. 

Ferner glaubt %. unterfcheiden zu müflen zwiſchen dem Kaiferreich, 
wie es ſich thatſaͤchlich geftaltete und dem ungezügelten Streben einzel 
wer Kaifer nah der Weltberrichaft. Eine Geneigtbeit, die angemefienen 
Gränzen zu überfchreiten, fett auch er bei den meiften Kaifern voraus 


298 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


(S. 101). Aber ungeachtet aller daraus hervorgegangenen Schwankungen 
ftellte fih das genügende Gleichgewicht immer wieder her. Bor allem vie 
Gründung des päpftlihen Bafjallenftantes der Normannen in Unteritalien 
ftellte das Verhaͤltniß zwifchen Kaifer und Papft ficher, brachte jeden Ueber 
griff von einer Seite auf das Gebiet der andern wieder in das ordnungs⸗ 
gemäße Geleid. Erft durd die Erwerbung des ficilifhen Königreiches für 
das ſtaufiſche Kaiſerhaus ward jenes fhöne Gleichgewicht dauernd geftärt; 
in diefer fieht 3. das entſcheidende Moment für ven Untergang des Kai⸗ 
ferreiches. 

S., der die univerfellen Beitrebungen der einzelnen Kaiſer dargelegt 
(S. 49—68),, die Erfolge oder Nichterfolge ihrer Politit erörtert, vor 
allem aud den Weltkampf zwiſchen Kaifer und Papft alljeitig beleuchtet 
bat — (warum geht 3. aud hier wieder über das weltherrſchaftliche Stre⸗ 
ben der Bäpfte jo leicht hinweg?) — ©. findet jenen Rormalbeftand des 
Kaiſerreiches nirgendwo in den thatfählihen Berbältnifien jener Zeiten 
gegeben. Mit fcharfer Dialektik erörtert er, daß in jenem muftergültigen 
Beitraum F.'s die deutſche Königsmacht ſchon wejentlich zerrüttet, jenes ge 
funde Gleihgewicht der höchſten Gewalten nicht3 anders ala die päpftlice 
Weltherrſchaft geweſen. Das Ziel der Kaifer änderte fih nidt, die Gr 
werbung Siciliend war nur ein im Kampf um die Weltherrichaft gegen 
den Papft geführter Schachzug. 

Die Periode der deutſchen Geihichte, die dem Untergang des Kaifer 
thums folgte, überjpringend beginnt %. feine Erörterung wieder mit dem 
Ende des 15. Jahrhundert? ; dort findet au er die Anfänge einer na 
tionalen Einigung Deutihlands. Erſt die religiöje Spaltung des 16. Jahr 
bundert3 vernichtete diefe Keime. Nachdem fi) nun die religiöfen Grenzen 
allmaͤhlich im Ganzen feftgejegt haben, nachdem aud die Möglichleit eines 
friedlihen Zuſammenlebens beider Neligionsgejellihaften in Einem Staat 
durch die That erwieſen ift: da trägt jegt die Schuld an aller deutſchen 
Spaltung der Dualismus von Deftreih und Preußen. Dejtreich als Fort 
jegung des alten Kaifertbumd würde Deutihland auch in unferer Beit 
alle die Vortheile bringen, die jenes mittelalterlihe Kaiſerthum, eine fos 
wohl nationale als univerjale Schöpfung, dem mittelalterlihen Deutfchland 
gewährt hat ! 

Gntgegen diefer Auffaſſung zeigt S., wie fi in jener von F. übers 
fprungenen Periode deutſcher Geſchichte aus tiefem Verfall allmäblig ber 





- 


b. Dentſche Geſchichte. 299 


nationale Gedanle erhob, der am Ende be3 15. Jahrhunderts gu lebens; 
Käftigem Gedeihen emporwuchs. Was feine Entwidlung bemmte, das na⸗ 
tionale Leben dem Untergang entgegenführte, war die habsburgiſch⸗burgun⸗ 
diſche Univerfalmonardhie Karla V., der alled Andere eber im Auge hatte 
ala das Wohl der deutihen Nation. — Zum Schluß folgt ©. den Grörs 
terungen feine® Gegners auch auf das politifche Gebiet, indem er jenen 
Gap Fiderd, daß Deftreih das alte Kaiſerreich fei, aufnimmt, daraus aber 
freilich grabe den entgegengejegten Schluß zieht. SHierhin ihm zu folgen 
liegt außer dem Gebiete unferer Aufgabe. 

Welche Förderung durch dieſe Erörterimgen dieſe fo wichtige Contro⸗ 
verſe erfahren bat, beweiſt uns ſchon der Umſtand, daß überall Stimmen 
laut geworden ſind, die theils Einer Seite zuſtimmen, theils zwiſchen beiden 
die Mitte halten. Wir heben beſonders hervor die Anzeige der beiden 
Schriften durch Herrn Prof. Waitz in den G. G. A. (1862 St. 4. ©. 121 
bis 131). Aus dieſer glauben wir bier doch noch conftatiren zu müffen, daß 
ſich W. in den wefentlihften ragen ganz auf S. Seite befindet; auch er 
gibt zu, daß das mittelalterliche Kaiferreich „eine ungefüge, rechter ftaats 
licher Ausbildung gar nicht fähige Vereinigung von Ländern und PVöllern 
geweien.“ Wenn er dann auch S.'s Urtheil über Karl d. Gr. „erſchredlich 
weu” findet, und dagegen auf das Lebhaftefte proteftirt, fo leitet doch auch 
er den Berfall der politiihen Schöpfung Karla von dem Auseinanderftreben 
Der Nationalitäten ber, und gerade in diefer Frage bat Waig fchon feit lan» 
ger Beit die Anficht vertreten, die S. über dieſes Greigniß gegen F.s Des 
buctisnen aufrecht erhalten bat (vgl. Gründung des d. Reichs durch den Ver: 
trag von Berbün. Deutſche Berf.:Geih. IV. 541 u. 54 ff.). Das überein» 
fimmende Urtbeil von %. und S. in Betreff der innern Politik Karls 
weit er dagegen entſchieden zurüd. — Im Einverſtaͤndniß mit ©. befin- 
vet ®. fi über die italienifhe Politik unferer Kaifer; auch er fieht ben 
Unterſchied nicht, ven F. ftatuirt, zwiſchen dem Ziel der Dttonen und dem 
Willen der Staufer, er vermwirft damit jene neue Entdedung F.8 von einem 
Rormalzuftand des Kaiferreiches. 

Das Urtheil S.' über die einzelnen Kaifer unterjhreibt W. im Gro⸗ 
hen und Ganzen, „wenn er fih aud gegen einzelne mit unterlaufende 
Behauptungen ausiprechen muß.” Ebenſo befindet er fi), mas die neuere 
deutiche Geſchichte betrifft, in dem entfchievenften Gegenſatz zu Ficker. — 
Mit der größten Entſchiedenheit dagegen ſpricht W. fi gegen das Abur⸗ 


800 Veberficht der Hiftorifchen Literatur vom 1861. 


teilen über gange Perioden, gegen bie verwerfende Kritik ganzer Entwich 
Iungsreiben aus. Es fehlt und bier der Raum die Berechtigung auch eines 
ſolchen Urtheils zu erörtern; wir wollen aber nicht unterlaffen, kurz zu bes 
merten, daß wir allerdings für den Hiftoriler das Recht und die Pflicht 
zu etbiihem und politiſchem Urtheil in Anfprucd nehmen. In dem bier 
vorliegenden Fall glauben wir außerdem aber darauf hinweifen zu müffen, 
daß bier kein Urtheil über das Mittelalter oder unfere deutſche Geſchichte als 
Ganzes vorliegt: die Schrift Sybels ſpricht ein verwerfendes Urtbeil aus 
über eine Richtung der deutſchen Geſchichte, über die eine Beziehung ber 
KHaiferpolitil zur Nation; damit ift natürlich noch nicht ein Urtheil über 
die ganze deutſche Geſchichte abgegeben. Mit ähnlihem Recht glauben wir 
eine andere Yeußerung von Wait ald ein Mikverftänpniß erklären und ba 
mit den allerdings ſchwer wiegenden Borwurf gegen S.'s Urtheil befeitigen gu 
önnen. ©. hat an einer Gtelle feiner Schrift geäußert: „nur der Erfolg 
fei Richter in biftorifhen Dingen” , eine Aeußerung, die in diefer unbe 
bingten Faſſung Waig mit Recht ſehr bedenklich finde. Daß dies aber 
keineswegs der Sinn derfelben geweſen, ergiebt fih aus den folgenden 
Sägen, wo doch offenbar nur von „bleibendem Erfolg“ die Rede iR, 
und noch mehr aus jener Stelle, die Wait mit der frühern nicht vereint 
gen zu können glaubt: „erſt die kommenden Geſchlechter begreifen, welchem 
Zwede höherer Leitung wir gedient haben.” (Vgl. Syb. &. 22, 110 u. fonft). 

Wir meinen aus beiden Stellen zufammen ift die Meinung Sybels 
doch hinlaͤnglich deutlich. 

Einer andern — anonymen — Beſprechung im literariſchen Central⸗ 
blatt (1862 Ro. 3) entnehmen wir, daß der Verf. derſelben jetzt „über 
zeugt worden ift, daß das Kaifertbum der Forderung eines nationalen 
Staates ſchlechthin verderblih mar.” „Aber jo gewiß die Intereſſen einer 
Nation ſich nicht in ihren religiöfen und politiihen Zmeden erſchoöpfen, fo 
gewiß find für eine erſchoͤpfende Wertbihägung noch andere Betrachtungen 
nothwendig.“ Bon welcher Natur diefe andere Betrachtungen feien, beſon⸗ 
ders aber ob und was fie für die hier erörterte Frage austragen werben, 
find wir gejpannt demnädft zu erfahren. M. 

Arndt, Wilh., die Wahl Conrad II. InauguralDifferlation. gr. 8. 
(59 ©.) Böttingen (Bandenhoed & Rupredit.) 

In einem, vielleiht gar zu genauen Anſchluß an Wipo, jedoch auch 

mit SHeranziehung der fonftigen, freilich ſehr bürftigen Nachrichten , wirk 





6. Deutfche Geſchichte. | 901 


in vorfiegender Schrift, unter fteter Vergleihung der einzelnen Erſcheinun⸗ 
gen mit verwandten bei andern Königswahlen, die Erhebung des erften 
Königs der Deutſchen aus dem fränlifchen Haufe vorgeführt. Das Ganze 
iſt forgfältig ausgearbeitet und möchte in Bezug auf den Gegenjtand felbft 
bier vollftändig erörtert fein. In drei Ercurfen bat der Verf. dann noch 
verfchiedene Einzelheiten befprochen und zwar zunaͤchſt die ſchon jo früh begin; 
nenden fagenhaften Berichte über den jüngern Konrad, ſodann die oft anges 
führte Stelle aus dem Anfange des vierten Capiteld des Wipo, worin man 
vielfach eine der des Sachſenſpiegels analoge Eintheilung der Stände hat er: 
fennen wollen, und endlich noch den Leich: In Conradum Salicum, von 
dem mit Geſchick nachzuweiſen gejucht wird, daß er von Wipo verfaßt fei. U. 

Monumenta Germaniae historica inde ab a. Christi 500 
usque ad a 1500; auspiciis societatis aperiendis fontibus rerum Germa- 


nicarum medii aevi ed. Geo. Heinr. Pertz. Scriptorum Tom. XVII 
gr. Fol. (X, 908 &.) Hannover, Hahn. 


Unter den in dem vorliegenden Bande enthaltenen Editionen werden 
die Kölner Reihdannalen wohl mit der lebhaftejten und allgemeinften Freude 
begrüßt worden fein. Vornehmlih gilt die? von der durch Herrn Geheim⸗ 
ratb Pertz entvedten neuen Recenſion der Kölner Annalen, nad der 
Angabe des Herausgeber? Herrn Karl Perg aus Ekkehard abgefchrieben 
bis zum Jahre 1106, aus anderen Quellen abgeleitet bis zum Jahre 1144, 
von da ab durchaus felbjtändige Mittheilung mit Benugung gleichzeitiger 
Urkunden, Briefe und de3 übrigen für eine eingehende Berichterftat: 
tung wefentlihen Materiald. Daß die Angabe der Brüffeler Handſchrift, 
(dritte Recenfion) nah welder die Chronik von dem Schöffen Dtto zu 
Neuß für die Canoniter zu Aachen verfaßt wäre, unbaltbar ift, wurde 
Thon von Böhmer und Mattenbad behauptet und neuerdings von Beter 
(Analecta ad historiam Philippi de Heinsberg) nachgewieſen. An 
demjelben Orte widerlegt Peter die von Böhmer angenommene Angabe 
des Trithemius, nad) welcher dieſe wichtigen Annalen das Werk eines 
Mönches Gotfried im Kölner Pataleonklofter fein ſollen. Die Erwähnung 
des erft mit dem J. 1177 beigelegten Schismas zum J. 1156 macht für 
diefe Partie des Werkes die erft nah 1177 geſchehene Abfaffung und 
jwar von der Hand eines einzigen Verfaſſers ſehr wahrſcheinlich, während 
der fpätere Xheil vielmehr den Charakter einer gleichzeitigen Aufzeichnung 
Bietet. Die von Herrn Karl Berk behauptete uumittelbare Ginwirkung Reis 
nalds von Daſſel auf den erft nach Reinalds Tode ſchreibenden Berfafler wäre 


808 Ueberficht ber Hiftoriichen Literatur von 1861. 


unter diefen Umftänden allerdings nicht haltbar. Auf mehrfache Ungenauig⸗ 
. leiten des Herausgebers hat ſchon der Referent in Nr. 2. d. J. im litera⸗ 
riſchen Gentralblatte hingewieſen. Ebenfall3 von Herrn Karl Perk find wie 
von Fider entvedten, von Abel im J. 1882 zum erftenmale veröffentlich 
ten Annales Colonienses minimi gegenwärtig herausgegeben. Gie 
geigen fich als zum beträchtlichiten Theile aus den großen Kölner Annalen 
geihöpft. 

Die Heimath der im 17. Bande der Monumente enthaltenen Duellen 
ift das Rheinland, Burgund, Elfaß, Schwaben, Franken, Baiern, Böhmen 
und Mähren. Obgleih fie zum größten Theile nur bis zur Seit Heiw 
rich VIL reihen, ftreifen doch verſchiedene mehr oder minder werthvolle 
Mittheilungen bis tief in das 14., einzelne wie die Colmarer und die Dt 
tenbeurenfhen Annalen fogar bi3 in das 15., Altaiher Aufzeichnungen bis 
in das 16, Jahrhundert. Dürftig find für diefen Zeitraum bie fränkischen 
Annalen, ſowohl die oftfräntifchen, wie die des rheiniſchen Frankens. Unter 
legteren find am wichtigſten die Diffibodenberger Annalen der Reichsge⸗ 
ſchichte mit den Briefen Dodechins, von Waig herausgegeben S. 4—30 
und die von Geheimrath Pertz edirten, von Böhmer im zweiten Bande 
feiner fontes zum erftenmal zufammengeftellten Wormfer Annalen, — Bruch⸗ 
ftüde, deren Erhaltung beſonders dankenswerth, weil fie und in das innere 
Leben der Wormfer Bürgerjchaft, in vie ſtädtiſche Selbftändigteit und die 
Bewegungen jener Stadt bedeutfame Blide thun laflen. Die von Jaffoö 
gefammelten Aufzeihnungen aus Bamberg S. 634 find von geringem Um⸗ 
fange und mweifen zum Theil in eine frühere Zeit zurüd. Am bemerkens⸗ 
wertheſten find darunter die notae sepulcrales ©. 640 bis zum 
%.1501. Reicheres Material bat für diefe Zeit der Eljaß geboten. Bor 
nehmlich kommen bier die durch den Straßburger Ellendorf veranlapten Hufe 
zeichnungen und die verſchiedenen Colmarer Schriftdenkmäle in Betracht. Beide 
find von Herm Jaffé herausgegeben, dem wir ebenfalld die Edition der 
im 13. Jahrhundert mit Benugung der Straßburger Annalen verfaßten 
Aufzeichnungen vom Klofter Marmoutier (bei Böhmer fontes III ©. 8) 
verbanten. Wir unterlafien nicht auf Jaffés forgfältige Zuſammenſtellung 
der auf Leben und Thätigleit Ellendorf3 bezüglihen Urkunden aufmerkſam 
zu madhen. Die Straßburger Aufzeihnungen umfafien die fogenannten Ans 
nalen Ellendorfs und bie Annalen des Straßburger Hospital, — beide 
nur Turze, meiftens ſtädtiſche Notigen enthaltend, die erften an die Straß⸗ 





5. Deutiche Geſchichte. | 808 


burger Annalen bis zum J. 1107 anknüpfend, — die Miracula St. 
Mariae Argentinensis, von Gotfried von Ensmingen nicht fowohl verfaßt 
wie überarbeitet, daS Verzeichniß der Straßburger Biihöfe bis zum Jahre 
1299. Der glüdlihe Krieg der Straßburger Bürgerſchaft im Jahre 1261 
gegen ihren, die Freiheiten der Stadt beeinträchtigenden Bifchof Walther, 
eine ſchwungvolle, in reger Barteinahme für die Bürgerjchaft gefchriebene Schil⸗ 
derung, von Böhmer Gotfried von Ensmingen, von anderen dem Garme- 
Ikter Petrus zugewiejen ftellt ſich nad Yaffes Unterfuhungen ala die Ar- 
beit feines von beiden genannten Autoren heraus. Ebenfalls das bedeutenpfte 
Städ der Straßburger Schriftventmale aus diefer Zeit, die große Chro⸗ 
wit Ellendorfs, deren geſammte Abfaffung vom J. 1257 ab Böhmer für 
Gotfried in Anſpruch genommen bat, würde nad Jaffés Unterfuhungen nur 
für die Jahre 1257—1292 Gotfried zuzumeifen fein. Treffend charaltes 
sifirt Jaffo S. 150 den Geift dieſer von Ellendorf veranlaßten Chronik: 
Universum Chronicum, non carens temporum erroribus, eo est 
animo pronuntiatum ut Argentinensis civis studia non obscure 
eppareant usquam. Inde mira erga Habsburg enses voluntas, 
indidem acerbissima illa ac paene protestantica improbatio 
actorum Johannis episcopi Tusculani, sedis apostolicae legati. 

Unter den Colmar:Bajeler Aufzeichnungen findet der Eulturbiftoriter des 
13. Jahrh. treffliches Material in den rebus alsaticis ineuntis saeculi 
XIII und in der nachfolgenden descriptio Alsatiae und Theutoniae. 
Allerdings wird durch ſolche fragmentariihe Mittheilung das Verlangen nad 
weiterer Kenutniß auf dem culturbiftorifchen Gebiete um jo lebhafter erregt. 
Wir wollen nicht vergefien auf die in dem Chronicon Colmariense 
enthaltene deutſche Todtenklage um den Böhmentönig aufmerlfam zu machen. 
Weber die gleichfalls dem Elſaß angehörigen Annales Marbacenses S. 142 
bis 180 vom %. 631— 1375 bat der Herausgeber Herr Wilmans ſchon früher 
feine Anſichten geltend gemacht, ſowohl über den Ort ihrer Abfafjung, über 
Ginheit des Verfaſſers gegen Böhmer, wie über das Verhältniß dieſer Aufs 
zeichnung zu den kurzen Straßburger Annalen und zu dem fpäteren Werte 
des Albertus von Straßburg. Die eigentlihen Marbacher Annalen, ober 
wie der Herausgeber verlangt, die Marbacher Chronik reiht bis zum 9. 
1238 und ift in lebhafter Parteinahme für Kaiſer Friedrich LI. verfaßt. 
Die Mittheilungen nad d. 3. 1238 find fragmentarifche Notizen. 

Unter den ſchwäbiſchen Annalen Tönnen die von Gt. Truppert bis 


80£ Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


zum 3%. 1246 höchſtens als Ergänzung der Zwiefalter Annalen in Betracht 
fommen. Wo mir eine felbftändige Mittheilung erwarten könnten, hoͤrt 
dad Manufcript auf. Bebeutfamer find die jegt gebrudten Annalen Zfingrims 
vom Klofter Dttenbeuern bei Memmingen. Im fünften Bande der Mom 
mente befinden fich frühere, der Sache Kaiſer Heinri IV. gewogene otten 
beuernijhe Aufzeichnungen bi8 zum %. 1113. Mit dem %. 1121 beginnt 
Iſingrim. Seinen Aufzeihnungen zur Seite gehen vom J. 1145 ab, 
über Iſingrims Tod (im %. 1180) hinaus Türzere Notizen bis zum J. 
1416. Ebenfalls ungebrudt waren bisher die kurzen Aufzeichnungen von 
Benediltbeuern, mit den Notae Buranae herausgegeben von Jaffe (©. 
319— 322). An die 1856 von Rubhart herausgegebenen Annalen von 
Scheftlar, majores vom %. 1092— 1247, minores vom J. 1215—1273, 
von denen die erfteren werthvolle Mittheilungen vom %. 1225 an geben, 
bat Jaffé noch einige weitere zum Klofter Scheftlar gehörige Stüde ges 
reiht. Auch die Aufzeihnungen von St. Emmeran find bier theilmeife 
zum erftenmale veröffentlicht. Unter denfelben befindet fi da® den Her 
309 Amulf von Baiern feiernde Bruchſtück aus der Geſchichte Heinrich L 
Am wichtigſten find übrigens unter den zahlreichen baierifhen Quellen bie 
von Jaffé veranftaltete Sammlung des reichen Material von Altaid S, 
351—427 und die von Wattenbady edirte Chronil von Reichersberg. m 
der Einleitung zu den Altaiher Quellen gibt Jaffé eine ſchaͤtzenswerthe 
Rahriht von dem Leben des Abtes Hermann, des Verfaflerd der aus⸗ 
führlihen Annalen, der eigenen gesta, der Schriften de institutione mo- 
nasterii ÄAltahensis und de advocatis Altahensibus.. Auch ax 
der Fortſetzung des Ellehard läßt ver Herausgeber Abt Hermann bethäs 
tigt fein. Mit größter Sorgfalt find dieſe Zufäte zum Elkehard auf bie 
benugten Quellen zurüdgeführt, unter welchen namentlich die verlorenen, von 
Gieſebrechts Kritik reconftruirten Altaiher Annalen ihre Stelle finden. Für 
die baierifhe Geſchichte ift in den Altaiher Dentmälern reiches Material 
enthalten und geben bie Annalen Hermanns nit nur über ben engen 
Kreis der Altaicher, fondern fogar über den der fpeziell baieriſchen Ge, 
Ihichte hinaus. An die Annalen Hermanns fließen fih unmittelbar bie 
Altaicher und Regensburger Fortfegung bis zum Jahre 1301 an. Die 
Reiſebeſchreibung des Abtes Altmann in 17 Tagen von Altaih nad Cams 
brai gehört ind Jahr 1367. Die Altaiher Notizen erftreden ſich frage 
mentarifh bis zum 3. 1585. Bemerlenawerth ift aus ber fpäteresi Zeit 





6. Deutiche Geſchichte. “806 


eine kurze Charalteriſtik Kaifer Marimilian J. Die erit in ver zweiten 
Hälfte des 14. Jahrhunderts verfaßten Annales St. Udalrici et Afrae 
find ein Auszug aus Abt Hermann und enthalten nur wenige jelbitändige 
Nachrichten über das betreffende Klofter. 

Für die mühevolle Herausgabe der Neicherberger Annalen find wir 
Herrn Wattenbach zu befonderem Dante verpflichtet. Er gibt ung in großer 
Ueberſichtlichkeit die verſchiedenen Redaktionen der genannten Chronit, die 
urfprüngliche einfache, erſt ſpaͤter mit vielfachen intereffanten Zufägen und 
„Leſefrüchten“ vermehrte Chronik bis zum %. 1067, die verfchiedenen von 
Briefter Magnus felbft untemommenen Bearbeitungen feines Wertes bis 
zum %. 1195, die Yortfegung bis zum J. 1279. Die Bedeutung der 
Reichersberger Annalen für den deutihen Dften im 12. Jahrhundert, fo: 
wie die feindlihe Gefinnung des Verfaſſers gegen die Hobenftaufen ift be 
tannt. Die ebenfalls von Wattenbadh edirten Annalen des Klofterd Oſterhoven 
find nad der Angabe des Herausgeber wichtig für die Jahre 1298 big 
1313 und enthalten Nachrichten über die baierifch:öfterreichifche Geſchichte 
jener Zeit. Dagegen ift der Werth der Negensburger Annalen vom Ardi- 
diakon Eberharb S. 590 — 605 dur die Unterfuchungen des Herausge⸗ 
berö Herrn Jaffo bedeutend gemindert und ihr enger Zufammenbang mit 
den Altaicher Fortjegungen nachgewieſen worden. Bon zweifelbafter Zu: 
verläffigleit ergibt ſich das Chronicon Schirense des philojophifchen 
Moͤnches Konrad von Scheiern in Betreff feiner über die Spezialgefchichte 
des Klofterd hinaus reihenden Nachrichten von der Geſchichte des Haufes 
Wittelsbach. Bon Konrads kurzen Annalen bis zum %. 1226 follen die 
Mittheilungen aus ver fpäteren Zeit nicht ohne jeglihen Werth fein. 

Aus der Gruppe der boöhmiſchen Quellen ragen die Annalen des 
Capellans des Biſchofs Daniel von Prag, jened Vincentius hervor, ver 
ein warmer DBerehrer Friedrichs I. die Greigniffe von 1158 und fpäterer 
Jahre in Ftalien ſelbſt miterlebte und ung eingehende Berichte ſopohl über 
die italienifche wie die boͤhmiſche Gefhichte vom %. 1140—1167 hinter: 
laflen bat. An das wahrſcheinlich erſt 1173 gefchriebene und aus unbes 
kannten Gründen (cf. vie Bemerkung des Herausgeber! Wattenbad ©. 654) 
nicht fortgefegte Werk reiht fich der Bericht des Abtes Gerlah von Muhl⸗ 
haufen, eined wenngleich ftreng kirchlich gefinnten, doch unparteiifchen und 
deßhalb um fo werthuolleren Berichterftatterd. Den Beſchluß des Bandes 


machen die wertblofen Annalen von Bremen. Wie Jaffo S. 854 angibt, find 
Hthertige Beitfgrift Vll. Baus. 20 


306 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


fie gleiherweife wie die Hamburgiſchen Annalen durch Benugung einer aus 
der Chronik Albert3 von Stade abgeleiteten, heute unbelannten Quelle ge: 
Ihöpft. Der dankenswerthen Arbeit des Inder und Gloſſars bat fih für 
den befprodenen Band Herr Jaffé unterzogen. Nn. 


Stoll, Gymn.Lehr. Heinr. Wilh., Gefhichte der Hohenftaufen 
f. die Iugend bearb. (Nene Ausg.) 8. (VII u. 861 S. m. 6 color. Steintaf. 
in Zondr.) Wiesbaden, Kreidel’s Berl. 


Peter, H,Analecta ad historiamPhilippi ab Heinsberg, 
archiepiscopi Coloniensis. Dissertatio inauguralis. Berolini. (77 ©.) 8. 


Der Verf. giebt bier mit vieler Sachkenntniß und eingehender Kri: 
tit ſchätzenswerthe Beiträge zur deutſchen Geſchichte von 1178—1188. — 
Er führt zuerſt mit vielem Geſchick den Nachweis, daß die ſog. Annalen 
des Gotfried von Köln eine in Köln geſchriebene chronica regia ſeien, 
deren erjten Theil er aus gleichzeitigen Berichten, Briefen u. |. m. um das 
Jahr 1192 gejchrieben glaubt; — es ift wohl ficher, daß dies jedenfalls 
nah 1177 gefhehen ift (vgl. oben ©. 301). Dann wird der Antheil ent: 
widelt, den Erzbifchof Philipp am Kriege gegen Heinrich den Löwen ge: 
nommen; es wird Abel’ Auffaffung beftätigt, daß derjelbe eine kaiſerliche 
Gefandtihaft nad England übernommen und dort fi mit feinem früheren 
Gegner Herzog Heinrich verbunden habe. Der Uebertritt Philipps zu den 
Gegnern des Kaiſers, alfo zu einer feiner früheren Politik ganz entgegen: 
ftrebenden Richtung wird Har und deutlich motivirt und erflärt. Wir ma: 
hen endlich no darauf aufmerkſam, daß der Verf. die Chtheit der von 
O. Abel fragmentarifch mitgetheilten 6 Briefe über das Verhältniß zwiſchen 
dem Kaifer und Philipp anzweifelt und bei feiner Darftellung unberüdfid: 
tigt läßt. Allen Nachforſchungen des Verf. gelang es nit zu erfahren, we: 
ber Abel diefe Briefe genommen; alfo konnte der Beweis der Unächtheit 
nur aus innern Gründen geführt werden. Uebrigend werden wir doch 
faum annehmen dürfen, daß dieſe Briefe nur eine Yiltion des früh voll: 
endeten Hiſtorilers feien, M. 

Huillard-Breholles. Historia diplomatica Frideriei 
secundi sive constitutiones privilegia mandata instrumenta quae su- 


persunt istius imperatoris et filiorum eius. Auspiciis et sumptibus H. 
Alberti de Luynes, Tom. VI. pars 2. — 4. Paris, Frank. 


Schirrm acher, Oberlehr. Dr. Friedr. Wilh, Kaifer Friedrich II. 





. 5. Denutſche Geſchichte. 307 


Zweiter Band. A. u. d. T. Kaiſer Friedrich der Zweite als Einiger u. Mehrer 
Des rõmiſch⸗deutſchen Reiches, Begründer der Monarchia Sicula. (X u. 470 ©.) 
Göttingen, Banderhoel u. Ruprechts Berlag. 8. 

Der vorliegende Band erjheint zwei Jahre nad dem eriten. Er 
umfaßt auch nad) der Andeutung des Titels eine außerordentlich reiche und 
wichtige Zeit. Der Berf. hat fi) entſchieden tiefer und jicherer in feine 
gewaltige Aufgabe hineingearbeitet. In den Nüdbliden auf die früheren 
Perioden freut fih Rec. manche der von ihm aufgeltellten Geſichtspunkte 
aud) von Seiten des Verf. anerkannt zu ſehen, werm fie denn auch nicht 
eben für die weitere Betrachtung und Würdigung der Verhältniffe zur 
Geltung gebracht find. Der Verf. beginnt mit einer Betrachtung über 
die Bedeutung der Taijerlihen Gewalt, die durchaus am Drt ift; wir ha⸗ 
ben ſchon in der Beiprehung des Leo’ihen Buchs dies urgirt. Seine Dar: 
ftellung der SKreuzzugsangelegenheit ift jehr verdienftlih und die Kritil 
der mohamedaniſchen Berichte über Friedrichss Handlungs: und Denkweiſe 
eingehend und, mir können nicht? anders denken, für Jeden überzeugenv. 
Im weiteren Berlauf der Darftellung nimmt diefelbe jedoch unjerem Ge: 
fühl nach zu fehr ven apologetifhen Ton an Gregors IX. Thronbeftei: 
gung brachte unzweifelhaft die ertreme Richtung innerhalb der Kirche zur 
vollen Geltung. Es ift als wäre in dieſem fteinalten Kirchendiplomaten 
die Energie aller früheren Perioden, die er durchlebt, zur vollen Entwidelung 
berangereift. Wie die Kirche einmal jtand, mußte für fie die Unterwerfung 
der Lombarden ganz einfad die Lebensfrage fein. Friedrich hat mit ganz 
außerordentlihem Geſchick die Behandlung der Lombardiſchen Angelegenheiten 
im Ton der Mäßigung und Unbefangenheit gehalten, obgleih ihm Alles 
auf deren Grledigung anlommen mußte. Wenn die Kirche zum Theil 
mit anderen Mitteln, zum Theil grade mit venjelben operirte, jo ijt das 
am Ende felbftverftändlih. Der Berf. ruft S. 304 aud. „Wir müßten 
nicht, was mehr gegen den römischen Hof und die Lombarden einnehmen 
könnte alö die Art, wie man dieſen unbeſcholtenen Friedensboten und 
unermüblihen Mittelmann (Herm. v. Salsa 1235), dem alle ertremen 
Schritte jo durchaus fremd waren, bis zu dem Punkte trieb, da ihm die 
eigene Ehre gebot, feine Hände von einem Werk zurüdzuziehen, zu deſſen 
Börderung der Papft den Kaiſer unausgejegt antreibt, während er jebes 
durch die Lombarden in den Weg gelegte Hinderniß gut hieß.” Sie 
ju verlangen, war ein fehr feiner Zug von Seiten Gregor, fie zu ge: 


808 Meberficht der Hiflorifchen Literatur von 1861. 


währen, ein noch feinerer von Seiten Friedrichs. Hermann von Salza felbft, 
defien edle Seele offenbar den Frieden der beiden Gemwalten als das 
große Biel feines Lebens betrachtete, mochte über die Bereitelung feiner 
Hoffnungen empört fein, aber man kann unmoͤglich urgiren, daß der Ver: 
mittler der evelfte Mann feiner Zeit war, wenn der Römiihe Hof, um 
fh nicht dem fiegreihen Kaifer zu überliefern, alle Mittel der Verband: 
lung gebrauchte, um ein Endreſultat zunaͤchſt binauszufchieben. 

Sp entſchieden der Berf. nur auf Seiten der kaiferlihen Politit vie 
pofitiven und berechtigten Motive anerkennt, jo einfeitig und vielleicht noch 
einfeitiger erjcheint feine Verherrlihung der Fridericianiſchen Gejepgebung. 
Die Sicilianifhe Legislation ift denn doch nur eine wenn auch fehr be 
wußte Weiterbildung der Normanniſchen Staatsideen. In Gneift’3 Par: 
ftellung der älteren Engliſchen Verfaſſung wird man bie centralifirenden 
Prinzipien des Fridericianiſchen Staats ſehr deutlich vorgebilvet finden. 
Und eine folde Analogie macht es volllommen deutlich, wie weit doch 
nur die Ideen des Geſetzgebers original waren. Was die deutſchen Ber: 
hältniffe und ihre Ordnung betrifft, fo jcheint ung das, was der Berf. 
darüber beibringt, doch entſchieden ganz außer Verhaͤltniß zu den eigent: 
lihen Aufgaben, um die e3 ſich bier handelte. Das Zeitalter Friedrichs 
brachte neben den feinigen fo merkwürdige Redaktionen des öffentlichen 
Privatreht3 wie den Sadjenfpiegel, dad Sähfifhe Lehnreht und in un: 
ferer nädjften Nähe die großen Rechtsbücher des dänischen Reihe. Für 
feinen Biograpben find fie doch unzweifelhaft Beweife für bie lebendige 
Probultivität des damaligen Rechtsbewußtſeins, anderer Seit3 bezeugt bie 
fabelbaft raſche Verbreitung des Sachſenſpiegels auch das Bedürfniß fol: 
her Aufzeichnungen. Gewiß mit Recht hebt ver Verf. Friedrichs Intereſſe 
für die ftädtifchen Communen und die Golonifation hervor ; daß er aber troß 
dem zu Mainz fih mit den kurzen Feftfegungen begnügte, die wir Iennen, 
daß mir vom Gefeßgeber der Monarchia Sicula aud feinen Verſuch 
einer weiteren deutſchen Legizlation hören, das ift doch nicht fo einfach 
aus feiner richtigen Auffafjung ver deuten und italienifhen Verbältniffe 
zu erflären. Seo fieht in der Kürze jener Paragraphen ein Zeichen von 
der Gefundheit jener Verhaͤltniſſe. Wenn aber die Arbeit eines Privat⸗ 
mannd, wie des Eile v. Repgow eine fo merkwürdige Verbreitung fand, 
bat offenbar Friedrich ein großes Feld unbeftellt gelaflen, das für vie 
konigliche Thätigleit offen lag, Seine Nachfolger, die e3 beftellt fanden, 





5. Deutſche Geſchichte. 309 


begnüugten ſich bei ſeinen einfachen Statuten mit mehr Recht, als ex ſelbſt. 
Fedoch auch die Betrachtung dieſer Statuten, wie fie einmal find, hat der 
‚Berf. unferem Gefühl nad fich viel zu leicht gemacht. Hier war der Punkt 
ſchon nad) dem, mas früher Löher und neuerdings Arnold vorgebradt, 
tiefer auf den Gang der deutſchen Berfaflung einzugeben, Die ſchöne 
Arbeit Franklin de iustitiariis curiae imperialis bot 5. B. manchen 
neuen und fruchtbaren Geſichtspunlt über die Einrichtung des Hofrichters 
und die Stellung des Hofgerihts. Mit den Worten „das Gerichtäwejen 
‚erhielt einen Mittelpunkt in dem index euriae* ift do gar zu wenig _ 
gejagt. 

Troß diefer und ähnlicher Einwürfe, die wir erheben möchten, müf: 
fen wir jedoch jedenfalls auch diefen Band als einen werthvollen Beitrag 
zu ber Geſchichte Friedrihs dankbar bezeichnen. Dem Schluß ber Arbeit 
feben wir mit um fo größerer Spannung entgegen, je ſchwieriger unzwei: 
felbaft die Partieen find, die für denſelben dem Verf. noch übrig find. 

K. W. Nitzsch. 

Henfe, Dr. € 8, Th, Konrad v. Marburg, Beichtvater ber 
heil, Elifabeth, u, Inquifitor, gr. 12. (66 ©.) Marburg, Elvert. 

Hausrath, Lie. Abf., der Kegermeifter Konrad v. Marburg 
gr. 8. (V u. 57 ©.) Heidelberg, 8. GOroos. 

Indem wir beide obengenannte Schriften neben einander ftellen, foll 
damit nicht im mindeften gejagt fein, daß fie fi etwa aud an Merth und 
Bedeutung gleich feien. Sie find in beiden vielmehr gründlich von einander 
verſchieden. Die Schrift Hausrath's ift die Arbeit offenbar eines An- 
fänger®, der mit dem Worte fehnell fertig ift, der Sache aber bei aller 
Zuverfiht um jo weniger etwas nüpt. Die Schrift Hente's dagegen ift 
das Merk eines gereiften und bewährten Mannes, der durch ®ewifjenbaf: 
tigkeit der Forſchung und durch Bejonnenbeit des Urtheils feinem Gegen: 
ftande vom moralifhen und wiſſenſchaftlichen Gefichtspunfte aus gerecht 
wird, Die Gewifienhaftigleit der Forſchung bezeugen die beigegebenen An- 
merfungen, unter welchen wir beſonders auf die 35, (S, 53) aufmerkam 
. machen, worin der Herr Verf. aus den Schwinderſchen Papieren ben, wie 
er wohl mit Recht annimmt, urfprünglichen Bericht Konrads von Marburg 
über die Wunder der h. Elifabeth mittbeilt. Die Befonnenheit des Urtheils 
bofumentirt die unbefangene, d. b, rein geſchichtliche Auffafjung Konrads 
von Marburg, in der eher des Guten zu viel geſchehen ift. 


310 Ueberficht der hiftoriſchen Literatur von 1861. — 5. Deutiche Geſchichte. 


Eine und die andere Annahme des Berf. bleibt freilich zu wenig be: 
gründet und müßte anders gefaßt werben. Namentlih was den Zeitpunkt 
des erften Auftretens Konrads von Marburg am XThüringifhen Hofe und 
als Gewiffensrath ver h. Eliſabeth anlangt (S. 12—13), fo fällt Letzte⸗ 
res fiher jpäter und verweilen wir zu diefem Behufe auf unjere Anbeu: 
tung und Ausführung im 2. Heft diefer Zeitfchrift vorigen Tahres. Ge⸗ 
rade darauf aber wird bei der Beurtbeilung von Konrad Einfluß auf 
bie Landgräfin Vieles anlommen. Wgl. 


Ed. Tempeltey de Godofredo ab Ensmingen eiusque quae 
feruntur operibus historicis. (IV, 79 &.) Leipzig, Gannon. 





(E3 nötbigt ung der Mangel an Raum bier abzubrechen und den 
Schluß der Ueberſicht der deutſchen Gejhichte vom 13. Jahrhundert ab 
dem nädjiten Hefte vorzubehalten). 


Dr. ®ilhelm Manrenbreder. 


Drucfehler. 
Auf Seite 64 Zeile 8 von unten lies i’casi ſtatt icasi. 
„vv N. 1 un „ Breitage flatt Feiertage. 
„" nn DD u 2 un „ an flat ein. 





Bonn, Drud von Karl Georgi. 





en‘ 


Redridten 


zer er 


bilorifhden Eomwmilliou 


(Beilage zur Hiſtoriſchen Zeitichrift keramsgegeben von H. v. Sobel) 


Dritter Jahrgang. 
Drities Stüd. 


München, 1862. 


Literariſch-artiſtiſche Anſtalt 


der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 
Benn, Drud von Carl Georgi. 





V. 


Hiſtoriſche Preisaufgaben. 


Im Januar 1860 haben Seine Majeſtät der König von Bayern 
eine Preisausfchreibung für die vorzüglichiten Arbeiten auf dem Ge⸗ 
biete der bdeutfchen und bayerifchen Biographie zu erlaffen geruht. 

Nach dem Urtheile der hiftorifchen Commiſſion bei der k. Akademie 
der Wiflenfchaften hat jeboch Feine der bei ihr aus der einen und der 
andern Categorie zur Bewerbung eingegangenen Schriften das in dem 
Ausſchreiben angegebene Ziel erreidht. Die eigentlichen Preife können 
daher nicht ertheilt werden. 

Wenn Seine Majejtät der König diefes Ergebniß bedauern, fo 
haben Allerhöchitdiefelben doc) gerne vernommen, daß einige von den 
eingegangenen Schriften der Aufmerkſamkeit und der Belohnung durd) 
ein Acceffit würdig befunden wurden. 

Es find folgende: 

1) „Balduin v. Lügelburg, Erzbifhof und Kurfürft von Trier, 
ein Zeitbild aus der erften Hälfte des 14. Jahrhunderts,“ 
als deren Verfaſſer ſich bei der Eröffnung des beigelegten verfiegelten 
Zetteld ergab: AL Do minikus, Direktor des königl. preußifchen 
Bymmafiuns zu Eoblen;. 

Auf Antrag der Commiſſion bewilligt Seine Majeftät der König 

dafür ein Acceffit von 500 fl. 

2) „Derzog Ludwig der Reiche von Bayern-Landehut,“ 
als deren Berfaffer fich angegeben fand: Dr. Auguft Kludhohn, 
Privatdocent der Gefchichte an der Univerfität München. Auch für 
diefe Arbeit werden 500 fl. bewilligt. 


98 Hiftorifche Preisaufgaben. 


3) „Aventin, ein Gefchichts- und Lebensbild“, 
für welcdjes die Summe von 400 fl. beantragt und bewilligt worden 
ift. AS ihr DVerfaffer erfchien bei der Eröffnung der Zettel: Wil- 
heim Dittmar, Dr. philos. hon. proteft. Dekan, Stadtpfarrer und 
koͤnigl. Kreisicholard) in Bayreuth. 
4) „Ignaz Graf v. Törring, ein Beitrag zur bayerifchen und 
deutſchen Geſchichte“ mit Beilagen. 

Wiewohl Sid Seine Majeftät der König überzeugt haben, daß 
diefe Schrift in ihrer Form noch ungenügend ift, fo haben Allerhöchft- 
diefelben doch dem Verfaſſer wegen feines Fleißes in der Zuſammen⸗ 
ftellung der Materialien und der Bedeutung derfelben nach Antrag der 
Commiffion ein Acceffit von 300 fl. bewilligt. Verfaffer ift Friedrid 
Töpfer, früher gräflich Törring’fcher Beamter, jetzt privatifirend in 
Nürnberg. 

Außerdem hatten Seine Dtajeftät der König für einen beifalls- 
würdigen Plan zu einem biographifchen Sammelwerk über ſolche An- 
gehörige des bayerischen Staates, denen eine Stelle in einem bayeri- 
Shen Plutarch gebühren würde, mit Proben der Ausarbeitung, ein 
Acceffit in Ausficht geftellt. 

Unter den eingereidhten Schriften ift eine, weldye von der Com⸗ 
miffion als beifallewürdig erkannt wurde. Sie führt den Titel: 
„Biographien denfwürdiger Bayern“ und ift mit einem Nerzeichnifle 
Solcher, weldhe in einem Sammelwerke zu befprechen fein wolirden, 
begleitet. Als Verfaſſer ergab fich Landtags⸗Archivar Pl. Stumpf 
in München. 

Auf Antrag der Commiffion bewilligen Seine Majeftät der Kö⸗ 
nig für diefe Arbeit ein Acceffit von 300 fl. mit der Aufforderung 
an den Berfaffer, der Hiftorischen Commiffion einen mehr in's Einzelne 
gehenden Entwurf eines bayerifchen Plutarch vorzulegen, damit die 
Ausführung eines folchen Wertes demnächft weiter gefördert werden 
fann. Seine Majeftät der König machen keinen Anfprudy an das 
Eigenthumsrecht der Commiſſion auf die dergeftalt mit einem Acceffit 
bedachten Arbeiten. Sie überlaffen die Veröffentlichung derfelben le⸗ 
diglich den Autoren felbft mit der Aufforderung, fobald ſolche erfolgt 
fein wird, der Commiffion jedesmal 25 Eremplare zuzuftellen. 

Nachdem nun aber der eigentliche Preis weder in der einen ned 





Hiforifche Preisaufgaben. 97 


in ber andern Kategorie ertheilt worden ift, jo finden Sich Seine 
Majeſtät der König bewogen, die im Januar 1860 geftellte Preis- 
aufgabe zu erneuern, ohne jedoch für minder gelungene Arbeiten ein 
Acceſſit in Ausficht zu ftellen. Allerhöchftdiefelben wiederholen, daß 
es Ihre Abficht ift, nicht bloß die gejchichtliche Wiffenfchaft durch An- 
regung des Quellen-Studiung zu befördern, fondern auch ſolche hiſto⸗ 
rifche Werke hervorzurufen, welche durch anregende Form und fittli- 
chen Gehalt das patriotifche Gefühl und nationale Bewußtfein beleben, 
welche dem Volke die reiche Fülle feiner Vergangenheit in anfchaulis 
chen Bildern vergegenwärtigen und damit dem Geifte der Nation eine 
wahrhaft ftärkende und fruchtbringende Nahrung zuführen. 

Bon jeher ift für diefen ethifchen Zweck der Gejchichtichreibung 
die biographiiche Form vornehmlich angemeſſen erfchienen; denn der 
belebende Geift ber Weltgefchichte concentrirt fich in den großen Cha- 
ralteren, bringt in ihnen feine höchften Schöpfungen hervor und kommt 
in ihrem Thun zu feiner vollften und leuchtendften Entfaltung. 

Seine Majeftät wünſchen aljo durch die Stellung einer Preis- 
aufgabe eine Reihe von Lebensbefchreibungen berühmter Deutjchen 
zu veranlaffen, von Darftellungen, welche auf felbftftändiger und gründ: 
licher Forſchung beruhen, in ihrer Form ſich an die geſammte Nation 
oder doch den gebildeten Theil derjelben in feinem weiteften Umfange 
richten, in ihrer Tendenz der Belebung eines ächten vaterländifchen 
Sinnes dienen. 

Es ift gleichgültig, welchem Territorium, Stande oder Lebensbe- 
ruf die zu fchildernden Berfonen angehören; das einzig Wejentliche 
ift, daß fie auf das politifche oder Culturleben des gefammten deutjchen 
Volles eine bedeutende Einwirkung ausgelibt haben. 

Indeſſen würde mit diefer Aufgabe der Zweck, welchen Seine 
Majeſtät im Auge hat, in keinem Lande und am Wenigften in unferem 
deutfchen Baterlande erjchöpft fein. 

Das Leben unferer Nation hat fi außer den allgemeinen Ange- 
legenheiten mit nicht minder fchöpferifcher Kraft auch in den Berhält- 
niffen der einzelnen Xerritorien und Staaten bewegt, eine Menge 
der bedeutendften Berfonen, des folideften Verdienſtes ift in diefen 
engeren Beziehungen zu Tage getreten, und wenn die Leiftungen hier 
nach der Natur der Sache nicht immer im weltgefchichtlihen Glanze 


9 Hiſtoriſche Preisaufgaben, 
fteahlen, fo haben fie dafür auf die nächſte Heimath um fo wohlthä- 


tiger und reiner einwirken können. 

Der gefchichtlichen Wilfenfchaft geziemt es, ihnen ftet Die gleiche 
Aufmerkfamteit, wie den großen Angelegenheiten des Gefammt-Bater- 
landes zuzumenden. 

Seine Majeftät haben demnach befchloffen, außer jenen Biogra- 
phien berühmter Deutſchen, unter gleichen Bedingungen und entfpres 
chenden Anforderungen, auch eine Reihe von Lebenshefchreibungen bes 
rühmter oder verdienter Bayern — Darftellungen alfo folder Ber: 
fönlichteiten, deren Wirken für Bayern oder für einzelne Theile des 
jegigen bayerifchen Staates von geſchichtlicher Bedeutung geweſen ift, 
in Anregung zu bringen. Für eine jede der beiden Aufgaben foll bei 
dem Einlaufen entjprechender Arbeiten ein Preis von 1000 fl. der 
nad Form und Inhalt vorzüglichiten ertheilt werden. Als Termin 
der Ablieferung fett Seine Majeftät für diefe beiden Aufgaben ben 
31. März 1864 feit. Bei den gefrönten Arbeiten geht das literarifche 
Eigenthum an die unterzeichnete Commiffton der k. Akademie der Wif- 
jenfchaften über, welche jedoch das zu erzielende buchhändleriſche Ho⸗ 
norar den Verfaſſern überweiſen wird. 

Alle Arbeiten ſind an das Sekretariat der Commiſſion portofrei 
oder auf dem Buchhändlerwege einzuſenden, der Name des Verfaſſers 
iſt auf einem verſiegelten Zettel nebft einem Motto beizufügen, wel- 
ches auf dem Titel der Arbeit zu wiederholen ift. Das Urtheil wird 
von der hiftoriichen Commiſſion in ihrer im Jahre 1864 zu halten- 
den Blenar-Sigung ausgejprochen werden. 

Münden, den 19. Sanuar 1862. 


Die Commiſſion für deutfhe Geſchichte und Quellenforfchung bei 
der k. bayerifchen Aladernie der Wiſſenſchaften 
in Bertretung bes VBorftandes 


Dr. von Spruner, 
General - Major und Plügeladiutant. 





VI. 


Dritter Bericht über die Herausgabe einer Sammlung von 
Chronifen dentiher Städte, 


Bon 


Prof. Hegel. 


In dem verfloffenen Jahre wurden für die Herausgabe der deut- 
fhen Städte - Chroniken theils die Vorarbeiten in Auffuchung und 
Unterfuhung des handſchriftlichen Materials, theils die Bearbeitung 
einzelner Chroniten Nürnbergs fortgejegt. Denn ausſchließlich auf 
biefe Stadt beichränfte ſich im lebterer Beziehung unfere Thätigfeit. 
Der folgende Bericht wird darlegen, wie weit mar nad) den verjdie- 
denen Richtungen hin fortgefchritten ift. 

Was zumächit die Auffuchung und Unterfuchung der Handjchriften 
betrifft, fo waren in Nürnberg felbft noch mehrere größere Handſchrif— 
tenfammlungen vollends aufzuarbeiten. Zwar hatte man bereits im 
vorausgegangenen Fahr die in den Katalogen der Will’fchen, der 
Schwarziſchen und Ambergerihen Sammlung der Stadtbibliothef an: 
gemerkten Chroniken durchgefehen : doc erwies ſich diefe Durchſicht 
deshalb al ungenügend, weil auch unter den übrigen Handfchriften 
fid) nody manches auf die Geſchichte der Stadt bezüglide Material 
vorfand. In derfelben Abjicht wurde auch die Handjchriftenfamm:- 
lung des germanischen Muſeums aufs neue durchgegangen und hier 
wie dort die einigermaßen umftändliche und zeitraubende Arbeit durd) 
eine nicht unbeträchtliche Ausbeute belohnt. 


100 Dritter Bericht über d. Herausgabe einer Sammlung von Chroniken zc. 


Gleichzeitig wurde die Auffuchung der Handfchriften vornehmlich 
Nürnbergifcher Chroniken in auswärtigen Archiven und Bibliotheken 
fortgefegt. Eine Rundreiſe, weldhe Dr. von Kern im vergangenen 
Herbft in dem noch nicht befuchten weſtlichen Theil des ehemaligen 
fränkischen Kreiſes ausführte, diente zur Vervollftändigung der Orien- 
tirung über das in den bezüglichen fränkifchen Städten vorhandene 
handfchriftliche Material. 

In der fürftlichen Wallerftein’fhen Bibliothet zu Maihingen, 
welche Dr. von Kern bereit8 im Jahre 1859 vorübergehend bejucht 
hatte (f. defjen Bericht im 3. Stüd der Nachrichten von der hiftor 
rifhen Commiffion S. 14) wurden diesmal ſämmtliche Codices durd;- 
gejehen. Zwar für Nürnberg ergab ſich nur Weniges mehr, als ſchon 
im Jahre zuvor aufgefunden worden: deſto beadhtenswerther war die 
neue Ausbeute für Augsburg, Donauwörth und Füßen. Einiges Wenige 
fand fich hier auch für entlegene, rheinifche und norddeutfche Städte. 
Weiter berührte unfer Mitarbeiter die beiden Städte Ansbach, Ro- 
tenburg, Windsheim, Neuftadt a. A. In Ansbach wurden die Fön. 
Regierungsbibliothet und die für unferen Zweck weit ausgiebigere Sanım- 
ung des hiftorifchen Vereins von Mittelfranken durchgefehen. Bes 
fondere Aufmerkſamkeit zog die einft fo bedeutende fränfifche Stadt 
Rotenburg auf fih: Hier fand fi) der bei weiten größte umd 
beachtenswerthefte Echa von Chroniken in Händen des um die Ge- 
ichichte der Stadt verdienten Dr. Benfen, während in den Stadt: 
archiv das chronifaliiche Material gegenüber dem Urkundenſchatz und 
zahlreichen Aktenſtücken und Correfpondenzen in den Hintergrund tritt. 
— Das Stadtarchiv zu Windsheim bewahrt ein großes Sammel: 
wer? über die Stadtgefchichte in 3 Bänden Folio, welches nad) Dr. 
Höfel’8 (Hofelius) Bemerkung auf den Vorfagblatt im Jahre 1666 
vom Rathsherrn Dienſter verfaßt ift. 

Was num insbefondere die Nürnbergifchen Chroniken angeht, fo 
war man wnabläffig bemüht durch Erfundigung bei den "Herren Ar- 
chivs⸗ und Bibliothefvorftänden theils nähere Beichreibungen uns ſchon 
bekannt gewordener Handfchriften, theils Nachrichten über die noch 
unbekannten einzuziehen. Auch wurde der Weg einer öffentlichen Auf- 
forderung und Bitte wegen Nachweifung von Handfchriften, die fich 
im Privatbefig befinden, durch den Anzeiger des germantfchen Muſeums 





v1 


Dritter Bericht über die Herausgabe einer Sammlung von 
Chroniten deutſcher Städte. 


Bon 


Prof. Hegel. 


In dem verflojfenen Jahre wurden für die Herausgabe der deut» 
fen Städte» Chroniten theild die Vorarbeiten in Aufſuchung und 
Unterſuchung des hbandfchriftlichen Materials, theils die Bearbeitung 
einzelner Chroniken Nürnbergs fortgefett. Denn ausſchließlich auf 
biefe Stadt befchränfte ſich in letzterer Beziehung unjere Thätigkeit. 
Der folgende Bericht wird darlegen, wie weit man nach den verfchie- 
denen Richtungen hin fortgefchritten ift. 

Was zunäct die Auffuhung und Unterfuchung der Handfchriften 
betrifft, fo waren in Nürnberg felbft noch mehrere größere Handichrif- 
tenfammlungen vollends aufzuarbeiten. Zwar hatte man bereits im 
vorausgegangenen Jahr die in den Katalogen ber Will’fchen, der 
Schwarzifchen und Amberger’fhen Sammlung der Stadtbibliothef an- 
gemerkten Chroniken durchgefehen : doch erwies ſich diefe Durchſicht 
deshalb al® ungenügend, weil auch unter den übrigen Handfchriften 
fi) noch manches auf die Geſchichte der Stadt bezüglihe Material 
vorfand. In derfelben Abficht wurde aud die Handſchriftenſamm⸗ 
lung des germanifchen Muſeums aufs neue durdhgegangen und hier 
wie dort die einigermaßen umftändliche und zeitraubende Arbeit durch 


eine nicht unbeträcktliche Ausbeute belohnt. 


100 Dritter Bericht über d. Herausgabe einer Sammlung von Chroniken x. 


Gleichzeitig wurde die Auffuhung der Handfchriften vornehmlich 
Nürnbergifcher Chroniken in auswärtigen Ardiven und Bibliotheken 
fortgefeßt. Eine Aundreife, weldye Dr. von Kern im vergangenen 
Herbft in dem noch nicht bejuchten weftlichen Theil des ehemaligen 
fräntifchen Kreifes ausführte, diente zur Vervollftändigung der Orien- 
tirung über da8 in den bezüglichen fräntifchen Städten vorhandene 
handichriftliche Material. | 

In der fürftlichen Wallerftein’fchen Bibliothet zu Maihingen, 
welche Dr. von Kern bereits im Jahre 1859 vorübergehend befucht 
hatte (j. defien Bericht im 3. Stüd der Nachrichten von der hifte- 
riſchen Commiffion S. 14) wurden diesmal ſämmtliche Codices durch. 
gefehen. Zwar für Nürnberg ergab fi) nur Weniges mehr, als ſchon 
im Jahre zuvor aufgefunden worden: defto beachtenswerther war die 
neuc Ausbeute für Augsburg, Donauwörth und Füßen. Einiges Wenige 
fand ſich hier auch für entlegene, rheinifche und norddeutiche Städte. 
Weiter berührte unfer Mitarbeiter die beiden Städte Ansbach, Ro- 
tenburg, Windsheim, Neuftadt a. A. In Ansbach wurden die kön. 
Regierungsbibliothet und die für unferen Zweck weit ausgiebigere Samm- 
lung des hiftorifchen Vereins von Mittelfranken durchgeſehen. “Ber 
fondere Aufmerkſamkeit zog die einft fo bedeutende fränkiſche Stadt 
Rotenburg auf fi: hier fand fi) der bei weiten größte und 
beachtenswerthejte Schag von Chroniken in Händen des um die Ge 
ſchichte der Stadt verdienten Dr. Benfen, während in dem Stadt- 
archiv das chronikaliiche Material gegenüber dem Urkundenſchatz und 
zahlreichen Aktenſtücken und Correfpondenzen in den Hintergrund tritt. 
— Das Etadtarhiv zu Windsheim bewahrt ein großes Sammel: 
wer? über die Stadtgefchichte in 3 Bänden Folio, welches nad) Dr. 
Höfel’8 (Hofelius) Bemerkung auf dem Vorjagblatt im Jahre 1666 
vom Rathsherrn Tienfter verfaßt ift. 

Was nun insbefondere die Nürnbergifchen Chronifen angeht, fo 
war man unabläffig bemüht durch Erkundigung bei den "Herren Ar- 
chivs⸗ und Bibliothekvorſtänden theils nähere Beſchreibungen uns ſchon 
befannt gewordener Handfchriften, theil8 Nachrichten über die noch 
unbelannten einzuziehen. Auch wurde der Weg einer öffentlichen Auf- 
forderung und Bitte wegen Nachweiſung von Handfchriften, die fich 
im Privatbeſitz befinden, durch den Anzeiger des germaniſchen Diufenmes 





Prilier Beruht über 4. Cermssgibe vor Eirseiien z. 101 


Sammer 1%61 verfacht. Ind dicie wirfräitigen Erfzubigungen harıı 
deu Erfelg, var mau durch die Tremmbluch gegebezen Biucheiiumgen eine 
wohl mehe;n veitisimänge Tlcbericche der amöwäres beitmblnhen hanb- 
fpifttiden Cirenitrn von Rüruberg gewonnen het. 

Ya foweit dieſes Merzriel idhen gegenwärtig für Die Zear- 
beitung ;ur Terwentung Isurmen telliz, wurde Die Sutenbung Der 
Handichriften jelbft erbeten un2 wew Seiten ber heben Rogiermugen, 
befiger überall gern bemllig Nur au cmem rt waren alle dahin 

Des ungariide Netivonaimmuicnm im Feit beiigt ans der ihm ein⸗ 
verleiten Zommlung des verfi. Herrn von aulswich eine gang 
auf Die Familiengeichichte von Nürnberg bezichen ımb ans veridiede- 
nen Privatiammiungen, namıcntlidy der einft berülputen und leider muım 
verfteigerten umd zeritrenten GCbner’ichen Bibliothek herrühren. Bon 
dieſen Handfchriften, weidhe Geheimer⸗Rath Pertz bereit im J. 1821 
darchgeſehen und großentheils beſchrieben hat (j. Ardıio der Gefeli- 
ſchaft für ältere d. Geſchichtetunde B. VI, 150 ff.) lentten bejonders 
zwei unjere Aufmerkfomteit auf fi, deren fofortige Bennhung für 
die Bearbeitung der Terte als unumgänglid, notwendig erfdyien. Die 
eine diefer Handichriften (bei Pers a. a. O. Ro. 36) ließ in der dort 
unter C. bezeichneten Nurnbergiſchen Chronit bis anf K. Siguumbs 
Zod auf die eben zur Edition beftimmte Chronik aus 8. Sigmunde 
Zeit fchließen, von weldyer das Original oder nur eine zuverläffige 
Abichrift immer noch fchmerzlich vermißt wurde ; die andere (eben- 
bafelbft Ro. 34), früher im Beſitz der Tetzel'ſchen Familie, verfprad) 
nicht weniger in Beziehung auf den Schürftab’fchen Kriegebericht. 

Da es nun ungeachtet einer diplomatischen Verwendung des kün. 
bayeriſchen Staatsminiſteriums bei angeblidy entgegenftehenden Sta- 
tuten des ungarifchen Nationalmufeume nicht möglich war diefe Hand» 
ſchriften nach Nürnberg zugefendet zu erhalten, fo beauftragte ich Herrn 
Dr. von Kern, weldyer die Bearbeitung der Chronit aus K. Sig: 
munds Zeit übernommen hatte, jelbjt nad) Peſt zu reifen, um nicht bloß 
jene beiden Handfchriften zu vergleichen, fondern auch die vielen andern 
dort befindlichen Ehroniten-Handfchriften, von welchen uns die Direktion 


104 Dritter Bericht Über d. Herausgabe einer Sammlung von Chronilen x. 


felbe fich ganz unmittelbar mit dem Büchlein von Ulman Stromer 
berührte und nicht bloß zur erwünfchteften Ergänzung feines Berichtes 
diente, fondern zum ‘Theil fogar als aus feinen eignen Aufzeichnungen 
während feiner Amteführung herrührend erfannt wurde. 

Aus der nachträglichen Benutzung diefer neu aufgefundenen ar- 
chivaliſchen Schäge ift nun eine Weihe von Abhandlungen entſtanden, 
über Nürnberg Antheil am großen Städtefrieg, über das Kriegswe⸗ 
fen, den Stadthaushalt Nürnbergs , über da8 Münzmefen ,. über die 
Aufhebung der Judenſchulden u. a. m., worin eine Auswahl ber 
bezüglichen urkundlichen Documente wörtli aufgenommen ijt und 
welche man al8 Beilagen zu Ulman Stromer hinzuzufügen gedenkt. 

Nicht ganz fo, doch ähnlich ift es mit der Bearbeitung der der 
Zeit nach folgenden Ehronit aus K. Sigmunds Zeit ergangen. ‘Dem 
auch für die erfte Hälfte des 15. Jahrhunderts hat fi nah Einficht 
der Nepertorien, in einem Rathsmanual bis 1414, in nachfolgenden 
Briefbüchern, in den fog. Schenfbüchern, d. i. VBerzeichniffen der Schen⸗ 
Bungen an Könige und Kaiſer, in den fortlaufenden fog. Jahresregiſtern 
oder Stadtrechnungen u. |. w. ein reichhaltiger neuer Stoff für die 
Benutzung erſchloſſen, fo daß die fchon abgefaßten erläuternden Noten 
zu dieſer Chronik eine vollftändige Umarbeitung erfahren mußten, 
während einige größere Ausführungen und urkundliche Belege für 
den Anhang beftunmt find. 

Schon im vorjährigen Bericht wurde eine neue Bearbeitung der 
erft vor kurzem von Herrn Archivconjervator Baader im 8. Bande 
der Quellen zur bayerifchen und deutfchen Gejchichte herausgegebenen 
Beichreibung des erften marfgräflidien Krieges von 1449/50, welche 
gewöhnlicdy Erhard Schürftab zugefchrieben wird, angekündigt. Diefe 
wurde Herrn Dr. von Weed) übertragen. Auch hier lag eine Fülle 
des werthoolliten Materials vor. Außer den Briefbüchern und Raths⸗ 
documenten, die jich für dieje Fahre als höchſt unterrichtend erwiefen, 
fanden ſich namentlich in drei einander wechjelfeitig ergänzenden Co⸗ 
Dice® des Nürnberger Archivs die während des Kriegs gepflogenen Ver⸗ 
bandlungen mit den dazwifchen liegenden &orrefpondenzen, ferner in 
einem Tascikel des königl. Bamberger Archivs eine lange Reihe von 
Driginalbriefen und Concepten, worunter Autographen des Markgrafen 
Albrecht wie anderer Fürſten, des Dr. Peter Knorr u. |. w., Geſandt⸗ 





Dritter Bericht über db. Herausgabe einer Sammlung ven Chroniken x. 106 


fchaftsberichte, Anfchläge u. f. f. Yon diefem weitläufigen urkundlichen 
Stoff wurde für eine hiftorifche Abhandlung Gebrauch gemacht, welche 
im Anhang zum Kriegsbericht erfcheinen foll, wo auch noch einige der 
anziehendften Altenſtücke felbft ihre Stelle finden werden. 

Dem Berichte über den martgräflichen Krieg find in mehreren 
Handichriften zwei Erzählımgen von Nürnbergifchen Kriegszügen bei 
gegeben. Die eine behandelt eine Expedition, weldhe die Stadt im 
Fahre 1443/44 gegen das Waldenfelfiihe Schloß Lichtenburg unter 
nahm; die andere betrifft einen Zug Nürnberger Kreuzfahrer nad 
Ungarn im Yahre 1456. Zur Erläuterung und Ergänzung für beide 
dienten die Brief» und Rathsbücher; zu der erftern kam noch eine Auf 
zeichnung hinzu, welche ſich ausführlich über die Dispoſitionen ver- 
breitet, welche die Nürnberger getroffen hatten, um überall auf dem 
„Sebirge“, im fog. Baireuther Oberland Rückhalt zu haben, fich ver- 
proviantiren und verftärfen zu können. 

Diefen bereits bearbeiteten kleineren hiftorifchen Stücken ſchließt ſich 
endlich noch eine Relation an, welche über die Ankunft und den erften 
Aufenthalt König Friedrichs III. zu Nürnberg im Jahre 1442 und 
über langwierige Verhandlungen Nachricht gibt, welche die Stadt we⸗ 
gen ihrer Xehen und über das ihr anvertraute Heiligthum, die Neidye- 
Heinodien, mit dem König führte. 

Die von Herrn Dr. Lexer beforgte ſprachliche Herftellung der 
Texte, jo wie die Anfertigung des erläuternden Gloſſars ging neben 
der Hiftorifchen Bearbeitung her und ging diefer zum Theil ſchon 
voraus. Die große Zahl der Handfchriften erforderte bisweilen eine recht 
mühfame Vergleihung. So wurden für den Tert des Schürftabfchen 
Kriegsberichts 12 Handfchriften verglichen, und auf Grund einer glei- 
hen Zahl von Handfchriften wurde auch bereit8 der in den meiften 
fehr corrumpirte deutfche Text von S. Meifterlinsg Nürnberger Chro- 
nit unter Herbeiziehung des lateinischen (nad) einer Münchener Hand- 
ſchrift) hergeſtellt. 

Hiernach ſind nun im Ganzen die bisherigen Arbeiten für die 
Herausgabe der Nürnbergiſchen Chroniken bis dahin fortgeſchritten, 
daß das Material für zwei Bände ſchon zum größeren Theil druck⸗ 
fertig vorliegt. Für den erſten Band ſind außer Ulman Stromers 
Büchlein eine kurze Beſchreibung von K. Signmmds Ankunft in Rürn- 


+‘ 


106 Dritter Bericht über d. Herausgabe einer Sammlung von Chroniken ze. 


berg im jahre 1514 die Chronik aus K. Sigmunde Zeit, das Memo⸗ 
rialbuch von Endres Tucher (f. den zweiten Bericht ©. 13) und 
vielleicht noch die DBefchreibung der Ankunft von K. Friedrich III. 
im Jahre 1442 beftimmt. in fchon vorbereiteter Plan der Stadt 
Nürnberg mit den alten Localbenennungen wird demfelben beigegeben 
werden. Der zweite Band wird die Beſchreibung des marfgräflichen 
Kriegs von 1449/50 nebit den dazu gehörigen Ordnungen enthalten, 
und konnen darin vielleicht auch noch jene oben erwähnten der Schürftab- 
ſchen Handfchrift angeführten hiftorifchen Stüde Raum finden. Diefem 
Bande darf zum Verſtändniß feines Inhalts gleichfalls eine Karte 
von dem Nürnbergifchen Gebiet nicht fehlen. 

Da der unterbrocdhene Drud des erften Bandes binnen kurzer 
Friſt wieder aufgenonmen werden Tann, fo ift der Vollendung des- 
felben bis Oſtern entgegenzufehen, und da das Material für den 
zweiten Band fchon faft drudfertig vorliegt, fo kann diefer bis Mi- 
chaelis des nächften Jahres erſcheinen. 


Erlangen, 28. September 1861. 











v1. 
Ebo, Hinkmar und Pſendo⸗Iſidor. 


Karl v. Noorden. 





Der ganze Stand der pſeudo⸗iſidoriſchen Frage iſt durch Herrn 
Yulius Weizſäckers ſcharfſinnige Unterfuchungen ?) weſentlich verän- 
dert worden. Mit dem Gewinne eigener bemerkenswerther Refultate 
verbindet er eine glüdliche Widerlegung der neueften Auslaſſungen von 
Roßhirt, Walter, Phillips, von Daniels, Denzinger, und zeigt wie we⸗ 
nig ftichhaltig jene jüngften Verſuche find, welche Umfang und Wirkung 
des verübten Betruges fo unbedeutend und zugleich jo verzeihlich wie 
möglid) darftellen möchten. Die Behauptung, daß fid) ohne die ‘Des 
tretalenfälfchung des 9. Jahrhunderts die Entwidlung der römijchen 
Hierarchie in gleicher Weife wie mit Hilfe derjelben vollzogen haben 
würde, ift ebenfo nichtig wie jene andere, ebenfalls vielfach beliebte 
Meinung, daß aud) ohne die Luther, Zwingli und Calvin fich die Er- 
neuerung der Kirche im 16. Jahrhundert und zwar in günftigerer Weife 
vollzogen hätte. Sie find nun einmal da, jene pfeudo-ifidorifchen De- 
fretalen und die Begünftigung und Rezeption, welche fie von päpft« 
licher Seite erfahren, die Kämpfe, welche um ihre Rezeption im weſt⸗ 





1) Hinfmar ımb Pſeudo⸗Iſidor, im Jahrgang 1858 von Niedners Zeit- 
ſchriſt, m. die pfendo-ifiborifche Frage in ihrem gegenwärtigen Stande in v. Sybels 
hiſtoriſcher Zeitfchrift, Jahrgang 1860. 

Hißelie Beifgeift VII. Band. A 


812 K. dv. Noorden, 


fränkiſchen Reiche geführt worden, ſind nicht zu läugnen. Indeſſen, 
mochte die Wirkung Pſeudo⸗-Iſidors auch noch fo klar vor unſern 
Augen liegen, dennoch blieb es zweifelhaft, ob die Compilation aus 
den allgemeinen Tendenzen ihrer Zeit erwachſend kein beſtimmtes Prin⸗ 
zip bei ihrer Abfaſſung verfolgte, oder ob fie von ſpeziellem perſön⸗ 
lihem Intereſſe ausgehend, zuerft und vornehmlich dem Fälſcher für 
beſtimmte Zwede dienen follte. Um der Erledigung diefer Trage wil- 
len, von welcher fo viel für die weitere Charakterifirung des Betruges 
abhängt, richteten ſich Forſchungen und Muthmaßungen unaufhörlid) 
auf die myſtiſche Perſon, den unbelannten Fälſcher. Für alle Fünf: 
tige Zeit nun haben die Unterfuchımgen Weizfäders, von Mainz, von 
Dtgar und Benedikt hinweg, auf Rheims und den Ebo’fchen Kreis, auf 
Perfönlichleiten gewiejen, deren Schickſal in die Geſchichte der Rheim⸗ 
fer Metropole verflodhten iſt. Hefeles und Gfrörers Vermuthungen hat 
er durch Beweiſe zur biftorifchen Gewißheit erhoben 1). Den Gang 
feiner Unterfuchung verfolgend follte man nicht erwarten, daß er einer 
direften Bezeichnung des Fülſchers am Schluffe mit den Worten „ic 
möchte nicht eine beſtimmte Berfon zu bezeichnen wagen“, ausweichen 
würde. Ob man nicht doch wohl mit fo viel Gewißheit, wie fich bei 
bem fortdauernden Mangel einer durch Eritifche Vergleihung der Hand- 
fchriften gewonnenen Ausgabe, aus der Compilation felbjt und den 
biftorifchen Ereigniſſen erzielen läßt, eine beitimmte Perjon als den 
Fälſcher und eine andere als feinen Genoffen ermitteln faın? Daß 
grade Weizſäckers bahnbrechende Forſchungen zu einen folchen Üe- 
fultate mit Nothwendigfeit hindrängen, möchte ich in diefen Blättern 
zeigen und an die Erledigung dieſer Fragen den Verſuch einer Apo» 
logie des von Weizfäder wegen feines Verhaltens zu Pfeudo - Yfidor 
hart bellagten Nachfolgers Ebo's, des Erzbiſchofs Hinfmar von 
Rheins reihen. 

Um zu einem Refultate über die Berfon des Fälfchers zu gelan- 
gen, ift es nöthig uns noch einmal in Kürze die hauptfächlichen durch 
dieſes Werk geförderten Zwecke zu vergegenwärtigen. Jene Tendenz, 
welche vor allen anderen deutlich in den faljchen ‘Defretalen zu Tage 





1) Unter den neueften Forſchern ſchließt fi Baur in feiner Kirchenge- 
Aichte der Auffaſſung Weizjäders an. 





Ebo, Hintmar und Piendo-Ifidor. 818 


tritt, die Förderung und Hebung der geiftlichen Gewalt auf Koften der 
weltlichen, ift fein charakteriſtiſches Kennzeichen, welches auf die Ab⸗ 
faffung durch eine beftimmte Berfon, oder in einer beftimmten Kirchen- 
provinz fchließen ließe. Bald ſchon tritt unter den ſchwächern Nach⸗ 
folgern die kirchliche Reaktion gegen das Cäfaropapat des mächtigen 
Karl d. Gr. aller Orten hervor N). An ihrer Spige ftehen die Namen 
der erften Tirchlichen Großen jener Jahrzehnte, im engiten Verbande 
mit einer mächtigen politifchen Partei, theilweife jogar als Führer der- 
felben. In die Abfeung des Kaijers Ludwig, in die Herbeirufung des 
Bapftes Gregor ins Frankenreich ift diefe Tirchliche Reaktion tief ver⸗ 
flochten. Auf die Hebung der geiftlichen Gewalt über die weltliche, des 
Papftes über den Kaifer bezogen fi) die Dokumente, weldye die Op⸗ 
pofition dem Papſte einhändigte. Pfeudo-Yfidor in der Faffung, welche 
wir heute beſitzen, ift jene Sammlung nicht gewejen. Die Erzbifchöfe 
Otgar, Ebo, Bernhard und Agobard, weldye an der Spite der Bes 
wegung ftanden, fahen ſich damals zu feinem Programme veranlaßt, 
welches die eigne Stellung fo fehr untergraben hätte. Es fehlten die 
Motive zu einer freiwilligen Entfagung ihrer Metropolitanrechte. Die 
Worte des Radbertus, welche die Freude des Papftes über die uner- 
wartete Vermehrung feiner Gerechtfame fchildern und als den haupt« 
fählihen Anhalt jener Sammlung den Sat angeben, daß der Papft 
über Alle richte, ohne von Jemand gerichtet zu werden, finden ihre 
Erflärung aud) ohne daß wir an eine Erweiterung der bifchöflichen- 
Unabhängigkeit zu denken brauchen. Eine wirkſame Förderung der geift« 
lichen Intereſſen im Allgemeinen, mußte in der Hebung bes apoſtoli⸗ 
hen Stuhles Ausgangs: und Schlußpunkt fuchen, wie ja ſchon in 
natitrlicher Folge jede Mehrung der geiftlichen Gewalt ſchließlich dem 
römifchen Stuhle am meiften zu Gute fommt. ragt man nun wei 
ter, welche Stellung Pſeudo⸗Iſidor den einzelnen kirchlichen Ständen 
gegenüber einnimmt, fo läßt fid) bald die auffallende Begünftigung er- 
kennen, welche außer dem apoftoliichen Stuhle Primaten, Suffragan- 
biihöfe und Kanoniker von ihm erfahren, während die Metropolitan- 
bifhöfe mit verftedter, die Chorbiſchöfe mit offener Gehäſſigkeit von 


ihm angegriffen werben. Daß die feindfelige Richtung der falfchen 





1) Bergleiche die Schrift des Florus in Agobarbi Opera, 


814 K. v. Noorben, 


Dekretalen gegen letzteren Stand, unter allen Provinzen des fränkischen 
Reichs zumeift auf Rheims, nicht im geringften aber auf Mainz pafr 
fen würde, ift ausführlich von Weizjäder erörtert worden. Hingegen 
läßt e8 fich nicht leugnen, daB die zu Gunſten eines zu errichtenden 
Brimates vorgebradhten Beitimmungen fowohl auf Rheims, wie auf 
Mainz, teinesfalls aber auf eine andere Kirchenprovinz des Reiches 
anwendbar find. Wie reimt ſich aber diefe bevorrechtete Stellung des 
Primaten, dem doc unzweifelhaft noch größere Vorrechte als dem bis- 
berigen Metropoliten gebühren follen, mit der eben fo deutlich von 
Biendo-Yfidor eritrebten Emanzipation der Bifchöfe? Verlieren die 
leiteren den Erwerb der Fälſchung, die Unabhängigkeit den Metropo⸗ 
liten gegenüber nicht alsbald wieder an die ſchrankenloſere Herrichaft 
des Brimaten ? Es genügt nicht, über diefen Widerſpruch mit der Be⸗ 
bauptung binmwegzueilen, daß eben die verſchiedenen Zeittendenzen 
fih in Pſeudo⸗Iſidor geltend machen. Weberhaupt bat jene beliebte 
Meinung, weiche in den faljchen Dekretalen nur einen natürliden 
Ausdrud der berrfchenden Zeitftrömung erfennt, mehr als eine ver- 
wundbare Seite. Auf die Bildung von Mythe, Sage, Legende, von 
Lied und Sprud mag die herrſchende Zeitftrömung ihren unverfenn- 
baren und zugleich unbewußt fich vollziehenden Einfluß üben. Aber 
Pſeudo⸗Iſidor ift eine gelehrte Compilation. Tür die Zeit wenig- 
ftens, welcher er feinen Urfprung verdankt, bedurfte der Fälſcher eines 
bedeutenden Grades von gelehrter Bildung. Zrog aller hiſtoriſchen 
Ungenauigteiten jegte fowohl der Auszug aus den verfchiedenen Quellen, 
wie die Erfindung neuer Zuthaten, fowohl die Anfertigung neuer Briefe, 
wie die Interpolation echter Dekretalen reichliche Studien voraus. Und 
um eine einzelne Seite der pfeudo » ijidorifchen Beſtrebungen anzufüh- 
ren, — ift die Erhebung des einen oder andern erzbifchöflihen Stuhles 
zum primatialen, etwa im Wunfche und der allgemeinen Meinung der 
Zeit begründet, oder nicht vielmehr, jo oft fie in jenen Jahren eins 
treten foll, das Refultat vereinzelter Kombinationen zu fpeziell po» 
litifchen Zweden? Cine bewußte Abjichtlichleit des Fälſchers, mag 
man biefelbe loblich oder verabfcheuungswerth nennen, macht fich allent- 
halben geltend. Sein Wunfc mußte darauf hinausgehen, feiner Samm⸗ 
lung die gleiche Auerkennung mit der als Quelle des kanoniſchen 
Rechts rezipiten hadriano⸗ bionpfianifchen zu verichaffen. In Betreff 


818 K. v. Noorden, 


überhaupt zugegeben werden. Der Widerſpruch bleibt ungelöft. Die 
den Biſchöfen gewährte Selbftändigkeit wird durd) die Erhebung des 
als Metropolit beeinträchtigten Exrzbifchofes zum Primaten aufgehoben. 
Ein Mittel bietet fi) zur Erklärung. Wenn man Pſeudo⸗JIſidor 
nämlich als bie Frucht eines Compromiſſes zwifchen zwei Parteien 
betrachtet, als ein Reſultat gegenfeitiger, bei einer befondern Gelegen- 
heit entweder in Vorſchlag gebrachter, oder wirklich gemachter Zuge- 
ftändniffe. Sowohl bifchöfliches wie metropolitanes Intereſſe ift in 
der vorliegenden Sammlung zu Ausdrud und Geltung gekommen, und 
in entjchiedenem Nachtheil befindet fich der Metropolit der bifchöflichen 
Partei gegenüber. Während diefe von den ihr eingeräumten Rechten 
unter allen politifchen Verhältniffen, fobald die Anerkennung der Samm- 
lung gelungen ift, Gebrauch machen kann, begnügt fich der Metropolit 
zum Erjage für faktiſche Verluſte mit einer ungewiffen Anwartjchaft. Und 
wenn einerfeit® diefe zweifelhafte Ausficht, welche einem fpeziell ins 
Auge gefakten Dietropoliten geboten wird, doc) den Gedanken an eine 
Abfaffung Pſeudo⸗Ifidors lediglich von biſchöflicher Seite ausſchließt, 
konnten andrerfeits nur ganz befondere Verhältniffe einen Me— 
tropoliten bewegen, Hand und Einverftändniß zu einer ſolchen Com⸗ 
pllation zu bieten. Aehnlich wie aus der Textur eines Gewebes ſich 
auf die Art der Werkzeuge fchließen läßt, womit baffelbe hervorge- 
bracht worden, jo meine ich, muß man die Bedingungen, unter denen 
die falichen Dekretalen in der auf uns gekommenen Zufammenftellung 
zu einem Ganzen vereinigt werden konnten, aus dem Verhältniß er- 
kennen, in welchem die verfchiedenen Gruppen der durch Pſeudo⸗Iſidor 
gehobenen Anterefien zu einander ftehen. Du ergiebt ſich denn neben 
den gegen die Mainzer Urbeberfchaft Schon geltend gemachten Einwänden 
noch der weitere, daß fich feine Urſache finden läßt, weldye Erzbiſchof 
Dtgar veranlaßt hätte, fich feiner Vorredhte als Metropolit in fo wei- 
tem Umfange zu Gunſten der Bischöfe feiner Provinz zu entäußern, 
und um einer ungewifjen zukünftigen Vermehrung feines Einfluffes 
willen, gegenwärtige Privilegien aufzuopfern. In feinem Leben tritt 
fein Ereigniß ein, wo er den Beſitz feines erzbifchöflichen Stuhles der 
Gunft und Bereitwilligkeit feiner Suffraganen zu danken hatte. Im 
Jahre 883 mit der unitariftifchen Partei gegen Kaifer Ludwig ver: 
bandet, wird er doch bei Ludwigs Wiedereinfegung von keiner Synode 





Ebo, Hintmar und Pſeudo⸗Iſidor. 817 


gerichtet, feines Amtes nicht entſetzt. Der Kaifer nimmt ihn wieder 
zu Gnaden an. Mit Ludwigs Tode erhebt er fi) als Vorkämpfer 
der Rotharfchen Sache. Im J. 842 von Ludwig dem Deutſchen ver- 
trieben, wird er doch durch die Gunft deifelben Königs wieder zu 
feiner Stelle erhoben )). Dean könnte einwenden, daß in der Capitus 
larienfammlung Benedikts, welche, wie man allgemein behauptet, auf 
Veranlaſſung Otgars zu Stande gekommen ift, fich ähnliche mit Pfeubo- 
Iſidor übereinftimmenden Stüde über Primat, Anklage der Biſchöfe, 
Steigerung der römiſch⸗apoſtoliſchen Gewalt finden, zum Theil aus ben 
falfchen Dekretalen entnommen, zum Theil als felbftändige Bearbei⸗ 
tung deſſelben von Pſeudo⸗Iſidor benutten Materials. Aber wie ſehr 
treten diefe fpezielleren Tendenzen bei Benedikt gegen das allgemeine 
Beftreben, das geiftliche Recht zum einzig herrichenden in der Welt zn 
erheben, zurüd! Allerdings benugt Benedikt neben mannigfachem ans 
dern Material auch die falfchen Dekretalen in der befannten Geftalt. 
"Wenn er indefjen außer ihren Befttimmungen über Anklage der Bi⸗ 
ſchöfe, Brimatzc. auch ihr leidenfchaftliches Einfchreiten gegen die Chor⸗ 
biſchöfe adoptirt, jo fieht man, daß es Benedikt nicht fowohl um Bes 
rüdfichtigung Mainzer Verhältniſſe, fondern um möglichfte Vollftändig- 
keit zu thun ift, daß er ohne; kritiſche Eichtung nach allem Material 
greift, fofern e& nur zur Förderung der geiftlichen Gewalt umd des 
geiftlichen Rechts als der einzig gültigen Nechtsquelle in der Welt 
dienen mag. Möglich ift es, aber durchaus nicht fo fehr verbürgt, wie 
man gewöhnlid annimmt, daß Erzbifhof Otgar dem Benedikt die 
Materialien zu feiner Arbeit zugewiefen hat. Ein Sammler, der fi) 
nicht heut, Wahrheit und Fälſchung in jo weitem Umfange zu ver- 
mifchen, verdient auch bei der Angabe feiner Quellen 2) Teinen unbes 
dingten Glauben. Daß er keinen offiziellen Auftrag zu feiner Arbeit 
empfangen, oder fie wenigftens nicht zur Zufriedenheit Otgars und 
des deutfchen Herrſchers ausgeführt hat, beweift die Gleichgültigkeit, 
welche der Mainzer Stuhl, die deutjche Kirche und die deutfche Krone 
feiner Sammlung gegenüber zeigen 3), während im weftfräntifchen 


1) Kımfınann Rabanıs Maurus &. 106. 

2) in sancotae Moguntiacensis Metropolis ecclesia scrinio a Bi- 
culfo ... . recondits et demum ab Autgario..... inventa reperimus. 

8) Kun Mon. leg. II. b. 82. . 





818 K. v. Noorbden, 


Reiche eine verhältnißmäßig baldige Rezeption der Pſeudo⸗Capitularien 
als gültiger Rechtsquelle erfolgt 1). Auch wenn wir einen innigeren 
Antheil Otgars an dem Benediktichen Werke zugeben wollten, als ſich 
biftorifch nachweiſen läßt, fo würden wir doch noch Beinen Auffchluß 
über etwaige Motive erhalten, welche den Mainzer Erzbifchof zur Ab⸗ 
faffung oder Beranlaffung eines Werkes bewegen konnten, worin fich 
die Emanzipation der Suffraganen wie ein rother Faden von Seite 
zu Seite durchzieht. Die Erklärung diefes eigenthümlichen Verhält⸗ 
nifje® bietet fich, jobald man nicht mit Weizfäder bei dem Ebo'ſchen 
Kreife jtehen bleibt, fondern Ebo, den Prätendenten des erzbifchöf- 
lichen Rheimſer Stuhles felbft als Urheber des pfeudosifidorifchen Bes 
truges herbeizieht. Auf der Synode zu Diedenhofen, wie befannt, von 
43 Biſchofen abgefegt, durch kein ‚römifches Dekret in Schug genom- 
men, war er bei dem Umfchwung der politifchen Verhältniffe nur 
durch ein Edikt Kaifer Lothars als Erzbifhof von Rheims reftituirt 
worden. Eine geringere Anzahl von Biſchöfen, als ihn verurtheilt, bes 
glaubigte das Taiferliche Edit, auf welches hin ihn die Biſchöfe der 
Rheimfer Provinz in der That wieder als Erzbifchof anerkannten 2). 
Aber als gefichert konnte er feine Stellung doch in Feiner Weiſe bes 
trachten. Nicht allein gegen einen Erfolg Karls des Kahlen, auch ges 
gen mögliche Einſprüche von kirchlicher Seite galt es fich zu ſchützen. 
Nur zu faktifcher Anerkennung, aber nicht zu fchriftlicher Gewährlei- 
ftung verftanden ſich die Biſchöfe feines Sprengels 8). 


1) Knuſt a. a. DO. ©. 84. 

2) Mansi XIV. 774. 

8) Daß die von den Rheimfer Kleritern auf der Synode zu Soiffone 
im Jahre 853 vorgebrachten, fo umbebingt verworfenen Unterfchriften der Rheim⸗ 
fer Brovinzialbifchöfe dennoch echt geweſen, läßt fich micht annehmen. Auf bie 
fpäteren entgegengefettten Ausfagen Rothade im Jahre 866 und S67 ift bei 
feiner gebäffigen Stellung gegen Hinkmar fein Gewicht zu legen. Iene der Soif- 
foner Synode vorgelegte, auch in Ebo's Apologeticum enthaltene Urkunde ge 
hört in diefelbe Kategorie, wie ber angebliche Brief Gregors IV. (bei Hint- 
mar Op. II. 825), welder Ebo die Bekleidung einer andern bifhöflichen Stelle 
geftattet,, ihn alfo als rechtswidrig von feinem Sitze vertrieben betrachtet. Ob 
Ebo ſelbſt, ob die von ihm orbinirten Kleriker, Wulfab und Genoſſen, dieſe 
beiden Falſchungen begangen, wird fidy nicht ermitteln laſſen. Es ift nur ein 
Beweis mebrefür die Mittel, mit denen bie Cbo'ſche Parthei zu arbeiten pflegte. 








Ebo, Hintmar und Bfeubo-Sfidor. 819 


Es tft von Wafferfchleben, Göde 1) und Weizfäder im Einzel 
nen nachgewiefen worden, in welchem innigen Bezuge die meilten umd 
gerade die auffallendften Beitimmungen Pfeudo - SYfidors zu dem pe 
ziellen Intereſſe des Prätendenten Ebo ftchen. Die Synode zu Dies 
denhofen felbft ift, weil nicht durch päpftliche Autorität berufen, eine 
rechtswidrige, unfähig irgend einen wirffamen Beſchluß zu treffen 2). 
Die ganze Anklage ift ungültig, da fie in Ebo einen Erfpolirten 
trifft. Und während Pſeudo⸗Iſidor für künftig die gerichtliche Belan⸗ 
gung eines exfpoliirten Biſchofs unmöglich machen will, demfelben 
‚nicht nur verbietet fich zu verantworten, fondern audy vor der Synode 
zu erjcheinen, gewähren der zweite Brief von Pf. Felix und der zweite 
Brief von Pf. Fabian aus Rückſicht für Ebo, der fowohl vor der Syn⸗ 
ode erſchienen iſt, wie geantwortet hat, die Ausnahme: nisi sponte 
eligerint und nisi ipse pro sua necessitate sponte elegerit. ‘Der 
Sprud der Synode ift wirkungslos, weil derjelbe nicht vom Papfte 
beftätigt worden. Für den in ſolcher Weife unrechtmäßig von feinem 
Stuhle Vertriebenen bedarf es Feiner fynodalen Wiedereinfegung, nicht 
einmal eines geiftlichen Spruches, ein Edikt des Königs genügt, — 
oder die Erhebung auf einen andern bifchöflihen Stuhl, auch ohne 
Genehmigung des apoftolifchen Bifchofs 2) mag ihm Erfak für die 
erlittene Unbill gewähren. Wie trefflih der Widerwille Pſeudo⸗ 
Hidors gegen Chorbiſchöfe und Beeinträchtiger des Kirchengutes der 
Stimmung des in feinen zerrütteten Sprengel rückkehrenden Erzbi⸗ 
ſchofs entfpricht, bedarf faum einer Erwähnung. Ein Anwalt für die 
unbedingte Superiorität der geiftlichen Macht ift Ebo fchon im Jahre 
833 geweſen. Nun mußten ihn die Wechfelfälle des Krieges, die mög⸗ 
lihe Erftartmg Karls im nördlichen Gallien noch mehr bedadyt ma⸗ 
hen, alle Gemüther für die Lehre von der Unantaftbarfeit des geift 
lihen Amtes durch weltlide Macht zu entzünden. Er durfte rechnen, 
in der allgemeinen Verbreitung diefer dee unter der Maske kano⸗ 
nifch gültiger Verfügungen die kräftigfte Schugwehr gegen die Politik 


1) De exceptione spolii. Berolini 1858. 

9) Epistolae Julii, Aegypt. episc. ad Felicem II., Pelagii II., Mar- 
celli, Damasi. 

8) Bleudell ©. 378 u. 628. 


820 8. v. Noorben, 


der jüngeren Söhne bes verftorbenen Kaifers zu finden, Aus Ebo’8 
damaliger Qage erklärt es fich vollfommen, daß eine zur Unterftügung 
"feiner Anſprüche unternommene Fälſchung der Emanzipation feiner 
Suffragane in fo hohen Grade dienlich werden mußte. Die Eigen» 
thümlichleit feiner Verhältniffe legt ihm jene Conzejfionen an den bi- 
ſchöflichen Stand, weldye numeriſch den beträdhtlichiten Anhalt Pfeudo- 
Iſidors ausmachen, auf. Es gab Feine Möglichkeit fie gegenwärtig zu 
verweigern. Mochte er künftig einmal als Primas alles Verlorene 
wieder zu gewinnen hoffen, jegt blieb feine Wahl. Es galt für die 
Anerkennung und Sicherung feiner Stellung als Metropolit von Rheims. 
einen beträchtlichen Verluft metropolitaner Privilegien zu erdulden. Das 
bisher übliche Kirchenrecht der fränkische Codex canonum weigert ihm 
die Gültigkeit feiner Neftitution. Wenn der Bedrohte in fo bedenkt: 
liher Situation ein neues kanoniſches Recht zu Markte bringt, def- 
fen Beftimmungen ihn gegen die Einjprüche des beftehenden Rechts 
ſchützen follen, wenn er den Clerus geneigt machen will, feinen ſpe⸗ 
jiellen Ball nad) foldhen neuen Nechtsbegriffen zu beurtheilen, — da 
drängt ſich ihm die Emanzipation der Biſchöfe insgefammt, als der 
unvermeidliche Preis auf, um welchen er das eigene Recht, eine bi⸗ 
ſchöfliche Würde zu belleiden, erfaufen muß. Denn nicht bloß für den 
Fall, wo es fih um die Anklage eines Metropolitanbifchofes handelt, 
kann er Pſeudo⸗Iſidor die Ungültigkeit einer nicht durch päpftliche 
Autorität verfammelten Synode geltend machen lafien, Tann die ex- 
coptio spolii nicht als fpezielles Vorrecht des beklagten Mtetropoli- 
ten verlangen, die Beitätigung des fynodalen Bejchluffes durch den 
Bapft, die Neftitution des Vergewaltigten ohne ſynodale Entfcheidung, 
nicht als ein Ausnahmerecht für feine eigene Berjon fordern. Somohl 
um fid) die Bereitwilligkeit feiner Biſchöfe zu fichern, als aud um 
das perjönliche Intereſſe fo viel als möglich unter der Umhüllung 
allgemeiner Verordnungen zu verbergen, muß der Erfinder päpftlicher 
Dekretalen den ganzen bifchöflihen Stand die Frucht feiner Fälſchung 
mitgenießen laffen. Einen Heinen Erſatz für den thatfächlichen Verluſt 
metropolitaner Privilegien mochte er ſich geftatten, wenn er mit Hülfe 
defjelben Pfeudo- Yfivors fi die Anwartſchaft auf ein fpäteres 
Rheimſer Primat anbahnt. Die Ungewißheit eines derartigen Erjates 
ließ die Bewerbung um jene Würde in den Augen der provinzialen 





Ebo, Hinkmar und Pſendo⸗JIſidor. 881 


Biſchöfe minder bedenklich erfcheinn. Man konnte fie um fo eher 
geftatten, da der Inhalt der dafür beigebrachten Beftimmungen es 
wenigſtens noch al& zweifelhaft Hinftellt, ob Rheims oder Mainz ber 
zu diefer Erhebung defignirte Stuhl fein foll. Schon die Rüdficht auf 
den befreundeten Otgar von Mainz und deifen von Bonifacius her⸗ 
ftammenden Aufprüche forderte dieſes vorfichtige Verfahren und eine 
ſolche Faſſung der dahin zielenden Beitimmungen, dag eine Erhebung 
von Rheims zum Primat des Weſtens, zugleich eine Erhebung des 
Mainzer Stuhls, als Primat des Oftens zu bedingen fchien. Direk⸗ 
ter als Pſeudo⸗Iſidor ſpricht ein untergejchobener, in den falfchen 
Dekretalen nicht enthaltener Brief des Papſtes Hormisda die Forde⸗ 
rungen des Rheimſer Stuhls aus. Der genannte Bapit ertheilt in 
demſelben dem Erzbiſchof Remigius von Rheims das geiftliche Vila- 
riat in Gallien). Ich ftehe nicht an, denjenigen für die Erdichtung 
dieſes Briefes verantwortlich zu machen, der fich fo viele Fälſchungen 
zu Gunften des zu errichtenden Primates zu Schulden kommen lich, 
nämlich Ebo den Rheimfer Erzbifchof felbit, obſchon Roth und Weiz. 
jäder den Berdadht auf Hinkmar geworfen haben?). So lange man 
Pſeudo⸗Iſidor als die Arbeit Benedikts oder eines andern in Otgars 
Sold befindlichen Redalteurs betrachtete, lag es nahe, für die Urheber⸗ 
Schaft dieſes auf Rheims bezüglichen Briefes Hinkmar herbeizuziehen. 
Es ift auffallend, da Weizfäder den Verdacht auf Hinkmar beruhen 
läßt, da es doch bei der deutlichen Verwandtichaft zwiſchen dem Briefe 
des Pi. Anicet und dem des Hormisda natürlich fcheint, in dem Ver⸗ 
faffer des erfteren, allgemeiner gehaltenen Briefes, auch den Urheber 
des jpezieller die Intereſſen des Rheimſer Stuhls befürwortenden 
Briefes zu fuhen. Die grobe chronologifche Unrichtigleit in jenem 
dem Remigius ertheilten Privilegium würde Hinkmar wohl vermieden 
haben, während der DVerfaffer der falfchen Dekretalen ſich viele Irr⸗ 
thümer diefer Art zu Schulden kommen läßt. 

Wie viel in dem ganzen Umfange Pſeudo⸗Iſidors Ebo's eigene 
Arbeit, wie viel ſchon im Jahre 833 fertig geweien, welchen Antheil 


1) Hincmari vita Remigii A. 8, 1. Octob. &. 156. Hincmari opera 
I. 485. 728. 

2) Weizfäder, Niedners Zeitichrift 1858 ©. 388. Roth, Benefizialweien 
©. 468 





828 8. v. Noorben, 


diefer oder jener Eingeweihte gehabt hat, läßt ſich natürlich nicht er» 
tennen. Es ift alle Wahrfcheinlichfeit zu der Annahme vorhanden, daß 
die Vorarbeiten und nothwendigen Studien zu Pfeudo - Yfidor ſchon 
in die Jahre vor &bo’8 zweiter Erhebung auf den Rheimſer Stuhl 
fallen. Der Anfertigung und Verbreitung der Ebo'ſchen Sammlung 
kam jene echte Hispana gelegen, welche in der zweiten Hälfte bes 
8. Jahrhunderts Biſchof Rachio von Straßburg aus Spanien er: 
halten hatte. Einige Verbreitung war derfelben durch Erzbifchof Riculf 
von Mainz zu Theil geworden. Ohne einen befondern Werth auf fie 
zu legen, weil man fi) an der Hadriano-Dionysiana genügen ließ, 
wußte man doch von ihrer Eriftenz und wußte, daß fie von beträdht- 
licherem Umfang fei, als der allgemein gebräuchliche Codex canonum. 
Wie gering die Verbreitung der echten Hispana indeß in der zweiten 
Hälfte des 9. Jahrhunderts gewefen fein muß, wie gering die Zahl 
der damals in Gallien befindlichen Abfchriften war, ergiebt ſich dar- 
aus, dag nicht einmal Hinkmar fie genauer kannte, nod weniger ein 
Eremplar davon zu Händen hatte. So konnte man auf ihren Namen 
bin fhon die Veröffentlihung einer Handſchrift wagen, weldye die 
echte Hispana in vermehrter Ausgabe bradıte. 

Sollen wir unter den Bifchöfen der Aheimfer Provinz auf einen 
Mitarbeiter Pſeudo⸗Iſidors fchliegen, fo denken wir natürlich zunächſt 
an Rothad von Soiſſons, den bei der Wiedereinfeßung Ebo’8 bejon- 
ders Bethätigten, den, prinzipiellen Widerfacher Hinkmars, den, er- 
ften fränkiſchen Bifchof, der die falfchen Defretalen zu eigenem Vor⸗ 
theil anwendet. Schon im Jahre 849 ift er mit Erzbifchof Hinkmar 
zerfallen. Diefer übergiebt ihm den von der Synode zu Chierjey ver- 
urtheilten Häretiter Gothſchalk deßhalb nicht in Gewahrfam, weil ihm 
Rothads Vorliebe für Neuerungen 1) bedenklich ſchien. Nach aller 
Kenntniß, die wir von Rothad bejiten, werden wir bier nicht ſowohl 
an eine Vorliebe des Soiffoner Biſchofs für dogmatiſche Spitfindig- 
keiten zu denken haben, wie an eine Neigung, unbegründete Anfprüche 
und Gerechtſame geltend zu machen. Ald wiffenfhaftliher Mit- 
arbeiter kann Rothad, jo fehr Papft Nikolaus uns den hohen Grad 
einer geiftigen Fähigkeiten betheuern möchte, kaum brauchbar gewejen 





1) Novitates, in Hinlmars Schreiben au Papft Nikolaus op. II. 262. 





Ebo, Hinkmar und Pſeudo⸗Iſidor. 8338 


fein. Aber wohl dürfte er auf die Richtung eingewirkt haben, welche 
Pſeudo⸗Iſidor einzufchlagen hatte, um am entfchiebenften die Sowe⸗ 
ränität des biichöflichen Standes zu fördern. Nod im Sabre 867 
auf der Synode zu Trohyes behauptet Rothad die Gültigkeit der Re⸗ 
ftitution Ebo’8 im Jahre 840, und verfidhert im Widerjprudy mit dem 
Entſcheid der Soiffoner Synode vom Jahre 853, daß bie Biſchöfe 
der Rheimſer Provinz ſich von Ebo wie von einem rechtmäßigen Erz⸗ 
bifchof Ring und Stab ertheilen liegen 1). Deutlicher belaftend find 
die Anzeichen, weldye auf den Kanonikus Wulfad, den Erzieher der 
Söhne Karls und fpätern Erzbifchof von Bourges als Mitarbeiter 
Pſeudo⸗Iſidors weiſen. Wulfad gehört zu den von Ebo im Sabre 
840 — 841 orbdinirten Cleritern, deren Amtsthätigleit von Hinkmar 
beim Antritte feiner erzbifchöflichen Stellung im Auftrage der Synode 
juspendirt wurde, Er ift das geiftige Haupt jener Genoffenfchaft, die 
auf der Soifjoner Synode im Jahre 853 fo trefflichen Beſcheid in 
gefälfchten Urkunden zu Gunften Ebo's und zu eigenem Vortheil weiß, 
die fich, während Wulfad felbft das Bett hütet, zuerft im fränkiſchen 
Neid) auf pſeudo⸗ ijidorifche Verfügungen als fanonifch gültige vor 
der Synode bezieht. An Wulfads geiftiger Beſähigung und literarifcher 
Bildung ift fein Zweifel. Karl der Kahle, deſſen gelehrte Bildung 
die ſtaatsmänniſche und militärifche überwiegt, erwählte fchwerlich 
einen Unfähigen zum Lehrer feiner Kinder. Wulfads Ehrfucht wird 
durch die gewaltfame Weife, in welcher er fich des Stuhles von Lan⸗ 
gred bemächtigt, verbürgt. Daß er nad 20 Jahren vergeblicher Bes 
werbungen es dennoch durchſetzte, Erzbifchof von Bourges zu werden, 
den König um feiner Sache willen mit dem getreueften Freunde, Erz 
biſchof Hinkmar verfeindet, daß er fo gefchitt feine Wünfche beim Papft 
Nilolaus dur den Legaten Arfenius anhängig macht, daß er zu rich- 
tigem Zeitpunkt, unmittelbar nachdem Rothad den erjten Erfolg durch 
Pſeudo⸗Iſidor in Rom errungen hat, die falfchen Dekretalen und 
zwar in ihrem wrfprünglichen feit 20 Jahren vergefienen Sinn, in 
&60’8 Angelegenheit zur Anwendung bringt, ſich felbft eine mächtige 
Bartei zur Unterftiigung bildet, dies alles fett ſowohl eine bedeutende 
Befähigung zur Intrigue, einen in den Kimften des Truges erfah- 





1) Hincmari op. II. 89. 


824 8. v. Roorden, 


senen Kopf, wie ein Hares Verftändniß von der urfprünglichen Be⸗ 
deutung Pſeudo⸗Iſidors voraus. Mochten feine Genoſſen, deren 
Berfönlichfeit in der ganzen Folge der Ereigniffe völlig zurüdtritt, in 
gutem Glauben die Ebo'ſche Ordination empfangen haben, Wulfads 
Scharfblid mußte über Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit von Ebo's 
Reftitution unterrichtet fein. Nur ein befonderes Verhältnig zu Ebo 
konnte ihn geneigt machen, die Weihe von feiner Hand zu empfangen. 
Weiter erinnern wir uns, daß Wulfad mit dem Titel eines Kanoni⸗ 
kus auf der Synode genannt wird und wir betonen diefen Umſtand, 
weit fich in den falfchen Dekretalen einige Stellen finden, in welchen 
das gemeinfchaftliche Leben der Kanoniker befonders gerühmt und ber 
Biſchof angewiefen wird, das Eigenthum des Kanonikats forgfältig zu 
fügen. Knuſt hat zuerft auf diefe Stellen aufmerffam gemacht und 
fie Benedilt von Mainz zu eigenem Vortheil herbeiziehen laffen 1). Bei 
der bewußten Abfichtlichkeit, welche wir in der Zufammenfegung Pfeudo- 
Hidors allenthalben zu ertennen glaubten, ſucht man natürlich nad) 
Motiven, welche diefe Vorliebe für das Kanonikat erklären. Von felbft 
ergeben fich diefe, fobald wir den Kanonikus Wulfad als Mitarbeiter 
an den falſchen ‘Dekretalen annehmen?). 

Einige Abweichungen von Weizſäckers Feftftellung werden ſich 
nun freilich in Betreff des Zeitpunftes der Abfaffung, Vollendung und 
Veröffentlihung Pſeudo⸗Iſidors ergeben. Vom 6. Dezember 840 bis 
in die Mitte des folgenden Jahres hat Ebo's zweite Amtsthätigfeit 
auf dem erzbifchöflichen Stuhl zu Rheims gewährt. Beim Anrücden 
Karls des Kahlen entflicht er, zieht mit dem Heere Ludwigs von Sta: 
Iten, welches gegen die ohne kaiferliche Mitwirkung vollzogene Erhebung 
bes Bapftes Sergius proteftiren foll, im Jahre 844 nah Rom. Hier 
fucht er vergebens feine Reſtitution beim Papjte zu erwirten und wird 





—— 


1) Knust de fontibus et consilio Ps, Isidorianae collectionis 3. 91. 

2) Der Gedanke, ob unter biefen Umftänden nicht das ganze Dekreta⸗ 
lenwerk von Wulfad und Genoffen gefchmiebet fein könnte, um durch die Re 
Habilitation Ebo's die Gultigkeit der eigenen von Ebo empfangenen Ordination 
zu erweifen, Tieße fich vielleicht ermfllicher in Erwägung ziehen, wenn nicht jene 
Anſtrengungen Pſeudo⸗Iſidors zu Gunſten des Primates, ımter den politifchen Vers 
hältniffen ber Jahre 845 bie 858 ale völlig unmstivirt und finnlos erſchienen. 





Ebo, Hinkmar und Pſeudo⸗Iſidor. 326 


ſogar durch päpftlichen Beſcheid von der prieſterlichen Communion aus» 
geichloffen. Im Jahre 846 vermittelt Kaifer Lothar für ihn vom Papfte 
Sergius den Befehl an die gallifchen Bifchöfe, die Anſprüche Ebo’8 von 
Neuem zu unterfuchen. Aber weder die angekündigten Legaten des Bapftes 
noch Ebo felbft erfchienen auf der zum 11. April in Trier angejeßten 
Synode. Und als nun die gallifche Geiftlichfeit Ebo bald darauf nad) 
Paris vorfordert, um dort feine Klage einzubringen, verfüumt er eben⸗ 
falls den Termin und empfängt von der Synode die Weifung, den 
Rheimſer Sprengel nicht mehr zu betreten. 

Die Alten des Barifer Conzils werden von Papft Leo IV., dem 
Nachfolger des Papſtes Sergius beftätigt 1). Weizfäder ſetzt die Ab⸗ 
faffung Pſeudo⸗Iſidors nit vor das Jahr 839— 840, womit man 
unbedenflich übereinftimmen muß. Für feine Behauptung, daß die 
Sammlung nicht vor 846 fertig geworden, alſo auch nicht veröffent» 
lit worden ift, — denn eine nad) und nach vermehrte Auflage würde 
den Verdacht der Fälſchung befördert haben — bringt er mehrere Be: 
weife vor. Einmal, daß auf dem Conzile zu Meaur i. J. 845 bei der 
Polemik gegen die Chorbifchöfe noch Fein Bezug auf die falfchen De- 
fretolen ftattfindet. Daß ferner die Beitimmung zu Gunjten der Trans- 
migratio der Bifchöfe der Ebo'ſchen Transmigration zur Kirche von 
Hildesheim entfprechend, noch in Pſeudo⸗Iſidor aufgenommen tft. Daß 
ſchließlich Hrabans Bud) über die Ehorbifchöfe, auf welches Pfeudo- 
Iſidor Bezug nimmt, erft 847 gefchrieben fei. Aber, läßt ſich er- 
widern, warum mußte die Synode von Meaur, wenn fie gegen bie 
Chorbifchöfe, ein Inſtitut von jo offenbar nachtheiligen Wirkungen 
einſchritt, ſich auf die falfchen Defretalen beziehen? Warum ift 
Hinkmars ˖ vergeblicher Verfud), die Sımodalverfügung bei Leo IV. 
durchzufegen, ein Beweis gegen das Vorhandenfein der falfchen Des 
tretalen? Bedingt denn ihre Exiſtenz eine unmittelbare Berufung 
Hinkmars auf diefelben, oder eine unmittelbare Anerkennung von Sei» 
tn Roms? Warum weiter fonnte Ebo im Jahre 84O neben allen 
Verſuchen, ſich als Erzbifchof zu behaupten, nicht auch die ſchlimmſte 
Wendung ind Auge gefaßtund damals fchon auf Beftimmungen Pfeudor 
Iſidors zu Gunſten einer Transmigration in das Reich feines Gönners 


Dj —— 





1) Mansi XV. 719. Hincmari opera II. 278. 


826 K. v. Noorben, 


Kaifers Lothar bedacht geweien fein? ?). Der Zeitpunkt endlich, in 
welchen die Abfafjung des Hraban’schen Werkes über die Chorbifchöfe 
zu ſetzen fei, ift eine zur Zeit noch unerledigte Streitfrage und könnte 
fogar umgekehrt an eine 'polemifche Bezugnahme Hrabans auf ſdie 
jüngft in Umlauf gejeßte Sammlung gedacht werden. Gegen eine fo 
fpäte Abfaffung umd Veröffentlihung Pſeudo⸗Iſidors ſprechen indef- 
fen die Verhältnifie, welche für Ebo nad) feiner Flut im Sommer 
841 eintraten. Die Hoffnungen Lothars auf den Beſitz Weſtfrankens 
ſchwanden immer mehr und damit aud) die Ausfichten Ebo's. Nach⸗ 
dem der Vertrag zu Verdün befiegelt, der Verſuch beim Bapfte im 
Jahre 844 geicheitert war, ließ fich von keinem falfchen Dekretalen⸗ 





1) Wir erfahren bei der MWeizfäderfchen Angabe bes Jahres 844 ale 
desjmigen Jahres, in welchem Ebo's Erhebung anf ben Stuhl zu Hildesheim 
gefchehen fei, die Gründe nicht, welche ihn zu biefer, von der allgemeinen An⸗ 
nahme abweichenden Zeitbeſtimmung veranlafien. Meines Erachtens nad Tann 
es nur auf Grund einer allerdings eigenthümlichen Stelle bei Hinkmar op. II. 
803 geſchehen fein. Die Umftände bei feiner eigenen Ordination berichtend führt 
Hinkmar unmittelbar nad der Erwähnung bderfelben eine Stelle aus dem ſowohl 
in Pſ.Iſidor wie in der echten Hiepana befindlichen Briefe des Papſtes Damafus 
an Panlinus an. Diefelbe verbietet fchlechthin jede Transmigratio und verfügt, 
daß der transmigrirende Bifchof fo lange des Amtes verlufiig bleibe, bis der 
in feine Stelle erhobene Nachfolger geftorben if. Was foll Bier, läßt fi) fra- 
gen, diefes Citat als Beleg für die rechtmäßig gefchehene Ordination Hinkmars 
bedeuten, wenn Hinlmar damit nicht bemerken will, daß die zur Zeit feiner Er- 
hebung ſchon gefchehene Zransmigration Ebo's nach Hildesheim, feine Ordination 
ſelbſt für den Fall, daß das Urtheil von Diedenhofen rechtswidrig geweſen wäre, 
gültig gemacht habe. Die Stelle des Papftes Damafus gehörte auf Seite 305, 
wo Ebo's Aufnahme in der deutfchen Kirche ausdrüdtich erwähnt wird. Aber 
fo fehr auch diefe eigenthümliche Ideenverbindung in Hinkmars Berichte Anlaß 
zu kritiſchen Bedenken giebt, fo wird man ſich doch eher entſcheiden müffen eine 
unlogifche Schreibweife Hinkmars anzunehmen, ale mit den Hiftorifchen Ereig⸗ 
niffen geradezu in Conflikt zu treten. Denn was follte Lothars Berwendung 
beim Bapfte für Ebo im Jahre 845 — 846, mas Ebo's Ausichliegung vom 
Rheimfer Sprengel durch Synodalbeſchluß bedeuten , nadjdem er und zwar im 
Folge einer Eutzweiung mit Lothar ſchon Bifhof von Hildesheim geworden 
war? Und nicht zu überfehen ift, daß auch Hinkmar in feiner weiteren Bericht- 
erflattung Ebo's Erhebung zum Bifchof von Hildesheim erfi nad) der Erwäh—⸗ 
nung der Zrier-Parifer Symnode anführt. 





Ebo, Hinkmar und Pfenbo-Zfidor. 827 


werte eine wefentliche Hilfe fir Ebo erwarten. Dem im Befige des 
biſchöflichen Amts Befindlichen konnte Pſeudo⸗Iſidor eine Stüße bie- 
ten, der einmal Flüchtige durfte bei geringem Verftändnig der in Karl 
des Kahlen Reiche naturgemäßen Politik jchwerlich hoffen durch An⸗ 
lage einer Sammlung von falfchen Urkunden fich den Rheimſer Stuhl 
zum drittenmal zu erobern. Er mußte wiſſen, daß außer den Lothar⸗ 
ſchen Waffen die einzige Ausficht für ihn in der Gunft Karls ent- 
halten fei. Daß jett gegen den Willen des neuen Landesherrn, von 
dem Vieles zu fürchten, Alles zu hoffen war, die Suffraganbifchöfe 
von Rheims auf Grund der falfchen Dekretalen hin, offen Ebo's Par- 
tei ergreifen würden, ftand nicht zu erwarten. Die Veranlaffung zu 
der Compilation, wie fie in Pſeudo-Iſidor auf und gefommen ift, 
fo reichlich fie im Jahre 3—40—41 geboten war, fehlt feitdem. Und 
was follte num gar nad) dem Jahre 843 eine Bewerbung Pfeudo- 
Iſidors um ein Primat des Rheimſer Stuhles bedeuten? Selbft 
wenn Lothars Vermittlung den Stiefbruder zu einer gnädigen Auf» 
nahme &b0’8 bewogen hätte, ein Rheimſer Primat, ein Primat na- 
mentlich nach pfeudo-ifidorifher Conſtruktion, wäre jettt den Abfichten 
Lothars geradezu widerfprechend gewefen. Das Primat des Biſchofs 
Droge zu Metz, weldhes der Kaifer in diefen Jahren zu erreichen 
hoffte, hatte mit dem Brimate der faljchen Dekretalen nichts als den 
Namen gemein. Und Ebo's Zurüdhaltung im Jahre 846 den Auffor- 
derungen der Synode gegenüber, ift gewiß nicht das Verfahren eines 
Diannes, der fo eben erft zu eigenem Vortheil eine ganze Sanm⸗ 
lung falfher Briefe urkundete oder durch feine Freunde urkunden 
ließ. Will man weiter noch gegen die ind %.840—41 geſetzte Anfer- 
tigung und Verbreitung Pjeudo-Yfidors den Einwand erheben, daß in 
den nüchſten Jahren nichts von feiner Eriftenz verlautet, fo dürfte 
man von foldher Vorausfegung ausgehend Pfeudo » Kfidor überhaupt 
erft im Jahre 853, wo die erjte nachweisliche Begegnung mit ihm 
ftattfindet, fertig geworden fein laffen. Am allerwenigften befand fich 
derjenige, welcher von Pfeudo » Yfidor das meifte zu erwarten hatte, 
der flüchtige Ebo während der nächſten Jahre in der Lage die Aner- 
kemmung jener Sammlung mit Nachdrud zu verfolgen. Sein Verfah⸗ 
ren im (Jahre 846 beweift eben, daß er ſelbſt an eine mit Pſeudo⸗ 


Iſidor erzielte Wirkung nicht glaubte. Einzig von den ihm die Trans» 
Hißerifge geuſqriſt. VII. Be. 0 


838 8. v. Roorden, 


migration geftattenden Beſtimmungen macht er bald darauf eine pral- 
tifche Anwendung. Ä 

Im Reiche Karls geräth die Verwaltung der Metropole Rheims 
wieder in chorbifhöfliche Hände und die Verfchleuderung des Kirchen- 
guts findet in größtem Maaßſtabe ftatt. Im Geheimen mögen unter 
jo drüdenden Berhältnifien fi) die Anfchauungen Pfeudo » Yfidore 
allerdings feinen geringen Beifall erworben haben. Aber ehe ein offe- 
ner Widerfpruch gegen die Vergewaltigung der Kirche reifen konnte, 
tritt mit der Erhebung Hintmars nicht nur ein bedeutender Um⸗ 
ſchwung für die Rheimſer Kirchenprovinz, fondern für die gefammte 
weitfräntifche Kirche ein. Das Verſprechen der Reftitution aller dem 
ZTeftamente des heil. Remigius entfremdeten Kirchengüter ift das ge- 
ringfte, wa Hinkmar vom Könige erlangt. So eifrig iſt troß des 
auf dem Tage zu Epernai ausbrechenden Grolles der weltlichen Gro⸗ 
en feine Förderung der kirchlichen Richtung im folgenden Jahrzehnte, 
fo fräftig feine Einwirkung auf den König, feine Stellung als Me- 
tropolitan » Erzbifchof endli durch den Schutz des Fürften und das 
Wohlmwollen des römifchen Stuhles fo gefichert, daß zu einer Anwen- 
dung Pſeudo⸗Iſidors thatfächlich Fein Raum vorhanden gewejen wäre. 
Die Reftitution des Kirchenguts erfolgt fo viel e8 unter Umſtänden 
möglich ift. Die geiftlihe Macht ift der natürliche Verbündete des 
Königs gegen die aufrühreriichen und felbjtjüchtigen Beftrebungen der 
weltlichen Vafallen und gegen die feindfelige Politit der Stiefbrüder. 
Allentdalben genießen am königlichen Hofe und als Vorfigende der 
Sendbotenfchaften die Biſchöfe in der erſten Hälfte von Karls Re⸗ 
gierung einen vorwiegenden Einfluß. Unter folchen Verhältnifjen bot 
fi eben fo wenig dem neuen Erzbifchofe von Rheims, Hinkmar, eine 
Veranlaffung, die bei feinem Amtsantritte unter dem Namen einer 
ifiborifchen Sammlung vorgefundene Compilation einer befondern Auf- 
merkſamkeit zu würdigen. Es waren ja jeit mehreren Jahrhunderten 
ber manche Ranonenfammlungen, wie die Prisca, die avellanifche, die 
des Theodofins und andere 1) in Umlauf geweſen, vor nidjt langer 
Zeit war nod) die echte Hispana hinzugelommen; aber eine weitere 
Bedeutung hatte keine derfelben gewonnen. Man begnügte ſich den von 





1) Cf. Ballerini de vetustis canonum collectionibus Tom. II. 





Ebo, Hintmar und Pfeubo-Ifidor. 829 


Karl d. Gr. förmlich rezipirten Codex canonum des Dionyfins in ber 
Saffung von 774 als allein gültige Quelle des Kirchenrechtes zu bes 
trachten. Nr in einem reife fcheint man in den Jahren 844— 853 
die falſchen Dekretalen jchärfer ins Auge gefaßt und getrachtet zu haben, 
noch einmal mit Berufung auf diefelben die Ungültigkeit von Ebo's 
Entfeßung zu Diedenhofen und weiter folgernd die Unrechtmäßigkeit 
von Hinkmars Erhebung darzuthun, Ich meine die Genoſſenſchaft jener 
von Ebo geweihten, von Hinkmar juspendirten Kleriker. Cine Aner- 
fennung Pſeudo⸗Iſidors wäre ihre Rettung geweſen. Indem fie eine 
Discuffion über die in den falfchen Dekretalen enthaltenen Prinzipien 
ins Leben riefen, konnten fie nur gewinnen, nichts verlieren. Wenn 
die von ihnen vorgebrachte Nachricht richtig ift !), daß fie von Hink⸗ 
mar zu einer neuen Unterfuchung förmlich gezwungen worden, jo hatte 
der Erzbifchof von Rheims triftige Gründe zu diefem Verfahren und 
eine Agitation von ihrer Seite auf Grund gefälfchter Urkunden und 
zweidentiger Rechtsquellen ging Hinkmars Aufforderung voraus. Wul⸗ 
fads ſpäteres Verhalten macht derartige oppofitionelle Intriguen mehr 
als wahrſcheinlich 2). Die fuspenbdirten Kleriker bringen vor die 
Synode von Soiſſons verfchiedenes gefälfchtes Material. Sie felbft 
ftehen auf dem Standpunft der falfchen Dekretalen und erklären, in« 
dem fie geradezu auf päpftliche Briefe, wie fie bisher nur 3) in Pfeudo- 
Iſidor enthalten, hinweiſen, daß Ebo's Entjegung zu ‘Diedenhofen, 
weil die exceptio spolii nicht gewahrt worden, feine rechtmäßige 
geweſen ift. | 

Es bleibt den Bifchöfen der Rheimſer Provinz feine Wahl, fie 





1) Du Chesne narratio clericorum Il. 343. 

2) Ohne Gfrörers Konftrultion einer demokratiſch⸗ gothichaltifch - pfeubos 
iſidoriſch⸗chorbiſchöflichen Partei im entfernteften zu billigen, muß man dod 
darauf hinweiſen, daß bie in ihrem weiteren Umfange gegen Hinkmar gerich⸗ 
teten Agitationen der Rheimjer Kleriker im Jahre 853 in diefelbe Zeit fallen, 
wo im Kolge der Gothſchallſchen Händel fi die erfte bedenkliche Oppofition 
gegen Hinkmar ſowohl im weftfränlifähen Reiche, wie noch heftiger in der füd- 
lothringifchen Kirche erhebt und der Stuhl von Lyon die Rechtgläubigkeit bes 
ARheimmfer Erzbiichofe in Frage ſtellt. 

3) Göoke de exceptione spolii ©. 5 ff. 


880 K. v. Noorben, 


mäffen durch ein öffentliches Urtheil erklären, daß entweder die Ordi- 
nation jener Klerifer eine ungültige, oder daß die Ordination ihres 
jetzigen Erzbifchofs eine ungerechtfertigte war. Mochten fie Pfeudo- 
Iſidor noch fo beifällig im Herzen adoptirt haben, mochten fie von 
Raifer Lothar gegen Hinkmar gereizt worden fein, fie hätten fich jetzt, 
wo Hinkmar in der Gunft des Könige am höchſten ftand, wo fie 
feines Rüchalte® an Rom ficher waren, mit einer GEntfcheidung zu 
Gunſten Ebo's felbft aufgeopfert. 

Sfrörer und Hefele erkennen das Zugeftändnig an einen pfeudo- 
iſidoriſchen Hauptjag darin, dag Hinkmar die Entfcheidung der Sym- 
ode vom Papfte beftätigt wünfchte. Doch wie konnte er anders han⸗ 
dein, nachdem von den Klerikern Appellation nach Rom eingelegt wor: 
ben war ? Um für alle Folgezeit eine Anwendung Pſeudo⸗Iſidors auf 
den Ebo'ſchen Fall unmöglich zu machen, wendet fi Hinktmar an 
Bapft Leo. Daß diefer damals von Kaifer Lothar beeinflußt und gegen 
Hinkmar eingenommen war, beweift der Brief, mit welchem er die Be⸗ 
ftätigung der Synode verweigert‘), Bald darauf ift Lothar der 
eifrigfte Furſprecher Hinkmars beim Papfte. Nicht nur die Verwendung 
ber durch eine erneute Unterſuchung ernftlich bedrohten Rheimſer Suf- 
fragan » Bifchöfe, fondern auch der in diefem Jahre ftattfindende 
Wechfel der Lothar’ichen Politik gegen den neuftrifchen Stiefbruder führt 
diefe Umftimmung herbei. Der Papft hat in Betreff der von den 





1) Zu bemerken ift es, dag mit diefem Briefe fi ein erſter Hinweis 
des römifhen Stuhles auf Pſendo⸗Iſidor mit den Worten: quod legati 
sedis apostolici praesentes ibidem non fuerunt, zeigt. (Mansi XIV 887). 
Halten wir dazu die 73 von Papft Leo bei der Anllage eines Biſchofs gefor- 
derten idoneos testes , bie Erwähnmg ber Dekretalen Silvefters unter den 
gültigen Quellen des Kirchenrechtes, (ib. S. 884) — wenn wir auch jene andere 
Berufung auf Eilvefter (ib. &. 882) als ein Einfchiebfel betrachten, — fo ge- 
winmt mwenigftens die Vermuthung Raum, daß eine Bekanntſchaſt des römi⸗ 
(hen Stuhles mit den falfchen Dekretalen ſchon vor Nifolaus ftattgefunden 
bat und es nicht ſowohl Unlenntniß if, welche den Papft auf Lupus Anfrage 
wegen der Delretale des Pfeudo- Meichiades ausmweichend antworten, (Mansi 
XV 897) und im privilegium Hincmari (Mansi XV 874) nur die Dekre⸗ 
talen von Siricius ab anführen läßt, fondern die charakteriftifche Politif des 
ſtets den günftigken Moment abwartenden nud benutenden Nilolaus. 





T 


Ebo, Hinkmar und Pſendo⸗Iſidor. 881 


Aerikern eingelegten Appellation, die fardicenfifchen Beſchlüſſe zur 
Geltung gebracht. Dagegen ift Hinkmar entfchloffen auf jede Weife 
die Sache zum Abſchluß zu führen. Schon rüftet er fich zu einer 
Reife nad) Rom. Beweis genug, daß ihn die Sache weit über das 
Geſchick der Rheimſer Kleriter hinaus intereffirte und er ſchon damals 
die Tragweite erfannte, welche ſich dem Ebo'ſchen Falle geben lieh. 
Er durfte die Angelegenheit in der That für abgeſchloſſen halten als 
veo's Nachfolger Benedikt feinem Wunfche nadılam. Nunmehr, nad 
dem der Papft zugleich, wie es zulegt von Hadrian gefchehen !), das 
Brivilegium von Rheims als das eines erften Sites beftätigt 
hatte, war nichts mehr von einer Einwirkung jener, von den Rheim⸗ 
jer Klerilern herbeigezogenen faljchen Defretalen auf die Verhältnifie 
der gallifchen Kirche zu befürchten. Fiel je zuweilen ein Blick Hink⸗ 
mars auf die falſchen Dekretalen, fo durfte er ſich mit der Folgerung 
beruhigen, daß man diefelben zu Rom ja am beften kennen müſſe 
und fi) doch noch im Fahre 863 jeder Benugung entäußerte. Unter 
ſolchen Umpftänden durfte Hinkmar fogar die Anwendung pfeudosifi 
doriſcher Stellen in dem Synodalfchreiben der Synode von Chierjey 
im Jahre 857 als unverfänglich erfcheinen. Traf doch, wie Welz- 
füder ausführlich gezeigt hat, ein großer Theil pſeudo⸗iſidoriſcher Be⸗ 
ftimmungen mit dem Wunfche jedes aufrichtigen Freundes der Kirche 
überein. Zudem fallen die im Spnodalfchreiben angeführten ‘Delre- 
talen der Päpfte Urban, Lucius und Anaklet fehr nahe mit dem 
Inhalte jener Kapitularien Benedikts zuſammen, welche ebenfalls auf 
dem Reichstage zu Chierfey zum erftenmale als Rechtsquelle rezipirt 
und im Eöniglihen Sendfchreiben benugt werden. Daß Hinkmar zu 
Chierjey gegenwärtig gewefen, wiffen wir aus einem Brieffragmente 
an Archifapellan Hilduin?), daß er wie Weizfäder meint®) das Syno- 
dalfchreiben felbft verfaßt hat, jagt uns Feine Quelle. 

Zu den zahlreichen Beſchuldigungen, welche zu den verfchieden- 
jten Zeiten gegen Hinkmar erhoben worden find, gehört aud) die eines 
uuredlichen Verhaltens Pſeudo⸗Iſidor gegenüber. Seitdem Roth die 





1) Mansi XII 844. 
2) Bei Flodoard. 
8) Niedners Zeitfchrift S. 366. 


882 K. v. Noorden, 


Zweideutigkeiten, welche er ſich mit dem erweiterten Teſtamente des h. 
Remigius erlaubte, aufgededt hat, ift man mit Recht noch mehr geneigt, 
den Rheimfer Erzbifchof mit Mißtrauen zu betrachten. Soll doch nicht 
nur jener Brief des Hormisda, von welchem wir oben berichteten, 
fondern die ganze Zradition von Karl Martells gewaltthätigen Ein- 
griffen in das Vermögen der fränkischen Kirche nad) Roth auf Hint- 
mars Erdicdhtung beruhen. Kürzlich hat Waig 1) dagegen nachgewie⸗ 
jen, daß Hinkmars Anklage gegen Karl Martell doch nicht fo fehr 
allen biftorifchen Hintergrumdes entbehrt. Und warum fragt man, follte 
Hinkmar den grundlofen Vorwurf grade gegen Karl Marteli erheben ? 
Um den eriten Karolingifhen König Bippin zu fchonen? Aber eine 
derartige Schonung lag nicht im Sinne einer Zeit, die um der ein- 
dringlichen Wirkung willen die jenfeitigen Strafen der Einbildungs- 
traft fo nahe wie möglidy legt. Wir erinnern an König Ludwigs 
des Deutichen Traumgefiht, worin er feinen Vater Kaifer Ludwig 
den Frommen die Qualen der Verdammniß leiden fah und nicht 
verfäumte daffelbe der Deffentlichleit preis zu geben. Wir erinnern 
ferner an jene durch Hinfmar bald nach Kaiſer Karl des Kahlen Tode 
eifrigft verbreitete visio Banoldiı. Die handgreiflichen chronologi- 
ſchen Irrthümer der Bifion des Biſchofs von Orleans, der der Sage 
nach einen Drachen aus dem Grabe des Kirchenräubers Karl Martell 
fteigen fah, der in der That aber vor Karl Martell geftorben ift, 
haralterifiren endlich diefe Erzählung mehr als eine von Hinkmar 
benußte, wie von ihm erfundene Sage. Die gegen Hinkmar in Be- 
treff der falfchen ‘Defretalen erhobene Anklage lautet dahin, daß er 
mit der ihm eigenen fritifchen Befähigung und dem ihm zu Gebote 
jtehenden Eritifchen Material den Beweis der Unechtheit habe liefern 
tönnen, daß er diefen aber um der Vortheile willen, welche er felbit 
aus Pſeudo⸗Iſidor zu ziehen hoffte, unterlaffen habe. Allerdings iſt 
fein Zweifel, daß Hinkmar im Laufe des Streites nicht nur einzelne 
Stüde Pſeudo⸗Iſidors, wie den Brief des Damafus an Aurelius, 
die Briefe des Felix, Julius und Athanafius in Betreff der vermehr- 
ten nicänifchen Kanones, den Auszug aus den Conftitutionen Silve- 
ſters 2c. als gradezu erdichtete Urkunden erkannt hat, fondern daß er auch 





1) Berfafjungsgefchichte III, 16. 


Ebo, Hinkmar und Pfeubo-Ifidor.” 888 


von Jahr zu Jahr der Anficht von einer Zufammenfaffung jener 
Sammlung zu unlautern Sweden größeren Raum gewährt. Ebenſo 
gewiß aber geht aus feiner Polemik hervor , daß er den fpeciellen 
Zwed und die Geburtsftunde Pſeudo⸗Iſidors niemals enträthfelt hat. 
Auch in der Zeit feines heftigjten Kampfes mit den falfchen Dekre⸗ 
talen®) entjchleiert ſich ihm ihr Verhältniß zu der echten Hiſpana 
nicht und diefe Unklarheit, weldye auch Weizſäcker zugefteht 2) genligte, 
um eine erfolgreiche und rüdhaltloje Polemik von feiner Seite un⸗ 
möglich zu machen. So lange er glaubte, in Pfeudo-Yfidor die von 
Riculf verbreitete ſpaniſche Sammlung vor fid) zu haben und bie 
Vorrede der falfchen Dekretalen für die Vorrede Yfidors von Sevilla 
hält, tappt feine Kritit im Ungewiffen. Mag er noch fo fehr betrof: 
fen werden, wenn ihm in Pſeudo⸗Iſidor Excerpte aus befannten 
Quellen begegnen, nur eine DVergleihung mit der echten Hiſpana 
tonnte ihn zu ficheren Refultaten führen. Daß er diefe Vergleichung 
unterlaffen, zeigt, wenn er bei der damaligen Seltenheit der ſpaniſchen 
Sammlung überhaupt in den Befi eines Exemplars gelangen konnte, 
um fo deutlicher feine Befangenheit im Irrthum. Man mag es als 
Nachläffigkeit tadeln, aber von abfichtliher Täuſchung ift diefe Ver⸗ 
ſäumniß doch weit entfernt. Würdigt man den Irrthum, in welchem 
er fich befindet, genugfam, fo wird man ſich vielmehr wundern, wenn 
er fich fo fchroff gegen den vermeintlichen Nedacteur, den Viſchof 
Iſidor von Sevilla wegen feiner Vorrede und der Vermehrung der 
nicänifchen SKanoned äußert®). So wie die Verhältnijfe von dem 
Augenblide, dem Anfang des Jahres 865 an ftanden, wo der päpft- 
liche Stuhl die Gültigkeit der falfchen Dekretalen behauptete, konnte 
nur eine vernichtende, die Fälſchung bis in ihre Heiniten Beitandtheile 
aufdeckende Kritil einige Ausficht auf Erfolg bieten. Es ijt fein Zu- 
fall, daß diejelbe der proteftantifchen Kritik aufbehalten geblieben. 
Vom objektiven Standpunkte bei der Sichtung des Wahren und Fal 
chen ausgehend, der römifchen Kirche gegenüber ben fichern bürger- 
lien Schuß genießend, konnte fie ruhig die Prüfung wagen, während 





1) Im Jahre 869—870 op. II 476 und 798. 
3) Niednere Zeitfchrift S. 858. 
8) Op. I, 477. 


384 . K. v. Noorden, 


es für Hinkmar bei dieſem Kampfe zum mindeſten den Einſatz ſeiner kirch⸗ 
lichen Stellung gegolten hätte. Ein unvollkommner Angriff, wie er bei 
feiner Unwiſſenheit über den Urheber der Fälfchung nur denkbar ift, hätte 
das ganze in den falfchen Dekretalen gegen die Metropoliten enthaltene Ver: 
derben auf fein allzufühnes Haupt zurüd entladen. Und vorausgefekt, es 
gelang ihm der deutliche Nachweis über die Entftehung des gefammten 
Pſeudo⸗Iſidor, fo war der Bruch mit derjenigen Macht, weldye die 
Tendenzen Pſeudo⸗Iſidors zu den ihrigen gemacht, mit dem römischen 
Stuhle unabwendbar. Und zum Träger eine ſolchen Zerwürfniſſes 
fehlt dem hierardyiichen Geifte des Rheimſer Erzbifchofs, dem Sohne 
des 9. Yahrhunderts, dem Möndye nad der Ordnung Benedikts aller- 
dings die Spannkraft. Bon revolutionärem Geifte ift feine Spur in 
feinem Wefen und feiner Thätigkeit zu entdeden. Wie gegen die Neue⸗ 
rungen der falfchen Defretalen, jo kämpft er allenthalben für die her» 
gebrachte Sitte und Ordnung. Selbſt im Momente des beftigften 
Widerfpruches gegen die einzelnen römischen Bäpfte ift er von der 
größten Verehrung des römiſchen Stuhles als des Stelivertreters 
Chriſti durchdrungen. Ein unvolllommner Angriff, jagten wir, wäre 
gefährlich für Hinkmars perſönliche Stellung geweſen. Und mehr 
noch, auch für das allgemeine Wohl bedenklich. 

Mußte er nicht, nachdem e8 ihm gelungen war, die Erdichtung ein⸗ 
zelner oder vieler, aber nicht aller Defretalen nachzuweifen, den Reſt um 
fo unbedingter als gültig annehmen ? Welcher Schuß lag in einer 
folchen Kritif gegen die nächjte gejchiefter angelegte Compilation päpft- 
licher Briefe? Und wenn nun wirklich, wie es Nikolaus drohend an: 
deutet 1), der apoftolifchde Stuhl mit der Behauptung antwortet, daß 
nicht nur der vom Papfte fpeziell angeführte Brief des Pſeudo-Julius, 
fondern auch die übrigen angefochtenen Briefe jich wirklich im Archive 
der römischen Kirche befinden? Man möge nicht vergeſſen, daß Ni— 
tolaus felbft, der politifcy gewandtefte Kopf feiner Zeit, der am ge- 
nauejten über Wahrheit und Dichtung in den falfchen Dekretalen 
unterrichtet fein mußte, weder Hinkmar noch einen anderen unter den 





1) Mansi XV, 694: opuscula, quae dumtaxat et antiquitus sancta 
Romana ecclesia conservans, nobis quoque custodienda mandarvit et 
penes se in suis archivis et vetustis rite monumentis recondita veneratur. 





Ebo, Hinkmar und Pſeudo⸗JIſidor. 386 


galliichen Bifchöfen und Gelehrten, — und unter lektern befand fich 
ein Scotus Erigena — für fähig hält, das Truggewirre der pfeudo- 
iſidoriſchen Fälſchung zu entwirren. 

Hätte Papit Nikolaus im Yahre 865, als er bei der eigenmädh- 
tigen Reftitution Rothads allem hergebradhten Tanonifchen echte zu- 
widerhandelt und fich durdaus auf die Grundfäge Pfeubo - Yfidors 
ftügt, al8 er die Ungültigfeit der ohne päpftliche Autorität berufenen 
Synode, die Nothwendigkeit der exceptio spolii, die Behandlung 
einer bifchöflichen Klagefache als causa major behauptet und die 
falfchen Dekretalen gradezu in Schug nimmt, hätte er damals eine 
tritiihe Beleuchtung Pſeudo⸗Iſidors in der Weife Blondells für 
möglich erachtet, er würde ſchwerlich fich felbft und den römiſchen Stuhl 
der Gefahr einer folchen Niederlage bloß geftellt haben. Noch heftiger 
reizt Nikolaus im folgenden Jahre den Rheimſer CErzbifchof und 
fordert ihn gleichſam heraus, iiber die Entftehungsgefchichte der falfchen 
Defretalen, fo viel er nur immer weiß zu offenbaren. Ich meine 
die nen aufgenommene Unterſuchung der Ebo'ſchen Angelegenheit zu 
Gunften jener Partei, weldhe auf Grund der pfeudo-ifidorifchen Be⸗ 
ftimmungen Ebo's Abfegung zu Diedenhofen für ungültig erklärt hat. 
Hinkmars Vermittlungsvorſchlag, die Gewährung der Reſtitution an 
Wulfad und Genoffen ohne die rechtlichen Anfprüche näher zu unterfuchen, 
wird zu Rom verworfen, eine grümdliche Verfolgung der Sache bis 
in ihre Anfänge und Heinften Details auf der nächſtjährigen Synode 
zu Troyes verlangt. Wenn die auf dem Goncil vertretene, den An- 
ſprüchen Wulfads und den pfeudo-ifidorifchen Theorien geneigte Par⸗ 
tei 1) damit durchdrang, die Ungültigkeit der Ebo'ſchen Entfegung 
auf Grund der falfchen Dekretalen hin, auf der Synode zur Aners 
fennung zu bringen, fo hing das weitere Schickſal des zur Zeit von - 
feinem Könige verrathenen Hinkmar, der Yortbeitand feiner erzbiſchöf⸗ 
lihen Würde lediglich von der Gnade des Papftes ab. Hier wo es 





1) Hinkmars eigene Worte Mon. I. 475 und die dem Papfte von der 
Synode vorgetragene Bitte, Leine Abſetzung eines Biſchofs ohne päpftliche Be 
flätigung künftig zuzugeben, beweifen das Vorhandenfein einer foldhen, für die 
Sache Wulfads und die Anerkennung Pſendo⸗Iſidors agitirenden Partei. 


886 8. v. Noorden, 


fi für Hinkmar nicht bloß um die Neftitution eines Suffraganbi- 
ſchofs, jondern um das eigenfte Intereſſe handelt, wo ihm eine Zeit 
lang feine andere Rettung als ein direkter Angriff auf die falfchen 
Detretalen übrig zu bleiben fcheint, hier die Sache dennoch aufs 
Aeuferfte zu treiben, dies wäre eine Unvorfichtigkeit gewejen, wie fie 
fchlecht zu der übrigen Handlungsweife des Papftes Nikolaus ftimmt; 
vorausgefegt, daß er den Rheimſer Erzbifchof irgendwie im Beſitze 
der Mittel zu einem erfolgreichen Angriffe auf die falfchen Dekretalen 
wähnen durfte. Daß es damals nicht zu diefem Aeußerſten gekommen 
ift, daß der Papft fich mit Hinkmars diplomatifirendem Briefe be- 
friedigt erflärte, daß die Synode zu Troyes Gnade vor dem Richters 
ſtuhl des römischen Pontifikates fand, alles diejes gefchah in Folge 
von Greigniffen, welche beim Beginne der Unterſuchung außerhalb 
menschlicher Berechnung lagen. Die Abfegung des Papſtes auf der 
eonftantinopolitanifchen Synode und der bald darauf ſich ereignende 
Tod des gewaltigen Nikolaus felbjt bewirkt für einige Zeit wenigftens 
einen Umſchwung der römischen Politik, eine Nachgiebigfeit gegen den 
Vorkämpfer der gallifchen Kirche insbefondere. 

Dean wird als Einwand gegen diefe Beweisführung die eigenen 
Worte des Papftes Nikolaus anführen, wenn derjelbe im Jahre 865 
verfihert, daß Hinkmar die faljchen Dekretalen benuge, wo fie 
ihm gelegen kämen, andern Falls fie verwerfe. Grade diefe Worte 
bat man zur Unterftügung der Behauptung herbeigezogen, daß felbft> 
ſüchtige Zwecke, weldye der Rheimſer Erzbiihof mit Pfeudo- 
Iſidor durchzufegen hoffte, feine Kritif gelähmt hätten. Wir wer- 
den zum Schluffe die Zuläſſigkeit dieſes Verdachtes in Erwä— 
gung ziehen und wollen bier nur für die Jahre 866— 867 be- 
merten, daß das Bedrängnig, in welchem ſich Hinkmar während diefer 
Zeit befand dazu angethan war, um auch einem minder praftifchen 
Sinne al® dem feinigen, den Verzicht auf Fünftige ungewiſſe Vor 
theile rathſam erjcheinen zu lafjen, wenn ſich damit die gegenwärtige 
Gefahr abwenden ließ. Jener farkaftifche Vorwurf des Papftes aber, 
mit welchem Nikolaus, um feine eigene Berufung auf Pſeudo⸗Iſidor 
in der Rothadichen Sache vor den gallifchen Biſchöfen zu rechtfertigen, 
ben Rheimſer Erzbiichof eines zweideutigen Verhaltens zu den fal- 
Shen Dekretalen zeiht, traf Hinkmar kaum. Nur in geringem Um⸗ 


= 5 





Ebo, Hinkmar und Pſendo⸗Iſidor. 887 


fange hatte diejer bisher, nur im Intereſſe der öffentlichen Sittlich⸗ 
keit und Kirchenzucht, niemals in eigennüßigen oder hierardhifchem 
Gelüſte Pſeudo⸗Iſidor benutzt. 

Am Synodalſchreiben der Synode zu Zoucy wiederholte er die 
fon von der Synode zu Chierfey angewandten Stellen der Päpfte 
Urban, Lucius und Anaflet gegen Beeinträchtigung des Kirchengutes. 
In feiner Schrift de divortio Lotharii führte er eine Stelle aus 
Euariftus über die Bedingungen einer rechtmäßigen Ehe an!). Eine 
ähnliche in feinem Gutachten über die Ehe Stephans?). Die Scham, 
welche mit dem Cingeftändniß verbunden geweien, zu ſolchem Zwecke 
fi) auf gefälfchte Belegftellen berufen und erft fpäter die Wahrheit 
ertannt zu haben, war gering gegen den Triumph des Nachweifes, 
daß fowohl die Berechtigung des Papites zur Reftitution Rothads, wie 
die meilten neuern Anſprüche des apoftolifchen Stuhles ſich nur auf 
eine jüngjte Erdichtung ftüttten, daß die von Nikolaus fo warn empfoh- 
lenen Dekretalen der alten Päpfte das elende Machwerk eines erz⸗ 
bifchöflichen Brätendenten feien. 

Dom Standpunkte der Zweckmäßigkeit betrachtet ift Hinkmars 
Berhalten gegen die pjeudostfidorifche Sammlung das möglichſt zweck⸗ 
mäßige. Keine andere Art des Proteſtes unterftütte jo gründlich den 
Beitand der alten Metropolitanverfaffung, die Unabhängigkeit der 
nationalen Kirche. Wenn es ihm gelang, nach allen Seiten hin die 

"Anerkennung des Grundfages aufredht zu erhalten, daß nur die im 
Dionyſianiſchen Codex enthaltenen Stüde, nur die Defretalen von 
Siricius an, kirchenrechtliche Gültigkeit bejigen follten, fo hatte er 
damit nicht nur Pſeudo-Iſidor und Pfeudo - Angilram, jondern alles 
was in nächſter Zeit noch von päpftlichen Dekretalen aufgefinden oder 
erdichtet werden mochte zurüdgewiejen, die Macht des römijchen Stuhles 
in die von Karl d. Gr. beliebten Schranken zurücdgewiefen. ‘Die 
Gültigkeit Pfeudo » Yfidors als ebenbürtige Duelle des Kirchenrechts 
darzuthun ift das leitende Prinzip der Rheimſer Kleriker, des päpft- 
lichen Stuhles, der gallifchen Bifchöfe und der ſich unter Papft Johann 
auf die päpftliche Entfcheidung berufenden Presbyter. Diefem von 





1) Op. I, 686. 
2) Op. U, 647. 


388 8. v. Noorden, 


den verjchiedeniten Seiten an ihn herantretenden Anfinnen ſtellt 
Hinkmar einen und denſelben ſtets fich gleichbleibenden Widerſpruch 
entgegen. Unzähligemal findet derfelbe ſich in feinen Schriften ange: 
deutet, durch fein praftiiches Verhalten bekräftigt, am ausführlichten 
erörtert und begründet in feinem Werke gegen den Neffen, den Bi⸗ 
ſchof Hinkmar von Laon. Allen übrigen Concilen voran, unveränders 
lich in ihren Beſtimmungen fteht die myſtiſche Synode von Nicäa 1). Auf 
dieje folgen die übrigen allgemeinen Concile und die Defretalen der» 
jeuigen PBäpfte, welche in Uebereinitimmung mit den vorhergegangenen 
Spnoden Verfügungen erlaffen haben. Alle weiteren päpftlichen Des 
tretalen find nach dem Worte des Apoftel® und dem decretum des 
Gelafius zu prüfen und das Gute, d. 5. das mit den Canones ber 
b. Concite Vebereinftimmende iſt daraus zu behalten, im allge 
meinen find fie als diversis temporibus pro diversorum patrum 
consolatione gegeben, zu betrachten. ‘Daher die vielfachen Wider: 
ſprüche der pfeudo-ifidorifchen Dekretalen mit ſich felbft, mit den 
Kanones der h. Concile und den gültigen Delretalen quae de ec- 
clesiasticis ordinibus et canonum promulgata sunt disciplinis, 
d. 5. nad) Hinkmars Ueberfegung, welche in Uebereinftimmung mit 
ältern Gefegen und in Begründung auf diefelben erlaflen worden 
find. In diefem Sinne interpretirt er die zwei Stellen, auf welche 
der päpftliche Stuhl fi) zum Beweife der Gültigleit aller Dekretalen 
beſonders beruft, den Brief Leo's an die Biſchöfe Campaniens und 
da8 decretum Gelasii. In diefem Sinne entfräftet er den 9. 
Kanon des chalcedonifchen Concils, eine Lieblingsftelle des Papftes 
Nikolaus 2). 





1) Ein eigenes Feines Wert op. II, 826 erflärt den Ausdrud synodus 
mystica für die der Metropolitanverfafiung beſonders günftige Synode von 
Nicäe, 

2) Der 9. Kanon von Chalcedon hatte nicht nur den Biſchöfen, fondern 
fogar den Presbytern im Streite mit ihren Metropoliten die cvocatio des 
conftantinopolitanifhen Stuhles erlaubt. Der 28. Kanon deijelben Concils, 
welcher dem Patriarchen von Eonftantinopel gleiche Rechte mit dem lateinifchen 
Bapfte zugeftanden, war von Rom verworfen worden. (Hefele Conciliengeſchichte 
Bd. 2). Wus der Verwerfung diefes Kanone folgert Hinkmar die Ungültig- 
Jeit der den 238. Kanon vorbereitenden Kanones 9 und 17. 





Ebo, Hinfmar und Pſeuds⸗Iſidor. 889 


Das in den pfeudo-ifidorifchen Dekretalen enthaltene Gute will 
Hinkmar weder läugnen nod) verwerfen, aber um ihres Namens, 
häpftlihe Detretalen willen, follen fie feinen Vorrang vor den 
Schriften anderer Tatholifcher Lehrer beſitzen, Teine Neuerung in der 
kirchlichen Ordnung und Verfafjung bewirken fünnen. Wir fahen, wie 
Hinkmar im Yahre 853 den erften Verfuch, fie zur Geltung zu brin- 
gen im Keime erftidte. Beſſer gelang der zweite von gegneriicher 
Seite gemachte Verſuch, der berüchtigte Nothadfche Handel. Vom 
Beginme feines Streites an jtügt ſich Rothad auf Pſeudo⸗Jſidor. 
Es ift eine appellatio den fardicenfifchen Befchlüffen gemäß, 
weldye er im Jahre 862 zu Piſtis einlegt, fondern eine evocatio 
des römischen Stuhles im Sinne der falfchen ‘Defretalen. Darum 
die energifchen Gegenbeftrebungen Hinkmars, die gemwaltthätige Weife, 
mit der er Rothads PVerurtheilung im Herbite 862 zu Stande bringt. 
Rothad muß dringende Veranlaffung zu dem Verdachte gegeben haben, 
daß er feine Sache mit Hilfe Pfeudo - Zfidors zu Rom ausfechten 
wolle. Anders erklärt ſich das mahnende, leider verlorene Schreiben 
an Papft Nikolaus nicht, welches während Rothads Anwefenheit in 
Rom dort eintraf und den Papft auffordert die Sache des Soifjoner 
Biſchofs dem Codex canonum gemäß zu behandeln. Ebenfalls ift 
Hinkmars auffallendes, an Papſt Nikolaus im Jahre 862 gerichtete® 
Geſuch um nochmalige Beftätigung des Privilegiums der Rheimſer 
Kirche und der Soiffoner Synode vom Jahre 853 ein Beweis von 
Hinkmars forglidher Stimmung und von feinem Wunfche, den Papft 
noch einmal zu einer bündigen Erklärung zu Gunften des beitehenden 
fanonifchen Rechtes zu veranlafien. Und als nun im Jahre 866 der 
Papit, nicht mehr mit der einfeitigen, von ihm ausgegangenen Er- 
Härung zu Gunſten Pjeudo - Fidors zufrieden, die Frage über An⸗ 
wendbarteit der falfchen ‘Defretalen als verderblihen Feuerbrand in 
die fränkiſche Kirche fchleudert und bei der darüber entjtehenden Spal- 
tung die legte Entfcheidung in die Hand zu erhalten hofft, da weicht 
Hinktmar im Verlaufe der Verhandlungen jeder Erwähnung der fal- 
Ihen Dekretalen aus und fchiebt, indem er die Verfügungen ber 
echten Dekretalen und Kanones über den vorliegenden Fall um fo 
ftärter betont, die Eriftenz Pſeudo⸗Iſidors als eine gar nicht bemer- 
tenswerthe gefliffentlich in den Hintergrund. Gegen die Rechtskrüftig⸗ 


840 8. v. Roorben, 


keit der pfendosifiborifchen Dekretalen polemifirt Hinkmar in der Folge 
fowohl in dem Kampfe mit feinem Neffen, wie in den Streitigfeiten 
mit Papft Yohunn. Eine Inkonſequenz in feinem Urtheil über die 
Gefammtheit des pfeudo - ifidorifhen Dekretalenwerfes fann man dem 
Rheimfer Erzbifchof nicht zum Vorwurf machen. Prüfen wir fchließ- 
lich noch, ob die Meinung begründet ift, daß Hinkmar un des eige- 
nen Vortheils willen grade diefe Stellung zu den falfchen Dekre⸗ 
talen gewählt habe und ob er fid) nicht doch in der Praxis die größ- 
ten Zweideutigkeiten zu Schulden fommen läßt, einmal indem er mit 
Häülfe der falſchen Dekretalen nad) der Stellung eine® Primaten im 
Sinne Pfendo - Yidors trachtet und zweitens, indem er nicht felten 
pſendo⸗iſidoriſche Stellen als Belegitellen unbedenklich in feinen Wer- 
fen anführt. 

Das PBrimatialgelüfte Hinkmars wird, fofern es fid) um feine 
fchriftlichen Aeußerungen handelt, vornehmlich aus feinem Capitelwerke 
gegen den Neffen erhärtet. ‘Der Vorwurf ſcheint feine Nichtigkeit zu 
haben, wenn man die von Weizfäder aus der genannten Schrift an- 
geführten Stellen der Reihe nad), ohne auf den Zufammenhang der 
Hinkmarſchen Schrift Rüdficht zu nehmen, verfolgt. Beinahe fämmt- 
liche pfeudo-ifidorifhe vom Primate handelnde Stellen hat Hinkmar 
ercerpirt und dazu deutlich genug bemerkt, wie unzweifelhaft diejelben 
ihre Anwendung auf den Rheimſer Stuhl finden. Aber es gilt eben, 
Zwed und Zuſammenhang diefes Werkes nicht zu vergeſſen. Durch 
eine Compilation aus den pfeudo-ifidorifchen ‘Defretalen hat der Neffe 
die Unabhängigkeit der Suffraganftühle vom Metropoliten dargethan. 
Während nun Hinkmar an andern Orten feines Werkes genugfam 
und in ermüdender Breite die Gründe für die velative Ungültigfeit der 
nicht dionyfianifchen Dekretalen darlegt, geht er hier mit dem 15. Ca⸗ 
pitel fcheinbar auf die Behauptungen des Neffen ein, ftellt ſich vor» 
übergehend mit ihm auf den Standpunkt der falfchen Dekretalen, um 
deito vernichtender aus derfelben Quelle die Anmaßung des Neffen zu 
züchtigen. Folgendes ungefähr ift die Summe feiner Entgegnung : Wenn 
jene Erdichtungen, welche der Bifchof von Yaon zum Beweiſe feiner 
Unabhängigkeit vom Rheimſer Metropoliten vorgebradjt hat, bindend 
fein follen, fo muß er auch jene böswillig ausgelaſſenen Stellen 
Vſendo⸗Iſidors annehmen, weldye mir die Würde eines Primas zuge- 


. 





Ebo, Hinkmar und Pſeudo⸗Iſidor. 341 


ftehen. Den Gehorſam, welchen er dem einfachen Metropoliten wei⸗ 
gert, muß er dann um fo mehr dem Erzbifchof-Primas zollen. Und 
nun folgen die Stellen der pfeudo - ifidorifchen Päpſte, zu Gunften 
eines den Rheimfer Verhältniffen entfpredyenden PBrimates, auch Hor- 
misda’8 Brief wird dem Neffen nicht erlafien. Es läßt ſich nicht 
läugnen, daß Hinkmar im Laufe der Beweisführung den einzelnen 
Stellen der faljchen Defretalen manchmal Gewalt anthut, die Begriffe 
Primas » Erzbifhof und Metropolit eigenthümlich bearbeitet, aber 48 
gilt ja hier auch nicht fowohl ein faktiſches Anrecht zum Primate 
darzuthun, wie eine falfche Hypotheſe mit den daraus gezogenen Fol⸗ 
gerungen zu befämpfen. ‘Die übrigen Gründe, durch welche, wie 3. 2. 
dur Hinkmars Verhalten bei der Erwerbung Lothringens 1) im 
Jahre 859 fein Primatialgelüfte dargethan werden foll, werden mehr 
durch Muthmaßungen als durch hiftorifche Belege geſtützt. Es ift hier 
kein Raum, die Anklage Weizſücker's im Einzelnen zurüdzumeifen, 
welche dahin lautet, dag Hinkmar zu verfchiedenen Zeiten bereit ge⸗ 
weien, um der Erweiterung feines Einfluffes willen Untreue an feinem 
Herrn und König Karl dem Kahlen zu üben. An einem andern Orte 
denke ich zu zeigen, wie grade Hinkmar der erfte Träger eines deut 
lichen franzöfifchen Nationalbewußtjeins ift, wie das Wirken für die 
Idee eines nationalen weitfräntifchen Königreichs bis an die Rhein⸗ 
grenze, für die Intereſſen der weitfränfifchen Krone die Haupttendenz 
feine® Lebens war, wie nahe diefelbe mit feinem Kampfe für die alte 
Metropolitanverfaffung zufammenfällt und wie er troß aller von Sei⸗ 
ten feines Königs erlittenen Unbill, trog der verjchiedenften Feind⸗ 





1) Weil Regino die von Hinkmar veranlaßte Erhebung Bertulfs zum 
Erzbiſchof von Trier berichtend, diefen fchlechthin als Bifchof und nicht ale Era 
biſchof bezeichnet, foll Hinfmar nach Gfrörer die Abſicht gehabt haben, das 
Erzbisthum Zrier zum Bisthum zu degradiren und bie Bisthümer Met, Tonl 
und Verdun mit der in ein Primat zu verwandelnden Metropole Rheims zu 
verbinden. Ausdrüdlich erkennt dagegen Hintmar bei der Erhebung Karls zum 
Könige in Lothringen die Privilegien der fchwefterlichen Zrierer Kirche an, ver- 
wendet fi) alebald nad der Occupation Triers durch Ludwig d. D. bei die 
fem für den Erzbiſchof Bertulf und unterläßt, als fchließlih im Bertrage zu 
Merfen die Bisthämer Zoul und Verbun der Krone Frankreich definitiv an⸗ 
beimfallen, die Wımerion. 


842 8. v. Noorden, 


ſchaften, welche ihm aus ſolcher unbedingten Ergebenheit erwuchfen, doch 
unter feinen Verhältniffen diefer leitenden Idee treulos werden mochte, 

Dei der Anflihrung pfendo-ifidorifcher Stellen in feinen Schrif⸗ 
ten endlich ift eine doppelte Art der Anwendung zu unterfcheiden. 
Ebenfo wie e8 durchgehend in feinem Werke gegen den Neffen ges 
ſchieht, ſchlägt Hinkmar aud) bei andern Gelegenheiten den bequemen 
Weg ein, Pjeudo-Yidor mit Pfeudo⸗Iſidor zu widerlegen. Auf diefe 
Weiſe auf den in den falfchen Dekretalen enthaltenen Widerſpruch 
aufmerkſam macend, legt er jo zugleich den einfachiten und überzeu⸗ 


gendſten Beweis für ihre Ungültigfeit ab. So in feiner Schrift vom 


Jahre 872 gegen die unkanonifche im pfeudo -ifidorifchen Sinne vom 
Bapfte befohlene Erhebung des Bifchofs Aktard auf den erzbifchöf- 
lichen Stuhl von Tours 1). Im 6. Capitel 2) macht er ohne die Quelle 
zu nennen geltend, daß Aktards Erhebung, zu welcher ebenſowohl Ehr⸗ 
geiz und Herrfchbegierde des frühern Biſchofs von Nantes, wie kirch⸗ 
liches Bedürfniß die Veranlaffung geboten hatte, auch einem Theil der 
pfeudo-ifidorifchen Beitimmungen über die Bedingungen der translatio 
widerfpridt. Und nicht verächtlicher könnte Hinkmar Aktards Hand» 
Iungsweife darftellen, als wenn er die pſeudo⸗iſidoriſche Stelle des 
Papftes Damaſus gegen die Ehorbifchöfe 3) darauf anwendet. Noch 
einmal benugt er die Abneigung Pſeudo⸗Iſidors gegen die Yebteren, 
um den fo pfendo =» ifidorifch gefinnten Neffen damit zu züchtigen %), 
indem er eine Stelle des Anaklet 5) über die Bedeutung der Chor: 
bifchöfe anführt und nachweift, daß die Stellung eines Bifchofs von 
Laon nur die Form der Ordination vor den Chorbiſchöfen voraus 
babe. Gegen die Priefter, weldye auf Pſeudo-Iſidor ſich ftügend ihr 
Recht nicht beim Primas der Provinz ſuchen, wendet er gleichfalls 
Pſeudo⸗Iſidor und zwar Pf. Stephanus und Pf. Pelagius an. 





1) Mlerdings hatte Hinfmar in dem Synodalichreiben der Synode von 
Touch im Jahre 871 und in dem bie Alten der Synode begleitenden Briefe 
die Beförderung Altarde auf den Stuhl zu Tours anempfohlen,, aber anders 
ſtellte fich fein Verhältniß zu diefer Erhebung, als Altard von Rom zurüdge- 
fehrt die Bereinigung des Bisthums Nantes und des Erzbiethums Tours in 
einer Hand beanfpruchte. 

2) Opus II, 744. 3) Opus II, 756. 4) Opus II, 428. 

5) Nicht Elementis, wie durch Irrthum bei Weizfäder N. 3. ©. 370 fteht. 





Ebo, Hinkmar und Pſeudo⸗Iſidor. 348 


Doch noch eine weitere Reihe von Stellen bietet ſich uns, in wek⸗ 
her pfeudo » ifidorifche Päpfte nicht fowohl um den Widerſpruch der 
falſchen Defretalen untereinander darzuthun, fondern fcheinbar ohne 
viele Veranlaffung und unbedenflid; neben Gregor, Auguftin, Leo 2c. 
citirt werden. Die bis zum Jahre 865 herbeigezogenen erwähnten wir 
ſchon oben. Es waren Warnungen gegen Kirchenraub, fittliche Vor» 
fchriften in Wetreff der Ehe. Gene Drohungen der PBäpfte Urban, 
Anaflet und Lucius gegen die Beeinträchtiger des Kirchengutes werden 
noch in fpäteren Jahren mehrmals von Hinkmar wiederholt, in fet- 
nem Briefe an König Karl zu Gunften feines Neffen, in der Ange⸗ 
legenheit des Priefters Teutfried, in der Schrift über die Pflichten des 
Bischofs. Läßt diefe fortgeführte Benugung nicht doch die Vorwürfe 
des Papſtes Nikolaus, der Yanfeniften und Benediktiner, der Hefele, 
Sfrörer und Weizfäder in unferen Tagen über zweideutiges Verhal- 
ten des Rheimfer Erzbifchofs als begründet erfcheinen ? Aber man 
erinnere fih, dag Hinkmar zu verfchiedenen Gelegenheiten das Wort 
des Apoftels: Prüfet alles und das Beſte behaltet, auf die Delreta- 
len der alten Päpfte angewendet wilfen will, daß er fie niemals ins⸗ 
gefammt verwirft und niemals insgefammt annimmt, dagegen oft ges 
mig ein Kriterium zur Prüfung Pfeudo » Yfidors und aller ähnlichen 
Sammlungen geltend macht, die Mebereinftimmung nämlidy mit den 
Scdlüffen der h. Eoncilia und den in Cinflang mit diefen erlafjenen 
päpftlihen Dekretalen. Auf ſolchem Standpunkte beharrend kann er 
nit nur ohne Bedenken pfeudo-ifidorifche Stücke, welche diefem Kri⸗ 
terium Genüge leiften, citiren; die häufige Anwendung diefer Etellen 
ift fogar eine ftilljchweigende, aber darum nicht minder gewandte Kri⸗ 
tit des übrigen Inhaltes. 

Abgejehen von den Partien in feinen Schriften, wo Hinkmar 
Pſeudo⸗Iſidor mit Pſeudo⸗Iſidor bekämpft, benutzt er die falfchen De: 
tretalen nur auf dem fittlidhen Gebiete und die Meinung fänmtlicher 
von ihm angewendeter Stellen ließe fi) au "aus dem Codex ca- 
nonum oder aus den Kirchenvätern erhärten. In demjelben inne 
wie die Yegteren, als fubfidiarifhe Tuelle, um Gfrörers treffenden 
Ausdrud zu gebrauden, will er von Pſeudo⸗Iſidor denjenigen Theil 
gelten lafien, welcher die oben vermerkte Probe befteht. Ich finde 


bier die volffte Webereinftinnmung zwifchen Praxis und Theorie und 
Hißerifge Zeitſheift VII. Band. W 


844 K. v. Noorben, 


gewiß war es ein glücklicher, unter andern Zeitverhältniſſen vielleicht 
auch glückender Verſuch, durch das eigene Beiſpiel zu zeigen, wie man 
ſich einer Sammlung gegenüber, deren Erdichtung ſich weder bewei⸗ 
ſen, noch deren merklich ſteigender Einfluß ſich verkennen ließ, verhal⸗ 
ten ſolle. Man muß doch wohl zugeben, daß Hinkmar ſelbſt über 
diefen fcheinbaren Widerfprud in feinem Verhalten unterrichtet gewe⸗ 
fen ift. Er wußte die Augen feiner Zeit auf ſich gerichtet. Konnte er 
fid) täufchen, jene bittere Bemerkung des Papftes beim Beginne des 
Streites ließ ihm feinen Zweifel übrig. Seine vielfacdyen Gegner ga- 
ben ihm fortwährend DVeranlaffung auf feiner Hut zu fein. Wenn 
er nun troß feines fortgefettten prinzipiellen PBrotejted mit der Anwen⸗ 
dung einzelner pſeudo⸗ ijidorisher Stellen fortfährt, fo muß er fi 
do wohl von feinen Zeitgenofien verftanden geglaubt haben. In der 
That, weder von der Gegenpartei auf den Synoden zu Soiſſons, 
Zroyes und Touch, noch von den fpäteren Päpften, nicht einmal von 
Seiten feines Neffen ift ihm ein derartiger Widerſpruch feines Ver⸗ 
baltens zum Vorwurf gemacht worden. Nach dem Tode Karls des 
Kahlen noch bezieht ſich der Erzbifchof von Rheims auf Urban, Ana- 
Met und Lucius. Noch im Jahre 881 auf Urban. Sogar in einem 
Briefe vom %. 867 an Bapit Nikolaus auf einen Brief Aleranders 1) 
und auf eine Defretale des Papſtes Damaſus, welche aus der echten 
Hispana 2) in Pjeudo-\yjidor hinübergenommen ift. Auf erftere, um 
zu verfichern, daß die Beitimmung des Papftes Alerander, welche ein 
mit Zwang oder Gewalt erpreßtes Geſtändniß ungültig fein läßt, auf 
Ebo nicht anzuwenden fe. Auf leßtere, um fie den die Transmi- 
gratio eines Biſchofs mit 3) und auch ohne +) Autorität des römi- 
ſchen Stuhles geftattenden Defretalen Pſeudo⸗Iſidors entgegen zu hal« 
ten. Den bier citirten Verordnungen jener beiden, wenn aud) nicht 
dionpfianifchen Defretalen kanu Hinkmar unbedingt beipflichten, darum 
erwähnt er fie, um aud dem Papfte feinen Standpunkt den falfchen 
Dekretalen gegenüber deutlich zu machen. 





1) Blondell 163. 

2) ed. Gonzalez pars IL. ©. 9. 

8) Euaristus, Blondell &. 151. Callistus, Blondell ©, 2569. 
4) Anterus, Blondell &. 278. Pelagius II, Blondell ©. 623. 





Ebo, Hinkmar ımd Pſeudo⸗Ifidor. 345 


Am Laufe der Jahre fteigert fih, je mehr in Wirklichkeit die 
Tendenzen Pſeudo⸗Iſidors zur Herrſchaft gelangen und Biſchöfe, Papft 
md König ſich zu denfelben befennen, Hinkmars Erbitterung. Volles 
Genüge wird ihm, als im Jahre 872 Karl, nicht mehr von Wulfads 
Einfluß beftrict, ihn an Papſt Hadrian, der die Genehmigung zu der 
Abſetzung des Biſchofs von Laon weigert, jchreiben heißt. In des 
Königs Namen die Feder führend, braucht er nicht ängſtlich zu übers 
legen, ob er auch für jedes Wort den Beweis antreten und burchfüh- 
ren kann; und hier fcheut er ſich nicht, das verhaßte Dekretalenwerk 
in feiner Geſammtheit als ein erdichtetes und zufammengebrautes Mach⸗ 
wert zu bejeichnen, ihm mit fchneidender Schärfe die heilige Schrift, 
die echte Kirchenlehre und die fränkischen Reichsgeſetze entgegenzuftel- 
in). &8 war ein eigenthümliches Spiel des Schickſals, daß diefe 
kräftige Unterftüßung, welche der König dem Rheimſer Erzbifchofe ge- 
gen Pſeudo⸗Iſidor geboten hatte, der Anfang der größten prinzipiellen 
Niederlage, der heftigften perfönlichen Kräntımg fir Hinkmar fein 
follte. Die verfühnende Antwort des durch den »Anſchluß des deutjchen 
Königs an Kaifer Ludwig IL. geängfteten Papſtes bot dem Könige 
bie erfte verlodende Ausficht auf die Kaifertrone — eine Kaiferkrone, 
weiche wenige Jahre darauf aus der Hand Yohannes’ VIII. als ein 
ſchmählich erhandeltes Gnadengeſchenk und nicht kraft eigenen Rechtes 
empfangen, die Vernichtung aller nationalen weſtfränkiſchen Politik 
herbeiführt und das Reich den bedenklichſten nnd folgenſchwerſten Wir⸗ 
ren anheim giebt. Wenn auf die Nachricht der Fulder Annalen zum 
Jahre 869, daß Karl der Kahle nach der Erwerbung Lothringens mit 
der Annahme des Kaiſertitels umgegangen ſei, einiges Gewicht zu le⸗ 
gen iſt, ſo läßt ſich nicht bezweifeln, daß nur in Uebereinſtimmung 
mit dem in der Lothringiſchen Sache ſo eifrigen Erzbiſchof Hinkmar 
der König an die Verwirklichung jener Idee gedacht hat. Wie an⸗ 
ders ſtellte ſich einem ſolchen national franzöſiſchen Kaiſerthum, wel⸗ 
ches gegen den Willen des Papſtes ſich gegründet hätte, der ſpätere 
Kauf der römifchen Kaiferfrone aus den Händen des ebenfo beutegie- 
rigen wie verfchmigten Bapftes Johann entgegen, jenes gründlichen und 
unermüdlichen Feindes aller politiichen Einheit in Italien fowohl, wie 





1) Op. II, 701. 


846 8. dv. Noorden, 


in den fränfifchen Reihen. Was Hinkmar zu Pontyon gelitten hat, 
als der König in byzantinifchem Pompe prunkte, die Erhebung des 
Anfegifus zum Primas gegen den Willen der übrigen Metropoliten 
durchzufegen meinte, als er fich fcheut die päpftlichen Briefe mit ihren 
vielleicht noch Pſeudo⸗Iſidor überbietenden Forderungen der murrenden 
Verfammlung vorzulefen, ımd als er ſchließlich den Rheimſer Erz- 
bifchof, den gegen Pſeudo⸗Iſidor und italienifches Kaiferthum protes 
ftirenden, feinen alten Freund und oftmaligem Erretter zur Erneuerung 
des Treueided zwang, — davon geben die uns erhaltenen rührenden 
Worte 1) Hinkmars nur eine ſchwache Schilderung. Schien e8 damals 
do, als ob der Rheimſer Erzbifchof noch in feinem Leben die voll 
ftändigfte Niederlage feiner Prinzipien erleiden follte. Das Recht, die 
Provinzialſynoden zu berufen, wird dem Metropoliten genommen, dem 
von des Bapftes Gnade abhängigen Primas übertragen. Auf einer 
Kirhenverfammlung zu Ravenna reißt der Papft triumphirend die 
legten Trümmer metropolitaner Selbftändigfeit nieder. Das DVerhält- 
niß zwifchen Bapft und Kaiſer ift da8 umgekehrte von demjenigen 
geworden, welches Karl d. Gr. für Jahrhunderte feft begründet glaubte. 
Die durch den großen Karl erftrebte Vereinigung päpftlicher und kai⸗ 
licher Politik hat jet in folgerichtiger Wirkung die geiftliche Macht 
des römischen Bifchoßs über ihre natürlihen Schranfen hinaus und 
in eine, den nationalen Intereſſen der Völker feindliche Stellung ges 
führt. Die völlige Schwächung des Taiferlichen Anfehens in der Welt 
und der königlichen Gewalt im Inlande, welche jeder Erhebung des 
päpftlihen Stuhles dur den Arm des Kaiſers auf dem Fuße folgt, 
hat ſich gegenwärtig zum erjtenmal und diefesmal im weitfräntifchen 
Reiche erfüllt. Man darf fi) mit vollem Rechte die Frage erlauben, 
ob ohne den in der dee fo großartigen Mißgriff Karls des Großen, 
ob ohne jene unhaltbare Vermiſchung kirchlicher und faiferlicher Ge— 
walt die falfchen Dekretalen jemals zum Dafein und zur Geltung, die 
unbedingte Unterwerfung der nationalen Kirchen unter Rom jemals 
zu Stande gekomnen wäre. Wie jett im Jahre 876 die Berhältniffe 
lagen, nimmt e8 mich Wunder, daß man zur Züchtigung des wider: 
ſpenſtigen Erzbiſchofs von Rheims nicht noch einmal die Ebo'ſche Ans 
gelegenheit hervorgefucht hat. 


1} Op. U. 886. 








Ebo, Hinkmar und PſeudoIſidor. 847 


Aber wie es ſich im Laufe der Jahrhunderte fo oft wiederholt, 
daß der von pupſtlichem Einfluffe gehobene, jüngft auf den Hügeln 
der Tiberftabt dem päpftlichen Intereſſe fo ergebene Fürſt ſich, wenn 
nicht fchon in der lombardifchen Ebene, doch auf der erften Etation 
jenſeits der Alpen in prinzipiellem Widerftreit mit dem Papftthum 
befindet, fo ereignete e8 ſich auch damals mit Karl dem Kahlen. Und 
der Grund diefes Phänomens ift bei Karl derfelbe, wie er fpäter in 
der Geſchichte des deutichen Kaiſerthums unaufhörlich wiederkehrt. An 
die größte dem apoftolifchen Stuhle gemachte Sonceffion doch noch das 
Besehren einer größeren zu knüpfen, ift die Tendenz des Papftthums 
heute fowohl wie vor taufend Jahren. Nachdem der Kaifer die Be- 
rufung der fränfifchen Bifchöfe nad) Rom mit Umgehung der heimath- 
lihen Synode zugeftanden, nimmt der Papft auch das Berufungsrecdht 
der niedern Geiftlichleit in Schuß, und die franzöfifchen Kleriker eilen, 
fobald ihmen von dem geiftlichen Gerichte der Heimath die Strafe für 
verübte Verbrechen unausbleiblid dünft, nach Rom, um ſich dort mit 
lügneriſchen Berichten Begnadigung zu erwirten und als glühenbe 
Eiferer für die Wohlthaten Pfeudo-Ffidord nad) Gallien zurückzukeh—⸗ 
ren. Wenn e8 dem Compilator der falfchen Defretalen vergönnt ge- 
weſen wäre, zu diejer Zeit feine Blicke auf den Zuftand der gallifchen 
Kirche, auf die Stellung des Papftthums den transalpinifchen Kirchen 
gegenüber zu richten, er würde fich billig über die Frucht erftaunt 
haben, welche binnen 30 Jahren aus der von ihm ausgeftreuten Saat 
zur Reife gediehen. In foldyem Umfange wie Ebo von Rheims hat 
wohl kein päpftlicher Würdenträger durd) eine literarifche Produktion 
feinen Nachfolgern Bitterkeiten und Kränkungen heraufbefchworen, und 
indem er ſich felbft in feiner Stellung zu befeftigen fuchte, die Stellung 
feines Nachfolgers fo vollftändig untergraben. Trotz der Strenge, mit 
welcher Hinkmar die Zügel des geiſtlichen Regiments zu handhaben 
pflegte, troß der Sorgfalt, welche er auf die kirchlichen Zuftände fei- 
ner Provinz zu verwenden gewohnt war, — die fechs von ihm hin- 
terlaffenen Sammlungen kirchlicher Verordnungen geben das befte Zeugs 
nig davon, — dennoch ift es grade der Rheimſer Sprengel, in 
weichem Widerjeglichkeit und, mannigfacye Zügellofigfeit des höhern 
und niedern Klerus befonders auffällig zu Tage treten. Oder fcheint 
dies nur jo, weil die Übrigen Metropoliten widerftandlofer der alige- 


848 K. v. Noorden, 


meinen Strömung der Zeit nachgegeben haben? Die Frage, wie es 
mit der geiſtlichen Gerichtsbarkeit über niedere Kleriker zu halten ſei, 
hat mehrere Schriften Hinkmars in den verhängnißvollen Jahren 876 
und 877 veranlaßt 1). Sie iſt es geweſen, welche dem charakterlofen 
Fürften die Augen über die wahren Abfichten des römischen Biſchofs 
öffnen und ihn mit Groll und Reue, vielleicht auch mit Scham, 
über die eigene Nachgiebigkeit erfüllte. 

Da ift denn noch einmal ein Verftändniß zwifchen dem Kaifer 
und feinem früheren Berather zu Stande gelommen. Noch einmal 
ergriff Hinktnar in feines Fürften Auftrage die Feder, um nicht nur 
die Appellation niederer Kleriker als ſchlechthin unzuläffig und den 
gültigen Quellen des Kirchenrechts zuwider zu verwerfen, fondern um 
zugleich die Schlüffe von Sardila als die äußerfte Grenze der den 
Biſchöfen zu geftattenden Rechte zu betonen?). Man wird die Reaktion, 
welche in diefer Schrift gegen die Anmaßungen des Bapftes enthal- 
ten ift, dann nur volllommen würdigen, wenn man fich erinnert, wie 
weit ſchon Nikolaus über die Schlüffe von Sardila, welche die Ap- 
pellation nur nad) vorangegangenem Urtheil der Provinzialiynode, 
und auch dann nur eine neue Synode in der Heimath mit Zuziehung 
päpftlicher Legaten gejtatten, binausgegangen war. Auch die jährlich 
zweimaligen Provinzialfynoden, ohne jedesmalige Genehmigung des 
Papftes, wie fie das nicänifche Concil verordnet hat, werden wieder 
mit Dringlichkeit geltend gemacht. Nocd einmal hält Hinkmar allen 
Neuerungen und Neuerern die alleinige Gültigkeit der heil. Eoncile 
und der Defretalen von Siricius an entgegen. Es wird dem Bapfte 
gradezu bedeutet, daß die Grundfäte, weldye man von Rom aus vers 





1) Zwiſchen ben Abhandlungen de presbyteris criminosis, op. I. 783, 
de causa Teutfriedi presbyteri, op.II. 801 und dem Briefe an Johann VIIL, 
op. IL. 768 waltet ein unverfennbarer Zufammenhang ob. Die Schrift de 
presbyteris criminosis ift bejonder& bemerkenswerth wegen der beigenden Kri- 
tif, welcher Hinkmar im 19. Kapitel die angeblichen, im Pfeudo-Zfidor enthal« 
tenen (Ausgabe von Merlin pars II. ©. 91) Geften des Papſtes Silvefter Preis 
giebt und die völlige Abfurbität jener Verordnungen darlegt, nach welchem fein 
Kleriker von einem Laien oder von einem niedern Kleriler angeflagt, fein Bis 
ſchof ohne 72 Zeugen verurtheilt werden kann. 

2) Op. IL 768-782. 





Ebo, Hinkmar mıd Pfenbo-Sfidor. 849 


breitet, das göttlihe Recht der Biſchöfe kränke, daß diefelben ſich im 
Widerfpruche mit der Ehrerbietung befinden, welche die Kaiſer dem bi⸗ 
ſchöflichen Stande zollen. Für das Berhältnig des Presbpters zum Bifchof, 
für die Anflage des Presbyters follen die Verordnungen der römifchen 
Synode vom 15. Nov. 826 unter Bapft Eugen II., welche am 8. Dez. 
853 vom Bapft Leo IV. beftätigt worden, gelten. | 
Die allgemeine Stimmung im bifchöfltichen Stande des weftfränfifchen 
Reichs geht gegen den ergrauten Mletropoliten. Aber unbeugfam verficht 
er bis zur lettten Stunde feine Meinung und die Privilegien feines Stan- 
des. Als im Auguft 878 Papft Johann perfönlid in Troyes eintrifft, 
in ber vergeblichen Hoffnung hier eine Kirchenverſammlung der gefanm- 
ten fräntifchen Reiche zu halten und die Partie, eines Schiedsrichters 
unter den karolingiſchen Vettern zu ergreifen, haben Hinkmars Gegner 
es nicht verfäumt, die Lebhafteften Bejchuldigungen gegen den Erzbifchof 
als DBerräther der päpftlichen Dekretalen und der päpftlichen Autorität 
vorzubringen 2). Sogar -eine Reftitution des geblendeten Biſchofs von 
Laon, des Märtyrers der falfchen Dekretalen hoffte man zu erreichen 
und erlangte wenigstens eine theilmeife Genugthuung. Aber doch wis 
derſtand in der Hauptfache, in der Anerkennung Pſeudo⸗Iſidors ale 
maßgebender Nedhtsquelle Hinkmar fiegreicd dem Papſte. Mit 
Rede und Schrift weift er die erhobenen Beichuldigungen zurüd. Des 
furz vorhergegangenen päpftlichen Verſuches, in Erzbifchof Roftagnus von 
Arelat einen neuen Primas und Vikarius zu erheben, gefchieht feiner 
weiteren Erwähung. ‘Die Verfegung des Frotarius, des Verräthers an 
der Metropolitanverfaffung auf den Stuhl zu Bourges muß Johan⸗ 
nes zurüdziehen und die fardicenfifchen Beichlüffe ald Norm für bi« 
ſchöfliche Klageſachen verlefen laſſen. In der leider verloren gegan⸗ 
genen, nach der Synode von Troyes geſchriebenen Schrift zeigt Hink⸗ 
mar, wie er ſich in Uebereinſtimmung mit den päpſtlichen Dekretalen 
befinde, d. h. mit demjenigen Inhalte derfelben, welcher durch die Ka» 
nones der allgemeinen Concile gebilligt und geheiligt worden ift. 
Db er dieſes legten Sieged noch eine einzige Stunde froh ges 
worden, ob er wirklich glaubte, den gegen ihn wogenden Strom der 
Zeit durch feine Anftrengungen,, unter denen er auch grammatiſche 





1) Flodoard lib. III cap. 21 und 29. 


850 R. v. Noorden, Ebo, Hinkmar und Pſeudo⸗Iſidor. 


Spitfindigfeiten nicht verfcehmähte, aufzuhalten, oder ob das Bewußtſein 
feine letzten Lebensjahre verbittert hat, daß Rom, wenn aud in offe- 
nem Kampfe und theoretiich überwunden, doc praktiſch auf taufend 
. geheimen Schleichwegen das erreichen würde, was er ein Leben lang 
ihm verwehren wollte, die Knechtung der nationalen Kirchen und des 
nationalen Staates? — Er hat uns feine Aufzeichnung feiner Ahnun⸗ 
gen hinterlaſſen. Dean muß e8 eingeitehen, daß fein Widerftand ein 
fruchtlofer gewejen ift. Trotz der Verſunkenheit des Papſtthums, welche 
den Antriguen Johannes VIII. auf dem Fuße folgte, gelangte Pſeudo⸗ 
Iſidor doch al8bald zu unbeftrittener Geltung in der gefammten ka⸗ 
tholifchen Kirche. Aber es ift unbillig, wen man denjenigen Mann, 
welcher der Einzige zu feiner Zeit, foweit feine geiftigen Mittel und 
feine durch mannigfache Rüdfichten begrenzte Stellung es geftatteten, 
fi dem Trugwerk der falfchen Dekretalen entgegenwarf , deßhalb als 
einen Mitfchuldigen verdächtigt, weil er nicht die Waffen einer un⸗ 
erbittlichen proteftantifchen Kritik dagegen in Bereitfchaft ſetzte, weil 
er ſich nicht ftandhafter weigerte, in einer Zeit der allgemeinen Ver⸗ 
wirrung und Selbftfucht aus einer trüben Duelle dasjenige zu ſchö—⸗ 
pfen, was jeder wahre Förderer der fittlichen Ordnung und kirchlichen 
Zucht als unverfänglich, gut und nützlich willfommen heißen mußte. 








vo. 
Kailer Marimilien I. und die deutiche Reformation. 


Bon 
Wilhelm Manrenbreder. 





Es hat auch in unferer hiftoriichen Wiffenfchaft eine Zeit geges 
ben, in der alle Verhältniffe der Vergangenheit nur von dem reli« 
giöfen oder theologifchen Standpunkte des Einzelnen aus begriffen, 
beurtheilt und dargejtellt wurden, in der an alle Perfonen und alle 
Ereigniffe jeglichen Sahrhunderts allein der Maßſtab, ſei es eines 
gläubigen Gemüthes oder einer rationaliftifchen Verftandesreligion ans 
gelegt wurde. Sobald fi) dann die hiftorifche Betrachtung den Zei⸗ 
ten der großen Slaubensfpaltung des 16. Jahrhunderts näherte, führte 
dieſes Vorwalten des religiöjen Gedankens ganz confequenter Weife 
zu einem eng begrenzten Coufeffionalismus. ‘Da urtheilte und richtete 
Jeder nad) den einmal angenommenen oder anerzogenen Anfchauungen 
und Vorurtheilen feiner Confeſſion über die Thaten, die Gefinnungen 
und Motive ebenfowohl der Neuerer als der Vertheidiger des alten 
Glaubens. 

Dieſes Verfahren darf ſich nun die neuere Geſchichtsſchreibung 
rühmen vollſtändig überwunden zu haben; der confeſſionellen Geſchichte 
gegenüber ſtellen wir heute mit vollem Rechte eine wiſſenſchaft⸗ 
liche Gejchichte auf. Denn mag man aud von jener früheren Ans 
ihauumgsweife alles mögliche Gute ausfagen, mag man von ihr 
Beleſenheit und Gelehrjamteit, Wahrhaftigkeit und Rechtſchaffenheit, 


863 W. Maurenbreder, 


Frömmigkeit und Patriotismns rühmen wollen; fo wird man doch 
Eines von ihr nicht fagen können, daß fie in der hiftorifchen Wiflen- 
haft begründet fei. Wie es ſich in geſchichtlichen Forſchungen nicht 
um eine Unterfuchung handelt, was gut oder böfe, was Qugend oder 
Lafter zu nennen fei, fo ift es auch nicht ihre Sache zu enticheiden, 
welchem Glauben oder welcher Sonfeffion der Vorzug gebühre. Wäh- 
rend über foldye Fragen die Erörterung anderen Gebieten überlaffen 
bleibt, find alle die verjchiedenen Eonfeffionen für den Gefchichtsforfcher 
gegebene Größen; in den Bereich feiner Forfchungen fällt es, ihrer 
Entftehung und Ausbreitung, ihrer Wirkfamleit nad) Außen nachzu⸗ 
gehen. Und hier find für ihm die verfciedenen Confeffionen und Re» 
ligionen nur die Erzeugniffe der jedesmaligen Culturftufe ihrer Zeit, 
die er ebenfo wie alle die andern Eulturprodufte betrachtet und befpricht. 
Frei von allen dogmatischen Borausfegungen und durd) feine Schran- 
ten irgend eines Dogmas gehemmt, fteht fo die ächte hiftorifche Wif- 
fenfchaft über dem Streit der Neligionsparteien und Confeffionen. 

Erſt in folder Geſchichtsſchreibung hat auch die Betrachtung der 
Neformationsgefhhichte des 16. Yahrhunderts eingehendes VBerftändniß, 
alljeitige Beleuchtung und gerechte Beurtheilung gewonnen. Und dies 
ift wohl unftreitig vor Allem als das große Verdienft Ranke's zu bes 
zeichnen, der jowohl durch feine allfeitig geführten Unterfuchungen, feine 
unermüdlich fortgefegten Forſchungen unjere Kenntniß jener Epoche 
unendlich bereichert, al8 auch ganz befonders durch feine vorurtheilsfrete 
Auffaffung das rechte Verftändnig der nationalen und religiöjen Bes 
wegungen angebahnt und ein unparteiifches Urtheil über jene Zeit 
ermöglicht hat. Wenn auch neben ihm nocd einzelne Stimmen laut 
werden und vielfachen Beifall finden, die mit großer Entjdjiedenheit 
und Heftigfeit wiederum die confejjionellen Anfchauungen geltend mas» 
hen wollen, fo ijt dem doc in der Hiftorifchen Wiffenfchaft kaum ein 
Einfluß einzuräumen: fie fchreitet rüftig fort auf jenem von Ranke 
betretenen und angebahnten Pfade. 

Und da herrfcht denn heutzutage eine ungemeine Nührigfeit, eine 
allfeitige Thätigfeit, von dem Allgemeinen in das Befondere, das Ein- 
zeine der Reformationsgefchichte einzudringen. Es öffnen ſich ung jetzt 
die Archive, es werden uns die geheimften Papiere der Handelnden, 
die Depeſchen, Juſtruktionen, Entwürfe und Relationen, ſelbſt der ver» 





Kaifer Marimilian IL und bie beutfche Reformation. 368 


trauliche Briefwechfel der Zeitgenoffen immer zugänglicdher gemacht. 
Damit richtet ſich der Blick jett immer fchärfer und Harer auf das 
reine, ungetrübte Erfafjen der wirklich gejchehenen einzelnen Thatfachen 
und ihrer Motive, und auf diefem Wege vom Einzelnen aus muß 
und wird die Geſchichtswiſſenſchaft aud) zu einer treueren Anficht der 
ganzen Reformationsepocdhe gelangen. Auch hier muß und wird fich ja 
die alte Wahrheit wieder bewähren: je genauer und richtiger die Er⸗ 
fenntniß des Einzelnen wird, deito mehr wird der Parteiftandpunkt 
verlaffen, deito mehr nähert fid) das Geſammtergebniß der hiftorifchen 
Wahrheit. 

Es ift nun keineswegs die Abſicht der folgenden Skizze, diefe 
Refultate der neueren Forſchungen zufammenfafjend darzulegen; es bes 
ſchränkt fi vielmehr unjere Aufgabe darauf, einen einzelnen Punkt 
und eine einzelne Beziehung der deutichen Geſchichte des 16. Yahr- 
hunderts näher in's Auge zu fallen; e8 foll hier der Verſuch gemacht 
werden, die Trage zu beantworten: wie hat fi das Verhältniß der 
Neformbewegung nach dem Augsburger Neligionsfrieden zu der deuts 
chen Nation geftaltet und welche Stellung hat insbefondere der habs⸗ 
burgifche Kaifer Maximilian II. zu diefer nationalen und religiöfen 
Dewegung eingenommen). - 

Da wird vor Allem wohl zuerft noch die Frage aufzunwerfen und zu 
beantworten fein, wie e8 hierfür mit der hiftorifchen Forſchung augen» 
bliclich ftehe, ob uns die Alten zum Sprucde reif ſchon alle vorlie- 
gen, oder ob wir noch theilweife mit unbefannten Größen zu rechnen 
haben. Es ift nun fofort zuzugeben, daß uns noch ein ganz beträdht- 
licher Theil des urkundlichen und diplomatiihen Materiales unbekannt 
ift. Wenn wir aud von des Vatikans geheimen Räumen und feinen 
biftorifchen Schägen abjehen wollen, — wir haben ja kaum die Hoff« 





1) Weitaus das Befte, was über diefe ragen bisher gefchrieben ift, ift 
auch hier wiedernm eine Abhandlung von 8. Ranke: Ueber die Zeiten Ferdi⸗ 
nands J. und Marimilians II. (in der Hiftor.-polit. Zeitfchrift Bd. I. S. 223—339). 
— Das neuere Werl von M. Koh, Quellen zur Geſchichte Kaifer Marimi- 
lians II. iR dagegen nur werthvoll durch einige, freilich aud nicht gar zu fehr 
zu überfchäßende archivaliſche Mittbeilungen; bie Auffaffung feines Gegenſtandes 
aber ſieht bei ihen keinerwegs in einem Berhältniß zu dem Gegenſtande ſelbſi. 


304 W. Maurenbrecher, 


nung, wenigſtens unter den gegenwärtigen Verhältniſſen, dort irgend 
etwas Erhebliches zu erlangen — ſo fehlt uns doch auch außerdem 
noch die Kenntniß der Wiener Papiere, und auch in den venetianiſchen 
Berichten iſt fiir die deutſche Geſchichte dieſer Zeit noch eine Lücke ?). 
Aber trotzdem iſt uns durch die Forſchungen der neueſten Zeit ſehr viel 
Stoff zu Tage gefördert. Allen voran gehen da die Mittheilungen 
aus den niederländiſchen Archiven; Holland und Belgien wetteifern, 
und ihre Reichthümer zu ſpenden. Aber auch ir Deutſchland rührt 
fi) an allen Orten die Thätigfeit, den Stoff herauszufchaffen; aus 
Stuttgart und Caſſel ift Schon Bedeutendes, aus Dresden und Berlin 
wenigftens Cinzelnes befannt geworden; in München beginnt gerade 
jet eine fyftematifche Ausbeutung der Archive; genug, es ift jo viel 
gewonnen, daß wir wenigftens die weſentlichſten Grundlinien des Bil- 
des zu zeichnen im Stande find. Mag aud) manche Detailpartie noch 
im Schatten bleiben, mögen auf einzelne Punkte auch zuweilen noch 
falfche Lichter fallen; der Eindruck des Ganzen ift beſtimmt und tritt 
in fharfen Umriffen heraus. 

Ehe ich e8 nun verfuchen will, die Politif Marimilians IL. in 
ihren Hauptzügen, kurz und das ‘Detail nur andeutend, bier darzule- 
gen, wird ein einleitender Rückblick auf die vorhergehende Entwick⸗ 
lung Deutſchlands im 16. Jahrhundert unerläßlicd) fein. Die Bewe⸗ 
gungen der Jahre 1560-1576 find ja eine Fortfegung der großen 
Reformbewegung aus dem Anfang des Jahrhunderts; und um alfo 
ein Urtheil über den Einfluß diefes Kaifers auf Deutſchlands Geſchick 
gewinnen zu können, müſſen wir uns vorher darüber verjtändigen, 
welchen Einfluß die Reformation auf die nationale Trage in Deutſch⸗ 
land geübt. 





Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts war in der beutfchen 
Nation das Gefühl Iebendig erwacht, daß die bisherige Verfaflung des 


2) Fur die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts find jett die Relationen 
ans Italien (befonders aus Rom) und aus Frankreich gedrudt; und demnächft 
fehen wir auch der Veröffentlichung der auf Spanien, Deutichland und England 
bezüglichen entgegen. Ginzelnes hat davon fhon Ranke a.a. O. benukt umb 


” misgetheilt. 





= 


Kaifer Marimilian II. und die deutiche Reformation. 865 


Reiches ungenügend, daß eine neue, den wirklichen Machtverhältniffen 
angepaßte Eonftituirung Deutſchlands durchaus nothwendig geworden. 
In diefer Richtung wurden denn aud) Verſuche gemacht, die den beiten 
Erfolg zu verfprechen fchienen. Da wollte e8 Deutfchlands Verhäng- 
niß, daß wieder einmal die Leitung des Reiches einem Kaifer zufiel, 
deffen eigne Ideen und Plane auf ganz andere Ziele gerichtet waren. 
Die Neigung und das Streben Marimilian I. ging doch dahin, 
unter feines Haufes Scepter Spanien und Burgund, alien und 
Ungarn, Böhmen und Deutfchland zu vereinigen; für den Ausbau 
einer deutfchen Berfaffung, für die Forderungen der Nation auf dem 
politischen oder geiftigen Gebiete war er ohne Sinn umd Verſtändniß; 
er wollte fremde Länder erobern, neue Gebiete für feine Familie er- 
werben. Das deutfche Volk aber, dem in diefen Entwürfen nur eine 
untergeordnete Stelle zufiel, wollte von diefen Sydeen, von den damit 
unauebleiblich erfolgenden Kriegen Nichts wiffen, es ftrebte vor Allem 
fih im Innern Ordnung und Recht zu fchaffen. Und in diefem Zwie⸗ 
fpalt zwifchen dem Willen der Nation und dem Streben ihres Ober⸗ 
bauptes iſt der Keim des nationalen Uebels zu jehen. Dieſen weiter- 
zutreiben, und bie Kluft faft unausfüllbar zu machen, kam noch die 
gewaltige Erregung der Geiſter hinzu, bejonders auf dem religiöfen 
Gebiete. 

Es wird jetzt wohl von allen Seiten und von allen Geſchichts⸗ 
fundigen als völlig richtig anerkannt werden: daß in den Jahren, in 
denen Luthers reformatorifche Thätigkeit begann, die ganze deutſche 
Nation tief von dem Gefühl der Nothwendigkeit einer kirchlichen Re⸗ 
form durchdrungen war. Auf der anderen Seite unterliegt aber aud) 
das feinem Zweifel, daß der junge Kaifer Karl V., wie er perfönlich 
diefer reformatorifchen Richtung wenig geneigt war, fo auch durdy das 
Intereſſe feiner italiänifchen Politik jtetS von einem Eingehen auf 
diefe Bewegung oder gar einer entfchlofjenen Führung derfelben ent« 
fernt gehalten wurde. So blieb die Nation auf diefem Gebiete der 
einheitlichen Leitung beraubt ; auf allen Seiten konnten fich jebt par⸗ 
litulariſtiſche Tendenzen und perfönliche Neigungen geltend machen. 
Was dem Sinn des Kaifers ferne lag, griffen begierig die meiften 
Herren der einzelnen Territorien auf; und wenn der Kaifer die Kirchen« 
reform ganz der Nation überließ, oder ihr gar feindlich entgegentrat, 


856 . W. Maurenbreder, 


fo war es ja ein Gewinn für die einzelnen Fürften, dem populären 
Zuge folgend eifrig die Reform anzuftrebn. Wenn man aber atts 
fangs uur eine Reform innerhalb der Kirche ins Auge gefaßt Hatte, 
fo ward bald durd jene Feindſchaft des Kaifers und alle die ander- 
weitigen an diefen Punkt ſich anklammernden Tendenzen die Bewe—⸗ 
gung ganz aus der Kirche hinausgedrängt. Und während nım von 
Jahr zu Jahr des Kaifers Denken und Trachten inmer energifcher, 
immer confequenter und felbftbewußter auf die Beherrfhung Europas, 
faft im Sinn des alten mittelalterlichen Kaiſerthums ausging, drang 
in der Nation die reformirte Zehre, oder wie man es damals nannte 
das Evangelium, immer weiter, immer tiefer und ficherer in alfe 
Schichten des Volkes ein. Wo fich der Landesherr diefer Bewegung 
bingab, gejchah der Umſchwung ‚leicht und ruhig; wo einzelne Herren 
treu an der alten Kirche feithielten, da eroberte fich die neue Lehre 
aud) gegen den Willen des Hauptes das Herz und den Sinn des Bol- 
kes; kurz, überall: gewann Luthers und Melanchthons Streben weites 
ren Raum, ergiebigeren Boden. 

In den Jahren 1540 bis etwa 1545 war demgemäß die Lage 
Deutichlands diefer Art: faft überall im Volke eine mächtig vorwärts 
gehende Bewegung zur Reform des Glaubens und der Kirche, bie 
und da vereinzelter Widerftand einzelner Fürften; und über diefem 
Allem ein Kaifer, der eine ftaatliche und kirchliche Herrfchaft Über ganz 
Europa anftrebend die nationale und religiöfe Bewegung in Deutſch⸗ 
land zu leiten vollftändig verſchmäht, zeitweife in feinem politifchen Ges 
genfag zum Papfte fie unterftütt, zeitweife wieder fie zu unterdrücken 
beftrebt ift. 

Bei der vorhandenen Vertheilung der Machtmittel war es in 
diefer Lage der Dinge kaum abzufehen, wie man bier eine einheitliche 
Zuſammenfaſſung aller deutjcher NeichSgebiete erreichen werde, jo daß 
diejelbe ebenfo dem nationalen wie dem religiöjen Bedürfniß genüge. 
Wollte man dahin kommen, fo boten ſich doch immer noch zwei Wege. 

Entweder: es mußte der Kaifer feine Macht zu foldher Höhe 
fteigern, daß er alle Territorialherren zu Boden werfend, allen Wider- 
ſpruch der Nation vernichtend, aus eigner Macht heraus fowohl eine 
Slaubensnorm als eine Geftaltung des deutichen Neiches befehlen und 
in der That durchfegen konnte. Gelang dies, fo verftand es ſich faft 





Kaifer Marimilian IL. und die dentſche Reformation. 867 


von felbit, daß die Tirdjlihe Ordnung von dem Standpumft der alten 
Kirche ausgehen, im Einvernehmen mit dem Papftthum gefchehen und 
daß für das Reich eine feſte monarchiſche Verfaſſung eingeführt werde. 

Dder auch: es mußten fid) die Fürſten und Stände des Reiches 
unter ſich über Reform der Kirche und des Staates im Wefentlichen 
einigen und dann ben Kaiſer zur Anerkennung ihrer Ordnung zwin- 
gen. Ward auf diefem Wege vorgegangen, jo war e8 kaum zu ums 
gehen, daß man dem Streben der Reformatoren nachgebend von dem 
Dogma der römischen Kirche um ein Bedeutendes abweichen, ferner, ' 
daß man die Nation einer mehr ftändifchen Leitung unterftellen werde. 

Die Löfung der nationalsdeutihen Frage ward nun in der That 
zuerst auf jenem, dann auf diefem Wege verjucht. 

Nachdem Karl eine Reihe von Jahren hindurch dem deutfchen 
Wefen gleichgültiger zugefehen, den Kampf der deutichen Parteien 
nur je nad) dem Bedürfnig feiner jedesmaligen europäifchen Lage be⸗ 
nutzt hatte, erſchien endlich feine Machtſtellung in Europa fo begrüns 
det und nach allen Seiten fo vertheidigt, daß er jet auch Deutſchland 
feine Thätigkeit zuwenden Tonnte; und hier mußte er Reich und Kirche 
in eine Ordnung einzufügen fuchen, die der großen europäifchen „Mor 
narchie“, wie er fie anftrebte, entjprädhe. Es gelang ihm denn aud) 
bald durch die geſchickte Benutzung aller Sonderinterefien, vor allem 
durch feine allen Einzelnen überlegene und wohl überlegte Politik, die 
DOppofition niederzuwerfen, feine Herrſchermacht der Nation aufzu« 
zwingen und ihr eine veligiöje Glaubensnorin aufzuftellen?). Bis zu 
einem allgemeinen Concil, das natürlich auch wieder feiner Leitung 
unterftehen würde, glaubte er in einzelnen Punkten Goncefjionen der 
alten Lehre oetroyiren zu dürfen, im Wefentlichen aber blieb dody das 
Dogma der römischen Kirche beftchen. Die Regierung des Reiches 
kam in die Hände eines ſpaniſch⸗italiäniſchen Staatsrathes, das Land 
ward mit fpanifchen und italiänischen Truppen überſchwemmt und mit 
. wilffürlichen Steuereintreibungen heimgefudht. 

So ftand in den Jahren 1548—1550 Kaifer Karl auf der Höhe 
feiner Macht. Deutjchland krümmte ſich vor ihm im Staube, ein 





8) Bergl. Ranke, Deutiche Gefchichte V. &. 2343 und Droyfen, 
Geſchichte der preußifchen Bolitit IL 2. &.817—819. - 


858 W. Maurenbreder, 


Widerftand ſchien erfolglos; hier war alfo ein Abfchluß der Reform⸗ 
bewegung gefunden. 

Eines Urtheiles über den Werth diefer Errungenſchaft für die 
Nation dürfen wir uns wohl enthalten; was man uud) immer fagen 
mag, es war doch jedenfall® hier eine monarchiſche Einheit Deutſch⸗ 
lands, gleichviel um welchen Preis, erreiht. Es kam nur darauf am, 
ben Bau ficher zu befeftigen, endlich eine allfeitig geregelte abfchließende 
Ordnung der Kirche ins Werk zu ſetzen. Da zeigte es ſich aber auf 
die grelifte Weile, daß dieſe Ordnung auf Feiner Seite irgend Je⸗ 
manden befriedigt... Bei Protejtanten und Katholifen erhob fich der 
Iebhaftefte Widerftand und diefe neue antikaiferliche Bewegung lenkte 
dann bald in jenen zweiten vorher angedeuteten Weg ein. Ein Ber- 
ſuch der Einigung Deutſchlands war fehlgefchlagen. Man kam dazu 
bie andere Möglichkeit aufzufaffen. 

Was zunächſt die religiöfe Seite der Ordnungen Karls betrifft, 
fo hatte das von ihm befohlene Interim nur wenig Zuftimmung finden 
können. Papft und Kirche verweigerten die Annahme; und wenn and 
Karl bald nachgebend die Geltung defjelben für diefe Seite nicht mehr 
forderte 4), fo lag doch in der italiänifchen Politik ſtets noch fo viel 
Beranlaflung zu allen möglichen Händeln vor, daß die Eintracht zwi⸗ 
fchen Kaifer und Papft, die allein das Koncil hätte fördern können, 
für die Dauer nie zu erwarten war. Co kam das Concil denn auch 
nicht recht vorwärts. Und während deffen regte ſich in Deutſchland 
der Unwille des Volkes immer lauter und heftiger gegen das Inte— 
rim Karls. Dazu trat bald nod) ein Anderes. Es hatte die monars 
hifche Tendenz des Kaifers in vollen Siegeslaufe vorgehend, vom 
Bewußtſein ihrer ficgreichen Weberlegenheit getragen, bald die deutfchen 
Fürften, alle, auf allen Seiten, in allen Punkten verlegt. Es beginnen 





4) Es ſteht feſt, daß die urfprüngliche Idee Karls auf eine Gültigkeit 
des Interim für beide Religionsparteien gerichtet war, dem Widerfiand der 
geiftlichen Fürften, der von Rom aus diktitten Ablehnung von Seiten Bayern 
gab Karl endlich nad. Die Proteftanten wurden bei der Bublifation am 15. Mai 
1548 durch diefe Veichräntung völlig überrafht. Vgl. Saftrom II, 199 fi. 
u. 327 ff.; die Erklärung des Papftes an Bayern bei Ranke S. 38; vorzüg- 
lich auch die brandenburgiſche Inftruftion von 1550 aus dem Berliner Archiv, 

„angeführt bei Ranke ©. 40 ımb Droyſen ©. 819. 





* 


Kaiſer Marimilian II. und die dentſche Reformation. 859 


daher bald Lebhafte-VBerhandlungen zwifchen den einzelnen Fürjten, es 
bildet fich ein enger Bund gegen Karls Tyrannei 5). Darin verſchwin⸗ 
den alle bisherigen Varteiunterfchiede oder treten doch vor der nächſten 
Aufgabe zurüd; und wer auch nicht geradezu diefem Bund beitritt, 
verharrt dod) in einer Neutralität, die der Sache des Türftenbundes 
förderlich ift, und ihn felbft zur Rolle des Vermittlers zwifchen Kaifer 
und Fürſten befähigt‘). Als nun auch Frankreich, von der habsbur⸗ 
gifchen Uebermacht gedrängt, zum Kriege rüftet, war eine Verbindung 
diefer Dffenfive von Außen mit der Rebellen im mern eine Com⸗ 
bination, die, fo traurig fie für unfer Nationalgefühl fein mag, ſich 
doch faft von felbft ergab. 

Was nun endlich diefer Bewegung gegen Karls Kaiſerthum einen 
fiegreichen Ausgang vorausfagte, was fchlieglich zur Entſcheidung das 
Meifte beitrug, da® war die Spannung, in der fid) Karl damals zu 
feinem Bruder Ferdinand befand. Karls ſcharfem Blick hatte es nämlich 
nicht entgehen können, daß feine großen Entwürfe bei Ferdinand und 
deſſen Sohn Diarimilian weder jetzt die ausreichende Unterſtützung noch 
fpäter eine erfolgreiche Fortfegung finden würden. Auf der Höhe 
feiner Macht hatte er daher die dee gefaßt, fid) durch Wahl feines 
Sohnes Philipp zum römischen Könige eine Sicherheit für den Beitand 
feiner Schöpfung zu fchaffen. An diefer Frage hatte ſich das Zer⸗ 
würfniß der Brüder entwidelt ?). Ferdinand und weit mehr nod) fein 
Sohn Marimilien, fein präfumtiver Nachfolger, waren jest, von Karls 
Raiferplänen abjehend, einer religiöfen und kirchlichen Reform nicht 
geradezu abgeneigt. Ihre Stellung zu diefen Fragen gab die Ent- 
ſcheidung 9). 





5) Kine detaillirte altemmäßige Darftellung dieſer Vorbereitungen zum 
FKürftenbund Hat J. Voigt gegeben in Raumer’s hiſtoriſchem Taſchenbuch. 1857, 
©. 1—1%. 

6) Bor Allen nahm Herzog Albredit von Bayern eine folche Bofition ein. 

7) Das Material über diefes „Ipanifche Brojelt” und Ferbinande Wider, 
fand dagegen findet ſich bei Lanz, Staatspapiere zur Geichichte des Kaifere 
Karl V. 8.450484; Lanz, Correspondenz Karls V. ®b. II. ©. 15, 61 
und passim. Budhholk IX. &.495--497; 726— 788. Bergl. auch Rante, 
Deutie Geſchichte V. &. 98-100. 


8) Marimilien und Ferdinand ftanden fogar im Berbadht, heimlih mit - 
Olkertige geulam. VIL BR. N 


860 W. Maurenbreder, 


Es erfolgte da die vollftändigfte Niederlage der Taiferlichen Pos 
litik Karls: alle feine Bemühungen auf Empörungen an einzelnen 
Orten, alle feine feinen Intriguen, Beides nicht immer in allzu ehren» 
hafter Weife, konnten feiner Macht nicht mehr aufhelfen und fein 
Ansehen nicht mehr herftellen?). Durch diefe Schläge gebroden an 
Leib und Seele, gab er Deutfchland voller Unmuth ganz auf ; die 
Ordnung der deutſchen Wirren legte er in die Hand feines Bruders 
Ferdinand, deffen Verhalten gegen den Fürftenbund, deſſen Thätigkeit 
inmitten des Aufftandes Meſe Wendung vorbereitet und herbeigeführt. 
Dieter leitete nun im Verein mit den Siegern aus dem Fürjtenbunde 
die neue Conftituirung des deutfchen Reiches und der deutfchen Kirdge 
Im Augsburger Frieden !). 

Betrachten wir diefen Augsburger Frieden etwas näher. 

Da tritt uns fofort eine jehr merkwürdige Erſcheinung entgegen, 
auf die mit dem größten Nachdruck hingewiefen werden muß; es ift 
dies die Art und Weife, in der man eine Beendigung der hartnädigen 
Kämpfe erftrebt und eine Beruhigung des erregten Landes durchge⸗ 
führt bat. Allgemein hatte fid) das Bedürfniß nad) Ruhe und Fries 
den Geltung verſchafft. Es treten die angefeheniten unter den Für- 
ften an die Spite einer Richtung, die jeder einfeitigen und extre⸗ 
men Entſcheidung abgeneigt , eine vermittelnde Meinung vertreten 
wollte. Was hierfür den Ausichlag gab, war dies, daß aud die 
treueften und eifrigften Anhänger des alten Glaubens \wejentliche 
Verbefferungen in der Kirche für nöthig erachteten und daher zu einer 
Abkunft mit den Neuerern bereitwillig die Hand boten. ‘Der römis 





dem Fürftenbund einverftanden zu fein. Vergl. Lanz Korrefpondenz II. 97, 
107. Marximilian entſchuldigt ſich bei Karl wegen feines Verhaltens, Vgl. die 
Notiz von Heine n Shmidt’s Zeitſchr. VIII. p. 8. — Droyfen fpridt ©. 467 
ein ähnliches Urtheil aus über Ferdinande Stellung in diefen Kragen. 

9) Beſonders fchabete ihm das zeitweilige Einverſtändniß mit dem radi⸗ 
falen Treiden des Markgrafen Albrecht von Brandenburg, den er freilih dann 
wieder bald preisgab. Bgl. Boigt Albrecht Alcibiades, bejonders I. &. 3 ff. 

10) Eine detaillirte Schilderung der Vorgänge in Augsburg fehlt uns 
noch; Material dazu ift 3. B. nod in München vorhanden. Soweit bie jet 
unjere Kenntniß reicht, liefert das treuefte und genauefte Bild Ranke im feiner 
Deutſchen Geſchichte V. 366806. 





Kaifer Marimilian IL und bie dentfche Reformation. 861 


fhe König Ferdinand ſelbſt, feine Schwiegerföhne, der Herzog von 
Jülich und befonderd auch der Herzog Albrecht von Bayern ar» 
beiteten 'mit Erfolg in diefer Richtung. Dazu kam, daß aud die 
heftigeren Elemente der Gegenfeite — befonders der Markgraf Albrecht 
von Brandenburg — von dem allgemeinen Verlangen aller Fürften 
und Stände nad) Ruhe niedergeworfen und durch die Erhebung 
des beutfchen Südens für den Landfrieden unjchädlich gemacht wur: 
den. Damit war eine Baſis der Verftändigung gegeben, damit 
hatte man die Nothwendigfeit der Erhaltung des Befikftandes pros 
Hamirt. Bon hier aus konnte man leicht zu allen jenen Feitfegungen 
gelangen, um die Ordnung des Landfriedens zu ſchützen und (Jedem 
fein Recht zu fihern. Da nun die ganze Erhebung in der That gegen 
das Oberhaupt des Reiches gerichtet gewefen, fo machte es fich faft von 
jelbft, daR die Befugniffe der einzelnen Zandesherren in ihren Terri⸗ 
torien durdy den Frieden eher gemehrt als gejchmälert wurden, daß 
auch für die Leitung des Reichsganzen ihnen erhöhte Befugniffe einge⸗ 
räumt umd der Gang der Reichspolitik noch mehr von ihrer Zuſtim⸗ 
mung abhängig gemacht wurde. Auf ihrem Cinverftändniß beruhte 
jest die Ordnung des Neiches!). 

Das Wefentlichite aber war, daß man doch zu einer Beitimmung 
über die Glaubensſache kommen mußte. Man hielt dabet noch feft 
an der dee der Einheit der Kirche, man zeigte noch den Glauben an 
eine Ausgleihung aller Differenzen, an eine völlige Rückkehr zu der 
alten Einheit der Kirche, aber man machte doch den Friedensitand 
nicht mehr abhängig von biefer immerhin ungewiffen Möglichkeit. 
Aud wenn eine Einigung nicht erfolge, hieß es, folle der Frieden gel⸗ 
ten. Man faßte dabei die Reformer zufammen unter der Bezeich- 
nung der „Augsburger Confeffions-Berwandten“. Mag man fpäter 
oft einfeitige Folgerungen hieraus gezogen haben, fo Tann es doch 
wohl keinem Zweifel unterliegen, was man damald damit meinte. Es 





11) Gerade hierauf hat Ranke in der o. a. Abhandlung zuerft mit 
allem Nachdrud hingewieſen: das Einverſtändniß der .vorwaltenden beutjchen 
Fürften war die Grundlage des Reichefriedene. (S. 289 — 244). Ueber bie 
Bedeutung der Augsburger Ferfekungen für die Berfaflung des Reiches vergl. 
uch Droyſen ©. 880 fi. 


362 W. Maurenbredher, 


waren die Belenner der Augsburger Confeſſion als jenes allen Evan⸗ 
gelifchen troß mancher Differenzen gemeinfamen Belenntniffes; es 
waren die Schüler und Freunde Melanchthons, kurz, e8 war die refors 
mirte deutfche Kirche '?). 

Wenn man fo den Ständen des Reiches Gleichberechtigung der 
alten und der reformirten Lehre zugeftanden hatte, fo gab es doch 
auch noch weſentliche Differenzen, über die eine Einigung nicht er- 
zielt wurde. Es machte die neue Xehre jo reißende Fortjchritte, ihre Anb« 
breitung war in jo unaufhaltfamer Bewegung, daß für die Anhänger 
der alten Kirche die Gefahr fehr nahe lag, aud in den bisher noch 
verfchonten Gebieten die Neuerung eindringen und alle DVeften der 
römischen Kirche ftürmen zu fehen. Don diefer Erwägung ausgehend 
ftellte man die Forderung, daß zum wenigften die geiftlichen Fürftenthümer 
den Katholiken vorbehalten bleiben follten, daß ein Bifchof oder Abt, 
der zum neuen Glauben übertrete, damit auf feine Würde und Stel 
Iung Verzicht leiften müſſe. Es läßt ſich denken, welden Wider- 
Spruch dagegen die andere Partei erhob. Man ftritt lange Zeit hin 
und her, endlich fand Ferdinand darin einen Ausweg, daß er aus 
feiner Macht diefen geiftlichen Vorbehalt anordne, aber den Proteft 
der evangeliichen Reicheftände dagegen zulaſſe. Ganz auf diefelbe 
Weife ertheilte er darauf den evangelifchen Ständen die VBerficherung, 
daß in geiftlichen Gebieten die Unterthanen von ihren Landesherren 
in ihrer Religion nicht follten befchränkt werden. Zu diefem Zuges 
ftändniß hatte er hinwiederum die katholiſchen Stände nicht beivegen 
können; ohne ihre Einwilligimg gab er die „Dellaration.“ So blieb 
denn die ganze Frage unausgetragen!?). Und dag man troß folder 





12) Bergl. Heppe die Lonfeffionelle Entwidlung der altproteftantifchen 
Kirche. — Geſchichte des deutichen Proteftantiemus. — Seine Beweisführung 
findet, wie wir glauben, ſtets allgemeinere Zuftimmung. 

13) Der Proteft der evangelifchen Stände gegen den geiftlichen Vorbehalt 
warb in das Friebensinftrument felbft aufgenommen, die Deflaration dagegen 
benfelben befondere ausgefertigt, mit der ausdrücklichen Erklärung, daß fich die 
Stände hierüber nicht geeinigt und Ferdinand dies aus ſich fo angeordnet 
Hätte. — Vgl. Lehmann de pace religionis acta publica I. p. 1—143. — 
Die „Deklaration“ findet ſich in lateiniſchem Text im Pfälzer Protololl von 





Kaifer Marimilian II. und die deutfche Reformation. 863 


recht wejentlichen Differenzen dennoch den Frieden fchloß, beweiſt am 
deutlichften, wie ſehr man feine Nothwendigfeit erlannte, wie gern 
man bereit war, auch ohne ausdrüdliche Feſtſetzung dem thatjächlichen 
Bedürfniß in einzelnen Fällen gerecht zu werden. Das blieb das 
Wefentliche, dag man Frieden hatte, und daß diefer nicht fobald wieder 
geitört werde, dafür jchien Ferdinands Tchätigleit in diefer ganzen 
Bewegung, alle feine Bemühung um eine befriedigende Löſung die 
genügende Bürgichaft zu leiften. 

Es war aljo der Augsburger Frieden Teineswegs eine endgültige 
Löſung der deutfchen Frage, e8 war vielmehr nur ein Compromiß für 
den Augenblid, berechnet jowohl den bisherigen thatfächlichen Verlauf 
der Geſchichte rechtlich feſtzuſtellen, al8 auch jener unaufhaltfamen 
Strömung der Nation zu einer Glaubensfeſtſetzung ohne die alte 
Kirche einigen Einhalt zu thun!*. Ein befriedigender Abſchluß war 
auch hier noch nicht erreicht, es war hier erſt die Möglichkeit eines 
folchen gezeigt. 

Wenn nun die nationale Einigung Deutfchlands im Anfang des Jahr: 
hunderts durch die habsburgiſche Kaiferpolitik vereitelt worden, fo geſchah 
in der theilweifen Abwendung Ferdinands von diefen Plänen ein Schritt, 
der wieder zur Möglichkeit einer deutfchen Verfaffung hinführen Tonnte 
und mußte. Wenn daneben die religiöfe Bewegung in der deutjchen 
Nation bald nad ihrem Anfang doch einftweilen eine Spaltung her⸗ 
porgerufen und erft jetzt wieder allmählig und langfam ſich der ganzen 
Nation zu bemächtigen begann, fo lag in jenen Ausburger Beſtim⸗ 
mungen hierfür ein Doppeltes: einmal eine Gutheißung, eine Ratification 
ber bisherigen Errungenschaften der Reform; daneben aber war es 
in jenem unbeſtimmt gelaffenen oder wenigjtens nicht von Allen zuge⸗ 
gebenen Vorbehalt zum wenigften zweifelhaft gemacht, ob ſich die vol, 





1675 bei Senftenberg Sammlung von ungebrndten und raren Gchriften 
II. p.106—109; in deutigem Xert nad dem von Sachen aufbewahrten Ori⸗ 
ginal bei Lehmann 1. 1. p. 122. 

14) Diefe letztere Seite des Friedens hebt der Erzherzog Karl dem 
König Philipp von Spanien gegenüber fehr ſtark hervor: „ohne den Reli 
gionsfrieden, fagt er, würde der Katholiciemusin Deutſch⸗ 
land voliſtäudig nntergegangen fein. (Memorial vom 23. Januar 
1569 bei Gachard. Corr. de Phil. IL Tom. II. p. 69.) 


864 W. Maurenbrecher, 


ftändige Ausdehnung der reformirten Lehre Über die ganze Nation 
noch werde durchführen laffen. Indem nun aber diefe Bewegung 
auch nad) dem Frieden in der That noch weiter ging, ja jekt erft 
in Bayern und Deftreich recht feften Fuß fapte:5), in jenen Ländern 
alfo, deren Herrſcher zwar der Tatholifchen Lehre treu geblieben aber 
doch durch ihre Politik befonders den Frieden herbeigeführt, — indem 
fih alfo die Dinge in diefer Weiſe weiter entwidelten, war es nicht 
zweifelhaft, in welchem Sinn die Löfung der Fragen, die jet hinaus⸗ 
geichobene, dereinft erfolgen werde. 

Einftweilen fuchte man nur den Reichefrieden zu erhalten; und 
dazu wußte man troß der unausgetragenen Punkte ein thatſächliches 
Austommen in den einzelnen Fällen zu finden und fo einen modus vi- 
vendi anzubahnen. &8 fam dabei vor allem darauf an, weldye Stellung 
dazu das Neichsoberhaupt einnehmen werde. Von Ferdinand, der ja 
hauptſächlich den Frieden gefchloffen, konnte man hoffen, daß er in feiner 
zulegt eingefchlagenen Richtung beharren werde; und diefe Hoffnung 
der deutfchen Proteftanten mußte fich zu beftimmter und froher Zuver⸗ 
ſicht fteigern, wenn man an den Erzherzog Marimilian, feinen erft- 
gebornen Sohn, ald Kaifer den Zweiten feines Namens, dachte. 

Wenn wir jest feine Stellung zu den großen religiös-politifchen 
Fragen feiner Zeit darlegen wollen, fo jcheint es angemeſſen, auszu⸗ 
gehen von einer Betrachtung feiner Perfönlichkeit wie fie noch vor jener 
Zeit erfchien, in der er eine große Rolle zu fpielen berufen wurde. 





Geboren am 1. Auguft 1527, war feine Erziehung zuerft in 
die Hände des Magifter Wolfang Severus gelegt, eines Mannes, von 
den es ſich nachher ergab, daß er Luthers Lehren anhing. Mit 
dem erjten Unterricht der Jugend fenkten fid) fo die Keime der 
Neuerung in des jungen Fürften Herz. Cr war fränfliher und 
melandolifcher Natur, aber dabei von lebhaften durchdringendem 
Geifte, er zeigte Talente zu allfeitiger Bildung des Geiftes, er erwarb 
fi) früh gute Kenntniffe, Gewandtheit der Rede, Eifer und Sorg- 





15) Bergl. für Bayern Freiberg, Gefchichte der bayerischen Land» 
fände IL Sugenheim, Bayerns Kirchen- und Volkszuſtände L Kür Oeſt 
reich ganz befonders Raupach, Evangeliſches Oeſtreich. 





Kaifer Marimilian DI. und die deutſche Reformation. 866 


falt in Geſchäften. Schon früh erwartete man von ihm große 
Dinge Im Spanien lernte er dann Verfchlagenheit, Intriguen und 
diplomatifch « höfifche Kunft, hier fog er auch tiefen Haß und gründ⸗ 
liche Abneigung ein gegen das fpanifche Weſen und den ftarren fpani- 
ſchen Katholicismus!®). 

Was fein Vater und Oheim von ihm erwarteten, zeigte ſich 
fhon 1548. Ferdinand ließ ihm die Nachfolge in Böhmen zufichern, 
Karl vermählte ihm feine Tochter Maria und übertrug ihm darauf 
die ftellvertretende Regierung in Spanien. Von dort kehrte Max 
erft nach Deutfchland zurüd, als Ferdinand feines Beiftandes in der 
Ordnung der Succeffion zu bedürfen erklärte, und hier war es Max, 
der die allerentfchiedenfte Gegenftellung gegen die ſchon berührten 
Bläne feines Oheims einnahm. In diefe Zeit fällt der enge Freund⸗ 
fchaftsbund mit Auguft von Sadjfen und befonders mit Chriftoph 
von Würtemberg 17); diefe Fürften, bedeutend durch ihre perfönlichen 
Gaben, mächtig durch ihren Ränderbefit, einflußreich durch ihre Stellung 
an der Spike jener gemäßigten proteftantifchen Partei, traten jebt 
in vertrauliche Beziehungen zu dem Sproß des Habsburger Kaifer- 
haufes; und damit eröffnete fich fir Deutfchland die Ausficht auf eine 
fegensreihe Zukunft. 

Was fih nun früher fchon in Mar Seele an unbeftinmten 
Erinnerungen der Jugend geregt, das gedieh unter diefen Einflüffen 
jetzt vollftändig zur Reife ; jeßt wurde er überzeugt von der Nothwen⸗ 
digkeit einer Reform, jetzt empfing er freudigen Geiftes eingehendere 
Belehrung aus Luthers und Melanchthons Schriften, jet befannte 
er fi bald unumwunden zum Anhänger von Melanchthon, Deutjch- 





16) Bgl. befonders die Schilderimg, die ber Benetianer Paolo Ziepolo 
1658 von ihm entwirft (bei Alberi, Relazioni degli ambasciatori veneti 
al Senato. Serie I. vol. III. pag. 151 fi.) 

17) Nachweiſe für die Freundfchaft zwiſchen Mar und Auguft finden 
fih mande einzelne, an zerfireuten Orten, befondere bei Langenn Chriſtoph 
von Karlowik (vgl. auch die Aeußerungen Philippe von Spanien hierüber bei 
Gachard. 1. 1. p. I 54.) Bon dem engen Bund zwifchen Mar und Chris 
ſtoph legt der vertrauliche und herzliche Briefwechſel Zengniß ab, ben Le Bret, 
Magazin für Kirchen⸗ und Staategeſchichte IX. verdffentiicht hat. 


866 W. Maurenbrecher, 


lands Lehrerfürſten 18). Während der Friedensverhandlungen und 
nachher bezeugte er an den Intereſſen der Proteſtanten die lebhaftefte 
Theilnahme; er beklagt es, daß der geiſtliche Vorbehalt von ſeinem 
Vater aufgenommen, daß nicht die völlige Freiſtellung der Religion 
durchgeſetzt ſei; er freut ſich, wenn ihm die Nachricht zulommt, die Re 
formation fchreite troß des Papftes Bemühen weiter vor; er ift uns 
willig und gereizt, wenn er hört, der römische Einfluß auf feinen. 
Bater jcheine zuzunehmen. Es liegt nun auf der Hand, daß 
eine fo entfchiedene Parteinahme für die Reform unmöglich nach dem 
Sinne Ferdinands fein tonnte, der doch der Tatholifchen Lehre ſtets treu 
ergeben blieb. Er unterftügte daher gern alle Verſuche, die im katho⸗ 
lifhen Sinne auf Max gemacht werden: die Königin Maria, der 
fpanifche Beichtvater, päpftliche Yeuncien und Legaten, von Rom zu 
dieſem Zweck entjendet, beftürmten den Sinn des jungen Fürften ; 
Drohungen, ihm die Thronfolge zu entziehen, wurden laut; fein Hof⸗ 
prediger Pfaufer ward vertrieben ; ja Max felbft fürdhtete 1561 vor 
feinem Vater fliehen zu müfjen!®). So weit fam es nun doch nicht. 

Es machte ſich doch auch bei ihm das politifche Intereſſe fiir 
feine und feines Haufes Größe geltend: Dies brachte ihn in eine 
gemäßigtere Bahn. Wir hören nun zwar die DVerfiherung — ja 
die Geſchichtsforſchung ift lange Zeit bei diefem Reſultat ftehen ges 
blieben — daß des Legaten Hofins Bemühungen Mar zur Rückkehr 
in den Schooß der Fatholifchen Kirche genöthigt?%). Dem ift aber 
keineswegs fo; um Gegentheil, die eigenthümliche Stellung, die Max 
zu dem Glauben feiner Zeit eingenommen , dauerte bei ihm fort bi6 





18) gl. Raupach p. 51—57. Im Gefpräd mit Hofius befennt fi 
Max geradezu als Anhänger Melanchthons. (Salig III. p. 576). 

19) Einen tieferen Einblid in die Stellung Marimiliang am kaifer- 
lihen Hofe und zu der kaiſerlichen Regieruug gewinnen wir aus ben Berichten 
des böhmischen Bruderhauptes Blahoslav, welhe Gindely publicirt hat im 
den „Duellen zur Geſchichte der böhmifchen Brüder“ p. 126—184. 

20) Vgl. dee Ho fi us Bericht bei Raynalbus XXI, 218 und Bzovius 
IX. 412. — Ranke a. a. O. ©. 306 hat ſchon darauf hingewiefen, daß 
Hofius, genau genommen, von einer völligen Belehrung Marimilians gar 
nicht rede. — Daß Mar noch fortwährend evangelifch gefinnt blieb, liegt jedem 
Blick in die gleichzeitigen Quellen offen. 





Kaifer Maximilian IL und die deutſche Reformation, 867 


zu feinem Tode, Er hing im Ganzen der Yehre der Augsburger Confef- 
fion an, war aber dod) von der Unweſentlichkeit der äußern Ceremonien 
jo. fehr durchdrungen, daß er den Eultus der römischen Kirche und ihre 
Berfaffung durchaus beibehalten wiſſen wollte. Wie es aber feine Briefe 
ar Philipp von Spanien ?'), wie es feine Acußerungen- auf dem Todten- 
bette zeigten ??), wich er im Glauben feinen Schritt zurüd; in äufer- 
lichen Dingen war er ſtets zu allen Conceſſionen bereit. 

Die ſcharfe Spannung, in der er bis 1561 zur feinem Vater 
geftanden, löfte ſich jegt allerdings. Schon 1562 ift die kaiferliche 
Politit in voller Thätigkeit, ihm die römische KNönigsfrone zu ver- 
ſchaffen; fowohl an die geiftlichen Kurfürften als nad Nom wurden 
damals Erklärungen abgegeben, bei denen man ſich dort berubhigte 
oder ſich zu beruhigen wenigjtens den Schein annahm. Damals 
verjtand jih auch Mar dazu, daß feine ‚Söhne in Spanien ihre 
weitere Ausbildung empfingen*?). Bon diefer Zeit ab beginnt in der 
kaiferlichen Politik fid) hie und da ein Einfluß des Thronfolgers be- 
merklich zu machen, der zwar noch in verhüllter Weife und umficher 
auftretend doc; auf feine dereinftige Nichtung vorbereiten konnte, 

In der Yage der deutjchen Dinge hatte der Augsburger Friede in 
der That wenig geändert, im wejentlichen nur die bisherige Richtung 
rechtlich anerkannt. Diefe rechtliche Feftjegung trug jetzt auch ihre reic)- 


21) Koch. U. S. 92—97 theilt einen ſehr merkwürdigen Schriftwechiel 

zwiſchen Mar und Philipp über feine religiöfen Anficten mit. (Bgl. noch die 
Notizen bafelbft II. p.118 u. 119.) 
22) Hierliber haben wir verfchiedene, in allem Wefentlichen übereinffim- 
mende Berichte: Languetiep. secr. I,p.241; Urato in oratione funebri; 
Anonymes coaeves Manuscript bei Raupach, Erläutertes Evangelifches 
Deftreih p. L; bie ganz musführlihe Darftellung Dietrihfteins (mit 
getheilt von Gindely Geſchichte der böhmischen und mährifchen Brüder II. 
p: 225— 228) ein an König Philipp erftatteter Bericht des fpanifhen 
Gejanbten, ber fowohl auf Autopfie ala bejonders auf Dietridy feine 
Angaben fußt, bei Kod) IL p. 101—108. 

: 28) Bergl. Häberlin IV. 468 fl. ber biefe ganze Verhandlung de 
taillirt mittheilt. — Die mit Rom über dieſem Punkt gepflogene Unterhandlung 
ift micht genau befannt; wir müffen noch nähere Belehrung darüber abwarten, 
wie fi der Papft zu diefer Frage verhielt. (Bgl. die Mittheilungen von Heime 
in Shmibt’s Zeitfchr. VIIL p. 32—88.) 





866 W. Maureubrecher, 


lands Lehrerfürſten 18s). Während der Friedensverhandlungen und 
nachher bezeugte er an den Intereſſen der Proteſtanten die lebhaftefte 
Theilnahme; er beklagt es, daß der geiſtliche Vorbehalt von ſeinem 
Vater aufgenommen, daß nicht die völlige Freiſtellung der Religion 
durchgeſetzt ſei; er freut ſich, wenn ihm die Nachricht zukommt, die Re 
formation fchreite trotz des Papſtes Bemühen weiter vor; er ift un⸗ 
willig und gereizt, wenn er hört, der römiſche Einfluß auf feinen. 
Bater ſcheine zuzunehmen. Es liegt nun auf der Hand, daß 
eine fo entjchiedene Barteinahme für die Reform unmöglich nad) dem 
Sinne Ferdinands fein Tonnte, der doch der Fatholifchen Lehre ſtets treu 
ergeben blieb. Er unterftütte daher gern alle Verjuche, die im katho⸗ 
liihen Sinne auf Max gemacht werden: die Königin Maria, der 
fpanifche Beichtvater, päpftliche Nuncien und Legaten, von Rom zu 
dieſem Zweck entjendet, beftirmten den Sinn des jungen TFürften ; 
Drohungen, ihm die Thronfolge zu entziehen, wurden laut; fein Hof- 
prediger Pfaufer ward vertrieben ; ja Max felbft fürdhtete 1561 vor 
feinem Vater fliehen zu müſſen 10). So weit fam es num doch nicht. 

Es machte ſich doch aud) bei ihm das politiſche Intereſſe für 
feine und feines Haufes Größe geltend: Dies brachte ihn in eine 
gemäßigtere Bahn. Wir hören nun zwar die Verfiherung — ja 
die Gefchichtsforfchung ift lange Zeit bei diefem Reſultat ftehen ges 
blieben — daß des Legaten Hoſius Bemühungen Mar zur Rückkehr 
in den Schooß der Eatholifchen Kirche genöthigt?'). Dem ift aber 
feineswegs jo; un Gegentheil, die eigenthümliche Stellung, die Max 
zu dem Glauben feiner Zeit eingenommen, dauerte bei ihm fort bie 





18) Bgl. Raupach p.51—57. Im Geſpräch mit Hofius bekennt fich 
Mar geradezu ale Anhänger Melandithous. (Salig III. p. 576). 

19) Einen tieferen Einblid in die Stellung Darimiliane am kaifer- 
lihen Hofe und zu ber Faiferlichen Regierung gewinnen wir aus den Berichten 
des böhmifchen Bruderhauptes Blahoslav, welche Gindel y publicirt hat in 
den „Quellen zur Geſchichte der böhmifchen Brüder“ p. 126—184. 

20) Bgl. des Ho jius Bericht bei Raymald us XXI, 218 und Bzovius 
IX, 412. — Ranke a. a O. ©. 306 bat ſchon darauf Hingewiejen, daß 
Hofius, genau genommen, von einer völligen Belehrung Marimilians gar 
nicht rede. — Daß Mar noch fortwährend evangelijch gefinnt blieb, liegt jedem 
Blick in die gleichzeitigen Quellen offen. 





Kaifer Maximilian IL. und die deutjche Reformation. 867 


zu feinem Tode. Er hing im Ganzen der Xehre der Augsburger Confef- 
fion an, war aber dod) von der Unwefentlichleit der äußern Ceremonien 
fo fehr durchdrungen, daß er den Eultus der römischen Kirche und ihre 
Verfaſſung durchaus beibehalten wiſſen wollte. Wie e8 aber feine Briefe 
an Philipp von Spanien ?!), wie es feine Acußerungen auf den Todten- 
bette zeigten 2?), wich er im Glauben feinen Schritt zurück; in äußer- 
lien Dingen war er ftetd zu allen Gonceffionen bereit. 

Die ſcharfe Spannung, in der er bis 1561 zu feinem Vater 
geſtanden, löſte fich jet allerdinge. Schon 1562 ift die Taiferliche 
Bolitit in voller Thätigfeit, ihm die römische Königskrone zu ver- 
Schaffen; fowohl an die geiftlihen Kurfürften als nach Rom wurden 
damals Erklärungen abgegeben, bei denen man ſich dort beruhigte 
oder fich zu beruhigen wenigftend den Schein annahm. Damals 
verftand fih auch Mar dazu, daß feine ‚Söhne in Spanien ihre 
weitere Ausbildung empfingen ??). Yon diefer Zeit ab beginnt in der 
taiferlichen Politik fic) hie und da ein Einfluß des Thronfolgers be- 
merklich zu machen, der zwar noch in verhüllter Weife und unficher 
auftretend doch auf feine dereinftige Richtung vorbereiten konnte. 

In der Lage der deutfchen Dinge Hatte der Augsburger Friede in 
der That wenig geändert, im wefentlichen nur die bißherige Richtung 
rechtlich anerkannt. Dieſe rechtliche Feſtſetzung trug jest auch ihre reich» 


21) Rod. I. S. 92—97 theilt einen ſehr merkwürdigen Schriftwechiel 

jwifchen Mar und Philipp über feine religiöfen Anfichten mit. (Vgl. nod bie 
Notizen daſelbſt IL. p.118 u. 119.) 
22) Hierüber haben wir verfchiedene, in allem Wefentlihen übereinftim- 
mende Berihte: Languetiep.secr.I.p.241; Crato in oratione funebri; 
Anonymes coseves Manuscript bei Raupach, Erläutertes Evangeliſches 
Deftreih p. L; die ganz ausführliche Darftellung Dietrihfteine (mit 
getheilt von Gindely Geſchichte der böhmifchen und mährifchen Brüder II. 
p. 225 — 228) ein an König Philipp erftatteter Bericht des fpanifhen 
Geſandten, der fowohl auf Autopfie als befonders auf Dietrichſteine 
Angaben fußt, bei Koch IL. p. 101—108. 

28) Berg. Häberlin IV. 468 fi. der diefe ganze Berhandlung de⸗ 
taillirt mittheilt. — Die mit Rom über diefem Punkt gepflogene Unterhandlung 
it nicht genau bekannt; wir müffen noch nähere Belehrung darüber abwarten, 
wie fich der Papſt zu dieſer Frage verhielt. (Bgl. die Mittheilungen von Heine 
in Sähmibdt’s Zeitfhr. VIIL p. 82—88.) 





868 W. Maurenbreder, 


lihen Früchte. Auf dem Gebiete der geiftigen Strömungen erzeugte 
der Friede eine weitere Annäherung der Gegenfäße, in den politifchen 
Beſtrebungen eine reinere Eintracht der vormwaltenden Yürften, in dem 
materiellen Zuftand einen mächtigen Auffchwung des Handels und 
der Induſtrie: allfeitig alfo erhöhteren Wohljtand, allgemeinere Zu. 
friedenheit. Es gemöhnten ſich die Gegenfäte neben einander zu bes 
ftehen, die religiös Getrennten friedlich neben und ımtereinander zu 
wohnen. Auch in dem ftreitig gebliebenen Punkt fand fi) ein that» 
fächliches Austommen. Wollte c8 nicht anders gehen, jo ließ man 
geiftliche Fürſtenthümer aud durch weltliche Herren proteitantifchen 
Belenntniffes verwalten, ein kaiſerlicher Indult half über alle Schwies 
rigfeiten. In diefer Weife trug man der Majorität des deutfchen 
Volkes — und zwar einer überwältigenden Majorität von 9 zu 1) 
in der That bereitwillig Rechnung. Die Ausficht auf eine friedliche 
Vereinigung aller Deutfchen in der Lehre ward dabei keineswegs 
aufgegeben. Zuerſt verfuchte man es mit Neligionsgefpräcen; unb 
al8 wegen eines heftigen Zwiftes unter den Augsburger Eonfeffione- 
verwandten diefe Colloquien ohne Reſultat bleiben mußten, da wollte 
Ferdinand von Fatholifcher Seite aus durd) gemäßigte Theologen wie 
Wicel und Caſſander zu diefem Ziele gelangen ?°); und chen darin 
dürfen wir wohl aud) einen Einfluß des jest im kaiſerlichen Staats⸗ 
rath auftretenden Thronfolgers erbliden ?%). Neben diefen Bemühun⸗ 
gen her arbeitete die Faiferliche Politif in ähnlichem Geifte auf dem 
tridentiner Concil. Denn in den öftreidhifchen Erblanden war die Zahl 
der Neuerer in fo bedeutendem Maaße angewachſen, daß Ferdinand, 
der Einzelne in feiner Umgebung zu dulden fid) gewöhnte, auch zu 
weiteren Conceffionen allgemeinerer Art fi) genöthigt ſah. Seine 
Geſandten auf dem Eoncil ftanden daher eine lange Zeit auf dem ge 





24) Bergl. Ranke a. a. DO. p. 251—254. — Allgemein befannt ift 
die Aeußerung des Venetianers Badoero, daß 7 Zehntel bes Volles den 
Lutheranern , 2 den anderen afatholifchen Selten, 1 endlich der alten Kirche 
angehörten. (Alberi 1. 1. p. 182.) 

235) Siehe Raupach Evangelifches Oeſtreich p. 72 ff. 

26) Berge. was Mar felbft von feinem Auftreten im kaiſerlichen Staates 
sath dem Herzog Chriſtoph am 8. April 1664 berichtet (bei Lebret). 





Kaifer Marimilian II. ımd die deutfche Reformation. 869 


fpannteften Buße mit den römifchen Legaten ; er und Herzog Albrecht 
von Bayern erhoben dafelbft die dringendfte Forderung des Kelches 
im Abendmahl und der Priefterehe als gar nicht zu umgehender Con⸗ 
ceffionen. Die Schwierigkeiten der Situation wurden durch den gejchid- 
teften Diplomaten der Curie, den Cardinal Morone, endlid) auch mehr 
umgangen als bejeitigt: eine Gewährung jener Forderungen ward für 
einzelne Kirchen auf das Gutdünken des Papſtes geftellt, und den öft« 
reichiſchen Erblanden fie zu gewähren, war fchon vorher zugefagt und 
ausgemacht worden ??). Gegen derartige Compromiffe erflärte ſich 
freilich Mar auf das Allerentichiedenfte in den heftigften Ausdrücken 2°). 
Während Terdinand zu ihrer Annahme fi überreden lic, und 
damit auch zu erkennen gab, daß er in feinen vermittelnden Bemü⸗ 
hungen ftet8 innerhalb der Kirche bleiben wollte, war es Marimilians 
Sinn und Abficht, auch über die Grenzen des in der Kirche Erreich⸗ 
baren ſich der reformirten Xehre zu nähern. Zwar mit der möglich: 
ften Schonung wollte er vorgehen, aber er wollte vorgehen, auch wenn 
er den römischen Standpunkt dabei verlaffen mußte. 

Ob er nım ſolche Abfichten auch im Feuer der Regierungsgefchäfte 
ftählen, im Gewirre der hohen Politik fefthalten werde, das mußte 
fid) zeigen, al8 er im Juli 1564 den Kaiferthron beftieg. 

Etwas Anderes ift es ja doch Pläne entwerfen, etwas Anderes 
fie geſchickt und verftändig ausführen??). 

Man erwartete denn auch in Deutfchland Gewaltiges von ihm). 
Man fah jet fowohl einer offenen Erklärung zur Augsburger Eonfeffion 
als einem entjchiedenen Vorgehen in der Frage der Freiſtellung ent⸗ 





27) Bgl. Ranke. Die römifhen Päpfte I. p. 888 f. — Die Punkta⸗ 
tion zwiſchen Morone und Ferdinand bei Buchholz IX. 686—689. 

28) Schreiben Marimilians an Ferdinand vom 24. Mai 1563 bei 
Buchholz; IX. 689-693. 

29) Ranke p. 282. „Etwas anderes ift es Talente haben , denlen, 
überlegen, entwerfen; etwas anderes ausführen und ins Wert ſetzen. Die Hoff- 
nungen die er erwedt, er Hatte nunmehr die Aufgabe fie wahr zu machen.” 

80) Eharafterififh für die Stimmung in Dentfchland if jenes Projelt 
bes Rheingrafen, das Pfalzgraf Wolfgang dem Kaifer mitzutheilen doch Au 
Rand nahm; bei Broen van Priuſterer II. p. 282. 


870 W. Maurenbreder, 


gegen. Diejenigen, die Mar näher ftanden, bemerften zwar, Daß es 
fo offen nicht hergehen, dag er folche entfcheidenden Schritte nicht 
wagen werde. Vor den zu fanguinifchen Hoffnungen warnte befon- 
ders jener Lazarus von Schwendi, den Dar fofort nad) feiner Thron⸗ 
befteigung zu fich gerufen und den man wohl als den Führer der 
reformirten Partei am Hofe anfehen darf. Der Kaiſer jei vom beften 
Willen erfüllt, äußerte er fich damals 81), aber er hafje ebenfo alles 
tumultuarifche Vorgehen; er werde ohne allen Zweifel eine reformirte 
Kirche herftellen, aber dabei foweit eben möglich das Beſtehende fcho- 
nen; daher werde er überall die freie Predigt des Evangeliums zus 
geben, feſt überzeugt, daß dies das ficherfte Mittel der Reform fet, 
dem fein Gegner Stand halten könne; und zu diefer Reform, ver» 
fihert Schwendi mit Beftimmtheit, werde Max als Ausgangspunkt 
die Augsburger Confeſſion annehmen. 

Hierin ift, meine ih das Programm der Politik enthalten, die Max 
fi damals zu befolgen vorgefettt hatte. Es liegt ganz auf diefem Wege, 
daß er überall in Deutfchland der Partei der Mitte und des Friedens 
beitritt, überall den status quo zu ſchützen bereit ift. So beftätigt er 
bald den Landsberger Bund, jenen DBerein füddeutfcher Fürften und 
Bilchöfe, der auf Erhaltung des Land- und Religionsfriedend ges 
gründet war, im Religionsfrieden freilid” von Jahr zu Jahr mehr und 
mehr nur den Damm gegen das Vordringen der Neuerung zu jehen 
und ihn demgemäß zum Beten der Tatholifchen Intereſſen auszunutzen 
anfing 22). So begegnete er der Erhebung des Adels, die in den 
Grumbacher Händeln drohte und den weiteren Entwürfen, die man 
in Gotha hieran antnüpfte, dadurch Schnell und entichloffen, daß er 
Auguft von Sachſen freie Hand gab, die Empörung niederzumerfen 
und graufam zu ftrafen. Mit diefem Schlag war aud) jene ultra- 


— — 


81) Briefe Schwendi's vom 27. Auguſt, 25. September, 16. December 
1564, 9. Rovember 1565 bei Groen van Prinfterer II. p. 295. 318. £. 
888. 4387 u. I. 

82) Diefe Umwandlung der Zendenzen läßt fid) in den Alten deffelben, 
die im Münchener Staatsarchiv find, im Einzelnen verfolgen; eine eingehende 
Darftellung berjelben muß ich mir vorbehalten, hier genüge diefe allgemeine 
Dinweljung. 





Kaifer Marimilian II. und die deutſche Reformation. 871 


Iutherifche Richtung getroffen, die feit 1557 durch ihren Zelotismus 
alle Religionsgeſpräche geftört und den Religionsfrieden felbft gefährs 
det hatte; jet war die Partei der allen Selten gemeinſamen Augs⸗ 
burger Confeſſion aufs Neue zum Siege gelangt. Ebenfo liegt es 
ganz auf diefen Wege, dag der Kaifer in den niederländifch-Tpanifchen 
Händeln ſtets da8 harte Auftreten Alba's und die Unbeugfamteit der 
fpanifchen Politit mißbilligte, daß er für eine gerechte und mafßhaltende 
Berüdfihtigung der Klagen des Volkes mehr als einmal ſich bei 
Philipp verwendet. Auch hier befindet er fid) in völliger Weberein- 
ftimmumg mit Auguft von Sachen: Beide wollen einer Wiederver- 
einigung diefer Provinzen mit dem Weiche ſowohl in religiöfer als 
politifcher Beziehung vorarbeiten ®®). 

In der Religionsfrage felbjt erwartete man allgemein eine Ent⸗ 
fheidung auf dem Augsburger Reichstag im Jahr 1566. Dort er- 
hoben ſich denn von Tatholifcher Seite wieder alle die Debatten, die 
man jhon 1555 gehört; mit allen Kräften arbeiteten die FTatholi- 
fhen Fürſten, unter der Leitung des päpftlichen Nuncius, gegen bie 
Breiftellung der Bisthümer und Stifter. Im Angefidht folder Op⸗ 
pofition ſchwankte Dear lange Zeit; endlich ließ er die rechtliche Ent⸗ 
fheidung diefer Frage in der Schwebe Für feinen Theil freilich 
half er faktifch ſtets mit den ſchon erwähnten Indulten 3) Es war 
dies freilich ein höchſt unficherer Ausweg, der aber über feine Gefin- 
nung in diefer Frage uns kaum einen Zweifel geftattet. — Auf eben 
diefem Reichstag erlangte er aud) von allen Ständen eine bedeutende 
Unterftügung zum Türkenkrieg; die Nothwendigleit, auf diefer Seite 
ſchnell einzugreifen und Ungarn zu fihern, gab ihm den willfommenen 
Anlaf, die Religionsfrage zu vertagen. 

Ich verfolge Hier nicht den bunten Wechfel der Ereigniffe; es 
genügt zu fehen, worin das Charafteriftifche der Taiferlichen Politik 
beitanden : überall überläßt Dear die Entwidlung der Dinge ihrem 





88) Auch hier kann nur auf die Einzelheiten verwiefen werben, bie ſich 
bei Koch und bei Gachard finden; befonders die Geſandtſchaft des Erzher⸗ 
3096 Kari 1568 zeigt im ihrem Anfang diefe Tendenz. (Bgl. Gachard IL 
26. 37. 86. 88. 40. 44. 45. 48. 54. 66. 67.) 

84) Die Beifpiele ſolchen Verfahrens finden fih bei Hanke &.270-—72, 


872 W. Maurenbreder, 


eignen natürlichen Verlauf, nirgendwo greift er ein in ben Gang der 
Ereigniſſe; er verfchmäht es ausgefprochener Weife eine ertreme Par- 
tet zu ergreifen, er lehnt es ab ſich an die Spite der Neformirten 
im Neiche zu ftellen und von dem Willen des Volkes getragen, mit 
Gewalt gegen die Widerftrebenden, Neich und Kirche neu zu confli« 
tuiren. Aber auf der andern Seite ſieht er ebenfomwohl ein, weldyes 
der Geift der Zeit ift, wohin der Strom der Geſchichte treibt; bie 
Macht der gegebenen großen Verhältniſſe, hofft er, zwingender und 
ftärker als Kraft und Wille der Einzelnen, wird Deutfchland an jenes 
aud) von ihm gewinfchte Ziel fiegreich hinführen. Wenn num auch 
eine ſolche Politik Feineswegs überrafchende und augenblidlid hinrei⸗ 
Bende Refultate erwarten ließ, fo war body der langfame und gemäs 
ßigte Fortfchritt, dem Max Huldigte, ganz dazu angethan, fein Ziel 
zu erreichen. Im Einverftändniß mit den mächtigeren deutfchen Für⸗ 
ften, im Einklang mit dem Willen der Majorität des Volles, ſchien 
man leicht zu einer Einigung der Nation in Kirche und Staat ges 
langen zu müſſen. 

Es fam doch anders, als man erwartet. 

Wenn jene Ausficht fi erfüllen follte, war Eins vor Allem 
nöthig, daß die Dinge in der bisherigen Bahn erhalten würden, daß 
auch Mar felbft feft und treu in feiner Richtung verharren wollte. 
In diefem Punkte erfolgte die Wendung: im Streit der verfchieden- 
ſten politifchen Intereſſen fiel Mar zurück in die alte dynaftiiche Fa⸗ 
milienpolitif der Hab&burger. 

Wenn es ſchon, wie wir gejehen, immer in feinem Charalter 
gelegen, den beftehenden Gegenfägen die weitgehendfte Rüdjicht zu 
Schenken, den Zufammenftoß mit dem Gegner vermeidend ſich mit 
einem Compromiß zu begnügen, fo trat jegt diefer Charakter immer 
mehr in den Vordergrund. Neben feinem religiöfen und deutfchen Ges 
fühl gewann er je mehr und mehr Intereſſe an einer habsburgiſch⸗ 
dynaftifchen Bolitit: c8 überwog bei ihm je mehr und mehr das In⸗ 
tereffe jeines Haufes über die großen Tragen der Nation. 

Noch 1568 Hatte er in völligiter Webereinftimmung mit dem 
Geſuch der deutſchen Kurfürften und Fürften feinen Bruder den Erz 
berzog Karl nach Spanien gejendet, um auf eine gütliche Beilegung der 
niederländifchen Wirren zu dringen. ‘Der Erzherzog, der anfangs bier 





Kaifer Marimilian II. und die deutſche Reformation. 873 


fehr derb auf Philipps abweifende Antwort replicirt hatte ®5), erhielt 
plöglich die Weifung, nur ganz freundliche Worte zu geben®®); denn 
— es war Philipps Sohn Don Carlos gejtorben, und Philipp felbft 
war Wittwer geworden. Das Intereſſe des habsburgifchen Haufes 
erforderte e8, daß die Thronfolge in Spanien Einem der Söhne des 
Kaiſers gefichert, daß Philipp felbft mit Einer der Töchter des Kai⸗ 
ſers verforgt werde. Es ift Har, daß bei foldyer Wendung aller bishe- 
rige Gegenſatz zu Philipp, dem Vorfechter des Katholicismus, dem 
Gortfeger der Monarchie Karls V., jett vollftändig aufgegeben wer⸗ 
den mußte. ‚ 

Wenn e8 fich hier alfo zeigte, daß Dear die großen Aufgaben, 
die er im Sinne der deutichen Volksmajorität zu löfen verheißen und 
an deren Löfung er ſchon Hand angelegt hatte, doch nicht zum erwar⸗ 
teten Ende zu führen gewillt war, jo kann darüber keineswegs ein 
Zweifel fein, welches Motiv diefen Stilljtand d. h. alfo den Anfang 
des Rückſchrittes bewirkt hatte. — Oder war etwa eine Yenderung feis 
ner religiöfen Ueberzeugung eingetreten ? Aber fein religiöfes Bewußt⸗ 
fein wankte ja in feinem Augenblid; bis zu feinem ode blieb er 
vielmehr der reformirten Rehre zugethan. — Dder nahm er jet etwa 
eine andere Stellung ein zu den Ständen des Reiches? Aber wir 
wiſſen e8 vielmehr beftimmt, daß wenigitens feine Freundfchaft zu Aus 
guft von Sachſen ganz die alte blieb. — ‘Der entfcheidende Punkt ift 
doc hier ein ganz anderer, als diefed. Bon dem alten Erbübel feis 
nes Haufes, das dem deutfchen Reich unter Habsburgs Scepter ſchon 
fo manchen Schaden zugefügt, hatte aud) er ſich nicht befreit. War 
bis dahin bei ihm fcheinbar eine Heilung der Krankheit eingetreten, 
fo war jet der Rüdfall um fo heftiger, feine Folgen um fo ein⸗ 
fchneidender. Es trat jest bei Mar die alte Eigenichaft der Habs⸗ 
burger mit erneuerter Stärke hervor, über die Grenzen Deutſchlands 





36) Diefe Replik theit Gahard mit IL. p. 59. — Vergl. auch bie 
Relation Aber diefe Geſandtſchaft ibid. p. 66—68. 

86) Die zahme Antwort bes Kaifers auf Philipps in hohem Ton gehal⸗ 
tene Abweiſung it vom 26. Mai 1569 (Gach ard IL p.92). Mar ſcheut fi 
übrigens hoch, den deutfchen Kurfürften die ſpaniſche Rote vollſtändig mitzus 
tbeilen. Die Unterhanbiungen darüber bei Gach ard IL 108 ff. 


874 W. Maurenbrecer, 


hinaus fich in weiteren ftaatlihen Combinationen zu verſuchen; es 
traten jet auch wieder alle die Folgen ein, die diefem Streben immer 
entfprungen find. Das Wohl der deutjchen Nation ward hintangefelgt 
und vernadjläffigt, um ein habsburgifches Reich aufzubauen, das die 
verfchiedenartigften Elemente in ſich vereinigte, das auch im glücklich⸗ 
ften Fall alles Andere eher war, als ein deutfches Neid). 

Das Einlenten der Faiferlichen Bolitif in die Bahnen Karls V., 
das im Anfang des Jahres 1569 erfolgte, gab der deutfchen Sad 
eine plötzliche folgenfchwere Wendung. 

Wenn aud) damit noch feineswegs eine völlige Umkehr in den Grund» 
fügen Marimilians eintrat, wenn er auch nicht völlig zum Werkzeug 
der ſpaniſchen Ideen für Deutfchland wurde; fo kam doch jett in feine 
Haltıng ein Schwanfen, ein unbeftinmtes Zaudern zwifchen zwei poli« 
tischen Möglichkeiten. Es kämpfte in ihm ber alte Gedanke einer reli⸗ 
giöfen Reform oder der Glaubensfreiheit mit der neuen Rüdfichtnahme 
auf die habsburg-fpanifchen Verbindungen. In feiner Umgebung fteht 
der Einfluß des fpanifchen Gefandten, des päpftlidden Nuntius, vor 
allem auch der Kaiferin Maria gegenüber jener Schule reformirter deut» 
ſcher Politiker, zu denen Schwendi und Languet und Krato gehören 37), 
Dean durfte allerdings von der Perfönlichkeit diefes Kaifers noch im- 
merhin Einiges erwarten; aber die fpanifche Verbindung blieb ftet® 
das Hindernig für ihn, in Deutfchland eine Löſung der religiöfen und 
nationalen Fragen zu fchaffen. Und diefe Löſung felbit wird jetzt von 
Jahr zu Yahr ſtets fchwieriger, die Fragen werden an und für ſich 
ſtets verwidelter und verfchlungener. Denn bier ift unfere Betrady 
tung jest an dem Dioment unferer deutſchen Gefchichte angelangt, wo 
jene einigende Bewegung in der Nation zu nationaler Kirche und na⸗ 
tionalem Weiche durch die neu erwachenden nach verjchiedenen Seiten 
bin auseinandergehenden Tendenzen im Bortfchritt gehemmt, in fidh 
gefpalten und endlich vernichtet wird. 

Schon bald nad dem Neligionsfrieden war in der Mitte der 





87) Bon Schwendi entwirft einer feiner Gegner, Granvella, eine 
trefiende Eharafteriftiit (bei Gachard IL. p.83) über Krato und feinen Einfluß 
bei Hofe, befonder® auf die Perfon des Kaifers, enthält das Bud von Gillet 


(Rrato von Krafftheim) ſehr ſchätzenswerthe Notizen. 





Kaifer Marimilion II. nnd die dentfche Reformation. 875 


reformirten Glaubensgemeinfchaft über einzelne Lehren ein Zwieſpalt 
ausgebrochen, der Anfangs zwar nur momentane Bedeutung zu haben 
fchien, der aber im Fortgang ſtets größere Dimenfionen annahm und bald 
zu einem Bruch in der reformirten Kirche felbft führte. Die Altlutheraner, 
die allein Quthers Meinungen als Glaubensnorm anerkannten, trenn- 
ten fich von den Reformirten, den Schülern Melanchthons, die fich 
hinwiederum mit Calvin vielfach beriihrten 2°). In dem Streite der 
Barteien über einzelne Dogmen ward zulegt die Frage aufgerworfen, 
auf weldye Redaktion der Augsburger Confeſſion überhaupt der Titel 
der Augsburger Eonfeffionsverwandten zu begründen fei. Es fam nun 
die lutheriſche Partei bald dahin, den Neformirten es vollftändig zu 
beftreiten, daR auch fie in den Religionsfrieden eingejchloffen feien ; 
nur die Belenner der Invariata von 1530, nur diejenigen die auf 
Luthers Worte zu fchwören bereit feien, nur folche Proteftanten jeien 
in den Friedensſtand aufgenommen worden; alle abweichenden Leh⸗ 
rer feien als Sektirer, Sakramentirer oder Ketzer zu verdammen. 
Durch diefen Zwiefpalt ward in der That die Macht der gefammten 
Proteitanten gelähmt, der dogmatifche Streit hatte hier bald politische 
(Entfremdung, politifche Zweiung zur Folge; und fo ftanden jekt der 
alten Kirche die Reformer in zwei Gruppen gegenüber, die wenig einig 
unter ſich nimmermehr gemeinschaftlich fid) gegen den Gegner zu ver- 
theidigen geneigt waren. 

Auf der Gegenfeite tritt grade jett ein allgemeiner Aufſchwung 
des Katholicismus im ganzen Europa ein. Die Lehre der Kirche hat 
eine feft beftimmte Formulirung erfahren, der Sinn ihrer Anhänger 
und Vorfechter erfüllt fich mehr und mehr mit Energie und Begeifte: 
rung ; vor Allen die Jeſuiten, die ihre Thätigkeit raftlos und ener- 
gifch begonnen haben, erobern ſich täglich neuen Moden, dringen täg- 
li weiter in die Gebiete der reformirten Lehre ein. Wie die Kirche 
jelbft die Eine ift, jo find alle Träger diefer Bewegung von Einem 
Geift erfüllt; ihre Intereſſen find in allen Ländern Europa’s folida- 
rifeh verbunden ; der Sieg an einer Stelle bedingt und befördert 
den Sieg an allen andern Orten. So ſchreitet jett die alte Kirche, 
die bisher überall in der Defenfive geftanden und überall fchrittweife 





88) Hierfür verweiſe ich nochmals auf das ſchon citirte Wert von Henne. 
Hißeriige Beitfgrift VIE. Band. W 


876 W. Maurenbreder, 


zurädigewicdhen, in mächtigem Aufſchwung zum allgemeinen Angriff ge 
gen die neue Lehre. 

Welche Bedeutung dieſem religiöfen Aufſchwung und diefen reli- 
giöfen Kämpfen für die politiiche Geftaltung Europa’s, in&befondere 
aber für die nationale Frage in Deutfchland beizumefien ift, das zeigt 
ein Blid auf die Lage der religiös-politifchen Parteien in Europa. 

Es urtheilte damals, 1569, über diefelbe ein venetianifcher Staats⸗ 
mann folgendermaßen 39). Bon feiner Gefandtichaft aus Frankreich 
zurückgekehrt, erörterte er vor feinem Senate die Nothwendigteit , Die 
tatholifche Partei in Frankreich in den dortigen Kriegen auf energifche 
und nachhaltige Weiſe zu unterftügen. „Siegen dort, fagt er, die Hu⸗ 
genotten, fo werden überall ihre Glaubensgenoſſen fiegen: dann find 
die Niederlande für Spanien verloren, England und Schottland füllt 
ganz in ihre Hände, in Spanien ebenjo wie in Italien werden fich 
die Reber erheben, in ‘Deutfchland, wo es nur wenig katholiſche Für- 
ften giebt, find alle Proteftanten einig gegen und. Siegen aber in 
Frankreich die Katholiten, fo ift dies ein allgemeiner Sieg unferer 
Sache. Die Niederlande werden ruhig bleiben, ebenfo Spanien und 
Italien, in England und Schottland werden ſich die Fatholifchen Unter- 
thanen muthig gegen ihre Fegerischen Herricher erheben: auch Deutjd- 
land wird in dDiefem Fall in feiner herkömmlichen Ber- 
wirrung verbleiben.“ 

Dean erfieht Hieraus, daß ein hodhgebildeter, weitblidender Staats⸗ 
mann des 16. Jahrhunderts von ausgeſprochen Tatholiicher Partei- 
fürbung noch damals, 50 Jahre nad dem erften Anfang der 
Reformbewegung, die Möglichkeit einer proteftantifchen 
Einigung Deutfchlands gegeben glaubt. 





Inmitten des von da an immer fchroffer hervortretenden Ge— 
genfages der Parteien fteht Kaifer Mar jett völlig ſchwankend. Don 





‚ 39) Relazione de Giovanni Corero (bei Tommaseo Relations des 
ambassadceurs venctiens sur les affaires de France. Il. p. 104 sqq.) — 
Corero ift Einer der eifrigften Wortführer einer energifchen fatholiichen Politik 
(vergl. die von Rante: franzöj. Geſchichte V. 49. hervorgehobenen Stellen). 
Die citirte Aenßerung findet fih ebendaf. ©. 136 — 138: »1’Allemagna re- 
steraä nella sus solita confusione.« 





Kaiſer Marimilian II. und die deutfche Reformation. 877 


einer Parteinahme für die katholiſche Sache hält ihn feine religiöfe 
Meinung zurüd, von einem kühnen Ergreifen des Gegentheild, das 
Ichnell die ganze Sadjlage entfchieden hätte, die Rückſicht auf die ſpani⸗ 
Ihe Verbindung. Er verläugnet zwar feine religiöfe Ueberzeugung in kei⸗ 
nem Augenblid, er beftätigt in Oeſtreich der evangelifchen Stände Belennt- 
niß und Agende, er gewährt in Böhmen und Mähren den utraquifti- 
chen Reformirten die gewünfchte Slaubensfreiheit, er duldet nirgendwo 
religiöfe Streitigkeiten; — aber er ift jet weit entfernt davon, die Frei⸗ 
ftellung im deutfchen Neid) zu gewähren, die hier fchwebenden Fragen 
in früher gewollten Sinn zu entfcheiden. Dann widerjegt er fid) zwar 
jedem Eingriff der Spanier in Deutfchland, oder jeder Combination, 
die Philipp in deutſche Händel verwideln könnte; aber fein Auftreten 
gegen da8 Projekt der Aufnahme Spaniens in den Yandeberger Bund 
ift nicht offen und entfchieden, durch hinhaltende diplomatifche Künfte 
ſucht er es zu bintertreiben *°). 

In der niederländischen Trage ift er allerdings aud) jet noch 
jener Bolitit Alba's das Wort zu reden nicht gewillt, er dringt ſogar 
auch jegt noch auf Mäfigung der königlichen Anfprüche. Aber dabei 
bleibt e8 auch: die früheren Plane, die Niederlande ins Neich wieder 
bineinzuziehen , find jegt fallen gelaffen. Er entwirft dann wohl den 
Plan, Einen feiner Söhne dort als fpanifchen Statthalter hinzuftellen, 
oder jelbft zwiſchen den ftreitenden Parteien als Schiedsrichter eine Ver⸗ 
mittlung zu verfuchen 4); aber wie trefflic aud) diefer Plan immer: 
bin war, von einer Vertretung deijelben mit aller Entfchiedenheit kam 
er bald zurüd: dies hätte ja den Vetter und Echwiegerjohn mög- 
liher Weife verlegen und die ganze Tpanifche Erbichaft aufs Spiel 
fetten können. 

In Deutſchland felbft hatte er dem Reichstag von 157V eine 
Reihe der trefflichiten Entwürfe vorgelegt, die auf Erhöhung der Een- 





40) Dies geht aus einer geheimen Berhandlung zwiſchen Bayern und 
Spanien darüber hervor; Herzog Albrecht läßt im Stillen dem ſpauiſchen Ge⸗ 
fandten darüber Eröffnungen maden. (Schreiben vom 4. October 1571 in 
den Landeberger Bundesalten des bayerifchen Staatsarchives.) 

41) Die einzelnen Schritte laffen fi bi Gachard II. u. III. deut- 
lich verfolgen. — Bergl. noch Tanguets Weußerung über Marimilians Ab» 
ficht ep. secr. p. 242. 


878 W. Maurenbrecher, 


tralgewalt, auf Sicherung des Landfriedens zielten*?). Ste gelangten 
nicht zur Annahme, weil die proteftantifchen Fürften von lebhaften 
Mißtrauen erfüllt, einen Gebraud; diefer höheren Macht nur zu Gun⸗ 
ften ihrer Gegner beflirchten mußten. Es war jeßt die Zuverficht der 
BVroteftanten auf ihn vorbei., feine fpanifche Verbindung Hatte Die 
Gemüther der Proteftanten, immer noch der überwiegenden Majorität 
der Nation, von ihm abgemwendet. 

Auch in der auswärtigen Reichspolitik, deren Leitung doch im 
Wefentlichen noch in der Hand des Kaiſers lag, vermochte Mar je 
länger je weniger die Zuftimmung der Nation zu erhalten. &8 wäre 
da, Frankreich gegenüber, vor Allem die Aufgabe des Kaiſers gewe⸗ 
fen, die 1552 verlorenen lothringifchen Bisthümer dem Reiche wieder 
zu gewinnen. Die Möglichkeit einer dahin zielenden Politik boten die 
inneren Wirren in Frankreich; und in der That hegte man dort vor 
einer deutjchen Einwirkung die lebhaftefte Beſorgniß. Es verſchmähte 
aber der Kaifer jegliches Einfchreiten in die religiöfen Unruhen des 
Nachbarlandes. Und während man in ‘Deutfchland auf den Neidye- 
tagen immer wieder diefe Fragen vorbradhte, während auch Pfalzgraf 
Wolfgang 1569 ſchon in der That die Köfung diefer Frage in die 
Hand nahm; war die Faiferliche Politik nur beftrebt, friedliche Mittel 
zu verjuchen und dabei Alles, was zu einem Kriege hätte führen kön⸗ 
nen, behutjam zu vermeiden. Es lag auf der Hand, daß in diefer 
Weiſe nie eine Reftitution des DVerlorenen erreicht werden konnte. 

Auf der andern Seite dagegen, im Oſten des Reiches, trat der 
Kaiſer etwas fchärfer auf. Zwar wußte er aud) hier den Verluft der 
Oftfeepropinzen leicht zu verfchmerzen, aber die Erhaltung Ungarns, 
der Schuß der Grenze gegen die türkische Kriegsmacht, war und blieb 
ihm doch ſtets eine feiner theuerften Aufgaben. Das Intereſſe feines 
Haufes duldete bier feine Schwäche, ja es forderte die größten An- 
ftrengungen auch von dem deutfchen Reiche. Der Schub gegen die 
Türken an diefer Stelle war im Intereſſe Deutſchlands begründet ; 
die Mittel dazu wurden von allen Parteien in Reiche gewährt. Die 
dynaftifche Tendenz des Kaifers ftand hier im Einklang mit der For— 
derung der Nation. 





42) Rod II. 55— 9. 





Kaifer Marimilian II. und die deutfche Reformation. 379 


Als er nun aber in weiterer Verfolgung der fpeciellen Intereſſen 
feines Haufes Verſuche machte, für dafjelbe auch die polniſche Könige- 
frone zu erlangen‘), geſchah hier wieder eine weitere Annäherung an 
das römische Papſtthum. Im Bunde mit dem Bapfte fuchte er in Polen 
vorwärts zu fommen*t). Wenn nun auch diefer Verſuch mißlang, fo 
hatte doch diefes den deutſchen Intereſſen ganz fremde polnifche Projekt 
und deffen Folge, das Bündnig mit Rom, in Deutſchland nur größe- 
res Mißtrauen, weitere Entfremdung des Volles bewirkt. 

So hatte denn diefe Politit in ihrer unficheren Haltung und ih» 
ver Rüdfichtnahme auf außerdeutiche Verbindungen es ſchließlich dahin 
gebracht, daß es nur den unerhörteften Anftrengungen des Kaijers 
gelingen konnte, feinem Sohne Rudolf die Nachfolge im Reiche zu 
verfchaffen. Von den geiftlichen Kurfürften ward er dabei unterftüßt, 
von den weltlichen befümpft. Erſt die Spaltung zwifchen Neformirten 
und Lutheranern, und dann das perſönliche Zerwürfniß zwiſchen Kur- 
fürft Friedrich von der Pfalz und Kurfürft Auguft von Sadjien, 
dies erft brachte dem öfterreihiichen Plane den Sieg *). Ein Biünd- 
niß mit den geiftlihen Fürften, eine Spaltung unter den Augsburger 
Confeſſions⸗ Verwandten, das, was Mar früher befämpft und beklagt, 
das waren jebt die Reſultate feines Zurückgehens auf eine fpanifche 
Politit, deren gefährlichiter Gegner er im Beginn feiner politifchen 
Laufbahn geweſen. 

Der Aufſchwung, den in Deutſchland die nationale Sache bis 
1568 genommen, alle früheren Ausſichten ſeines Anfanges waren 
jetzt zu Grunde gerichtet: zuletzt hatte feine Politik, in Karls V. Wege 
einlentend, die Einigung Deutfchlands wiederum Preis gegeben, um 
die Ansprüche feines Haufes auf auperdeutfche Yänder aufrecht zu halten. 

Wenn nun auhDlar zu allen den heftigen Störungen des Frie⸗ 
densitandes im Meiche, wie fie unter feinen ſchwachen Nachfolgern bald 





43) Ueber die polnijche Königewahl von 1573 haben wir jett eine ein- 
gehende Darftellung von Th. v. Bilinsfi: „Das polnifhe Interregnum von 
1673—73.” 

44) Relazione di Paolo Tiepolo de Roma nel 1576 bei Alberi Se- 
rie I. vol. IV, p. 227 £. 

45) Berge Droyfen ©. 479 f. 


330 W. Maurenbreder, Kaifer Maximilian II u. d. deutſche Reformation. 


in Uebung kamen, nie feine Zuftimmung gegeben, vielleicht auch ihnen 
entgegengetreten wäre, fo hat er doc die Möglichkeit diefer fol 
genden Entwidelung verjchuldet. Wenn daher auch feinen perfönlichen 
Eigenschaften, feinen guten Abfichten, vor allem feiner religiöjen To- 
loranz, die frei von allem Confeſſionalismus ihrer Zeit um ein Be- 
deutendes vorangeeilt war, volle Anerkennung gezollt werden mag, 
fo hat doc) die Geſchichte, unerbittlic, in ihrem Spruche und unzu- 
gänglich gegen ſolche perfünlichen Rückſichten, über das ſchließliche Re- 
fultat feiner Bolitit ihr Urtheil deutlich) und Mar gefprochen: Am 
Ende feiner Regierung war Deutfchland mehr als je von Parteien 
zerrifien, mehr als je kreuzten und befehdeten ſich politifche und reli- 
giöſe Intereſſen, mehr als je ftanden ſich die extremen Gegenſätze 
in ganzer Schroffheit gegenüber. 

Hier find die Keime, aus denen mit unaufhaltfamer Folgeridh- 
tigkeit ein 3Ojähriger Bruderfrieg erwachſen mußte. 








vn. 
Tilly und Guſtav Adolf nach Omo Klopp. 


Bon 
J. Beuedey. 


— — — 


Onno Klopp, Tilly im dreißigjährigen Kriege. 2 Bde. (XIV, 557 Seiten u. 
XII, 502 Seiten). gr. 8. 1861. Stuttgart. 3. &. Cotta. 


1. 


Je höher die Stufe der Entwidelung des Menſchen, defto heller 
ift fein Blid in die Vergangenheit; je niedriger diefe Stufe, defto 
weniger giebt e8 für ihn eine Gefchichte, eine gefchichtliche Erfahrung 
und Belehrung. Das Thier hat gar feine. Wenn es aber leider 
naturgemäß ift, daß der Alltagsmenſch nur das Heute kennt, nur von 
Einem Tage zum Andern lebt, fo ift es leider Gottes ebenfo natur- 
gemäß, daß diejenigen Klaſſen, die durch ein wenig mehr Dlid in die 
Vergangenheit die Maſſen beherrichen, ſich alle Mühe geben zu ver: 
hindern, daß die Lehren der Vergangenheit zum Gemeingut der Ge: 
ſammtheit werden. inc lebendige, anſchauliche, Mare und unverfälfchte 
Geichichtsdarftellung hat zu allen Zeiten wenig Freunde in diefen Krei- 
fen gehabt. Wenn aber die Geſchichtoforſchung, Geſchichtsſchreibung, 
GSefchichts Tehre und -Belehrung mit der fortfchreitenden Kultur in 
immer weitere Kreife der Gefellfchaft zu dringen beginnt, dam ift es 
die Aufgabe Derer, welchen dieſe Yehren unbehaglich find, und wo 
diefelben ihren Auſprüchen ſchaden Fünnten, die Geſchichte zu fülfchen. 


8382 J. Venedey, 


Nicht Alle, die dazu beitragen, die Lehren der Geſchichte zu ver⸗ 
dunkeln, zu verkehren, haben klar bewußt die Abſicht, zu dieſem Ergeb⸗ 
niß zu gelangen. Für Viele genügt es, von einem verkehrten Stand⸗ 
punkte auszugehen, um einem verkehrten Ziele zuzuſteuern. Nicht jedes 
Auge ift Scharf genug, ein weites Feld zu überjehen,; was den Kurz- 
fichtigen nicht verhindert, über das Ganze ein Urtheil haben zu wollen. 
Eine einfeitige Behauptung, durd) den Gegenjag im Widerſpruch auf- 
geftachelt, führt oft in Hochmuth und Rechthaberei zu einfeitigen For⸗ 
chungen und zu einfeitigen Schlüffen. Oft find aber aud) andere, 
Schlechtere Beweggründe mit im Spiele. Und der fhlechtefte Beweg⸗ 
grund ift nicht der, wo die Abficht, durdy die Täuſchung zu einem für 
die Menfchen wohithätigen Erfolge zu gelangen, zu abfichtlicher Fäl⸗ 
fung und Lüge führt. 

Onno Klopp ift unferer Anficht nach zufällig durch irgend 
einen äußeren Anftoß in eine Richtung hineingerathen, in welcher er 
ih dann mit einem fehr lobenswerthen Fleiße, mit dem Bewußtfein 
der unbeftechlichften Geſchichtstreue immer tiefer feſtfährt. Er iſt in‘ 
eine Schule gegangen, wo man mit Abficht und Bewußtſein zum 
„höchſten Ruhme Gottes" und zur „Sicherung der ewigen Seeligfeit 
der Dienfchen“ der Geſchichte eine wächſerne Nafe dreht. Der Zwed 
ift lobenswerth und das Mittel probat. ‘Die gewöhnliche Methode 
diefer Schule befteht darin, daß man eine engbegränzte gefchichtliche 
Periode oder auch eine Perfönlichkeit aus den Zufammenhange der 
Weltereigniffe herausreißt und daun einfeitig in dem Xichte beleuchtet, 
in welchem man die Thatjachen oder die Perfönlichkeit erfcheinen laſſen 
möchte. Diefe Verfahrungsweife ift gerade jo alt — als herrfchende 
Klaſſen zum Zwede ihrer Herrichaft Geſchichte jchreiben oder lehren. 
Rom und die Jeſuiten waren von jeher Meifter in derfelben. Alle 
Legenden, Heiligengefchichten, Bapftgefchichten, Ordensgefchichten find in 
diefer Methode gejchrieben. In neuefter Zeit wurde diejelbe auch mit 
Erfolg vielfady auf die profane Gefchichte angewendet, und eine ganze 
große Reihe von Geſchichtswerken ift in derfelben, von ihren Verfaſ⸗ 
fern oft volltommen naiv, der Abficht und des Zwedes ſich Taum be» 
wußt, gedacht und gejchrieben. 

In diefer Schule hat Onno Klopp gelernt, die Dinge einfeitig 
anfchauen, erforfchen und ſchildern. Seine Darftellung der Zeiten 





Tily und Guſtav Adolf nah Onno Klopp. 888 


Tilly's, des dreißigjährigen Krieges fieht ab von allen vorhergehenden 
Ereigniffen, von allen unmittelbaren Folgen der Thatſachen, die er 
einfeitig darftellt. y Der „dreißigjährige* Krieg ift aber in der That 
nur ein Bruchſtück des großen Neligionskrieges, den die „kämpfende“ 
Kirche in Italien, in Spanien, Frankreich, den Niederlanden, England, 
Bolen, Schweden und endlich in Deutfchland anbließ; der überall nur 
Ein Ziel, Kampf gegen die Reformation, Einen Endzwed, Wieder: 
herſtellung der alleinfeeligmadhenden Kirche, hatte; und der nicht drei« 
Fig, fondern dreimal dreißig Jahre dauerte und erft im deutfchen drei- 
Kigjährigen Kriege zum Schluffe gelangte. Davon weiß Onno Klopp 
Nichte, wenigftens verräth er Nichts davon. Der „dreißigjährige” 
Krieg wurzelt für ihn nicht in den Beftrebungen Roms und der Se: 
fuiten, der fpanifchen und deutjchen Habsburger gegen die Reforma- 
tion, fondern in dem zufälligen Ereigniß der böhmifchen Wirren, weldye 
die Wahl des Pfalzgrafen Friedrich zum böhmifchen Könige herbei- 
führten. 9a, dies Ereigniß felbft, der Tropfen, der das volle Glas 
in Deutfchland überlaufen machte, ift wieder nady Onno Klopps An: 
fit nur Folge der aufrührerifchen Launen der Böhmen und der eiteln 
Herrfcherbeitrebungen des Pfalzgrafen Friedrich. Er weiß Nichts da- 
von, — wenigftens thut er in feinen Schlüffen fo, als wiſſe er nichte 
davon, — daß Ferdinand LI. ſchon als Erzherzog von Steiermark die 
Reformation in feinem Erzherzogthum mit Eidesverweigerung und Ge⸗ 
walt unterdrüdt hat, daß Yerdinand, als der anerlannte Vorkämpfer 
der Fatholifchen Kirche zum Haupte des öftreichiichen Haufes erhoben, 
von dom, Spanien und den Sefuiten, feinen Xehrmeiftern, ins Beſon⸗ 
dere verehrt und hochgepriejen, von den in ihrem Heiligften bedrohten 
Proteſtanten aller öftreichifchen Länder und ganz Deutichland gehaft 
und gefürchtet, den deutjchen Kaiſerthron bejtieg. 

Alle Welt wußte, was von ihm zu hoffen und zu fürchten war. 
Und in diefem Gefühle, nicht in einem an und für fich nebenſächlichen 
Ereigniſſe liegt die Urfacdye, dab dies Ereigniß die ganze Welt aus 
den Angeln hob und den dreißigjährigen Krieg zu Wege brachte. 

Die „weltlichen“ Beitrebungen, die felbjtfüchtigen Ränke der böb- 
mifchen Großen und einzelner deutfcher Fürſten find nad Onno Klopp 
die eigentliche Urſache des Dreißigjährigen Krieges geweſen. Das 
Ränkefpiel der böhmifchen Stände, die Selbftjucht ber deutichen Für⸗ 


384 3. Beneby, 


ften, — wer will fie leugnen? Zu allen Zeiten, in allen Lagern, 
bei allen Kämpfen hat diefe Selbftfucht mehr oder weniger mitge- 
wirft, wie fie auch im Dreißigjährigen Krieg des Unheils unendlidy 
viel zu verantworten bat. Aber den Krieg felbit, in feinen Ickten 
Urfachen, in feiner furdtbaren Größe, feinen fchauerlihen Schredien, 
jeinem endlofen Elend — den hat die weltliche Selbftfudht der 
Stände und Fürften nicht zu verantworten. Dad „geiftliche“ 
Beitreben derer, die in Stalien, in Spanien, in Frankreich, in den 
Niederlanden, in England, überall wo und fo weit ihre Madıt es 
ihnen erlaubte, die Reform mit Liſt und Gewalt erdrüdten, die fie im 
Steiermart, Kärnthen, Krain, in Tyrol, in DOeftreich eben unterdrüdkt 
hatten, fie in Böhmen zu erdrüden ſich vorbereiteten, die fie, fo weit 
fie in Deutichland und dem germanifchen Norden Fuß faßten, bedroh⸗ 
ten, — dieje „geiftlichen“ Bejtrebungen der Yefuiten und des Haufes 
Habsburg insbefondere find die Urfache und Veranlaſſung, daß ein 
nebenſächliches Ereigniß in Böhmen zum dreißigjährigen Kriege führen 
konnte und führen mußte. 


2. 


Wir haben übrigens Unrecht, fo allgemein zu fagen, daß Onno 
Klopp davon Nichts vermuthe. Hier und dort vergißt er fein Syſtem, 
die Gefchichte des Dreißigjährigen Kriege auf den Kopf zu ftellen. 
Oft kann er, troß aller Mühe, die er fich giebt, der erjtaunten Welt 
feine Kunftfertigleit darin zu zeigen, wie man den Strom den Berg 
hinaufleitet, nicht verhindern, daß das Waſſer den Berg hinabflieft. 
So oft dies nun der Fall, verräth er, ohne es zu wollen, daß die 
Sache fih am Ende doch in der That anders verhält, al® er fie dar: 
zuftellen nun einmal fich getrieben fühlt. 

Der Wortführer der Böhmen, Mathias, Graf von Thurn äußerte 
ſich gegen den Geſandten des Kurfürften von Sachſen: „Es ift in 
dem ganzen Haufe Deftreich des ſpaniſchen Prafticirens fein Ende. 
Man hält weder Zufagen, noch Brief und Siegel, wie man denn 
auch den Majeftätsbrief gerne caffiren möchte Wir Böhmen Fünnen 
dies nicht länger anfehen.. Wir wollen warten, bis man uns beißt. 
Dann aber wird es gefchehen, daß wir dringend und wahrhaftig einen 
andren Herrn ſuchen müffen.“ Guſtav Adolf fagte ungefähr gleich. 





Tilly und Guſtav Adolf nad Onno Klopp. 385 


zeitig, vor dem Beginne der böhmifchen Wirren: „Es tft offenbar, 
daß die päpftliche Liga darauf ausgeht, die reformirte Religion zu 
unterdrüden. Das fieht man aus dem Verfahren gegen ‘Deutjchland, 
Tranfreih, England und die Niederlande.“ 

Es fragt fi, ob diefe Anficht in den ‘Dingen begründet war ? 
Onno Klopp leugnet dies. Nach feiner ganzen Darftellung haben die 
Böhmen durch ihre flavifche Ränkefucht und Guſtav Adolf durch feine 
Berſerkerwuth und Eroberungsluſt, die kalviniſchen deutfchen Fürften 
durch ihre Vergrößerungsgier, und die „Hochmögenden“ der Nieder⸗ 
lande durch ihre elende kaufmänniſche Berechnung des Gewinns, den 
ſie aus dem Kriege ziehen könnten, Alles zu verantworten. So 
treibt Hr. Klopp den Strom bergauf. Die Thatſachen, die dann aber 
dennoch bergabfließen, ſind: „Der Vater Ferdinands II. hatte 1579 
fich genöthigt geſehen, den Ständen Steiermarks die Confeſſion von 
Augsburg zu geſtatten. Als Ferdinand 1596 die Regierung von 
Steiermark antrat, weigerte er ſich, dieſe Erlaubniß ſeines Vaters zu 
beſtätigen. Zwei Jahre fpäter ward eine kirchenſchänderiſche That 
eines Iutherifchen Feldpredigers die Veranlaffung, daß Ferdinand er: 
Härte: er gedenke ſich deſſelben Rechts zu bedienen, wie alle anderen 
Fürften im Reihe. Er forderte die Rückkehr feiner Unterthanen zur 
fatholifchen Kirche. Hier und da wurde eine Kirche mit Pulver ge- 
fprengt ; aber nirgends floß Blut. Steiermart ward wieder katho⸗ 
liſch.“ (S.18. 19). Die Thatfache, daR dabei kein Blut gefloffen, ift 
nicht hiſtoriſch richtig; die „Knechte Paradeiſers“, die Söldlinge eines 
Soldoberjten, die Ferdinande Mutter ihrem Sohne als die beften 
Belehrer für feine Unterthanen dringend empfohlen hatte, waren nöthig 
und haben redlid) geholfen, die Steiermärker Proteftanten in die Dieffe 
zu treiben. Doch ift es nicht unfere Abficht, die einfeitigen und uns 
richtigen, verdrehten nnd verkehrten Behauptungen Onno Klopp — 
deren Zahl Legion ift — Schritt für Schritt zu widerlegen. Die 
Aufgabe, die wir uns geftellt haben, ift, durch die Thatſachen, die 
er jelbft anführen muß, die Haltlofigkeit des Syſtems, das er 
aufftellt, zu befunden. So fahren wir fort diefe Thatfachen nad 
feinem Werte wörtlich anzuführen. 

„Sraf Thurn fchrieb im October 1618 an Johann Georg, Kur- 
fürft von Sachſen: Mit dem Kaifer Mathias wäre eine Vereinba⸗ 


⸗ 


886 J. Benedey, 


rung möglich, aber nicht mit Ferdinand, der unter der Herrichaft der 
Jeſuiten fteht.“ (S.27). „Neben Mathias“, fährt dann zwei Seiten 
weiter (S.29) Herr Klopp fort: „jtand der Vetter Ferdinand, in 
voller Kraft des Lebens, nicht ohne Energie, wie er in feinem Steier- 
mark bereits bewiejen. — — Im Befige der gefammten Hausmacht 
von Deftreih, mit der Kaiſerkrone auf dem Haupte konnte Ferdinand 
und mußte vorausfichtlic (!) zu dem Kampfe im Nordweften des 
Neiches eine andere Stellung einnehmen, al8 fein Vorgänger gethan. 
Denn die Niederlande, wenn auch der That nad) längft entfremdet, 
gehörten doch dem Namen nad) als burgundifcdher Kreis noch immer 
dem Ganzen an. Wie die etwaige Einmiſchung Yerdinande ausfallen 
würde, konnte, auch abgefehen von feinem perfönlichen Charakter, in 
Rückſicht auf feine politifche Stellung nicht zweifelhaft fein. Dem 
mußte vorgebeugt werden.“ Wir wiederholen, daß Klopp felbft, und 
nit Graf Thurn oder Guftan Adolf oder font ein denfender Prote- 
ftant der Zeit fo über Ferdinand IL. urtheilt. „Dem mußte vor- 
gebeugt werden!“, und dad war die Urſache, warum alle über- 
zeugungstreuen und muthigen Proteftanten der Zeit den Kampf an- 
nahmen. Daß bei diefen oder jenem, ja fogar bei fehr vielen von 
den Mitfämpfern auch gemeine Beweggründe mit ins Spiel lanıen, 
dag foldhe für den Einzelnen oft maßgebend waren, wer will es be 
zweifeln? Aber dieje perfönlichen, felbftfüchtigen Beweggründe würden 
unmöglic) die Welt zu einem dreißigjährigen Kriege zu treiben ver⸗ 
mocht haben, wenn nicht das Bewußtſein aller Protejtanten mit im 
Spiele gewefen, daß den Beitrebungen Ferdinands und der Sefuiten 
„vorgebeugt werden mußte”, jofern fie nicht ganz gelinde, 
ohne Blut, nur mit etwas Pulver, zum Sprengen der protejtantifchen 
Kirchen, in die Mefje getrieben fein wollten. — So erklärt es ſich 
naturgemäß, ohne daß es befonderer Ränkeluſt und Nebellionsneigung 
bedurft hätte, wenn Graf Schlid un Namen und im Geiſte der pro» 
teftantifchen Böhmen fagte: „Nicht nur die Herren Böhmen, fondern 
auch die andern und vornehniten (Öftreichiichen) Länder hätten dieſe 
beftändige Nefolution genommen, den König keineswegs anzunehmen, 
er erbiete fidh, zu was er wolle. Denn man wife dody wohl, daß 
Nichte gehalten werde. Sie wollen nun einmal fi) und ihren Nad)- 
kommen aus dem Öftreichifchen Servitut helfen und dabei das Aeußerſte, 





Tilly ımd Guſtav Adolf nad) Omo Mlopp. 887 


aud Leib, Gut und Blut willigft ausfegen, denn es ift viel befier 
einmal redlich geftorben, denn aljo in fteter Dienftbarteit ımd Ge⸗ 
wiffenszwang zu leben.“ (S. 33.) 

Onno Klopp fett diefer Außerung die Bemerkung hinzu: „Von 
einer begangenen That Ferdinands gegen die böhmifchen Privilegien 
konnte nicht die Rede fein, denn Ferdinand hatte dazu noch keine Ge⸗ 
legenheit gehabt.“ Diefe „Gelegenheit“ würde fi) gefunden haben, 
wie fie fi in Steiermart fand, als der „Iutherifche Feldprediger ſich 
einer firchenfchänderifchen That“ ſchuldig machte. Die Aeußerung des 
Grafen Schlid fand übrigens am 26. Mai 1619 ftat. Schon im 
März befuchte Ferdinand den Herzog Maximilian von Bayern, das 
Haupt der „heiligen Liga." Berdinand hatte ihn um Hülfe für feine 
Plane in Oeftreihh und Böhmen angegangen. „Erft“ bei diefem Be 
fuche im Anfang des Jahres 1619 gab Dar dem Andringen feines 
Vetter nad. Er war zur Hülfe bereit, er ftellte fie in Ausficht, 
aber er verlangte Erſatz. — „Mar wollte kommen mit einem Heere. 
Die Unterhandlungen dedte das tieffte Geheimniß. Der Beſuch Fer- 
dinands bei feinem Vetter Dar auf der Reife nad Frankfurt feftigte 
fie. Ferdinand ficherte für den Fall des Sieges feinem Vetter Max 
die Kurwürde des Pfälzers zu.“ (S. 34.) 

Schon jet! Was hatte denn der Pfälzer bis jet gethan, daß 
der „zufünftige* Kaifer, der noch gar fein Scheinrecht hatte über ein 
Kurfürftenthum zu urtheilen und zu verfügen, auf der Reife zur Wahl 
nad Frankfurt, dem Herzoge von Bayern die Kurwürde des Pfälzers 
zuſicherte ? 

Owyıo Klopp führt fort und beantwortet diefe Frage: „Zur fel- 
ben Zeit, al8 Ferdinand in München bei feinem Better Max weilte, 
erwog Friedrich zu Heidelberg mit feinen Näthen, wie man fi zu 
verhalten habe bei der demnächſtigen Kaiſerwahl.“ (S. 34.35). Der 
Pfälzer hätte lieber als Ferdinand den Herzog von Savoyen gewählt; 
um die Wahl des Erfteren zu verhindern, dachte er fogar daran, ſich 
der Stadt Frankfurt zu bemädhtigen. Es blieb aber bei dem guten 
Willen, und fchließlid gab fogar der Pfälzer — über deſſen Kurhut 
die beiden Vettern (nad) S. 34 in Klopps Tilly) bereits im Neinen 
waren, — feine Stimme zur Kaiferwirde dennoch den Erzherzoge 
Ferdinand. 


888 J. Benedey, 


In denfelben Tagen aber, wo Ferdinand in Frankfurt zum Kaiſer 
gewählt wurde, fprachen die Böhmen feine Entjegung als böhmifcher 
König aus, und boten dann die Krone ‚dem „Pfälzer“ an. Omo 
Kopp, der uns, wie wir gejehen, S.24 erzählt hat, wie die beiden 
Bettern und Yefuitenzöglinge, Ferdinand von Deftreid und Max von 
Bayern, bereit3 fi über die Kurwürde des Pfälzers verftändigt hat⸗ 
ten, erzählt nun ganz treuherzig weiter: „Als die Nachricht von des 
Pfälzer Wahl zum Könige von Böhmen ankam, reifte Ferdinand nad 
Münden.“ Bon dort aus hatte bereit8 Max den Vetter Friedrich 
von der Pfalz dringend abgemahnt, die dargebotene Krone anzunch⸗ 
men. Als Ferdinand nad) Münden kam, erneuten fie noch einmal 
ihre Vorftellungen. ‘Der Kaifer ſchickte einen eignen Gefandten nad) 
Amberg, der dem Kurfürften Friedrich mit Ernft und Milde vorftellen 
follte, wie er durch Annahme der böhmischen Krone das Recht des 
Kaifers verlege, das ganze Reich und ſich felber in die höchſte Gefahe 
bringe.” Auch Max ſchrieb an den Pfälzer: „Von einem Eingreifen 
des Hauſes Deftreich in die Rechte deutjcher Fürften könne nicht die 
Rede fein." — „Wenn aber“ — fährt DO. Ktlopp fort — „wie faft 
vorauszufehen war, ihre Abmahnungen erfolglos blieben, fo vereinig- 
ten fie fi) zu gemeinfamem Handeln. Der Kaiſer fiherte Max die 
abfolute Leitung der Liga zu. Ferdinand gab damals, im October 
1619, dem Vetter Max das beſtimmte Verfprechen, wenn Friedrich 
die böhmifche Krone annehme, fo wolle Ferdinand für die Hülfe, die 
Mar ihm leifte, die Kurwürde von Friedrich nehmen und fie auf Max 
übertragen. Es war nicht cine Korderung von Seiten ded Herzogs 
Max, fondern ein freiwilliges Anerbieten von Seiten Ferdinande. Der 
Bund war geidloffen.“ (S. 40.) 

Im März 1619, jagt uns Klopp (S. 34), daß Mar „Erjag“ 
für feine Hülfe forderte und jich die Kur des Pfälzers, der noch gar 
Nichts verbrocden hatte, zufagen ließ, im October (S. 40) ift, was 
vorher eine ‚Forderung“ Maxens war, jest ein „freiwilliges Anerbie. 
ten“ des Kaifers; wozu diefer abermals ohne Gericht und Urtheit, 
ohne vorhergehende Acht und Aberacht kein Recht hatte, jelbit wenn 
der Pfälzer die Krone Böhmens bereits angenommen gehabt hätte. 

Die drei weltlichen Kurftimmen Pfalz, Sachſen, Brandenburg 
waren proteftantifch. Es galt, Eine von diefen dreien in die Hand eines 





Tilly und Guſtav Adolf nad) Onno Klopp. 889 


Katholiken zu bringen, um des Kurfürftencollegs ſtets ficher zu fein. 
Die Wahl des Pfälzers zum Könige von Böhmen wurde die „Ge— 
legenheit“ den vorgefaßten Beſchluß, das Stimmenverhältni 
der beiden Religionsparteien im Kurfürftenrath zu ändern, durchaus 
führen. Onno Klopp hat dies — gegen befferes Wollen, gegen fein 
eignes Spftem — fo Far gejagt, wie es nur gejagt werden kann. 


3. 


Wo Guftav Adolf davon fpridht, daR die Kiga darauf ausgehe, 
die reformirte Religion zu unterdrüden, wa® „man aus ihrem Ber- 
fahren in Deutichland, Frankreich, England und den Niederlanden ehe“, 
— jet Onno Klopp hinzu: „Das Wort Liga ift in Guftav Adolfs 
Augen offenbar ein allgemeiner Begriff und nicht die eigentliche deutfche 
Liga auf deutfchen Boden. Dieſe hatte feine auswärtigen Theilneh- 
mer.“ (S. 14.) 

Wenn Guſtav Adolf die deutjche Liga in organifchen Zufammen- 
hange mit den liguiftifchen Bewegungen und Beftrebungen Roms in 
Sranfreih, England und den Niederlanden dachte, und Onno Klopp 
diefen Zujammenhang überfieht, fo beweift dies nur, daß der Schwe- 
dentönig einen welthiftorifchen Bli hatte, daß diefer Blick dem 
Herrn Onno Klopp fehlt. Doch ift dies hier Nebenfache, Hauptjache 
ift, daß die „deutfche Liga Feine auswärtigen Theilnehmer“ gehabt 
haben fol. 

Das Wort „Theilnehmer“ ift Hug gewählt, denn wörtlich ge- 
nonmen waren in der That nur die deutjchen Fürften, die den Bund 
bildeten, die eigentlichen „ZTheilnehmer“ deſſelben. Aber diefe felbft, 
wenn fte auch ihre deutfchen Ziele mit verfolgten, waren im Großen 
und Ganzen gelenkt und getrieben durch die Jeſuiten, die ihre Kern⸗ 
wurzel in Rom hatten, und ftanden überall in Deutjchland felbft 
neben Spanien, das fie zu feinen Zwecken auszubenten fuchte und 
ausbeutete. 

Die Theilnahme Dänemartd und Schwedens an dem Kampfe 
in Deutfchland hatte leider nur zu naturgemäß aud ihre felbftfüichtige 
Seite. Die Könige von Dänemark und Schweden, wie die deutfchen 
Fürften, einerlei ob katholiſch oder proteftantifch,, fuchten am Ende 
bei Gelegenheit des Krieges überali ihren Sondervortheil zu fichern. 


890 J. Benebey, 


Aber das war nicht das treibende Element im Kampfe. Mit dem 
Siege der Liga und Oeſtreichs und Spaniens in Deutſchland und den 
Niederlanden waren Dänemark, Schweden und Holland gezwungen, 
fi das fchwere und geiſttödtende Joch Roms und Spaniens gefallen 
zu laffen. „Dem mußte vorgebeugt werden“ wie Klopp jagt, 
und wie in Holland, Dänemark, Schweden, England und aud in 
Deutfchland jeder dentende Proteftant, der nicht von Eigenſucht allein 
gelenkt und von Barteileidenschaft geblendet war, mit einftimmte. 
Die auswärtigen Bundesgenoffen der Proteftanten waren nad) vielen 
Seiten hin ein Unglüd für Deutfchland; aber ohne fie würden Rom 
und Spanien in Deutfchland gefiegt, und mit ihrem Siege der Pro— 
teftantismus und die lebte Spur deutfchen Wefeus und germanifcher 
Geiftesfelbftftändigkeit nicht nur in Deutſchland, fondern auf dem 
ganzen europäifchen Feſtlande vernichtet geweien fein. 

„Run hat der deutfche Kaifer Ferdinand jederzeit die Einmifchung 
und Einflechtung fremder Könige und Potentaten in das Reich mit 
ſchwerem Nachdrucke als die hauptfächliche Quelle des Unheils hervor- 
gehoben.” (S. 239.) Das war natürlich für Kaifer Ferdinand und 
Hug zugleih. Bon den Sefuiten, die in Nom wurzelten, war es 
auch Hug, mit einzuftimmen. Aber ein deutfcher Gefchichtsfchreiber, 
der ebenfalls mit Oeſtreich und den Jeſuiten, die „fremden Könige 
und Potentaten* als die „Hauptquelle des Unheils“ hervorhebt, und 
der dabei an Ehriftian IV. und Guftav Adolf ausfchlieglich denkt, und 
nicht vor Allem Rom und Spanien im Auge hat, der muß entweder zu 
der Partei gehören, die in Jeſuitenſchulen geblendet wurde, oder von 
Natur des Haren Blickes, der die Dinge fieht wie fie find, entbehren. 

Onno Klopp ift überall von den liftigen Parteikunftftückhen der 
Anhänger Roms und Spaniens, durch welche diefe zur Zeit des drei⸗ 
Bigjährigen Krieges, und Heute wieder, die Wahrheit zu verdunfeln 
wußten und wiſſen, gefefjelt; er ftimmt überall in ihren Parteiruf 
mit ein. Das verhindert nicht, daß ihm, der nicht abſichtlich lügt, 
verdreht und verfchweigt, Schritt für Schritt die Thatſachen ent- 
Ihlüpfen, die da8 Gegentheil feiner Parteir und Eyftembehauptungen 
beweifen. 

Als in Folge der böhmischen Wirren der Krieg gegen die Pfalz 
getrieben wurde, war e8 — ein [panifches Heer unter einem fpanifchen 





Tilly und Guftav Molf nad Onno Klopp. 891 


Feldherrn, Spinola, das in die deutſchen Lande einftel. Die öft- 
reichiſchen, ſpaniſchen, römiſchen und jeſuitiſchen Geſchichtſchreiber 
ſagen nun einfach: „Burgund war ein Reichsland, mithin die bur⸗ 
gundiſchen Truppen im Reiche anwendbar.“ Klopp ſchreibt ihnen 
auch dies nach (S. 59) und führt den Gedanken näher aus: 
„der Zuſammenhang der Niederlande mit dem Reiche war rechtlich 
damals noch nicht aufgehoben. Der König von Spanien war als 
Fürft des burgundifchen Kreiſes ein Glied des deutfchen Reiches.“ 
(S. 94.) 

Wenn wir zugeben wollten, daß der Zufammenhang der Nieder: 
lande mit dem Reihe rechtlich noc nicht aufgehoben war, fo 
liegt fchon in dem Hervorheben des Wortes rechtlich das Zuge 
ftändniß, daß der Zufammenhang thatſächlich nicht mehr beitand. 
Spanien und die ganze Welt fah die Niederlande thatſächlich 
— fo weit die Macht der Spanier noch reichte, — als ſpaniſche Pro- 
vinzen an. In dem Kampf der Niederlande gegen Spanien ift vom 
deutfchen Reiche auf Feiner Seite der kämpfenden Parteien mehr die 
Nee. Schon Mar I. hatte die Losreifung Burgunds vom Reiche 
vorbereitet; Kaifer Karl V. hatte die holländifchen Niederlande, mit 
Burgund zu einem Ganzen vereinigt, an Spanien gefefjelt, und dem 
Reiche nur fo viel Rechte und Pflichten in den vereinigten Niederlan⸗ 
den gelafjen, als flr Spanien nöthig waren, um diefem zu erlauben, 
fi alle Zage in die Angelegenheiten Deutfchlands zu mifchen, und 
das Reich im Nothfalle zur Vertheidigung Spaniens in den Nieder: 
landen zu veranlaffen. 

Spanier waren bie eriten fremden Truppen im dreißigjährigen 
Kriege auf deutfchem Boden ımd haben alle andern, die Holländer, 
die Dänen, die Schweden, die Franzoſen ind Reich hineingehekt. Als 
glei im Anfange des Krieges nad den erften Erfolgen Oeftreiche 
und der Liga in Böhmen die proteftantifche „Union“ im December 
1620 auf einem Bereinstage verfammelt war, ſprach ſich die Mehr- 
heit der Unionsfürften für den Kaifer aus. Joachim Ernft von 
Anſpach fagte: „daR er lieber in des Kaiſers Dienſte ein Picke tra- 
gen als ander&wo commandiren wolle.“ „Der Würtemberger Herzog 
erflärte, da er nächft Bott und Gotteswort Nichte höher achte als 
die Talferlihe Gnade, wofern er derfelben enkrtigk Dorn. Sr 

Hißeriihe Beitigeift VII. Bomb. 


892 3. Benebey, 


baten um einen Waffenftillftand. Spinola fchlug das Begehren ab.“ 
(S. 9.) Der Landgraf Ludwig von Heffen » Darmftadt, der aller- 
ergebenfte Anhänger des Kaiſers, der auf fein Zodtenhemd hatte 
ftiden lofin: „Gott und dem Kaifer getreu,“ betrieb den Frieden 
zwifchen der Union und dem Kaifer mit Eifer. „Spinola bewilligte 
Nichts; er forderte die fchriftliche Erklärung, daß die Unirten ſich 
des Pfälzers Friedrich nicht mehr annehmen wollten, und verfpradh 
feinerfeitS, daß dann der Kaifer fie als getreue Reichsſtände aner- 
fermen werde. Im April 1621 fügten fie fih ohne Bedingung.“ 
(S. %.) Das war, nad) den Thatfachen, die Klopp entichlüpfen, 
gleich im Anfange des Krieges die Thätigleit Spaniens in den deut- 
ſchen Angelegenheiten. 

Auf Spinola folgte Cordova. Erft durch die Vereinigung der 
Truppen Cordova's mit denen Tillys war diefer im Stande feinen 
Sieg bei Wimpfen zu erringen. (S. 145.) Das ganze linke Rhein- 
ufer von Köln bis Straßburg war von fpanifchen Sölbnern befeßt, 
mißhandelt und ausgefaugt. Vom Niederrheine aus waren die Hol- 
länder durch Spanier angegriffen, und diefe fuchten fi) am heine 
felbft feftzufegen, um fid der Spanier zu erwehren. Cine efte auf 
einer Inſel bei Bonn, die fie dem fteten Bundesgenoffen Spaniens, 
dem Erzbifhof und Kurfürften von Köln zum Trotz bauten und 
„Pfaffenmütz“ nannten, gelangte durch die Siege des Kaifers und 
der Liga nicht wieder ans Neich, fondern wieder in die Hände der 
Spanier. Die Stände des Reichs mußten fich begnügen „den Kaifer 
zu bitten, feinen Einfluß bei der Infantin (in Brüffel) zu verwenden, 
daß fie die Schanze fchleife und den Rheinftrom wieder cröffne.“ 
(S. 169.) Der Erzbiſchof und Kurfürft von Köln, Ferdinand, der 
Bruder Marimilians von Bayern felbjt fah endlich Har, daß „den 
Spaniern am höchſten daran gelegen , das Reich in den Krieg mit 
den Holländern zu verwideln“, (S. 215) und daß fie auf allen We: 
gen und Umwegen dahin zu gelangen fuchten. Als die deutjchen 
Kirdhenfürften der Liga des Krieges Überdrüffig wurden, und num 
(1626) auch fie, wie vor wenig Jahren die Fürften der Union eben- 
falls gern Frieden unter jeder Bedingung gefchloffen hätten, war 
Marimilion von Bayern dazu nicht zu bringen. Er dachte daran, 
„fein Beer etwa mit fpanifchem Zufchuffe aufrecht zu halten. Man 





Tilly und Guſtav Adolf nah Onno Klopp. 898 


hatte fchon längere Zeit ein engeres Bündnig zwifchen dem Kai⸗ 
fer, dem Kurfürften Marimilian und der Infantin (die als Statt 
halterin Spaniens den deutfhen Krieg von Brüffel. aus leiten und 
verewwigen half) beiprochen. Damit verband ſich die Ausfidht auf den 
endlichen offenen Bruch des Reiches mit den Holländern.” (S. 322.) 

Onno Klopp, der die Holländer, die Dänen, die Schweden, weldye 
Deutfchland vor den fpanifchen und römifchen Beftrebungen retten 
halfen, ſtets als heillofe Au 8länder verflucht, ımd den wir ſtets wört- 
lic) angeführt, wenn er dann die Spanier als deutſche Reichsmitglieder 
in Deutfchland walten laffen will — erzählt dann weiter: „Cine lange, 
ſchmerzliche Erfahrung hatte Spanien gezeigt, daß auf offener See 
der Spanier dem Holländer nidht gewachſen war, daß bei einem 
Kampfe mit gleichen Kräften die Spanier zu Wafler immer unter- 
liegen würden. Dan hatte andere Plane entworfen. Dan wolite 
von den Nachbarhäfen zu Waſſer und zu Lande zugleich in die ver- 
einigten Niederlande eindringen.“ (S. 375.) „Dan hoffte auf die 
Mitwirkung der Hanfeftädte.“ (S. 376.) Die Infantin trat mit 
Mansfeld in Unterhandlungen wegen der Weberlieferung der Stadt 
Emden und verſprach Mansfeld dafür zum Granden von Spa- 
nien zu erheben. (S. 376.) „Im Sommer 1625 fordert Spa» 
nien in Brüffel, der bayerifche Geſandte folle die Einräumung eines 
Hafens an der Ems für Spanien bewirken. Spanien ließ zö⸗ 
gernd von diefer Forderung ab, um mit einer neuen, in den 
Augen der Deutfchen beſſer begründeten, hervorzutreten. Bei 
der Zufammenkunft zwifhen Tilly, Wallenftein und dem fpani- 
ſchen Geſandten zu Duderftadt im Juli 1625 ift die Rede von 
Lübeck.“ (S. 376.) „Der Inbegriff der ſpaniſchen Plane war, 
daß allein die Hanfeftäbte das Recht des Handels nach Spanien 
haben ſollten.“ (S. 377.) „Die Crrichtung einer Kriegsflotte des 
deutichen Reiches zum Schutze dieſes Handel" (S. 378) wäre 
die erjte Bedingung diefes Planes geweſen, und Kampf auf Leben 
und Tod zwifchen diefer kaiſerlich⸗ſpaniſchen deutfchen Reichsflotte 
und den Flotten Hollands und Englands wirde das Endergebniß 
geweien fein. Was die fpanifche „unbefiegbare Armada“ nicht er: 
reicht, hätte dann bie deutſche Neichsflotte zum Beſten Spaniens ver- 
fuchen können. 


894 J. Venedey, 


4. 


Dies ſpaniſche Treiben in Deutſchland, von den Jeſuiten 
hervorgerufen, gehegt und gepflegt, von Oeſtreich gefördert, von der 
Liga unterſtützt, iſt die Haupturſache des dreißigjährigen Krieges. 
Onno Klopp, der als Oſtfrieſe ſeinen Nachbarn in Holland den 
herzlichſten Nachbarnhaß widmet, hört nicht auf, die Holländer, die 
„Hochmögenden“ vor Allen, als die Urheber des dreißigjährigen 
Krieges dem Haffe jedes deutjchen Patriotenherzens beſtens zu empfeh- 
len. Die Holländer waren durd die deutjchen Habsburger an die 
fpanifchen überliefert worden. Als diefe fie fpanifch regieren, durch 
Hefuiten, Inquiſition und Alba’fche Blutherrfchaft wieder zum Katho- 
licismus zurüdbefehren und dabei ihrer Menfchen- uud Bürgerrechte 
berauben wollten, ftanden die tapfern Holländer auf; die „Geuſen“ 
griffen die mächtigen Herren Spaniens mit der wunderbarften Tapfer⸗ 
feit an, trieben diefelben Schritt für Schritt aus ihrem Lande und er- 
oberten dieſes fo Schritt für Schritt zurüd, d. 5. entriffen germanifche 
Lande und Volksſtämme dem blutigen Herrfcherinftinft Spaniens, 
dem Sceiterhaufen Roms, der geifttödtenden Unduldſamkeit der Je⸗ 
fuiten und Dominikaner. Das war ungefähr gelungen, als Onno 
Klopp fid) um die Angelegenheiten Deutfchlands, der Welt und feines 
Helden Tilly zu künımern begann. Er felbjt erzählt und nun zwar, 
wie die Spanier verfuchten von Deutſchland aus Holland zurüdzu- 
erobern, wie Deutfchland zu dem Ende mit in den dreißigjährigen 
Krieg verwidelt wurde; aber da die Veranlaffung zu diefen Zreiben 
Spaniens und der Niederlande in Deutſchland vor der Periode liegt, 
die er be und mißhandelt, fo fieht er nur, daß die Holländer Alles 
aufbieten, um ihrerfeitS den Krieg, den Spanien und die Jeſuiten 
von Deutfchland aus gegen fie zu treiben fuchen, von ſich ferne zu 
halten. Den jpanifchen und deutjchen Habsburgern, die Hand in Haud 
gingen, der Liga und den Jeſuiten, die mit ihnen einverjtanden waren 
oder ohne einverftanden zu fein, für fie ins Teuer getrieben wurden, 
diefen Allen gegenüber waren die Holländer in ihrem Rechte, tm beften 
Nechte, das es gibt, dem der Nothwehr. Sie unterftüßten den 
„Pfälzer“, weil fie in ihm den Feind ihres Feindes — des Haufes 
Habeburg, der Spanier und der Jeſuiten jehen. 





Tilly und Guſtav Adolf nad) Onno Klopp. 395 


Klopp aber feinerfeits fteht darin nur die Krämerpolitif, die aus 
dem Kriege Krämernugen ziehen wollte. Für die Großartigfeit der 
Staatskunſt diefes Heinen Völkchens der habsburgiſchen Weltmonardie 
gegenüber hat er feinen Blid. Und dennoch fagt auch er: „die 
Holländer wußten zu wohl, daß, wie man fid) im Haag ausdrückte, 
das Gewitter, welches in Böhmen gefallen, auch über fie Regen brin- 
gen werde. Deswegen waren fie fofort thätig gewefen durch Auf- 
reizungen in Deutichland, Schweden, ‘Dänemark und durch Stärkung 
des Mansfeld.“ (S. 117.) Sie fuhten Schub und Schirm gegen 
den „Negen“, der fie von Böhmen aus bedrohte und waren Klug 
genug, ihn dort zu fuchen, wo er zu finden. Sie wußten, wer ihre 
Feinde waren. „Sie erhoben im Jahre 1622 gegen den Kurfür⸗ 
ften von Köln die Anklage, daß von der Liga anfehnliche Truppen den 
Spaniern zu Hülfe gelommen feien. Dafür gebüre ihnen Erſatz. 
Sie ſchlugen das Erzftift Köln, ebenfo Rüttich, jedes auf 50,000 Thlr. 
an, Münfter auf 30,000. Das Geld ward gezahlt?" (S. 170.) Und 
fie hatten Recht es zu fordern, und „es ward gezahlt”, weil die, von 
denen man e8 forderte, wußten, was ſie für Spanien gegen die Hol- 
länder gethan hatten. Für Spanien — und nidt für's Reid). 

Nicht das Reich, nit der Kaifer, nicht das deutfche Volt 
hatten ein Intereſſe, Spanien in den Niederlanden berrfchen zu fehen. 
Im Gegentheile wäre die Herrichaft Spaniens in den Niederlanden 
gleichbedeutend gewefen mit der Knechtung Deutichlands von den Nie: 
derlanden aus, mit dem Untergange alle germanifchen Wefens in 
den Niederlanden und zugleich aller Gedankenfreiheit in Deutfchland 
und Europa, gleichbedentend mit dem Siege des Papftthums, der 
Jeſuiten, der Inquiſition, der Gewaltherrfchaft des römifchen Katho- 
licismus auf dem ganzen europäischen Feſtlande. Das deutjche Reich, 
das deutfche Volk haben unendlich gelitten durch den dreißigjährigen 
Krieg, aber der Sieg Spaniens, Roms, der Jeſuiten und der In—⸗ 
quifition in Deutfchland, der Sieg des Geifterzwanges, der nod) 
heute Göthe und Schiller, Kant, Hegel und Humbold zun Scheiter: 
haufen verdammen wlrde, der noch heute das Lefen der Bibel mit 
Zuchthaus beftraft, wäre ein ganz anderes Unhell für die Welt und 
Weltentwicklung geweſen, wenn Holland nicht geholfen hätte, Spanien 
und die Jeſuiten im dreißigjährigen Kriege zurückzuſchlagen. 


896 J. Benedey, 


5. 


„Aber es war ja fein Religionskrieg!“ belehrt uns Onno Mopp. 
Sollte dies heißen, daß die katholiſchen und auch die proteftantifchen 
Fürften nur zu oft eher weltliche als geiftliche Vortheile in dem 
Kriege erjtrebten, daß ihnen die Religion meiſt nur das Mittel war, 
um ihre Herrichaft zu vergrößern, ihre Ländergier zu befriedigen; fo 
wäre dagegen Nichts zu jagen. Aber das verhinderte nicht, daß die 
tatholifchen Fürſten die reformirte Religion, den Proteftantismus erft 
befiegen mußten, um zu ihren Zielen zu gelangen ; während die pro- 
teftantifchen diefen Sieg verhindern mußten, wenn fie durch den: 
felben nicht um Hab und Gut, Land und Leute, Herrfchaft und An- 
fehen gebracht werden wollten. Es ijt wahr, die Fürften kämpften in 
letzter Abficht nur um zeitliche, weltliche, irdiſche Vortheile; aber diefe 
Bortheile waren nur erreichbar für fie durch die Unterdrädung 
oder den Sieg der Reformation. 

Und deswegen war e8 Tein „leeres Trugbild“, wenn alle Welt 
den Krieg für einen Religionskrieg anfah, wenn das Volk, wenn die 
proteftantifchen Landestheile das Lebendige Bewußtſein hatten, daß es 
ſich um ihr Heiligftes, um ihren Glauben handle. Die Jeſuiten aber, 
die am beiten wußten, um was jie fämpften, gaben fi) die größte 
Mühe, das proteftantiihe Volk zu belehren, daß feine Religion 
bei dem Kriege gar nicht in Trage komme, und es deswegen demfel- 
ben rubig zufehen könne. Onno Klopp ſtimmt au in dieſen Bar: 
teiruf gegen „das Trugbild des Neligionskrieges*, das die proteftan- 
tifhen Fürften und „Guftav Adolf vor Allen der proteftantifchen Bevölke⸗ 
rung in Deutfchland vorfpiegelten“, mit ein. Und bier ift es Tilly 
ganz befonder®, der Onno Klopp hilft, das „Trugbild“ des Reli- 
gionskrieges zu zerftören. 

Tilly war en „Schüler der Jeſuiten“, und zwar nicht ein 
folcyer, der nur in eine Jeſnitenſchule gegangen, fondern aller Wahr: 
ſcheinlichteit nach ale „Schüler“ in den Orden aufgenommen, dem 
er dann bis zu feinem legten Athemzuge angehörte. ALS Feldherr 
war er überdies ein Schüler Alba’s. Mit Alba hatten die Habe- 
burger und die Jeſuiten den Holländern gegenüber die Erfahrung 
gemacht, daß je größer die Gewalt, die Blutherrfchaft, der Schrecken, 





Tilly und Guſtav Adolf nad Onno Klopp. 897 


mit dem man bie Holländer niederzufchmettern hoffte, deito raſcher, 
gewaltiger und unaufhaltfamer der Widerftand des empörten Volkes. 
Deswegen wurde nad Alba auch im niederländifchen Kriege von 
deffen Nachfolgern mehr und mehr Milde und Schonung angewendet, 
um bie aufgeftandenen Provinzen fanft ins Joch zurüdzuführen. Den 
beigifchen Provinzen gegenüber hatten diefe Mittel auch den beften 
Erfolg, während die Holländer bereits zu feſt gemwurzelt in ihrem 
Widerftande gegen Spanien waren. 

Diefe „klügere“ Verfahrungsweiſe den hartnädigen germanifchen 
Naturen gegenüber wendete Tilly, fo oft dies halbwegs möglich —- 
was nicht verhindert, daß immer der Gräuel noch ınehr als gemug 
übrig bleiben — aud) den deutjchen Proteftanten gegenüber an. Cr 
ließ gelegentlich fogar „Schildwachen an die Kirchenthüren ftellen, 
damit die fonntägliche Feier in den calvinifchen Kirchen ungeftört 
bleibe.” (S. 133.) Das machte einen guten Eindrud ; man fügte fi), 
man hoffte, und — ward betrogen. Wenn die Zeit vorüber war, 
während welcher große Strenge nody Gefahr bringen konnte, dann 
wurde die freundliche Maske abgelegt. Wie dies ſich machte, erzählt 
uns Klopp felbft in Aezug auf die Pfalz. Auch hier beließ Tillh, 
als er fiegreid in diefelbe eindrang „einftweilen die calviniichen 
Geiſtlichen; denn nicht Er griff hierin durch. Erſt ale einige Mo— 
nate ſpäter die Anzeige ward, daß diefe calvinifchen Geiftlichen zu 
Heidelberg in Conventikeln gegen den Kaiſer predigten, gebot er ihnen 
aus Heidelberg zu weichen. Die Blrgerfchaft legte Fürbitte ein. 
Tilly bewilligte, daß zwei Geiftliche bleiben durften. Nicht alfo 
dachte der Civilpräſident Heinrid) von Metternih. Er widerrief die 
Erlaubniß des Generals. Abermals wandten die Bürger ſich an diefen, 
bittend um feine Vermittelung. Da auch Tilly diesmal nicht zu 
gewähren vermochte, fo tft es wahrfcheinlid, dag beſtimmte Befehle 
von München ber vorgelegen haben. Die calvinifchen Geiſtlichen 
inußten aus Heidelberg weichen, am 22. Mai 1623, viele Monate 
nad dem Abzuge Tillys von da.” (S. 158. 159.) 

Diefe Etelle Iennzeichnet die Art des Verfahrens. Tilly kehrte 
den Großmüthigen, den Deilden heraus, und — ſobald es thunlich 
und Hug war, wurde durchgegriffen. Es Tennzeichnet diefe Stelle 
aber auch uno Klopps Art. Die Huge Politik Tillys war darauf 


398 3. Beuebey, 


berechnet, das Reaktionswerk nur um fo ficherer durchzuführen, je 
mehr man milde zu verfahren den Anfchein nahm. Onno Klopp läßt 
ſich jedesmal fangen, fo oft die Jeſuitenpolitik, um zu tauſchen, die 
ſcharfen Krallen in die Sammetpfote zurückzieht. 

Tilly aber wußte fehr genau, warum er fo handelte, und er jagt 
es auch gelegentlih; und Onno Klopp wiederholt es fogar mit ge- 
ſperrter Schrift und begreift dann doch nicht, daß Tilly nur fo milde 
war, um defto ficherer zur Unterdrüdung der proteftantifchen Reli⸗ 
gion zu gelangen. Als Tilly geholfen hatte, Osnabrück zu erobern, 
wurde Franz Wilhelm (von Würtemberg), ein Vetter des Kurfürften 
Marimilian von Bayern, zum Bischof ernannt, und augenblidlich begann 
die gewaltfame Nückatholifirung der Stadt. Franz Wilhelm betrieb 
diefelbe durch eine Beſatzung tillyfcher Söldner, die die Stadt miß- 
handelte und vollfommen ausſog. Zulegt Hagte die Bürgerſchaft bei 
Tilly, der dann einen Theil der Befagung aus der Stadt verlegte. 
Tillys Grund hierfür war: „daß die Stadt in folder Weife mit Ge— 
walt unterdrückt wird, gereicht weder dem Biſchof felbft, noch der 
Geiftlichkeit, noch dem Werke der Eonverfion zum Nuten.“ 
Das war es! O. Klopp umterftreiht diefe Stelle, und belehrt 
uns dann doch wieder bei der nächjten Gelegenheit, daß der Krieg 
fein Religionsfrieg, weil ja Zilly der nimmermüde Beſchützer der 
protejtantifchen Geiftlichfeit, ſelbſt des protejtantifchen Gottesdienftes 
in den von ihm bejeßten Ländern war. „Nicht er griff hierin durch ;“ 
Er bahnte nur den Weg, daß Andere durchgreifen konnten. 

Einer der Gründe, warım es fein Religionsfrieg fei, befteht 
für Onno Klopp vor Allem darin, daß ja auch in den Fatholifchen 
Heeren Proteftanten als Söldner, fo viele dazu aufzutreiben waren, 
angenommen wurden. Und dod muß Onno Klopp mehrmals die 
Aeußerungen Wallenfteins anführen, daß man grade deswegen 
proteftantifche Söldner und Offiziere ſuche, damit es nicht den 
Schein habe, als jei es ein Religionskrieg Den Schein mied man, 
jo lange es nöthig war. Sobald es nicht mehr nöthig, warf man 
auch den Schein bei Scite. Böhmen, Mähren, die Pfalz, die wet: 
fälifchen und ſächſiſchen Stifte, Mecklenburg u. ſ. w. wurden fobald 
als möglid mit Gewalt Tatholifirt. In Böhmen trat dann Tillys 
Kriegsherr, der ebenfo kluge Maximilian von Bayern grade fo mil- 





Tily und Guſtav Adolf nah Ouno Klopp. 399 


dernd gegen die blutige Gewalt der ſpaniſch⸗habsburgiſchen Religions⸗ 
wuth auf, wie Tilly in Dsnabrüd. Onno Klopp jagt uns mım 
jwar: „Man mag das Berfahren Kaifer Ferdinands beflagen; aber 
ein Vorwurf bejonderer Art gegen den Kaifer Yerdinand ift von 
daher nicht gerechtfertigt. Ferdinand konnte, durfte um des all- 
gemeinen Beifpield willen nicht verzeihen.“ (S. 91.) Er zerriß den 
Majeſtätsbrief. „Mit Thränen in den Augen, mit zitternder Hand 
unterfchrieb' Ferdinand 28 Qodesurtheile" für Böhmen, 23 für 
Mähren. (S. 93.) Wunderbare VBerblendung! In Onno $Klopps 
Augen ift daraus für Ferdinand „Lein Vorwurf befonderer Art“ zu 
rechtfertigen. Und doch muß er und dann erzählen: „die lautejte Klage 
über das Treiben des Faiferlichen Heeres in Böhmen führte der Her- 
309g Max gegen den Kaifer. Am Tage vor feiner Abreife meldete 
er, daß das Rauben, Plündern, Mißhandeln der Frauen endlos fei, 
und nichts Anderes zu erwarten jtehe, als zuleßt ein allgemeiner 
Aufftand der ganzen Bevölkerung gegen die Taiferlihen Truppen.“ 
(S. 88.) Tilly feinerfeits „gab den mit dem Tode Bedrohten einen 
Fingerzeig,, ihr Heil in der Flucht zu ſuchen. Sie blieben. Eines 
Tages erblidten fie die Wachen nidht. Der Weg war frei. Auch 
das benutten fie nicht. Mehr zu thun ftand nicht in Tillys Macht.“ 
(S. 94.) 

Iſt es nun nicht wunderbar, wenn Onno Klopp Ferdinand voll- 
fommen gerechtfertigt findet und in gleichem Athem erzählen muß, 
wie Mar von Bayern und Held Tilly, die eifrigiten Jeſuitenſchüler 
jener Tampfeifrigen Zeit diefen Vorwurf gegen Ferdinand in Wort 
und That ausiprechen? 

Dnno Klopp, der hundertmal den Schlaftrumt der Zeit, daß die 
Kefuiten umd ihre Schüler und Feldherrn „Leinen Neligionstrieg“ 
führten, daß ihre Gegner „das Trugbild, die Lüge des Religionstrieges* 
liftiger Weife, ohne allen Grund heraufbeichworen, wiederholt, muß 
dann Schritt für Schritt zeigen, wie das Endziel des Krieges ſtets 
eine gewaltfame Rückatholifirung war. Als Tillys Heer fiegreic) 
in Mitteldeutfchland vorbrang, forderten die Fatholifchen Fürſten die 
Herausgabe der Stifter, der Kirchengüter, fo weit ihre Macht reichte, 
und wer in diefen Stiftern, auf diefen Gütern wohnte, mußte au 
wandern, wenn er nicht wieder katholiſch werden wollte. (S. 364.) 


400 J. Benedey, 


In Wien betrieben die Jeſuiten die Uebertragung des Landes Mied- 
lenburg an Wallenftein, weil dieſe Webertragung „zum Nuten ber 
fatholifchen Religion gereiche, denn, wenn Wallenftein erjt wirklicher 
Reichsfürſt war, fo mußte auf ihn auch das landesherrlihe Refor⸗ 
mationsrecht kommen, und er durfte demgemäß Mecklenburg wieder 
katholiſch machen.“ (S. 400.) Als Klopp in Osnabrück die gewalt- 
ame Katholifirung, ſchon um feinen Helden Tilly in feinem beften 
Lichte erjcheinen zu laffen, fchildern muß, fagt er: „Prinz Wilhelm 
entwidelte dem Kaifer feinen Plan, vermöge des Reformationsrechts, 
des cujus regio ejus religio die Stadt wieder Tatholiic zu machen. 
Der Kaifer genehmigte dies.“ Und dann fett Klopp hinzu: „Dan 
fieht, es ift nicht eine beliebige Willtür des SKatholifirens; der Kaifer 
und Franz Wilhelm ftüßten fi) deswegen auf das pofitive Recht des 
Neligionsfriedend von Augsburg. Demgemäß ergingen die Befehle 
an Tilly.“ (S. 463.) 

Einen Augenblid dachte Defterreich daran, Dänemärk zu erobern, 
den Kaifer Ferdinand oder auch Wallenftein zum Könige von Däne⸗ 
mark erklären zu lajjen. Es ift immerhin nicht grade fehr gewagt, 
zu behaupten, daß, wenn dies gelungen wäre, die öfterreichifche Po- 
litit in Folge oder bejjer troß des Augsburger Religionsfriedene 
nicht angeftanden haben würde, ebenfo wie in Mecklenburg mit dem 
Srundjaß cujus regio ejus religio auch die Dänen in die Meſſe 
bineinzujäbeln. 

Die protejtantiichen Staatsmänner der Zeit, die protejtantifchen 
Helden des dreißigjährigen Krieges, Guſtav Adolf vor Allen find 
Urfache, daß der Jeſuiten Yüge, der Kampf gelte nidt 
der Religion, nicht zum Ziele, zu der gewaltfamen Unterdrüdung 
der proteftantifchen Religion in ganz Deutjchland und auf dem gan: 
zen europäifchen Feſtlande geführt hat. 


6. 


Was nun endlich Tilly, den Helden den Klopp fich gewählt, an- 
belangt, fo ift diefer vielfach in zu dunkeln Farben dargeftellt worden. 
Klopp ſucht ihn dann in einem ebenfo übertrieben hellen Lichte 
zu zeigen. Die Methode, in welder Kopp hierbei verfährt, ift 





Tilly und Guſtav Adolf nad) Onno Klopp. 401 


diefelbe, die er auch fonft überall anwendet. Jede abfichtliche und 
Hug berednete Aeußerung der Zeitgenoffen aus der Jefuitenſchule 
wird dabei ohne Kritik für baare Geſchichte genommen, jede in wohl» 
begründetem Schreden und ganz naturgemäßer Angft ausgeitoßene 
Verdammung gegen Tilly für abfichtliche und berechnete Lüge ausge: 
geben. Wo eine Stadt, eine Gemeinde von Tillyſchen Schaaren bes 
droht fid) an den Feldherrn zur Rettung vor feinen Söldnern wen» 
det, wo eine Regierung in der höchſten Gefahr die Großmuth und 
Gerechtigkeit Tilly, die Zucht und Ordnung feines Heeres zitternden. 
Herzens lobt, da legen diefe alle unumftößliches Zeugnig ab für die 
Milde, die Sroßmuth, die Menfchenliebe Tillys, für die Zucht, die 
in feinen Schaaren waltet. 

Es ift den Vorgängern Onno Klopps in der „Rettung“ Tilly's 
halbwegs gelungen zu beweilen,, daß dem Feldherrn der Liga perfün- 
lich Manches im Böfen zugefchrieben worden war, das mehr in den 
Berhältniffen und den Zufüllen des Krieges lag. Auch war es vor 
Klopp herausgeftellt, daß die geordneten Finanzen des Herzogs Mar 
von Bayern und die ftet8 gefüllten Opferftöde und Geldfädel der deut- 
fhen Kirchenfürften Tilly erlaubten mehr Zucht und Ordnung zu bal- 
ten, als dies bei den Kaiferlichen, den Spaniern und auch den Schaan» 
ren Mansfelds und Chriftians von Braunfchiweig der Fall war. Die 
maßlofe Art aber, wie Klopp Tilly „rettet“, ift oft nur geeignet, ung 
glauben zu machen, daß auch die Vorgänger Klopps in diefem Net: 
tungswerfe mitunter mehr gethan, als fie verantworten können. Schön⸗ 
malerei ift weit entfernt von hiftorifcher und Kunſtwahrheit. 

Klopp felbft fagt uns übrigens, worauf es Tilly ganz befonders 
abgefehen hatte. „Seine Aufgabe war eine ſchwierige. Er mußte die 
Meinung der Menſchen wandeln. Er mußte es dahin zu bringen 
ſuchen, daß der Däne in feinem wahren Lichte erkannt ward als der 
Unterdrüder, Tilly dagegen als der Befreier. Und zwar hatte Tilly 
dies zu erftreben auf allen Gebieten, nicht blos auf demjenigen des 
täglichen Yeben®, der Habe und des Eigenthums, fondern auch auf 
dem kirchlichen Gebiete. Es war Tillys Aufgabe den Beweis zu lie 
fern, daß nicht er die Religion unterbrüde, fondern der Däne. Er 
mußte es dahin zu bringen fucen , daß die urtheilefähigen Corpora⸗ 
tionen des Landes felbft das Zeugniß ansſprachen, nicht Tilly unter- 


402 J. Venedey, 


drücke die Religion, ſondern der Däne. Wenn Tilly dieſe Aufgabe 
löſte, ſo hatte er Hoffnung, das Trugbild des Religionskrieges zu 
vernichten. Mithin war dies ſein Streben.“ (S. 464.) 

Zu dem Ende war Tilly „tolerant“ gegen die Proteſtanten, ſtellte 
er Wachen vor ihre Kirchen, damit ihr Gottesdienſt nicht geſtört 
werde, hielt er auf Zucht in ſeinem Heere, gab er hier und dort 
ein paar Plünderer und Mörder dem Profoß anheim; dann konnten 
die ihm folgenden Jeſuiten ſechs Monate ſpäter, wenn ein „got- 
tesläfterlicher proteftantifcher Feldprediger“ die gefuchte Veranlaffung 
bot, alle proteftantifchen Prediger aus dem Lande treiben, alle pro⸗ 
teftantifchen Kirchen und Bethäufer ſchließen oder auch, wo es nöthig 
und thunlich, mit „etwas Pulver“ fprengen, und alle Broteftanten durch 
Einquartirung, Mighandlung, Mord, Brand und Plünderung zwingen, 
in die Meffe zu gehen, oder — auszumandern. Indem Tilly, fo viel 
an ihm lag „feine Aufgabe“ löfte und das „Trugbild des Neli- 
gionskrieges“ zerftören half, bahnte, ebnete er die Wege zur „Belch- 
rung“, zur gewaltfamen NRückatholifirung des Landes. 

Und deswegen hielt er oft, ja in der Regel, mehr auf Kriegszudht, 
als es fonft in diefer furdhtbaren Zeit gewöhnlich war. Aber Klopp 
geht in feiner Echönmalerei fo weit, daß er uns glauben machen 
möchte, die Wölfe feien mitunter frommer, als die Schaafe. „Waren 
denn hier Tilly's Schaaren friedlicher al8 die Bewohner des Hefien- 
landes ?“ fragt ſich gelegentlich Klopp, und beantwortet die Frage und 
fagt: „So in der That fcheint es.“ (S.217.) Ein andermal erzählt 
er ganz zutrauli: „Die Beamten aus Harzburg melden in März 
1626 dem Herzoge von Celle: der General Tilly hat die Vorfchläge 
über Kriegszucht, die wir ihm eingereicht, fchärfer gefaßt, als wir es 
wollten.“ (S. 301.) So gut meinte er es mit den Proteftanten, der 
gute Tilly, — möchte und Klopp gerne zwifchen den Zeilen leſen ma- 
hen. Der Beamte aber mußte hinzufegen: „Aber die Soldaten hans 
deln nicht darnach und die Offiziere fehen durd) die Finger.“ Kin 
anderer Beamter berichtet weiter: „Es mag dem General leid genug 
fein, und er läßt eruftliche Befehle an die Oberften ausgehen. Den 
noch thut das Alles bei denfelben nicht verfangen noch helfen. Sie 
berufen fi auf die Noth, den Mangel, das Ausbleiben des Soldes. 
Der General darf nichts Ernftliches gegen fie vornehmen, und es 





Tilly und Guſtav Adolf nach Onno Klopp. 408 


gewinmt das Anfehen, als ftede eine heimliche Meuterei dahinter.“ 
(S. 301. 302.) 

Die Methode Klopps wird am flarften bei den CEreignifjen in 
Hödjft, Juni 1622. Das Theatrum europaeum, nachdem es erzählt 
bat, wie die Beſatzung gezwungen wurde, fich zu ergeben, berichtet 
weiter: „Darauf ift ihnen zwar Quartier verfprocdhen und mit wei» 
Ben Stäben abzuziehen affordirt worden. Weil fie aber zuvor jo hef- 
tig dafelbft tyrannifirt und die armen Weiber und Kinder unfchuldig 
niedergehauen, auch einen alten Pfaffen caftrirt, hat Tilly auf Antrieb 
des Oberiten Eynatten fie alle niederhauen lafjen.* Das paßt nun 
nicht recht in das Bild, das Klopp fi von Tilly gemacht hat und 
Anderen machen möchte. Deswegen jagt er ohne viele Umftände, daß 
die Quelle, aus der jene Angabe genommen, „nicht mehr rein und 
lauter fließt”, und verweift dabei auf feinen Artikel in dem 1. Bande 
1. Heft ©. 128 der Münchener Forfchungen zur deutfchen Gefchichte, 
worin er darthut, daß das Theatrum europaeum über die Ereig- 
nijje nach der Belagerung von Münden — nidt von Höchſt — 
ein Aftenftüd mittheilt, den ein anderes al8 Unterlage gedient, wel 
ches Tillys Benehmen in einem mildern Lichte darftellt, als die Les⸗ 
art des Theatrum europaeum. Daraus folgert Onno Klopp, da 
der Sammler des Theatrum europaeum dieje dunflern Züge in das 
bellere Bild Tillys Hineingetragen, um die Wahrheit zu fälfchen; wäh—⸗ 
rend es ebenjo möglich ift, daß er ein Altenftüd, das Tillys Beneh⸗ 
nen bejchönigt, der Wahrheit näher gerüct hat. Alle Altenſtücke der 
Zeit tragen die Parteifarbe. Wie dem aber auch fei, Nichts be⸗ 
weilt, daß der Sammler des Theatrum europaeum felbjt die 
Aenderungen vorgenommen, und daß ihnen nicht ein „vermehrtes und 
verbefjertes“ oder, wenn man will „verfälfchtes“, Flugblatt der Zeit 
porgelegen; Nichts berechtigt zu dem Schluſſe, daß weil in diefem 
Altenftüde die zweite Lesart eine erjte verbeſſert oder verfälfcht, alle 
anderen Altenftüce des Sammelwertes, Theatrum europaeum, eben- 
falls „nicht rein und lauter“ find. 

Wenn die Sammler des Theatrum europaeum bier, wie Klopp 
glauben machen: möchte, zum Nachtheile Zillys den Mord der Be- 
ſatzung von Höchft binzugedichtet,, jo würden fie wahrlich dies nicht 
in einer Weife gethan haben, daß Tilly durch die Gräuel der Der 


404 “ J. Venedey, 


ſatzung zu der That faſt berechtigt erſcheint, ſo daß Klopp ſelbſt ſa⸗ 
gen darf, „es fei fraglich, ob der Berichterſtatter hier eine Anklage 
gegen Tilly erheben will." (S. 149.) Um aber die Anklage gegen 
dad Theatrum europaeum halb und halb aufrecht zu erhalten, um 
die Thatfache, die es berichtet, wegzumwifchen, führt dann Klopp fort 
und fagt: „Der Mansfelder Bericht meldet kurz: die Braunfchwei- 
ger in Höchft hätten fi auf Gnade und Ungnade ergeben“; wo— 
nad) alſo das Niedermeteln der Beſatzung nad) der Kapitulation ge⸗ 
rechtfertigter erfcheinen würde, nicht aber geläugnet wird. Klopp ſetzt 
noch hinzu: „Der Offizier aus Tillys Heer, der (in des Mansfel⸗ 
ders Nitterthaten S. 140) eine ausführliche ‘Darftellung diefes ganzen 
Zuges giebt, erwähnt der Sache gar nicht, fondern gedenkt nur der 
zum Himmel fteigenden Thaten der Banden Chriftians in Höchſt an 
Weibern, Kindern, Wahnfinnigen und Greiſen;“ was doc wahrlich 
nicht beweift, daß das Niedermeteln der gefangenen Beſatzung nicht 
ftattfand,, fondern daß hier, wie überall, der Parteimann verfchweigt, 
was feinen Parteigenoffen zu Laft fällt, und übertreibt, was feinen 
Parteigegnern nachgefagt werden kann. 

Oft aber übertreibt Klopp, wenigftens was das Weißwaſchen 
anbelangt, noch diefe Partei-Uebertreibungen ſelbſt. Auch davon noch 
ein Beifpiel. 

Bei der Eroberung von Minden ging e8 ungefähr fo zu, wie bei 
der von Höchſt. Klopp erzählt dies ſelbſt, aber in folgender Weife: 
„Nachdem die Stadt erftürmt war, näherten ſich die Faiferlichen Trup- 
pen den Thoren. Vor dem füdlichen Brückenthore ftand ein Gefchüg, 
bei welchem ein Bürger Conftabel war. Er hatte daffelbe mit Rad- 
nägel und ähnlichen ‘Dingen voll geladen. Al das Thor fich öffnete, 
als die Kaiferlichen einmarfchirten, feuerte der Bürger dies Geſchütz 
in den dichten Haufen. Das Jammergeſchrei der vielen Getroffenen 
verfündete die Wirkung. Alfo meldet ein Bericht. Ob der Berichter⸗ 
ftatter, der dann über die Wuth der kaiferlichen Soldaten klagt, auch 
wohl erwogen haben möchte, welche Wirkung das Abfeuern diefes Ge- 
ſchützes moraliſch haben mußte!“ (S.314.) Hätte er, wie Klopp, diefe 
„moraliſche“ Wirkung richtig erwogen, fo würde er ſich jeder lage 
ob des Hinmwürgens waffenlofer Bürger, rauen und Kinder enthal- 
ten umd die Gräuelthat, wie Klopp, mit dem Mantel der Liebe zu 





Tilly und Guſtav Wolf nad) Onno Klopp. 406 


Tilly bededit haben. „Dod) kam,“ fährt DO. Klopp zum Weberfluffe 
fort, „nach einigen Berichten noch ein befonderer Umftand hinzu. ‘Der 
Bulverthurm bei der Aegidientirdye fing Feuer und zeriprang gegen 
Tagesanbruch mit fchredlihem Krachen. Wer hatte das gethan? Der 
Bericht, der es uns erzählt, mißt die Schuld der Unvorfichtigfeit Tai- 
ferliher Soldaten bei. Es wäre nicht unglaublich,“ giebt Kopp 
zu, — „nit unglaublich“ iſt Ichön gewählt! — „aber“ fährt 
dann rafch Klopp in feiner Weißwaſcherei fort: „aber ebenfo nabe 
läge die Vermuthung, daß die Sieger darin eine That der Verzweif⸗ 
lung der Beſiegten geſehen“, und dann zu doppelter Menfchenfchläcy- 
terei fich berechtigt fühlen mußten, ift in dem Ideengange Klopps die 
logifche Folge diefer „Vermuthung.“ Denn dann führt Klopp in der 
Erzählung wieder fort und berichtet weiter: „ALS das fchredliche Kra- 
chen verhallte, ſah man nad) diefem Berichte Tilly und Fürſtenberg 
auf der langen Straße in Münden halten. Der Lebtere rief in lei- 
denfchaftlihem Zome: Haut die rebellifhen Hunde Alle 
nieder! Auch das würde nad) dem Vorhergebenden keineswegs un- 
wahrfcheinlich fein. Ob Zilly dagegen eingefchritten“ — wie er nad) 
den Bilde, das Klopp fid) von ihm macht und uns aufdringen möchte, 
doch billiger Weile hätte thun follen — „fagt der Bericht weiter nicht. 
Jedenfalls ift gewiß, dag nicht Alle niedergehauen find.“ 
Und diefe Nichtniedergehamenen trägt dann Onno Klopp im Geifte 
gewiljenhaft in das Bud der durch Tillys Großmuth und Meenjchen- 
liebe Geretteten ein. Nur Schade, daß Klopp am Ende doch hinzufegen 
muß: „Immerhin war das Blutvergießen groß genug. Auch Frauen, 
die den Soldaten entgegenliefen, um ihre Männer zu retten“ — fonft 
bätten die frommen Wölfe Tillys den armen Lämmern ficher kein 
Haar gefrümmt! — „fielen der Wuth zum Opfer. Es wird berichtet, 
daß die Zahl der Leichen in Allem 2260 gewefen ſei. Nun beftand 
die Beſatzung allein aus 800 Mann. Sie waren ſämmtlich gefallen, 
dazu 269 kaiſerliche Soldaten. Rechnen wir diefe ab, fo find 1200 
Bürger und Bauern umgelommen. Die Zahl ift noch immer groß 
genug. Doch“ — (©. 315.) 

Ja Klopp hat aud hier noch ein „doch“ für feinen Helden; 
und mit diefem Doch jagt er, daß „die Zahl von 1200 Leichen nicht 
Binreihe, um von einer Vernichtung der ganzen Bevölkerung 


406 I. Benedey, 


zu reden“, daß im folgenden Jahre noch ein Bürgermeifter von Mlün- 
den in der Landichaft Ealenberg gefeffen, und vier Jahre fpäter die 
Stadt mit dem Landgrafen von Helfen über das Stapelredht geftrit- 
ten. „Mithin beftand die Stadt fort.“ 

Und alfo? fragen wir. Iſt das Blutwerk nicht groß genug, um 
Tillys Name mit dem Schauer zu nennen, der ihm felbit nach der 
Rettung Klopps immerhin noch gebührt, wenn wir außer taufend an-= 
dern Blutfpuren im deutfchen Lande an Höchſt und Münden denken, 
und an Magdeburg, wo neben ihm Pappenheim die Rolle fpielen 
mußte, die in Hochſt Eynatten, in Münden Fürftenberg gefpielt hatten, 
als fie riefen: „Haut die rebellifhen Hunde Alle.nieder!“ 


T, 


Wenn ein Bertheidiger den Angellagten, defien Rechtfertigung er 
übernommen, zum Gegenftande einer überjchwenglichen Lobrede erhebt, 
fo wird er damit feinem Schuebefohlenen eher ſchaden als nilgen. 
Soll aber die Anklage ungerechter Weife auf Andere abgeladen, An- 
deren zugefchoben werden, fo empört das Gerechtigkeitsgefühl des un- 
parteiiichen Richters fich Hiergegen nur um fo mehr, je weniger es 
dem Panegyrifer gelingt, feinen Schügling von den auf ihn laftenden 
Thatfachen rein zu waſchen. 

Die „Rettung“ Tilly's, wie Onno Klopp diejelbe betreibt, ift 
jedes gefunde Urtheil und alle Gerechtigkeit verlegend von der erften 
bis zur legten Zeile; aber man könnte fie verzeihen, bei Seite liegen 
lafjen, wenn fie nicht in die abfichtliche Bejudelung und Verläumdung 
Guſtav Adolfs ausliefe. Guſtav Adolf ift in der Gefchichte eine der 
Ihönften Erfcheinungen, und wir freuen ung, daß es auch Onno 
Klopp nicht gelungen ift, dies Ehrfurcht gebietende Bild in den 
Staub herabzuziehen. 

Er felbft hat ja den „Prüfftein“ Hingeftellt, an dem ſich da8 Gold 
bewähren oder feine Haltlofigkeit zeigen muß. Folgen wir aud) bier 
Onno Klopp Schritt für Schritt auf der Bahn, in die er uns hin- 
einruft. „Die Zerftörung Magdeburgs,“ an welder die Ver- 
läumdung des Schweden gegen Tilly ihren Höhepunkt erreichte, ift 
der Prüfftein für diefelbee Es bleibt da keine Wahl. Der Eine 
bat es geihan oder der Andere. Und von diefem Punkte aus muß 





Tilly und Guſtav Adolf nad Onno Klopp. 407 


das Ganze Har werden, von diefem Punkte aus muß man fich ent- 
ſcheiden: entweder für Tilly oder für Guſtav Wolf. Ein drittes in 
diefer Trage giebt es nicht.“ 

So fließt Onno Klopp fein Werk über Tilly. An den That- 
faden, die Omo Klopp felbft anführt, wird ſich auch hier die 
Unhaltbarkeit der Schlüffe, die er daraus zieht, von felbft heraus⸗ 
ftellen ; es wird fich zeigen, wo die Verleumdung hauſt, wenn fie auf 
die Thatfachen, die über die Zerjtörung von Magdeburg auf die 
Nachwelt gelommen find, gefußt, Tilly von alle Schuld an diefer 
Zerjtörung freifprechen zu dürfen wähnt, und dagegen Guſtav Wdolf, 
„diefen Barbar des Nordens“, der nach einer andern Stelle in Klopps 
Wert (II. S. 389) „in geiftiger und körperlicher Beziehung vor 
allen Männern hervorragte“ zum „Taltblütigen, faft übermenfch- 
lich treulofen Mörder und Vernichter von Magdeburg“ zu ftempeln 
fucht. Auch wir fagen, wie Onno Klopp: „Nicht Mitleid, nicht Nach⸗ 
fiht fordert von uns der zürnende Schatten. Man könnte e8 ihm ver- 
weigern. Er fordert fein Recht. Es muß ihm werden.“ 

Wir fchildern die Eroberung Magdeburgs mit den von Onno 
Klopp felbft angeführten Thatfahen, inden wir dieſe, 
und nur diefe, einfach und ohne alle Zuthat perfünlicher Bemer⸗ 
kungen binftellen. 

8. 

Magdeburg Hatte fi durch die Vertheidigung der Reforma⸗ 
tion gegen die Beftrebungen Kaiſer Karls V. den Namen der „Ranzlei 
Gottes" und zugleich den Ruhm gewonnen, den Siegeslauf des Kai⸗ 
ſers gegen die Reformation aufgehalten zu haben. In Folge deifen 
war das Erzbistfum Magdeburg nicht nur in der Mehrzahl feiner 
Bewohner, fondern aud das Stift felbft proteftantifch geworden. Die 
Domberren wählten Proteftanten zu Adminiftratoren des Erzbisthums, 
und insbefondere 1608 den Markgrafen Ehriftian Wilhelm von Bran- 
denburg, al8 Nachfolger feines Waters des Kurfürften Joachim Fried» 
rich, der das Erzftift bis zu feinem Tode verwaltet hatte. 

Während des erften Theiles des dreißigjährigen Krieges, wäh- 
rend der Kämpfe in Böhmen und der Pfalz blieben fowohl der Rath 
der Stadt Magdeburg als der Adminiftrator des Stiftes, Chriftian 


Wilhelm von Brandenburg, neutral. Nachdem aber De und 
Hißerlige Zeuſqcin VIL Bene. 


408 3. Benebey, 


die Tatholifche Liga in Böhmen gefiegt hatten, verweigerte Kaifer 
Ferdinand dem Adminiftrator die Betätigung und trieb diefen fo aus 
feiner Neutralität heraus, naturgemäß in das Lager der Gegner bes 
Kaifers und feiner Beſtrebungen hinein, was dann dem Kaifer Ferdi⸗ 
nand bald aud) Gelegenheit gab, ihn in die Acht zu thun. 

Der Rath der Stadt ließ ſich auch dadurd nicht aus ferner 
Stellung verdrängen; er blieb vor wie nach neutral, oder, wenn 
man will, dem Saifer treu, indem er den Beftrebungen der Gegner 
deifelben, an deren Spite damals der König Ehriftian IV. von Dä- 
nemark ftand, jede Unterftütung verfagte, 

Das aber verhinderte nicht, daß Wallenftein im October 1625 
das Erzitift Magdeburg im Namen des Kaifers mit feinen Schaaren 
überzog. „Mit dem Tage feines Einzuges begann für das reiche und 
fruchtbare Land die lange Kette namenlofer Leiden. Wallenftein war 
nicht feindlich gefommen. Welchen Grund aud) hätte er dazu gehabt, 
wo das Land dem Kaiſer treu ergeben war? Wallenftein bat über⸗ 
haupt mit Ausnahme von Jütland während feines erften Generalats 
fein Land betreten, das er nicht als Taijerlich getreu und deutſch be= 
funden hätte. Das indeffen war kein Hemmniß feiner Habgier. Es ift 
ein fchauerliches Bild, welches uns der Mlagiftrat von Magdeburg 
1629 von der ungezügelten Gier der Wallenfteinjchen Offiziere und 
ihrer Schaaren entwirft. Die unglüdlidden Bürger und Bauern Dies 
fes Landes arbeiteten fortan nicht mehr für fich ſelbſt. Sie bauten 
die Aecker nicht mehr für ihre Familien, ihre Weiber, ihre Kin⸗ 
der, fondern für die Eontributionen. Es war das entjeßlichite Wort, 
welches den Wohljtand des Landes zerfraß, die Dörfer, die Städte 
entoölkerte, die Menſchen zum Selbjtmorde oder hinaus in das Bett 
lerelend trieb. Nicht die Früchte de8 Baumes wurden gepflückt, fon- 
dern der Baum ward umgehauen um feiner Früchte willen, und häu⸗ 
fig noch die Wurzeln dazu umgewühlt, daß ihnen auch die Kraft des 
Wiederausfchlagensd verging. Wie Woallenftein die Obrigkeiten größe 
rer Städte einfperrte bei Waffer und Brod, ihnen perfünlic) mene 
Gelditrafen zudictirte, wenn fie beim Kaifer un Nachlaß der unge 
heueren Forderungen baten; fo verfuhr jeder Offizier in feinem Kreiſe 
im Kleinen. Schon anderthalb Jahr nad) dem Einrüden Wallenfteins 
in das Erzitift fand man zu Neuhaldenslchen die Hälfte der Käufer 





Tilly und Guſtan Adolf nah Onno Klopp. 409 


leer und verlafien. Unter foldhen Umftänden war an Handel und 
Bertehr kaum zu denken.“ (II. ©. 185.) „Wallenjteins Offiziere 
trieben Handel, wie er felbjt. Sie kauften die Wolle auf, und ver- 
fandten fie. Ste ließen Bier brauen und verfchidten ed. Wallenſtein 
wußte genau die Marktpreife, wo das Korn am höchiten zu verwer- 
then war. Nach folden Orten ließ er durch feine Oberften das Ge⸗ 
treide in großen Quantitäten fenden. Es liegt nahe, daß ein Feld⸗ 
herr, der an der Spike feiner Truppen Handelsgeſchäfte treibt, nicht 
blos den Vorwurf einer ungeziemenden Gewinnſucht auf fid) ladet, 
fondern auch, den Verdacht erwedt, ob die Art und Weile, wie er in 
den Befit des zu verlaufenden Getreides gelonmen, immer und überall 
auf dem freien Vertrage des Käufers beruht.“ (II. S. 1%.) 

Trotz alledem blieb der Magiſtrat der Stadt Magdeburg feft 
in feiner Treue an Kaifer und Reid), neutral gegenüber den Für⸗ 
Iten des fächfifchen SKreifes und dem Könige von Dünemarl. Diele 
traten gegen die Bortichritte des Kaifers und der Liga in die Schran- 
ten. In Folge des Sieges der Liga und des Kaiferd in Böhmen 
und der Pfalz, in Zolge der Uebertragung der proteftantiichen Kur: 
ftimme von der Pfalz auf das katholiſche Bayern, in Folge der Ents 
waffnung, die von der proteftantifchen Union ertroßt wurde, während 
bie Kiga und der Kaiſer ihre Hecre vermehrten, glaubten fie ihre Stel⸗ 
fung als proteftantifche Stände des Reiches bedroht, und vereinigten ſich 
und waffneten zur gemeinfamen Vertheidigung. Johann Ernft, Her- 
308 von Weimar und der Adminiftrator Chriftian Wilhelm von Mag⸗ 
deburg an der Spige einer Heeresabtheilung der fächfifch » dänifchen 
Söldner forderten Magdeburg vergebens auf, ſich anzufchließen und 
fie in die Stadt einzulaffen; fie mußten fi) mit einem Faß Wein, 
das der Magiftrat ihnen vor das Thor fchickte, begnügen. Der Ma- 
giftrat fah zu, daß Chriftian Wilhelm , nachdem ihn der Kaifer in 
die Acht erklärt, vom Domſtift als Adininiftrator entjegt und Auguft, 
Sohn des Kurfürften von Sachſen, an feiner Statt gewählt wurde. 
Und als der Befehlshaber der jtädtifchen Truppen, Oberftlieutenant 
Scneidewind angeflagt wurde, im Sommer 1626 „thätigen An 
theil an dem Blane gehabt zu haben, dänifche Truppen in die 
Stadt einzulafien“ (IL S. 187), wurde biefer auf Andringen des 
kaiſerlichen Oberſten Aldringer erſt auf dem Rathhauſe nnd fpüter 


410 J. Venedey, 


in einem Wirthshauſe der Stadt, zur goldenen Krone genannt, in 
Haft gehalten. 

„Die blühenden Vorſtädte Sudenburg und Neuſtadt, die unter 
der Gerichtsbarkeit des Erzbiſchofes und Adminiſtrators ſtanden, wa⸗ 
ren der Altſtadt Magdeburg längſt ein Dorn im Auge. Der Rath 
hatte ſchon 1625 beim erſten Einrücken Wallenſteins in das Stift 
über den Abbruch derſelben unterhandelt. Er hatte mehr gethan, er 
hatte fofort die Hand ans Werk gelegt. Im erften Anlaufe wurden 
66 Häufer zeritört. 1627 fand man dafür eine noch beffere Form. 
Wallenjtein geftattete dem Rath, die Feftungswerfe der Stadt um 
1000 Schritte hinaus zu legen, und Alles, was dabei im Wege fet, 
zu zerſtören. Magdeburg follte ihm dafür 133,000 Thaler bezah⸗ 
Im. Es wurden niedergeriffen das Nathhaus der Neuftadt, eine 
Reihe anderer Gebäude und 500 Wohnhäufer. Der Rath fchrieb zur 
Abtragung der Summe an Wallenftein den zehnten Pfenning ans. 
Die Bürgerfhaft bewieß ſich fäumig und ungehorſam; fie wollte 
diefen verhaßten Wallenfteinern Nichts zahlen. Statt der Hälfte kam 
beim erften Termin nur etwa der achte Theil des Geldes ein. Die 
Wallenſteinſchen Heerführer drohten. Das wirkte etwas, aber noch 
lange zog fich diefe Abzahlung Hin.“ (II. S. 188. 189.) — Unmit- 
telbar nachher „Schon im Laufe des Jahres 1628 wurden einige Klo⸗ 
fter im Erzftift Magdeburg wieder mit Möndyen und Nonnen befekt, 
während gleichzeitig Kornpachten, Zehnten und Zinfen aus der Um⸗ 
gegend von Magdeburg ausblieben. Dies traf namentlidy die (protes 
ftantifhen) Kirchen, die Schulen, die Geiftlihen in Magdeburg. Etwa 
erledigte Stellen konnten nicht wieder befett werden.“ (II. ©. 189.) 

Jetzt endlich forderte MWallenftein, im Sanuar 1629, daß bie 
Stadt ein Wallenfteinfches Regiment ale Befakung aufnehmen folle. 
Was er damit beabfichtigte, ift nicht zweifelhaft, denn „in denjelben 
Zagen, als er der Stadt diefe Zumuthung machte, meldete er dem 
Kaijer fein Gutachten: das bejte Verfahren in Betreff der Stifter 
Magdeburg und Halberftadt fei, nad) dem Rechte des Krieges fie zu 
ergreifen, zu behalten und dem Erzherzoge Leopold (dem Sohne des 
Kaifers), zu übertragen.“ (II. S. 1%.) Die Belegung der Stadt 
durch ein Wallenfteiniches Negiment aber wagte felbft der Rath, der 
bisher mit dem kaiſerlichen Feldherrn ſtets einverftanden war, nicht 





Tilly und Guſtav Abolf nah Onno Klopp. 411 


zuzugeftehen. Dagegen verfuchte er Wallenftein durch eine Geld« 
finnme zu beruhigen. Wallenſteins Handlanger, Aldringer, forberte 
100,000, dann 50,000 Rthlr.; der Rath bot nur 10,000, „Das 
war zu wenig.“ 

So wurde die Blokade der Stadt, die nad) der Weigerung, kai⸗ 
ſerliche Befatung einzunehmen, begonnen hatte, verſchärft. „Die Ges 
duld des mißhandelten Volles riß. Am 8. und 9. Mai ftürmten 
Haufen vom Bolt bei Zaufenden zu Roß und Fuß aus der Stadt 
hervor. Mit dem Gefchrei: „„Schlagt die kaiferlichen Schelme todt,““ 
warfen fie ſich auf einige Haufen derfelben und erlegten fie. Der 
Rath felbft war in Lebensgefahr. Er ſchickte am andern Tage zu 
dem Oberften Becker hinaus und bat um Entjchuldigung: er habe 
es nicht hindern können!” (II. ©. 191.) Wallenftein aber fchrieb 
an feinen Genoſſen Colalto: „Der Aufftand erfreut mid) von Hers 
zen, denn nun babe ich eine rechtmäßige Urſache, fie zu blofiren.“ 
„Richt blos Magdeburg foll getroffen werden, fondern der ganze 
Hanfebund. Sie find des Reiches Holländer — fagt Wallenftein.“ 
(II. ©. 191.) 

Die verfchärfte Blofade machte das Bolt in Magdeburg nur 
ungeduldiger. „Der Aufftand, den Wallenftein durd) feine Blokade 
berausgefordert,, brach wiederholt wild hervor. ‘Der Pöbel warf ſich 
auf die reftituirten Klöfter in der Stadt, U. 2. Frauen und Et. 
Agneten. Mit Mühe jchüßte der Rath die Bewohner." Wallenftein 
aber konnte fünf Tage fpäter berichten: „Die Magdeburger Friechen 
zu Kreuz, fchieben das begangene Bubenſtück auf den Pöbel. Wir 
aber wollen uns des Orts verfihern, auf daß es nicht mehr ges 
ſchieht.“ (IL. S. 192.) Der Kaifer feinerfeits erließ am 28. Juni „ein 
fharfes Schreiben an die Stadt, denn die Schritte derfelben deuten 
auf offene Rebellion, Aufruhr und Meuterei. Diefe Vorwürfe trafen 
weniger den Rath, dem der Kaifer fogar Rob zuſprach wegen dee 
Schutzes der Klöſter. Die Antwort ded Rathes feinerjeitd war wies 
der fo gehalten, daß der Oberſt Beder ſich damit zufrieden erklärte, 
und meinte: in Folge deſſen werde der Saifer fofort die Blokade auf⸗ 
heben laſſen. Thatſächlich aber verjagte er dem Boten, der die Ant- 
wort nad) Wien bringen follte, den hierzu nöthigen Paß.“ (II. S.192.) 

Aus ben angeführten Ereigniſſen geht hervor : daß ſich Rath, und 


418 _ Ä I. Benedey, 


Bürgerfchaft nach verfähtebenen Seiten hinnelgten ; der Rath Tatferlich 
„dachte und handelte, neutral zu fein vorgab, ınit Wallenftein die 
reichen volksthümlichen Neuftädte zerftörte, dafiir Wallenftein bezahlte; 
die Katholifchen Klöfter wieder hertellte, die proteftantifchen Schulen, 
Kirchen und Prieſter vernadjläffigte, die erledigten Stellen nicht wie 
der befette.“ Der Rath beitand in Magdeburg wie in den meiften 
Städten des Hanfebundes aus einer Patricierariftofratie , deren An- 
gehörige wie in diefer Zeit überhaupt „die Angehörigen der beffer 
geftellten Lebensftände fehr häufig untirchli waren.“ (II. ©. 188.) 
Ueberdies „darf man keineswegs geneigt fein, dem Magiftrate von 
Magdeburg, den angefehenften Familien, die dort an der Spige bes 
bürgerlichen Gemeinwejens ftanden, eine hohe fittlide Haltung zuzu⸗ 
fpreden.“ (II. ©.183.) Sie hatten durd) das „Sipper- und Wip- 
perweien“, d. h. durch gefegliche Falſchmünzerei e8 1622 dahin ge 
bracht, „daß ein Thaler vollwichtigen Geldes gleich zehn Thaler des 
geprägten Kleingeldes ftand.“ „Diele deutiche Obrigkeiten betheiligten 
fi) an dem ehrlofen Gewinn. Daher entjtand eine Reihe von Volks⸗ 
tumulten. In Magdeburg führte die Erbitterung des Volkes zum 
bewaffneten Aufftande, zu Kampf und Blutvergießen. Die Sache ward 
beigelegt ; aber das Mißtrauen der untern Stände gegen den Rath 
blieb.“ (II. ©. 183.) 

Dies Benchmen des Raths den Beftrebungen der Liga und Kai⸗ 
fer Ferdinands gegenüber, bie Neutralität, die zum Nachtheile ber 
proteftantifchen Kirche in Diagdeburg führte, weil fie ſtets zu allen 
Zugejtändniffen gegen Wallenftein bereit war, hatte die Bürgerfchaft 
dem Rathe fo entfremdet, daß endlich felbjt der Bund der Hanfa, 
der fonft ſtets auf Seite der ariftofratifchen PBatriciermagiftrate ftand, 
fi) gezwungen ſah, der Bürgerfchaft gegen den Rath beizuftehen. Am 
10/20. Juli 1629 traf eine Gefandtihaft der Hanfejtädte in Mag—⸗ 
deburg ein. Diefelbe bewog den Rath zur Gewährung einer Wahl 
von achtzehn Vertretern der Bürgerfchaft nach den achtzehn Vierten, 
bie während der Dauer der Belagerung im Namen der Bürgerfchaft 
an den Berathungen des Magiftrats Theil nehmen follten und den 
Namen Plenipotenzer führten. 

Mit diefer Reform, die gegen Ende Auguft 1629 durchgeführt 
war, jchwand wohl die letzte Hoffnung für Wallenftein, die ſtark bes 





Tilly und Guſtav Adolf nad Onno Klopp. 418 


feftigte und jetzt auch wohlbewachte Stadt mit Gewalt wegzunehmen. 
Einer der Rathsherren Dlagdeburgs, der im kaiſerlichen Hauptquartier 
weilte, Johann Alemann, erbot fi) zur Unterhandlung. „Dem Rath 
war es willkommen, die Bürgerfchaft widerfeßte ſich zuerſt der Ab» 
reife der Deputirten.“ Zuletzt gejtattete fie dennody die Unterhandluns 
gen, die dann gegen Ende September zu Halberftadt, wo Wallenftein 
weilte, nachdem die Stadt 10,050 XThlr. als Erfag für weggenom⸗ 
mene Getreidefchiffe dem geldgierigen Feldherrn zugeitanden hatte, 
zum Frieden führten. Die Sperre ward geöffnet. Der freie Ver⸗ 
kehr ward hergeſtellt. Es waren auf Seiten der DBelagerer 2000, 
auf Seiten der Bürger 136 Dann umgelommen. (II. ©. 195.) 
Trog des Friedens „durfte der Magiftrat nicht wagen die 
Plenipotenzer, welche nur für die Zeit der Belagerung gewählt 
waren, wieder abzufchaffen.“ (II. 196.) Der innere Zwieſpalt zwi- 
fhen Rath und Gemeinde beftand vor wie nad. „Noch vor Ende 
des Jahres 1629 übertrug das Directorium der Hanfa den Städten 
Lübed, Hamburg, Bremen, Braunfchweig und Hildesheim die Auß- 
gleihung der innern Zwiftigfeiten zu Magdeburg." Dieſe hanfis 
ſchen Deputirten follten nad) ihren Inſtructionen „den bisheri⸗ 
gen Rath über die Klagen gegen ihn vernehmen, die SKlagenden 
zum Frieden ermahnen, der Obrigkeit Beiftand leiften, wie es 
das Bündniß der Hanfa erfordere.“ (IL. 197.) In Magdeburg aber 
kamen die Deputirten zu dem Entſchluſſe: „den Volkswillen nadyzugeben, 
die Stadtverfaffung zu verändern, einen neuen Rath wählen zu 
laſſen mit befchränfter Zahl der Mitglieder.“ (IL. 197.) Zuerjt wurde 
gemäß der neuen Verfaſſung aus jedem der achtzehn Bezirke der 
Stadt je ein Körherr erwählt. Diefe achtzehn follten den Rath kören. 
Gr follte aus vier und zwanzig Perfonen beftehen und lebenslänglid) 
fein. Nur zwei Mitglieder des alten Raths wurden wieder gewählt. 
Der alte Rath hatte gegen das ganze Verfahren protejtirt, und 
der abgehende Bürgermeifter Dauth erklärte offen: „die Gewählten 
halte ich für nicht tüchtig. Es find hier graue Häupter von Verdienſt 
um die Stadt übergangen ; dagegen hat man junge Leute gewählt, 
ohne Erfahrung, einander verfchwägert. ‘Dadurch wird der alte Rath 
im ganzen Neiche wider den Beichluß der Hanfa zu Lübed, wider 
die Bufage ber Abgeordneten beichimpft und in Unglück gebracht.“ 


414 J. Venedey, 


(II. 197. 198. 199.) Die hanſiſchen Abgeordneten aber vollzogen 
die Reform trog des Widerfpruches, „legten dem neuen Rath einen 
fehr ſchweren Eid vor, den Einer nad) dem Andern kuieend Leiften 
mußte. Der Lübeder Syndikus ermahnte fie zum Brieden unb zur 
Einigfeit.“ 

Das war das Enbergebnig der Belagerung Magdeburgs durch 
Wallenſtein. 

9. 

Ehe wir zur Belagerung Magdeburgs durch Tilly ſchreiten, wollen 
wir hier einen kleinen Halt machen, um zu ſehen, welche Stellung 
Onno Klopp zu dieſen von ihm geſchilderten Thatſachen nimmt. Es 
geht aus denſelben Mar wie das Tageslicht hervor, daß der Rath 
bas volle Mißtrauen der Gemeinde verdient hatte, und daß bie han- 
fiihen Abgeorbneten Recht thaten, wenn fie in Magdeburg nad Ein- 
fiht der Lage der Dinge der Gemeinde halfen, den alten Rath zu 
bejeitigen. Die Anhänger des alten Raths ſuchten dann natürlich, 
wie dies in ähnlichen Fällen ſtets gejchieht, diefe ganze Reform als 
ein Ergebniß der Ränfe von ein paar Ehrgeizigen, der rohen Herrſch⸗ 
ſucht des Pöbels darzuftellen. 

Onno Klopp, ber durd die obigen Thatfadhen die Gemeinde in 
ihrem Benehmen gegen den Rath rechtfertigt, macht in feinen perſön⸗ 
lihen Bemerkungen und Schlüſſen Kehrt gegen feine eigne thatfädhliche 
Schilderung; er ftellt fi) auf die Seite des Raths und feiner Ver⸗ 
theidiger, auf die Seite der Ankläger und giftigen Verläumder der . 
Gemeinde. Das ift nun fo feine Art und Geſchmacksſache; — wir 
dürfen ihm deswegen nidyt gar zu böfe fein, da er wenigften® die 
Thatfachen nicht fälfcht, fondern nur den vergeblichen Verſuch macht, 
fie mit feinen perfünlichen Anfichten zu deden, zu übertünchen, in ein 
falſches Licht zu ftellen. 

So iſt denn nad feiner Anficht nicht das Unrecht des Raths, 
der in einer kirchlich eifrigen Bürgerfchaft unkirchlich ift, der falfches 
Geld jchlägt, reiche Vorftädte niederbrennt, die Wiederherftellung der 
Mönds- und Nonnenklöfter geftattet, und dagegen die proteftantifchen 
Kirchen und Schulen zu Grunde gehen läßt, der die Stadt an Wallen- 
ftein verlauft, und auf dem Punkte fteht, „zu Kreuz zu kriechen“ d. h. 
fie ihm zu Überliefern, die Urſache, daß die Bürgerfchaft feiner über 





Tilly und Guſtav Adolf nad Onno Klopp. 415 


drüffig wird. Daran find die „Dingebankbrüder" und die proteftan- 
tifchen Geiftlihen allein Schuld. Diefe Dingebankbrüder waren nad 
der Schilderung der Treunde des alten Rathes, denen fih Onno 
Klopp anjchließt, „eine fonderliche Gefellfchaft, die zu einem Wein- 
und Bierhaufe aus- und zum andern einzugehen pflegte. Dort trug 
man zufammen, was in den Angelegenheiten der Stadt ımd des Ra⸗ 
thes vorfiel, befrittelte und tadelte es, deutete Alles zum Aergſten aus, 
und brachte es aljo unter die Bürgerjchaft. Die Mitglieder diefer 
Geſellſchaft ſelbſt befliffen fi) der Pracht und der Hoffarth, des Sau⸗ 
fens, Spielens und Schamdirened. Ihr Hauptquartier war in der 
Natheichente der Vorftadt Sudenburg, Dingebant genannt, und daher 
hieß der gemeine Mann diefe Gefellichaft die Brüder von der Dinges 
bank.“ (IL. ©. 187.) Diefe waren nun an Allem Schuld; ziemlich 
fiher aber auch daran mit Schuld, daß der Rath Wallenjtein fir 
133,000 Rthlr. das Hecht oder beifer das ſchauerliche und himmel⸗ 
fchretende Unrecht ablaufte, die Vorſtädte niederzureigen. 

Doch Onno Klopp, in blindem Barteihaffe die Parteiverläum; 
dungen der Zeit gegen die Thatſachen, die er felbit anführen muß, 
aufrechthaltend und überbietend behauptet, daß die eifrigen proteitan- 
tiſchen Geiftlidien, der Dr. theol. ®ilbert, Kramer, Kobebue und 
Andere fi diefn Sauf- und Schandbrüdern angefchloffen und mit 
ihnen zufammen aus Herrſch⸗ und Habſucht den alten Rath befümpft 
und zu befeitigen gejucht hätten. Es ift nicht nöthig, weiter die Ver⸗ 
kehrtheit eines ſolchen Standpunktes zu beweilen. Die Thatſachen, 
die Onno Klopp jelbft anführen muß, befunden Kar wie der Tag, 
dap er bei der Würdigung derjelben mit Blindheit, der Blindheit 
einer volllommen verrannten Leidenichaft und Parteigehäffigfeit, ges 
ſchlagen ift. 

10. 

Es lag in der Natur der Dinge, daß, nachdem Wallenftein ab- 
getwiefen und der alte Rath durch einen volksthümlicheren erjeßt war, 
der Adminiftrator Chriftian Wilhelm verfuchte, wieder zu feiner Stel⸗ 
lung in Magdeburg zu gelangen. Aber auch der neue Rath war 
„confervatio" gefinnt, (IL. 203) und fo lehnte er jede Theilnahme 
an den Beſtrebungen der Freunde des Adminiftrators ab; indem er 
beſchloß die Sache der Haufe vorzulegen, wußten die Freunde bes 


416 J. Benedeh, 


Adminiſtrators zum Voraus, daß ſie hier nicht viel zu hoffen hatten, 
und ſo ſtanden ſie ſelbſt ab von der Betreibung der Rückberufung 
des Adminiſtrators bei der Hanſa. 

Unterdeß aber war auch das Reftitutionsedict im März 
1629 erſchienen. Vierzehn norddeutjche protejtantifche Erzbisthümer, 
Bisthümer und zahllofe Stifter, Klöfter und Kirchengüter wurden 
durch dafjelbe der Fatholifchen Geiftlichkeit wieder zugefprodhen. Indem 
Kaiſer Ferdinand ſich mit diefem Reſtitutionsedict fcheinbar auf den 
„Rechtsboden“ des Religionsfriedens von 1555 und des Paflauer 
Vertrages von 1552 ftellte, fuchte er thatſächlich die Fortfchritte, 
weldhe der Protejtantismus während achtzig Jahren gemacht Hatte, 
mit einem Scjlage ungefchehen zu machen. Durch das Reſtitutions⸗ 
edit, das Kaifer Ferdinand ohne Reichstag und Reichsgericht auf 
eigne Fauft erließ, wurde ein Drittheil des proteftantifc gewordenen 
Deutichlands wieder in die Hand der katholiſchen Geiftlichteit gegeben, 
die dann nad) dem „Rechtsboden“ defjelben Religionsfriedens von 
1555 durd den Grundſatz cujus regio ejus religio Millionen 
von Proteftanten wieder zum Satholicismus „gefetlih“ zu zwingen 
berechtigt war. Nichts deſto weniger war nad) Onno Flopp der 
Krieg, der endlich) zu diefem Neftitutionsedict geführt hatte, „Lein 
Religionstrieg.“ 

„Magdeburg gehörte zu dem Bezirke, den ber Kaifer dem Bifchof 
Franz Wilhelm von Osnabrüd und den Gehülfen deffelben zur Re⸗ 
ftitution überwies. Wir finden die Commiſſion, die ſich einige rechts⸗ 
gelehrte Mitglieder beigeordnet, am 23. November 1629 in Halber⸗ 
ftadt in Berathung über Magdeburg. Woallenftein hatte von jeg- 
lichem Verſuche (gegen Magdeburg) abgemahnt. Der Grund liegt 
nahe. Wenn ein energifcher Widerftand erfolgte, jo wäre Wallen- 
ftein die Aufgabe zugefallen, denfelben zu bredjen. Seine jüngfte Er- 
fahrung mahnte ihn, daß dies fchwierig ſei.“ Die Commiljare be- 
dachten, „daß die Stadt ſich bereit8 einen Namen gemacht, und fich 
nicht ſchrecken laſſe.“ (IL. 206.) 

„Man ficht, Magdeburg hatte Nichts zu befürdten“ 
verfichert hier Onno Klopp (II. 206) und fährt dann grade ſechs 
Linien weiter unten auf derfelben Seite fort und erzählt: „Vier 
Monate nach jener Berathung der Commiffion in Halberitadt, im 





Tilly nnd Guſtav Adolf nah Onno Klopp. 417 


April 1630, ſchickte der Kaifer zwei Bevollmädhtigte in das Erzſtift, 
um dort die Huldigung für feinen Sohn Leopold Wilhelm — den⸗ 
felben, von dem Wallenftein ſprach, als er feinen Kaifer rieth, das 
Erzftift ohme Umſtände als Kriegsbeute wegzimehmen und feinem 
Sohne zu übergeben, und ben feither der Kaifer, nachdem er die 
Wahl des fächfifchen Prinzen Auguft für nichtig erklärt, zum Ad« 
miniftrator des Stift ernannt hatte — „in Empfang nehmen zu laffen 
Es waren der Freiherr von Metternich als Adminiftrator von Hals 
berftadt und der Reichshofrath Hämmerle. Auch der Rath von Mag- 
deburg ward vorgeladen. Er fchidte zwei Deputirte. Die Taiferlichen 
Commifjare ſprachen denfelben die Erwartung aus, daß der Rath 
von Magbeburg die Latholifchen Domherren bei der Befignahme ihrer 
Curien unterftügen und gegen den Böbel in Schu nehmen werde. 
Der Rath wid) aus. Der Reichshofrath Hämmerle aber ließ heim⸗ 
lid) in der Naht vom 6. Yuli an die Thüren des Doms und 
der Eurien ein offene® Mandat anfcylagen, welches den proteftanti- 
ſchen Domherren auferlegte, binnen acht Tagen ihre Pfründen abzu⸗ 
treten und alle Documente und Urkunden in die Hände des Probftes 
zum Kloſter U. 2. Frauen in Magdeburg abzuliefern.“ (II. 206.) 
Nun wußten die Proteftanten in Magdeburg und dem ganzen 
Erzbistum, „was fie zu befürchten hatten,“ d. h. die Herausgabe 
des Stifts an einen Tatholifchen Erzbifchof und, ſobald als thunlich, 
Zwangtatholifirumg nad) dem Grundfage cujus regio ejus religio. 


11. 


Faſt gleichzeitig landete Guſtav Adolf in Pommern. 

Es lag in der Ratur der Dinge, daß Chriſtian Wilhelm fid) 
Guſtav Adolf anſchloß und dann in Magdeburg eine beffere Aufnahme 
al® vorher zu erwarten hatte Wirklich ging er drei Wochen nad) 
jenem Anfchlage Hämmerle’8 perſönlich dorthin, wo es ihm und feinen 
Freunden, auf die eifrig proteftantifche und Guſtav Adolf freundlich 
gefinnte Bürgerfchaft (IL 211.212) geftüßt, endlich gelang, aud) den 
„confervativ" — wie Onno Klopp fid) ausdrüdt, — d. 5. nicht zu 
gewagten Schritten geneigten, dem Kaijer und feinen Beftrebungen 
kaum feindlich gejinnten Rath zu veranlaffen, mit Guſtav Adolf und 
auch mit Chriftian Wilhelm ein Bündniß einzugehen. Guftan Abolf 


* 


418 3. Venedey, 


verfprad) in dem Bertrage, den er mit Magdeburg ſchloß, die Stadt; 
„wenn fie feinetwegen angegriffen werde, auf feine Koften zu fchüten 
und in feiner Noth zu verlaffen;“ die Stadt dagegen „verpflichtete 
fi) dem Könige, feine Offiziere und Beamte in ihre Mauern aufzu⸗ 
nehmen, nicht fein Heer. Dieſes foll aufs Land verlegt werben, oder 
ein Feldlager beziehen. Nur 500 Mann will die Stadt einnehmen, 
doch müſſen fie auf Koften des Könige und des Markgrafen⸗Admini⸗ 
ſtrators verpflegt werden.“ (II. 215.) Guſtav Adolf aber war vor⸗ 
erjt nicht in der Lage, der Stadt aud nur fo viel Truppen zu fenden, 
und mußte ſich darauf beſchränken, ihr in feinem Oberften Faltenberg, 
einem geborenen Heilen, wenigſtens einen kriegserfahrenen, Eugen und 
tapfern Führer zu fenden. Ende November 1630 traf diefer im 
Magdeburg ein. Am 14. September war aud der Vertrag zwi⸗ 
fhen dem Adminiftrator und der Stadt auf gegenfeitige Unter⸗ 
ſtützung abgefchloffen. An demfelben Tage hatte der Kaifer eine Ab⸗ 
mahnung an die Stadt erlaffen, „fih des Markgrafen nidyt mehr 
anzunehmen, fondern bdenfelben als Neichsfeind aus der Stadt zu 
Ichaffen.“ Der Rath antwortete dem Kaiſer zügernd und aus—⸗ 
weichend , worauf dann Tilly den Auftrag erhielt, Magdeburg 
mit Gewalt zu zwingen, dem Bündniffe mit Guftan Wolf und 
dem Adminiftrator Chriftiaon Wilhelm zu entfagen, und PBappenheim 
bereitS gegen Ende des Jahres 1630 mit 6000 Mann im Stift Mag- 
deburg und zu Anfang des Jahres 1631 vor der Stadt erfdjien. 
Der Oherft Falkenberg hatte unterdeffen 800 Mann Soldtrup: 
pen geworben, die anfangs in den Vorftädten, fo weit diefe noch vor⸗ 
handen waren, lagen, bei der heranrüdenden drohenden Gefahr aber 
in die Stadt aufgenommen wurden. Bon Bürgern unterjtügt machte 
Falkenberg im Anfang des Jahres 1631 mit diefen einen Zug in 
die Umgegend von Magdeburg, auf dem er 2000 Schweine in die 
Stadt trieb. Sodann befeftigte er die Stadt durd) neue Schanzen 
„Trutztilly, Trußpappenheim“ ı. T. f. genannt. Als aber Tilly gegen 
Ende März mit feiner ganzen Heeresmacht, 7000 Reitern und 23,000 
Fußgängern, vor Magdeburg erfchien, fielen dieje leicht angelegten, 
nur halbfertigen neuen Außenwerke nad und nad) alle in die Hände 
der Feinde. Am 1929. April war nur no) das widtigfte Außen» 
wert, die Zollichanze, der Brückenkopf auf der rechten Seite der Elbe 





Zily und Guſtav Abolf nah Omo Klopp. 419 


übrig. Auch die Nebenwerte der Zollfchanze felbft waren bis dahin 
meift gefallen. Der Sturm auf die Zollſchanze ſelbſt follte am 
18/28. April ftattfinden, aber „die Ungunſt der Witterung ftand 
entgegen ; Tilly verfchob den Sturm auf die Frühe des nüchſten Mor⸗ 
gene. Es war nicht mehr nöthig.“ 

„Deilelben Abends um 11 Uhr am 19/29. April berief der 
ſchwediſche Hofmarfchall(!) Falkenberg den Rath von Magdeburg. 
Der Schwede!) „ſprach diefen Bürgern feine Anficht aus, daß es 
rathfam fei, die Zollſchanze Preis zu geben.” Um der Zollichanze 
mehr Feſtigkeit zu verichaffen, hatte Falkenberg eine neue Umwallung 
von drei ganzen und zwei halben Bollwerken abjteden lafjen und den 
Nath erfucht, daß die Bürgerfchaft dies Werk zu bauen auf ſich nehme. 
Es war damit der Anfang gemacht; weit gediehen konnte es nad) 
den Umftänden nicht fein. Nun waren die Kaiferlichen bis in den 
Graben diefer neuen Anlagen gekommen. Danach ſchien e8 Falten- 
berg nicht möglich, diefe neue Anlage noch zu halten. Wenn aber 
dies Werk verlafien werden müſſe, fo gebe e8 den Gegnern eine be= 
queme Bruftwehr und einen großen DBortheil zur Gewinnung der 
Zollihanze felbft. ‘Deshalb erachte er fir rathfam, nicht allein dies 
neu aufgeworfene Werk vor der Zollfchanze, fondern auch die Zollfchanze 
zugleich aufzugeben, und das Kriegsvolt an andere Poſten zu defto 
befjerer Verwahrung der Stadt zu vertheilen.“ (IL. 232.) Er berief 
ſich aud) darauf, daß 1550 bei der Belagerung durch Kurfürft Morig 
die Zollihanze ebenfalls ohne Nachtheil für die Stadt geräumt worden 
fei. (II. 233.) 

Am andern Tage nahm Tilly die Zollfehanze ohne Schwerdt⸗ 
ftreih, und konnte dann fein ganzes Heer auf der linken Seite ber 
Elbe zur Belagerung der Stadt felbft verwenden. Auch bier ließ 
Valfenberg die Nefte der Vorſtädte Sudenburg und Neuftadt zur 
befferen Bertheidigung der Stadt felbft niederbrennen. Iu der Neuftadt 
fträubten fi die Einwohner, und endlid „Lam raſch Pappenheim 
berzu und jagte die Brandftifter fort. Das Wert war bier noch 
viel weniger gelungen als in der Sudenburg. Es blieb von den 
großen Häufern, Kirchen und andern Gebäuden an Wänden, Mauern. 


- 3) Der ein Hefle war, nebenbei gefagt. 





4% J. Venedey, 


und andern Dingen fo viel ſtehen, daß ſich die kaiſerlichen Soldaten 
fofort dabei erhalten, fid) dahinter, verjchanzen und Batterien bauen 
konnten. Dort begann Pappenhein fogleicd) feine Laufgräben anszu- - 
wühlen, num unmittelbar gegen die Sadt. Die Keller der einftigen 
Neuftadt erleichterten die Arbeit, die bald ſich nahe heran, bis unter 
die Kanonen vorwärts ſchob.“ (IL. 235.) 

Yet, am 24. April (4.Mai) ließ Tilly drei mahnende Briefe au 
den Rath, den Markgrafen Ehriftian Wilhelm und an Faltenberg 
abgeben. „Zilly droht nie“ jagt Onno Klopp und führt dann drei 
Zeilen weiter die Worte Tillys an den Rath an: „Die Sadye 
fteht jo, daß e& in meiner Hand ift, Euch mit Allem noch Uch- 
rigen, mit Weib und Kindern zu verderben“ hr 
werdet es nicht zum Aeußerſten kommen laffen, weldyes für Eud, 
Eure Weiber, EureFKinder, für Hab und Güterdas höchſte 
Unglück heraufführen würde Das wäre mir felbft herzlich 
Leid“ feste Tilly in feiner „Menſchenfreundlichkeit“ hinzu. An Fals 
tenberg fchrieb Tilly, der nie drohte: „Das Unglüd und 
Verderben ift vor der Thür.“ Auch) hier fett er hinzu, „daß er 
an ſolchem Unglüd Fein Belieben und Gefallen trage,” dag es „nicht 
chriftlich, noch billig, viel weniger vor dem Allmächtigen verantwort- 
lich ift, daß fo viele unfhuldigen Menſchen mit Berluft 
Leibes und Gutes aud aller zeitlihen Wohlfahrt in 
das äußerfte Elend geftürzt, und die Soldaten des 
Königs nuglos geopfert werden.“ 


12, 


„Die confervative Partei, die von Anfang an das Bündnig mit 
dem Schweden und dem Markgrafen mißbilligt hatte, wünſchte eine 
friedliche Ausgleihung.“ Mit der fteigenden Gefahr wuchs ihr Ein- 
fluß, den Falkenberg durch einen Brief Guftan Adolfs, welchen Tilly 
aufgefangen und der den Magdeburgern, als Zilly ihn an Pappens- 
heim fchichte, wieder in die Hände fiel, jo wie durch einen zweiten 
Brief Guſtav Adolfs, durch welchen diefer von Frankfurt a. O. aus 
den Dlagdeburgern Entſatz verſprach, zu bekämpfen ſuchte. Zugleich 
feuerte die proteftantifche Geiftlichleit, der Pfarrer Dr. Gilbert vor 
allen Andern, mit Eifer von der Kanzel herab die Magdeburger an, 





Tilly und Guſtav Adolf nad Onno Klopp. 431 


das Lebte zu wagen und zu opfern. So wurde beichloflen, die Ueber⸗ 
gabe zu verweigern, die Vertheidigung von neuem zu ordnen und 
Falkenberg von neuem in dem Oberbefehle zu beitätigen. 

Gleichzeitig aber beantworteten ſowohl der Markgraf als der Rath 
die drohende Aufforderung Tillys dahin, daß fie geneigt feien, die 
Kurfürften von Sachen und Brandenburg, die Dirertoren des Leip⸗ 
iger Convents, fowie die Hanfeftädte um guten Rath anzugeben und 
fih „den Vorſchlägen derfelben nad) Billigkeit zu bequemen.“ Der 
Rath forderte zu diefem Ende Paß und Rückpaß für feine Geſandten 
und fprad dazu bie Erwartung aus, dag Tilly bis dahin feine An⸗ 
näherung an die Stadt nicht fortfeßen werde. Falkenberg aber ant- 
wortete einfach: „er werde thun, was ihm fein Gewiſſen und fein 
ehrlicher Name geftatte.“ Tilly geftattete und ſchickte die Päſſe und 
ſchrieb zugleih an den Rath: „Ich beforge jedoch, daß diefe Abordnung 
und Berathung viele Zeit erfordern wird. Nun find die ‘Dinge da- 
hin gelommen, daß fie feinen langen Verzug mehr leiden. Deshalb 
ift e8 beffer für Euch, wenn Ihr fofort einen Entfchluß faßt. Ich 
ftelle e8 Euch anheim; denn es handelt ſich um Euer Heil und Euere 
Wohlfahrt. Die Gefahr, die aus folcher Verzögerung entftehen kann, 
habt “hr Niemanden beizumeiien als Euch felbjt.” (II. 244.) 

Bielleiht war e8 dem Rath nur darum zu thun, Zeit zu ges 
winnen. Dan boffte auf baldigen Entſatz durch Guſtav Adolf. 
Tillys Antwort zeigte, daß er troß des Paſſes für bie Gefandten in 
der Bedrängung der Stadt nicht einhalten werde. 

Am 7/17. Mai, fünf Tage nad) jenem Briefe Tillys, begann bie 
allgemeine Beſchießung der Stadt, die dann drei Tage hindurch un⸗ 
unterbrochen fortgejeßt wurde. Am zweiten Tage der Beichiekung, 
8/18. Mat, forderte Tilly die Stadt noch einmal auf, fih an bie 
Gnade des Kaiſers zu wenden. Der Rath beantragte feinerfeits noch 
einmal Päfle für Gefandtichaften nach Berlin, Dresden und Lübeck, 
um bier die DVermittelung zu betreiben; Tilly fchlug fie jetzt ab. 
Noch einmal droht er mit „Unglück und Verderben“ für die Stabt 
(U. 253) und fordert fie abermals zur Unterwerfung auf. Der Rath 
hatte um fo mehr Lrfache diefe Aufforderung zu beherzigen, als am 
zweiten Tage ber allgemeinen Beſchießung der Stadt fich Heransftellte, 
daß der Pulvervorrath der Stadt auf die Neige ging. Während bie 





422 3. Benedey, 


Kanonen Magdeburgs am erften Tage der Beſchießung mit benen 
Tillys wetteiferten, mußten fie am zweiten biejen allein das Wort 
lafien. Die beiden verordneten Schusherren, zwei Mitglieber bes 
Rathes, berichteten dem Bürgermeifter, daß fie täglich 18—20 Tonnen 
Pulvers, jede Tonne zu einem Centner, ausgereiht. Nun feien nur 
noch fünf Tonnen, das ift fünf Centner vorhanden. Die Rathe- 
herren fügten Hinzu: man habe noch 250 Centner Salpeter, unb 
fertige daraus täglich zwei Centner Pulver; das reiche indeffem 
nicht Hin. Auch der Vorratd an Lunten nehme fehr merklich ab. 
Der Bürgermeifter beauftragte ben Rathsherrn Otto Gerike, dieſen 
Pulvermangel dem Kommandanten Falkenberg kund zu thun. Fal⸗ 
fenberg entfegte fi) ob dem Gehörten und äußerte: es habe ihm 
fängft fo etwas geahnt; denn Niemand habe fich einreden laſſen, noch 
das unzeitige Schießen mit dem groben Geſchütz einftellen wollen. 
Demgemäß befiehlt Falkenberg, das Schießen mit dem groben Gefchiig 
nachzulaſſen und trifft Anftalten, daß täglich mindeftens flinf Eentner 
Pulver bereitet werden können. Schon ehe dieſe Entdeckung gemacht 
wurde, hatte der Kath fi zur Kapitulation Hingeneigt und biefelbe 
berathen. Falkenberg befämpfte fie nad) wie vor. „Der Rath aber 
berief“ — nachdem er am 8/18. Mai die letzte Aufforderung Tillys 
erhalten Hatte, — „auf den nächſten Tag die Bürger in bie Häufer 
der DVierteldherren zufammen. Sie follten dort ihre Meinung kund 
geben, ob man Abgeordnete an Zilly fchiden und mit demfelben ſich 
in Unterhandlung einlaffen ſolle. Alſo geſchah am Morgen des 
9/19. Mai. Die Meinungen waren verfchieden. Einige Viertel 
fprachen fih mit Mehrheit dafür aus, wieder andere wollten von 
feiner Capitulation etwas wifjen.“ (II. 266.) 

„Ein Stadtviertel ſchickte an demſelben Abend eine Deputation an 
den Bürgermeifter mit der Erflärung: fie wollten durchaus nicht mit 
Tilly tractiren, fondern lieber fid) wehren bis auf den letzten Diann. 
In derfelben Weife gaben die Prediger ihre Anficht Fund. Sie er- 
fhienen“ — und zwar alle zwölf, die in Magdeburg waren — „an 
einem diefer letten Zage zu Rathhaufe, unberufen, ungeladen. An 
ihrer Spike ftand Dr. Gilbert, er führte das Wort. Am Namen 
zugleich feiner Mitbrüber ermahnt er den Rath als die lieben Beicht- 
und Pfarrkinder zum feiten Muth und zur Beſtändigkeit. Er ver 





Tilly und Guſtav Adolf nad Onno Klopp. 423 


tröftet fie, daß ber allmächtige Gott in einer fo gerechten Sache, bie 
allein zur Erhaltung feiner Ehre und Lehre gemeint fei, die Stadt 
gewißlich ſchützen und befchirmen werde.“ (II. 266.) 

Trotz diefer Mahnung aber behielt der Rath Tillys Trompeter, 
der die Aufforderung am 8/18. gebracht hatte, zurück. „Er harrte 
der Antwort. Bei der Stimmung des Rathes ftand eine Capi⸗ 
tulation in Ausſicht. „Am Nachmittage bes 9/19. Mai verſam⸗ 
melte fih der Rath von Magdeburg, jedoch in geringer Anzahl.“ 
Der Rathöherr Gerike berichtete, daß „am neuen Werke im Norden 
der Stadt, wo Pappenheim an der Spite der Belagerer ftand, die 
Sturmpfähle aus dieſem Bollwerfe, die Facade entlang, ausgegraben 
fein, mithin die in der Faussebraye im Unterwalle Tiegende Be⸗ 
fagung jede Stunde und jeden Augenblid vom Feinde überfallen 
werden könnte.“ (II.257.) „Der Rath bedachte die ungeheuere Ge⸗ 
fahr, die offen vor aller Augen lag. Er beichloß, eine Deputation 
an den Taiferlihen Feldherrn hinaus zu fenden mit der Bitte um 
Unterhandlung. Er trug von Rathswegen ben Mitgliede Gerike 
auf, zu dem fchwedifchen Oberften Falkenberg zu gehen und biejem 
zu melden, was er in Betreff der Fortfchritte des Feindes wahr- 
genommen. — Falkenbergs Regiment hatte den bedrohten Ort 
zu vertheidign. — Am Nacmittage des 9/19. Mai ließ Bappen- 
beim über hundert Leitern an den Wall dieſes neuen Werkes an⸗ 
legen. Auch das ward Talfenberg fofort gemeldet. Er kam und 
ſah. Er erwiederte: die Leitern feien zu kurz; er ließ fie ftehen.“ 
(HI. 267. 268.) !) 

Valfenberg, nachdem er von dem Beichlufie des Rathes zu unter: 
handeln gehört, „ließ den Bürgermeifter erfuchen, ohne fein Vorwiſſen 
feinen Schritt bei dem feindlichen Heerführer zu thun, fondern am 
andern Morgen um vier Uhr den Rath zu verfammeln, damit man 
gemeinfhaftlih die Punkte vereinbare Der Bürger 
meiſter fagte e8 zu.“ (II. 209.) Falkenberg hatte ſich erboten, in der 





1) Wir wiederholen, daß wir der Thatfahen-Schilderung Klopps Schritt 
für Schritt folgen, felbft da, wo wir ihre Richtigkeit bezweifeln. Wir legen 
an fein Werk die Kritif feiner eignen Worte; bie Kritil der Thatſachen, die er 
anführt, bleibt außer der Aufgabe, die wir uns fleflen. 

Hißerifge Zeitſchrift. VIL 8». 28 


424 3. Venedey, 


Naht einen Ausfall zu machen, um die Sturmpfähle vor bem 
bedrohten neuen Werke im Norden der Stadt wieder zu befefti- 
gen. Derjelbe ift nicht erfolgt. Wozu follte er auch nutzen, nadh- 
dem es feftjtand, daß die Stadt am nächſten Morgen fi an Tilly 
ergeben werde ? 

Es ſchien dies nicht mehr zweifelhaft und Tilly insbefondere zwei⸗ 
felte felbft nicht daran. „Er hatte jaam Zage zuvor feinen Trompeter 
mit der dringenden Mahnung zur Uebergabe in die Stadt gefandt. 
Noch war berfelbe nicht zurückgekehrt. Das Zurückhalten deijelben 
deutete au, daß der frühere Zrog in der Stadt nicht mehr fo aus⸗ 
Schließlich die Oberhand habe. Es deutete an, daß die Stadt vielleicht 
doch gütlich fi) ergeben werde.“ (II. 269.) „Deswegen war Tilly 
einem Sturm nicht geneigt. Um fo mehr waren es einige Andere, 
voran unter ihnen Bappenheim. Cs wird von Freund und Feind 
unabhängig von einander berichtet, daß Pappenheim täglich am Abend 
Schreiben aus der Stadt erhielt mit Bericht, was den Tag über 
vorgegangen fei, was die Nacht Über vorgehen werde. Cr- erhielt 
noch am felben Abend abermals folche Briefe und beichlok deshalb 
auf jeden Fall, am nächſten Morgen anzufallen.“ (II. 270.) 

Trotz der eingeleiteten Verhandlungen, trotz der fihern Voraus⸗ 
ficht, dag die Stadt am andern Tage fich ergeben werde, gab Tilly 
in einem SKriegsratd am Abend des 19. Mai dem Andringen 
Pappenheims und Anderer nad. Er fegte den Sturm auf die 
Frühe des nächſten Morgens an. Kanonenſchüſſe follten das Zeichen 
dazu geben. 

Unterdeß ließ er am 9/19. die Kanonen aus den Belagerungs⸗ 
batterien vor der Sudenburg abfahren und die dort liegenden Schaaren 
fi) zurüdziehen. Es follte und mußte dies bei den Belagerten den 
Glauben weden und jtärfen, daß aud) Tilly die Belagerung für be- 
endigt anfehe, was dann von felbjt erklärt, warum die Bürgerfchaft 
und die Soldaten der Stadt ſich mit voller Sicherheit der lange ent- 
behrten Ruhe überlichen. 

„Am andern Morgen früh um 4 Uhr begann die Berathung 
des Miagiftrats, des Ausfchuffes und der Vierteldherren auf dem Rath⸗ 
haufe. Sie erwogen hin und ber, welche Vorfchläge man dem kai— 
ſerlichen Feldherrn zu machen habe. Falkenberg befichtigte unterdeß 





Tilly und Gufav Adolf nad; Onno Klopp. 425 


die Wachen und entließ fie. Nur 600 Mann hielten am Morgen 
die ausgedehnten Werke befegt.“ (TIL. 271.) 

Mittlerweile hatte der Magiftrat die Berathung beendigt. Vier 
Abgeordnete thaten Falkenberg, der unterdeflen in einem andern Zimmer 
des Rathhaufes angefommen war und hier des Schlußergebniffes harrte, 
den Entfchluß fund, eine Deputation an Tilly zu fenden. Falkenberg 
machte noch einmal einen fchwachen VBerfuch diefen Entfchluß rüdgängig 
zu machen, indem er, abermals vergebens, an die Zufage Guſtav Adolfs, 
die Stadt entfeßen zu wollen, mahnte. „In diefem Augenblide Tieß 
der verfammelte Rath durch einen Secretair melden: die Wächter 
auf den Thürmen des Domes und St. Jakob zeigten an, baß bie 
Kaiferlihen aus allen Lagern ſich jtart nad) der Sudenbnrg und der 
Neuftadt zögen und fi hinter die Schutzwälle und ftehen gebliebenen 
Mauerreſte begäben. Gleich darauf erfchien ein Bürger vom Walle 
und berichtete: im Felde lebe es hinter allen Hügeln und Gründen 
von Streitern, auch habe man fehr viel Volk in die Neuftadt rücken 
ſehen. Falkenberg gab dem Ueberbringer diefer Nachricht zur Ant- 
wort: „Sch winfchte, baß die Kaiferlichen es ſich unterftänden und 
ftürmen möchten; fie follten gewiß fo empfangen werben, daß es 
ihnen übel gefiele.“ (I. 272.) Es ift Har, daß Falkenberg, der eben 
die Werke befichtigt, Alles ruhig gefunden, die leeren Angrifffchanzen 
gefehen und dann die Wachen zurückgezogen hatte, um fo weniger an 
die Möglichkeit eine® Sturmes glaubte, al8 ein foldyer nach eröffne- 
ter Verhandlung gegen allen Kriegsbrauch war, und nad) den An- 
fihten der Kriegsführer der Zeit überhaupt nur mit Tagesanbruch 
im Halbdunkel der Dämmerung Erfolg verfprad und deshalb kaum 
je zu einer fpätern Stunde des Tages ftattfand. Ueberdies aber lag 
unter dem „neuen Werke“, das vor allem bedroht fchien, eine Deine 
von 5 Gentnern Bulver, auf die Falkenberg für den fchlimmften Fall 
rechnen durfte und auf bie er ziemlich ficher in den eben angeführten 
Worten hindeutete. 


13. 


„In der Frühe deifelben Morgens harrte Pappenheim des ver- 
fprochenen Zeichens zul Sturme. Es erfolgte nicht. Statt deſſen 
kam eine abermalige Ladung zum Kriegsrathe. Der Feldherr (Tilln) 


426 I. Venedey, 


hatte die Nacht im Gebete zugebracht; nur Eine Stunde Hatte 
er der Ruhe gegönnt.) Gr hatte nad feiner Gewohnheit zwei 
Meſſen gehört. Und doch“ — — Wahrlich zwei Mefien Hätten 
ihn wohl über das bischen Gewiſſensbiß eines unnöthigen und gegen 
allen Kriegebraud angeordneten Sturmes mit „Untergang und Ver⸗ 
derben“ gegen Mann und Weib und Kind, gegen Gut und Haus 
und Hof, wie er e8 angedroht, hinwegfegen follen — „Und doch”, 
fahren wir mit Onno Klopp fort, „uyd doch war er mit fich nicht 
einig, wa® zu thun fei. Der Trompeter war nicht zurüd. Capitu⸗ 
lation ftand in gewiffer Ausfidt. Sollte man da ftürs 
men?“ (II. 272.) 

Das war die fehwere Frage, die wohl zwei Meſſen werth war, 
wenn Tilly fie mit Ya beantworten wollte „Sa, es ſcheint (!) dag 
Zilly den Auffchub, der von ihm felbjt ausging, nur als Grund ge 
gen den Sturm geltend machen wollte Da der Sturm nidyt gleich 
mit Tagesanbruch unternommen, fei es jeßt zu fpät. Aber ein alter 
italienifcher Oberft hielt Tilly das Beiſpiel von Maftricht entgegen. 
Diefe Stadt fei mehrere Stunden nad Tagesanbruch dadurch ge= 
nommen, daß die ermüdeten Wachen fid) dem Schlafe überließen. 
Das Wort riß auch die Andern hin. Tilly willigte in den Sturm, 
den er nicht wünfchte,“ ſetzt Onno Klopp im Geifte beffen, 
der hier in ächt jeſuitiſcher Scheinheiligkeit fo that, als ob er 
den Sturm nit wünfdte, hinzu. 

„PBappenheim wartete bi8 nad) 7 Uhr. Seine Soldaten empfingen 
ein Glas rheinifhen Weines. Die Lofung war: Jeſus Maria!“ 
(II. 274.) 

„EinG®lasrheinifhen Weines!“ und „Jeſus Maria!“ 

Die Bappenheimer ftiegen in die Faussebraye, den Unterwall. 
Sie fanden dort 15 bis 20 Soldaten des Regiments Falkenberg 
unvorbereitet. Nach wenigen Minuten find die Pappenheimer Herren 
des neuen Werkes und Walls. Es fteht ihnen nichts mehr 





1) Das „Zepler Manufcript” in den Hiftorifch-politifchen Blättern XIV. 
S. 303, dem hier Omno Klopp folgt, ift jedenfalls faft zu gut unterrichtet, 
wenn es weiß, was Tilly diefe Nacht getrieben hat. Doc wir nehmen alte 
Thatfahen und auch diefe an, wie fie Onno Klopp anführt. 





Tilly und Guſtav Adolf nah Onno Klopp. 437 


im Wege und fie dringen durch den Swinger in die Stadt. 
Ahr Verluft bis dahin beträgt nicht fünf Mann. Aehnlich ergeht 
e8 bei der hohen Pforte. Die Schildwache dort ahnt den Feind nicht 
eher, als bis fie fchlaftrunfen von dem Herauffteigenden den Todes⸗ 
ftreid) empfängt.“ (II. 274. 275.) 

„Der Sturmruf des Thürmers vom St. Johannisthurm bringt 
die Botfchaft deifen, was vorging, nun aud) zu Obren derer, die auf 
dem Rathhaufe über die Kapitulation verhandelten. Der Rathsherr 
Gerike, der vom Rathhauſe auf die Straße ftürzt, erblidt in ber 
Fifcherftraße bereits die plündernden Croaten. Jetzt kommt auch 
Falkenbergs Diener aufs Rathhaus und berichtet, dag der Feind fich 
des Walles im Norden gegen die Neuftabt bemächtigt habe. Da 
jteigt Falkenberg zu Pferde. Er reitet füdoftwärts nach der Efbinfel, 
um von da das Regiment des Oberftlieutenant Troſt herein zu holen. 
Nachdem er felbft dies Regiment herbeigeholt, wirft er fich mit dem: 
felben, oder fo Vielen als deren beifammen find, den Raiferlichen ent- 
gegen. Gr treibt fie zurüd bi an den Zwinger, wo er an ber 
Spige feiner Krieger fällt.” (II. 276.) „Auch an der hohen Pforte 
fanden Pappenheims Truppen, nachdem fie zuerft leicht die fchlafen- 
den Schildwachen überwältigt, beim weiteren Vorbringen nachdrück⸗ 
lichen Widerftand. Dort wenigitens Fämpften Bürger. Um den 
Widerftand derfelben zu brechen, ließ Pappenheim dort zwei Häufer 
anzünden.“ (II. 277.) 

„Die Soldaten thaten es ungern“, ſetzt Onno Klopp 
hinzu, und doch weiß er, daß biefe Soldaten Bappenheims zum großen 
Theile Eroaten waren, daß bie Heeresabtheilung Pappenheims ben 
Abſchaum aus Wallenfteins aufgelöften Heere, an Plünderung, 
Mord und Brand gewohnt, zufammengefaßt hatte Dazu „ein Glas 
rheinifchen Weines“ mit , Jeſus Maria!" — und bie Brandfadel 
ging von Haus zu Haus. ?) 

„Bis nad) 10 Uhr dauerte ein ordentlicher Widerftand. Gleich 
nad 10 Uhr loderte das Teuer auf, zu erſt“ — das heißt jeden- 





1) „Die eigentlihen Tillyſchen Truppen wendeten fi mit Wbfchen 
binweg von den Grauſamkeiten der Pappenheimer” fagt Onno Klopp ſelbſt. 
(D. 287.) 


428 J. Benedey, 


falls nach jenen Häufern, die Pappenheim felbft anzuzünden be- 
fahl — „neben der Apothefe am alten Ringe. Es brennt zugleich 
an 40, 50 Orten. Am breiten Wege flammt jedes dritte, vierte 
Haus. In einer halben Stunde brennt es durch die ganze Stadt.“ 
(II. 278.) 

Tilly, der den Sturm befohlen, obgleidy die Verhandlungen zur 
Vebergabe begonnen hatten, und der die Uebergabe der Stadt nicht 
mehr bezweifeln durfte, Tilly ritt unterdeß zuerft nad) der Liebfrauen- 
firche, um dem Pater Syloius, der im Klofter U. 2. Frauen mit andern 
fatholifchen Mönchen, nachdem er anfangs frei herumgegangen und 
die Uebergabe der Stadt beim Rath beantragt.und betrieben hatte, in 
der legten Zeit der Belagerung unter Bewachung lebte — zur 
wiedererlangten Freiheit Glück zu wünjchen. Dann durdritt er bie 
Straßen, um die Soldaten zum Löfchen der Stadt, die rafcher und 
gründlicher brannte, als felbjt die Bappenheimer e8 wünfchen mochten, 
als jedenfalls Tilly, der nad) Marimilians von Bayern Befehl in 
Magdeburg fich einen feiten Platz fichern follte, Tieb war. Als er 
wieder zum alten Ringe zurückkehrte, und dort den Pater Sylpius 
wieder ſah, rief er diefem in franzöfifcher Spradhe zu: „Mein Vater, 
rette, befreie, entreiße fo Viele Du kannſt dem Verderben. Er felbit 
fteigt hier vom Pferde, hebt einen Knaben empor von der Bruft 
der getödteten Mutter und ruft unter Thränen: Mas ift meine 
Beute.” (II. 283.) 

„Die Zeit der eigentlichen Plünderung, des Mordens wehr- 
lofer Menſchen, dauerte über eine und eine halbe Stunde“ 
verfichert Klopp. „Schon gegen 12 Uhr mußten die Soldaten Tillys 
die Stadt verlaffen, weil die Ilammen fie aus den Straßen hinaus- 
trieben.“ „Ein Sturm braufte empor und jagte die faufenden Flam⸗ 
men der unglüdlidhen Stadt himmelan. Mit Entjeßen gewahrten 
die Führer, die Soldaten, wie fo wenig Bürger geflüchtet oder ge» 
fangen waren.“ 

Sie waren ermordet oder verbrannt. „Am folgenden Tage aber“ 
— nun, was gefhah denn am folgenden Tage, nachdem die Stadt 
befiegt, vernichtet zu Füßen des frommen Feldherrn Tag, der ſich auf 
den Sturm durch zwei Meſſen vorbereitet hatte? — was? — „Am 
folgenden Zage kehrten die Soldaten wieder zur Erneuerung ber 





Tilly und Guſtav Adolf nad) Onno Klopp. 429 


Plünderung. In diefer That liegt Nichts Auffallendeg,“ 
ſetzt Onno Klopp Hinzu, und dann erft finden wir, warum er fo 
genau berechnet hatte, daß „die Zeit der kigentlichen Plünderung 
und des Mordens wehrlofer Menfhen nur etwa ein und 
eine halbe Stunde gewährt hatte,“ während der Sturm gegen 
T Uhr und gleichzeitig mit demfelben die Plünderung begann, wie 
ja Klopp ſelbſt berichtet, al® er den Rath Gerike erzählen läßt, daß 
er in der Fiſcherſtraße die „plündernden“ Croaten gefehen habe. 
Aber das war ja nicht die eigentliche Plünderung, wird Onno 
Klopp antworten und uns dann belehren, daß nad) dem barbari- 
ſchen Kriegsrecht jener Zeit eine Armee, die eine Stadt mit Sturm 
nahm, das Recht hatte, drei Stunden zu plündern. ‘Der fromme 
Tilly erlaubte feinen Söldnern am andern Tage Falten Blutes nad- 
zuholen, was fie gejtern hatten verfäumen müſſen! „Bevor die Plün- 
derung begann, ward Quartier ausgeblafen.“ (II. 288.) Das heißt 
num im Geifte der Zeit und im Wortfinne: „Schonung des Lebens 1“ 
Onno Klopp aber fagt: „das kann nicht heißen: Schonung des Le 
bens; denn diefes bei Wehrlofen anzutaften, bat Tilly 
überhaupt niemals, haben auch die anderen Offiziere nicht ge⸗ 
ſtattet. Es kann nur heißen: unentgeltlihe Schonung des les 
bene und die Freiheit!“ (II. 288. 289.) Und vier Seiten früher 
(II. 285) hatte Onno Klopp einfad das Wort ausgeſprochen und 
niedergefchrichen: „die Zeit der eigentlichen Plünderung und des 
Mordens wehrlofer Leute dauerte etwa eine und eine halbe 
Stunde." Schauerlich! Schauerlid) ! 

Auch Tilly kam an biefem zweiten Plünderungstage wieder in 
die Stadt. „Man vernahm ein jämmerliches Weinen und Schreien 
von Heinen überbliebenen Kindern. Tilly ließ eine Kirche räu⸗ 
men, bie Kleinen dahin zufammenbringen und fie mit Wafjer und 
Brod fpeifen. Es ward ausgerufen, daß die etwa noch vorhandenen 
Mütter fih melden follten, und etwa 200 meldeten fi. ‘Die an⸗ 
dern Kinder foll Tilly etliche in der Jeſuiten, etliche in gemeine 
päpftliche Klöſter geftedtt haben.“ (II. 289.) „Diefen zweiten Tag 
aber hielt Tiliy noch die Domkirche gefchloffen. Crft am Morgen 
des 12/22. ritt er davor und ließ die Thüre Öffnen. Die Un- 
glüclichen traten hervor. Tilly ließ Brod unter die Hungernden 


428 %. Benedey, 


falls nach jenen Häufern, die Pappenheim ſelbſt anzuzünden be- 
faht — „neben der Apothefe am alten Ringe. Es brennt zugleich 
an 40, 50 Orten. Am breiten Wege flammt jedes dritte, wierte 
Haus. In einer halben Stunde brennt es durch die ganze Stadt.“ 
(II. 278.) 

Tilly, der den Sturm befohlen, obgleich die Verhandlungen zur 
Vebergabe begonnen hatten, und der die Uebergabe der Stadt nicht 
mehr bezweifeln durfte, Tilly ritt unterdeß zuerft nach der Liebfrauen- 
kirche, um dem Bater Sylvius, der im Klofter U. 2. Grauen mit andern 
fatholifchen Mönchen, nachden er anfangs frei herumgegangen und 
die Uebergabe der Stadt beim Rath beantragt .und betrieben hatte, in 
der legten Zeit der Belagerung unter Bewachung lebte — zur 
wiedererlangten Freiheit Glüc zu wünſchen. Daun durchritt er die 
Straßen, um die Soldaten zum Löſchen der Stadt, die rafcher und 
gründlicher brannte, als jelbjt die Pappenheimer e8 wünfchen mochten, 
al8 jedenfalls Tiliy, der nad) Maximilians von Bayern Befehl in 
Magdeburg ſich einen feften Platz fichern follte, lieb war. Als er 
wieder zum alten Ringe zurüdfehrte, und dort den Pater Syloius 
wieder ſah, rief er diefen in franzöfifcher Sprache zu: „Mein Vater, 
rette, befreie, entreiße fo Viele Du kannſt dem Verderben. Er jelbft 
fteigt hier vom Pferde, hebt einen Knaben empor von der Bruft 
der getödteten Mutter und ruft unter Thränen: 2MDas ift meine 
Beute.” (II. 283.) 

„Die Zeit der eigentlichen Plünderung, de Mordens wehr- 
lofer Menſchen, dauerte über eine und cine Halbe Stunde“ 
verfichert Klopp. „Schon gegen 12 Uhr mußten die Soldaten Tillys 
die Stadt verlaffen, weil die Flammen fie aus den Straßen hinaus⸗ 
trieben.“ „Ein Sturm braufte empor und jagte die faufenden Flam⸗ 
men der unglüdlichen Stadt himmelan. Mit Entjegen gewahrten 
die Führer, die Soldaten, wie jo wenig Bürger geflüchtet oder ge- 
fangen waren.“ 

Sie waren ermordet oder verbrannt. „Am folgenden Tage aber“ 
— nun, was geihah denn am folgenden Tage, nachdem die Stadt 
befiegt, vernichtet zu Füßen des frommen Feldherrn lag, der fi auf 
den Sturm durch zwei Meſſen vorbereitet hatte? — was? — „Am 
folgenden Tage kehrten die Soldaten wieder zur Erneuerung der 





Tillh und Guſtav Adolf nah Onno Klopp. 429 


Plünderung. In diefer That liegt Nichts Auffallendes,“ 
ſetzt Onno Klopp hinzu, und dann erjt finden wir, warum er fo 
genau berechnet hatte, daß „die Zeit der eigentlichen Plünderung 
und des Mordens wehrlofer Menſchen nur etwa ein und 
eine halbe Stunde gewährt hatte,“ während der Sturm gegen 
7 Uhr und gleichzeitig mit demfelben die Plünderung begann, wie 
ja Klopp felbft berichtet, al8 er den Rath; Gerife erzählen läßt, daß 
er in der Fifcherftraße die „plündernden“ Croaten gefehen habe. 
Aber das war ja wicht die eigentliche Plünderung, wird Onno 
Klopp antworten und uns dann belehren, daß nad) dem barbari- 
ſchen Kriegsrecht jener Zeit eine Armee, die eine Stadt mit Sturm 
nahm, das Recht hatte, drei Stunden zu plündern. Der fromme 
Tilly erlaubte feinen Söldnern am andern Tage falten Blutes nach— 
zuholen, was fie geftern hatten verfäumen müffen! „Bevor die Plün- 
derung begann, ward Quartier ausgeblafen.“ (II. 288.) Das heift 
num im Geijte der Zeit umd im Wortfinne: „Schomung des Lebens!“ 
Onno Klopp aber fagt: „das kann nicht heißen: Schonung des Le- 
bens; denn diefes bei Wehrlofen anzutaften, hat Tilly 
überhaupt niemals, haben aud) die anderen Offiziere nicht ge- 
ftattet, Es kann nur heißen: unentgeltlihe Schonung bes Ye 
bens und die Freiheit!“ (IL. 288, 289,) Und vier Seiten früher 
(II. 285) hatte Onno Klopp einfach das Wort ausgeiproden und 
niedergefchricben: „die Zeit der eigentlichen Plünderung und des 
Mordens wehrlojfer Yeute dauerte etwa eine und eine halbe 
Stunde.“ Schauerlich! Schanerlid) ! " 

Auch Tilly kam an diefem zweiten Plünderungstage wieder in 
die Stadt, „Man vernahm ein jämmerliches Weinen und Schreien 
von Kleinen überbliebenen Kindern. Tilly ließ eine Kirche räu— 
men, die Kleinen dahin zufammenbringen und fie mit Wafjer und 
Brod fpeifen. Es ward ausgerufen, daß die etwa nod) vorhandenen 
Mütter fid) melden follten, und etwa 200 meldeten fi. Die an- 
dern Kinder joll Tilly etliche in der Sefuiten, etliche in gemeine 
päpftliche Klöſter geitectt haben.“ (II. 289.) „Diefen zweiten Tag 
aber hielt Tilly noch die Domkirche gefchloffen. Erjt am Morgen 
des 12/22. ritt er davor und ließ die Thüre öffnen. Die Un- 
glücklichen traten hervor. Tilly lieh Brod unter die Hungernden 


#£ 


480 3. Benebey, 


vertheilen. Sie waren feinem Verfprechen gemäß fünmtlich ohne 
Löfegeld frei. Die Domprediger mit den Familien derjelben Tieß er 
in die Möllenabtet führen und dort befonders fpeifen und tränfen. 
Die Soldaten, die etwa im Dom waren, erhielten nicht fofort ihre 
Freiheit. Tilly begab fich hinein, um nachzufehen, ob auch Ausreißer 
von feinen Zruppen darunter feier. Es wird beftimmt berichtet, daß 
er felber es that. Alſo“ — — (II. 289. 290.) 

Alfo — was kann da folgen? Der „fromme, menfchenfreund- 
fiche" Tilly ging ſelbſt in diefe Kirche um nachzuſehen, ob etwa 
auch Ausreißer von feinen Truppen darımter. Ob er welche gefun- 
den, jagt Klopp nicht. Hätte er welche gefunden, jo würde er biefe 
haben hängen lafien; am Tage, nachdem vorher Zaufende von Un⸗ 
fehuldigen gefallen waren, fehlten Ziliy noch ein paar Ueberläufer 
für den Galgen. Klopp aber denkt daran nicht, fondern er fagt: 
„Alſo ift anzunehmen, daß Tilly das ſtarke Gedächtniß gehabt, wel⸗ 
des fo oft ſich bei großen Feldherren findet, alle Soldaten perſönlich 
von Angeficht zu Angeficht zu fernen.“ ! (IT. 290.) 

„Sofort am zweiten Tage nach der Eroberung ließ Tilly eine 
Schrift ausgehen, aus der männiglich erfehen und fpüren könne, wie 
väterlich, treu und wohlmeinend er die Stadt vor ihrem Unglüd 
gewarnt, wie wenig aber ſolches gefruchtet habe. Er meldet mit 
Derwundern und Bedauern, daß noch während des Sturmes auf 
Magdeburg eine folche Feuersbrunſt entftanden, daß fie nicht zu lö⸗ 
chen geweien. So fei die Stadt heimgefucht zugleich durch Schwert 
und Feuer von der Hand des allmädtigen Gottes. Nicht jedoch 
fage er das, als wenn er an foldhem Xeid und Jammer irgend 
welches Gefallen trüge. Denn er habe ja die Magdeburger treu: 
(ih, bittlih, ja mehr als väterlich ermahnt; fondern er fage das, 
damit Jedermann erkenne, daß die Magdeburger ihr Unheil nur 
fih felber und dem Vertrauen auf die fremde, verderblihe Hülfe 
beizumeſſen Haben. Er fage das endlih zur Warnung, damit 
alle Deutfche treu beharren mögen bei ihrem Kaiſer al® ber von 
Gott gefetsten Obrigkeit, welche allein fie fehlte gegen alle fremden 
Feinde.“ (II. 297.) 





Tilly und Guſtav Adolf nad, Onno Klopp. 481 


14. 

Das find die Thatfachen, die Onno Klopp felbft über den Sturm 
und den Brand von Magdeburg anführt. Wem die Verantwortung 
für Beide zur Laft fällt, geht aus denfelben klar hervor. 

Onno Klopp aber fucht diefe Verantwortung durch Zufäke, 
durch Ausdeutungen, durch Vermuthungen, Verbrehungen, Verdächti⸗ 
gungen und Verläumdungen fo zu wenden und zu Tehren, daß endlich 
daraus hervorgehen foll: 

Nicht Tilly, Pappenheim und die Erovaten, fondern 
im Gegenteile Guſtav Adolf, Faltenberg und die eifri- 
gen Proteftanten Magdeburgs haben den Lintergang Mag⸗ 
deburgs vor dem Gerichte der Weltgefchichte zu verantworten. Und 
zwar behauptet er, troß der von ihm felbjt angeführten, von uns 
eben zufammengeftellten Thatſachen, daß Guſtav Adolf den 
Untergang Magdeburgs beabfihtigt, befhloffen umd 
befohlen habe; daß Falkenberg die Stadt zu ihrem 
Berderben abfihtlih und auf Befehl Guſtav Adolfe 
an Tilly überliefert; daß Falkenberg und feine 
Freunde in Magbeburg bie Stadt Falten Blutes anf 
Guſtav Adolfs Geheiß in Brand gejtedt, um die Ver: 
antwortung dafür auf Tilly zu wälzen. 

Wie Klopp dabei zu Werke geht, ift im höchften Grabe belehrend 
und unterhaltend. Undere vor ihm haben leife angedeutet, Zweifel 
angeregt, Anklagen mehr ober weniger durchfchimmern laſſen; er aber 
fhüttet das Kind der Verläumbung, das Andere mit fanfter Hand 
gepflegt und gehegt, mit dem Bade aus. 

„Es ift merkwürdig, daß Keinem von ihnen“, (Tilly und fel- 
nen Generalen) „ein Licht über das Stratagem des Schwedenkönigs 
aufgegangen“, fagt Onno Klopp (II.299) — und in ber That wäre 
es merkwürdig genug, wenn Onno Klopp „nad) 230 Jahren dem 
Gange der Dinge nachſpüren“ (II. 222) mußte, um die Trage 
zu beantworten, ob es nicht möglich ſei, „eine weitere Inſtruction 
Salfenbergs nicht aus Worten und vom Bapiere, fondern aus Thaten 
wieder abzulefen.“ 

Das ift die Aufgabe, die Onno Klopp ſich ftellt. So „ipürt® 


482 3. Venedey, 


er denn und „|pürt“, bis er in die Thaten hineingelefen hat, was 
nicht in ihnen liegt. 

Unmittelbar nah) dem Brande wurde Pappenheim als der ei- 
gentliche Brandftifter angeklagt. Trotz der felbft von Klopp zuge- 
ftandenen Thatfache, dag die erften Häufer, welche brannten, auf 
Bappenheims Befehl angezündet worden waren, fuchten ihn dann 
feine Freunde von der Anklage rein zu waſchen. Das erflärt fich 
von felbft. Vor Allem aber ſchlug der Brand gegen Tilly aus, und 
besiwegen fuchten er und feine Freunde um fo mehr die Verantwortung 
für denfelben von fich abzumwälzen. Maximilian von Bayern hatte Tilly 
zur Eroberung von Magdeburg angetrieben, weil er hoffte, „daß Tilly 
dann die Stadt zu feiner Kriegeburg machen unb einige Truppen 
entbehren könne.“ (II. 251.) Marimilien „traf bereits Verfügung 
über die demnächſtige Beſatzung berfelben. Er meinte: Tilly müſſe 
ligiftifche Truppen bineinlegen.“ (II. 202.) Nun war die Stadt mit 
allen ihren großen Vorräthen zerjtört, der Plan Maximilians verei- 
telt. Und fo fchrieb Tilly, der am zweiten Tage ber Welt das Ge 
ſchick Magdeburgs „zur Warnung“ Hinftellte, bald nachher „feinem 
Kriegsherrn“, dem er „melden mußte, weshalb es ihm nicht gelun- 
gen fei, Magdeburg zu retten“, daß „fich ein großes Unglück zuge 
tragen: Unter währendem Sturme ift eine große Feuersbrunſt ent» 
ftanden, und zwar ift diefelbe verurfacht durch Hin und wieder einge- 
legte® Pulver. Alſo)) hat es der Feind abfichtlich gethan, und zwar, 
wie die Ausfage der Gefangenen insgemein lautet, in der Abficht, 
daß die Stadt den Unſrigen nicht zu Gute komme. Syn derfelben 
Weiſe berichten die andern Generale und Oberften. ‘Der General- 
commifjar Ruepp nennt Falkenberg als Urheber, um dann doc) ſelber 
wieder daran zu zweifeln.“ (II. 298.) Tilly feinerfeits nennt Nies 
manden. Ruepp widerruft felbft die leicht Hingeworfene Vertheidi⸗ 
gungsverläumdung. Onno Klopp aber folgt diefem Fingerzeig und 
beweiit gründlich, daß Falkenberg erjt die Stadt an den Feind über- 
liefert, und dann fie ihm durch den Brand wieder entriffen Hat. 





1) Ob dies „Alfo” von Tilly oder von Onno Klopp herrührt, wollen 
wir heute nicht unterfuchen. Es ift aber grade fo Logifch, wie alle Schtäffe 
Eopps in dem ganzen Werte. 





Tilly und Guſtav Adolf nad Onno Klopp. 488 


„Falkenberg wollte das Verderben, den Untergang der Stadt 
Magdeburg nicht hindern. ine ſolche Annahme, die wir zumächft 
nur als Annahme hierher fegen, zwingt uns aus fich felber fofort 
und unmittelbar einen Schritt weiter zu gehen. Der Commandant 
einer belagerten Stadt, der den Untergang der von ihm vertheidigten 
Stadt nicht hindert, befördert denfelben, und e& tritt dann die zweite 
Trage hinzu, ob er blos negativ befördert durch Nichtthun, oder aber 
auch pofitiv befördert durch Erleichtern der Angriffe, durch Ueber- 
liefern feſter Werke. Wir haben mithin die Pflicht den Beweis 
für diefe Annahme zu bringen.“ (II 257). Den ſucht er nun 
und fucht und findet, daß Alles, was Falkenberg in Magdeburg that, 
die dunkle Abficht hatte, Magdeburg in die Hände Tillys zu fpielen. 
Die Vorwerfe hat er abfichtli jo ſchwach angelegt, daß fie beim 
erften Angriffe fallen mußten. Die Zollſchanze hat er ohne Noth 
überliefert, um Tilly zu erlauben, alle feine Streitfräfte auf der rechten 
Seite der Elbe zu vereinigen ; die Vorftädte brennt er ab, damit 
Zilly den Mauern der Stadt näher rüden, diefe unmittelbar angrei- 
fen kann. So insbefondere auch die Neuftadt. 

In Bezug auf diefe heißt es: „Beim Beginne des Krieges 
im Sabre 1625 ließ der Rath von Magdeburg die Häufer der 
Neuftadt, weiche nahe an dem Graben der Altftadt ftanden, für 
die Sicherheit der Werke dort abbredyen. Es war der Plan, dort 
ein neues großes Bollwerk zu errichten. Die Bürgerfchaft wurde 
des vielen Schanzens und Arbeitens an diefen neuen Bollwerke jehr 
bald überdrüffig und fehwierig. Die Folge davon war, daß daffelbe 
unvollendet liegen blieb. Dazu hatte dies Bollwerk andere, jedem 
Nichtmilitär auffällige Schwächen. Deßhalb war e8 der Wuuſch und 
Vorſchlag Vieler, daß dies unvollendete und daher Gefahr drohende 
Werk durch einen Graben von dem alten Walle und der eigentlichen 
Feſtung abgefchnitten werde. Der Wunſch fand kein Gehör. Fallen⸗ 
berg beichäftigte fiy mit andern Anlagen.“ (II. 228.) 

Nicht nur, daß er hier Nichts that, um dem Feind zu wehren, 
ließ er, als Pappenheim eben angreifen wollte, die Neuftadt in Afche 
legen. Die Mauern, Wände, Keller zc. dienten dann Pappenheim zu 
feinen Angriffszweden !.. Nun ift dies aber dieſelbe Neuftadt, von 


1) Dies hat Falkenberg vorbergejehen und beabſichtigt. So Onno Klopp. 





484 J. Venedey, 


der Onno Klopp IL 189 erzählt hat, wie der alte Rath dieſelbe 1627 
tm Einverftändniß mit Wallenftein gründlich zerjtört hatte und zwar 
nicht weniger als 500 Häufer hatte niederreißen laſſen. 

Zugeftanden, daß Alles, was Falkenberg nad Onno Klopp ge- 
than oder vernadhläffigt, grobe Fehler geweien, daß Falkenberg fie zu 
verantworten; fo beweifen fie nicht, was fie beweifen follen, die Abſicht, 
durch diefe Fehler die Stadt in die Hände ihrer Feinde zu liefern. 

Falkenberg hatte die Schwäche des neuen Werkes durch cine ſtarke 
Mine von fünf Centnern Bulver zu ſchützen gejucht. Und darauf baute 
er, als er bei der Nachricht, daß Pappenheim am neuen Werke ftür- 
men laffe, ausrief: „Ich wünfchte, daß die Kaiferlichen e8 ſich unter- 
ftehen und ftürmen möchten; fie follten gewiß fo empfangen werden, 
daß es ihnen übel gefiele.” Die Ueberrumpelung bes neuen Wertes 
gelang aber in Folge der klugberechneten Täuſchung und des Verraths 
fo volltommen, daß die Mine nicht benutt werden konnte. Nım 
behauptet freilich Onno Klopp, daß der Kriegscommiffar Ruepp, der 
in feinem Berichte an den Kurfürften Marimilian von diefer Mine 
fpridht, fi) irre, daß die Mine nicht am „neuen Werte,“ fondern 
mitten in der Stadt am Neumarkt angelegt gewefen. Ein neuerer 
Geſchichtſchreiber, Mailath, hat diefe Yesart; und Klopp fagt: „diefe 
Lesart ift ſicher vorzuziehen, und wahrfheinlid beruht 
„Werth“ (ftatt Markt) auf irgend einem Schreibfehler.“ (II. 264 
Note.) Wir werden fpäter jehen, warum die eine Lesart ſich er vor- 
zuziehen, und die andere wahrſcheinlich auf einem Schreibfehler 
beruhen muß. 

Es genügte aber nicht, dag Falkenberg die Befeftigung der Stadt 
auszubefjern unterließ. Wenn das zum Ziele, welches er ſich ſteckte, 
die Stadt dem Feinde zu überliefern, führen follte, fo mußte auch der 
Feind von diefer Schwachen Eeite und von Allem fonft, was ihm nutzen 
fonnte, unterrichtet fein. Und fo erzählt Klopp: „Es wird von Fremd 
und Feind berichtet, daß Pappenheim täglich am Abend Schreiben 
aus der Stadt erhielt mit Bericht, wa den Tag über vorgegangen, 
was die Nacht vorgehen werde. — Nun aber fragen wir, welcher 
Bürger der Etadt wird die Stadt verrathen haben, ohne nicht we⸗ 
nigſtens den Vortheil davon zu tragen, ſich durch Nennung feined Na⸗ 
mens Anſpruch auf irgend welchen Dank und Lohn zu erwerben ? Es 





> 


Tilly und Guſtav Adolf nad Onno Klopp. 435 


fann es fein Bürger gethan haben. Es muß ein Anderer geweſen 
fein. Wer ift der Andere? Um dies zu beantworten wäre zuvor die 
andere Frage zu ftellen: was ift denn berichtet ?“ Klopp hat diefe Frage 
jo eben beantwortet: „Was den Tag über vorgegangen, was die 
Nacht über vorgehen werde.” Jetzt befchräntt er die Antwort und 
fagt: „Es wird angegeben, wie ftark die Wache fei, welche Poften 
am ftärkften befegt werden, um welde Stunde die Wache von dem 
Poften wieder abziehe? Wir fragen weiter: Wer in einer belagerten 
Stadt Tann dies wiſſen? Unfer Bericht, der die Bürger im Allge 
meinen bejchuldigt, fett hinzu: Dies haben die Verräther gar leicht 
fönnen zu Werk richten, weil man Nichts hat vornehmen dürfen, es 
bat denn dem Rath und der Gemeinde zuvor zu willen gethan wer» 
den müſſen.“ 

„Es ift möglich, das diefer Schreiber geglaubt, was er 
gefhrieben. Aber wir — Nun? — wir? „Aber wir haben 
ein Recht zu fragen, ob auch ein Anderer es glauben dürfe. Iſt es 
dentbar, dag ein militäriſcher Commandant einer Feſtung aud) 
nur eine Minute den Oberbefehl fortführt, an welchen ſolche Bedin- 
gungen gelnüpft find. Und wenn er es thut, wie wird man es be⸗ 
nennen ?_ Taltenberg war nicht der Mann dazu. Kr war aus der 
Schule Guſtav Adolfs. Als es diefem vorkam, dag ein Gapitän 
feinen Offizieren einen Anfchlag vorher mittheilte, fagte der König 
fehr unwillig: Eines redhtfchaffenen Oberften und Capitäns Hand 
darf nicht wiffen, was er im Sinne führt. Wenn (!) Falkenberg 
in Magdeburg diefer Anficht des Königs gemäß gehandelt hat, jo — 

Nun was denn? Was folgt aus diefem Wenn? — „jo kann 
der Verdacht des Berraths nur auf ihn felber fallen.” (IL 170, 171.) 

Wenn — das nicht der jchauerlichjte Galimathias ift, fo — ift 
es unmöglich, „daß diefer Schreiber glaubt, was er gefchrieben hat.“ 


15. 


Der Verrath aber wäre nutzlos geweſen, wenn der Brand 
die Stadt, nachdem Falkenberg fie an Tilly geliefert, nicht zerftört 
hätte. Nun fiel aber Falkenberg während des Sturmes an der Spike 
feiner Soldaten in den Straßen kümpfend! „Ja wohl“, jagt pfiffig 


486 3. VBenebey, 


Onno Klopp, „aber er hatte vorher Alles fo eingerichtet, daß der 
Brand nicht ausbleiben konnte.“ 

„Beweife!" — fagt Falftaff, „Einen Sad voll!“ 

Vorher hatte Klopp erzählt, daß kurz vor dem Sturme bevor- 
ftehender Bulvermangel ſich herausstellte. ,Falkenberg heuchelt 
Entjegen“ (II. 264) bei diefer Nachricht. Er nimmt nun zwar augen- 
blicklich Maßregeln, dag für den nöthigen Bedarf gleich gejörgt werde, 
Aber wer weiß, das war am Ende aud nur Heuchelei; denn das 
Pulver war auf Faltenbergs Befehl, natürlih heimlich !), aus der 
Pulverkammer weggejchafft, um es hier und dort in der Stadt herum 
zulegen nnd auf öffentlihden Plätzen Minen von fünf Ton 
nen Pulver, — etwas mehr, etwas weniger, darauf fommt es nicht 
an — anlegen zu laſſen, damit nad) gelungenem Sturm die Stadt 
rechtzeitig verbrenne. 

„Dan fand auf dem neuen Markte eine Deine, die allein 
fünf Gentner Pulver enthielt.” Dies ift nun diefelbe Mine, von der 
der Kriegsconmiffar Ruepp fagt, daß fie anı neuen Werke und 
nit am neuen Markte angebracht gewefen. Aber hier und nicht 
dort paßt fie in Klopp Kram und deswegen ift diefe „leßtere Les⸗ 
art fiher* vorzuziehen, und jene „wahrſcheinlich ein Schreib» 
fehler.” Denn Klopp fährt fort: „Diefe Deinen ?) blieben erhalten 
nad) dem Brande?); die andern gingen auf. Wer hat diefe Minen 
angelegt? Und wozu? Eine Mine von fünf Tonnen Pulver in einer 
belagerten Stadt auf einen offenen Plage kann fchlechterdings nicht 
angelegt werden ohne Wiffen und Genehmigung der militärifchen 
Obrigkeit. Indem die Anführer des Heeres bei dem Kaiſer, bei dem 
Kurfürften von Bayern, bei der Infantin zu Brüffel Bericht erftatten, 
warum fie den unfeligen, verderbliden, für fie felber fo 
traurigen Brand nicht haben Löfchen fünnen, geben fie ſämmtlich 





1) „Ein folder Plan konnte nicht ein öffentlicher fein” jagt Onno 
Klopp II. 265. 

2) Es find nun auf einmal Minen, nicht mehr eine Mine. 

8) ©. 283 jagt Klopp ſchon etwas leder: „Iedod dürfen wir nicht 
nnerwähnt laffen, daß grade auf dem neuen Marlte die Mine von fünf Cent⸗ 
nem verſagte.“ 





Tilly und Guflan Adolf nad; Onno Klopp. 487 


als Urſache diefer unerhörten Feuersbrunſt das Hin und wieder ein- 
gelegte Pulver an. Alfo haben es die Gefangenen ausgefagt, und 
nach fünmtlihen Ausfagen ift der legte Quell und Urheber alles 
deifen Falkenberg.“ (II. 264.) 

Ruepp, der die Verantwortung für den „unfeligen, verderblichen, 
für fie jelber jo traurigen Brand” von PBappenheim, Tilly und den 
Croaten ablenkt, indem er behauptet, gefangene Bürger hätten gejagt, 
Valfenberg habe die Zerftörung Magdeburgs beabfichtigt und Pulver 
bier und dort einlegen lafjen, Ruepp fühlt fi) dann aber gedrungen 
dennoch den Verdacht gegen Saltenberg zurüdzuweifen und binzuzufeßen 
„Ich halte in meiner Einfalt dafür, daß Gott diefe hochmüthigen Re⸗ 
bellen nicht allein dur das Schwerdt, fondern auch durch das Teuer 
bat verderben und austilgen wollen. Doch dem lieben Gott allein 
ift Alles bewußt.“ (II. 265.) 

Kun fragen wir: Wenn der Kriegscommilfar Nuepp oder Tilly 
oder Bappenheim hätten berichten können: „Wir fanden mitten 
in der Stadt auf dem neuen Mearkte eine Deine von fünf Cent- 
nern Bulver, die verfagt Hatte!“ — würden dann ihre DBerichte 
mit Seufzern wie der: „Gott allein ift Alles bewußt!“ geſchloſſen 
haben? Würden fie nicht auf diefe Mine zeigend, vollberedhtigt geweſen 
fein zu fagen : „da feht, die halbe Stadt follte gefprengt werden ?“ 

Und fchon hieraus ift Har, daß die Mine am „neuen Werte,“ 
und nicht aın „neuen Markte“ lag. 

Dnno Klopp meinte: „Eine Mine von fünf Tonnen Pulver in 
einer belagerten Stadt auf einem öffentlihden Plate kann 
Ihledhterdings nicht angelegt werden ohne Wiffen und Genehmigung 
der militärifchen Obrigkeit.” Richtig. Wir ſetzen hinzu: „Und nicht 
ohne Wiffen des ganzen Volkes!" Und hätte fie im Geheimen ange: 
legt werden können, jo hätte fie ganz gewiß nicht ohne daß dic ganze 
übrigbleibende Bevölkerung und das Heer, aljo Zaujende von Zeugen 
e8 gejehen und gewußt, wieder befeitigt werden Fönnen. ‘Dann hätte 
Onno Klopp nicht nöthig gehabt, nad) 230 Jahren zu fpüren, 
bis er fie gefunden, dann hätte er fie nicht „in die Thaten hinein 
zu leſen“ gebraudt ; dann wäre fie aus allen Berichten offenkundig 
an den Tag getreten, bervorgejprungen. 


488 J. Benedey, 


16. 


Während aber Falkenberg fo Magdeburg verrieth, zum Unter⸗ 
gange ganz im Gcheimen durd Minen von fünf Tommen Pul- 
ver auf öffentlichen Pläßen mitten in der Stadt für den 
Brand und die Zerſtörung vorbereitete, mußte er zugleich verhindern, 
daß die Gemeinde und der Rath fi in der höchſten Gefahr dem 
Feinde übergab. 

Wir haben gefehen, wie Klopp felbft und die Thatſachen erzählen 
mußte, aus denen hervorgeht, dag mır Tilly und Pappenheim die 
Uebergabe der Stadt an die Kaiferliden durch Mißachtung allen 
Kriegobrauches, durch Täufchung, Lift und Ueberrafchung verhindert 
haben. Nach Klopps Auseinanderfetung aber hielt Falkenberg ſchließ⸗ 
lih eine „lange Rede“, wodurch er verhinderte, daß der Trompeter 
Tillys noch vor dem Sturm im Nager der Kaiferlihen anlangte. 
(II. 275.) Die VBürgerfchaft verhinderte Falkenberg ebenfalls, die 
Geduld zu verlieren, dadurch, daß er fie auf die bevorftehende Ankunft 
Guſtav Adolfs vertröftete. 

In der That langte am 22. April (2. Mai) ein Brief Guftav 
Adolfs auf einem Heinen Umwege in Magdeburg an. Der Brief 
war in die Hände der Kaiferlichen gefallen. Tilly fchidte ihn durch 
einen Adjutanten an Bappenheim, „diefer Adjutant wurde dann mit 
dem Briefe Guftav Adolfs in die Etadt gebracht. Guſtav Adolf 
verfprad, daß er „jo wahr er ein König in Ehren fei, Magdeburg 
nicht fallen laffen wolle.“ Klopp fährt dann fort und fagt: „Von 
andern Briefen des Königs an die Stadt in diefer 
Zeit weiß fonft Niemand etwas zu beridhten; es ift 
mertwürdig (?) daß grade diefer Eine, den er fchrieb, in 
Tillhs Hände fiel.“ (II. 234.) Man fieht, Klopp möchte gar zu 
gerne andeuten, daß eigentlich Guſtav Adolf den Brief in Tillys 
Hände gefpielt Habe. Jedenfalls ift e8 aber wenigftens ebenfo mer k⸗ 
würdig, daß diefer Brief mit einem zweiten, den Tilly fchrieb, um 
Pappenheim zu erneuerten Anjtrengungen in der Berennung der Stabt 
anzufeuern, in die Hände der Magdeburger fallen mußte. 

Wie gefant. der Bricf langte am 22. April (2. Mai) in Magdes 
burg an. t an der Oder aus, wo Guſtav Adolf zu 





Tilly und Guſtav Adolf nah Onno Klopp. 489 


der Zeit war, als jener erfte Brief in Magdeburg anlangte, ſchickte 
der Schwede ebenfalls einen Brief an die Magdeburger, in welchem 
er diefen berichtete: „er fei begriffen, feine fehr ermüdete Armee zu⸗ 
fammenzuziehen, und hoffe ſich mit Kurſachſen zu verbinden, um feis 
nen Weg grade aus auf Magdeburg zu nehmen und die Stadt zu 
entfegen. Sie möchte fi) deshalb nur noch drei Wochen halten, und 
fi) mit einer Capitulation nicht übereilen.“ (II. 247.) Das wäre alfo 
ein zweiter Brief des Königs Guſtav Adolf an die Magdeburger. 
Aber warum legt denn Klopp ein foldhes Gewicht darauf, daß nur 
von dem Einen Briefe, den Tilly aufgefangen, und „von feinem an- 
dern Jemand etwas zu berichten wilje.“ Vielleicht um dann mit gro= 
Gem Nachdrucke zu erzählen: „Es langten andere königliche Schreiben 
an. Falkenberg zeigte fie vor. Sie enthielten dies und jenes, und die 
Magdeburger glaubten ed. Die Unglücklichen wußten nicht, daß dieſe 
königlichen Schreiben auf der Probftei zu Magdeburg gejchniiedet wor⸗ 
den waren, um fie zu bethören.“ (II. 242.) 

War es aber nöthig folcde Schreiben zu ſchmieden, wenn grade 
in der kritiſchen Zeit der legten Zage vor dem Sturme Tilly felbft 
den einen authentifchen Brief in die Hände der Magdeburger fallen 
ließ, und Klopp von dem andern berichten muß? 

Die Hauptjache aber ift, daß Guftav Adolf Falkenberg geheime 
Inſtructionen gegeben hatte, Magdeburg an Tilly zu überliefern, 
und es dann zu verbrennen. 

„Beweiſe. Beweiſe!“ 

Nichts leichter als das. Hier hat gar Klopp einen ganz direk⸗ 
ten Beweis. „Der Gedanle an einen Verrath“ fagt er (II. 294) 
„ſchimmert hindurch bei Vielen; nur find fie nicht flar darüber, wem 
er beizumeljen fei. Es ift nur Eine Schrift (Bustum virginis Mag- 
deburgicae 1631), die Mar das Ganze überſieht, die Falkenbergs 
Züde durchſchaut, felbft auch ohne alle die einzelnen Züge zu Tennen, 
die wir angegeben haben.“ Nun — was fagt diefe Schrift? Wie 
begründet fie ihre Anklage? Wie ftellt fie die Greigniffe, nach wel« 
hen fie „EHar das Ganze überfieht“, dar? — Klopp beantwortet die 
Tragen, bie fi) uns bei der Ankündigung diefer „Baltenbergs Tüde _ 
durchſchauenden“ Schrift aufbringen, indem er fortfährt und fagt: - 
„Das, was fie meint, drückt fie bildLich aus durch einen vorgedruck⸗ 

Hißerifge Zeitſchrift VII. Band, W 


440 3. Venedey, 


ten Holzſchnitt, auf welchem der Schwedenkönig die Jungfrau Mag» 
deburg dem alten Zilly in die Hände giebt zur Zerftörung. Auf An- 
ftiften und Befehl des Schwedenkönigs, fagt die Schrift, liegt Mag⸗ 
deburg, welches Tilly vergeblich zu retten fuchte, num in Aſche.“ 

Der Hauptgrund aber, daß Guſtav Adolf Magdeburg geopfert, 
daß er fie bat opfern wollen, zu opfern befohlen hat, um Tilly den 
Brand und die Zerftörung in die Schuhe zu fchieben, liegt für Klopp 
darin, daß Guſtav Adolf am 6/16. Mai bei Saarmund ftand, bier fte- 
ben blieb und nicht ohne Aufenthalt zur Rettung Magdeburgs herbei- 
geeilt ift, oder wenigjtens Magdeburg aufgefordert hat, zu capitnliren. 

Er eilte nicht herbei, Magdeburg zu entfegen, weil er nicht hof⸗ 
fen durfte, Tilly zu ſchlagen. Onno Klopp fagt uns dreis, viermal, 
dag Tillys ganzer Feldzugsplan darauf gebaut war, Guftan Adolf 
werde zum Erſatz Magdeburgs herbeieilen, dag Tilly dann ficher den 
König von Schweden gefchlagen haben würde. In der That war ja 
fein Heer faſt um die Hälfte ftärker als das der Schweden. Gu⸗ 
ſtav Adolf rieth nicht zur Eapitulation, weil er diefelbe nicht für noth- 
wendig hielt; weil Magdeburg, „wie Guſtav Adolf aus Falkenbergs 
Berichten wiffen mußte, nit blos für die Bevölkerung auf lange 
Zeit, fondern aud für ein ganzes Heer mit Lebensmitteln verfehen 
war“ (II. 261); und weil die Stadt im Hufe einer der fefteften Städte 
Deutſchlands ftand, wie fie denn in der That ja auch nur durch gift, 
Verrath und Ueberrafchung genommen wurde, 

Guſtav Adolf ſchrieb am 23. April (3. Mai) von Frankfurt aus 
an Johann Georg Kurfürft von Sachſen: „Da ihnen Beiden an dem 
Entfag von Magdeburg viel gelegen fei, fo möge der Kurfürft ſich zu 
dieſem Zwecke mit ihm verbinden. Der König wolle auf die Deflauer 
Schanze gehen, der Kurfürft folle auf der andern Ceite des Elb⸗ 
ftroms an die Muldebrüde fi) begeben. Won dort aus würden fie 
mit vereinter Kraft den Feind vor Magdeburg angreifen.“ (II. 247. 
248.) „Hätte Johann Georg“ fährt dann Klopp fort „ſich dazu ver: 
ftanden, fo hätte Guſtav Adolf den Zug nad) Magdeburg unternom- 
men, auch ohne den Befig von Küftrin und Spandau.“ (II. 248.) 
Und was wäre dann aus dem fchönen Plane, Magdeburg durch Fal⸗ 
tenberg an Tilly überliefern und nachträglich verbrennen zu laffen, 
geworden ? 





Tilly und Guſtav Adolf nach Onno Klopp. 441 


Küftrin und Spandau forderte Guftan Adolf von dem Kurfürften 
von Brandenburg, um für den Fall der Noth einen geficherten Rück⸗ 
zug zu haben. Klopp aber fagt: „daß er grade damals die Feſtungen 
forderte, ale Magdeburg täglich und ſtündlich ihn erwartete, als er 
an den Kurfürften von Sadjfen feine Boten fchidte wegen des Ent⸗ 
fages von Magdeburg, wo er doch früher bei feinem Zuge auf Frank⸗ 
furt diefe feften Pläge nicht gefordert hatte: dies Verfahren zwingt 
zu der Annahme, daß der hauptſächliche Zweck des Schwedenkönigs 
bei diefer Forderung nicht auf den Gewinn der feiten Pläte, fondern 
auf denjenigen von Seit gerichtet war.“ (II. 248. 249), der Zeit 
nämlich, die Falkenberg brauchte, um Magdeburg zu überliefern und 
zu verbrennen. 

Endlich rückt Guſtav Adolf, um dein Schwanten des Kurfürften 
von Brandenburg ein Ende zu machen, vor Berlin, und hier fagt er 
feinem Schwager: „Wenn man mir nicht helfen will, dann ziehe ich 
zurüd und fchliege meinen Frieden mit dem Kaifer. Aber am jüng- 
jten Tage werdet Ihr Evangelifchen dann Rechenschaft geben müſſen 
daß Ihr Nichts für Gottes Sache habt thun wollen, und auch hier 
Ihon wird es Euch vergolten werben. Dann ift Magdeburg weg.“ 
Erſt, nachdem Guſtav Adolf Spandau beſetzen konnte, richtete er 
feine legte Aufforderung an Kurſachſen. „Er erklärte, daß es für ihn 
nicht Friegsverftändig fei, fich zwifchen zwei fo unfichere Freunde hin» 
einzubegeben. Ich will auch an allem Blute und Unheil vor Gott 
und der ehrbaren Welt entjchuldigt fein und folches denjenigen zu 
verantworten hingeben, weldye mich in diefer chriftlichen Sache ver: 
lafjen.” — „Er hatte dem Kurfürften hier“, fährt Onno Klopp fort, 
„mit wenig verhüllten Worten vorhergefagt, daß Magdeburg fallen 
würde, nicht etwa fallen durch eine Capitulation, fondern mit Blut 
und Schreden. Wie war das fonderbar! — E8 ift feltfam, 
daß Guſtav Adolf grade auf den fchlimmen Ausgang der Dinge hin- 
wies, als verftehe ſich diefer ſchlimmſte Ausgang von ſelbſt!“ (TI. 250. 
251.) So O. Klopp. Wie konnte auch Guſtav Adolf das vorherfa- 
gen, wenn er nicht gewußt hätte, daß die Stadt verrathen und ver- 
brannt werden mußte, weil er es fo feinem Helfershelfer befohlen hatte! 

Nah dem Falle von Magdeburg erklärte Guſtav Adolf offen, 
warum er, fo lange Brandenburg und Sachſen ihm ale unfichere 


42 J. Venedey, 


Freunde im Rüden ſtanden, nicht gegen Tilly vorrücken konnte. Onndo 
Klopp „ſpürt“ auch an diefer Erklärung herum und fagt endlich: 
„Juden Guſtav Adolf fich entjchuldigt, weshalb er nicht gekonnt 
babe, wendet ſich die Sache einer ‘Darlegung,, weshalb er nicht ges 
wollt habe, zu.“ (II. 257.) „Geben wir zu“, fährt dann Flopp fort, 
„was wir zuzugeben nicht genöthigt find, daß Guftav Adolf wohl 
habe helfen wollen, aber nicht können. Set e8 aljo, daß er nicht ge 
konnt habe; dann war es feine menjchlidhe Pflicht, der Stadt das zu 
fagen, ihr zu rathen, daß fie capitulire. &8 war das Wenigfte, was 
der Schwedenkönig thun konnte, um feinen ehrlichen Namen in Mag—⸗ 
deburg auch nur fo weit zu retten.“ (II. 257.) 

„Suftav Adolf felbft konnte die Stadt nicht befigen, weber mit 
Güte noch mit Gewalt.“ — Und doch befehligte fie fein Oberft be- 
reit8 und hatte mehr Truppen um ſich in Magdeburg, ale Wallen- 
ftein Magdeburg und Stralfund aufzwingen wollte, um ihrer fidher 
zu fein. Wer in Gottes Welt würde Guftan Adolf die Thore von 
Magdeburg verjchloffen haben, wenn er gekommen wäre und Tilly 
von hier vertrieben hätte? Und, wenn bie Magdeburger fie ihm ver- 
fchloffen hätten, wer hätte Falkenberg an der Spite feines Regiments, 
‚ im Befige der Thore, verhindern fünnen, diefe Thore Guſtav Adolf 
zu Öffnen? Und doc ift das ganze, fchnöde VBerleumdungsgebäude 
Klopps auf diefen zerfallenden Grundftein gebaut. „Er fonnte bie 
Stadt nicht befigen. Tilly durfte fie nicht befigen. Guſtav Adolf 
tonnte oder wollte die Stadt gegen Tilly nicht retten. Darum 
mußte Falkenberg mit dem Anhange in der Stadt alle gütliche 
Einigung bintertreiben. Darım aber auh mußte er darauf hin⸗ 
arbeiten, daß die Stadt dur Gewalt in Tillys Hände file. Fal⸗ 
fenberg mußte den kaiſerlichen Truppen den Angriff zu erleichtern 
fuhen, damit ein Sturin gefchehen und mit Erfolg gefchehen könne, 
bevor ein gütlicher Accord vereinbart werde.“ (II. 261. 262.) 

„Wann diefer Blan zur Vernichtung Magdeburgs in diefer Weife 
in der Scele des Schweden geleimt, wann er fich entwidelt habe, ift 
mit Sicherheit nicht zu fagen“, (II. 281) — giebt Onno Klopp 
gnädig zu. Eigentlich aber weiß Klopp dies doch, und es ift pure 
Nefcheidenheit, wenn er fo thut als wüßte cr es nicht. 

„Es fragt fich“, fagt er (II. 278), „ob ein Altenftüd vom 





Zilly und Onſtav Adolf nad) Onno Klopp. 448 


Guſtav Adolf beiteht eines ähnlichen Inhalts, in welchem er Gefin- 
nungen äußert, die an Tüde und Bosheit mit jenen, die wir ihm in 
Betreff Magdeburgs beimefien, etwa auf gleicher Linie ftchen. Wir 
erinnern uns an feinen Plan (Möfer patriotifche® Archiv, V. 175), 
den cr 1624 für feinen Angriff auf den Kaifer entworfen hatte. Der 
Weg Sollte dur Polen nad) Schlefien gehen. ‘Der Widerftand des 
Königs von Polen follte gebrodyen werden durd) Verheerung des pols 
nifchen Gebietes, welche Verheerung dann die polnischen Stände dem 
Könige felbft zufchreiben und gegen ihn fchiwierig werden würden, 
dann würden die Stände felbjt den Durchzug nad) Schlefien gewäh⸗ 
ren.“ Klopp fährt dann fort: „Auf deutfchen Boden übertragen lau⸗ 
tet der Sag: der Schwedenkönig will durdy DVerheerung es dahin 
bringen, daß die ohnehin mißtrauifchen proteftantifchen deutfchen Stände 
auch hier nicht dem eigentlichen Urheber die Schuld zufchrieben , fon» 
dern ihrem SKaifer, dem General Tilly, dem Tatholifchen Reichstheile, 
und deshalb gegen den Kaiſer rebelliren.“ 

Alſo „verheert“ der Schwede Deutſchland und rechnet dar: 
auf, daß die deutfchen Stände dafür den Kaifer, Tilly, die katholifchen 
Fürſten verantwortlich erklären. Nicht doch, — denn Onno Klopp 
fährt in demfelben Athen fort, und fagt weiter: „Im deutfchen Reiche 
wares nicht thunlid ein Land zu verheeren, und davon 
die Schuld dem Kaifer zuzufchreiben. Dagegen bot fid) die Möglich 
feit dazu in diefer Stadt Magdeburg.“ (II. 279.) 

„Im deutjchen Reiche war e8 nicht thunlich ein Rand zu vers 
heeren, und davon die Schuld dem Kaifer zuzufchreiben“; — dem 
Himmel fei’8 geklagt! Es war nicht nöthig, dies zu thun; dem 
Wallenftein, Bappenheim, Bouquoi, Spinola, Cordova und wie fie 
alle heißen, und freilich auch der Braunfchweiger, der Mansfelder, und 
neben allen dieſen aud Tilly hatten dafür geforgt, daß halb Deutſch⸗ 
land — und and) das Stift Magdeburg, wie Klopp uns felbft erzählt 
bat, — verwüjtet lagen, ald Guſtav Adolf auf deutfchem Boden er: 
Ihien, um den Fortichritten des Kaifers, Tillys und der fie lenfen- 
den Yefuiten ein Ende zu machen. 





Wir find fertig mit Klopp und Tilly. Sein Werk ift ein Glüd 
für die deutſche Gefchichtsfchreibung, die deutſche Gefchichte. Denn es 


444 J. Benedey, Tilly und Guſtav Adolf nah Omo Klopp. 


hat der halben, der vorfichtigen, der Mugen und feinen Berläumdung 
zum Vortheile der Beftrebungen des wiedererftandenen Jeſuitismus, 
der zum dreißigjährigen Kriege führte und diefen Krieg bie zum Erfchei- 
nen Guſtav Adolfs, bi® zum Brande von Magdeburg, jenem bluti- 
gen, feurigen Wendepunfte ausbenten konnte — durch Uebertreibung 
ein Ende gemadjt. Sein Buch tft die Carrifatur der Herren Gfrö- 
rer, Hurter ꝛc. und in feiner Art der Donguigote der Partei, der 
Windmühlen befämpft und Schöpfenheerden für feindliche Heere ans 
fieht, und der uns in der Webertreibung felbft die Kächerlichleit und 
den Unfinn deſſen zeigt, was er übertreibt. 

Wir fchliegen mit einer Anekdote, die Klopp felbft (II. 284) an- 
führt. Man fand nad) der Eroberung einer Schanze vor Magdeburg 
eine Sahne mit der Inſchrift: 

„Das Mägdlein ift jung, 

Der Bräutigam, der ift alt; 

Er wollt fie gern hetrathen 

Und hat doch Feine G'ſtalt!“ 
Tillys Soldaten erwicderten diefen unpafjenden Spott mit dem fchauer: 
lihen Witworte „der Hochzeit von Magdeburg!“ 

Das war es, und wird es bleiben, trog Klopp und feiner Bor: 
und Nadjläufer. Die Gefchichte wird mit Tillys eigenen Soldaten 
einverftanden, dies fchanerliche Witwort über die Blätter fchreiben, in 
welchen fie die furdhtbaren Geſchicke Magdeburgs ſchildert. Es war 
für Tillys Soldaten „die Hochzeit von Magdeburg !* 








X. 
Zur Gedichte des dreißigjährigen Krieges. 


— — — 


A. Gindely. Meine Forſchungen in fremden und einheimiſchen Archiven. 
(17 S.) [Aus dem Jännerheft des Jahrganges 1862 der Sitzungeberichte 
der phil.hiſtor. Klaſſe der k. Ef. At. d. W.)] 

A. Gindely. Zur Geſchichte der Einwirkung Spaniens auf die Papfwahlen, 
namentlich bei Gelegenheit der Wahl Leos XI. im Jahre 1605. (35 ©.) 
[Aus dem Novemberheft des Jahrganges 1861 der Sigungsberichte u. |. w.) 


Wenn eine jede Eröffnung eines bisher verfchloffenen Archives, 
eine jede Nutzbarmachung bisher verborgener ardivalifcher Schäge ale 
ein Gewinn für die ganze hiftorifche Wiffenfchaft mit lauten Zuruf 
begrüßt werden darf; fo ift es gewiß völlig gerechtfertigt, daß wir an 
diefer Stelle ſchon jegt freudigen Sinnes Akt nehmen von einem neuen 
großartigen Unternehmen diefer Art, da8 und von Wien aus angefündigt 
worden iſt. Es verfpricht und nämlich die Wiener Akademie der Wif- 
fenfchaften eine Publikation von Quellen zur Geſchichte des dreikigjäh- 
rigen Krieges, die fchon nach der jüngjt befanntgegebenen vorläufigen 
Notiz von der weitreihendften Bedeutung erfchetnt. 

Herr Dr. Anton Gindely in Prag hatte ſchon früher für 
die böhmifche und öfterreichifche Gefchichte des 16. Jahrhunderts und 
der dem Aufftand von 1618 vorhergehenden Bewegungen detaillirte 
Forſchungen angeftellt und veröffentlicht, die höchſt wichtiges Material 
zur Gefchichte jener Zeit beigebradyt haben. Seitdem bat er 3 Jahre 
auf Reifen in Deutfchland, Belgien, Frankreich und Spanien zuge 


446 Zur Geſchichte des dreißigjährigen Krieges. 


bracht und fteht jeßt im Begriff, die Ausbeute der dort angeftellten 
ardivalifchen Studien in einem Quellenwerf von 12 Bänden „zur Ge⸗ 
Ihichte der Sahre 1600—1648“ zu veröffentlihen. Der Wiener 
Alademie hat er vorläufig einen Bericht über diefe Reifen und ihre 
Refultate erftattet, auf den hin diefelbe die Herausgabe feiner Samm⸗ 
lungen zu übernehmen beſchloſſen hat. 

Es werden nun, wie es fchon der erfte Bli in diefen vorläu⸗ 
figen Bericht Gindelys erkennen läßt, durd die vollftändigere Ein- 
fiht in die bisher größtentheil® verborgen gehaltenen Ardivalien nich 
nur unferer Kenntniß, wie es häufig gejchieht, Bereicherungen von 
einiger Bedeutung zugeführt, fondern fogar über die allerwefentlichften 
Berhältniffe erhalten wir hier den erften Auffchluß. Es zeigen fich in 
den jett zugänglich gemachten Archiven häufig ganz ungeahnte Dinge, 
die, wenn fie erjt volljtändig in allen Einzelnheiten durd) den Drud 
befannt geworden, ohne allen Zweifel wefentliche Modififationen 
alter bisherigen Gefhichtsdarftellungen hervorrufen werden. 

Während fih in Bernburg wichtige Enthüllungen über die 
Abfichten der Union vorfanden, hat Münden fowohl in dem pfäl- 
zer Archiv für diefe Seite der Geſchichte, als auch in dem bay er i⸗ 
hen für die Verhandlungen der Yiga unter fi) und mit auswärtigen 
Mächten neue Auffchlüffe gewährt. In Wien und Baris war 
für diefe Zeit der Vorgefchichte des Krieges nur noch eine Nachlefe 
anzuftellen ; an legterm Ort dagegen ergab es ſich, daß für die fpä- 
tere Zeit, befonders während Richelieu's Staatslenfung, auch nach allen 
bisherigen Yeiftungen der Tranzofen für diefe Glanzepoche franzöfifcher 
Staatskunſt, dem deutichen Forſcher noch genug der ſchätzenswertheſten 
und überrafchendften Anfjchlüffe zu gewinnen vorbehalten war '). In 
DBrüffel gewann ©. über die Liga Mitteilungen, die den euro- 
pälfhen Zufammenhang diefer Tendenzen in überrafchender Weiſe 





1) Bindely fritifirt S. 10 u. 11 mit Recht das nur nad Aeußerlidy 
feiten urtheilende Verfahren des Herausgebers der Korreipondenz Richelieu’s, 
Adenel, der von den allerwejentlihfien Dingen laum Notiz genommen. Gr 
übergehe z. B. die ganze Verhandlung zwiſchen Charnacé und Guſtav Adolf, 
die Verichte des Pater Joſeph vom Regensburger Reichstag, die Unterhandiun- 
gen Richelieu’s mit Wallenflein. 





Zur Geſchichte bes dreißigjährigen Krieges. 447 


erläutern. Weitaus das wichtigfte Material aber hat das fpanifche 
Staatsardiv von Simancas geliefert. Hier finden fid) nämlich 
die genaueften Berichte der Gejandten, die ausgedehnteften vertrau⸗ 
lichen Gorrefpondenzen der Handelnden, und daneben noch die Pros 
tofolle der Staatsrathefigungen mit den Gutachten der leitenden 
Minifter und den eigenhändigen Nefolutionen der fpanifchen Könige. 
Die Mittheilungen, die dort aus und über Rom und Wien vorliegen, 
find von der entfcheidendften Bedeutung für die ganze europäifche 
Geſchichte. 

Die Edition des projektirten Quellenwerkes ſoll die Aktenſtücke 
in chronologiſcher Reihenfolge bringen, Einleitungen und Anmerkungen 
werden das dem Inhalt nach Zuſammengehörige überſichtlich zuſam⸗ 
menſtellen. Von den wichtigeren Akten ſollen vollſtändige Copien 
mitgetheilt, von den übrigen nur Auszüge gegeben werden, bei denen 
nur die etwa bedeutenderen Stellen wieder wörtlich aufzunehmen ſind. 
Man ſieht, es iſt eine Einrichtung gewählt, wie ſie für ein ſolches 
Unternehmen als die geeignetfte erſcheint und ſich als ſolche mit allge⸗ 
meinem Beifall bewährt hat. 

Welcher Art nun die Reſultate dieſer Forſchungen ſind, das läßt 
ſich aus den von Gindely beiſpielsweiſe angeführten Ergebniſſen ab⸗ 
nehmen. Wir wollen auch hier aus ſeinem Bericht Einzelnes aus⸗ 
heben, um die Wichtigkeit dieſes Unternehmens zu zeigen und allge⸗ 
meiner Beachtung zu empfehlen. Gindely ſelbſt hat in der zweiten 
der oben genannten Schriften ſchon Eine Beziehung, den Einfluß 
Spaniens auf die Papſtwahl, an dem Vorgang des Conclave von 1605, 
auch etwas ausführlicher erläutert. 

Es zeigt fid) da zunächſt, dag König Philipp von Spanien die 
Nothwendigkeit begriff, zur Verfolgung feiner großen Blane ſtets einen 
ihm ergebenen Papſt an der Spite der Kirche zu haben. Ein förm⸗ 
licher Einfluß eines fremden Potentaten auf die Papftiwahl verftieß 
aber fo fehr gegen die Kirchengefeße, daß ſich auch Philipp der Ge: 
wiffensferupel darüber nicht entichlagen Fonnte. ‘Da erfolgten lange 
Berathungen mit fpanifchen Theologen, deren mehrmals wiederholte 
Gutachten fehlieklich ſich einer völligen Billigung des von dem Könige 
auszuübenden Einfluffes auf die Papftwahl näherten. Und darnach 
handelte man denn auch; mit reiflicher Ueberlegung der Sachlage, mit 


448 Zur Geſchichte bes dreißigjährigen Krieges. 


gehöriger Vorbereitung aller Mittel und mit vollem Bewußtſein der 
Confeguenzen wollte Spanien allen feinen Einfluß geltend machen bei 
der Sebisvacanz von 1605. Das Conclave dauerte damals vom 14. März 
bis 1. April. Die franzöfiiche Partei kämpfte mit dem fpanifchen Ein- 
fluß einen lebhaften Kampf, in dein man oft einer Entſcheidung nahe 
zu fein ſchien. Eundlich unterlag die fpanifche Partei durch ein Wer: 
jehen ihres Stimmführers, des Cardinal Avila; es fiegte die fran- 
zöfifche mit der Wahl Medicis, des Papftes Leo XL Wenn wir 
uns der fcharfen Gegenftellung Heinrich IV. und Spaniens erinnern 
wollen, fo liegt die folgenfchwere Bedeutung des Momentes auf der 
Hand. Es iſt ferner jetzt Jedem erfichtlid, wie man felbft auf Seiten 
eines ultrafatholifhen Staates ſich zu diefer Frage ber PBapftwahl 
zu verhalten und dur welde Mittel eine Wahl betrieben zm 
werden pflegte. 

Die fpanifche Politik ftand damals noch immer an der Spike 
des mächtig vorfchreitenden Tatholifchen Prinzipes, fie fuchte ganz Europa 
in ihren Banden gefangen zu halten; und fo mußten aud in ihrem 
ſpeziellen Yntereffe die deutjchen Verhältniffe verwerthet werden. Für 
dies Lebtere hat Gindely wichtige Belege gewonnen !). 1605 war es 
Spaniens Abficht, dem Erzherzog Albrecht, dem Regenten der fpa- 
niſchen Niederlande, die deutjche Kaiferfrone zu verfchaffen ; 1609 ar⸗ 
beitete e8 daran, den jpanifchen Prinzen Don Carlos zu dieſer 
Würde zu erheben. Der ganz Europa umſpannende Zuſammenhang 
ſolcher Pläne wird aus den Akten der Yiga in das hellite Licht geftelit. 

An der Spike des anderen Ertremes fteht, wie es ſich für Gin 
dely ergeben hat, in ‘Deutfchland Fürſt Chrijtian von Anhalt. In 
enger Verbindung mit Frankreich, im Einverftändniß mit dein Italiäner 
Baolo Sarpi, dejjen „einziges Lebensziel die Vernichtung der päpft« 
lichen Autorität war,“ arbeitet er jenen [panifchen Plänen entgegen ; 
er hat feine Hand mit im Spiel in den öftreichifchen und bömifchen 
Wirren jener Zeit; dem Gegner zu ſchaden verſucht er es dort zuerft 
mit Erzherzog Marimilian, dann mit Erzherzog Mathias, zulegt in 
liftigem Doppelfpiel zu eigenem Gewinn. ‘Die Union, die er im Bunde 





1) Er theilt das Folgende mit im der erften der oben angeführten 
Schriften. 





Zur Geſchichte des Dreißigjährigen Krieges. 449 


mit Heinrid IV. geftiftet und geleitet hatte, Leiftet ihm hierin nicht, 
wie er erwarten konnte, die genügende Unterftügung: feine Pläne 
Scheitern endlich an der Nachgiebigkeit des Kaiſers gegen die Stände. 
So fällt durch diefe kurz angedeuteten Notizen Gindelys fchon ein 
helles Licht auf jene Zeit der Gründung von Union und Liga, auf 
die Epoche der Vorgeſchichte des 30jährigen Krieges '). 

Aus der Geſchichte des dreikigjährigen Krieges ſelbſt hat Gindely 
ſchon einen Punkt herausgehoben, an dem fich allerdings die Beden- 
tung feiner Bunde in glänzendem Lichte darftellt. Es ift dies die 
Thätigfeit, die Abficht und die Kataftrophe Wallenfteine Wäh— 
rend Wallenftein nad) der in Regensburg erfolgten Entfegung vom 
Oberbefehl Unterhandlungen mit Guſtav Adolf angefnüpft, aber noch 
nicht definitiv abgejchloffen Hatte, erfolgte durch fpanifchen Einfluß 
feine ernenerte Berufung zum Kommando. Es wurde ihm dabei die 
mündliche Zufage gegeben, daß ein Kurfürftenthum der Lohn feiner 
Bemühungen fein werde ; man dachte dabei an die Pfalz. Wallenftein 
forderte nun nad) Guſtav Adolf Tode das Land des zu üchtenden 
Kurfürften von Brandenburg, dazu Pommern und Mecklenburg. Yu 
diejer Forderung unterftügte ihn Spanien ebenfowohl mit feinem ganzen 
Einfluß, ale es ihm felbft noch Oftfriesland abzutreten ſich anheifchig 
machte. Der Kaifer ging nicht darauf ein. Wallenftein verlangte 
darauf, hierin ebenfall® von Spanien befürwortet, außer der zuges 
fagten Pfalz noch Heifen und Würtemberg. Auch darin willigte Fer: 
dinand nicht. Es ſieht Wallenftein demnach, daß von Ferdinand Nichts 
weiter für ihn zu erlangen ift. Da knüpft er Unterhandlungen mit 
Frankreich an, die endlidy dazu führen, daß ihm Böhmen in Beſitz zu 
nehmen und für fich zu behalten gejtattet wird. Von dieſen Intriguen 
hat man aber in Wien durch die Wachſamkeit der fpanifchen Agenten 
bald Kunde erlangt. Der Verdacht des Verrathes beftätigt ſich immer 





1) Auf die fpäteren Verbindungen der Union mit dem Herzog Karl 
Emanuel von Savoyen entfällt neues Licht in der ebenfalls neuerbings erſchie⸗ 
nenen Abhandlung von B. Erdmannsdörfer (Herzog Karl Emanuel I. 
von Savoyen und die deutjche Kaiferwahl von 1619) einer Arbeit, deren vor- 
nehmlichfies Berdienſt ebenfo in bem richtigen Einblick in die ganze Lage der 
Zeit wie in ſcharfer Durdbringung bes Details befteht. 


450 Zur Geſchichte des dreifigjährigen Krieges. 


dringender. ‘Der fpanifche Gejandte Oñate fordert vom Kaifer Sicher- 
beitSmiaßregeln gegen folche Umtriebe. Ferdinand ordnet nun zwar 
alles Nöthige an, damit das Heer ihm gefichert bleibe, aber zu Be⸗ 
fehlen gegen Wallenfteins Perfon und Leben können ihn alle Vorſtel⸗ 
lungen des Gejandten nicht bewegen. So erfolgte die Kataftrophe in 
Eger ohne kaiſerliche Autorifation allein auf die Verantwortung des 
Kommandanten von Eger. — In diefen Enthüllungen fcheint die fo 
lange vergebens gefuchte Löſung des Räthſels gefunden. 


Wie diefe hier kurz angedeuteten Details genügend zeigen, dürfen 
wir alfo feinen Anftand nehmen, die bevorjtehende Publikation nahezu 
als die wichtigjte Bereicherung der hiftorifchen Kenntniffe, die wir in 
ben legten Fahren erfahren, mit freudigem Willlommen zu gegrüßen. 
Möge das Werk guten Fortgang nehmen, allfeitige Förderung erfah- 
ren, ımd mögen wir recht bald in der Lage fein, das Duellenwert 
ſelbſt eingehender befprechen zu können. 








X. 


Ueberſicht ver hiftorifchen Literatur des Jahres 1861. 
(Bortfegung.) 


5. Beutfche Geſchichte. 


I. Allgemeine dbeutfhe Geſchichte. 
(Bortiegung.) 


Wir nehmen bier die biftorifhe Literatur des Jahres 1861 an der 
Stelle wieder auf, an der wir im vorhergehenden Hefte abzubredhen ge 
nöthigt worden find. Es war unfere Ueberſicht der allgemeinen deutſchen 
Geſchichte dort bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts gelangt. 

Homeyer, C. ©, Des Sadfenfpiegels erfter Theil, ober 
das ſächſiſche Landrecht. Nach der Berliner Hanbidrift v. 3. 1369 Herausgeg. 
Dritte umgearbeitete Ausg. 8.(XVI u. 6524 ©.) Berlin, Ferd. Dümmler's Ver⸗ 
lagsbuchhandiung. 

Als Homeyer vor drei Jahren die alademifhe Abhandlung: „Die 
Genealogie der Handſchriften des Sachſenſpiegels“ publicirte, wurde den 
Freunden des deutſchen Rechts die frohe Ausfiht auf eine neue umfaflende 
Bearbeitung dieſes Rechtsbuches eröffnet, mit dem der Verf. einft, vor nuns 
mehr 35 Jahren, feine wiſſenſchaftliche Zhätigleit in Herausgabe und Be: 
arbeitung der woichtigften ſächſiſchen Rechtsbücher begann, melde für das 
gefhichtlihe Studium des deutfchen Rechts von jo grundlegender Bedeu: 
tung geworden if. Hatte die erfte Ausgabe (von 1827) zunähft auch 
nur praltifhe Zmwede, das Bedürfniß alademiſcher Borlefungen, im Auge, 
fo war fie doch zugleich als eine Vorarbeit für eine größere, „der Ber 
deutung des Sachſenſpiegels für das vaterländifche Necht würdige“ Auss 
gabe angelegt ; neben ihrem Grundtert, einer vorzäglichen Berliner Sand 


452 Ueberftcht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Schrift vom Jahre 1369, bradte fie Varianten aus 17 andern Terten. 
In der zweiten" vermehrten Ausgabe vom Jahre 1835 war die Zahl ver 
benugten Handfhriften und alten Drude auf 24 geitiegen, deren Claffi- 
filation bereit3 die Hauptentwidlungsftufen des Sachjenfpiegels erlennen 
ließ. Durch fortgefegte Nachforſchungen ift dem Verf. feitdem ein Material 
von circa 180 Handſchriften bekannt geworden , in welches die obenge- 
nannte Abhandlung duch Aufftellung bejtimmter Clafien und Gruppen 
Licht und Ordnung bringt. Auf den Refultaten diefer Unterfuhung beruht 
die dritte umgearbeitete Ausgabe des ſächſiſchen Landrechts, für mweldhe 
59 Zerte vollitändig, 60 in bejchränttem Maße verglichen find. Hat der 
Grunbtert au, zu dem nad wie vor die angegebene Berliner Handſchrift 
benugt ift, nur einige Heine, verhältnikmäßig unbedeutende Aenderungen 
erfahren, fo ift doch nun durch den reichen und zugleih wohlgeordneten 
Bariantenapparat ein volljtändiges und klares Bild der Tertgeftaltung ge 
wonnen. Ferner ift das Werk durch Umarbeitung und bedeutende Erwei⸗ 
terung der Einleitung bereichert. Die der früheren Ausgaben befchäftigte 
ſich eigentlich nur mit der Darlegung des Plans der Arbeit, die jetzige 
fügt, ähnlid wie die Ausgaben des fächfifchen Landrechts und der Richt 
fteige, eine ausführliche Gejchichte des Sachſenſpiegels binzu. Es wird 
genügen, auf einige Punkte derfelben hinzuweifen. Mit Ficker erklärt fi 
der Verf. für die Entjtehung des Rechtsbuches nah 1224 und vor 1230 
oder 1232, da um diefe Zeit die ven Sachſenſpiegel wenigften? an einer 
Stelle benugende Repkowiſche Chronik urfprünglih abſchloß. (S. 13, 10.) 
"Der Streit, ob der Verf. des Sachſenſpiegels auch der Autor der Ehronil 
jet, wird nur beiläufig berührt, doch meigt Homeyer jeht zur Annahme 
der Identität hin. (S. 11.) Die oft behandelte Frage nad der Mundart 
des urſprünglichen Sadfenfpiegelterte® beantwortet er gegen Stobbe'3 Aus⸗ 
führungen (Gef. der Rechtsqu. I, 314 f.) zu Gunſten der niederſächfiſchen 
Abfaffung. (S. 14 ff. 49.) — Die einen Theil der frühern Einleitungen 
ausmachende Beichreibung der benugten Handſchriften hat bei dem fo ſehr 
angewacjenen Material jept meggelafjen werben müſſen; dafür find aber 
neu binzugelommen: eine überjichtlihe Darftellung der verjhiedenen or: 
men der Tertentwidlung, welche den mwejentlihen Inhalt der citirten ala: 
demifchen Abhandlung wiedergiebt (88. 5—8); genaue Angaben über die 
lateiniſchen Ueberfegungen des Rechtsbuches ($. 10); eine Ueberficht über 
die unmittelbar den Sachſenſpiegel benugenden verwandten Nechtsdenimäler ; 





5. Deutfche Geſchichte. 468 


eingehender wird bier die Benutzung des Sachſenſpiegels im Hamburger 
Drielbot von 1270 gegen die wiederholten Anzweiflungen Trummers nad: 
gewieſen ($. 11); endlich ein Verzeichniß und eine kritiſche Würdigung der 
alten und neuen Drudausgaben des Rechtsbuches ($88.12—14). — Wie 
die Einleitung hat aud das Rechtsbuch ſelbſt mannigfache Bereicherumg 
erfahren, fo durch die Mittheilung des handſchriftlichen Inhaltsregiſters, 
des Epilogs mehrerer Manufcripte (S. 379) ; außerdem find der Gloſ⸗ 
jenauszüge mehr geworben, zu einer Reihe von Artileln Erläuterungen aus 
den Bilden zum Sachſenſpiegel gegeben. Die Literaturnachweiſe vor den 
einzelnen Artileln find vervollftändigt und gefichtet, das Negifter der Mörs 
ter und Saden ift erweitert und ein Negifter der Drte, Länder, Berfonen 
und Stämme nen binzugelommen. Dagegen find die durch die neuern 
Ausgaben überflüffig gewordenen tabellarifchen Bergleihungen des Sachſen⸗ 
fpiegela mit dem Schwabenjpiegel und dem jogenamnten vermehrten Sad; 
jenfpiegel der 2. Edition jegt weggelaſſen. — So liegt dies wichtigfte 
deutſche Rechtsbuch nunmehr in einer allen wiſſenſchaftlichen Anforderungen 
entjprechenden und dabei zugleich handlichen Ausgabe vor, die im wohl 
thuenden Gegenfat zu den frühern Auflagen nun aud in einem würdigen 
äußern Gewande auftritt. — Der Berf. hat einft bei dem erften Erſcheinen 
feines Werks das Ziel bezeichnet, welches eine wahrhaft wifienfchaftliche 
Bearbeitung des Rechtsbuches zu erreichen ftreben muͤſſe. Das Ziel war 
ſehr weit aeftedt ; es waren als Beitandtheile der Aufgabe Arbeiten ges 
fordert, von denen es doch zweifelhaft fein möchte, ob fie in eine Ausgabe 
des Sachſenſpiegels gehören oder nicht vielmehr felbitftändig daneben ſte⸗ 
benden Werten zu überlafien find. Wenn ver Perf. daher hinter jenem 
Biele zurüdgeblieben zu fein geftebt, fo wird das den Dan, zu dem ihm 
jeder Germanift für diefe reiche Gabe aufs Neue verpflichtet ift, um nichts 
ſchmälern und nur den Wunſch erweden, es möge dem Verf. „Muße und 
Muth” befhieden fein, die eine oder andere jener Aufgaben noch jept 
zu löfen. F. F. 

Laband, Dr. Paul, Beiträge zur Zunde dee Ehwaben- 
fpiegele. 8. (II u. 80 ©.) Berlin, Dümmler’s Verlag. 

Wir verweilen auf die genaue und fcharffinnige Necenfion dieſes 
Buches in den ©. ©. A. (1862, 6. 257— 269). Es bringt dort Herr 
Dr. Frensdorf zur Sache felbft noch recht weientlihe Dinge berbei. 

Fiaer, Inline, Bom Reihsfürkenkamde, Forſchungen zur Ge 


⸗ 


454 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


fchichte der Reichsverfaſſung, zumähft im 12. und 13. Jahrhundert. 1. Bb. 
8. (XXVI u. 396 S.) Innebrud, Wagner. 


Die Frage, wer in ben verfchiedenen Zeitläuften zu den Fürſten bes 
deutfhen Reichs gehörte, und auf melde Vorausjegungen fi die Yürften- 
würde gründete, ift ſchon im vorigen Jahrhundert von vielen Hiftorifern 
und Publiciften mit mehr oder weniger Aufwand von Gelehrjamleit ver 
handelt worden. Allein da hierbei oft entweder einfeitiger Localpatriotis⸗ 
mus und confeffionelle Barteilichkeit, oder die Abficht, zweifelhaften oder ganz 
eitlen Anſprüchen eines oder des andern Hofes eine biftoriihe Stüge zu 
verleihen, wirfjam waren, fo mußten dieſe Unterjuhungen ſehr unvoll: 
fommen bleiben. Seitdem hat man ſich nicht mehr gerade tiefer eingehend 
damit befaßt, ſondern ſich meift bei den Angaben des Sachſen⸗ und Schwas 
benfpiegels, und einem fehr bejchräntten Vorrath fonftiger Quellenftellen, 
„welche gleichſam traditionell den einzelnen Lehren zum Stühpunlte dien: 
ten,” berubigt. In dem oben genannten Buche ift die Frage jebt von 
Neuem und zwar in umfafiendfter Weile aufgenommen. Auf Grund ber 
außerorventlihen Fortichritte, welche die hiſtoriſche Wiſſenſchaft in der 
neueren Zeit gemadt bat, und namentlich mittelft der ganzen Mafie bis 
jeßt gebrudter oder durch Böhmers Negeften im Auszug bekannter Kaiſer⸗ 
urkunden, jucht der Verfaffer im Einzelnen nachzuweiſen, wer in den ſaͤmmt⸗ 
lihen Provinzen des ehemaligen Reichs (alfo auh in Burgund, der Schweiz, 
Italien, im ſlaviſch-⸗deutſchen Oſten) zu den geiftlihen und den weltlichen 
Reichsfürſten gehörte. Es kommt ihm zwar zunächſt befonvders auf das 12. 
und 13. Jahrhundert an; allein die frühere und ſpätere Zeit haben doch 
aud ihre gebührende Berüdfihtigung gefunden, Die keineswegs leichte Auf 
gabe dürfte dem Verfafler im Ganzen gelungen fein. Bleibt auch noch 
Manches unermittelt, mander Irrthum zu befeitigen, mander irrige Schluß 
zu berichtigen, fo liegt doch bier eine ſehr dankenswerthe „Borarbeit“ 
vor, die zugleih den Vorzug hat, die Beweife gleih an die Hand zu 
geben oder deren Aufjuhen zu erleichtern. Der Verfaſſer jelbit betrachtet 
jein Werk noch keineswegs für abgefchlofien, verweiſt häufig, vielleicht etwas 
zu oft, auf weitere fünftige Mittheilungen und äußert ſogar den Wunſch 
(Borwort ©. 16), daß bis zu deren Belanntfein die Fahmänner mit ihrem 
Urtheil zurüdhalten möchten. Allein wir können es uns nichtsdeſtoweni⸗ 
ger nicht verfagen, die von ihm gefundenen Refultate bier ſchon einer 
genaueren Prüfung zu unterwerfen. 





5. Deutſche Geſchichte. 46 


©. 23 ftellt der Verfaſſer einige Unterſuchungen über den Gebrauch 
des Worte princeps an. So wie ſich ſchon die roͤmiſchen Imperatoren 
diefes Namens (mit Umgehung des Worted rex) bevienten, fo führten ihn 
auch die fränkifchen, burgundiſchen und anderen Könige, nicht minder die 
unabhängigen Herzoge, 3. B. die von Bayern. Aud bei ven deutſchen 
Kaifen und Königen blieb er big ins 14. Jahrhundert in Gebraud) ; der 
Kaifer war im Reihe der princeps, die erfte und oberfte Perfon. Geit 
dem 11. Jahrhundert nennen ſich die Herriher von einigen Ländern des 
Reichs, fowie von etlihen Nachbarländern ebenfalls princeps, 5 2. vie 
Grafen von Flandern, die Herzoge von Oberlothringen, und beſonders 
verfchiedene italieniſche Herren; desgleichen die Herrſcher der ſlaviſchen 
Länder Bommern, Rügen, Medienburg, Mähren; und zwar führen dieſe 
ihn entweder als einzigen wirllihen Amtstitel (als erfte, oberfte Verwalter 
ihres Landes), oder neben ihren übrigen Herzogs: oder Grafentiteln 
(3. 8. princeps Flandrensium ; Lotharingorum dux, princeps 
et marchio; princeps Sardiniae, Pomeranorum princeps). 
Daraus erflärt fi, daß in Kaiſerurkunden des 10. und 11. Jahrhunderts 
neben Herzogen und Markgrafen eine dieſen gleichftehende Klaſſe von 
principes vorfommt, und zwar 5. B. in folgender Reihenfolge: ut 
nullus dux, marchio, princeps, comes u. f. w., ober unter Bor: 
anftellung de3 princeps. In ven genannten Länbern bat fidh der Titel 
vielfach wieder verloren durch die Erhebung der Landesherren zu anderen Wur⸗ 
den, namentlich zur Herzogs: oder Markgrafenwürbe ; doch führten z. B. 
die Herzoge von Bommern den Titel „Fürften von Rügen“ noch in neueren 
Zeiten. In den übrigen Theilen des Reichs ift er vor dem 13. Jahr⸗ 
bundert völlig ungebräudlic ; es gibt nur Herzoge, Marl: und Pfalzgrafen, 
Grafen, aber keine Fürften. Das erfte Beifpiel liefern die Grafen von 
Anhalt, die fi feit 1215 neben ihrem Grafentitel den von „Fürften zu 
Anhalt“ (comites Ascharie et principes in Anhalt) beilegen; haͤu⸗ 
figer geſchah vergleichen erft feit dem 15. Jahrhundert. ($. 8 u. 156.) 

Das Wort princeps wird aber au in einer ganz anderen Be 
ziebung gebraudt: nicht in Nüdfiht auf das einzelne Land, fondern auf 
das ganze Reich, injofen die erfte Klaffe unter der Gefammtheit der 
Reichsunterthanen bezeichnet werden fol. In diefem Sinn ift von prin- 
cipes regni die Rede. Im 9. Jahrhundert findet fi) diefer Rame 
jo gut wie nicht, im 10. u. 11. noch jelten und abwechſelnd mit andern 

Hißerifge Beitfgrifi VII. Band, EN 


456 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


allgemeinen Bezeichnungen, wie proceres, primates, optimates, se- 
niores ; dem 12. ift er bereit? ganz geläufig; zu Ende deſſelben kommt 
auch der Ausdruck principes imperii dazu. ($. 21—28, Seit An 
fang des .14. Jahrhundert3 redet der König von Böhmen, der fein Reich 
offenbar dem beutjchen al3 ebenbürtig an die Seite ftellt, gleihfall3 von 
feinen principes, principes regni Bohemiae). even einzelnen, 
welcher. zu den principes regni gehörte, fing man feit dem 12. Jahr: 
hundert an als unus ex principibus, oder geradezu princeps regni 
oder imperii (d. h. ein Fuͤrſt des Reichs) zu bezeihnen. Geit 1136 
pflegten die Kaifer, jo wie fie von principes nostri ſprechen, einzelne 
Große des Reichs „princcps noster,“ ober „noster et imperii 
princeps® zu nennen. ($. 28—31.) Die Großen nannten fih aud 
jelber jo. Es mar dann nur ein Heiner Schritt, diefe Würde, die Eigen 
haft unter die Erſten des Reichs zu gehören, principatus, Fürften 
thum, zu nennen; es geſchieht urkundlich feit 1151. Und fo mie der 
Begriff princeps regni leiht in ben von princeps terrae überging, 
jo liefert eine Urkunde von 1199 ein Beifpiel, daß man die Landſchaft, 
auf welche fih die Amtsgewalt des Fürsten bezog, principatus nannte; 
in diejer Urkunde nämlich gebrauht Hermann, Landgraf von Thüringen 
und Pfaljgraf von Sachſen, den Ausdruck: ecclesiis infra principa- 
tuum nostrorum terminos constitutis. Doch ift dies jept noch 
. eine feltene Ausnahme. Noch der Sadjenfpiegel redet nur von einem 
Fahn⸗Lehn, nit von Fürftenthbum, der Vetus auctor de beneficiis 
von einem Fürjten:Lehn (beneficium principale); als 1235 die Braun: 
ſchweigiſchen Länder zum Herzogthbum erhoben wurden, ift von einer Er: 
bebung des Landes zum „Fürſtenthum“ nicht die Rede. Grit bei päteren 
Erhebungen in den ;sürftenftand pflegte auch das Land ausdrüclich für 
ein Fürftenthbum erklärt zu werden. ($. 31—33.) 

Wer gehörte nun vor dem 13. Qahrhundert zu den principes 
regni? Sehen wir vorerft von den geiftlihen Würventrägern ab und 
fragen blos nah den weltlihen Großen, jo ergibt fi, daß unzweifelhaft 
Herzoge, Markgrafen, Pialzgrafen und einfahe Grafen zu den principes 
regni gehören (5. 62, 72, 75, 130; daß die Burggrafen regelmäßig 
den übrigen Grafen gleich geitanden hätten, wie ©. 82 u. 83 angegeben 
wird, müflen wir bezweifeln), während ebenſo gewiß Reichs-Miniſterialen 
oder gar Minifterialen der Grafen, Biihöfe zc. nicht dazu zählen. (S. 61.) 





b. Deutiche Geſchichte. 457 


Das find alfo noch viefelben NRechtsverhältniffe wie im Reiche Karla des 
Großen, der die ſämmtlichen Herzoge, Markgrafen, Grafen, die Erzbijchöfe, 
Bilhöfe und Aebte zu Reichstagen zu verfammeln pflegte. Nun kommen 
aber feit dem 10. Jahrhundert in den Urkunden noch andere Perjonen 
vor mit dem Titel liberi, ingenui, liberi domini, viri liberae 
conditionis, nobiles, welche zwar bei Aufzählung von Zeugen den 
Grafen naditehen, aud fonft 3. B. bei Strafbeftimmungen (©. 65.) 
unter fie gejegt werben, die aber doch aud wieder in gewiſſem Sinn zu 
der Klaſſe der principes zählen. Dieſe freien Herren oder Edeln find 
alfo ein Erzeugniß des 10. u. 11. Jahrhunderts, und der Verfaſſer würde 
feine Beweisführung jehr vereinfaht haben, wenn er gleih von vorne: 
herein nach deren Urfprung gefragt hätte. Allein er fommt erft in einem 
viel fpäteren Abjchnitt S. 239—270 darauf zu reden und ohne dieſe Ber 
ziebung beftimmt und ſcharf auszufprehen. Dieſen Abjchnitt wollen wir 
vor allen Dingen ind Auge fallen. 

Es iſt befannt, daß jhon in dem 10. u. 11. Jahrhundert die Her: 
zoge und Grafen anfingen, ihr Amt und mas damit zufammen hing (ihre 
Beneficien) ala etwas vererblihes zu behandeln. Wenn der Sohn beim 
König um Beleihung anbielt, Tonnte fie ihm nicht abgeſchlagen werben. 
Wie wurde es nun aber gehalten, wenn mehrere Söhne eines Herzogs 
oder Grafen vorhanden waren? Die ältere Regel war, daß von mehreren 
Söhnen immer nur Einer das Herzogthum oder die Grafſchaft anſprechen 
tonnte, entweder der vom Vater dazu auserwählte, oder der vom König vors 
gezogene. Nur dieſer Eine allein führte dann den Titel Herzog, Graf!). 
Es entſprach dies den allgemeinen Grundfügen des Lehnrechts und insbe: 
jondere aud den Reichsgeſetzen, wonach Grafſchaften ohne Zuftimmung des 
Königs nicht getheilt werden konnten. Die Grundſaͤtze des deutſchen Erb⸗ 
rechts, wonach alle Söhne gleiches Erbrecht haben, fanden alfo gewöhn: 
lih feine Anwendung, allein fie madten fi do bis zu einer gewiſſen 
Ausdehnung auf einem Ummege geltend. DPenjenigen Söhnen nämlid, 
welhen die Grafſchaft nicht zufiel, wurde dochh von ihrem Bruder ein 
Stüd der Grafſchaft (eine oder etlihe Gografihaften, Zenten) zu Lehn 
gegeben; fie follten al3 Bafallen ihres Bruders au eine Heine Herr 





1) Dan erinnere fi, daß diefer Grundſatz in England feine Güitigleit 
bis auf den heutigen Tag bebanptet hat. 


458 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Ihaft zu verwalten haben und deren Gefälle zu ihrem Unterhalte verwen: 
den. Diefe nachgejegten Söhne nannten fih dann aud nad der ihnen 
zugewieſenen Herrfhaft oder einem Schloß einfah Herren von X. X. 
Diefer Gebraud ift, wie der Verfafler nachweiſt, in Brabant, Zothringen, 
Meftfalen, 3. B. bei ven Grafen von Limburg, Yülih, Geldern, Lurem: 
burg, Berg⸗Cleve, ferner in den burgundiſchen Graffhaften (3.3. Savoyen), 
fowie in Böhmen und Mähren von Anfang an berrihend geweſen und 
herrſchend geblieben, und hat mohl noch eine weitere Verbreitung gehabt 
Daneben zeigt fih aber auch fchon früh ein arverer Gebrauch, der ſich 
3. B. in den Häujern der Markgrafen von Meißen und von Brandens 
burg jeit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhundert? nachmeifen läßt. Die 
nachgeſetzten Söhne führen den Titel „Grafen“ und nehmen ihre Meinen 
Herrihaften nicht von ihrem fürftlihen Bruder zu Lehn, find nicht feine 
Bafallen. (Die Beweiſe hierfür jcheinen una jedod noch nicht ganz ausrei⸗ 
chend.) Aber ſelbſt das kommt häufig vor, daß zwar nur Ein Sohn das 
Fürſtenthum erhält, alle Söhne aber den Amtstitel führen. Schon das 
Jahr 1030 Tiefert ein Beifpiel: ego Hezel non merito sed 
nomine palatinus comes dictus domini Ezzonis palatini 
comitis frater uterinus. (5. 88. vergl. Lacomblet 1., Nro. 169.) 
Auch die Herzoge von Rotenburg, von Zähringen, von Ted, von Urslingen, 
die Markgrafen von Vohburg, von Burgau, von Hachberg u. |. mw. find 
bloße Nominalberzoge und Markgrafen, die fi daher auch nicht nad dem 
betreffenden Herzogtbum oder der Markgrafihaft ihres Haufes, fondern 
nah einer ihnen eingeräumten Burg nennen. Die fämmtlihen nachge⸗ 
jegten Söhne und deren Nachkommen, mochten fie nun den Titel Herzog, 
Graf oder freier Herr führen, wurden, da fie fein Fürſtenthum inne 
hatten, regelmäßig auch nicht zu den Fürſten des Reichs gezählt, diefen 
vielmehr als bloße „nobiles ® entgegengejegt. (S. 191, 194, 196 
u, ſ. wm.) Ihre Bedeutung iſt eine untergeorbnete, woraus ſich erflärt, 
daß verſchiedene Reichögefege dem nobilis (nämlih dem, qui prin- 
cipatum non habuerit), nur eine halb fo hohe Gelpftrafe androben, 
als einem princeps. (S. 65.) Allein auf der andern Seite bleiben 
fie doh dem Stande nah Genoſſen der Fürften und beißen als 
folge nobiles, wie denn auh Herzoge und Grafen nicht felten als 
nobiles bezeichnet werden. (S. 77.) Sie erſcheinen am königlichen 
Hofe, können Zeugen in Reichsgeſchaäften fein, genießen perſoͤnliches Fürs 





5. Dentfche Geſchichte. 459 


ftenreht (judicium parıum). Denn abgejehen von der Gemeinfchaft 
bes Blute® war ihre Stellung eine der fürftlihen ähnliche; fie gehörten 
wie die Fürften zur Klaſſe der Landesherren (domini), nit zur Klaſſe 
der Dienftleute (ministeriales); fie felbft batten Herrihaften, Bur⸗ 
gen, Dienftmannen, und wenn fie diefelben auh aus anderer Hand be 
ſaßen, jo war dies doch fein Sold für zu leiftende gewöhnliche Ritter 
dienfte, jondern ein dem Fahnlehn analoges Verhältniß. Eben deswegen, 
wegen des Gegenſatzes zu den Minifterialen, nannten fie fih au liberi, 
viri liberae conditionis, wie nidt felten ſelbſt Herzogen, Pfalzgras 
fen und Grafen dieſes Beiwort ertheilt wird im Gegenjag zu den Dienft« 
leuten. (S. 76.) Keineswegs foll damit ein Gegenfat zu den Leibeignen 
oder Liten ausgedrückt werden, was früher Manche geglaubt haben, die 
dann zu der feltiamen Annahme gelangten, dieſe freien Herren feien bie 
einzigen Ueberbleibjel der alten freien Deutichen. Vielmehr werben fie 
von den gemeinen Freien beftimmt als „nobiles“ geſchieden, fo 5. B. 
im Gottesfrieven von 1083 u. 1085, worin folgende 4 Klafien gemacht 
werben: principes, nobiles, liberi aut ministeriales, servi aut 
liti. (S. 65 u. 78.) 

Der Verf. fpricht diefe Säge nicht alle, und nicht fo beftimmt aus, 
wie es eben geſchehen iſt; allein fie ergeben ſich doch aus den von ihm 
beigebrachten zahlreihen Beweiſen. ihre Wichtigleit wird Jeder erlennen, 
der weiß, wie viel: Verkehrtes feither über die freien Herren oder Dynaften, 
wie man fie nannte, gejchrieben worden ift. Theorieen, wonach fie als 
Ueberrefte de3 vermeintlichen deutſchen Uradel, oder ald Privatleute (Befiger 
von „Dinghöfen”) zu betrachten wären, müflen nun envli bald verſtum⸗ 
men; man wird zugeben müflen, daß Alles, was in Deutſchland von hohem 
und niederm Adel eriftirt, in biftorifcher Zeit feinen Urfprung genommen 
bat. Die Frage, ob die Nebenlinien ver herzoglichen und gräflihen Käufer 
gewöhnlich ihre Herrfchaften von dem Haupte des Hauſes oder vom Kaifer 
zu, Zehn trugen, muß vorerft offen bleiben, da nicht hinreichende Unter: 
fuhungen vorliegen. (S. 83.) 

Ein meiterer Hauptpunlt, den der Verf. auszuführen fucht, ift der, 
daß der NReichsfürftenftand zu Ende des 12. Jahrhundert? (und zwar etwa 
feit 1180; vgl. ©. 59) eine: Veränderung erlitten habe. Während nämlich 
vorher die Grafen noch zu den principes regni gerechnet worben feien, 
jei dies feitvem nicht mehr der Fall geweien. (S. 130.) m Urkunden, 





460 Ueberficht der Hiftorifhen Literatur von 1861. 


welche von ver Reichskanzlei ausgingen, gejchieht dies nicht ein einzigesn 


- mehr feit dem Jahr 1180. Vielmehr wird es üblih, Grafen befondı 


aufzuführen (S. 137) oder mit freien Herren zufammen ala fidel« 
nobiles, prudentes, proceres, namentlih aber ald magnates ol 
barones zu bezeihnen. (Der Verf. gebraucht im Berlaufe den Ausor 
Magnaten regelmäßig für Grafen und Edle, alfo für Herren, die ni 
Fürften find. S. 142.) Entfprechend werben in einem Gejege König Hei 
richs vom Jahr 1234 die Grafen von den Fürften getrennt, letzteren ei 
Geldſtrafe von 100 Pfund Gold, den Grafen oder andern Edeln (com: 
vero vel alius nobilis iudicium habens) von 100 Pfu 
Silber angevroht. (S. 140.) Die Fürften erhalten ven Chrentitel ıll 
stres (erlauchte, durchlauchtige), während Grafen und Herren nur nobile 
spectabiles beißen. Daß dies nit nur Außerlihe Formen waren, ergi 
ſich daraus, daß genau feit der nämlichen Zeit ausprüdlide Erhebung. 
von Grafen in den Stand eines Fürften des Reid vorlommen. D 
erfte Beispiel liefert die 1188 erfolgte Erhebung des Grafen von Hem 
gau zum Markgrafen und Fürften des Reichs. Tie Urſachen, mit weld, 
diefe Erſcheinung zufammenbängt, hat der Perf. nicht meiter entwide 
Insbeſondere bleibt duntel, welche Verſchiedenheiten e3 erzeugte, wenn « 
Graf die Grafſchaft nit vom Reich, jondern von einem geiftlichen ot 
“weltlihen Fürſten hatte, und ob nicht Die Erhebungen zum Reichafürftenfta 
gerade in den legteren Fällen Statt fanden, An einem einzigen, mit al 
Gründlichkeit vorgeführten Beifpiele würde ji bier vielleicht mehr ermeif 
laſſen, als an vielen nit volljtändig gelannten Fällen. 

Mit dem 13. Jahrhundert gewann die Erbfolge in Reichslehn ei 
ganz andere Geftalt. Der landrechtliche Grundſatz von der Gleichbered 
gung aller Söhne drang um jo mehr durch, als bei den fürftlihen Ne 
ten der Charakter des Amts zurüdtrat. Seit 1226 wird die Beränderu 
fihtbar. Die beiden Söhne des 1220 verjtorbenen Markgrafen Albre 
von Brandenburg, Johann und Otto, nahmen jeit 1226 beide den ma 
gräfliben Titel an, und führten die Negierung gemeinſchaf 
lid. Ter Kaifer ließ zwar bei der Belehnung im Jahre 1231 nur d 
älteften al3 eigentlihen Lehnäträger, und folglib al! Markgrafen u 
Reichsfürſten gelten, den andern als eventuell Belehnten, allein ſchon 128 
werben Beide von König Wilhelm als Markgrafen und Reichsfürſten a 
erlannt. Diefer Vorgang fand nun in vielen Fürftenhäufern Rachahmu 





5. Dentiche Geſchichte. 461 


und hat eine unendlich wichtige Wirkung auf die Geftaltung der einzelnen 
Fürftenthümer und auf die Neihsverfaflung gehabt. Von der Gejammtver: 
waltung mehrerer Brüder zur reellen Theilung war jegt nur noch Gin 
Schritt; und auch hierzu wird bereit3 im jahre 1255 von den Herzogen 
von Bayern das Signal gegeben. Tie meiften Häufer folgten, auch die jün- 
geren Fürftenhäufer. In mehreren Fällen wurde, wie man weiß, die Ger 
nehmigung des Königs dazu eingeholt ; denn dem Reichsrechte nad war 
fie nothwendig; ob es immer geſchah, läßt fi bis jegt weder bejahen 
noch verneinen. Ter Zerfplitterung wurde erft durch die Golone Bulle für 
die Kurfürftenthümer und nah und nad, zum Theil erft im 18. Jahrhun⸗ 
dert, duch Hausgeſetze (Primogenitur-Ordnungen) für die übrigen Länder 
Einhalt gethban. Der Perf. mabt ©. 263—270 intereflante, wenn auch 
meift nicht neue Zujfammenftellungen über das biermit zujammenhängende 
Steigen und Fallen der Zahl der weltlihen Fürſten und Fürftenftinmen, 

Bon ©. 270—300 unterfuht der Nerf., welche Erzbiſchöfe und 
Biſchöfe zu den Reichsfürſten gehörten und melde nicht. Während näm- 
lich früher die Biſchöfe allefammt zu den principes zäblen, und dies in 
den urfprünglicen deutſchen Ländern Regel bleibt, finden fich jeit Ende 
des 12. Jahrhundert? in den neu zum Reich gejchlagenen Gebieten meh: 
rere, die es nicht find. Bei näherer Unterfuhung ergiebt fi, daß ein Bi- 
ſchof, der nicht zu den Fürften zählt, alfo nicht princeps heißt, immer ein 
ſolcher fein wird, der die Herrichaftsrechte (Regalien), 3. B. Zölle, Münzrechte, 
namentlih Gerichtsbarkeit, von einem geijtlihen oder mweltlihen Fürſten, 
nit vom Kaifer hat, mithin einem Fürſten den Lehnseid leiften muß, 
Vaſall nit des Kaifers, ſondern eines Landesherrn if. Dahin gehören 
die Bilhöfe von Lebus, Ermeland, wie e3 ſcheint aud von Brandenburg 
und Havelberg, Schleswig, Breslau, Gurt, Chiemjee, Cedau, Lavant (die 
4 legtgenannten empfingen ihre Güter und Negalien vem Erzbiſchof von 
Ealzburg, alſo einem geiftlihen ‘yürften, bis im 16. Jahrhundert aud) 
Defterreih Rechte darüber erlangte). Tiefe waren alle niemals Reihsfür: 
ſten. Wiederum aber gibt es eine Anzahl, die die Fürſtenwürde Später 
erft einbüßten. Gin beſonders mertwürdiges Beispiel dafür bieten die Bi- 
Ihöfe von Prag und Olmütz. Beide maren früberbin Neihsfürften, em: 
pfingen ibre Leben vom Kaifer. Im Jahre 1197 aber verftand fidh der 
damalige Inhaber des Prager Sites, Taniel, dazu‘, die Lehen vom Her: 
zog Wlapislans von Böhmen zu nehmen, und diefem den Treueid (homa- 


462 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


gium) zu fhwören; und ähnliches muß mit Olmütz erfolgt fein. Seitdem 
waren dieſe Bilchöfe böhmifche Lehnfürften und erjchienen nit mehr am 
Taiferlihen Hof. Das in ſich felbft geipaltene Reich mußte diefen Abbruch 
feiner Hoheit geſchehen laſſen. Auch die Bilchöfe von Merjeburg, Meißen, 
Raumburg waren damals Reichsfürſten, wurden aber ſeit vem 16. Jahr 
bundert als Ianpjällig in Anfprud genommen. Die Bilhöfe von Lübed, 
Schwerin und Razeburg wurden nah der Wieberherftellung der Bisthü- 
mer biß 1180 durch Herzog Heinrich den Löwen belehnt, von da an aber 
zogen bie Kaiſer das Belehnungsrecht wieder an fi, und die drei Bifchöfe 
blieben ſomit Reihsfürften. Dagegen erlangte der früher wahrſcheinlich nicht 
reihaunmittelbare Biſchof von Kamin fpäterhin den Reichsfürſtenſtand. Aehn⸗ 
Iihe oder abweichende Verhaͤltniſſe weiſt der Verſ. auch für vie ſchweize⸗ 
riſchen, ſavoyiſchen, burgundiihen und italifhen Bisthümer nad. Der 
Berf. zeigt, daß mittelbare Bilchöfe regelmäßig nicht auf Taiferlihen Hof 
tagen, fonvern bei den Hoftagen ihres Lehnsherrn erſcheinen, regelmäßig 
auch niht in Urkunden über Neihsgeihäfte als Zeugen aufgeführt wer 
den, obwohl einzelne Ausnahmen davon vorlommen. Nah Ausbildung des 
Reichstags kommt ihnen Ei und Stimme darin nicht zu. Der Titel „Fürft“ 
gebührt ihnen nicht, wird aber namentlih in neuen Jahrhunderten man- 
hen von ihnen aus Artigkeit beigelegt, oder vom Kaifer verliehen. Wenn 
die bömiſchen Bifchöfe (Prag, Olmüg, Breslau und feit 1344 Leutomiſchl) 
befonderd häufig den Titel Fürſtbiſchof führten, jo war dies von ihrer 
Stellung als Fürften des Königreichs Böhmen hergenommen. 

Der Abſchnitt von S. 320— 363 handelt von den Aebten und Aeb: 
tiffinnen. Der Verf. findet auch hier „im Allgemeinen” für Deutjchland 
(nicht für Italien) den Grundſatz beftätigt, daß nur ſolche Nebte zu ven 
Fürften des Reichs gehört haben, welche die Regalien vom Rei, nicht won 
einem Landesherrn erhielten. Der Verf. erklärt fih dies folgendermaßen: 
vor dem 12. Jahrhundert habe jedes Bisthbum und jedes Klofter einen 
„Heren” gehabt, welhem das „Eigenthum“ an den „Temporalien” deſſel⸗ 
ben zuftand ; diefer Herr habe der Papft, ein Biſchof, ein weltlicher Fürft 
oder der Kaifer fein können. Bon ihm habe dann der entweder von ihm 
denominirte oder frei gewählte Biſchof oder Abt den weltlihen Befig des 
Bisthums, der Abtei, empfangen, was im 12. Jahrhundert als Lehnsver⸗ 
haͤltniß aufgefaßt worben fei; alle Klöfter nun, deren Eigenthum dem Kö: 
nige zuftand, feien Reichöllöfter, ihre Aebte Neihsfürften geweien. Allein 





5. Deutiche Geſchichte. 468 


der Verf. begeht hierbei offenbar den Fehler, die gewoͤhnlichen Vermögens: 
rechte der Kirchen und die Regalien nicht genugſam auseinanderzubalten. 
Ihre Ländereien, Leibeignen, Gefälle befaßen die Klöfter gewiß zu vollem 
Eigenthbum ; nur ihre Regalien, (ihre ſchon in der Immunität begriffene 
Grafengewalt, ibre im 10. und 11. Jahrhundert erworbenen Grafichaften, 
Zoll⸗, Münz: und Bergwertsrehte u. |. mw.) leiteten fie vom Reiche ab; 
dieſe mußten fie ſich vom jebesmaligen König beftätigen lafien, jie von 
ihm nah fpäterer Form zu Lehn nehmen. Alle KHlöfter nun, welche vom 
Reich Negalien hatten, und dazu gehören alle älteren Klöfler, waren reichs⸗ 
unmittelbar, ihre Aebte Reichsfürſten. Tie Vorſteher der zabllofen im 12, 
13. und 14. Jahrhundert geftifteten Klöfter wurden nicht Reichsfürſten, 
weil ihnen der König feine Immunität, keine NRegalien mehr einräumte, 
Ihre Güter blieben aljo unter der Gerichtöbarteit der Landesherren, fie 
erjchienen auf den Landtagen. Grlangten fpäterhin auch mande von ihnen 
durch kaiſerliches Privilegium Immunität, alfo Reichsunmittelbarkeit, auch 
ein oder das andere Regal, jo blieben fie doch von ſehr untergeorbneter 
Bedeutung; auf dem Reichstag führten ihrer eine ganze Bank voll zuſam⸗ 
men nur Cine Etimme, ähnlih wie die Heinen Reichagrafen. Andere er: 
langten troß ihrer Reichsunmittelbarkeit nicht einmal ein ſolches Stimms 
recht; dieſe laſſen fih dann der reihaunmittelbaren Ritterſchaft und den 
Reichsdörfern vergleichen. 

Diefe Zufammenftellungen mögen genügen, um auf die bier behan⸗ 
delten wichtigen ragen und die Verdienſte, die ſich der Berf. durch fein 
Werk um die deutfche Nehtögefhichte erworben hat, aufmerkſam zu machen. 

F. Th. 

In den Göttinger Gelehrten Anzeigen begrüßt auch Herr Profeflor 
Maik dies Werk Fickers als ein „wahrhaft Epoche machendes.“ Auch 
an diejer Stelle möge ein Hinweis auf diefe Anzeige Platz finden. (G. G. A. 
1862. &. 101—111.) 

Arnold, Prof. Dr. Wilh., zur Geſchichte d. Eigentbums in 
den deutfchen Städten. Mit Urkunden. gr.8. (XXV u. 487 ©.) Bajel, Georg. 

Die neuerdings unternommene Durchforſchung und Ordnung der faft 
vollftändig erhaltenen Archive der Basler Stifter und Nlöfter bat dem Bf. 
einen großen Vorrath ungedrudter Urkunden, die ein reiches Material für 
die Geſchichte der Befizverhältnifie in der Stadt enthalten, zugeführt. Bes 
fonderd häufig fand fi in ihnen die Erbleibe bezeugt. Das bewog ihn, 


464 Veberficht der hiftorifchen Fiteratur von 1861. 


dies Rechtsinftitut, welches ihm aud in Urfunden anderer Städte, wie Worms, 
Frankfurt, Köln vielfach begegnet war, näher in? Auge zu faflen. So er 
fährt die Erbleihe, bisher meiftens nur in länvlihen Berbältnifien beob⸗ 
achtet, hier zum erftenmale eine eingehende Darftellung in ihrer Anwendung 
auf die ftädtifchen Verhältniſſe. Man halte das Bud aber deshalb nidk 
blos für einen Beitrag zur Geſchichte des Privatreht3. Der Verf. betrady 
tet die Erbleihbe in ihrem Zufammenhange mit den gefammten Befigver 
hältnifjen, wie fie in den Städten des Mittelalters bejtanden, würdigt fie 
nad ihrer rechtlichen, wirthſchaftlichen und politiihen Seite und weift da 
nad, wie fie vermöge ihrer wirthichaftlihen Bedeutung für die innere Ext 
widlung des ſtädtiſchen Lebens, insbefondere der ftändiihen Berbältnifie 
höchſt einflußreih geworden iſt. Die ftäbtiihe oder Häuferleibe war das 
Mittel, ven in die Stadt einwandernden Unfreien, welche durd den Auf 
enthalt in derfelben die perjönlidhe Freiheit erwarben, namentlich alfo Hand⸗ 
wertern, den Befig und Genuß von Grund und Boden zu verjchaffen, ohne 
daß fie dadurch, wie das bei dem hofrechtlichen Belit die Folge mar, im 
perfönlihe Abhängigkeit von den leihenden Grundeigenthümern geriethen. 
(S. 36, 55.) Die Verpflichtung des Beliehenen ging leviglih auf Ent 
rihtung eines Zinſes aus der geliehenen Sade. Dieſe jelbft gewährte 
ihm nit nur Raum zur Wohnung, zum Gejhäfte und Handwerksbetrieb, 
fondern fegte ihn auch in den Stand, fih Capital zu verfhaffen, nämlid 
gegen Uebernahme einer Rentenleiftung auf den ihm geliehenen Boden. (S. 88.) 
Anfangs tritt die Rente ganz in den Formen der Leibe auf, windet fid 
erft allmählih davon los und wird dann zu einem freien Crebitgejchäft. 
(S. 102, 113.) Wie die Renten werden dann auch die Grundzinfen und 
das ungetheilte Eigen Gegenftand des Verfehrs, zugleih wird das Capital 
in den Städten häufiger und verbreiteter: beides zufammen eröffnet aud 
andern als den alten grundbefigenden Ständen die Möglichkeit Grundbefig 
zu erwerben. (S.188.) Aber der Grundbefig ſelbſt hat inzwiſchen feinen 
alten Charakter eingebüßt. Seine Geſchloſſenheit und Unbeweglichkeit ift ge: 
brochen; er iſt nicht mehr in der Alleinherrihaft, fondern muß das Gapital 
neben ſich als, einen gleichberechtigten Factor gelten laflen; er ift nicht mebr 
die Vorbedingung für den Genuß politifher Rechte. (S. 250.) Auch m: 
getheiftes Cigen kann jegt mit Abgaben belaftet fein, und mo das Gigen: 
thum als getbeiltes auftritt, da ift das Obereigenthbum zu einem bloßen 
Binsrechte abgeihwächt (S. 291), und die urfprünglih dem Obereigenthe: 





5. Deutſche Geſchichte. 465 


mer daneben zuftehenden Rechte der Aufficht und der Zuftimmung bei Per: 
äußerungen Seiten? des Beliehenen find weggefallen (S. 152), während 
das Recht des leptern materiell fi einem volljtändigen Eigenthum nähert. 
(S.291.) Die ftädtiihen Ablöfungsgejege heben endlich die letzte Belaftung 
des Boden? auf und machen die Beliehenen nun auc formell und voll: 
ftändig zu Cigenthümern der geliehenen Sade. (S. 296.) — Es ift das 
allerdings nur eine bürftige Skizze der reihen Darftellung eines dreihun⸗ 
dertjährigen Entwidlungsganged. Doch wird fie ungefähr andeuten lünnen, 
welche wichtigen Beiträge für die Geſchichte der deutſchen Städte bier gege 
ben find, mie mannigfadhe Belehrung ver Hiftoriler mie der Juriſt und 
der Nationalölonom bier jchöpfen kann. Es iſt damit einmal wieder die 
Aufmerkſamkeit auf die befondern materiellen Verhältnifie, auf die eigen- 
thümlichen wirtbichaftliben Grundlagen, welde jo beftimmend auf die ftän- 
diſche Entwidlung in dem Städten eingewirkt haben, hingelenkt, nachdem 
lange vorzugsweiſe die Verfaſſungsgeſchichte der Städte berüdjichtigt wor: 
den ift. Und doch ift für die Gejhichte der deutfchen Städte die Geſchichte 
der Berfafjungsformen das weniger wichtige und interejjante (Hegel, Kieler 
Monatsſchrift 1854, ©. 156), die Geſchichte der Standesverhältniſſe das 
beveutungsvollere. (Arnold, S. 237.) 

Ten reihen Ertrag, welchen fein Werk geliefert, verdankt der Verf. 
theils feiner Methode, die Rechtsentwidlung nicht allein aus ſich felbft, fon: 
dern in enger Verbindung mit der Geſchichte zu erllären und bier naments 
lich aud der wirthſchaftlichen Eeite der Entwidlung gerecht zu werben, theils 
feiner Beſchraͤnkung auf einen beftimmt abgegrenzten Quellenfreis. eine 
Deduction gewinnt dadurh an Sicherheit, mas fie an jcheinbar allgemeis 
ner Gültigkeit verliert; man wird fih allerdings hüten müflen, vie bier 
gewonnenen Rejultate ohne weiteres auf andere unter verjchiedenen Be: 
dingungen ſtehende Städte zu übertragen, zumal Bafel, dad dag Haupt: 
material bergegeben bat, ſich jehr ruhig und ftetig entwidelt, lange ältere 
BZuftände feitgebalten bat, Eigenſchaften, die auf der andern Seite dieſe 
Stadt ald Mufter und Mittelpunkt für ſolche Darftellung empfehlen mußten. 

Die ftäptifchen Statuten haben über bie bier behandelten Verhältniffe 
feine ergiebigen Aufichlüffe gewährt, jondern vorzugsweiſe die Urkunden, 
deren etwa 150 — meiſtens aus Basler Archiven — binter dem Tert 
S. 307—456 vollftändig abgedrudt find. F. F. 


— _ 


466 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Arnold, Brof. Dr. Wilh, das Auflommen bes Handwerker— 
ftandes im Mittelalter. gr. 8. (IV u. 52 ©.) Bajel, Georg. 

Es find dies zwei in der Basler Aula vor einem gemifchten Bus 
blitum gehaltene Borlefungen, vie ihr Thema in einfacher anſprechender 
Meife behandeln. Die erfte giebt nad einem Weberblid über vie ältern 
deutfhen Zuſtände eine kurze Geſchichte der Entitehung ber Städte und eine 
Schilderung de3 ftäbtifchen Lebens, aud hier wieder mit befonderer Her 
vorhebung der wirthichaftlichen Seite, fo daß aljo die Städte vorzugsweiſe 
als Site der freien Arbeit, der nit mehr mit dem Boden verknüpften, 
von perfönlih freien Leuten betriebenen Arbeit betradhtet werben. Der 
zweite Vortrag befpricht die Vereinigung der freien Handwerker zu Zunf 
ten im Gegenfag der hofrechtlichen Innungen früherer Zeit, den Kampf der 
Zünfte mit den Geſchlechtern nad feinen allgemeinen Beweggründen, fei: 
nem verjchiedenen Verlauf in einzelnen wichtigern Städten und feinem end⸗ 
lichen Ergebniß, den Handwerkern Antheil am ftäbtiihen Regiment und 
Eintritt in den Bürgerftand, deſſen Bildung damit abſchloß, zu verſchaffen. 

F. F. 

Hahndorf, S., zur Geſchichte der deutſchen Zünfte. 8 

(IV u. 100 ©.) Kaſſel, Fiſcher. 


Viſcher, Dr. Wilh., Geſchichte des ſchwäbiſchen Städte 
bundes der J. 1376 — 1389. (Abdruck aus den Forſchungen zur deutjſchen 
Gedichte.) gr. 8. (201 ©.) Göttingen, Dieterich. 

Bode, weil. Stadtr. Dr. W. 3. L., Geſchichte d. Bundes der 
Sadjenftädte bis zum Ende des Mittelalters mit Rüdfiht auf die Terri⸗ 
torien zwiſchen Wejer und Elbe. (Abdrud aus den Forſchungen zur deutfchen 
Geſchichte.) gr. 8. (88 ©.) Göttingen, Dieterid). 

Schmid, Dr. Geo. Bict., die mediatifirten freien Reihe 
ſtädte Deutfhlands. gr. 8. (XVI u. 406 ©. mit eingedr. Holzfchnitt.) 
Frankfurt a. M., Sauerländer’s Berl. 


Höfler, Karl Adf. Konftant., Rupreht von der Pfalz, genannt 
Clem, römifcher König. 1400—1410. Ler..8. (XI ır. 484 ©.) Sreiburg im 
Breisgau, Herder. 


Eine Beiprehung bleibt vorbehalten. 

Brockhaus, Siemens, Doctor der Phil. und Katechet an der Peters. 
firhe in Leipzig, Gregor von Heimburg. in Beitrag zur deutfchen 
Geſchichte des 16. Jahrhunderts. 8. (XVI u. 385 S.) Leipzig, Brodhaus, 

Das Leben eines Manned, der als „Rath“ und politiider Sachwallet 








5. Deutſche Geſchichte. 467 


verſchiedenen Fürſten und außerdem eine lange Reihe von Jahren hindurch 
der Reichsſtadt Nürnberg gedient, müßte dem Biographen in zuſammen⸗ 
banglofe Kapitel augeinandergehen, wenn nicht in der That die muthige 
Energie des Helden allen Berhältnifien, in die er trat, das ſcharfe Gepräge 
feines Geiftes gegeben hätte. Der kurfürftlihen DOppofition zur Zeit der 
fogenannten „Neutralität,“ dem Herzoge Sigmund von Tirol im Kampfe gegen 
Kardinal Kuſa, den hierarchiſchen Biſchof von Brixen, endlich Georg von 
Böhmen in feinem legten Ringen mit dem römischen Stuhl und deſſen 
Kämpen bat Heimburg nit nur als Confulent gedient, fein Zutritt ift 
ftet3 das Signal eines fchneidenden und bittern Widerftandes gegen mwäl: 
ches, päpftiiches, pfäffiiches MWefen, und diefen Widerftand weiht die durch 
und dur deutſche Gefinnung, der bemußte Patriotismus diefed Juriſten, 
des Einzigen unter feines gleichen, der niemals einer elenden Sade feinen 
Beiltand geliehen. Tas Material zu einer Biographie des Mannes ift 
jeit dem Bude von Karl Hagen (in der „Braga” 1839, dann u. d. T. 
Zur politijhen Geſchichte Deutſchlands 1842) beveutend angewachſen. Wir 
willen nicht, ob Dr. Ehmd in Bremen, ein Schüler Droyſen's, feinen Plan, 
e3 zu geftalten, aufgegeben. Herr Brodhaus hat das Thema mit ficht: 
barer Liebe, wenn auch mit einigem Ueberfhmwang in Auffaflung und Aus: 
drud, ergriffen. Die vielen Briefe und Streitjchriften Heimburgd, von 
denen Auszüge geboten werden, laſſen fein Bild unverlennbar hervortreten, 
wie e3 denn freilich in feiner Prägnanz kaum zu verfeblen if. Für eine 
wiſſenſchaftliche Monographie aber ijt das Buch etwas zu leicht und fchnell 
gearbeitet. Auch ift zu einer folhen mehr Genauigteit im Kleinen und 
vor Allem das Heranziehen eines reicheren Apparates nothiwendig, wogegen 
wieder einzelne Quellen, die dem Verf. vorlagen, übermäßig und zu ent: 
bebrlihen Abſchweifungen ausgenugt find. 

Daß Heimburg nit aus Würzburg, fondern vielmehr aus Schwein: 
furt ftammt, ift in diefer Zeitfchrift Bd. V S. 467 gejagt worden; auch 
dürfte das Bemühen vergeblich bleiben, ihn mit der adligen Familie von 
Heimburg zufammenzubringen. Manchen Unfinn, der fi in den Würzburger 
Quellen, insbeſondere bei Lorenz Fries findet, hat der Verfafler ohne jedes 
Bedenken nachgeſchrieben. Mie konnte er wiederholen, mad Schöpf und 
Dür aus dem Häglichen Nürnberger Gelehrtenleriton von Will entnehmen, 
daß Heimburg auf dem Basler Concil Secretär des Aeneas Syloins 
geweſen! Daß er nicht als bloßer Privatmann, fondern als Botichafter. 


468 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


zweier Kurfürften nad) Bafel kam, hätte der Berfafier aus Droyſens Geſch. 
der preuß. Politik Th. I S. 590 lernen können. Die Geſchichte der kur 
fürftlihen Neutralität ftellt ſich feit den lehrreihen Forfhungen von W. 
Püdert weſentlich anders dar: wie konnte dem Verf. diejes 1858 zu Leip⸗ 
zig erſchienene Buch entgehen! Die Regeften und bie vielfachen anderen 
Editionen Chmels benutt er nur einmal, wo er durch ein Citat darauf 
geftoßen wurde. Andere Fälle verrathen die flüchtigfte Bekanntſchaft wit 
der vorliegenden Quelle So fol z. B. ©. 75: Höfler® Ardiv XL 
eine Edition Höflers im Archiv für Kunde öfterreihiicher Geſchichtsquellen 
bezeichnen, und S. 7 erſcheint ala Verfaſſer der erſt fürzlid von Seller 
wieder herausgegebenen „Translationes“ des Nicolaus von Wle plotzlich 
der bekannte Martin Mayr. Ein Curioſum iſt auch S. 137 der Herzog 
Borgia (ſtatt Borſo) von Modena. — i — 


Menzel, Dr. Karl, Kurfürſt Friedrich ber Siegreiche von 
der Pfalz. Nach feinen Beziehungen zum Reiche und zur Reichereform in der 
Jahren 1454 bis 1464 dargeſtellt. Inaugural-Differtation. Bon der philoſ. 
Fakultät der k. Ludwig-Marimilians-Univerfität zu Münden gekrönte Preisichrift. 
8. (VI u. 107 ©.) Münden 1861. 

Dieſe gediegene und mit Recht gefrönte Arbeit eines jüngeren Mannes, 
der in Münden aus Sybels Schule hervorgegangen, feit ein paar Yab: 
ven bei den Borarbeiten zur SHerausgabe ber deutſchen Reichstags- 
alten thätig ift, kündigt ſich zugleich als Vorläufer einer umfafjenden Ge- 
Ihichte des fiegreihen Pfalzgrafen an, die ohne Zweifel das grundlegende 
Merl Kremers an Fülle des Materiald und im Umfange des politifchen 
Geſichtskreiſes weit überbieten wird, Ueberall ift das Bemühen ſichtbar, 
die haltloſen Traditionen auszuſcheiden und die guten, geläuterten Quellen 
nicht nur zu excerpiren, ſondern auch mit dem Verſtändniß zu durchorin- 
gen, mögen aud die maßgebenden Gedanken dem Lehrer zugebören, dem 
die Abhandlung gewidmet ift. Die Neform des Reiches tritt in den Hand- 
lungen des pfälzifhen Kurfürſten als Hauptmotiv hervor, aber audy die 
territorialijtifchen und perjönlihen Abfichten feines Helden weiß der Berf. 
(3. 3. ©. 8, 17) mit unbefangenem Blid zu würdigen. Gejdhidt hebt er 
die einzelnen Phafen in dem kriegerifhen und biplomatiihen Ringlampfe 
zwiſchen Friebrih und dem brandenburgifchen Albrecht, jo wie die Einwir⸗ 
“tungen Böhmens und des Taiferlihen Hofes hervor. Das gedrudte Ma 
terial iſt gewiſſenhaft benutzt; von bisher unbelannten Quellen Tommen 





5. Deutſche Geſchichte. 469 


die Neuburger Eopialbüher und Mancherlei hinzu, was der Verfaſſer im 
Stadtarhib zu Frankfurt gefunden. In den erften Abjchnitten hoffen wir die 
fpätere Ausarbeitung noch in einigen Punkten berichtigt zu finden. Die Prals 
titen der Jahre 1453 bis 1455 werden entſchiedener auf den Trierer 
Kurfürften, Jakob von Sirk, und feinen fchlauen Rath Johann von Lyſura 
zurüdzuführen fein. Darum hätte auch das von Ranke mitgetheilte Acten- 
ftüd (S. 6) nit aus feinem biltorifhen Zufammenbange geriffen und 
gleihjam zur Partei⸗Theorie gemacht werden jollen; überdies gehört es 
zum Frankfurter, nicht zum Regensburger Reichätage, jowie aud der ©. 11 
beiprohene „Rathſchlag“ nit auf dem Frankfurter, jondern erſt auf dem 
Neuftäbter Tage gejtellt wurde. Was ferner S. 11 die Wendung des Marl: 
grafen Albrecht zur kaiſerlichen Partei betrifft, jo wäre zu beachten, daß er 
Ihon auf dem Regensburger Tage als laiferliher Kommiſſarius erjcheint. 
Möchte dem Verf. Muße und Muth zur Ysörderung feines größeren Wer: 
fe3 werben. — i — 

Jäger, Dr. Albert, o. d. Profeſſor der öſterreichiſchen Geſchichte an 
der k. E. Wiener Univerſität, wirkl. Mitglied der kaiſ. Academie der Wiſſenſch., 
Der Streit des Cardinals Nicolaus von Cuſa mit dem Herzoge 
Sigmund v. Oeſterreich als Grafen von Tirol. Ein Bruchſtück aus 
den Kämpfen der weltlichen und kirchlichen Gewalt nach dem Concilium von 
Baſel. 8. Bd. J (XI, 3845.) II (440 S.). Innsbruck, Wagner. 

Der Verfaſſer, ein Tiroler von Geburt, hat ſchon ſeit einer Reihe 
von Jahren, indem er Vorarbeiten zu dieſem Buche veröffentlichte (eine 
Kritil der Biographie Cuſa's von Scharpff und der cuſaniſchen Acten 
in den Sitzungsberichten der phil.:hiit. CL der kaiſ. Academie der 
Wiſſ. Bo. V, 1850; Negeften über den Streit von 1450 bis 1464 im 
Arhiv für Kunde öfterr. Gefchichtäquellen Bd. IV, VII; eine Abhand: 
lung über die Gradner'ſche Fehde in den Denkſchriften der Alademie 
Bd. IX) auf das Intereſſe und die tiefere Bedeutung des 14jährigen 
Streites aufmerkſam gemadt. Nicolaus von Cues (an der Mofel), für 
feine Apoftafie won den Tendenzen des Basler Concil3 mit dem Garbinals: 
bute belohnt, erhielt 1450 durch päpftlihe Proviſion das Bistum Briren. 
Mipliebig ſchon als Gindringling und duch fein pfäffifhes Walten im 
Namen der kirchlichen sreibeit, die immer jein Stihwort war, und der 
Reform der Höfterliben Regeln, die das Stichwort der Reacdion über: 
baupt war, gerietb er bald mit dem Lanvesfürften, Herzog Sigmund, in 


470 Ueberſicht der biftorifchen Literatur von 1861. 


Conflicte von wachſender Heftigkeit. Zumal beftritten war der Umfang 
des berzoglihen Wogteirechte8 über die Brirener Kirhe; ihm gegenüber 
behauptete auch der Biſchof einen weltlihen wie geiftlihen PBrincipat über 
den größten Theil von Tirol und trachtete, den Herzog in die Stellung 
eines Vaſallen herabzudrücken. Lange gereizt, überfiel endlich Sigmund 
den anmaßenden Priefter am Oftertage 1460 auf dem Schloffe zu Brumed 
mit ſchneller Fehde und preßte ihm eine Reihe von Verfhreibungen ab, 
worauf Euja Hagend zum Papfte eilte und fein Bisthum nicht wieder ſah. 
Seitdem führte er den Kampf mit immer erneuten Interdicten und Ban 
flühen, durch Aufhetzung der fehweizerifhen Eidgenoſſen (thurgauer Fehde) 
und anderer Feinde fort. Doch erwieſen fih alle Genjuren der Kirche 
machtlos gegen das fefte Zufammenhalten des tirolifhen Volles mit feinem 
durch Gregor Heimburg berathenen Fürften. Die Hierarchie erlitt eine 
eclatante Niederlage durch das territoriale Fürftenthum. 

Unter diefem treffenden Gefichtspuntte hat Jäger den Streit in ber 
Ausführlichleit zweier ftattliher Bände dargeſtellt. Das Material ift in 
ungewöhnlih reicher Maſſe aufbehalten. Schon in den Regeſten verzeich⸗ 
nete Jäger die Urkunden, Briefe und Actenfammlungen, welde das Ne 
gierungsardhiv zu Innsbruck aufbewahrt ; aus dem Buche ſehen wir nun, daß 
jene Regeften ein wenig unreif waren. Seitdem erhielt er auch den von cu: 
ſaniſcher Seite veranftalteten Sammelband, der fih noch im Stifte zu Eues 
befindet, und oft zeigt er, wie plump Scharpff feine Quellen mißverftanden, 
ja verdreht hat. Wir bedauern, daß Jäger nicht darauf verfiel, in München 
nachzufragen, ba er einem ähnlihen Sammelbande der dortigen Hojbibliothel 
(Cod. Germ. 1193) do auf der Spur war. (Bo. II S.373.) Ein 
reicher handſchriftlicher Apparat verführt leicht dazu, mandes bereits Ge: 
drudte zu überfehen. So hätte Jäger (Bd. I ©. 200) das zur Grläute 
rung des PVogteirechtes fo wichtige Document von 1214 in Hormayr's 
Beiträgen 3. Geld. Tirols Bo. II ©. 287, die von ihm (S. 76) ohne 
Noth angezweifelte Urkunde Friedrich's II. von 1217 (nicht 1218) im den 
Monum. Boica und bei Huillard:Bre&holles T.I P.II p. 526, 
die Brovifionzbulle, durch welche Cuſa das Bisthum Briren erhielt, in der 
Zübinger Theol. Quartalfchrift Jahrg. 1830 S. 173 und werthvolle Briefe, 
die dazu gehören, bei Roßmann Betracht. über das Zeitalter der Nefors 
mation ©. 393, 394 finden können. Am Auffallenpiten ift, daß er ſämmt⸗ 
Tihe von Düz im zweiten Bande feiner Biographie des Cufaners als 


472 Ueberſicht der biftorifchen Literatur von 1861. 


munds fi auf eine Heren äger unbelannt gebliebene cuſaniſche Schrift 
bezieht, welche fich, mern auch defect, in dem Münchener Cover findet, hätte er 
aus der fonjt unerllärlihen Bezugnahme auf die 14 Artilel vermuthen können. 

Doch dieſe Mängel verjhwinden hinter dem Geſammtwerth des Buches. 
Iſt glei die Darftellung oft ein wenig breit und die chronologiſche Folge, 
in der die Actenftüde gleihjam vor den Augen bed Leſers zur Hand ge 
nommen und ercerpirt werben, wenig künjtlerifch, jo gewährt fie body ein 
lebendiges Bild der oft recht verwidelten Sachlage, der Berjönlichleiten 
und Tendenzen. Mag man aud ſchärfere Urtheile vermifien, fo gebt doch 
durh das Buch eine offene, gerade Gefinnung, ein ehrlicher Forſchungs⸗ 
trieb, die zu gewiflen anderen Producten der Wiener Hiftorit den erfrew 
lichſten Gegenſatz bilden. — i — 
Oſann, Dr. Ed., zur Geſchichte des ſchwäbiſchen Bundes. 
Von feiner Gründg., 1487, bis zum Tode Kaiſer Friedrichs DI., 1498. Habi- 
litationsſchrift. gr.8. (VIIu.106 ©.) Gießen, Ricker. 


Schmidt, Rect. Prof. Dr. Henr. Ludov., Narratio de Frider. 
Taubmanno adolescente. Scripsit et epistolis ejus illustravit aut. 
Editio DI. 8. (IVu.686&.) Leipzig, Teubner. 


Hutteni, Ulrichi, equitis germani, opera quae reperiri potue- 
runt omnie. Edidit Ed. Böcking. Vol. V.: Orationes et scripta di- 
dascalica cum corollariis. Et. s. t.: Ulrichs v. Hutten Schriften brag. 
v. Ed. Böcking. 5. Bd.: Reden u. Lehrſchriften mit erläut. Zugaben. Origi⸗ 
nalien u. gleichzeitige Meberfegungen, hrag. u. mit Anmerkungen verfehen. Ler.-8. 
(VII u. 515 &. m. eingedr. Holzſchn.) Leipzig, Teubner. 

Schenkel, Dr. Daniel, Prof. der Theologie und Kirchenrath zu Hei⸗ 
beiberg. Das Wefen des Proteftantismus aus den Quellen des Re 
formationszeitalters beleuchtet. 2. gänzlich umtgearbeitete Auflage in einem 
Bande. Lerx.8. (IV u. 787 S.) Schaffhauſen 1862 bei Brodtmann, 

Ein treiflihes, jtreng objectiv und ächt hiſtoriſch gehaltenes Mer. 
Thema de3 Ganzen ift: Der Proteftantismus ift nicht ein fertiges Syſtem, 
fondern eine im Werben begriffene weltgejhichtlihe Machterſcheinung, die 
noch ungeahnten Entwidlungen entgegengeht. Schon die erite Bearbeitung 
des Werkes ließ eine ſehr umfaſſende Belefenheit des Verfaſſers in ven 
Schriften der Neformatoren und ihrer Schüler wahmehmen. In diefer 
zweiten Bearbeitung, in welder das ganze Wert, um es dem allgemeinen 


Gebrauche zugänglicher zu machen, in Einen Band zufammengegogen if, 








5. Dentiche Geſchichte. 478 


bat der Berfafier außerdem noch Alles, was über den bier bearbeiteten 
Gegenjtand während der letzten zehn Jahre Erhebliches erſchienen ift, mit 
gleicher Sorgfalt benugt. H. 


Deutſchland u. die Reformation. Kine Beleuchtung Biftor.-polit. 
Anfhauungen der 9. 9. von Ketteler und Dr. Seitz. gr. 8. (82 ©.) 
Frankfurt a. M., Auffartb. 


Leben und ausgewählte Schriften der Bäter und Begrüm 
ber der reformirten Kirche. Hreg. von Dr. I. W. Baum, Prof. in 
Straßburg, Prof. R. Chriftoffel, Pfarrer in Winterfingen, Dr. 8. R. Ha⸗ 
genbad, Prof. in Bafel, Dr. H. Heppe, Brof. in Marburg, Dr. C. Schmidt, 
Brof. in Straßburg, Lie. E. Stähelin, Pfarrer in Rheinfelden, Lic. 8.Subd- 
hoff, Pfarrer in Frankfurt a. M. — 9 Bände. Elberfeld, Verlag von Fried- 
ride, 1867—1861. 


Diefes umfangreihe Sammelwert giebt fih und, wenn wir feine ein: 
zelnen Theile ind Auge faflen, recht eigentlih als eine Yundbgrube der 
vieljeitigiten kultur⸗ und kirchengeſchichtlichen Studien zu erfennen. Seiner 
ganzen Anlage nah will daſſelbe nicht ein eigentlich theologiſches Wert, 
fondern eine für die Gebilveten überhaupt gejchriebene Bibliothek fein, 
do jo, daß auch die Verantwortung vor dem Richterftuhl ver ftrengiten 
Kritit und Wiſſenſchaft nicht abgefchnitten ift. 

Die Neibe der Neformationshelden wird, wie billig, mit Zwingli 
eröffnet, von welchem und Prof. Chriftoffel in Br. I (S. 414 u. 351) 
ein klares, lebensfrifches und lebensträftiges Bild entwirft. An ihn reihen 
fih Dlevian und Urfin, deren Leben und Wirken von Sudhoff 
(in Bd. II ©. 643) geſchildert if. Die fo hochwichtige Geſchichte der 
turpfälzer Kirchenreform wird hier in ein belleres Licht geftellt. Der von 
Dr. Schmidt bearbeitete Bd. III (5.296) enthält die ſchoͤn gefchriebene 
Biographie des intereflanten Florentinerd Beter Martyr, der in Stalien, 
Straßburg, England, Zürih und Frankreich die Echaupläße feiner Wirt: 
famteit hatte. In Bd. IV (6. 646) führt ung Prof. Beftalozzi in der 
Berfon des Züricher Antiftes H. Bullinger das Bild eines chriftlichen 
Volksmannes im edelſten Einne des Wortes vor. Bd. V (©. 470), 
welher Hagen bachs Biographien der Bafeler Reformatoren Joh. De: 
tolampad und Oswald Myconius enthält, bekundet auf Neue 
die Meifterichaft des Verfaſſers im gemüthlich anziehenden Erzählen und 
Beſchreiben. Ein würbiges Begenftüd hierzu ift (Br. VI S. 611) Baums 
Lebensbeſchreibung der beiden Straßburger Eapito und Bucer. In 


474 Ueberſicht der biftorifchen Literatur von 1861. 


Bd. VII zeichnet und Heppe das Lebensbild des großen Genfer Beza, 
ber in Frankreich die Sache des Proteftantismus politiih und theologiſch 
führte und der in Genf Calvins Werk vollendete. Hierauf folgt (Bd. VILI) 
Stähelins vortrefflid gejchriebener Calvin. Der Supplementband 
des Werkes enthält die Biographien Vadians und Blaurer3 vm 
Dr. PBreffel zu Tübingen, Berthold Hallerz und Leo Judä's 
von Peftalozzi, Joh. aLasco's von Prof. Bartels in Oftfries: 
land, Franz Lambert3 von Dr. Haffentamp zu Elberfeld, fowie 
Farels und Viret3 von Dr. Schmidt. 

Im Allgemeinen muß von allen dieſen Arbeiten gerühmt werben, 
daß fie auf gründlichen Quellenſtudien beruhen und daß durch jede derſel⸗ 
ben die Wiſſenſchaft mwejentlih gefördert if. Faſt zu jeder einzelnen Bie 
grapbie find Quellen benugt worden, welche von frühen Bearbeitern 
defielben Gegenftandes noch nicht eröffnet oder wenigſtens noch nicht aus 
gebeutet worden waren. Auch ift es zu loben, daß die Berfafler bemüht 
geweſen find, die Neformatoren über ihr Leben thunlichft jelbft berichten 
und mit ihren eignen Worten reden zu lafien. Dagegen fällt es auf, 
daß einzelne Biographien in ihren legten Partien (namentlich Capito und 
Bucer) etwas allzufehr abgekürzt find. Cine Berfchiedenheit der Einrich⸗ 
tung der Biographien tritt darin hervor, daß einzelne Verfaſſer, na: 
mentlih die der zuerft erjchienenen Bände, zu jedem Leben3bild eine 
Heine Auswahl der Schriften des dargeitellten Kirchenlehrers hinzugefügt 
haben. Am umfangreiditen ift die Auswahl der Schriften Zmwingli'z. 
Andere Verfafier (Baum und Heppe) dagegen haben es vorgezogen, 
ihren Biographien ftatt einer Schriftenauswahl ein PVerzeihniß der be: 
treffenden Schriften beizufügen; und Andre wiederum (insbeſondere 
Schmidt) haben fih darauf beſchraͤnkt, von den Schriften des darge 
ftellten Kirchenlehrerd nur da zu ſprechen, wo e3 im Intereſſe der 
Darftellung feines Leben? und feiner Wirkfamteit nothwendig war. Einen 
wohlthuenden, zugleih aud die Öbjectivität der Darftellung verbürgen: 
den Gindrud gewährt es, daß fämmtlihe Berfafler in anerkennens- 
werther Weile bemüht geweſen find (nur Sudhoff madt eine Aus: 
nahme), alle polemifhen Tendenzen fen zu balten. Denn der ächt 
hbiftorifhe Sinn ift auch bier der ächt chriltlihe und der Acht ſittliche. 
Zum Schluffe diefer Beiprehung können wir nicht umbin, unjer Bedauern 
Darüber zu äußern, daß einer ber größten veformirten Theologen des 





5. Deutiche Geſchichte. 475 


16. Jahrhunderts, Gerhard Andreas Hyperius (+ 1564) nicht 
(aud nicht im Supplementband) berüdfichtigt worden ift. H. 
Leben und ausgewählte Schriften der Bäter und Begrün— 
der der lutherifhen Kirche, brag. v. I. Hartmann, Decan in Zutt- 
liugen, Dr. Lehnert, Gen.-Superint. in Magdeburg, Dr. C. Schmidt, Prof. 
in Straßburg, Lie. Schneider, Sem.-Dir. in Neuwied, Dr. Vogt, Prof. in 
Greifswald, Dr. ©. Uhlhorn, Eonfiftorialrath in Hannover. Cingeleitet v. 
Dr. Nitz ſch, Propft v. Berlin. — Berlagv.R.K. Friederichs zu Eiberfeld. 1861. 


Der ungewöhnliche Erfolg, von dem das Unternehmen des Herrn Verlags» 
haͤndlers Friederichs zu Elberfeld, „das Leben und die ausgewählten Schriften 
der Väter und Begründer ber reformirten Kirche‘ in einer Reihe von Bes 
arbeitungen aufd Neue vorzuführen, gelrönt war, hat venjelben veranlaßt, 
ein ähnliches Unternehmen aud in Betreff der Väter und Begründer der 
lutherifchen Kirche zu beginnen, zu deſſen Ausführung ſich die oben ges 
nannten Theologen vereinigt haben. Dieſes neue Werk ſchließt fich daher 
dem früheren nicht blos in der äußeren Einrichtung und Ausftattung, fons 
dern auch in der inneren Haltung und Richtung, die eine rein biftorifche, 
ohne alle Beimifhung irgend welcher confeffionaliftifchen Tendenz ift, fowie 
in der Art der Darftellung an, die eine ebel:populäre fein wil. Das 
Wert wird in acht ftarlen Banden von circa 300 Drudbogen erſcheinen. 
Bd. Iu. II: Lutber von Lie. Schneider; — Bd. III: Melanchthon von 
Dr. Schmidt; — Bd. IV: Bugenhagen von Dr. Vogt; — Bd. V: Ofians 
der von Dr. Lehnert; — Bd. VI: Brenz von Hartmann; — Bd. VII: 
Urban Rhegius von Dr. Uhlhorn ; — Bd. VIII (Supplementband) : P. Spes 
ratus, J. Jonas, K. Eruziger, L. Spengler, N. von Amsdorf, PB. Eber, 
M. Chemnig und D. Chyträus. Es erhellt hieraus, daß es bei dem Un: 
ternehmen nicht auf die Väter und Begründer der eigentli fo genannten 
und fombolifh in der Concorbienformel repräfentirten lutheriſchen Kirche 
abgejeben ift; denn fonft hätten vor Allem der Tübinger Propft Dr. Ja: 
cob Andreä, fowie andere Häupter des Lutherthums, . B. Aegidius Humnius 
nicht übergangen werben bürfen. Vielmehr ift es vie Abficht, die theo⸗ 
logifhen Träger der deut ſchen Reformation in einer Reihe von Lebens: 
bildern vorzuführen; und da zu der Zeit, welche ung in bemjelben bar: 
geftellt wird, die Bezeihnung „lutheriſch“ ebenfowenig recipirt als das 
ſpecifiſch lutheriſche Dogma kirchlich firirt war, fo wäre es vielleiht ans 
gemefjener geweſen, ven Titel des Werkes in der bier angedeuteten Weiſe 
anders zu geben. 


476 Ueberficht der biftorifchen Literatur von 1861. 


Bon dem in Rede ſtehenden Werke ift bis jept erfchienen Melan ch⸗ 
thong Lebensbefhreibung von Dr. Shmidt zu Straßburg und Urs 
banus Rhegius von Dr. Uhlhorn zu Hannover. Die erftere (mit 
Melanchthons Bild gezierte) Schrift (722 ©. ſtark) ift die erſte und ein- 
zige aus führlichere Darftellung des Lebens unferes großen „praeceptor 
Germaniae“, welche es überhaupt giebt. Die Hauptquelle, auf welcher 
bie Darftellung beruht, ift dad Uorpus reformatorum (edd. Brets 
ſchneider u. Bindſeil). Indeſſen find einzelne Quellen (über weldhe das 
Vorwort Auskunft giebt), bier zum erften Male benutzt. Allerdings fehlt 
e3 ber Darftellung oft an der rechten Farbe und Lebendigkeit. Dagegen 
zeichnet fi diefelbe um fo mehr durch Ruhe und Objectivität aus. 

Ungleih wichtiger ift indeflen für die Hiftoriographie die Arbeit Uhel⸗ 
born3, in welder eine ganze Maſſe bisher unbelannter ardivalifcher 
Quellen zum eriten Male ausgebeutet find. Insbeſondere ift dieſelbe für 
die Kirchengeſchiche Hannoverd von hoher Bedeutung, indem bier 5. B. 
gar viele Unrichtigleiten, welche fih in Bertrams Evangeliſchem Lüneburg 
vorfinden, als folde zum erften Male nachgewieſen und berichtigt werben. 

| H. 

Das Leben der Altväter der Inthberifhen Kirche Kür 
hriftl. Lefer insgemein aus den Duellen erzählt. Unter Mitwirfung Mebrerer 
brag. v. Lic. M. Meurer. 1.4. Lg. gr. 8. Leipzig u. Dresden, Naumaum. 
Inhalt; (1. Bd.) Luthers Leben v. Mor. Meurer. Auszug aus dem größe 
ren Werke deſſelben Berf. 2. Aufl. Mit Luthers Bildniß nad Lucas Cranach. 
(S.1—321, Schluß.) 

Beder, Paſtor Earl, Dr. Martin Luther der beutfhe Mann. 
Ein Büchlein für deutſche Schulen u. das deutſche Voll. Mit 12 (eingedr.) 
Holzſchn. nad Gey v. U. Gaber. 8. (98 S.) Berlin, Schlawik. 

Hoff,G.A., Vie de Martin Luther. 1 vol. 12. Paris. Meyruein. 

Saupe, Prof. Jul., Bilder aus Luthers Leben. 8. (140 ©.) 
Zwidau, Buch. d. VBollgichriften-Vereins. 

Czerwenka, Prof. Bernd, Philipp Melandthon nad feinem 
Leben u. Wirken. Mit Melanchthons Bildniß (in Kpfrft.), nebfi anderen Ab» 
bifdungen (auf 1 Steintaf.) n.1 Stammtaf. (in qu. gr. 4.) 2. (Titel Ausg. gr. 8. 
(XII u. 228 ©.) Erlangen 1860, Bläfing. 

Calinid, Dr., Oymnafiallehrer zu Dresden. Luther und die 
Augsburger Confeſſion. Eine Prüfung der hiſtoriſchen Unterſuchungen 
Rückert's und Heppe's Über letztere. Gekrönte Preisichrift. gr. 8. (VIII m 
101 ©.) Leipzig, E. Bredt. 





5. Deutſche Geſchichte. 477 


Das k. Eonfiftorium zu Dresden hatte die Preidaufgabe geftellt 
Eorum examinetur sententia, qui dogmaticum Augustanae con- 
fessionis argumentum Melanchthonianae eiusque a Lutheri 
doctrina diversae indolis esse censuerunt. Zugleich war auf des 
Unterzeichneten Schrift „die confejfionelle Entwidlung der altproteftantiichen 
Kirche Deutihlands” (Marburg, 1854) und auf Landerers Artikel 
„Melanchthon“ in Herzogs theologiſcher Realencyclopädie hingewieſen "wor: 
den. Dr. Calinich unternahm es nun, die geftellte Aufgabe zu erledigen 
und feine lateiniſch gefchriebene Arbeit wurde von dem GConfiftorium zu 
Dresden gekrönt, was den Verfaſſer veranlaßte, dieſelbe in deutjcher Leber: 
ſetzung zu veröffentlichen. 

Das Object, um welches es fih in dieſer Streitichrift handelt, ift 
Folgendes: Im Gegenfag zur traditionellen Auffaflung hält der Unter: 
zeichnete an der Weberzeugung feit, die er ala geſchichtlich volllommen bes 
gründet erwiejen zu haben glaubt, daß der deutſche Proteftantigmus bis 
über das Yahr 1555 hinaus feine theologijhe Ausprägung von Melanch⸗ 
thon, dem praeceptor Germaniae erhalten, daß Melanchthon in feinen 
degmatifhen Lehrſchriften ein eigenthümliches, den Prinzipien des Pro⸗ 
teitantigmus genau entjprechendes Lehrſyſtem dargelegt hat, daß demgemäß 
au die Belenntnißbildung des deutſchen Proteftantigmus einen ſpecifiſch 
Melanchthoniſchen Typus bat und daß das Luthertbum feine Eoncordien- 
formel nur durch Verdrängung des urfprünglihen Melanchthoniſchen Pros 
teftantigmus zur Geltung gebradht bat. Dieſe Auffaflung ift es, welche 
der Berfafier zu miberlegen ſucht. 

Der Hauptpunlt, um den fi die ganze Controverje dreht oder an 
welchem bie Bedeutung derjelben am gewichtigften bervortritt, ift die Aus⸗ 
legung des Art. X der Augsburger Gonfeffion vom Abendmahl. Um bie 
autbentijche Auslegung derfelben zu gewinnen, bat der Unterzeichnete alle 
die zahlreihen Stellen der Apologie, welde fi über ven Begriff des 
Sarramentes in genere ganz präcid und unzweideutig ausfprechen, zu: 
fammengeltellt und bat nachgewieſen, daß darin eben Melanchthons, 
im wefentlihen reformirt-tirhlicher Sacramentbegriff vorliegt, und hat nad 
Maßgabe und im Lichte defjelben den Inhalt des Art. X vom Abendmahl 
erläutert. Herr Dr. Calinih dagegen läßt alle Nachweifungen, die der 
Unterzeihnete über den Sacramentbegriff der Apologie und folglich auch 
der Auguftana gegeben, auf fi beruhen, nimmt ohne Weiteres an, daß 


478 Ueberfidht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


die legtere nur den lutheriſchen Sacramentsbegriff enthalten Tönne, und 
findet demgemäß in Art. X das Acht Iutherifhe Abendmahlspogma. 
H. Heppe. 

Berlihingen-Roffach, Kämmerer Major Froͤr. Wolfg. Odtz Graf 
v., Geſchichte d. Ritters Götz v. Berlihingen m. ber eifernen Sand 
u. feiner Familie. Nach Urkunden zufammengeftellt u. hrog. Mit 10 lith. Taf. 
(wovon 5 in Tondr. u, 1 color., in Ter.-8., Fol. u. Imp.%ol.) Ler-8. (XI 
u. 778 ©.) Leipzig, Brockhaus. 

Fäſfer, 3. C., Sefhichte ber Wiedertäufer gu Münfter. 
Rah Urkunden und Berichten v. Zeitgenoffen dem deutſchen Volke erzählt 
2. gänzlich umgearb. Aufl. Mit 11, nad) Drig.-Gemälden getreu copirten xylo 
graph. Darftellgn. der Haupt-Wiebertäufer zc. v. Edm. Fäſſer. br. 8. (258 ©.) 
Münfter, Drum. 


Wentrup, Dr. Fr., die Belagerung Wittenberg im 9. 147. 
Nach den Quellen dargeftellt. gr. 4. (24 ©.) Wittenberg, Herrofe. 

Cofad, Pfr. Brof. Dir. C. 3., Baulus Speratus Lebenm 
Lieder. Ein Beitrag zur Reformationsgefchichte, befonders zur Breußifchen, wie 
zur Hynmologie. (Aus gleichzeit. gedr. u. ungebr., namentlich archival. Quellen.) 
gr. 8. (XI u. 481 ©.) Braunſchweig, Schwetichle & Sohn. 

Breger, Symn.Prof. Wilh., der proteft. Religionslehre und Geſchichte 
an den k. Gymmnaften zu Münden, Mathias Klacins Illyrcing und 
feine Zeit. 1. Hälfte 1869, ©. 486. 2. Hälfte 1861, ©. 572. Erlangen, 
Bel. von Th. Bläfing. 


Wir erfüllen eine Pflicht, indem wir alle Freunde der Gefchichte des 
16. Jahrhunderts auf dieſes Wert aufmerkſam machen. Schon oft if 
der Wunſch ausgefprochen, daß das Leben und die Wirkjamleit des „Baters 
des Gneſiolutherthums“ einmal quellenmäßig und unparteiiſch dargeftellt 
werden möchte. Denn ber Einfluß, melden Flacius auf das religiöfe 
Denken und Streben und in Folge deſſen auch auf die Geltaltung der kirch⸗ 
Iihen Dinge ausgeübt bat, kommt dem Einfluß eines Melanchthon faft 
gleih. Herr Prof. Preger hat daher mit feinem Buche einem wefentlichen 
Bedürfniffe unfrer Literatur in der glüdlidhiten Weife abgeholfen ; denn 
feine auf ausgedehnten archivaliſchen und anderen Quellenftudien beruhende 
Arbeit enthält eine Fülle von Thatſachen, die bisher entweder unbelannt, 
oder bie ungenügend ober unrichtig dargeftellt waren. Dabei empfiehlt 
fih das Werk durch eine grade im vorliegenden Falle ſehr hoch zu Schägende 
Unbefangenheit der Darftellung. Auch das der zweiten Abtheilung beige: 


5. Deutiche Geſchichte. 479 


fügte (erfte vollftändige) Verzeichniß der zahlreihen Schriften des Kal 
ift ſehr dankenswerth. 

Mannhardt, Pred. J. Stimmen aus der Reformatione 
zeit. Gedenfblätter zum 300jähr. Todestage Menno Symons den 18. Ian. 
1861. Aus Menno Symons nachgelaſſ. Schriften gefammelt und überſetzt v. 
Th. B. Mit einem Anh. ans Dirk Philipps Schriften verfehen u. breg. gr. 8. 
(VII u. 98 S.) Danzig, Kabus in Comm. 

Kliefoth, Oberkirchenrath Dr. Th, Liturgifhe Abhandlungen 
7.0.88. 4. n. d. T.: Die urfprüngliche Gottesdienft- Orbnung in dem 
dentfchen Kirchen Intherifchen Belenntniffes, ihre Deftruction u. Reformation 
4.0.5.8. 2. beträchlich erweit. Aufl. gr. 8. (XVII u. 4006, VIN u. 519 &.) 
Schwerin, Stiller. 


Schick, Gymn.-Prof. Dr. Ang. Herm., hiſtoriſch-liturgiſche 
“Abhandlungen. gr. 8. (VII u. 155 ©.) Leipzig, Teubner. 

Wiskemann, H., Darftellung ber in Deutfäland zur Zeit 
der Reformation berrfhenden nationaldölonomifhen Anſich— 
ten4. (147 S.) Leipzig, Hirzel. Gekronte Preisſchrift der Jablonowski'ſchen Ge 
ſellſchaſt zu Leipzig. 

Schmoller, ©, Zur Geſchichte der nationaldlonomifden 
Unfigten in Deutfhland während der Reformationsperiode. (Zeitſchr. 
für die gefammte Staatewiſſenſch, 16 ®d. 1860, 461—716.) 

Es iſt ein Vorwurf von nicht geringer Schwierigkeit, welchen ſich 
diefe beiden gleichzeitig erfchienenen Schriften geftelli haben. Die Periode, 
welche fie behandeln, ift eine Zeit, in der auf allen Gebieten eine ganz 
ungewöhnliche geiftige Gaͤhrung ftattfand, in der beftehende Anfihten allent» 
balben in Frage geftellt und durchaus verjchiedenartige Richtungen mit 
einander im lebbafteften Kampf begriffen waren. Dan wird daher jeltener 
als zu andern Zeiten feftftehenve, allgemeingültige und zugleid) dem Zeit 
alter eigenthümlihe Anfihten entveden. Dabei wirb die Aufgabe, eine 
Ueberficht der geiftigen Bewegung der Reformationzzeit auf vollswirth⸗ 
fchaftlihem Gebiete zu geben, dadurch keineswegs erleichtert, daß kaum Je⸗ 
mand damals gerade dieſe Angelegenheiten zum Hauptgegenſtande conjes 
quenten Forſchens und Nachdenlens gemacht bat, vielmehr nur beiläufig 
vom politifhen und vor Allem vom ethiſch⸗religioſen Geſichtspunkte vie 
Blide beroorragender Männer auch auf diefe Dinge fallen. 

Die Erftere der beiden Schriften bat vor der andern den Vorzug 
voraus, daß fie die Hauptrichtungen des geifligen Lebens der Zeit aus⸗ 


480 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


einander zu halten, dagegen ihren Zufammenhang mit den vollswirthſchaft⸗ 
lichen Anſichten ihrer Anhänger nachzuweiſen bemüht iſt. Sie zerfällt in 
drei Hauptabjchnitte: Humaniften, Reformatoren und rabilale Bartei. In 
jedem berfelben werden die Anfihten und Lehren der einzelnen hervorra⸗ 
genden Männer gejondert behandelt. Die Schrift Schmoller8 dagegen folgt 
einer ſachlichen Eintheilung ; Produktion der Güter, Arbeit ꝛc.; und es finden’ 
ih daher in ihr mitunter Gedankenreihen von Schriftitellen der Zeit 
losgerijjen neben einander geftelit, die nur im Zuſammenhang mit der 
ganzen MWeltanfhauung und Bildung diefer Männer ihre Erklärung finden 
fönnen. Am beiten find deßhalb in diefem Auffate die Gegenftände 
behandelt, bei welchen gewifjermaßen das Nefultat der geiftigen Arbeit 
ber Zeit in ihrer Gefetgebung fich niedergelegt findet. Das reihe Ma: 
terial, welches die Polizei, Landes: und Kirchenoronungen des 16. Jahr⸗ 
bunderd ſowohl zur Erkenntniß volkswirthſchaftlicher Zuftände wie Anjichten 
der Zeit darbieten, wenigſtens theilweiſe benußt zu haben, ift das beſon⸗ 
dere Verdienſt gerade diefer Schrift. Daß bier feine Vollftändigleit er 
reicht worden ift, ertlärt ſich wohl leicht aus der ſchweren Zugänglichkeit 
mancher Partilulargefeggebungen damaliger Zeiten. Wuͤnſchenswerth märe 
nur dabei ein fchärfere Sonderung des gerade diefer Zeit Eigenthümlichen 
von dem, was ihr mit früheren nnd jpäteren Jahrhunderten gemeinfam 
ift, geweſen. 

In den von den beiden Schriftjtellern mit fo großem Fleiß geſam⸗ 
melten nationalölonomifhen Ausſprüchen fpiegeln ſich natürli vie volks⸗ 
wirthſchaftlichen Zuftände der Zeit, vor Allem der Kampf zwiſchen ver 
gerade damals raſche Fortſchritte machenden Geldwirthſchaft und der bis 
dahin im Innern von Europa überwiegenden Naturalwirtbiehaft deutlich 
ab. Je nahdem der Blid eines Schriftfteller® mehr auf den einen oder 
ben andern dieſer Zuftände gerichtet ift, je nady den Umgebungen, in denen 
er lebt, fällt fein Urtheil über Handel, Geld, Rentenfauf und Capitalzing 
u. |. mw. aus; bierbei ift e3 beſonders intereflant, den in entwideltern 
volkswirthſchaftlichen Verhältniffen ‚lebenden Calvin mit Luther zu vergleis 
ben. Calvin, um einen der erften Streitpunfte der Zeit zu erwähnen, 
ift der erfte chriftlihe Theologe, der dad Zinfennehnen von ausgeliehenen 
Gapitalien mit bdeutliher Hinmweilung auf die Productivität des Capitals 
rechtfertigt. Luther dagegen, obſchon aud er fih in fpätern Schriften mehr 
und mehr der Billigung des Zinjennehmens nähert, gelangt doch niemals 





5. Deutſche Geſchichte. 481 


zu völliger Klarheit über dieſe Frage. Wenn wir aber jo auf der einen 
Seite hervorragende Männer in ihren Anfichten von den fie umgebenden 
Zuftänden wejentlih beeinflußt ſehen, fo haben auf der andern Seite die 
Gedanken der Reformation aud wieder eine überaus große Einwirkung 
auf die wirthſchaftliche Entwicklung der proteftantiihen Nationen gehabt. 
Am bedeutungsvolliten dürfte in diefer Beziehung die veränderte fittlich: 
religiöfe Würdigung der Arbeit und der wirthfchaftlichen Thätigkeit überhaupt 
fein. Sie tritt mehr oder weniger bei allen Schriftftellem hervor, ſowohl 
den eigentlichen Reformatoren, wie ven Humaniften und Radilalen und fpridht 
ih am kräftigften aus in dem Haß gegen den Müßiggang der Moͤnche 
und Priefter, jo wie in den Landes: und den Armenordnungen, die fich immer 
in erjter Linie gegen Bettler, Saullenzer, Bagabunden mit Strafbeftim« 
mungen wenden. Damit geht denn jehr oft der jchärfite Tadel unproduk⸗ 
tiver Verſchwendung aller Art Hand in Hand, der in der adcetifchen Rich» 
tung der calviniftifhen Kirche feinen Hoͤhepunkt erreicht. Auf der erböhten 
Würdigung von Arbeit und Sparſamkeit beruht auch die mit der Nefors 
mation eintretende glänzende vollkswirthſchaftliche Entwicklung von England, 
Holland und der Echmeiz, d. b. fait aller proteftantifcher Nationen, die 
nicht wie Deutſchland durch inmere Kriege zerrifien wurden. In diefem ' 
Einne ſchließt Schmoller mit vollem Recht mit den Worten: „Nicht nur 
für Kant und Hegel, au für Adam Smith und die großen Geifter im 
Gebiet der technischen Erfindungen bildet — fo parador e3 fingen mag — 
die nothwendige Vorausfegung die deutſche Reformation.“ E.N. 
Korfter, Dr. Otto, Deutfhlands frühere Größen. Grenzen 


jo wie deffen Beraubungen, namentlich durc Frankreich. gr. 8. (VIII u. 86 ©.) 
Leipzig, Matthes. 


Koch, M. Duellen zur Geſchichte des Kaifers Marimi- 
lian II. In Archiven gefammelt und erläutert. 2. Bd. gr. Ler.-8. (VIII u. 
215 ©.) Leipzig, Voigt & Günther. 


In diefem Merle, von dem 1857 der erfte Band erfchienen ift, will 
der Verfafler das zeritreute Material über den biöher vernadjläjligten 
Kaifer Mar IL fanmeln, die Lüden in demfelben durch urkundliche Mit: 
tbeilungen ausfüllen, und daneben in Bemerkungen und Crläuterungen 
falj de oder übertriebene Urtbeile berichtigen. Cine Bearbeitung biejer Ger 
ſchichte, ein vollftändiges alle Züge in ſich zufammenfaflendes Bild des 
Kaiſers hat mithin der Verfafler felbft nicht geben wollen. Daß aber 


4823 Ueberſicht der biftorifchen Literatur von 1861. 


auch eine noch größere Ausdehnung dieſer Selbftbefchräntung der Schrift 
keineswegs geichadet hätte, legt und die Natur deilen nahe, was der Ber: 
fafjer von feinem Eigenen den urkundlichen Mittheilungen hinzugefügt bat. 
Denn fo jhägenswerth in dem Buche auch mander Beitrag aus Archiven 
fein mag, fo können wir doch keineswegs die Art und Weife billigen, mit 
der der Verf. das ſchon befannte oder neu gewonnene behandelt. Es herrſcht 
in diefen zwei Bänden eine fo beſchränkte Auffaflung aller Verhältniſſe, 
ein fo einfeitiges Feithaften an der jebesmaligen Einzelbeit, daß wir nicht 
an das gereifte Urtheil des Hiſtorilers fondern vielfah an das oberfläd« 
lihe und feichte Raifonnement des Kleinftäbters über Tagespolitik erinnert 
worden find. Diefer Einprud kann gewiß nur beftärkt werben durch das 
nahdrüdlichft vorgebrachte Selbftlob, das oft komiſche Herausſtreichen der 
eigenen Verbienite um die Aufllärung jener Geſchichte. — Selbſt das oben 
anerlannte Verbienft des Herm Koh um Herbeifhaffung von ſchaͤtzenswer⸗ 
tbem Material erleivet doch noch eine Einſchränkung. Er theilt nämlid 
nicht, wie man e3 von einem Quellenwert zu erwarten gewohnt ift, den 
Wortlaut oder Driginaltert der neu gefundenen Stüde mit, nein, er trägt 
die Dinge entweder in feiner modernen Umfchreibung oder wenigſtens in 
feiner Uebertragung vor ; nur zuweilen lefen wir den vollitändigen Wort: 
laut der Alten felbft. Wenn man aber aus neuem Material die bisherige 
Geſchichtsſchreibung berichtigen will, wenn man aus einzelnen Worten und 
Säten eine Veränderung der bisherigen Geſchichtsauffaſſung herbeiführen 
will !), fo wird doch vor Allem verlangt werden müflen, daß Jedem der 
wirkliche Wortlaut jener citirten Aeußerungen vorgelegt werde. 

Gehen wir in aller Kürze den wefentlichen Inhalt der beiden Bände 
durch, theild um da3 in der That wichtige Material zu notiren, theils um 
ein Urtheil aud über Herrn Kochs Forſchung zu gewinnen, 

Mit großem Nachdrucke verweilt der Verf. bei ven Grumbader 
Händeln; er theilt da vier unbelannte Stüde aus dem Stuttgarter Archiv 
mit (I. S. 8.) wobei wir aber freilich nicht einfehen, wozu die Aufzählung 
alles dafelbft vorhandenen, aud) des ſchon gebrudten Materiales dienen foll 
Dazu kommen im 2. Band einige Fragmente aus Simancas. (Il. 36— 48.) 
In der Beurtbeilung diefer Verhältniffe tritt H. Koch gradezu als Anwalt 





1) Ein Verfahren, defien fi H. Koch, jo unwiſſenſchaftlich es auch Abri⸗ 
gene fein mag, vorzüglich bedient. 





5. Deutiche Geſchichte. 488 


Grumbachs auf; und doch war hier nady Voigts Vorgang kaum nod Etwas 
an dem Urtbeil der Geſchichte zu berichtigen; denn, daß wir ftatt einer 
gemäßigten objektiven Auffafiung jept nur wieder den Parteimann bören, 
das ift doch kaum ein Fortichritt zu nennen! In dem 2. Band glaubt 
H. Rod feinen Standpunlt weiter rechtfertigen zu müflen, bejonders gegen 
einen in dieſer Zeitſchrift erfchienenen Auffaß des Herm Brof. Wegele. 
Wir müſſen nun allerdings geftehen, auch der dort vorgetragenen Auffaſ⸗ 
fung nit unbedingt zuftimmen zu tönnen, müflen aber den von Wegele 
gegen Koch erhobenen Vorwurf der Einfeitigleit und mangelhaften 
Kenntniß feines Stoffes in feiner vollen Bedeutung aufrecht erhalten. 
Was das Lestere betrifft, genüge folgendes Beifpiel: IL 6.5 giebt Koch 
eine Notiz über eine Schleswig und Holftein drohende Gefahr eines feind⸗ 
lihen Einfalles. Damit meint er etwas Neues zu Tage zu fördern, und 
combinirt damit eine Angabe bei Waitz, Schlesw. Holft. Geſch. IL 347, 
von einer beabfihtigten Unternehmung Grumbachs. Es liegt nun voll« 
ftändig auf der Hand, daß ihm Alles das unbelannt geblieben ift, was 
Droyfen Geh. d. pr. Pol. II. 2. S. 424 hierüber beigebracht hat. 
Man fieht hier, wie weit er feine Studien über das Objekt feiner For: 
Ihungen ausdehnt. Wenn Koch ferner gegen Wegele fehr lebhaft polemifirt, 
weil diefer bei Grumbad von einer „Orumdftimmung feiner Natur”, von 
„Vorliebe für gewaltthätige Anfhläge” geredet: fo verräth er bier eben: 
ſowohl die Einfeitigleit feines Urtheiles, als feine äußerft mangelhafte Kennt: 
niß der Alten jener Zeit, in denen doc fortwährend von Grumbachs 
„Werbungen und Praktiken“ geredet und gehandelt wird. Daß aud der 
Briefwechjel Languet3 Herrn Koh nicht genau bekannt geweſen ift, gebt 
aus feinen Behauptungen und Vermuthungen I. ©. 31 u. 32 hervor: 
Languet hat einen Brief aus dem Lager vor Gotha datirt (ep. ad Ca- 
merar. p. 48) er ift aljo dort gewejen und damit fällt die ganze De 
dultion Kochs zu Boden. 

Ein Hauptpunlt feiner Erörterung, auf den er überall triumpbirend 
wieder zurüdzulommen weiß, iſt die „Sonfpiration der gothifhen Aechter“ 
mit den niederländifhen Umfturzgelüften Oraniens. Seine ganze Beweis: 
führung dafür ftügt ſich auf einige von ihm mitgetheilte Aeußerungen 
Mazimiliand und des fpanifhen Gefandten in Wien (1.55 f. Il 36 
bis 48.) Wir wifien nun aber beftimmt, daß Oranien mit dem Kurfürften 
Huguft, Joh. Friedrichs Gegner auf Tod und Leben, fortwährend in Ber 


484 Ueberficht der biftorifchen Literatur von 1861. 


bindung geftanden ; daß die Werbungen Draniens bei Johann Friebrid, 
ſowohl mit Vorwiſſen Anguft3 geſchehen, ald auch auf andere als die von 
Koch bezeichneten Ziele gerichtet waren. (Die Alten diefer Verhandlungen 
find bei Groen van Prinfterer im 2. Bd. zu lefen.) Die politiſche Lage 
fheint alfo der Annahme einer folhen „Conſpiration“ entgegen zu fein; 
— wir geben zu, daß fie trogdem nicht ganz unmöglich erfcheint, aber 
fie wäre erft genau nachzuweiſen; fie auf jo unbeitimmte Yeußerungen des 
Kaifers Mar hin anzunehmen, müffen wir gradezu als Leichtfertigleit bezeichnen. 
Nähere Aufllärungen aus neuem Material find hier nod abzuwarten. — 
Ein mit diefen Grumbacher Händeln nahe zufammenhängender Punkt erfährt 
durch die Notizen im II Band S. 7—26 genügenves Licht; es ift die 
Frage nah dem Autor der „Nachtigall.“ Nur ift auch hier wieder anzu⸗ 
merfen, daß das Wefentlihe hierüber ſchon längft bekannt war, vergl. 
Kirchner Geh. v. Frankfurt IL. 257. 

Bon großer Wichtigkeit für die Auffafjung des Kaiſers Mar felbft if 
das Verhältniß zu König Philipp von Spanien. Wir erbalten 
darüber im L Bd. S. 111— 217 Mittheilungen aus den Depeichen des öfter: 
reichiſchen Gefandten von Dietrichſtein aus Madrid. Unter vielem ſchon Be: 
tannten ift auch mandes Neue und Eigenthümliche: beſonders die Mitthei: 
lungen über Don Carlos (vgl. dazu noch im IL Bv. S. 52—54 u. ©. 124) 
und die Eröffnungen über die niederländische Politik jomohl Philipps als aud 
des Kaiſers (vgl. noch J. 269— 272). Die wiederholten Ermahnungen Mari: 
milians zur Güte (vgl. S.170.192.198 u. f.) werfen ein Licht auf feine 
Thätigkeit, beſonders wenn das jchon anderwärts über feine Stellung zu Ora⸗ 
nien und feiner Partei in Deutſchland Beigebrachte hinzugezogen wird, was 
freilich Koch nicht gethan hat. — Kochs Anfiht über den eigentlihen Charal: 
ter des niederländischen Unabhängigfeitäfampfes in jetzt wohl allgemein bekannt; 
fie ausführlich zu bejprechen, ijt bier nicht der Raum, wir müfjen freilich 
auch an diefem Punkte gegen ihn denfelben Vorwurf der Cinfeitigleit und des 
Mangels an kritiſcher Durchdringung feines Stoffes aufreht erhalten. — Die 
religiöfe Stellung Marimiliang zu beleuchten, fönnen die im Il. Bd. ©. 
92— 97 mitgetheilten Schreiben dienen ; es wird bier für Jeden das klar, 
was freilich auch ohne dieſe Beftätigung dem Einſichtigen nit verborgen 
war, daß Mar innerlih ganz auf proteftantiihem Boden jtand. Der Bericht 
über feinen Tod (II. S. 97--108) kann dies nur weiter betätigen. Mas 
bier unjern Herausgeber anbetrifit, jo iſt demjelben freilid an dieſer Stelle 





5. Deutfche Geſchichte. 485 


wiederum entgangen, daß der Inhalt dieſes Berichtes ſchon bekannt war. 
Der Bericht des Gefandten beruht, wie er jelbjt bemerkt, u. A. auch auf 
Mittheilungen Dietrichſteins: grade deſſen ausführlichen Bericht aber bat 
ſchon Gindely (Böhmen und Mähren im Zeitalter d. Ref. II. 225 ff.) 
belannt gemacht. Bergleihe auch ven Bericht „aus einem coaeven Manu: 
feript”, den Schelhorn bei Raupah Erl. Ev. Deftreih II. p. L. mitge⸗ 
theilt hat, fowie beſonders die ganz übereinftimmende Darftellung Yanguets 
(Epist lib. L p. 241). — Den Reihötag von Speyer 1570 bat Koch aus: 
führliher behandelt (II. ©. 55— 92) ; wenn dabei das Weſentliche auch 
Ihon befannt war, fo findet fih doch einiges Neue. Seine hijtorisch:polis 
tiichen Betrachtungen dagegen geben ebenjo hier wie fonft (vgl. auch L 261) 
nit von einer völligen Kenntnik der ganzen Sadhlage aus. Cine Berbin- 
dung der Deutjchen, auch der proteftantiichen Fürften mit Spanien, hält 
er für dringend wünjchenswerth; er wiederholt den Vorwurf, daß die deut: 
ſchen Broteftanten fih von religiöjen Motiven in ihrer Politik leiten ließen, 
daß fie daraus Abneigung gegen Philipp von Spanien fchöpften: alle der: 
artigen Erörterungen find darum einfeitig, weil fie es außer Acht laflen, 
daß Philipp mehr noch wie alle Andern feine Politit von dem religiöfen 
Gefihtöpuntt beherrſchen ließ, weil fie es vollftändig ignoriren, daß Reli: 
gion und Politik in jenem Jahrhundert, eng in einander verfchlungen, kaum 
getrennte Wege gehen konnten. Der Berfud einer folhen Trennung Tonnte 
damals nur vollitänvig fheitern, wie e3 eben Marimilians Beispiel zeigt. 

Sehen wir von den Kochſchen Zuthaten ab, jo können wir neben dem 
Ihon bisher Hervorgehobenen ala ſchätzenswerthes Material noch anführen 
den Bericht über den ungarifchen Krieg von 1566 (IL S. 86—105), ein: 
zelne Mittbeilungen über die MWerbungen für den niederländifchen Krieg 
1567 und 1572 (bef. I. ©. 285 f. 289 ff.) eine Zufammenftellung ver: 
ſchiedener Correjpondenzen über Philipp und die Niederlande (IL 133 bis 
155, mwidtig bei. S. 135, ©. 138 f,, ©. 147.), envlih ein Anfang von 
Regeften (IL S. 108—115) veflen Vervollitändigung jedenfalld wünfchens: 
wertb wäre. W. M. 

Frank, Dr. Fr. H. R., Prof. d. Theol. zu Erlangen. Die Thee⸗ 
logie der Conkordienformel, hiſtoriſch-dogmatiſch entwidelt u. beleuchtet. 
Bd. L 6. 40 Bd. I. ©. 405. Erlangen, Th. Biäfing. 


Nur wegen der in diefem Werk enthaltenen zahlreichen biftorifchen 
Ausführungen ift daſſelbe der hiftorifchen Literatur unfrer Zeit beizugählen, 


⸗ 


486 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Denn in Wahrheit ift das Buch des Herrn Dr. Frank nicht fowehl eine 
hiſtoriſch-dogmatiſche ald vielmehr eine dogmatiſch-hiſtoriſche Arbeit; 
d. h. der Berfafler, dem die Unumftößlichleit des in der Eoncordienformel 
enthaltenen Confeſſionalismus degmatifh und -a priori feftfteht, fucht von 
diefem dogmatischen Etandpuntte aus eine Apologie der Goncordienformel 
zu liefern, wozu dasjenige hiſtoriſche Material, welches von ihm geeignet 
befunden ift, ausgewählt und verwendet wird. 

Der Berfafier beleuchtet die Artifel der GConcorbienformel bis zum 
Abſchnitt de tertio usu legis, und zwar fo, daß zunächft der Inhalt 
bes betreffenden Artitel3 dargelegt und hierauf ver „hiſtoriſche Nachweis” 
geliefert wird. Allerdings ift rühmend anzuerfennen, daß fi der Verfaſſer 
in der einfchlägigen älteren und neueren Literatur fleißig umgeſehen bat. 
Aber grade darum ift der Gebraud, den der Verf. von feiner Beleſenheit 
macht, um fo jehärfer zu rügen. Alles, was gegen ben dogmatiſchen Gap 
des Lutherthums ſpricht, daß der Lehrbegriff der Concordienformel vom 
Anfange der Reformation an der kirchlid gültige geweien fei, wird ent 
weber ignorirt oder fo interpretirt, daß es paßt. Die jo überaus wichtige 
Confessio Saxonica von 1551 3. B. ift für den Verfafier nicht vor 
banden. Durch und dur Tendenzſchrift kann daher das vorliegende Wert 
für die eigentlih hiſtoriſche Wiſſenſchaft nicht in Betracht kommen. Es 
tritt und eben bier wieder einmal recht der traurige Charakter lutheriſch⸗ 
confeffioneller Gejhichtsmadherei entgegen. Nun als Repertorium der für 
diefe und jene dogmengeſchichtliche Frage in Betracht kommenden Literatur 
mag das Buch für den Theologen von einigem Werth fein. H. 

Billet, 3. F. A. Krato von Kraftheim und feine Freunde. Gin 
Beitrag zur Kirchengeſchichte. Nach handicriftlihen Quellen, 8. 1. Thl. (XIV, 
502 ©.) 1860. 2. Thl. (VIII, 655 ©.) Frankfurt a. M., Brönner. 

Es beihäftigt fi diefe Monographie mit jenem al3 Arzt und Bolt; 
tier befannten Krato, dem Leibarzt Kaifer Marimilians IL, dem einfluß- 
reihen Führer der reformirten Partei am kaiſerlichen Hofe. Um ihn grup- 
piren ſich leicht feine Freunde und Parteigenoſſen: Peucer, Camerarius, 
Languet, Urfinus und die Breslauer. Wir ſehen, wie diefe hochgebildeten 
freifinnigen und meitblidenden Staatsmänner die Geichide der deutichen 
Nation in der That eine Weile leiten, wie aber ihr Sturz durch andere 
ihnen entgegenjtrebende Tendenzen dennod endlich) herbeigeführt wird. In 
den Bereich ihres Ideenaustauſches treten Kirche und Wifienihaft, Staat: 


488 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


die alte Kirche, wie fie im 17. Jahrhunderte waren, fondern aud das 
neue Leben, das eine Umgeftaltung des Reichs und der kirchlichen Verhält⸗ 
niſſen herbeiführen mußte, wenn das deutſche Volt niht umkommen follte. 
Mir begreifen, daß die alte Pofition vertheidigt wurde und fprechen ven 
Vertheidigern, jo weit fie ehrenhaft waren, ihre Beredhtigung nicht ab, de 
für mögen aber auch die Forſcher auf der andern Seite die Berechtigung der 
Angreifenden zu verjtehen ſuchen. Die Unparteilichleit, von welcher der Berf. 
oͤfters ſpricht, beichräntt fih auf die Mißbilligung einiger gar zu argen 
Gemwaltthätigkeiten feiner Partei, die nach feiner Meinung nit im Sinne 
des Kaiferd waren, 3. B. der berüchtigten Lichtenfteinifhen Bekehrunger 
in Böhmen und der dur das Reftitutiongedict nicht gerechtfertigten Reac- 
tion in Augsburg. Sonft ift Alles, was fi auf den Gegenjag der Religions 
parteien bezieht, nad der ultramontanen Schablone erzählt und beurtbeilt, 
und die mwichtigften Thatfahen aus manden dem Perfafler wohlbekannten 
Quellen werben ignorirt, fei es daß er die Quellen nicht zu benugen ver 
ftehbt oder nicht benugen will. Denn trotz des Scheins eines verlannten 
Gerechten, den fi Herr von Hurter in feinen bier und ba eingeftreuter 
Reflerionen giebt, jo machen dod Stellen, wie z. B. ©. 521 vie Phrafe, 
in welder er des Kurfürften Mar Treulofigleit gegen die Regensburger 
mit einem ihm fonft nicht eigenthümlichen Geſchide vertuſcht, und mas 
©. 522 von dem Berbrennen bayerifher Dörfer durch Guſtav Adolf ohne 
Erwähnung der vorausgegangenen Scheußlickeiten der Bauern gegen die 
Schweden erwähnt wird, die Ehrlichkeit des K. K. Reichshiſtoriographen 
etwas verdächtig. Trog alledem mürde das Bud immer noch von ven 
Gefinnungsgenofien des Verfaſſers mehr anerlannt werden, wenn Her 
von Hurter nur einigermaßen das Material zu verarbeiten und beſſer zu 
Schreiben verftände. Wir empfehlen ihm zur richtigen Selbiterfenntniß in 
diefer Beziehung ein Mufter, das er nicht zurüdweilen wird, Die Nnorb: 
nung und Darftellung feines Gefinnungsgenofjen, des Herm Klopp, in den 
Partien feiner Geſchichte Tilly , die er faft gleichzeitig mit Herrn von 
Hurter behandelt hat. Wir empfehlen ihm z. B. was Klopp über das Hair 
ferlihe Projelt einer deutihen Flotte, über den Leipziger Convent, die 
Belagerung Magdeburg, über die legten Bewegungen Tilly und die 
Schlacht am Lech troß feiner Sophismen wenigſtens überall gefhidt und 
anſchaulich auseinanbergefegt hat. Läßt doc Herr von Hurter in ber eben 
erwähnten Schlacht den Tilly mit dem linken ylügel an der Donau fteben, 





5. Deutſche Geſchichte. 489 


und doch den Led vor ſich haben, während er fi, wie allgemein bekannt 
ift, auf dem rechten Ufer des Lech mit der Fronte nah Welten zwiſchen 
der Donau und dem Rhein befand. Das ift feine „moderne Anſchauung“, 
von der aus fih Nef. diefe Correctur erlaubt: ſchon Thukydides und Cäfar 
verstanden es, den Lejern die Bewegungen eines Heeres im Felde und eine 
Schlacht anjhaulih zu mahen. Und ebenjo verftand man jchon damals 
logifh zu denken und correct zu fchreiben. Bei Herrn von Hurter wird 
Guſtav Adolf S.305 woͤrtlich alfo haralterifirt: „Seinem Aeußern nad 
war Guſtav Adolf groß gewachſen, fo daß fein Mann feines Landes ihn 
überragte. Später wurde er beleibt, um der ftärkften Pferde zu bebürfen. 
Eine große Nafe verrieth die innern Anlagen. Bei weißer Haut fpielten 
Haar und Bart ins Röthliche. Sole Liebe verband ihn und die Ge: 
mablin, daß fie aus Gram über die Trennung in einer Frühgeburt mit 
einer todten Tochter niederfam , nad feinem Tode fein Herz in einer gol- 
denen Kapfel an ihrem Bette aufhing. — Wurde an ihm Leutfeligteit ge- 
rübmt, fo vergaß er über diefer nicht, wozu koͤnigliches Anſehen berechti⸗ 
gen ıc.!” — S. 369 läßt Herr v. Hurter den Bappenheim nad) der Schlacht 
bei Prag von zwanzig Wunden, darunter ſechs töbtlichen, geheilt wer: 
den! Wäre es nicht im Interefle der Partei des Herm von Hurter, melde, 
wie ſchon die biftorifch:politiichen Blätter beweijen, auch etwas auf das 
Gutjchreiben bält, wenn er fih auf das Actenfammeln beichräntte und die 
Bearbeitung Anderen überließe? 

Herr Hofratb von Hurter bat ſchon im legten Bande feiner Gefchichte 
des Kaiſers Ferdinand auf ein Buch über die legten vier Lebengjahre 
Wallenfteind hingewieſen, da in kurzer Zeit erfcheinen fol. Ciniges dar: 
aus bat er bereit3 in der von ®. Strefleur herausgegebenen öfterreidhiichen 

militärischen Zeitſchrift (2. Jahrgang 4. Bo. 5. Lief. 21. Heft. Wien 1861) 
veröffentlicht, was manchen intereflanten Aufſchluß bietet. Doc wird das 
alles jedenfall in den von der Wiener Alademie zu veröffentlidhenden 
Forſchungen des Dr. Gindely mannigfahe Ergänzungen und Berichtiguns 
gen finden. Außerdem ift die baldige Herausgabe von Ranke's Studien 
über den Herzeg von Friedland zu erwarten. Es unterſcheidet fi Hurters 
Auffag in der militärifhen Zeitihrift in der Compofition wie im Styl fo 
auffällig von allen übrigen Schriften des Berfafferd, daß man annehmen 
muß, Herr von Hurter babe fid entweder bei der Ausarbeitung jenes Ar» 
titel3 einer wunderbaren Snfpiration oder eines geihidten Gorrectorß ſei⸗ 


4% Meberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


ner Arbeit zu erfreuen gehabt. Sollte letzteres der Fall fein, jo möge er 
fih ja bei allen weiteren Publicationen im Snterefle des Publikums dies 
fer freundfchaftlihen Hülfe bedienen. Hb. 

Balm, H., Oberlehrer am Gymnafium zu St. Maria-Magdalena, die 
Sonjunction der Herzöge von Litgnig, Brieg und Oels, fo wie 
der Stadt und bes FürftenthHums Breslau mit dem Kurfürften von Sachen unb 
Brandenburg und der Krone Schweden in den Jahren 1683—36. Nach deu 
handſchriftlichen Duellen des fchlefiihen Provinzial» Ardivs dargeftellt. gr. 8. 
(142 ©.) Breslau. | 

Eine ſehr gründlihe und gut gefchriebene Arbeit des bisher auf dem 
literarbiftorifchen Gebiete rühmlichft bekannten Verfaſſers, der durch feine 
Theilnahme an dem unter Dr. Wattenbachs Leitung ſehr erfolgreich tbä- 
tigen Vereine für Geſchichte und Alterthbum Schlefiend angeregt worden 
ift, die von Menzel und Stenzel für diefe Zeit noch wenig beachteten 
Schäte des fchlefiihen Provinzial-Arhivs mit umfihtiger Berupung ver 
bereit3 veröffentlichten Forſchungen über vdiefen Gegenſtand auszubeuten. 
Der in das 2. Heft des 3. Bandes der Zeitjchrift jenes Vereins aufge 
nommenen Abhandlung find ©. 382 einige Ergänzungen beigefügt, auf 
welche Ref. die Lefer aufmerlfam macht. Möge Palm Muße und Quft ge 
winnen, das in Breslau befindliche Material für die Gefchichte des preis 
Bigjährigen Kriegs in derjelben Weiſe weiter auszunutzen. Hb. 

Onno Klopp, Tilly im dreißigjährigen Kriege. 2 Bönde. 


(XIV und 5567 S. und XIII und 502 ©.) Stuttgart, F. ©. Eotta’jcher 
Berlag. 1861. *). 


Die vorzugämeife von jogenannten Proteftanten wie Leo, Menzel, 
Barthold, Gfrörer u. A. gepflegte Entwidelung der einfeitigen ghibelli⸗ 
niſch⸗ nationalen Betrachtungsweiſe des dreißigjährigen Kriegs, die ihre 
Aufgabe als eine nothwendige Reaction gegen die frühere eben ſo einſei⸗ 





*) Obwohl wir oben ſchon eine ausführliche Darlegung der Hiftorifchen 
Forſchungen des Herm Onno Klopp mitgetheilt haben, wollen wir eg ung doch 
nicht verſagen, auch hier noch das Urtheil eines Kenners dieſes ©rgenftandes 
par excellence aufzuführen. Gegenüber den fi an fo vielen Stellen breit 
machenden Lobesfanfaren der Tagespreſſe fiber die literarifche Thätigkeit des Hm. 
Kopp mag es angemefien fein, recht nahdrüdiih auf die wirkliche Bedeutung 
feiner Arbeiten hinzuweiſen. M. 





5. Deutfche Geſchichte. 491 


tige culturbiftorifhe Anſchauung deſſelben erfüllt hatte und in der moder⸗ 
nen nationalen Geſchichtſchreibung bereit? als ein überwundener Standpunkt 
zu betrachten iſt, bat in dem oben erwähnten Bude eines eben folden 
Proteftanten noch nachträglich ein feltfames künſtliches Product getrieben, 
in welchem einerfeit3 jene Auffaflung noch einfeitiger und fchärfer in allen 
ihren Conſequenzen durchgeführt wird, andrerjeits die abgejchmadteften Phan- 
tome einer unlauteren Sophiſtik als geſchichtliche Thatfahen dem Publikum 
mit einer Kecheit aufgebrängt werden, wie fie bis jetzt in der Art in der 
Literatur wohl kaum vorgelommen ift. Die frübern Bertreter dieſer Rich: 
tung waren damals in vielen Beziehungen berechtigt und die heißfpornige 
Art, mit der fie ihre ſtarken Sympathien und Antipathien vortrugen, ließ 
e3 begreiflih finden, wenn fie in ihrem Eifer ſich öfter verhieben; dane⸗ 
ben war etwas frifhes, naturwüchſiges in ihrem Zone, das der Läutes 
rung der Geſchichte zu Gute kam. Hier aber tritt ein Hiftoriler auf, der 
mit der rubigften und feinften Berechnung und mit nicht geringem Geſchick 
Alles, was auf diefem Gebiete feither erforfht worden ift, ſoweit es für fei- 
nen Zwed paßt, und manden Beitrag eigner Studien in den Hanndverijchen 
Archiven zu einem blendenden und täufchenvden Bilde zufammenfaßt, um 
neben Tilly, dem reinften und ebelften Helden jener Zeit, Guſtav Adolf 
als den verruchteften Buben der Weltgefhichte binzuftellen. Es ift gut, 
daß es jo gekommen ift: weiter hinaus können fie in diefer Richtung nicht 
mehr: der Boden ſchwindet unter ihren Füßen. 

Die Biographie Tillys zieht fih durch eine Echilderung des ganzen 
dreißigjaͤhrigen Kriegs bis zum Tode des Feldherrn. Bei der für des 
Verfaſſers Zwede ſehr geihidt angefertigten Parftellung deſſelben 
iſt von der Bedeutung der Ideen des Proteſtantismus, welche in ihrer 
Entwidelung neben manchen andern Motiven nothwendig den Krieg erzeu⸗ 
gen und nähren mußten, nicht mit einem Worte die Rede. Im Gegen: 
tbeil nur auf der Eeite der Katholiſchen — mit Ausnahme Wallenfteing, 
der ald der boͤſe Dämon des Kaiſers preisgegeben wird — tft Frömmig⸗ 
keit, Ghrlidleit und Net, die Vroteftanten, ſoweit fie fih nit dem Kal: 
jer fügen, find alle Empörer, Verräther: bei ihnen ift nie und nirgends 
ein Recht zum Widerſtand, die Religion ift immer nur der Dedmantel der 
Empörung. Demgemäß wirb fchon in der böhmischen Erhebung, deren un: 
reine Glemente kein vernünftiger Hiftoriter vertennen wird, der Nahdrud 
darauf gelegt, daß der Kaifer das Voll vor den nictönägigen Junlern. 


492 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


die deutſche Nationalität vor dem Fanatismus der Slaven gerettet babe; 
die gewaltfame Reformation in den kaijerlihen Erblanden wird vollftändig 
gerechtfertigt. Weiterhin wird die Abneigung aller confervativen Eorpora- 
tionen des Reichs und ded ganzen Volles gegen jeden Verſuch, den ſieg⸗ 
reihen Katholilen entgegenzutreten, behauptet, auch wo fie nicht vorhanden 
war, oder als politiiche Gefinnung gepriejen, wo fie ihren Grund in fdymäh- 
licher Furcht hatte; es wird die verbrederifche Selbftfucht einiger Fürften und 
die Intrigue des Auslands als einzige Urſache des fortbauernden Kampfs 
betradtet, die nur bei dem von einigen Pfafien bie und ba aufgeregten Bi 
bel populär geweſen fei, und bie freche Behauptung ausgeſprochen, daß 
ih die Proteftanten um der Religion willen niemals beſchwert hätten und 
niemals hätten beſchweren können, da fie ſich der überall im Rechte bes 
gründeten katholiſchen Reformation ruhig gefügt. Denn fie hätten ja ein 
ſehen müfjen, daß die Nüdgabe einiger geiftlicher Güter dad Dogma von 
der Rechtfertigung durch den Glauben nicht gefährbe — eine an zwei Stel⸗ 
len vorlommende wie Hohn Elingende Bemerkung, die den Stanbpunlt des 
fogenannten proteftantifhen Verfafierd genügend charakterifirt. Wallenfteins 
Gebahren in Norddeutſchland, das der Kaifer nicht hätte hindern Tönnen, 
gilt Herm Klopp als einzige Urſache der Fortſetzung des Krieges, als 
Handhabe für Guſtav Apolf, deſſen moraliihe Vernichtung er fich neben 
Tillys Verherrlihung als Hauptaufgabe feiner Arbeit gejtellt bat. Der 
König von Schweden, „der ſich frühzeitig frei gemacht hatte von jeder in- 
nern Schrante, von jeder Anmwandlung eines unzeitigen Rechtsgefühles“, 
bat nad Herm Klopps Meinung die Proteftanten und Katholiken, vie 
bi3 dahin ganz einig geweſen waren, gegen einander gehegt, bat „vie 
große Lüge des Religionskrieges erfonnen und verbreitet, die jeder ebrlie: 
bende Deutſche damals verädhtlih von fi wies.” Gr hat ohne alle Ur: 
ſache den Krieg begonnen, nur zur Befriedigung feined Ehrgeizes, den er 
mit dem Schein der Frömmigfeit und des redlihen Mohlwollend zu um: 
Heiden verftand, und hat kein Mittel des Truges und der Gewalt gejcheut, 
feine Zwecke zu erreihen. Wohin er kam, da mwendeten fi alle Redlichen 
von ihm ab, er fand von feiner Landung in Pommern an bis zum Tage 
bei Lügen nirgends Sympathien als bei einigen intriguanten Yürften, die 
fih vom Kaifer losmachen wollten und bei dem durch einige Theologen 
tünftlih aufgeregten Poͤbel. Seine Soldaten haben überall jo arg gebauft, 
wie die Mannsfelver und Wallenjteiner, wenn „er fie auch zweimal des 





5. Deutſche Geſchichte. 498 


Tage? zum Gebet herantrommeln und herantrompeten Tieß” und ihnen fals 
bungsvoll vorpredigte; nur bei den Tillyſchen war die gute Zucht eines 
aufrichtig frommen und ehrlichen Kriegsherrn. Als Guſtav in Folge all 
gemeiner Abneigung in Norddeutſchland nicht recht vorwärts kam, jo gab 
er jeine Beſatzung in Neubrandenburg und die Stadt felbit abſichtlich 
preis, um die Muth gegen die Feinde zu erregen und Revanche üben zu 
fönnen. Ja er befreite Magveburg nicht nur deshalb nicht, meil er es 
nicht befreien wollte, jondern damit es — nad lange vorbereitetem Plane 
— von Falkenberg vernichtet werde, theild um es Tilly nicht umverſehrt 
zu lafien, da er ed im all der Befreiung dem mit ber Stadt abgejchlofs 
fenem Vertrage gemäß nicht bejegen durfte, theils um die Proteftanten für 
fi) unter die Waffen zu bringen und den Krieg zu einem Neligiondtriege 
zu machen. Yaltenberg mußte im Cinverftänpniß mit dem König die Vers 
theidigung gröblih vernadjläjfigen, dem Feinde anonyme Nachrichten zur 
Erleichterung de3 Angriffs jenden und durch unzählige Minen die Stadt 
— und natürlih aud fi felber mit — vernichten. Denn daß der König 
einen folhen Plan gebegt, ift ganz begreiflihb, da er früher einmal in 
einem äbnlihen Falle (?) in einem Briefe von dem Bortheil geſprochen 
babe, ven der dur die Kriegsnoth in Polen erregte Unmuth der polni- 
ſchen Evelleute gegen ihren König den Schweden bringen könne: in beiden 
Fällen bat er auf die Crbitterung der Unterthanen gegen ihren Herm 
jpeculirt. Später, nad) der Echladht bei Breitenfeld „einem der unbeilvolljten 
Tage der deutichen Geſchichte“ hat Guftan dies Freigniß ausgebeutet, um 
zilly um feinen ehrlihen Namen zu bringen, bat ihn durch einen ſchlan 
benugten Bericht eines feine Wunden heilenden Bades als ſchußfeſt d. h. 
ald Zeufelägenofie bezeidnet, und die Verleumdung gegen den bis dahin 
allgemein verehrten Tilly durch den Grafen Epanbeim im Soldat su6- 
dois fo vorbereiten lafien, daß dann durch Chemnig, Harte und am 
dere ſchwediſch gejinnte Schriftftellee das Märchen von Tilly und Guſtav 
Adolf, wie ed in der Geſchichte bis heute feitgehalten worden, dem deutſchen 
Bewußtjein aufgedrängt und durh Schiller populär gemadt worden ift. - 

Die abjurde Entwidelung aller diefer bisher ganz unbelannten That⸗ 
ſachen muß im Bude felbjt nadhgelejen werden. Nur im Allgemeinen mag 
Folgendes bemerkt werden. Daß Tilly, an den fi die Crbitterung megen 
Magdeburgs Untergang zunächlt anbeften mußte, lange Zeit verlannt wor 
den, ift begreiflich. Gier konnte, bier mußte die fpütere Kritil eine der früs 


494 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


beren populären Anfchauung entgegengejegte Betradhtungswelfe zur Geltung 
bringen. Was in dieſer Beziehung zur Charakteriftil des Feldherrn Hr. Klopp 
beigebracht hat, ift das einzige Verbienft feiner Arbeit, das freilich durch die 
eigentbümliche Benutzung des ſchon vorhandenen oder von ihm aufgefunde- 
"nen Materials au bier und da problematifch erjcheint. Wallenftein ift feit 
Schillers Tragöbie eine Zeit lang populär geweſen: doch bei Lebzeiten und 
bis dahin war er ald eine dämonishe Erſcheinung gefürdtet, aber nicht 
verehrt worden. Daß aber ein Held der Geſchichte, ver bei Lebzeiten von 
den Freunden innigft geliebt, von den Gegnern hoch geachtet worben iR, 
nicht etwa, was bier öfterö gefchehen, bei Anerlennung feiner großen Eigen: 
ſchaften nadträglid als ein fremder Eindringling zurüdgewiefen, ſondern 
nad) mehr als zwei Jahrhunderten aller von Freund und Feind gerühmten 
Tugenden entlleivet und als Schurle gebrandmarkt wird, ber feine Idealifi⸗ 
rung nur einigen von ihm tbeilmeife dazu auserjehenen Schriftftellern ver 
danle: das iſt big jegt in der Geſchichtſchreibung noch nicht dagemwefen. 
Man lönnte fragen, wie e3 dem Berfaffer möglich geweſen fei, eine 
ſolche Geſchichte zu Stande zu bringen. Er fängt mit dem Augsburger 
Religionzfrieden an und deducirt daraus, mit Jgnorirung des Gegenſatzes 
beider Richtungen, und ohne die Gewaltthätigleiten der allerdings durch 
die nothwendige Entwidelung der Berhältniffe ganz von felber zurüdges 
drängten katholifhen Partei zu erwähnen, die Berechtigung und die Ein: 
buße der Katholiken. Mit den Ergebniffen ver jeitherigen Forſchung wohl 
vertraut weiß Herr D. Klopp überall trefflih zu benugen, mas ihm zur 
Erreihung feines Zmwedes dient, Berichte von Freunden ſowohl als von 
Feinden. Was der Art gar nit in den Kram paßt, wird weggelaffen, 
3 2. die jhmählichen Ungerectigleiten gegen die Augsburger, die Klage: 
berichte über Religionsdrud, günftige Berichte über Guftav und feine Eol: 
daten. Oder e3 werden Berichte der andern Partei mit eigenthümlichem 
Geſchick verarbeitet. Ein Bericht Guſtavs, worin er über Geldmangel und 
Soldatenercefie Hagt, eine heftige Rede veflelben, durch welche er vie 
Schwachen auf feine Seite bringen wollte, ein durch die Nothwendigkeit 
gebotened gewaltjames Auftreten des Königs, die Klage eines proteftanti: 
ſchen Fürſten, dem nad langer Plage durd die Kaiferlihen die ſchwedi⸗ 
ſchen Garnifonen Täftig wurden — dergleichen wird, wohl herausgepugt zur 
Charalteriſtik des brutalen Koͤnigs und feiner Soldaten, „der Verbrecher”, 
wie fie einmal genannt werben, für unlundige Lejer ſehr wirkſam verar: 





5. Dentſche Geſchichte. 45 


beitet. So wird 3. B. das nah der Erhebung der Altbayerifhen Bauern 
ganz begreiflihe Verfahren des mit Recht erzürnten, aber doch dann ver 
fühnten Königs in Landshut, ohne daß ein Wort von dem vorher an den 
ſchwediſchen Soldaten verübten Gräuel der Bauern erwähnt worden, zur 
Schmad des Königs wie ein Stüd aus der Geſchichte Alba's novelliftiich 
zurecht gemadt, ald ob „das Gewiſſen des königlihen Sunders für dies⸗ 
mal dur einen Wetterfchlag gerührt und zur Gnade geftimmt” worden 
jei. Andrerjeit3 werben wieder einzelne Berichte, die Tilly betreffen und 
für ihn perfönlih ganz ehrenvoll fein mögen, dazu benugt, die lamms⸗ 
fromme Unfhuld der Tilly’ihen Soldateska darzuthun*) Die Schwäd: 
linge, die Aengitlihen, wie Johann Georg von Sachſen, find fo lange 
ausgezeichnete Batrioten, ald fie fih vom KHaifer Alles gefallen laflen. So⸗ 
bald fie aber, aufs Aeußerfte bedrängt, ſich rühren, fei es auch nur zu einer 
dem Kaiſer unbequemen Neutralität, fo werden fie als verblendete Berräs 
ther gebrandmarkt und in ihrer ganzen Erbärmlichleit bloßgeftellt. Selbft 
der ſchwache Verſuch jenes Kurfürften, fih durch den Leipziger Convent 
gegen den Kaiſer, wie gegen die Echweden zu fügen, gilt dem Verfaſſer 
als Verrath der guten Sade. Und das alle wird von Herrn Klopp in 
böchft geihidter Gruppirung und mit der Ruhe einer fcheinbar ganz objels 
tiven Anfhauung in klarer Darftellung jo vorgebracht, daß der unkundige 
Leſer dadurch getäufcht werden muß. Wo die ermünjchten Thatjachen feh⸗ 
len, muß Sophiftit nachhelfen, um das Bild nad dem Zwede des Ber: 
faflers zu geftalten. Wieviel er darin leiftet, beweiſt die obige Darftellung 
ven Magdeburgs Untergang, die fogar in der Allgemeinen Zeitung von 
einem dem Verſaſſer fichtlih wohlwollenden Kritiker ſcharf zurüdgemwieien 
worden iſt. Doch geht dieſe Sophiſtik durch das ganze Buch: durch ſie 
werben alle Luͤcken ausgefüllt, alle Bloͤßen der Darſtellung verdeckt. 

Trotz allem Geihid hat aber doch Herr Klopp das hiſtoriſche Bes 
wußtſein, das er feiner proteftantiihen Bildung verdankt, nicht überall 
ganz zurüdvrängen können. Co ift dem Berfafier Bd. II. S. 9 das Ge: 





*) Bei diefer Gelegenheit möge zur Charakteriſtik der Tilly’ihen Solda⸗ 
tesfa aufmerffam gemacht werden auf die nrlundlichen Berichte über die Er⸗ 
preffungen und Berheerungen der Tigiftifhen Heere in Weflfalen, alfo in Freun⸗ 
desland, im Jahr 1622 u. 1623, welche mitgetheilt find von Tophoff: im 
Band XIII. u. XIV. der weffälifchen Zeitichrift für vaterländifche Geſchichte 
und Alterthumokunde. M. 


496 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


ftändniß entihlüpft von der Berechtigung ber Entwidelung der Geſchichte 
gegen beſtehendes Recht. Hätte er jened Recht der Gefchichte bei feiner 
Arbeit ehrlih vor Augen haben wollen, fo würde er ein Buch haben ſchrei⸗ 
ben koͤnnen, in dem er, ohne die Berechtigung der Proteftanten zum Kriege 
zu läugnen, feinem Helden hätte gerecht werben künnen. Auch die aus 
führlihe Darftellung der katholiſchen Reformation in Osnabrüd durch den 
Biſchof Franz Wilhelm, und mas Bd. 2. S. 16 und 17 in Folge vefien 
weiter berichtet wird, hätte der Verfaſſer auf feinem Standpunlte bei Seite 
lajien follen, wie ſehr ihn auch das darüber vorgefundene Material und 
die Gelegenheit, Tilly in ein gutes Licht zu ftellen, verloden mochte. Denn 
mehr als durch irgend eine Thatjahe wird dadurch die begründete Furcht 
der Proteftanten, die Herr Klopp überall als ungerechtfertigt betrachtet, die 
Gefahr, in der die evangeliſche Kirche ſich befand und die Nothwendigkeit 
der Rettung der deutſchen Proteftanten und ihrer Eultur ans Licht geftellt. 
Endlich fällt bei dem fo ftreng confervativen Verfaffer Br. 1. S. 482 in 
ber Bertheidigung des Kaiſers gegen die Beihulbigung, er babe durch 
Mallenftein eine die fürftlihen Rechte vernichtende Erbmonardie gründen 
wollen, die flüchtig bingeworfene Bemerkung auf, daß wenn ber Kaiſer diefe 
Abſicht gehabt und durchgeführt hätte, nur die Fürften verloren hätten, 
nicht die Nation. Abgejeben von der Verkehrtheit der Jllufion von dem 
Segen einer Habsburgiſchen Einigung Deutſchlands ſcheint aud bier ein: 
mal ein natürliches hijtorifches Gefühl des Herrn Klopp unwilllürlih und 
unvorfihtig zu Tage gelommen zu fein. 

Doch dies genüge zur Charakteriſtik eines Buches, das fi jelbft rich⸗ 
tet. Herr Klopp iſt in der erwähnten Richtung feit langer Zeit überaus thä- 
tig gewefen. Der auffällige Bericht „aus Hannover”, zur Empfehlung ver 
Friedensbeitrebungen des Kaiſers Ferdinand von Hurter in der Allgem. 
Zeitung, war jedenfalld aus feiner fyeder. Dann mwurden die Grundzüge 
der Anfichten des bier beſprochenen Buches anonym in den biftorifch-poli: 
tiihen Blättern für das katholiſche Deutichland veröffentlicht, in einer Zeit: 
ſchrift, an der fih fein Protejtant betheiligen fann, ver nicht mit feiner 
Gefinnung im andern Lager Steht. Meiterhin wurde diefer Etoff für ein 
vielgelejened Unterhaltungsblatt mit Jluftrationen verarbeitet. Dann folgte 
enblih das beſprochene Buch im Cotta’jhen Verlage! Ob fih Herr Klopp 
durch ſolches energiſche Miffionswert bei der Partei, für die er arbeitet, 
empfehlen wird, fragt ſich allerdings, da die „Eonvertiten:VBergöiterung” 





5. Deutiche Geſchichte. 497 


mandem bedeutenden Vertreter der katholifhen Preſſe trog des Zugeftänd: 
niſſes der eigenen Schwäche nicht wohlgefällt. (Val. hiſt. polit. Blätter f. d. 
kath. Deutſchl. Bd. 48. Heft 6. 5.543 ff.) Doc für jegt hat es nod feine 
Noth. Herr Klopp bat aud ein Pasquill gegen Friedrich den Großen ges 
fhrieben und ift, wie e3 beißt, von der hannöverifhen Regierung mit ber 
Herausgabe der Werte des großen Leibnig betraut worden! K.G. Helbig. 

. Opel, Jul., u. Adf. Cohn, der dreißigjährige Krieg. Cine 
Sammlung v. hiſtor. Gedichten u. PBrofa-Darftellgn. gr. 8. (XIV u. 607 ©.) 
Halle 1862. Buch. d. Waiſenhauſes. 

Als einen erfreulihen Fortjchritt der hiſtoriſchen Forſchung werden 
wir es zu begrüßen haben, daß man an vielen Stellen beginnt, das ger 
fammte Material in ausgedehnterer Weife zu benuten, daß man vor Allem 
aud alle diejenigen Aeußerungen der Zeitgenofien in den Bereich der Bes 
tracbtung zu ziehen ſucht, aus denen fi die „öffentlihe Meinung” einer 
jeden Epoche gewinnen läßt. Zu diefem Zmede ift anderwärts fchon eine 
umfafiendere Sammlung der biftorifchen Lieder des 16. und 17. Jahr: 
bundert3 in Angriff genommen ; zu dieſem Zweck dient aud die bier vor: 
liegende, von Opel und Cohn herausgegebene Sammlung hiftorifher Ge: 
bite und Broja-Darftellungen aus der Zeit des breißigjährigen Krieges. 
Wir fehen bier, wie alle Ereignifje und Perſonen fowohl bei Gegnern als 
bei Freunden lebhaft beſprochen und fcharf beurtbeilt werben; dadurch wird 
e3 Har, daß die ſchroffe Spannung der Parteien endlich zu dem Kriege führen 
mußte, daß in demjelben e3 in der That fi um die höcften Güter des 
Menſchen, aud um feine Religion, bandelte. Dies zeigt fich gleih in Nr. 1, 
dann ferner in Nr. 5, 6, 39, 42, 51ff., 69 u.f.w. Einzelne Ereigniffe 
und Perfonen erjheinen im Munde der Zeitgenofien in ganz anderer Bes 
leuchtung, als man fie heute von einer gewiflen Seite her auszumalen be 
liebt. Vgl. befonders Nr. 8 über die Beitrebungen der Liga, — Nr. 25 
und 39 über die Engherzigkeit und Feigheit der „Neutraliften” — Nr. 42 
und 69 über Guſtav Adolfs himmlische Sendung, Nr. 51 über dad Martyrium 
ber Magdeburger. Bon dem Augenblid an, als der Krieg nur politischen 
Zwecken Einzelner oder gar der Ausländer dient, verftummen auch allmälig 
diefe fo lebendigen Stimmen, verlieren jedenfalld an Intereſſe. — Daß 
die bisherige Auffaflung der Epoche im Weſentlichen die richtige war, 
lann man in ſolchen Stimmen aus der Zeit ſelbſt volllommen beftätigt 
finden, — 


498 Ueberſicht der biftorifchen Literatur von 1861. 


Das große Verdienft der Herren Herausgeber befteht vorzüglich darin 
daß den Gedichten. felbft treffliche eingehende Anmerkungen angefügt find, 
die ſachliche Erläuterungen faſt überall in ausreichender Weife geben. Be: 
ſonders auf die Spezialunterfuhung über „die alte Wahrheit” (S. 371 ff.) 
und die verwandten Stüde, deren Bedeutung ſchon Dahlmann gewürdigt, 
tollen wir noch hinweifen: ſowohl der Verfaſſer derjelben wird wenigſtens 
mit großer Wahrjcheinlichleit aufgefunden, als auch der innere Werth jener 
Spribwörterfammlung erläutert, die den ganzen Beſtand der politiſch⸗ 
focialen Anfhauungen der Zeit zufammenfaßt und damit einen über con- 
feflionelle Beſchraͤnktheit erhabenen religiöfen’ Freimuth verbindet. (S. bei. 
6. 476—485.) —r. 

Keil, Dr. Rob., ein denkwürdiges Gefellen-Stammbud 
aus d. Zeit db. dreißigjährigen Krieges. Driginal-Mittheilung als ein Beitrag 
zur Geſchichte der deutſchen Spruch⸗Poeſie u. d. deutjchen Kultur-Lebens über- 
haupt. gr. 16. (II u. 99 S.) Lahr, Schauenburg & Co. 

Lampert, Froͤr, der Fall Magdeburgs. 8. (IVu. 92 ©.) 
Nürnberg, Bauer & Raspe. 

Der Berfajler will eine ftreng auf hiftoriiher Wahrheit beruhende 
populäre Darftellung des unglüdlihen Verhängniſſes Magdeburgs geben. 
Es ift nun wohlthuend, nad all den tendentiöfen Verbrehungen diefes Fal⸗ 
tums, mie fie in den legten Jahren uns geboten waren, einmal wieder das 
Faktum ſelbſt klar und deutlich vorgeführt zu ſehen. Die ſittliche Strenge 
des Urtheils zugleich mit patriotiſcher Wärme ehrt den geſunden Sinn des 
Derfafjers. Wir heben bejonder3 hervor die zutreffende Grörterung über 
Tillys Verhältniß zu der Zeritörung (5. 81—83) und über Guftav 
Adolfs Säumniß (S. 90). Es zeigt fi hier wie überall ein gewiffenhaftes 
Maaß und eine gefunde Grundlage de3 hiſtoriſchen Urtheils. — r. 

Erinnerungen an Guſtav Adolf und die Schlacht bei Lügen. 


Herausgegeb. bei Gelegenheit der Errichtung d. Denkmals bei Lügen an der 
Stelle, wo er fiel. Am 6. Novbt. 1837. 8. 11. Aufl. Leipzig, C. F. Schmibt. 

Herlos ‚K., (Herlosssohn), Valdste in, listoricko-romanticke 
obrazy. Vzdelal Dr. J. B.Pichl. Sesit 10.8. (2. ®d. 2. Abth. S. 119 bie 
209.) Prag, Kober. 

Tſchepke, A. v. Wallenftein, Herzog von Friedland. 4. (24 ©.) 
(Gymnaſialprogramm v. Liſſa.) 

Dubdif, Dr. B., d. laiſerl. Obriſten Mohr v. Waldt Hochverrathe— 
Prozeß. Ein Beitrag zur Waldſteins⸗Kataſtrophe. Nah Originalien. (Ans 





6. Deutſche Geſchichte. 499 


d. Archiv f. Kunde öfterr. Gefchichtsquellen abgebr.) Ler.»8. (9 ©.) Wien 1860, 
Gerold's Sohn in Comm. 

Hofele, Präceptor Engelb., die Religionsübung in Deutjde 
land auf der Baſis d. weſtfäliſchen Friedens. Cine gekrönte Preisfchrift, unter 
Benüßg. der einfchläg. neueften Literatur umgearb. u. herautg. 8. (144 ©.) 
Wiejenfteig, Schmid. 

Hoßbach, Dr. Wilh., Philipp Jakob Spener u. feine Zeit. Eine 
tirchenhiſtor. Darſtellung. 2 Thle. 3. (Zitel-)Ausg. gr. 8. (XVII u. 5586.) 
Berlin (1853), Dümmilers Verlag. 

Kramer, Dir. G., Beiträge zur Geſchichte Auguf Hermann 
Srande’s, enth. den Briefwechſel Frande's u. Spener’s. Mit einem Bildniß 
a. H. Francke's (in Stahlſt) u. 2 (lith.) Fach. (in qu. gr. 4.) gr. 8 (XVm 
4756.) Halle, Buch. d. Waifenhaufes. 


Tholud, Dr. A, Vorgeſchichte des Rationaliemue. 2. m. 
letter Thl. A. u. d. T.: Das lirchliche Leben des 17. Jahrhunderts. 1. Abth. 
Die erfte Hälfte d. 17. Jahrhunderis bie zum weftfäl. Frieden. gr.8 (X u. 
3165.) Berlin, Wiegandt & Grieben. 

Herr Dr. Tholud beginnt in diefer Schrift dem Publitum in zwei 
Abtbeilungen den Schluß feiner Vorgeſchichte des Rationaligmus vorzulegen. 
Die Abficht diefer Borgefhichte war, „ven Rationalismus durch alle ihn 
vermittelnden Phaſen hindurch bis an feine erften Anfänge in einem ihm 
noch polariſch entgegengejegten Zeitalter‘ naͤmlich in der Periode der ftrengften 
Orthodoxie nachzuweiſen. Der vorliegende Theil dieſes Schriftencyclus ift 
nun insbefondere der Beleuchtung des „Eirchlihen Lebens” im 17. Jahr⸗ 
hundert gewidmet, zu welchem Behufe der Berfafler ein überaus reiches 
und lehrreihes Material gefammelt bat. Für die Kulturgeſchichte ift aber 
biefe Arbeit von bober Bedeutung. Nur läßt diejelbe in zwei Beziehungen 
viel zu wuͤnſchen übrig. Einmal mußte nämlih, wenn das „Lirchliche 
Leben” des 17. Jahrhundert? allfeitig dargeftellt werden follte, nothwendig 
noch auf Manches, was der Berfafler ganz oder faft ganz unberührt ge 
laffen bat, Rüdficht genommen werben, 3. B. auf dad Schul: und Unter: 
richtsweſen, namentlih auf das Volksſchulweſen, in welchem grade das 
firhliche Leben des 17. Jahrhunderts eine characteriſtiſche Seite darbietet. 
Ebenfo durfte nicht unbeachtet gelafien werden, daß grade in ber refor: 
mirten Kirche Deutſchlands (namentlih in Bremen) die föberaltheologifche 
Auffaffung der Kirchenlehre, die auf das gejammte Leben der deutſcherefor⸗ 
mirten Kirche jo mächtig eingewirkt bat, am frübeften zur Ausbildung ges 


500 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


fommen ift. Sodann leidet die Arbeit an vielfahen Ungenauigfeiten. 
Irrthümlich ift 3. B. die Angabe ©. 252, daß man in Brandenburg nur 
die Conf. Sigismundi als eigenthümliches Kirchenbelenntniß angejehen 
babe, da als ſolches vielmehr dag (in Frankfurt a. d.D. in einer ganzen 
Reihe von Ausgaben verbreitete) „Glaubensbekenntniß "der reformirten 
evangelifchen Kirchen in Deutichland” angefehen ward. Insbeſondere tritt 
diefe Ungenauigfeit da hervor, wo es fih um Beurtheiluhg bogmatifcher 
Erſcheinungen handelt. Der herzoglich braunſchweigiſchen Landesfirche 3.8. 
glaubt Tholud einen eigenthümlich Melanchthoniſchen Character vindiciren 
zu müflen, während doc grade diefe Kirche, die eigentlih erft nach dem 
Tode Melanchthons evangeliih organifirt ward, mit dem Philippismus 
am menigiten etwas zu thun hatte, weshalb fie auch an der Aufſtellung 
der (fpäter von ihr freilich nicht mehr beachteten) Concordienformel den 
thätigften Antheil nahm. Ganz unrichtig beurtheilt Tholud aud Die Press 
boterialeinrihtung der lutheriſchen Kirche Heſſens. Diejelbe datirt nicht, 
wie Tholud fagt (S. 109), aus einer Zeit, wo noch das „lutheriſche 
und reformirte Helfen verbunden waren”, — denn eine foldye Zeit 
hat e3, abgejehen von der neueren Zeit, nie gegeben — fondern datirt 
aus der Zeit, wo in der ganzen heſſiſchen Kirche der Einfluß des refor: 
mirten Dogmad der allgemein herrihende war. Denn die Einrichtung 
der Presbyterien in Hellen ftammt von Lambert von Avignon und vor 
Bucer, und ift als alte Meberlieferung in der Landeskirche von Hefien- 
Darmftadt, als ſich dieſelbe der lutheriſchen Kirchengemeinhaft Deutſch⸗ 
lands anjchloß, beibehalten worden. H. 

Schmidt, Julian, Geſchichte d. geifigen Lebens in Deutſch 
land von Leibnitz bis auf Leſſings Tod 1681—1781. gr. 8. (1. ®d. (VIu. 
6525.) Leipzig 1862, Grunow. 

Bopp, Beiträge zur Beurkundung der deutſchen Strafredhtspflege in 
den drei letzten Sahrhunderten. 1. Heft. 8. (IV u.108©.) Stuttgart, Mäntler. 

Helbig, 8. ©., Efaias Pufendorfs Beriht über Kaifer 
Leopold J. feinen Hof und bie öfterreihifche Politit 1671—1674. Orsg. n. 
erläutert. 8. (99 ©.) Leipzig 1862, Teubner. 

Eſaias Pufendorf war ſchwediſcher Gefandter am Wiener Hofe in den 
Jahren 1671— 1674; er hatte die Aufgabe, in dem franzöſiſch-⸗hollaͤndiſchen 
Kriege in Wien die franzöfifhen Intereſſen zu unterftügen, was ihm aller: 
dings nicht gelungen if. Am 27. März 1675 las er im ſchwediſchen 
Staatarath einen zujammenhängenden Beriht über feine Unterhandlung 





5. Deutſche Geſchichte. 601 


vor, an die ſich eine Darlegung ſeiner Anſichten vom kaiſerlichen Hofe, dem 
Stande der Geſchäfte, dem Character und Einfluß der leitenden Perſön⸗ 
lichkeiten anſchloß. 

Diefe Relation bringt eine ganze Reihe ſehr ſchaͤtzbarer Dinge zur 
Geſchichte jener Jahre bei: es wird das bisherige hiſtoriſche Urtheil über 
Zuftände und Perfonen in Deutihland noch mehr bekräftigt und tiefer be 
gründet. Herr Helbig, welchem die hiftorifhe Wiſſenſchaft ſchon jo mandyen 
Beitrag zur Geſchichte des 17. Jahrhunderts verdankt, hat ſich durch dieſe 
Herausgabe aufs Neue den Dank der Forſcher verdient. Daß aud in meir 
tern Streifen dieſes unmittelbare Zeugniß über Leopold und die öfterreichifche 
Politik befannt werben könne, ift dur eine klare, überjihtlih das Bild 
der Zeit entmwerfende Ginleitung, fowie dur erklärende ſachliche Anmer: 
tungen binreihende Sorge getragen. Möchte doch Herr Helbig, der gründliche 
Kenner diefer Epoche, ung einmal mit einer zufammenfafjenden Darftellung des 
von ihm im Ginzelnen vieljach erläuterten Jahrhunderts bejchenten! M. 

Waencker, Dr. DO. v., aus der deutfhen Geſchichte der zwei 
lebten Hundert Jahre. Borträge, gehalten in der Mittwochsgeſellſchaft zu 
Freiburg im Winter 1860/61. gr. 8. (64 9.) Yreiburg im Br., Herber. 

Kugler, Frz., Geſchichte Kriedrihs d. Großen. Geeichnet v. 
Adph. Menzel (VBolls-Ausg.) I—12. (Schluß⸗)Lfg. gr. 8. (XIX ©. u. 
&. 321-420 m. eingedr. Holzſchn.) Leipzig, Mendeisiohn. 

Kriegsſchauplatz an der@rft wm. Roer im Sommer 1758. Nebſt 
1 (lith.) Ueberfichtskarte (in Fol.) gr. 8. (47 ©.) Düſſeldorf, Schaub. 

Laube, Prem.-Lieut., die Kataftrophe v. Landeshut i. Schl, am 
23. Juni 1760. Nebſt 6 Beilagen u. 1 (lith. u. color.) Plane (in gr. Fol.) 
Herausgeg. von Landratd von Klützow. gr. 8. (VI u. 836.) Berlin, 
Mittler & Sohn. . 

Wittich, Oberfilieut., der Neiter-General Fror. Wild. Frihr. 
v. Seydlitz. Cine biograph. Skizze. Nach Varnhagen v. Enfe’s „Leben bes 
Generals v. Seidlitz“ bearb. Rebſt (lith.) Abbildg. d. Dentmals. gr. 8. (57 8.) 
Düffeldorf 1860. Berlin, Mittler & Sohn. 

Klopp, Onno, offener Brief an ben Hm. Brof. Häuffer 
in Heidelberg, betrefi. die Anfichten über den König Friedrich IL v. Preußen, 
Lex.8. (48 3.) Hannover 1862, K.indworth. 


Hänffer, Ludw. Zur Würdigung Friedrich bes Großen. 
Sendſchreiben an Herrn Dr. Onno Klopp. (825) 1852. Heidelberg, Mohr. 
Bei Herrn Onno Klopp gehen Hand in Hand mit feinen Beitrebun- 
gen die Geſchichte des 30jaͤhrigen Krieges zu verlehren, die angeſtrengte⸗ 


502 Ueberfiht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


ften Bemühungen, auch das hiftorische Urtheil über Friedrich den Großen auf 
den Kopf zu Stellen. Diefe Controverje, — jo weit bei ihm überhaupt von 
einer wiſſenſchaftlichen Controverje die Rede jein kann — ift in der That 
vollftändig erledigt durch die Schrift Häuffers. Herr Onno Klopp bat 
zwar dagegen wieder laut lärmend feine Stimme erhoben; aber wiffen- 
ſchaftlich ift die Sache abgethan. Zur Beruhigung kann dabei Herm 
Onno Klopp au das gereihen, daß ihm der Beifall des Mainzer Your: 
nale3 und der Kölnischen Blätter ja auch fernerhin gefihert bleibt ; ja wir 
zweifeln nicht, daß auch jegt noch die Augsburger Allgemeine Zeitung ihm 
ihre Zuftimmung auszubrüden nit ermangeln wird. Jeder weiß, aus 
welchen Gründen dies geſchieht und welcher Werth dem beizumefien if. M. 

Häuffer, Ludw., deutſche Geſchichte vom Tode Friedrich des 
Großen bis zur Gründung d. deutichen Bundes, 8. fehr veräud. u. verm. Aufl. 
(In 8 Halbbon.) 1. Halbbd. gr. 8. (1. ®b. ©. 1—288.) Berlin, Weidmann. 

Steger, $., 1792 — 1813 oder bie legten Jahre d. deutſchen Reiches 
und feine Zertrümmerung durch Frankreich. Ein Bild der Vergangenheit ale 
Spiegel für Gegenwart u. Zukunft. 2. Aufl. gr. 16. (IV u. 191 S) Leipzig, 
D. Wigand. 


Die Shladht bei Afpern am 21. u. 22. Mai d. 3. 1809. Mit 
e. biograph. Skizze d. Herzog Karl von Defterreih, dem Programme zur Mo» 
numents-Enthülg. in Wien am 51. Jahrestage der Schlacht bei Aipern u. der 
Abbildung des Monuments (in Holzſchn. und Tondr.) (br. 8. (23 ©.) Wien 
1860, Dirnböd. 


oe Bert, ©. H. über die politifhe Bedeutung d. 3. 1810. 
(Aus den Abhandign. d. f. Akad. d. Will. zu Berlin 1861.) gr. 4. (48 ©.) 
Berlin, Dümmler’s Berl. in Comm. 


Um feine Weltherrfchaft zu vollenden und zu befeitigen hielt Napo: 
leon im Jahr 1810 die Einverleibung einer Reihe von Baflallenftaaten 
in das franzöfifhe Reich für erforderlich. Dieſes Shidjal ſollte nament- 
lich die pyrenäifche Halbinjel treffen. Der Plan, dem die dortigen Unruhen, 
die durch die fohlehte Regierung feines Bruder Joſeph entitanden und 
genährt jeien, zum Vorwand dienen mußten, trat immer deutlicher her⸗ 
vor und erregte in den Kreiſen der böhern ſpaniſchen Staatsbeamten, 
fo characterlos fie aud waren, lebhafte Unruhe. Azanza, Herzog von 
Santa Fe, der Geſandte des Schattenlönigd der Epanier bei deſſen 
mächtigem Bruder in Paris, gab fih in Gemeinihaft mit Andern die 
größte Mühe das drohende Unwetter abzulenken, Spanien die Selbfiftäns 





5, Deutſche Geſchichte. 503 


bigfeit zu erhalten ; allein Alles war vergeblich, der Plan reifte, ohne daß 
er Kenntniß davon erhielt, immer mehr. Die Mittheilungen, die er enb- 
lih durch Talleyrand über den Willen des Kaiſers erhielt, übertrafen noch 
jeine ſchlimmſten Befürhtungen. Die Spanier, Portugiefen und Italiener, 
erklärte jener, mußten in „die große Familie” aufgenomen werben. „Wenn 
Holland mit Frankreich vereinigt worden, weil es feine Anſchwemmung iſt, 
jo müffen es aus weit ftärferen Gründen Spanien und Stalien werben, 
deren zweites die Seite Frankreichs, das erfte feine Fortſehung.“ Sobalo 
Mafjena in Lifjabon eingerüdt, follte die Einverleibung geſchehen. Alles 
war hierauf im Stillen ſchon vorbereitet, die Verwaltungsbezirte für Spa- 
nien und Portugal ſchon entworfen, ja Azanza erhielt in jener Zufammen- 
funft von Talleyrand bereits, als Anlagen zu einem offiziellen Schreiben 
des franzöſiſchen Minifters für auswärtige Angelegenheiten, wodurd der 
ſpaniſche Gefandte von dem Willen Napoleons in Kenntniß geſetzt wurde, 
die Entwürfe für die Abdankungsurkunde Joſephs, für den Beſchluß des 
ſpaniſchen Staatsraths in dieſer Sache und für die von dem Kaiſer an 
das ſpaniſche Volk zu erlaſſende Proklamation bei der Aufnahme deſſelben 
in das franzöſiſche Reich. Joſeph ſollte erklären, er ſehe ein, er müſſe 
ſeinem Volle das große Opfer bringen, um deſſen Wohl und Glück wahr: 
baft zu fördern. Die Vorfchrift für den Staatsrathb war im Tone der 
ſchmeichelnden Niederträchtigkeit, in dem diefe Bürgerſchaft zu ſprechen pflegte, 
die Proflamation in der gangbaften aber unwahren Weije abgefaßt, mit 
der Napoleon feinen Willen den Völkern hund that. Alles hoffte man noch 
im „jahre 1810 auszuführen; jo bewies es die Datirung ber lepten Ur: 
kunden, in der nur nod für die Einzeichnung des Tages ein leerer Naum 
gelafjen war, — Der Bericht des jpanijhen Gejandten an ben Miniſter 
in Madrid, dem Abjchriften von jenem Schreiben des franzöfiichen Mint: 
ſters und den drei bezüglichen Urkunden beigegeben waren, wurbe won 
ſpaniſchen Guerillas aufgefangen, dann in englijhen und ſpaniſchen Beitun: 
gen veröffentlicht, gerietb jedoch alsbald in Vergeſſenheit. In obiger Abhand⸗ 
lung finden wir num jene wichtigen Altenftüde nicht allein forgjältig abge 
druckt, ſondern auch ibren geſchichtlichen Juſammenhang in äußerjt anziebenver 
und belehrender Weiſe erläutert. U. 


Verthee, Prof. Clemens Thdr., politifhe Zufände u. Perjo 
nen in Deutjchland zur Zeit der franzöfifchen Herrfchaft. Das füdl. u, weſil. 
Deutſchland I. ar: 8. (XIT u. 352 S.) Gotha 1862, 5. A. Perthes. i 

Sifterlfhe Zeitſchrift VII. Band. 22 


504 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur ven 1861. 


Gauter, Frz, Deutfhland zur Zeit ber größten Symeadı 
oder wie zur Seit, da Deutichland feine Gelbffänbigleit verloren, Börres, 
Arnim und Brentano die Nation durch Hinweifung anf bie glorreiche Bergan- 
genheit f. die höchſten Güter d. irdifchen Lebens: f. Beterlaud, Recht m. Ehre, 
zu entflammen fuchten. 1. Thl. 8. (III u. 106 ©.) Ulm, Regensburg, Dem. 

Schultheis, Fror, Johann Philipp Palm, Buchhändler im 
Nürnberg, erfchoffen auf Rapoleous Befehl zu Bramau am 26. Anuguf 18306. 
GSlaubwürdige aus bis jett ımbefannten Quellen nachgewiejene Mittheilungen 
üb. den Verleger n. den Berf. der Edhrift : Deutfchland in feiner tiefen Ernie 
drigung. gr. 8. (46 ©.) Rürnberg 1860, Korn. 

Wärdig, 2, die dentſchen FreiheitEkriege in b. 3. 1818, 
1814, 1815. Für Deutfchlands Iugend und Belt bearb. gr. 16. (IV u. 360 ©.) 
Defiau 1862, Ane’s Berlag. 

Reichenbach, Mathilde Gräfin v., Arndt u. Follen. Zeitgemälbe 
aus dem deutjchen Befreiungstriege. 8. (311 ©.) Leipzig 186%, Matthes. 

Baur, Pfr. Wilh, Eruft Moritz Arudt’s Leben, Thaten umd 
Meinungen, nebft einigen feiner geiff. u. welt. Lieder. Gin Bud, für das 
beutfhe Bolt. 8. (204 ©.) Zwidau, Buch. d. Bollsſchriften⸗Ver. 

Berfen, Dr. Wer. v., des alten treuen Wächters am Rheim, 
Brof. Eruf Mor. Arndt, Leben u. Wirken f. die Freiheit u. Einheit 
unferes geſammten beutjchen Baterlandes; nebſt e. kurzen hiſtor. Darflellg. d. 
weiland „röm. Reiches dentſcher Nation‘ u. einigen interejlanten Correfpon- 
denzen d. großen Berftorbenen. 8. (34 S.) Danzig, Anhuth in Comm. 

Bidede, Jul. v., ein deutfhes Neiterleben. Erinnerungen e. 
alten Huſaren⸗Officiers aus den 3. 1802 bis 1815. (In 3 Ihn.) 8. (IV u. 
251 ©.) 2. Thl. (IV n. 297 €.) Berlin, A. Dunder. 

Angerftein, Wilh. Fried rich Ludwig Zahn. Gin Lebensbild 
f. das deutiche Bolt. gr. 8. (XII u. 48 S.) Xerlin, Sande & Spener. 

In einfahen kräftigen Worten wird uns bier ein Lebensbild des 
alten Zahn entworfen: vom Hauch ächt deutſchen Patriotismus durchweht, 
ergreift die markige Geſtalt des Turnvaters den Leſer mit eigenthümlichem 
Zauber. Er fühlt den Geiſt jener großen Zeit des Freiheitslampfes, er 
ehrt und achtet den unerſchrodenen Nertämpfer freierer Ideen, er beklagt 
jein Geihid in Mitten einer ſchlaffen Reftaurationsepodhe, er begleitet den 
„Alten“ bi? an fein Lebendende, mo „ibm Deutſchlands Ginheit ala Abend: 
ftern zur ewigen Rube winkt.“ — Wir können dies Volksbuch im beften 
Sinne dei Worte? aus vellfter Ueberzeugung empiehlen, ibm alljeitige 
Berbreitung * ide Wirkſamkeit wuͤnſchen. 





5. Deutiche Geſchichte. 505 


Braſch, Rect. a. D. Fror, bas Grab bei Wöbbelin oder 
Theodor Körner u. bie Pütower gr. 8. (IV. 300 &.) Schwerin, Stiller, 

Hänffer, Fudbw,, Karl Frhr. don Stein. Eine Sfizge. Mit dem 
Portr. Stein’s (in Holzſchn.) 2. Aufl. gr. 8. (14 ©.) Leipzig, Weber. 

Der Neihefreiherr vom Stein, Deutſchlandse Mitbefreier vom 
Joch Napoleons I. gr. 16. (29 ©.) Stuttgart, Sonnewalb, 


Berthes, Prof. Clem. Ihr, Friedrich Perthes Leben mad) 
deſſen jchriftlichen u. mündlichen Mittheilungen aufgezeichnet. 3 Bbe. 5. Aufl. 
gr. 8. (XVI ı. 1163 &. m, Portr. in Stahlſt.) Gotha, F. A. Perthes. 


Corpus juris confoederationis Germanicae od. Etaat& 
acten f. Geſchichte u. öffentl, Recht d. deutjchen Bundes. Nach officiellen Quellen 
hrsg. v. Pegat.-R. Phil, Ant. Guido v. Meyer. Ergänzt und bis auf die 
neuefte Zeit fortgeführt v. Hofrat, Prof. Dr. Heinr Zöpfl. Regifter zum 
1. u. 2, Bd. hoch 4. (67 ©.) Frankf. a. M., Brönner. 

Ilſe, Prof. Dr. P. Fr, Geſchichte der deutſchen Bundes 
verfammlung, insbeſondere ihres Berhaltens zu ben deutſchen National: 
Intereffen. gr. 8. 2. ®. (697 ©.) 3. Bb. (VIlIn. 662 ©.) Marburg, Elwert. 

Mit dem Schluffe des dritten Bandes ift die erfte Periode der Ger 
jchichte der Bundesverfammlung, die Zeit von 1816—1824 zu Ende geführt; 
es find nämlich die Carlöbader und Wiener Conferenzen, ſodann die Hol 
jteinifche Frage in ihren erjten Stabien, der Streit zwiſchen Preußen und 
Anbalt:Kötben, endlich die Militärangelegenbeiten des Bundes, binfichtlich 
deren uns bier umfaſſende Materialien dargeboten werden, Zu einer erneuten 
Beiprehung liegt aber im gegenwärtigen Nugenblide aud) nicht ber geringfte 
Grund vor, e& muß vielmehr einfadh wiederholt werben, was ſchon früher 
gejagt ift (Jahrg. III. Heft 1. ©. 279 ff.), daß ein bloßes Bändefüllen 
mit umperarbeitetem Stoffe noch lange feine Gejchichtsfhreibung ift. Das 
icheint auch ber Verfafler jelbft gefühlt zu baben, wenn er uns noch einen 
vierten auf dieſe Zeit bezügliben Vand in Ausſicht ftellt, - wo eben eine 
jolhe Verarbeitung des gejammten urlundlichen Materiald gegeben werben 
foll. Im jevem Fall ſucht doch das Werk an Formlofigfeit und Planlofig- 
feit der Anlage jeines Gleichen; die drei erften Bände ericheinen nun 
gradezu ald bloße Beilage zum vierten; man begreift nun aber nicht, warum 
biefelben nicht rein den Charakter einer Urkundenſammlung bewahrt haben, 

| E. M. 

Archiv fd. öffentfihe Recht d. beutihen Bundes. Hrag. 

von Dr. 3. T. B. v. finde. 4. ®b. 1. u. 2. Heft gr, 8. Gießen, Ferber. 


506 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur wen 1861. 


Inhalt: Die ſtaatsrechtlichen Berkältuiffe der Yürften u. Grafen Herren 
v. Schöuburg. Hiſtoriſch u. dogmatiſch dargefrlt v. Prof. Dr. Adf. Michaelis 
(XVn.434 ©.) Hiſtoriſch⸗rechtliche Beleuchtung d. im der naffauifchen laudſtän⸗ 
diſchen Berfammlung erflatteten CommiſſionsBerichts von Inli 1860 Ab. die 
Poftverwaltung im Herzogthum. — Das dentſche Poffürfientfum, ſonſt reicheun- 
mittelbar, jet bundesunmittelbar. Gemeinrechtlice Darftelig. d. öffentl. Rechte 
d. Fürften v. Thuru u. Taxis als Inhabers der gemeinen deutichen Poſt. Bon 
Amtsaflefl. a. D. Karl Ulrids. (298 ©.) 

Bergbausv. Srocffen, Dr. Heur., Deñtſchland ſeit hun 
dert Jahren. Geſchichte der Gebiets-Eintheilg. u. der polit. Berfaflg. des 
Baterlandes. 2. Abth. U. u. d. Z.: Deũtſchland vor fünfzig Fahren. gr. 8.1. Bd. 
(VI n. 405 ©.) 2. ®b. (IV u. 412 ©.) Leipzig, Voigt & Günther. 

Aegidi, 2.8, Aus dem Jahr 1819. Beitrag zur deutichen 
Geſchichte. Mit Benutzung mugedrudter Schriftkäde; nebſt Beilage, die Regi- 
firatur über die geheimgehaltene Abfiimmung der Bundeeverfammlung in der 
XXXV. Eitung zu $. 220 vom 20. September 1819 enthaltend. Hamburg 
bei Boyes und Geißler 1861. 4. Zweite vermehrte Auflage. Min⸗Form. ebendaf. 

Bir hatten gehofft, diesmal Geihichte und Commentar der Wiener 
Schlußalte und damit den Abſchluß des früher beſprochenen Quellenwerks 
des Herm Berfafiers (Jahrg. III. Heft 1. S. 278) anzeigen zu können. 
Indeſſen darin iſt eine Verzögerung eingetreten; freilih aus Gründen 
erfreuliher Art, da ſich inzwiſchen ein Material von größerm Werth und 
Umfang geboten bat, als anfangs gehofft werden durfte. Die Unterfu- 
dung, welde uns jegt zur Beſprechung vorliegt, ift gleihjam eine Ber: 
arbeitung, fie bezieht fih auf die Entitehung der jogenannten Carlsbader 
Beihlüfe. Wenn nun aud die Borgänge des Jahres 1819 ſchon 
feit lange durchaus nit in felhes Beheimnik gehüllt waren, wie bie 
des Jahres 1820, da bereit? 1844 durch Welder die vollftändigen 
Alten der Carlöbader Eonferenzen aus der Hinterlafienihaft Klübers ber: 
ausgegeben waren, jo find doch tie aftenmäßigen Mittbeilungen, in deren 
Beſitz jept Aegidi gelangt ft, im Stande, ein ganz neues Licht über dieje 
Periode unjerer Gejchichte zu verbreiten. Der Verfjaſſer jelbft jagt nirgends 
ausdrüdlih, welches Archiv ſich jeinen Nachforſchungen geöffnet habe, und 
wir unfererjeit3 ſprechen lediglich eine Vermuthung aus, die aber allerdings 
einen hoben Grad von Wahrjceinlicteit in fi bat, wenn wir die Groß: 
herzoglich Saͤchſiſche Regierung als dieienige bezeichnen, die bier ein Bei: 
ſpiel echter Liber bat. 





5, Deutſche Sefchichte. 507 


Das bier verarbeitete Material ift preierlei Art. Zunächſt lommt ein 
bandjchriftliches Eremplar der Carlsbader Conferenz. Akten in Betracht, durch 
welches eine Controlle der Welderihen Ausgabe möglich geworben it; es 
haben fich dabei einige Amcorrectheiten derſelben herausgeftellt, namentlich 
in Bezug auf Interpunktationen und Unterjtreibungen, die gewiß in dem 
erregten politiichen Eifer Melders ihre volle Erflärung finden, über deren 
Unzuläffigkeit aber, da dadurch der Totaleindrud eines hiſtoriſchen Docu- 
ments geftört wird, mur Eine Stimme fein kann. Das betreffende Manu: 
jeript ift übrigens eine Abfchrift, bei welcher die der würtembergiſchen 
Regierung gehörigen Altenftüde zu Grunde gelegen haben, und welche 1820 
während des Wiener Eongrefjes einer von der Carlsbader Conferenz aus: 
gejchloffenen Regierung zur Verfügung geftellt wurden. 

Eine ſolche Negierung ift e3 denn auch, auf welche fi das Material 
ber zmeiten Art beziebt, Berichte eines Bımdestagsgefandten an feinen 
Souverain, aus ber zweiten Hälfte bes „jahres 1819, bejonvers von 
Juli bis Auguſt. Es ift dabei allerdings hauptſächlich nur vie negative 
Seite interefjant, der Umftand, daß große Veränderungen für die deulſche 
Bundesverfaffung vorbereitet wurden, größere ald nachher erreicht werben 
find, ohne daß felbjtjtändige Glieder diefes Bundes irgend eine Ahnung 
von demjenigen hatten, was damals geſchah. Es wird uns auch bier nicht 
grabezu verrathen, welchen Fürſten ver betreffende Bundesgefandte vertreten 
habe, indeſſen es wird doc bemerkt, der Fürft habe zu der Elite derer 
gehörte, die ftolz darauf gewejen find, daß in ihrem Lande eine Dema: 
gogenunterfuchung objectlos fein würde; und es beift dann unmittelbar 
darauf, in diefem Punkte babe Karl Auguft von Weimar nicht anders 
gedacht, es wird feine ganze politifhe Stellung geſchildert, er jei dann auf 
dem beten Wege gewejen, vie Bunbesverfaflung für liberale Zwecke auszu⸗ 
beuten: grade das habe wefentlich dazu beigetragen, daß Metternich die Bahn 
von Carlsbad einjchlug. Und man erinnert fih nun an die eigenthümliche 
Rolle, die grade der Minifter des Großherzogs von Sachſen-Weimar in 
Carlsbad geipielt hat, ein Sachverhalt, der bereits von Schaumann dar: 
gelegt war, von Aegidi aber in diefen Zufammenhang bineingeftellt wird. 

Der legte und wichtigfte Punkt endlich, der durch Aegidi in ein neues 
Licht geſetzt ift, bezieht fih auf die Legalifirung der Carlsbader Beſchlüſſe 
durch den Bund, Es kann feinem Zweifel unterliegen, daß für die Er— 
bebung jener Verabredungen zu Bundesbeſchlüſſen eine Einftimmigeit im 


508 Ueberſicht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


Plenum nothwendig war, denn offenbar fielen fie unter ven Begriff 
der organifhen Einrichtungen. Es war nun ſchon früher bekannt, daß 
man fih damald mit einer Abjtimmung im engeren Rathe begnügt babe 
(Zahariae, Staatsreht Bd. Il. S. 685), dagegen wurde allgemein auf. 
Grund des officiellen Protocoll® jener Sigung vom 20. September 1819 
angenommen, daß eine Einſtimmigkeit allerdings ftattgefunden habe. Und 
daran wird man, die Sade rein formell betrachtet, auch jetzt noch feithalten 
müfjen. Aber freilich zeigt nun die von Aegidi zum erjten Male veröffent- 
lichte Regiftratur über jene Situng, daß dem formellen Conſens ein jehr 
beveutender materieller Diffens zur Seite ftand, daß die Einftimmigteit 
keineswegs eine ganz freie geweſen ift, daß der Beichluß auf ziemlich 
tumultuarifhe Weife zu Stande gelommen, von den Maͤchtigern gleihjam 
dietirt if. Ueber die ſehr intereflanten Einzelheiten muß natürlih auf 
die Schrift felbft vwermwiejen werden. Es geht übrigens ſchon aus biejer 
furzen Analyje bervor, daß es eine arge Webertreibung ift, wenn man 
diefe Unterfuhung dahin hat referiren mollen, es fei eine Minderheit ge: 
wefen, welche die Carlsbader Beſchlüſſe zum Bundesbeſchluß erhoben habe; 
das wird in feiner Weife darzuthun fein, nur das fteht jetzt feit, daß manche 
Regierung nicht recht damit einverftanden war. Wie groß die Vreſfion 
war, zeigt grade das Verhalten Sachſen⸗Weimars. 

Die Bedeutung dieſer Abhandlung geht nun aber weit über ein blos 
wiſſenſchaftliches, gelehrtes Intereſſe hinaus; fie iſt immerhin ein werth—⸗ 
voller Beitrag zur beſſern Kenntniß des deutſchen Staatsrechts, oder viel⸗ 
mehr, da die Ausnahmegeſetze aufgehoben ſind, zur deutſchen Rechtsge⸗ 
ſchichte, ſie iſt aber zugleich noch ſehr viel mehr. Indem Aegidi die tief— 
ſten Einblicke in die Geſchichte jener Epoche that, iſt ihm das Bewußtſein 
lebendig geworden, daß es ſich damals um eine Kriſis in den deutſchen 
Verfaſſungsverhältniſſen handelte, deren Verlauf auf lange Zeit hinaus 
verhängnißvoll gewirkt hat. Diefe Erkenntniß ift bier zu einem energifchen 
Ausdrud gebraht worden, mit einer Olut der Empfindung und einer 
Leidenschaft, die oft gradezu an Ulrich von Hutten erinnert ; in diefem Sinne 
ift die gelehrte Abhandlung zu gleiher Zeit ein politiſches Pamphlet, und 
zwar ein ſolches, dem feine volle Wirkung zu Theil geworben ift. 

E. M. 


Wilcken, P. J, M’'"rausdem deutfhen Klotten-Leben, 
1849. 8. (IV u. 273 &. Rümpler. 





5. Deutfche Geſchichte. 4 509 


Widmann, ehem. Lient. Dr. Rud. die britifchrbentfche Le 
gion 1855—1857. 8. (V u. 110 ©.) Braunſchweig, Neuhoff & Co. 


Slfe, Prof. Dr. 9, Fr, die Politil der beiden deutſchen 
Großmädte und ber Bunbesverfammlung in der lurheſſiſchen Berfafjungs 
frage vom 3. 1830 bis 1360. gr. 8. (248 ©.) Berlin, F. Schneider, 


Eilers, Geh.-R. a. D. Dr. Gerd, meine Wanderung burd's 
Leben. Eim Beitrag zur innern Geſchichte der erſten Hälfte d. 19, Jahr 
hunderte. 6. Thl. 8. (XXV u. 287 S.) Leipzig, Brodhaus, 

Barnhagen von Enje, K. A, Tagebüder. (A. d. Nachlaß 
b. Verf.) 1. u. 2. Bd. 8. (XI u. 810 ©.) Leipzig. Brodhaus, 

Gent, Fror. v.,. Tagebüder. Mit e. Bor u. Nadhwort v. 8. U. 
Barnhagen v. Enje (Aus dem Nachlaß Barnhagen’s dv. Enje.) gr 8. 
(XI u. 369 ©.) Leipzig, Brodhaus,. 

Thöl, Prof, Hofrath Dr. Heinr., zur Geſchichte d. Entmurfes 
e. allgemeinen beutfhen Handelsgeſetzbuche . Das von ber öfter- 
reich. u. preuß. u. bayer. Regierg. vor u. bei der 3, Lg. db. Entwurfes einge 
ichlagene Verfahren. gr. 8. (XVI n. 110 &.) Göttingen, Dieterid). 


Hauſchild, Joh. Friede, Zur Gefhicdte d. deutſchen Maf. 
u. Munzweſens in dem lebten ſechjig Jahren gr. 8. (VI u. 118&,) Franf- 
furt a. M,, Hermann's Berl, 





Kueſchke, Dr. E. 9., Neues allgemeines deutſches Adels - 
Terifon. 2. Bo. 3. u. 4. Abthlg. (VI 817—620 ©.) 3. Bb. 1—3. Abthig. 
(1—480 8.) 8, Leipzig, Fr. Voigt. 


Eajfel, Prof. Lic. Paulus, Weihnachten, Urjprünge, Bräuche und 
Aberglauben, Ein Beitrag zur Gefchichte der chriſtl. Kirche u. des deutſchen 
Bolfes. 8. (XX u. 485 S.) Berlin, Rauh. 


Hahn, Diac, Dr. & U. die evangel, Brüdbergemeindbe im 
Herrenhut, ihre Gründung, Ausbreitung, Lehre u. Einrichtung. Aus ben 
vorhandenen größeren Werken -f. das evang. Boll zufammengeftellt. 8. (39 &.) 
Heilbronn 1854, Scheurlen. 


Das Leben u. Wirken bes Grafen von Zingendborf, gr. 16, 
(285 S.) Eineinnati 1860. Philadelphia, Schäfer & Koradi. . 


Hieronymi, ®, die Entwidelung bes beutjhen Bürger 
ffiandes. Streiflichter vom vergangenen auf gegenwärt. Zuftände. Borträge 
gehalten in gefell. Kreifen. gr. 8. (62 S.) Wiesbaden, Limbarth. 


510 Ueberſicht der hiſtoriſchen Yiteratur ron 1861. 


Freytag, Guf., Bilder ans der dentſchen Bergangenpeit. 
2 Thle. 3. Au gr. 8 (0885, Leipzig, Hirzel. 

Sreytag, Guf., nene Vilder aus dem Leben bes dentſchen 
Ssitee. gr. 8 -AVIm589E.) Leipʒig 1862, Hürzel. 

In form un? Geiunung ſchließen fib tiefe „neuen Bilder“ den „Bil: 
dern aus ver tentihen Zergangenbeit" au. Es find Schilverunger aus 
vem Leben tes beuticben Peltes jeit tem treikigjäbrigen Ktriege im jener 
plajtiihen ‚xerm, wie fie Frevtag eigentbümlih if. Mögen fie allgemeine 
Berbreitung finten und jo ibre Aufgabe erreichen, in immer weitere Kreiſe 
den ächten veutichen Putrietiämus zu verbreiten, überall wabre politiſche 
Bildung zu pilanzen. 

Schwab, Enñ., u. Karl Kiüpiel, Wegweiſer dur die Litere- 
tar der Dentſchen. Gin Haudbuch für Laien. 3. durdhgel. u. verb. Aufl. 
gr.8. (RE. Leipyig, G. Mawer. 

Goedele, Karl, Ueberjidgt der Geihidte db. dentſchen Did- 
tnng. 1. £älfte gr. 8. (I68S.) Dress 1862, Chlermanu. 

Nötjelt, Proj. Frdr. Lehrbuch der dentſchen Literatur f. das 
weibliche Geichlecht, befonders j. höhere Töchteriäuien. 3 Be. 5. verb. Aufl. 
g.8 XXXIIE 1311 €.) Vreden 1863, Ray & Co. 

Edäfer, Dr. Job. Biih., Gruupdrig der Geichichte der deut: 
ihen Literatur. 9. verb. Al gr. VI 1297 S.) Bremen 1862, 
Geislere erlag. 

Koberkein, Aug, Grundrik der Geihichte der dentſchen 
Ratiomal-Yiteratar. Zum Gebrauch auf Gumnafen eutworfen- 3. Bd. 
3. Lig. 4. durdgäinzig verb. ı zum grökten Zheu völlig umgearb. Aufl gr. 8 
(SE. BIT — 52.) LYapziz 10, Zogel 

Kurz, Sem, Seichickte der dBeutihen Literatur m. ausge 
wählten Erufen aus ten Werken der vorzñglichten Schrifteller. Mit vielen 
nach den beſten Orig. u. Zeichnan. audgeführten sfr. m (eingedr-) Holzichn. 
3. ul 3 Bde. 8 Leipzig. Teubner. 

Baldamus, Dr. Krer., dentſche Tihter u Proſaiften vom der 
Mitte des 15. Iabrbumdertt bis auf untere Seit nad ihrem Leben u. Wirken 
geſchiidert. 2. Abth. Von Kiopked bis Schiler. 2. Bd. (Uster Mitwirfung 
ven Dr. Wilh. Etrider) Mit 13 Porter. w. Faci. ım Seide) gr. 16. 
(III =. 655 S.) Leipzia, Teubner. 

Gottichall, Rud, die deutſche Natiousi-Piteratur im der 
erfien Läljte d. 19. Zahrdunderea VWirerarbitteriib u. fritiih Dargeicht. 9. ver. 





5, Deutſche Gedichte. 608 


digkeit zu erhalten ; allein Alles war vergebli, der Plan reifte, ohne daß 
er Kenntniß davon erhielt, immer mehr. Die Mittheilungen, die er end: 
lich durch Talleyrand über den Willen des Kaiſers erhielt, übertrafen noch 
feine ſchlimmſten Befürhtungen. Die Spanier, Portugiefen und Italiener, 
erllärte jener, mußten in „bie große Familie” aufgenomen werben. „Menn 
Holland mit Frankreich vereinigt worden, weil es feine Anſchwemmung ift, 
jo müfjen es aus weit ftärleren Gründen Spanien und Italien werben, 
deren zweites die Seite Frankreichs, das erfte feine Fortſetzung.“ Sobald 
Maſſena in Lifjabon eingerüdt, follte die Einverleibung geſchehen. Alles 
war bierauf im Stillen ſchon vorbereitet, die Verwaltungsbezirke für Spa: 
nien und Portugal ſchon entworfen, ja Azanza erhielt in jener Zufammen: 
tunft von Talleyrand bereits, als Anlagen zu einem offiziellen Schreiben 
des franzöfifhen Miniſters für auswärtige Angelegenheiten, mwodurd ver 
ſpaniſche Gefandte von dem Willen Napoleons in Kenntniß geſetzt wurde, 
die Entwürfe für die Abdankungsurkunde Zofephs, für ven Beichluß des 
ſpaniſchen Staatsraths in dieſer Sache und für die von dem Kaifer an 
das Spanische Bolt zu erlaſſende Proklamation bei der Aufnahme deſſelben 
in das franzöfifhe Reich. Joſeph follte erklären, er ſehe ein, er müjle 
feinem Volke dag große Opfer bringen, um deilen Wohl und Glüd wahr: 
baft zu fördern. Die Vorſchrift für den Staatsratb war im Tone der 
ſchmeichelnden Niederträdhtigfeit, in dem dieſe Bürgerfchaft zu ſprechen pflegte, 
die Prollamation in der ganghaften aber unwahren Weife abgefaßt, mit 
der Napoleon feinen Willen den Völkern kund that. Alles hoffte man noch 
im \jabre 1810 auszuführen; fo bewies e3 die Tatirung der legten Ur: 
funden, in der nur noch für die Einzeihnung des Tages ein leerer Raum 
gelaſſen war. — Der Beriht des ſpaniſchen Geſandten an den Miniſter 
in Madrid, dem Abfchriften von jenem Schreiben des franzöjiiben Mini: 
fterd und den drei bezüglichen Urkunden beigegeben waren, wurde von 
ſpaniſchen Guerillas aufgefangen, dann in engliihen und ſpaniſchen Zeitun: 
gen veröffentlicht, gerieth jedoch alsbald in Vergefienheit. In obiger Abhand⸗ 
lung finden wir num jene wichtigen Altenftüde nicht allein forgfältig abge: 
drudt, jondern auch ihren geichichtlihen Zufammenhang in äußerjt anziehender 
und belehrender Weile erläutert. U. 


Perthes, Brof. Clemens Thdr., politifhe Zuſtände u. Peri 
nen in Deutſchland zur Zeit der franzöfiihen Herrſchaft. Das füdl. u. weft. 
Deutſchland I. gr. 8. (KIT u. 862 ©.) Gotha 1862, F. A. Berthee. \ 

Oißoriſche Beitfarifi VII. Band. W 


504 Ueberficht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


Sauter, Frz. Deutfhland zur Zeit der größten Schmach 
oder wie zur Seit, da Deutichland feine Selbfifländigleit verleren, GBörres, 
Arnim und Brentano die Nation dur Hinweifung auf die glorreidhe Bergan- 
genbeit f. die höchſten Güter d. irdifchen Lebens: f. Vaterland, Recht n. Ehre, 
zu entflammen fuchten. 1. Thl. 8. (III u. 106 ©.) Ulm, Regensburg, Dorn. 

Schultheis, Fror, Johann Philipp Palm, Buchhändler im 
Nürnberg, erſchoſſen auf Napoleons Befehl zu Braunau am 26. Auguft 1806. 
Slaubwürdige aus bis jet unbekannten Quellen nachgewiejene Mitteilungen 
üb. dem Verleger u. den Verf. der Schrift: Deutichland in feiner tiefen Grnie- 
drigung. gr. 8. (46 ©.) Nürnberg 1860, Korn. 

Bürdig, 2%, die deutfhen Freiheitstriege in d. 3. 1813, 
1814, 1815. Für Deutfchlands Jugend und Volt bearb. gr. 16. (TV u. 360 ©.) 
Deffau 1862, Ane's Verlag. 

Reichenbach, Mathilde Gräfin v. Arndt u Yollen. Zeitgemälde 
aus dem deutſchen Befreiungsfriege. 8. (311 ©.) Leipzig 1862, Matthes. 

Baur, Pfr. Wilh,, Ernft Mori Arndt’ Leben, Thaten und 
Meinungen, nebft einigen feiner geiftl. u. welt. Lieder. Gin Buch für das 
deutiche Volt. 8. (204 ©.) Zmidau, Buch. d. Volksſchriften⸗Ver. 

Berjen, Dr. Aler.v., des alten treuen Wächters am Rhein, 
Prof. Ernf Mor. Arndt, Leben u. Wirken f. die Freiheit u. Einheit 
unferes gefammten deutjchen Baterlandes; nebft e. kurzen hiſtor. Darftellg. d. 
weiland „rom. Reiches deutfher Nation” u. einigen intereffanten Correſpon⸗ 
benzen d. großen Berftorbenen. 8. (34 ©.) Danzig, Anhuth in Comm. 

Widede, Jul. v. ein deutſches Reiterleben. Erinnerungen e. 
alten Hufaren-Offlciers aus den I. 1802 bis 1815. (In 3 Thln.) 8. (IV u. 
251 ©.) 2. Thl. (IV u. 297 ©.) Berlin, A. Dunder. 

Angerftein, Wilh, Kriedrih Ludwig Jahn. Kin Lebenebild 
f. das deutfche Volt. gr. 8. (XU u. 48 ©.) Berlin, Hande & Spener. 

In einfahen kräftigen Worten wird ung bier ein Lebensbild des 
alten Kahn entworfen: vom Hauch ächt deutihen Patriotismus durchweht, 
ergreift die marlige Geftalt des Turnvaters den Lejer mit eigenthümlichem 
Zauber. Er fühlt den Geift jener großen Zeit des Freiheitskampfes, er 
ehrt und achtet den unerjchrodenen Vorkämpfer freierer been, er beklagt 
jein Geihid in Mitten einer fchlafien Reftaurationgepoche, er begleitet den 
„Alten“ bis an fein Lebensende, wo „ihm Deutſchlands Ginheit ala Abenp: 
ftern zur ewigen Ruhe winkt.“ — Wir können die Volksbuch im beften 
Sinne des Wortes aus vollfter Weberzeugung empjehlen, ihm allfeitige 

- Verbreitung und erfolgreihe Wirkſamkeit wunſchen. 





6. Deutiche Geſchichte. 606 


Braſch, Rect. a. D. Krdr., das Grab bei Wöbbelin oder 
Theodor Körner u. die Lütower gr. 8. (IV u. 300 S.) Schwerin, Etiller. 


Häuffer, Ludw., Karl Frhr. von Stein. Eine Skizze. Mit dem 
Bortr. Stein's (in Holzſchn.) 2. Aufl. gr. 8. (14 ©.) Leipzig, Weber. 

Der Reihefreiherr vom Stein, Deutihlande WMitbefreier vom 
Joch Napolcons I. gr. 16. (29 ©.) Stuttgart, Sonnewald. 


Berthes, Prof. Clem. Thor, Friedrich Perthes Leben nad) 
defien ſchriftlichen u. mündlichen Mittheilungen aufgezeichnet. 3 Bde. 5. Aufl. 
gr. 8. (XVI nm. 1163 ©. m. Bortr. in Stahlſt.) Gotha, F. A. Perthes. 


Corpus juris confoederationis Germanicae od. Etaat$- 
acten f. Geſchichte u. öffentl. Recht d. deutjchen Bundes. Nach officiellen Quellen 
hrsg. v. Legat.-R. Bhil. Ant. Guido v. Meyer. Grgänzt und bis auf bie 
neuefte Zeit fortgeführt v. Gofrath. Pıof. Dr. Heinr Zöpft. Regifter zum 
1. u. 2. ®d. hoch 4. (67 ©.) Frankf. a. M., Brönner. 

Zıfe, Prof. Dr. L. Fr, Gefhihte der deutfhen Bundes 
verfammlung, insbefondere ihres Verhaltens zu den deutſchen National- 
Intereffen. gr. 8. 2. 8. (597 ©.) 3. Bd. (VIII. 662 S.) Marburg, Elweit. 

Mit vem Schluſſe des dritten Bandes ift die erfte Periode der Ge: 
ihichte der Bundesverfammlung, die Zeit von 1816— 1824 zu Ende geführt ; 
ed find nämlich die Carlsbader und Wiener Conferenzen, fodann die Hol 
fteinifche Frage in ihren eriten Stadien, der Streit zwijchen Preußen und 
Anhalt:Köthen, endlich die Militärangelegenheiten des Bundes, hinſichtlich 
deren uns hier umfafjende Materialien dargeboten werden. Zu einer erneuten 
Beiprehung liegt aber im gegenwärtigen Augenblide aud nicht der geringfte 
Grund vor, es muß vielmehr einfach wiederholt werden, wa2 chen früher 
gejagt ift (Jahrg. III. Heft 1. ©. 279 ff.), daß ein bloßes Bänbefüllen 
mit unverarbeitetem Stoffe nod lange keine Gefchichtsfchreibung ift. Das 
ſcheint auch der Berfafler jelbft gefühlt zu haben, wenn er und noch einen 
vierten auf diefe Zeit bezüglihen Band in Ausficht fell, wo eben eine 
ſolche Verarbeitung des gefammten urkundlichen Materials gegeben werden 
fol. In jedem Fall ſucht doh das Werk an Formlofigleit und Planlofig: 
feit der Anlage feines Gleichen ; die drei eriten Bände erjcheinen nun 
gradezu. ald bloße Beilage zum vierten; man begreift num aber nit, warum 
diefelben nicht rein den Charakter einer Urktundenfammlung bewahrt haben. 

E. M. 


Arhivf.d. öffentlihe Recht d. dentſchen Bundes. Hrsg. 
von Dr. J. T. B. v. Linde. 4. Bd. 1. u. 2. Heft gr. 8. Gietzen. Kerne. 


506 Heberficht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


Inhalt: Die flaatsrechtlichen VBerhältniffe der Fürſten u. Grafen Herren 
v. Schönburg. Hiftorifch u. dogmatiſch dargeftellt v. Prof. Dr. Adf. Michaelis 
(XV u.434 ©.) Hiſtoriſch-rechtliche Beleuchtung d. in der naſſaniſchen Taubflän- 
bifhen Verſammlung erftatteten Commiffione-Berichte vom Juli 1860 Ab. die 
Poftverwaltung im Herzogthum. — Das deutihe Poffürftentfum, fonft reichsun⸗ 
mittelbar, jet bundesunmittelbar. Gemeinrechtliche Darftellg. d. öffentl. Rechte 
d. Kürften v. Thurn u. Taxis als Inhabers der gemeinen deutſchen Poſt. Bon 
Amtsaſſeſſ. a. D. Karl Ulrichs. (298 ©.) 


Berghaus v. Groeffen, Dr. Heine, Deütſchland feit hun— 
dert Fahren. Geſchichte der Gebiets.Eintheilg. u. der polit. Berfaflg. des 
Baterlandes. 2. Abth. A. u. d. T.: Deütſchland vor fünfzig Jahren. gr. 8. 1. Br. 
(VI u. 405 ©.) 2. ®d. (IV u. 412 ©.) Leipzig, Voigt & Günther. 


Aegidi, 2.8, Aus dem Jahr 1819. Beitrag zur deutſchen 
Geſchichte. Mit Benutung ungedrudter Schriftftüde,, nebft Beilage, die Regi⸗ 
ftratur über die geheimgehaltene Abflimmung der Bundeaverfammlung in der 
XXXV. Situng zu $. 220 vom 20. September 1819 enthaltend. Hamburg 
bei Boyes und Geißler 1861. 4. Zweite vermehrte Auflage. Min.Form. ebendaſ. 

Wir hatten gehofft, diesmal Gejhichte und Commentar der Wiener 
Schlußakte und damit den Abſchluß des früher beſprochenen Quellenwerks 
des Herrn Verfaſſers (Jahrg. II. Heft 1. S. 278) anzeigen zu können. 
Indeſſen darin ift eine Verzögerung eingetreten; freili) aus Gründen 
erfreulicher Art, da fich inzwiihen ein Material von größerm Werth und 
Umfang geboten bat, als anfangs gehofft werden durfte. Die Unterfu- 
hung, welche uns jegt zur Beiprehung vorliegt, ift gleihfam eine Ber: 
arbeitung, fie bezieht fih auf die Entjtehung der jogenannten Carlsbader 
Beihlüffe Wenn nun auch die Vorgänge des Jahres 1819 ſchon 
feit lange durchaus nicht in foldhes Geheimniß gehüllt waren, wie vie 
des Jahres 1820, da bereit? 1844 durch Welcer die volljtändigen 
Alten der Carlsbader Conferenzen aus der Hinterlaflenihaft Klübers ber: 
ausgegeben waren, jo find doch die altenmäßigen Mittheilungen, in deren 
Beſitz jetzt Aegidi gelangt ift, im Stande, ein ganz neues Licht über dicfe 
Periode unjerer Gefchichte zu verbreiten. Der Verfajler ſelbſt jagt nirgends 
ausdruͤcklich, welches Archiv ſich feinen Nachforſchungen geöfmet babe, und 
wir unfererfeit3 fprechen lediglich eine Vermuthung aus, die aber allerdings 
einen hoben Grad von Wahrjcheinlichleit in fih bat, wenn wir die Groß: 
berzoglih Sähfiihe Regierung als diejenige bezeichnen, die hier ein Bei: 
fpiel echter Liberalität gegeben hat. 





5. Deutſche Geſchichte. 507 


Tas bier verarbeitete Material iſt dreierlei Art. Zunächſt kommt ein 
handſchriftliches Gremplar der Carlsbader Conferenz:Alten in Betracht, durch 
welches eine Controlle der Welder’ihen Ausgabe möglih geworden iſt; es 
baben fi dabei einige Incorrectheiten derſelben herausgeſtellt, namentlich 
in Bezug auf Interpunktationen und Unterftreihungen, die gewiß in dem 
erregten politiihen Eifer Welckers ihre volle Crllärung finden, über deren 
Unzuläffigleit aber, da dadurch der Totaleindrud eines hiſtoriſchen Docu⸗ 
ments geftört wird, nur Eine Stimme fein farm. Das betreffende Manu: 
jeript ift übrigens eine Abfchrift, bei welder die der mwürtembergifchen 
Regierung gehörigen Altenftüde zu Grunde gelegen haben, und melde 1820 
während des Miener Congrefjes einer von der Carlsbader Conferenz aus: 
geſchloſſenen Regierung zur Verfügung geftellt wurden. 

Eine folde Regierung iſt e8 denn auch, auf welche ſich das Material 
der zweiten Art bezieht, Berichte eines Bundestagsgefandten an feinen 
Souverain, aus der zweiten Hälfte des Jahres 1819, beſonders von 
Juli bis Auguft. Es ift dabei allerdings hauptfählih nur die negative 
Seite interefiant, der Umftand, daß große Beränderungen für die deutſche 
Bundesverfaſſung vorbereitet wurden, größere als nachher erreicht worden 
find, ohne daß ſelbſtſtaͤndige Glieder dieſes Bundes irgend eine Ahnung 
von demjenigen hatten, was damals geſchah. Es wird und auch bier nit 
gradezu verratben, welchen Fürſten der betreffende Bundesgeſandte vertreten 
habe, indeſſen e3 wird doch bemerkt, der Fürſt habe zu der Elite derer 
gehörte, die ftolz darauf geweſen find, daß in ihrem Lande eine Dema⸗ 
gegenunterfudhung objectlos fein würbe; und es beißt dann unmittelbar 
darauf, in diefem Punkte babe Karl Auguft von Weimar nicht anders 
gedacht, es wird feine ganze politische Stellung gefchildert, er jei dann auf 
dem beiten Wege gewejen, die Bundesverfafiung für liberale Zwecke auszu⸗ 
beuten: grade das habe wefentlich dazu beigetragen, daß Metternich die Bahn 
von Carlsbad einfhlug. Und man erinnert fih num an die eigenthümliche 
Rolle, die grade der Minifter des Großherzogs von Sachſen⸗Weimar in 
Carlsbad gefpielt bat, ein Sachverhalt, der bereit? von Schaumann dar: 
gelegt war, von Aegidi aber in diefen Zuſammenhang bineingeftellt wird. 

Der legte und wichtigfte Punkt endlich, der durch Aegidi in ein neues 
Licht gefept iſt, bezieht fih auf die Legalifirung der Carlsbader Beichlüffe 
duch den Bund. Es kann feinem Bweifel unterliegen, daß für bie Er⸗ 
bebung jener Berabrebungen zu Bundesbeſchlaſſen eine Ginftimmigleit im 


508 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Plenum nothwendig war, denn offenbar fielen fie unter ben Begriff 
der organifhen Einrichtungen. Es mar nun ſchon früher befamnt, daß 
man fih damals mit einer Abjtimmung im engeren Rathe begnügt habe 
(Zachariae, Staatsreht Bo. Il. S. 685), dagegen wurde allgemein auf. 
Grund des officiellen Protocoll® jener Sigung vom 230. September 1819 
angenommen, daß eine Einſtimmigkeit allerdings ftattgefunden habe. Und 
daran wird man, die Sache rein formell betradhtet, auch jetzt noch feſthalten 
müfjen. Aber freilich zeigt nun die von Aegidi zum erjten Male veröffent: 
lichte Regiftratur über jene Sitzung, daß dem formellen Conſens ein fehr 
bedeutender materieller Diſſens zur Seite ftand, daß die Einftimmigleit 
keineswegs eine ganz freie geweſen ift, daß der Beſchluß auf ziemlich 
tumultuarifhe Weife zu Stande gelommen, von den Mächtigen gleichfam 
bictirt ift. Weber die fehr intereflanten Einzelheiten muß natürli auf 
die Schrift felbit verwielen werden. Es geht übrigens ſchon aus biefer 
furzen Analyje bervor, daß es eine arge Webertreibung ift, wenn man 
biefe Unterfuhung dahin hat referiren wollen, es fei eine Minderheit ge: 
wefen, welche die Carlsbader Beihlüffe zum Bundesbeihluß erhoben habe; 
das wird in keiner Weife darzuthun fein, nur dag ſteht jetzt feit, Daß mandye 
Negierung nicht recht damit einverftanden war. Wie groß die Preſſion 
war, zeigt grade da3 Verhalten Sachſen⸗Weimars. 

Die Bedeutung diejer Abhandlung geht nun aber weit über ein blos 
wifienjchaftliches, gelehrtes Intereſſe hinaus; fie ift immerhin ein mertb: 
voller Beitrag zur bejlern Kenntniß des deutſchen Staatsrechts, oder viel⸗ 
mehr, da die Ausnahmegejege aufgehoben find, zur deutihen Rechtäge: 
fchichte, fie ift aber zugleih noch fehr viel mehr. Indem Aegidi die tief: 
ften Einblide in die Geihichte jener Epoche that, ift ihm dad Bewußtſein 
lebendig geworden, daß es fih damals um eine Kriſis in den deutjchen 
Verfaſſungsverhältniſſen handelte, deren Verlauf auf lange Zeit hinaus 
verhängnißvoll gewirkt hat. Diefe Erfenntniß ift hier zu einem energifchen 
Ausdruck gebraht worden, mit einer Glut der Empfindung und einer 
Leidenfchaft, die oft gradezu an Ulrich von Hutten erinnert ; in diefem Sinne 
ift die gelehrte Abhandlung zu gleicher Zeit ein politifches Pamphlet, und 
jwar ein jolches, dem feine volle Wirkung zu Theil gemorden ift. 

E. M. 


Wilcken, P. J. Bilder ausdem beutfhen Flotten-Leben, 
1849. 8. (IV u. 273 ©.) Hannover, &. Rümpler. 





5. Deutiche Geſchichte. 509 


Wichmann, ehem. Lieut. Dr. Rud, die britifh-deutfhe Le 
gion 1855-1857. 8. (V u. 110 ©.) Braunſchweig, Neuhoff & Co. 


Zlje, Prof. Dr. 2. Fr., die Bolitil der beiden deutſchen 
Großmächte und der Bundesverfammlung in der Lurbeifiihen Verfaſſungs⸗ 
frage vom 3. 1830 bie 1860. gr. 8. (243 ©.) Berlin, %. Schneider. 


Eilers, Geh⸗R. a. D. Dr. Gerd., meine Wanderung durd’s 
Leden. Ein Beitrag zur innern Geſchichte der erfien Hälfte d. 19. Jahr⸗ 
bunderts. 6. Thl. 8. (XXV u. 287 ©.) Leipzig, Brodhaus. 


Barnhagen von Enſe, K. A. Tagebücher. (A. d. Nachlaß 
d. Verf.) 1. u. 2. Bd. 8. (XI u. 810 ©.) Leipzig. Brodhaus. 


Gentz, Frdr. v., Tagebücher. Dit e. Bor u. Nachwort v. 8. U. 
Barnhbagen v. Enje (Aus dem Nachlaß Barnbagen’s v. Enfe.) gr 8. 
(XI u. 369 ©.) Leipzig, Brodhaus,. 


THöl, Prof. Hofrath Dr. Heinr., zur Geſchichte d. Entwurfes 
e. allgemeinen deutſchen Hanbelsgejehbudes. Das von der öfler- 
reich. u. preuß. u. bayer. Regierg. vor u. bei der 3. 2fg. d. Entwurfes einge» 
ſchlagene Verfahren. gr. 8. (XVI n. 110 ©.) Göttingen, Dieterid. 


Hauſchild, Joh. Friedr, Zur Geſchichte d. deutfhen Maß— 
u. Münzweſens in den letzten ſechzig Jahren gr. 8. (VI u. 118 S.) Frank 
furt a. M., Hermann’s Berl. 


— — — — — 


Kneſchke, Dr. E. H. Neues allgemeines deutfhes Adels 
Lerilon. 2.8. 3. u. 4. Abthig. (VI 317—620 8.) 3.8. 1—3. Abthlg. 
(1—4806©.) 8. Leipzig, Fr. Voigt. 


Caffel, Prof. Lic. Paulus, Weihnachten, Urfprünge, Bräude und 
Aberglauben. Ein Beitrag zur Gedichte der chrifil. Kirche u. bes deutfchen 
Bolles. 8. (XX u. 485 ©.) Berlin, Raub. 


Hahn, Diac. Dr. & U, die evangel. Brüdergemeinde in 
Herrenhut, ihre Gründung, Ausbreitung, Lehre u. Einrichtung. Aus ben 
vorhandenen größeren Werten -f. das evang. Bolt zufammengeftellt. 8. (89 ©.) 
Heilbronn 1854, Scheurlen. 


Das Leben u. Wirken des Grafen von Zinzendorf. gr. 16. 
(285 &.) Cineinnati 1860. Philadelphia, Schäfer & Koradi. 


Hieronymi, W., die Entwidelung des deutfhen Bürger 


Randes. Gtreiflichter von vergangenen auf gegenmwärt. Zuflände. Borträge 
schalten im gefell. Kreifen. gr. 8. (63 ©.) Wiesbaben, Limbarth. 


510 Ueberſicht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


Freytag, Guſt., Bilder aus der deutfhen Bergangenpeit. 
2 Thle. 3. Aufl. gr. 8. (808 8.) Leipzig, Hirzel. 

Freytag, Gufl., neue Bilder aus dem Leben des deutſchen 
Boltes. gr. 8 (XVIu5896.) Leipzig 1862, Hirzel. 


In Form und Gefinnung jchließen fich dieſe „neuen Bilder” den „Bil: 
dern aus der deutjhen Vergangenheit” an. Es find Schilderungen aus 
dem Leben des deutihen Volkes feit dem dreißigjährigen Kriege in jener 
plaftiihden Form, wie fie Freytag eigenthümlih if. Mögen fie allgemeine 
Verbreitung finden und jo ihre Aufgabe erreichen, in immer weitere Kreije 
den Achten deutichen PBatriotismus zu verbreiten, überall wahre politifche 
Bildung zu pflanzen. 


Schwab, Guft., u. Karl Klüpfel, Wegweiſer dur die Litero- 
tur der Deutſchen. Ein Handbud für Laien. 3. durchgeſ. u. verb. Aufl. 
gr.8. (178 ©.) Leipzig, ©. Mayer. 


Goedeke, Karl, Ueberfidt der Geſchichte d. deutſchen Did» 
tung. 1. Hälfte gr. 8. (168 S.) Dresden 1862, Ehlermann. 


Nöffelt, Prof. Fror, Lehrbud der deutſchen Literatur f. das 
weibliche Geſchlecht, befonders f. höhere Töchterfchulen. 3 Bde. 5. verb. Aufl. 
gr.8. (XXXIIm 1311 ©.) Breslau 1862, Mar & Co. 


Sdäfer, Dr. Joh. Wilhh, SGrundriß der Geſchichte der deut- 
jhen Literatur. 9. verb. Aufl. gr. 8 (VIII u. 197 S.) Bremen 1862, 
Geislers Verlag. 


Koberftein, Aug, Grundriß der Geſchichte ber deutſchen 
National-Fiteratur. Zum Gebraud) auf Gymnaſien entworfen. 3. Bd. 
3. %fg. 4. durchgängig verb. u. zum größten Theil völlig umgearb. Aufl. gr. 8. 
(S. 2347—2522.) Leipzig 1860, Vogel. 


Kurz, Heimr., Geſchichte der deutſchen Literatur m. ausge 
wählten Stüden aus den Werken der vorzüglicäften Schriftfieller. Mit vielen 
nad den beften Orig. u. Zeichngn. ausgeführten Illuſtr. in (eingebr.) Holzichn. 
3. Aufl. 3 Bde. 8. Leipzig, Teubner. 


Paldamus, Dr. Fror., deutſche Dichter u. Profaiften von ber 
Mitte des 15. Jahrhunderts bis auf unfere Zeit nad ihrem Leben u. Wirken 
geſchildert. 2. Abth. Von Klopftod bis Schiller. 2. Bd. (Unter Mitwirkung 
von Dr. Wilh. Strider) Mit 12 Portr. u. Facſ. (in Holzſchn.) gr. 16. 
(II u. 655 ©.) teipzig, Teubner. 


Gottſchall, Rud., die deutfhe National-Literatur in der 
erften Hälfte d. 19. Jahrhunderts. Literarhiſtoriſch u. kritiſch dargeftellt. 2. verm. 





5. Deutiche Geſchichte. 511 


u. verb. Aufl. 5-9. (Echiuß-)Rfg. gr. 8. (2. Bd. IVS. u. S. 161—860 u. 
3.8d. IV u. 714 S.) Breslau, E. Zrewendt. 


Barthel, Karl, die deutfhe National-Literatur ber Neuzeit, 
in e. Reihe v. Borlefungen dargeftellt. 6. Aufl. (3. Abdr. der Ausg. letter Hand 
des Verf.) gr. 3. (XVI u. 380 S.) Braunfhweig 1862, Leibrod. 


Holland, Dr. $., die Entwidlung db. deutfhen Theaters im 
Mittelalter u. das Anımergauer Paſſionsſpiel. Eine Iiteratur-hift. Studie. gr. 8. 
(III u. 666.) Münden, Fleiſchmann's Sep.-Eto. 


Kuefjchle, Dr. Emil, das deut ſche Luſtſpiel in Vergangenheit 
und Gegenwart. Kritifche Beiträge zur Literaturgejchichte unferes Boltes. 8. 
(VIu. 4696.) Leipzig, Beit & Co. 


Reimann, Aug., das deutfche Lied in feiner hiſtoriſchen Entwid- 
lung dargeftellt. Mit Mufifbeilagen: 33 Lieder aus dem 15. 16. 17. n. 18. Jahr⸗ 
hundert. gr. & (Mu. 331.) Laffel, D. Bertram. 


Deutfhe Studenten-Lieder des 17. n. 18. Jahrhunderts. Nach 
alten Handſchriften gefammelt n. m. einleit. Bemerfgn. üb. die Geſchichte d. 
deutichen Studentenliedes verfehen von Dr. Rob. Keil u. Dr. Rich. Keil. 
gr. 16. (III u. 234©.) Lahr, Schauenburg & Co. 


Soffmann v. Kallersleben, Geſchichte d. deutſchen 
Kirhenliedes bis auf Luthers Zeit. Nebfi e. Anh.: In dulci jubilo, 
nun finget und feib froh. Ein Beitrag zur Geſchichte der deutichen Poefie. 
3. Ausg. gr. 8. (XI u.6686.) Hannover, C. Rümpler. 


Silder. weil. Muſildir. Dr. Sr, Geſchichte d. evangelifhen 
Kirhengejaugs nah feinen Hauptmelodien, wie fie im wllrttemberg. 
Choralbuche vom Jahre 1844 enth. find, nebfl e. Erklärg. der alten Kirchen- 
tonarten. gr. 8. (VIn.66&.) Zübingen 1862, Laupp. 


Schade, Ds, altdbeutfhes Leſebuch. Gothiſch, altfächfiſch, 
alt u. mittelhochdeutfh. Mit literar. Nachweiſen u. e. Wörterbucde. (In 2 Thin.) 
1. Thl.: 2ejebuch. gr. 8. (XVIu. 3688.) Halle 1862, Buch. d. Waifenhaufes. 


Müllenhoff, Karol, decarmine Wessofontano et de versu 
ac stropharum usu apud Germanos antiquissimo. Dissertatio. gr 4. 
(31 &.) Berlin, Hertz. 


Grohmann, Dr. I. Birgil, über die Echtheit d. althochdeut—⸗ 
hen Schlummerliedes, im Coder Suppl. Ar. 1668 der k. k. Hofbibliothel 
in Wien. (Borgetr. in der E. böhm. gelehrten Gef.) Ler.-8. (46 ©.) Prag, Calve. 

Bfeiffer, Dr. Frz, über Wefen u. Bildung der höfiſchen 
Sprache in mittelhochdeuticher Zeit. (Aus den Sitzungsber. 1861 d. !. Alad. 
d. Wiſſ.) Ler.8. (22 S.) Wien, Gerolds Sohn in Comm. 


512 “ Neberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Bilderfaal altdeutfher Dichter. Bilbniffe, Wappen u. Dar- 
fiellungen aus dem Leben und den Liedern der deutſchen Dichter des 12. bis 
14. Zahrhunderts, Ergänzungs-Atlas v. 13 Taf. Kpfıft. Fol. Berlin, Stargarbt. 


Weinhold, Dr. Karl, ver Minnefinger v. Staded un. fein 
Geſchlecht. (Aus den Sikungsber. 1860 d. k. Alad. d. Will.) Lex.B. 
(37 ©.) Wien 1860, Gerolds Sohn in Comm. 


Galichon, Emile, Albert Durer, sa vie et ses oeuvres. Eoole 
allemande. 4. Paris, Aubry. 


Strauß, D. F, Hermann Samuel Reimarus n. feine Schup- 
ſchrift für die vernünftigen Verehrer Gottes. 8. (XVIu. 288&.) Leipzig 1862, 
Brockhaus. 


Munkel, Paſtor Dr. K. K, Karl Johann Philipp Spitta Gm 
Lebensbild. 8. (VIII u. 287 ©.) Leipzig, Frieſe. 


Stahr, Adf., G. E. Leſſing. Sein Leben u. feine Werke. 2. verm. 
Aufl. (In 16 efg.) 1. Lfg. gr. 16. (1. Thl. S. 1—64.) Berlin 1862, Guttentag. 
Noad, Prof. Dr. Ludw., Heinrich Peſtalozzi. Der Held als 


Menſchenbildner u. Bollserzieher. Ein Haus u. Boltsbudh. gr. 8. (III u. 49 6.) 
Leipzig, DO. Wigand. 


Breier, Dir. Fror., Klopftod. Borlefung, in der Berfammig. ber 
Lübeck. Schillerftiftg. am 15. Januar 1861 gehalt. gr. 8. (88 ©.) Kübel. Dittmer. 


Herder. — Bon u. an Herder. Ungedrudte Briefe aus Herdert 
Nachlaß. Hrsg. v. Heiner. Dünker u. Ferd. Gfried. v. Herder. 
(In 3 Bon.) 1.8d. Herders Briefwechſel mit Gleim u. Nicolai. gr.8. (Vm. 
861 ©.) Leipzig, Dyk. 


Grimm, Herm., Goethe in Italien. ‚Borlefung gehalten zum Be 
fien d. Goethedenkmals iu Berlin. gr. 8. (32 ©.) Berlin, Herk. 


Abelen, Bernh. Rud, Goethe in ben Jahren 1771 bie 1775. 
(435 ©.) Hannover, &. Rümpler. 


Gruppe, D. F., Reinhold Lenz, Leben u. Werke. Mit Ergän- 
zungen ber Tieckſſchen Ausg. gr. 8. (XVII u. 888 ©.) Berlin, Füberigfge 
gr. 8. Verlagshandlung. 


Regnier, A., Vie de Schiller. 8. Paris, Hachette. 


Bilder, Kuno, Schiller ale Komiker. Bortrag gehalten im der 
Roſe zu Jena am 30. Jan. 1861. (IV u. 104 ©.) Frankfurt a. M., Verlag 
für Kunf u. Wiffenfchaft. 


Haydn, Iofeph, und fein Bruder Midhael. Zwei biocbiblie 





5. Deutfche Gedichte. 513 


graphiſche Künftler-Skizgen. (Ton Eonftantin Wurzbad v. Tannenberg.) 
gr. 8. (48 ©.) Wien, Lehner. 

Arnoldt, Oberlehr. Prof. Dr. 3. F. J., Er. Aug Wolf im 
feinem Berhältniffe zum Schulweſen u. zur Pädagogik dargeftellt. I. Bd. 
Biographiſcher Theil. Mit verſchiedenen Beilagen. Ter.-8. (VIII u. 280 ©.) 
Braunſchweig, Schwetſchke & Cohn. 

Eine Erinnerung an Johann Gottlieb Fichte. (Abgebrudt 
aus den Preuß. Zahrbücern.) gr. 8. (19 ©.) Berlin, ©. Reimer. 


Aus Schleiermader’s Leben. In Briefen. 3. Bd. Schleierma- 
cher's Brieſwechſel mit Freunden bis zu feiner Weberfieblung nad Halle, na 
mentlich der mit Friedrid u. Auguft Wilhelm Schlegel. Zum Drnd vorbereitet 
von Dr. Ludw. Jonas, nad) deffen Tode herausg. von Wild. Dilthey. 
gr. 8. (X u. 438 ©.) Berlin, &. Reimer. 

Sigwart, Prof, Schleier macher in feinen Beziehungen zu dem 
Athenäum der beiden Schlegel. 

Briefwedhfel zwiſchen Rahel u. Dav. Veit. Aus dem Nad 
laß Varnhagen's dv. Enfe. 2 Thle. gr.8. (XII u. 540 ©.) Leipzig, Brodhaus, 

Briefe von H. Heine. Herausgeg. von Fr. Steinmann. 8. (In 
5 Theilen.) Thl. 1. 2. (XXIX u. 503 ©.) Amfterdam, Gebr. Binger. 


Memoiren Alerander v. Humboldt’s. 1—14.Lfg. gr. 8. 1.80. 
(640 ©.) 2. Bd. (476 ©.) Leipzig, E. Schäfer. 


Caftelli, Dr. 3. $., Memoiren meines Lebens. Gefundenes 
und Empfundenes , Erlebtes umd Erſtrebtes. 1. Bd. (vom 3. 1781 bis zum 
3. 1813. (IX u. 2938. m. Bortr.) 2. Bd. (vom 3.1814 bis zum 3. 1830.) 
(V n. 283 ©.) 3. 8b. (IV u. 288 ©.) Wien, Markgraf & Co. 


Raumer, Frdr. v., Lebenserinnerungen u. Briefwecfel. 
2 Thle. gr. 8, (XXI u. 663 ©.) Leipzig, Brodhaus. - 


Strauß, D. F., Kleine Schriften, biographiiden, literar. und 
funftgefchichtl. Inhalte. 8. (X u. 450 ©.) Leipzig 1862, Brodhaus. 


Der Verf. veranftaltet hier eine Sammlung kleiner Aufjäge verſchie⸗ 
denen Inhalts, die früher zerftreut erfchienen waren. Wir finden darin 
einzelne Stüde von fo hohem Werthe, daß wir dieſelben bier noch befon- 
ders hervorheben wollen. Die Heine biographifhe Skizze „Ludwig Thimo: 
theus Spittler” verräth in jedem Zuge die Hand des großen Meifters 
biographiſcher Darftellung. Gine andere Arbeit „Klopftod und der Marl: 
graf Karl Friedrich von Baden“ war früher in ber hiſtoriſchen Beitfchrift 


514 Meberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


(Bd. J. ©. 424 ff.) erſchienen. Zwei literargefchichtlihe Arbeiten „A. W. 
Schlegel" und „Karl Immermann“ zeichnen ſich ebenfo aus durch das 
finnige Eingehen in die ganze Perjönlichleit des Dichters als durch bie 
feine äfthetiiche Beurtheilung ver literarifhen Leiftungen deſſelben. Unter 
den Miscellen heben wir noch die Bemerkung Strauß’3 heraus: daß Me 
lanchthons deutſcher Name wohl nidt, wie man zu fagen gewohnt ift, 
Schwarzerd, ſondern Schwarzert oder nur Schwarzer gelautet babe. 

Nacträge und Verbefierungen zu den frühern Arbeiten über Friſchlin 
und über Schubart jchließen diefe Sammlung, - 





Rintel, Dr. Wilh,, Carl Froöoͤr. Zelt er. Eine Lebensbefchreibung. 
Nach autobiograph. Mier. bearb. 8. (VII u. 304 ©.) Berlin, Iante. 


Georgi, Dir. Dr. Karl Aug, Karl Heinr. Ferd. Schüße auf 
Schweta. Ein Bild feines Lebens, nach feinen eigenen mündl. u. fchriftl. 
Mittheilungen gezeichnet. gr. 8. (157 ©.) Leipzig, Brodhaus. 


Beyfhlag, Prof. Dr. Willibald, aus dem Leben eines Früh 
vollendeten, des evangel. Pfarrers Frz. Wilh. Traugott Beyſchlag. Gin 
Hriftliches Lebensbild aus der Gegenwart. 2. (Schluß) Thl. gr. 8. (288 ©.) 
Berlin, Raub. 


Dahlmann. (Abgedr. aus den Preuß. Jahrbüchern.) gr. 8. (19 ©.) 
Berlin, ©. Reimer. 

Worte der Erinnerung an Ferd. Chrn. 0. Baur, Dr. ordent. 
Brof. der Theologie an der Univerfität Tübingen. 2c. gr. 8. (88 S.) Tübin- 
gen, Fues. | 
Holland, Dr. H., Erinnerungen an Ernſt v. Laffanlz. 
gr. 8. (46 ©.) Münden, Fleiſchmann's Sept.-Co. - 

Erinnerung an Friedrid Ludwig Keller. (Aus der „Kriti⸗ 
hen Vierteljahrsſchrift“ abgedr.) gr. 8. (27 S.) Münden, literar-artift. Anftalt. 

Gervinus, Friedrich Chriſtoph Schloffer. Ein Nekrolog. 
Lex.8. (86 S.) Heidelberg, Veit. 

Thomas, Geo. Mart., Gedächtnißrede auf Fror. v. Thierſch. 
Vorgetragen in der öffentl. Sitzung d. k. Alademie d. Wiſſenſch. am 28. Nov. 
1860. gr. 4. (38 ©.) München 1860, Franz' Comm. 


Zaddach, Prof. Dr. Guſt, Heinrich Rathke. Eine Gedächtnißrebe, 
gehalten in der Königsb. phyſikaliſch⸗ dlonom. Gefellihaft zu Königsberg am 





6. Deutiche Provinzialgeſchichte. 516 


21. Dec. 1860. (Abdrud aus d. Neuen Preuß. Brov.-Blättern.) Ler.-8. (44 ©.) 
Königsberg, Gräfe & Unger. 

Gelzer, Brof. Dr. Keint., Bunfen ale Staatsmann und 
Schriftſteller. Eine Gedächtnißrede, gehalten am 8. Ian. 1861. (Abdrud 
aus d. Proteft. Monatsblättern.) Ler.-8. (VI u.45 6.) Gotha, 3. Thienemann. 


Muffat, Reihsardivs:R. Karl Aug., Dentrede auf Dr. Georg 
Thomas v. Rudhart. Gelefen in der öffentl. Situng ber k. bayer. Akad. 
der Wiff. am 26. März 1861. gr. 4. (23 ©.) Münden, Franz. 

Wagner, Prof. Dr. Andr,, Dentrede auf Sottbilf Seinr. 
v. Schubert. Gehalten in der öffentl. Sitzung der k. bayer. Alad. der Wiff. 
am 26. März 1861. gr. 4. (64 ©.) Münden, Franz. 


Biſchoff, Dr. Thor. Ludw. Wilh. Gedächtnißrede auf Frie 
drich Tiedem aun. Vorgetragen in ber Öffentl. Sitzung der k. Alab. ber 
Wiſſ. am 28. Nov. 1861. gr. 4. (41 ©.) Münden 1861, (Franz.) 


— u 


6. Beutfche Provinzialgefchichte. 
1. Schwaben und der Oberrhein. 


Steihele, Domlapit. Ant., base Bisthum Augsburg Hiflorifd 
u. ftatiftifch beichrieben. (In 36 Heften.) 1. Heft. Ler.-8. (2. Bd. S. 196.) 
Augsburg, Schmid’s Neil. 

Borzeit u. Gegenwart. Hiflorifd-romant. Schilderungen aus Schwa⸗ 
ben u. Franken. 3. Bd. 8. (369 ©.) Stuttgart, Fiſchhaber. 


Reyfher,A. L., Würtemberg. Geſchichte u. Ueberſicht feiner Ver- 
faffung und Gefetgebung. (Abdrud aus Weiske's Redhtsleriton.) 8. (72 ©.) 
Leipzig, Wigand. 

Bürtembergifhe Boltsbibliothet. 17—30. Heft. (1. Abtheil. 
10. Hft. u. 2. Abth. 8-20. Hft.) 8. Stuttgart 1860, Bed’s Verlag. Inhalt: 
17. 19-30. Hft. (2. Abth.) Bilder, Sagen u. Geſchichten aus Würteniberg. 
Unter Mitwirkung von Dr. Adam, Traug. Bromme, Pfr. Faber zc. herausgeg. 
(1. Bd. Land u. Leute Würtembergs in geographiihen Bildern dargefiellt von 
Joh. Bhil. Glöller. 2. Thl. 44 S. — 2. Bd. Gefchichte von Würtemberg 
bis zum 3. 1740 von Fror. v. Schiller. 2. Thl. S. 49—220. — 8. Bd. 
Bilder, Sagen u. Geſchichten. 1. Thl. S. 1—1%.) — 18. (1. Abth.) Wir- 
tembergifcher Bilderfaal, eine Sammlung von Bürtembergs Berühmtheiten aus 
after nd neuer Zeit. (2. Bd. S. 97—144.) 


616 Ueberſicht der biftorifchen Literatur von 1861. 


Bürtemberg, wie es war und ift. Geſchildert in e. Reihe vater- 
(änd. Erzählungen, Novellen und Skizzen aus Würtembergs älteften Tagen bis 
auf unſere Zeit. 2. verb. und verm. Aufl. 1. Bd. gr. 16. (IV u. 576 ©.) 
Stuttgart, Zu Guttenberg. 

Mayer, Fror., Herzog Ernſt. Charakteriſtiken und Skizzen. 16. 
(80 S.) Gotha, Thienemann. 

Rick, Fr, Hie gut Würtemberg. Perlen und Edelſteine aus dem 
Leben und Wirken d. Könige Wilhelm von Würtemberg. Ein vaterländ. Ge 
ſchichtsbild zur eier feines SOjährigen Geburtefeftes. 16. (IV und 99 ©.) 
Stuttgart, Cammerer. 

Leonhard, Brof., Geſchichte der höheren Lehranftalt in 
Ellwangen. 1. Abth. 4. (36 ©.) Ellwangen. (Tübingen, Yues’ Sort.) 

Sigwart, Geſchichte bes Klofters u. Seminars Blaubeuren. gr. 4. 
(43 S.) Blaubeuren. (Tübingen, Fues' Sort.) 


Klunzinger, Dr. Karl, artiftifche Beichreibung der vormaligen Ciſter⸗ 
zienfer-Abtei Maulbronn. Mit 1 (Iith.) Grundriß (in ol.) 4. verb. Aufl. 
Nach dem Tode des Berf. bearb. u. hrsg. v. Dr. Karl K. B. Klunzinger. 
gr. 8. (56 ©.) Münden. (Stuttgart, Lindemann.) 

Harttmann, Prof. G. F., Karl Fr. Harttmann, ein Charafter- 
bild aus der Geſchichte des chriftl. Tebens in Suddeutſchland. Geſichtet und er⸗ 
gänzt v. Pfr. K. Ch. E. Ehmann. 8. (VI u. 314 ©.) Tübingen, Ofiander. 

Schönhuth, Ottmar F. 9., die Burgen, Klöfter, Kirchen und 
Kapellen Würtembergs und der Preußiſch-Hohenzollernſchen Landestheile 
mit ihren Gedichten, Sagen u. Mähren. Unter Mitwirkung vaterl. Scrift- 
ſteller dargeftellt. 4. Bd. U. u. d. T.: Wanderungen durd die Hallen d. Vor⸗ 
zeit v. Schwaben u. Frauken. 1. Bd. 16. (476 ©.) Stuttgart, Fiſchhaber. 


Würtembergiſche Jahrbücher f. vaterländiiche Geſchichte, Geo- 
graphie, Statiftil u. Topographie. Hreg. v. dem königl. ſtatiſtiſch topograph. 
Bureau. Jahrg. 1859. 2. Hft. gr. 8. (III u. 166 ©. m. 18 Tab. in qu. 4. 
u. qu. Fol. u. 1 Eteintaf.) Stuttgart, Aue. 

Die biftoriihen Auffäge, welche dieſe Bublication enthält, find folgende: 
Die Kunft: und Altertbums: Denkmäler Würtembergs. Be 
Ihrieben von dem Confervator Prof. Haßler. 1. Lieferung. (Heft II. ©. 22 
bis 88.) Es wird damit der Anfang zu einem vollftändigen bejchreibenden 
Berzeihniß aller Denkmale der bezeichneten Art gemadt. Die Mittbeilum: 
gen find aus eigener Anſchauung des Verfaſſers, welcher die betreffenden 
Gegenden zu diefem Zwecke bereifte, geflofien und von den nöthigen hi 





6. Deutſche Provinzialgeſchichte. 617 


ftorifhen Daten begleitet, für welche letztere freilih an mehreren Stellen 
die literarifhen (oder eventuell Quellen:) Nahmweifungen vermißt werben, 
was, da gerade über Bauzeiten aller Orten fo viel ohne hinreichende Be: 
gründung angenommen zu werben pflegt, beſonders für den Kunſthiſtoriler 
unangenehm fein dürfte, welcher ver jpezialgejhichtlihen Literatur nicht 
felbftftändig nachgehen kann. (Auch in den bezüglihen Oberamtsbeſchreibun⸗ 
gen, mo man fie zunädhft fuchen follte, finden fih im vorliegenden Falle 
die Belege nicht immer vor.) — Tiefe erfte Lieferung behandelt die Ober: 
ämter Beligheim, Brakenheim, Biberah, Ehingen und Blaubeuren. Ueber 
die dur äußere Gründe veranlaßte Anoronung hat fi der Verf. in dem 
Vorworte ausgeſprochen. Immerhin aber hätte wenigſtens jür die Ortſchaf⸗ 
ten innerhalb der einzelnen Oberämter (ftatt der alphabetiſchen Reihen: 
folge) eine landſchaftliche Gruppirung durchgeführt werden können, woburd 
die Ueberſicht erleichtert und Zufammengehöriges nicht getrennt worden wäre. 
Hie und da läßt fihb auch ein Zweifel am der Vollitändigleit der Denk: 
mälerzujammenftellung nicht ganz zurückweiſen; man vergleihe z. B. die 
Angaben in Bezug auf die Stadt Biberach mit v. Memminger's Bejchrei: 
bung des D. A. Biberah ©. 66 fi. — Beiträge zur Geſchichte des 
Straßenbaueg, des Poft: und Boten: Wefens in Würtemberg, von Dr. 
Karl Pfaff (Het II, S.89— 128.) — Geſchichte der Nedar 
Ihifffahrt in Würtemberg big zum Anfang des neunzehnten Jahrhun⸗ 
dertö, von demfelben. (Hft. II, S. 128—138.) Die Entwidlung ver betref: 
fenden Inſtitute in den drei legten Jahrhunderten ift ziemlich überfichtlich 
und zum Theil auf Grund eigener Forſchung dargeftellt, handſchriftliches 
Material wurde nur felten beigegeben. — Bisher unbelannte urkundliche 
Notizen bringen die beiden Mittheilungen vem Cberftudienrath v. Stälin: 
„Der abgegangene Ort Walmensbur ©. N. Neuenburg“ (Hft. I, 
©. 143—44) — mit einer in Gegenwart König Heinrib (VIL) vom 
Markgrafen Hermann von Baden 1233 zu (Schwäbiſch) Hall ausgeftellten 
Urkunde — und: „Graf Eberhard der Erlaudte von Würtemberg 
dreimal vermählt” (SC. 145— 46). Ten Schluß bildet die ebenfalld von 
Etälin unternommene Zufammenftellung der würtembergijhen 
Literatur des Jahres 1859. Th. K. 


Roth von Schredenflein, Kittmfir. a. D. Dr. Karl Heinr. Frhr, 
Geſchichte d. ehemaligen freien NReihsritterfhaft in Shwe- 


618 Veberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


ben, Franken u. am Rheinftrome, nad Quellen bearb. 2. (Schiuß-) 
Band. 2 Abthlgn. gr. 8. (1. Abth. 394 S.) Tübingen 1862, Laupp. 

Schmid, Hauptlehr. Dr. L., Geſchichte der Grafen von 301. 
lern-Hohenberg und ihrer Grafſchaft nah meiſt ungedrudten Quellen, 
nebft Urkundenbuch. Mit Siegelbildern u. 1 Karte. Ein Beitrag der ſchwöbi⸗ 
ſchen u. deutſchen Reichs-Geſchichte. 2 Bde. Lex.8. (1. Bd. 1. Abth. IT und 
400 ©. u. 2. Bd. 1. Abth. Monumenta Hohenbergica. Urkundenbud. 400 ©. 
m. 1 Steintaf.) Stuttgart 1862, Gebr. Sceitlin. 

Es enthält dieſes Buch eine Reihe fehr ſchätzenswerther Beiträge 
zur Gejhichte und Topographie der öſterreichiſchen Vorlande, der zollerſchen 
Fürſtenthümer, überhaupt des deutjchen Südens. Vermittelſt genauer ur 
kundlicher Nachweije wird da die Eriftenz der Grafen von Zollern:Hobenberg 
nachgewieſen, jeit dem Jahre 1170; und die Meinung zurüdgemwiefen, als 
babe dieſer Zweig de3 Geſchlechtes einen älteren Urfprung aufzubringen. 
Die Geſchichte dieſes Grafengeſchlechtes in den Händeln des deutjchen Rei: 
ches als Parteigänger der erſten Herrſcher aus dem Hauſe Habsburg wird 
ebenſowohl im Einzelnen verfolgt, als der Erwerb ſeines Grundbeſiztzes, 
die Geſtaltung ſeines Territoriums aus den Urkunden dargelegt. — Die 
Beilagen dienen dazu, einzelne Perſönlichkeiten genauer zu fixiren und eine 
hiſtoriſch-topographiſche Zuſammenſtellung der Beſitzungen dieſes Hauſes zu 
liefern. Das Urkundenbuch theilt eine Anzahl intereſſanter Urkunden be— 
ſonders aus dem Karlsruher und Stuttgarter Archiv mit. 

Barth, J., hohenzollernſche Chronik oder Geſchichte u. Sage 
der hohenzollernſchen Lande. Nach dem neueſten Stande der hiſtor. Forſchung 
bearb. (In ca. 6 Lfgn.) 8. (80 ©.) Sigmaringen, Tappen. 

Egler, Louis, Aus der Borzeit Hohenzotlerns. Sagen und 
Erzählgn. 8. (240 ©.) Sigmaringen, Tappen. 

Alfatia. Jahrbuch f. elſäſſiſche Geſchichte, Cage, Sitte und Sprache, 
hrag. von Aug. Stöber. 1856—1857. gr. 8. (422 ©.) Mülhaufen 1858. 
(Bajel, Bahnmaier.) 

— daſſelbe. Neue Folge. 1. Abth. 1858—1860. gr. 8. (274 ©.) Ebd. 

Lehmann, Pfr. 3. ©, urlundlide Geſchichte der Burgen 
und Bergſchlöſſer in den ehemaligen Gauen, Orafihaften und Herrfdyaf. 
ten der bayeriſchen Pfalz. Ein Beitrag zur gründl. Vaterlande-Kunde. 6. und 
7. fr. gr. 8. (3. Bd.: Urkundliche Geſchichte d. gräfl. Haufes Leiningen-Har- 
tenburg u. Wefterburg in dem ehemaligen Wormesgaue. (VII u. 65-—342 ©. 
m. 4 Holzſchntaf. u. 4 Tab. in Fol.) Kaiferslautern, Meuth. 





6. Deutfche Provinzialgeſchichte. 819 


Schönhuth, Ottmar, die Burgen, Klöfter, Kirchen und 8a 
pellen Badens u. der Pfalz, mit ihren Geſchichten, Sagen u. Märchen. 
In Berbindung mit vielen Schriftſtellern, die JUuſtr. unter Leitung von U. 
v. Bayer, hbrageg. 1—3. Lig. 12. (S. 1—144 m. eingebr. Holzfchnitten.) 
Lahr, Geiger. 


Hoed, Pfr. Fri, Geſchichte des Pfarrdorfese Rußheim bei 
Karlsruhe mit Berüdfihtigung der Umgegend. Ein kleiner Beitrag zur vaterl. 
Geſchichte. gr. 8. (VI u. 94 ©.) Karlsruhe 1860, Braun. 


Pfluger, J. G. F, Geſchichte der Stadt Pforzheim. 3—5. %fg. 
gr. 8. (S. 193—512.) Pforzheim, Flammer in Comm. 


Bermwäftung, jchredliche, der Bayeriſchen Pfalz und anderer Provin⸗ 
zen der beiden deutjchen Rheinufer durch die Franzoſen. Ein geſchichtl. War⸗ 
nungsfpiegel f. Deutichland. 12. (71 ©.) Freyſiug 1860, Datterer. 


Bähr, Dr. 8., die Revijion der evangel. Kirhenverfaf- 
fung im Großherzogthum Baden, mit bejond. Rüdfiht auf die ge 
ſchichtl. Grundlagen des Presbyterialſyſtems. gr. 8. (IV u. 56 ©.) Frankfurt 
a. M., Heyder & Zimmer. 


Zeitfhrift für die Geſchichte des Oberrheins. Herausgeg. 
von dem Landesardhive zu Karlsruhe, durch den Direktor deſſelben F. K. Mone. 
Bd. XII. Heft 3. u. 4. Bd. XII. Heft 1. (5. 257-520.) 8. Karlerube 
1861, Brauer. 

Inhalt: XI. 3: Landwirthſchaft am Kocher im 17. Jahrhundert. — 
Fräntifche Weisthümer vom 14. od. 15. Jahrhund. — Beiträge zur Geſchichte 
der Echweiz. — Preiscomant der Gewerbsartifel vom 13. bis 14. Jahrh. — 
Kaiferurfunden, 14. Jahrhund. — Rechtsſymbole. — Herrenalbifhe Urkunden 
von 13. bis 15. Jahrhund. — Urkunden zur Geſchichte der Grafen von Frei⸗ 
burg. — Geſchichtliche Notizen. Zur Sittengefchichtee — XII. 4. Gewerkſchaf⸗ 
ten für Eifen, Glas nnd Sa vom 11.—17. Jahrh. in Venetien, Schweiz, 
Baden, Eifaß, Lothringen und Bayern. — Gerichtspläge. — Kanzlei- und Ge 
richtsgebühren. — SHerrenalbifche Urkunden. — Urkunden zur Gefchichte der 
Grafen von Freiburg. — Der Neuenburger Landtag von 1469. — Auszüge 
aus amtlichen Berichten von 1638. — Ueber die Hauemiethe der Gewerksleute 
vom 13—15. Jahrh. — Geſchichtliche Notizen. Gedächtnißtunſt, Sklavenhan⸗ 
de. — XII. 1: Kraichgauer Urkunden vom 12—16. Jahrh. — Bewegung 
der Fruchtpreiſe vom 13—17. Jahrh. — Breifacher u. Elſäſſer Urkunden aus 
dem 13. u. 14. Jahrh. — Urkunden über Lothringen vom I2—16. Jahrh. 
— Serrenalbifche Urkunden. — Urkunden zur Geſchichte der Grafen von Frei- 
burg. — Rechtealterthumer. Bemerkungen zur praltifchen Diplomatil. — 
XII. 3: Gewerbepolizei vom 13—18. Jahrh. — Beiträge zur Geſchichte ber 

Oißtoriſe Beitfprift VII. De. ur 


520 Ueberficht der hiftorifchen Literatur vou 1861. 


Schweiz. — Die römischen Linien von Schaffhaufen bis Baſel. — Urkunden 
und Negefte aus dem ehemaligen Kletgauer Arhiv. — XIII. 8: Ueber deu 
Obſtbau vom 8. bis 16. Jahrh. — Gewerbspolizei. — Fortfegung der Kraich⸗ 
gauer Urkunden, der Urkunden zur Gefchichte der Grafen von Freiburg umb 
der Urkunden nnd Regeften aus dem ehemaligen Kletgauer Archive. — Gedicht 
liche Notizen. Mentaggüter. Templerorden. — XII. 4: Die Mietbe der Ge 
werbslofale vom 10—17. Jahih. — Urkunden über Lothringen, Kraichgamer 
Urkunden, zur Gedichte der Grafen von Freiburg , aus dem ehemaligen Kiett- 
gauer Archive u. ſ.w. — Urkundenlefe zur Geſchichte ſchwäbiſcher Klöſter: Wei- 
genau u. Weingarten. — Urkundenarchiv des Kloſters Bebenhauſen. — Weißen 
burger Annalen aus dem 8. u. 9. Jahrh. — Zur Gittengefdichte. 


2. Mittelrhein. 


Remling, Domcapit. geiftl. R. Dr. F. X, der Speyerer Dom, 
zunächſt über deffen Bau, Begabung, Weihe unter ben Galiern. Eine Deut 
ſchrift zur Feier feiner 800jährigen Weihe. Mit e. lith. Beigabe. in qu. Fol. 
gr. 8. (VI u. 210 ©.) Mainz, Kirchheim. 

Klein, Karl, Die römifhen Dentmäler in und bei Mainz, 
welche außerhalb des ftädt. Mufeums an öffentlihen Orten fi) befinden. 8. 
(18 ©.) Mainz, v. Zabern. 

Klein, Oynm.-Prof. Karl, Geſchichte von Mainz während der 
erfien franzöfifhen Occupation im 3. 1792—179. Mit ſämmtl. 
Altenftüden. gr. 8. (VI u. 602 &.) Mainz, v. Zabern. 

Eine mit großem Fleiße und anerkennenswerther Unparteilichleit ver: 
faßte Quellenſchrift, die fih, wie ung ſcheint, eine doppelte Aufgabe ge- 
ftellt bat. Die erfte ift durch das dem Buche vorgejegte Wort Eteins 
ausgedrüdt: „Es muß in der deutjhen Nation das Gefühl des Unwil⸗ 
lens erhalten werden über den Drud und die Abhängigkeit von einem 
fremden, übermüthigen Volle.” Als zweite Aufgabe darf das Beftreben 
des Verfaſſers betradhtet werden, die Mainzer von dem Bormwurfe un: 
deuticher Gefinnung zu reinigen, der denfelben feit Jahrzehnten, und wie 
bie in jüngjter Zeit vorgefallenen Demonftrationen kindiſch gewordener 
Helenamebdaillenritter und ihres Anhanges bewiejen, theilmeife nicht wit 
Unrecht gemacht wurde. Klein weit demgemäß nah, daß der Anfchluf 
an Frankreich, weldher in Mainz in ven Jahren 1792 und 1793 fo emfig 
betrieben wurde, nur von einigen wenigen, ebrgeizigen und unrubigen 
Individuen ausging, die fi, wie es gewöhnlich geht, alsbald der Herr⸗ 





6. Deutfce Provinzialgeſchichte. 621 


haft über die gutgefinnte, aber durchaus paffive Mehrheit bemächtigten. 
Schade nur, daß fi den Einflüffen diefer Hiplöpfe auch ein Mann, wie 
Georg Forfter nicht zu entziehen vermochte. L. H. 


Roſſel, Bibliothel.-Secr. Dr. Karl, die Bfarrfirde ©. Sen» 
rus in Bopard. Ein Beitrag zur Bangeſchichte. gr. 8. (10 &. mit 1 GSteintaf. 
in Zondr.) Wiesbaden, Roth. 


— — Urtundenbud der Abtei Eberbach im Rheingau. 
Im Auftrag des hiſtor. Vereins f. Naffau hreg. 1. Bd. 1. u. 2. Hft. gr. 8. 
(288 &.) Ebd. 1860. 61. In Komm. 


Trotha, Major Thilo v., Borfiudien zur Geſchichte des Ge- 
ſchlechts von Trotha. gr.8. (XXII u. 268 S. mit 1 lith. Karte, in Fol., 
1 dromolith. Stammtaf. in Imp. + Kol. u. chromolith. Titel.) Neuwied 1860, 
v. d. Beed. 


Mittheilungen an die Mitglieder des Bereine f. Geſchichte 
n. Ülterthumslunde in Frankfurt a. M. 2. Bod. Ausgegeben im Jımi 1861, 

Inhalt: Frank, W., Beitrag zur Gefchichte der Zurniere und Zur 
niergefellichaften in Deutichland. — C. Ch. Beder. Ueber Simplicius Sim- 
pliciffunus. Krieg. Eine Frankfurter Spielbank im Mittelalter und Anderes 
zur Geſchichte Frankfurts und der Römerbauten. 


Archiv f. Frankfurts Geſchichte u. Kunf. Neue Folge. Hreg. 
von dem Bereine f. Geſchichte u. Alterthumstunde zu Fraukfurt a. M. 1. Bd. 
Mit (2 lich.) Abbildgn. gr. Ler.8. (VI u. 886 ©.) Frankfurt a. M. 1860, 
Sauerländer's Sort. 

Inhalt: Zur Urgeſchichte des Rhein- und Mainlandes von Beder. — 
Der Kaiſerpalaſt Salz in Franken von Benkard. — Leber die Zeit der 
Entſtehung von Frankfurt a. M. von Kriegt. — Die Entftehung der Salva- 
torliche zu Frankfurt von demfelben. — Frankfurt ale Wahlſtadt der beut- 
ſchen Könige und die Yaıtholomäusfirhe von Ufener. — Ueber die Verfaf- 
fungsgejchichte der deutfchen Etädte von Euler. — Der Rogt u. Schultheiß 
zu Wetlar, ein Beitrag zur ſtädtiſchen Verfafjungegeichichte von demſelben. — 
Niederlage der Bürger von Franifurt vor Eronenberg 1389 von Dr. Römer 
Büchner. — Die Ermordung des Herzogs Friedrich von Braunichweig im 
Sabre 1400, von demſelben. — M. Johannes Cnipius Andronicus, Schul 
meifter zu den Barſüßern 1560—1562 von Dr. theol. Seit. (Nebſt unge- 
drudten Briefen Melanchthone, Bucers, Enipius u. A. — Frantfurt um die 
Mitte der ZOjährigen Krieges von Kriegf. — Die älteren Grundriffe n. An- 
fihten der Stadt Frankfurt a. M. von Gwinner. — Die Wahrzeihen von 
Frantfurt a. M. von Reiffenftein. — Das alte Judenbad in Frankfurt 
von Euler. — Ueber Franffurter Turnoſen von Finger. — Ein Schneider 


522 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


gebot von Oppel. — Die von Uffenbachſchen Manuſeripte auf ber Stabi 
bibliothet zu Frankfurt a. M. zufammengeftellt von Ent Kellner. — Ber 
zeihnif der -Häufernamen in Frankfurt und Sachfenhaufen v. Reiffenftein. 


Neujahrsblatt den Mitgliedern d. Vereins f. Gefchichte u. Alter 
thumsfunde zu Frankfurt a. M. dargebradt im Ian. 1860 und 1861. gr. 8. 
Frankf. a. M., Sauerländer’s Sort. . 

Inhalt: 1860. Der Frankfurter Ehronift Achilles Auguft v. Lerener. 
Bon Dr. Ed. Heyden. Mit dem (fith.) Bildniſſe dv. Lereners. (17 S.) — 
1861. Die Melanchthons⸗ und Luthersherbergen zu Frankfurt a. IR. ; Claus 
Brommen Haus, Liſa's v. Rüdingen Haus, Wolf Parente's Haus. Eine Unter- 
fuhung zur topograph. Geſchichte der alten Reichsftadt, mit urkundl. Beilagen 
n. e. Excurſe üb. die chronolog. Reihenfolge der Wormſer Reihstagsverhand- 
ungen in Luthers Sache von Dr. Geo. Ed. Steig. Mit der (chromolith.) 
Abbildg. e. noch erhaltenen Zimmers in Claus Brommen Haus. (VIII n. 65 ©.) 


Battonn, geifl. R. Joh. Geo., Örtlihe Beihreibung der 
Stadt Frankfurt a. M. Aus deſſen Nachlafſe hreg. von dem Bereine f. 
Geſchichte u. Altertfumskunde zu Frankfurt a. M. durch den zeitigen Direktor 
deſſelben Dr. 8. 9. Euer. 1. Heft die geſchichtl. Einleitg. enth. gr. 8. (X n. 
266 ©.) Franff. a. M., Sauerländer’® Sort. 


Das fteinerne Haus und die Familie von Melem in 
Frankfurt. (Abdrud aus d. Mitth. des Vereins f. Geſchichte u. Alterthume- 
kunde in Frankfurt.) gr.8. (16 S.) Franff. a. M. 1859, Sauerländer’s Sort. 


Enslin, Karl, Frankfurter Sagenbud. Sagen und fagenbafte 
Geſchichten aus Franffurt am Main. Neue (Titel-)Ausg. 8. (XII u. 291 &.) 
Frankfurt a. M. 1856, Brönner. 


Frank, Rud., Bincenz Fettmild. Cine hifter. Erzählung aus 
der Gefchichte der freien Stadt Frankfurt a. M. (1612—1616.) 8. (VIII und 
218 ©.) Leipzig, Ochme. 


Heyden, Dr. Ed., Gallerie berühmter u. mertwärbdiger 
Frankfurter. Eine biograph. Sammlung. Mit 13 Bildniffen. 4—6 Heft. 
gr. 8. (IV u. 321—612 ©. mit 1 Kpfrtaf.) Frankf. a. M., Brönner. 


Dentihrift über den gegenwärtigen Zufland des reiche. 
fammergerichtlihen Archivs in feiner auf Allerhöchſte Königliche Anorbnnung er- 
folgten Wiederherftellung. gr. 4. (12 ©.) Berlin 1860. (Stettin, Saunier.) 


Roſſel, Dr. Karl, das Stadtwappen von Wiesbaden. Gin 
Beitrag zur Ortsgeſchichte. gr. 8. (72 S. mit eingedr. Holzſchn. u. chromolith. 
Titel.) Wiesbaden, Roth. 


Codex diplomaticus ordinis Sanctae Mariae Theu- 





6. Deutſche Provinzialgeichichte. 528 


tonicorum. Urkundenbnuch des deutſchen Ordens, insbeſondere der Balleien 
Coblenz, Altenbiefen, Weftpbalen und Fothringen. Hreg. von 
Joh. Heint. Hennes. 2.Bd. gr.8. (IV u. 440 ©.) Mainz, Kirchheim. 


Marr, Prof. Dr. 3., Geſchichte des Erzfifts Trier db. i. der 
Stadt Trier u. b. Trier. Landes, ale Churfürſtenthum u. ale Erzdiöcefe, von 
den älteften Zeiten bie zum 9. 1816. (4. Bd.) 2. Abt. Enthaltend die Ge⸗ 
ihichte der Abteien, Klöfler und Stifte. 2. Bd. Die Stifte u. Klöfter. Ley.-8. 
(VO u. 508 &.) Trier 1862, Lentz' Werl. 


Hewer, Dr. 3.3., Geſchichte von Montcelair, nad Urkunden 
zufammengeftellt. (Abgebrudt aus dem Jahresberichte der Geſellſchaft f. nützl. 
Forſchungen von 1859.) 8. (51 ©.) Trier, Ling’ Bert. 


Leben und Thaten der Heiligen, deren Andenken im Bisthum 
Trier gefeiert wird, Nach den bewährten Acten der Heiligen, bearb. u. breg. 
d. e. Briefter der Diöcefe Trier. Fortſ. 2. Abtb. gr. 8. (V u. 182—376 ©. 
mit 1 Eteintaf. Trier, Gal’s Berl. 


Jahresbericht der Geſellſchaft für nützliche Forſchungen 
zu Trier über die Jahre 1869 u. 1860. Herausgegeben von dem Seeretair 
Schneemann. Trier 1861. 

Bon allgemeinem Intereſſe find folgende biftorishen Arbeiten: Hemer 
Geſchichte von Montclair. — Paftor Dft in Damrath: Gefchichte der ehe⸗ 
maligen Herrihaft und des Hofgerichtes zu Wollmerath. — Außerdem eine 
Reihe Heiner Abhandlungen über antiquarifihe und Münzfunde von den 
Herren Schneemann, Shlideijen, Ladner, Dft, Settegaft, 
Saffern, Bernelint u ſ. mw. 


Publications de la societ& pour la recherche et la conserva- 
tion des monuments historiques dans le grand-duchö de Luxembourg. 
Annôe 1859 (ou tome) XV. gr. 4. (XLII u. 224 &. mit 7 Steiutaf., wo⸗ 
von 1 in Tondr.) Luremburg 1860, Brüd. 


Neyen, Dr. Aug, Biographie Luxembourgeoise. Hi- 
stoires des hommes distingues originaires de ce pays considere à l'épo- 
que de sa plus grande etendue ou qui se sont rendus remarquables 
pendant le sejour qu’ils y ont fait. (En 10 Livre.) Tome. Livr. 1. gr.4. 
(VIII u. 88 &.) Luxembourg, Brück. 


Dentwärdiger und nügliher rheinifher Antiquarius, 
welcher die wichtigfien und angenehmften geographifchen , hiftorijchen und politi- 
hen Mertwürbigfeiten des ganzen Rheinftromes von feinem Ausfluffe in das 
Meer bis zu feinem Urfprung darftellt, von einem Nachforſcher in biftorifchen 
Dingen (Ebr.u. Stramberg). Mittelrhein: IL Abth. 10. Bd. 1—5. Lig. 


624 Meberficht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


11. 80. 1.8fg. III. Abth. 8.8. 3.4.5. %g. 9.8. 1.99. IV. Wbth. 1. ®». 
1. 2fg. 8. Coblenz, R. F. Hergt. 

Es hat die hiſtoriſche Zeitfhrift in ihren früheren Jahrgängen ſchon 
mehrfach Veranlafiung gehabt, fi über die Methode viefes „Nachforfchers 
in biftorifchen Dingen” keineswegs beifällig zu äußern. Wir würben in 
der That glauben in ganz unverantwortlider Weiſe unfere Seit zu ver: 
ſchwenden, wenn wir noch fernerhin über den Inhalt der einzelnen Liefe: 
rungen dieſes unverwüſtlich anwachſenden Wertes referiren wollten: für 
die Freunde folder hiſtoriſchen Leltüre — wir hoffen, diefelben find zu 
zählen — ſei es nur bemerft, daß die 4. Abtheilung die Gefchichte der 
Stadt Köln begonnen hat in engem Anſchluß an die „Chronifa der billigen 
Stadt Köln.” M. 


3. Niederrhein. 


Arhiv f. die Geſchichte d. Niederrheins. Hrtg. v. Archivrath 
Bibliothelar Dr. Thor. Joſ. Tacomblet. 8. Bb. 2. Hft. gr. 8. (IV 
189—421 ©. m. 1 Steintaf. in gr. 4.) Düffeldorf, Schaub in Comm. 

Enthält: Die Werl und Waldgenoſſenſchaften. Weisthum des Klamers- 
heimer Waldes. Bleibergwerk zu Call. Aachener Reihswald. Waldrechte zu 
Mohrenhoven. Stomnieler Wald. Wald» Buchholz. Hardter Wald. u. f. w. 
Das Nekrologium des alten Domftiftes zu Köln, auszugsweife mitgetheilt und 
erläutert von GE. F. Mooyer in Minden. — Ueber die Siegel bes Erzbijchofg 
Anno II. von Köln von Lacomblet. 

Zahrbüher des Bereins von AltertHumsfreunden im 
Rheinlande. XXIX. u. XXX. (15. Jahrg. 1. u. 2. Hft.) Mit 3 lith. 
Taf. (in gr. 8. u. qu. gr.4.) gr. 8. (301 ©.) Bonn 1860, Marcus in Comm. 

Bd. XXIX. XXX. Roth, Geſchichte der Leuga. Unger, zur Geſchichte 
d. Kirchthurme. Außerdem eine Reihe archaeolog. Notizen v. Braun, DO. Zahn, 
3. Freudenberg, Welder, Fiedler, Bellermanı, Bergrath, ©. aus’m Weerth. — 
Dann eine Anzahl von Recenfionen Über provinzialgeidichtliche Novitäten. — 
Bd. XXXI Des verftorbenen Oberft-tieutenant F. W. Schmidt hinterlajfene 
Forſchungen über die Römerſtraßen im Rheinlande. (227 ©.) 


Der Rhein u. die Rheinlande, dargeftellt in maler. Drig.-An- 
figten v. 2. Robbod u W. J. Cooke. Deit Hiftorifdy>topograph. Text von 
Aloys Henninger. 3. Abth. (Niederrhein) von Köln bis an's Meer. Pr. 
64 u. 65. Ler.-8. (& 3 Stahlſt. u. 88. Tert.) Darmftabt, Lange. 


Fahne, A. Chroniken u, Urtundenbüder hervorragender 
Geſchlecht er, Stifter u. Köfter. 1. Bd. 9. u. d. T.: Urkundenbuch des 





6. Deutſche Provinzialgeſchichte. 626 


Geſchlechts Meihede. Mit 1 Anficht, vielen Siegeln u. Wappen auf 27 Taf. 
(in Holzſchn.) u. e. vollſtänd. Inbaltsverzeichniffe. 8. (XII u. 432 S. m. eingebr. 
Holzſchn.) Köln 1862, Heberle. 


Ennen, Dr.2., üb. den Geburtsort d. Peter Baul Rubens, 
m. Beilagen. gr. 8. (81 ©.) Köln, Du Mont-Schauberg. N 


Annalen bes Hiftorifhen Bereine für den Niederrhein, 
in&befondere für die alte Erzbiözefe Köin. Herausgeg. von dem wiſſeuſch. Aus 
ihuß des Vereins. 9. u. 10. Heft. Köln, M. Du MontSchauberg. 

Diefes Doppelheft enthält: 3.93. Merlo, die Familie Jabach zu Köln 
und ihre Kunftliede. — Oberſt & von Schaumburg, die Schlaht im Kle⸗ 
verhamm, 7. Juni 1397. — Erpeler Weisthum, mitgeth. von Dr. En nen. — 
Anszüge aus d. Stadtrechenbudhe von M⸗Gladbach mitgeth. v. E. Noever. — 
Herenprocefie, mitgeth. von Dr. Eder. — Prof. Braun, zur Geſchichte 
der Abtei Steinfeld in der Eifel. (Fortſetzg. — Ennen, über d. Geburtsort 
bes P. P. Rubens. — v. Hagen, die Heirath Philipp Wilhelms v. Pfalz+ 
Neuburg, Herzoge zu Berg mit der Landgräfin Eliſabeth Amalie von Heſſen 
1653. — Acht Urkunden des Propſtes Honorius III. zur Geſchichte Engelbertus 
bes Heiligen u. Kaifer Friedrichs IL mitgeth. von Dr. H. Rump. — Urkun⸗ 
ben, mitgeth. von Dr. Ederg. u.f w. Außerdem finden fich bier eine Reihe 
jehr jchägbarer Recenfionen Über Werke, die iu die nieberrheinifche Provinzial 
geichichte einſchlagen; bejonders Dr. Mooren u. Dr. Ennen haben fich hierbei 
verdient gemacht. 


4. Weſtfalen. 


Zeitfhrift fe vaterläudifhe Geſchichte u. Altertgums 
tunde. Herausg. v. dem Berein f. Gefchichte u. Alterthumskunde Weſtfalens, 
durch deffen Directoren Dr. W. E. Giefers u. Affeff. Geisberg 21. Bd. 
od. 3. Folge. 1. Bd. gr. 8. (405 ©.) Münfter, Regensberg. Inhalt: W. 
Spanten, das Regifter Sarachos, ein Titerarifcher Betrug des Gefchichtsfchrei. 
ber Joh. Friedrich Kalle (S. 1—80.) — 8. F. v. Schmik, die Einnahme 
Soeſts durch Herzog Ehriftian v. Braunſchweig am 27. Ian. 1622. (S. 81—92.) 
— D. Preuß, die Ulenburg, nad ardivalifhen Quellen (S. 93—137.) — 
Sg. Kampfchulte, Beiträge zu einer Geſchichte der Beziehungen Weftfalens 
zum deutfchen Reihe (S. 133— 280.) — 3. Evelt, Mittheilungen über einige 
gelehrte Weſtfalen, vornehmlich aus der erften Hälfte des fünfzehnten Jahrhun- 
derts, (S. 281-298.) — Geiberk, der Freiſucht und das PBatrimonialge- 
richt zu Debingen, ein Beitrag zur Geſchichte des Untergangs der Frei⸗ ober 
Femgerichte in Werfalen (8. 399338.) — Ulerander Hegius (wohl 
von Meihunfen in Deventer?) (S. 889862.) — Berkaunf des Stifte 


x 


b26 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Münfter 1532, (S. 363—876.) — 4 Altenftüde die ſich auf bie Refiguation 
bes zum Bifchof von Münfter erwählten Grafen Friedrich von Wied beziehen, 
und die Herr Prof. Cornelius hier mitgetheilt hat. Miscellen: Ghronil 
bes Vereins. 


Seiberg, Joh. Suibert, Landes. u. Rechtsgeſchichte des Her. 
zogthums Weftfalen. 1. Bd. 3. Abth.: Geſchichte bes Landes u. feiner 
Zuftände. 2. Thl. Die Zeiten der Blüthe u. Kraft des deutfchen Reiche. (912 
bis 1272) gr. 8. (XXXI. u 476 S. m. 2 Tab. in qu. Fol.) Arnsberg, Ritter. 


Das Buch, von dem ſchon im Jahrgang 1861 dieſer Zeitſchrift (S. 498) 
die Rede war, bat feinen Charakter im Laufe der Zeit erheblich genug ver: 
ändert, jo daß der Berf. fih veranlaßt ſah, in der Vorrede zum vorher: 
gehenden Band an den Zujammenhang des Ganzen zu erinnern und burd 
einen zweiten Titel, auf dem einfad Erfter und Zweiter Theil ſteht, dieſer 
Abtheilung eine felbititändige Bedeutung zu vindiciren; während zugleich 
die Bezeichnung al3 Landes: und Rechtsgeſchichte durch den Zufag auf dem 
Haupttitel: Gefhichte des Landes und feiner Zuftände, eine gewiſſe Mobi: 
fication erfährt. Und in der That, wer erwarten möchte bier vorzugsweiſe 
eine Rechtsgeſchichte zu finden, wird fih in feinen Erwartungen getäufcht 
eben. In Theil 1, mwelder die drei eriten Perioden umfaßt, nimmt vie 
Rechtsgeſchichte wohl noch ziemlich denfelben Raum ein wie die Landes: 
gejchichte ; in dem, welcher jebt vorliegt, und der die Tarftellung der vierten 
Periode beginnt, hat die legte aber einen folhen IImfang erhalten, daß an 
ein ähnliches Verhältniß gar nicht zu denken ift; die Vorrede ftellt denn 
auch für den folgenden Band neben dem Schluß der Landesgefchichte eine 
Darftellung der ſtädtiſchen Entwidelung im Lande, der focialen Rerbält: 
niffe überhaupt, der Land: und Yorftwirthidhaft, des Handels, der Indu— 
ftrie und endlid der Rechtsverhältniſſe in Ausficht. 

Wir haben es bier alfo nur mit einem Theil der Landesgejchichte 
Weſtfalens, nicht der ganzen jo benannten Provinz Sachſen, jondern des ſpä— 
teren Herzogthbumg, in dem Zeitraum von 912—1272, zu thun. Darnadı 
werden wir beredtigt fein, eine reiche Fülle provinzial-hiſtoriſchen Mate: 
rial® zu erwarten, ſehen ung darin aud infofern nicht getäufcht, als ver 
Verf. alles, was ſich auf fein Gebiet bezieht, ſehr vollftändig gefammelt 
und ausführlic dargelegt hat. Aber ein großer Theil des eingenommenen 
Raumes ift doch eigentlih anderweit in Anſpruch genommen, indem ein 
großer Theil der allgemeinen Reichsgeſchichte mit in die Darftellung bin- 





6. Deutſche Provinzialgefchichte. 627 


eingezogen wird. Der Verf. rechtfertigt dies aus einem boppelten Grunde, 
einmal weil in diefer Periode die deutfhen Könige zugleih in unmittel- 
barem Beſitz der berzoglihen Gewalt über Meftfalen gemwejen, ſodann weil 
er „der Unterhaltung des Leſers am beiten dadurh Rechnung zu tragen 
glaubte, wenn er einzelne anſprechende Lebensbilder der Kaiferherzoge und 
Fürften und eine Betrachtung der focialen Zuftände der Bewohner gebe“ 
Gegen diefen Zmwed „einer angenehmen Unterhaltung der Leer,” wie ver: 
felbe auch ſchon im vorhergehenden Band hervorgehoben ift, läßt ſich an 
ſich natürlih nichts fagen, ih bin auch nit der Meinung, daß ein fol: 
her ſich nicht mit voller Wifenfchaftlichleit vereinigen laſſe; aber die 
von dem Verfaſſer ſelbſt geäußerte Belorgniß, daß man das Maaß etwas 
überjchritten, den Charakter einer Provinzialgejhichte nicht recht feftgehalten 
finden werde, dürfte wohl nicht unbegründet fein. 

Natürlid haben diefe Abfchnitte, S. I—116 die Zeit der ſächſiſchen 
Könige, S. 162— 288 die der fräntifchen, ftaufifhen und das Interregnum, 
feine befondere wifjenichaftlihe Bedeutung. Der Berf. benugt die neueren 
Arbeiten, zu Anfang wie er felber fagt, beſonders Giefebredht, dann bie 
Jahrbücher des ſächſiſchen Haufes, Löher, Zaffe, Abel, Gregorovius; auch 
Raumer, Luden, Pfifter; anderes entgeht ihm wohl, und er entſchuldigt 
e3 mit der Beichränttbeit feiner Hülfgmittel in einer Provinzialftadt und 
den Amtägejchäften, welche madten, daß es ihm nicht fo leicht fei wie 
einem Univerfitäts:Profefjor, mit den jüngften raſchen Fortſchritten auf 
dem Gebiet der Geſchichte Schritt zu halten; was jagt er, „übrigens, bei» 
läufig bemerkt, auch nicht überall nothwendig fcheint.” Und zum Vorwurf 
joU ihm das auch nicht gemacht werden. Ta er aber do die Quellen 
jelbft lieft und benugt und Wattenbach Tennt, hätte er hier wohl zu einer 
etwas größeren Sicherheit lommen dürfen, jo daß er z.B. nicht fortwährend 
Etkehard und Chron. Ursperg neben einander oder dies ftatt jenes 
anführte — eine Stelle des erftern über Heinrich IV. legt er aus: 
drüdlih dem Konrad v. Lichtenau, der 100 Jahre fpäter ald Heinrich 
gelebt habe, bei (S. 218) —, den Guntherus Sigurinus für eine 
echte Quelle bielte u. |. w. Bottbaft'3 Wusgabe des Henricus de 
Hervordia ift ihm noch unbelannt geblieben, au die lepten Bände der 
Monumenta fdeint er nicht zu lennen, während er die früheren wenig: 
ſtens abwechfelnd neben den alten Editionen der Scriptores citirt. — Auf 
fallend ift, wie er einzelne Buntte, die mit ber weitfäfifchen Gefchichte auch 


524 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


11. Bd. 1.2fg. III. Abth. 8. Bd. 3.4.5. 8fg. 9. 8b. 1.2fg. IV. Abth. 1. 8b. 
1. 2fg. 8. Coblenz, R. F. Hergt. 

Es hat die hiftorifche Zeitfhrift in ihren früheren Jahrgängen ſchon 
mehrfach Veranlaſſung gehabt, fi über die Methode dieſes „Racdforfchers 
in biftorifhen Dingen” keineswegs beifällig zu äußern Wir würden in 
der That glauben in ganz unverantwortlider Weiſe umfere Seit zu ver: 
ſchwenden, wenn wir noch fernerhin über den Inhalt der einzelnen Liefe- 
rungen dieſes unvermwüftlich anwachſenden Wertes referiren wollten: für 
bie Freunde folder biftorifhen Lektüre — wir hoffen, viefelben find zu 
zählen — fei es nur bemerft, daß bie 4. Abtbeilung die Gefchichte der 
Stadt Köln begonnen hat in engem Anſchluß an die „Chronila der billigen 
Stadt Köln.” M. 


3. Niederrhein. 


Arhiv f. die Geſchichte d. Niederrheine. Hreg. v. Archivrath 
Bibliothekar Dr. Thor. Joſ. Lacomblet. 3. Bd. 2. Hft. gr. 8. (IV u, 
189—421 S. m. 1 Steintaf. in gr. 4.) Düffeldorf, Schaub in Comm. 

Enthält: Die Werk und Waldgenofienfchaften. Weisthum bes Flamers- 
beimer Waldes. Bleibergwerk zu Call. Aachener Reichewald. Waldrechte zu 
Mohrenhoven. Stomnieler Wald. Wald- Buchholz. Hardter Wald. u. f. w. 
Das Nekrologium des alten Domfiftes zu Köln, auszugsweife mitgeteilt und 
erläutert von GE. 5. Mooyer in Minden. — Ueber die Siegel des Erzbiſchofs 
Anno II. von Köln von Lacomblet. 

Zahrbüher des Bereins von Altertbumsfreunden im 
Rheinlande, XXIX. u. XXX. (15. Jahrg. 1. u. 2. Hft.) Mit 3 lith. 
Taf. (in gr. 8. u. qu. gr. 4.) gr. 8. (301 S.) Bonn 1860, Marcus in Comm. 

Bd. XXIX. XXX. Roth, Geſchichte der Lenga. Unger, zur Gefchichte 
d. Kirchthürme. Außerdem eine Reihe archaeolog. Notizen v. Braun, O. Jahn, 
J. Freudenberg, Welder, Ficdler, Bellermanı, Bergrath, ©. aus’m Weerth. — 
Dann eine Anzahl von Recenfionen über provinzialgeihichtliche Rovitäten. — 
Bd. XXXI. Des verftorbenen Oberft-Lieutenant F. W. Schmidt binterlajjene 
Forſchungen über bie Römerftraßen im Rheinlande. (227 ©.) 


Der Rhein u. die Rheinlande, dargeftellt in maler. Orig.-An- 
figten v. 2. Ropbod u W. I. Cooke. Mit Hiftorifchetopograph. Text von 
Aloys Henninger. 3. Abth. (Niederrhein) von Köln bis an’ Meer. Nr. 
64 u. 65. 2er.-8. (& 3 Stahlft. u. 8 S. Tert.) Darmftadt, Lange. 


Sahne, A., Chronifen u. Urtundenbüder hervorragender 
Geſchlecht er, Stifter u. Klöfter. 1. Bd. A. u. d. T.: Urkundenbuch des 





6. Deutfche Provinzialgefchichte. 529 


Kaifer, deren Nachfolger fih um das Herzogthbum in Weftfadhfen nicht 
befümmert, habe der Herzog von Oſtſachſen allmählich angefangen, fih als 
folhen au in den Theilen von Weſtſachſen zu betrachten, wo nicht die 
Yürften des Landes die herzoglihen Rechte ufurpirten; ©. 236: feit Dtto 
von Nordheim, der dur feine Gemahlin Richenza jo reich in Weitfalen 
begütert war, den ſächſiſchen Ducat erlangt hatte, ſeien die Geichide von 
Oft: und Weftfachjen immer mehr mit einander verbunden; dem Herzog 
Lothar ſei Gelegenheit gegeben, auch in Weſtfalen Träftig einzugreifen, 
obgleich fidh fein Ducat jo weit nicht erftredte; dagegen ©. 288: Hein 
rih IV. habe ſich vorzugsweife darin gefallen, den Herzog in Dft und 
Weſtſachſen zu fpielen, aber er und Heinrich V. „ein durchgreifendes Herzog: 
thum“ in Weftfalen für fich nicht behaupten können ; Lothar habe in feinen 
Befigungen in Weftfalen Veranlafiung gefunden, den oftfähhfiihen Ducat 
auh über Weſtſachſen auszudehnen ; nach feiner Königswahl hätten die 
berzoglichen Umgriffe defjelben in Weftfachfen immer zugenommen, und vies 
fei unter den Nachfolgern Heinrich dem Stoljen und dem Löwen weiter 
fortgegangen. — Sicher wird man bier die rechte Beſtimmtheit vermiflen, 
wird fich namentlich wundern von einem jähfishen Ducat Otto's von Nords 
beim zu lejen, von dem in feiner Geſchichte felbft (S. 199 fi.) keine Rede 
ift. — Die Verhältniſſe Heinrich des Löwen erhalten eine etwas nähere 
Darftellung. Wo aber zuerft von feinem Sturz und den Schidjalen feines 
Herzogthums die Rede ift, wird (6. 248) auf Eichhorn verwiefen, fpäter 
(S. 291 ff.) allerdings eine nähere Erörterung der ſchwierigen Fragen, 
welche hier entgegentreten, gegeben; aber doch fo menig ein ficheres Re: 
fultat gewonnen, daß der Verf. mit den bier gewiß auffallenden Worten 
fließt: „Sei dem wie ihm wolle“ u. |. w. Er entjcheidet ſich übrigens 
für eine Auslegung der befannten Urkunde Friedrihs vom Jahr 1180, 
nad welcher die Worte „in episcopatum Coloniensem“ ſich auf die 
Erzdiöcefe, nicht bloß auf die Diöcefe beziehen (S. 292). — Bon hier an 
erhält Köln eine beſondere Wichtigkeit für die Gejchichte Weftfalens, in dem 
es einzelne Befigungen fchon früher erworben hatte und deſſen bier zunächft 
behandelter Theil allmählich ganz in den Territorialbefit des Stiftes über: 
geht. Und das giebt num den Grund in befonderer Ausführlichleit von 
den Kölner Erzbifchöfen zu handeln. Der Verf. benugt dabei eine Reihe 
von Monographien, welche in der neueren Zeit erfchienen, aber allerdings 
von ungleihem Werthe find, von Pieler, Müller, Stein, Fider, Keuſſen; 


580 Ueberficht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


zeigt aber, daß er die Quellen auch felbftftändig burdhgearbeitet bat, fo 
daß man nicht anftehen Tann, diefen Theil ded Bandes für ben weitaus 
bebeutendften zu erklären, aus dem manderlei erwünjchte Belehrung zu 
ihöpfen ift. Zu bedauern iſt, daß die neue Ausgabe der großen Kölner 
Annalen von dem Verf. noch nicht benugt werden konnte; aud bie ge 
lehrte Differtation von Peter über Philipp von Heinsberg, die Keuffen 
der „gravissimi errores“ zeibt, ift ihm nicht zur Hand geweſen. Und 
rechte kritiſche Schärfe läßt ſich doch aud bier in den eigenen Ausführungen 
des Verf. vermiſſen. 

Als Druckfehler wird in der Vorrede und nachträglich einiges be 
richtigt, was wohl nicht blos diefen Charakter haben Tann. Dagegen find 
andere unbemerkt geblieben, 3.8. S.18 Bernhard ftatt Burchard, S. 139 
1019 ftatt wahrfheinlih 1819; S. 347 Trino ftatt Trier. Etwas mehr 
Sorgfalt mag dem fleißigen und auch als Sammler und Herausgeber von 
Urkunden und andern Quellen verbienten Verfaſſer alfo wohl empfohlen 
werden. Dann wird man fein Bud freilich nicht einer Arbeit wie Stä- 
ling Würtembergifher Geſchichte vergleihen, aber immer zu ven beſſern 
Provinzialgefhichten rechnen dürfen. G. W. 

Hechelmann, Ad., Quaestiones aliquot de historia 


Monasteriensi tempore Hermanni II episcopi. (1174—1203). Dis 
sertatio historica. (III u. 177 &.) Münfter 8. 


Giefer , Dr. With. Engelb., der Dom au Paderborn. Bortrag, 
gehalten im wiftenjchaftlichen Vereine zu Paderborn. 8. (53 ©.) Soeft 1860, 
Naſſe's Verlag. 

Florſchütz, Prf. Alb, die politifhen und focialen Zuftände 


der Provinz Weftphalen während der I. 1848—1858. 8. (III u. 224 ©.) 
Elberfeld, Bädeker. 


Clemen, Gymn.-Prorect. Dr. H., Beiträge zur lippifchen Kir 
chen geſchichte. 8. (339 ©.) Lemgo 1860. Halle, ride. 

Krauſe, Hofrath ©, Urkunden, Altenftüde u. Briefe zur 
Geſchichte der Anhaltifhen Lande u. ihrer Fürften unter dem Drude 
d. dreißigjährigen Krieges. 1. Bd. 1623—1630. Nah den Archivalien auf der 
Herzogl. Bibliothek zu Eöthen Hrag. gr.8. (XVII u. 734 ©.) Leipzig 1862, Dat. 

Unter dem obigen Titel hat der Hofratb Kraufe vorzugsweife aus 
den Archivalien des Fürſten Ludwig von Anhalt, des befannten Stifter: 
der fruchtbringenden Gejellichaft, einen Band Urkunden aus der Zeit des 
30jährigen Krieges veröffentlicht, dem noch 2 Bände folgen follen. Die 





6. Dentfche Provinzialgeſchichte. 681 


geihichtlihe Ausbeute aus der ganzen Sammlung ift für die Anbaltifche 
Geſchichte von keiner großen Bedeutung und für die allgemeine Gedichte 
ganz unerheblih. Der Herr Verf. hätte viel befier gethan das was nament: 
ih zur Charalteriftit der Thatigleit der für die Abwehr der Kriegsnoth 
rühmlichft zufammenhaltenden Anhaltiihen Fürften, fo wie ind Beſondere 
zur nähern Kenntniß der Beziehungen des Yürften Chriftian zu Wallen: 
ftein aus dieſen Urkunden erhellt, in einer kurzen Darſtellung zufammen: 
zufaffen und mit den widtigften Belegftüden herauszugeben. Dann hätten 
wir ein ganz dünnes aber lesbares Bändchen erhalten ftatt eines 46 
Bogen Starten Bandes, dur den man fi) troß des fpeciellen Inhaltsver⸗ 
zeichnifjeg nur mit Unbehagen durdarbeiten kann. Halten dod die in 
der That auch für die Anhaltiſche Geſchichte ganz unerheblihen Alten über 
Durchzug und Verpflegung fremder Truppen ziemlih 500 Seiten. Was 
fol aus der Geſchichtsforſchung werden, wenn alle ſolche Ardivalien abge: 
drudt und wegen einiger brauchbaren Notizen von den Geſchichtsforſchern 
durchgemacht werden follen ! 

Da3 Bemerkenswertheſte aus den erwähnten Mittheilungen ift fol- 
gendes: die Rüdfichtslofigleit und Gemältthätigleit des Herzogs von Fried: 
land im Jahre 1626 tritt überall hervor. Anfangs find alle Vorftellungen 
vergeblih. (Vgl. S. 103 u. 104.) Später wird er durd die kurze und 
energiſche Thätigleit des Fürſten Chriftian allmählid milder geftimmt und 
zu BZugeftänbnifien wegen Grleidhterung des auf dem unglüdlihen Lande 
loftenden Druds gebracht. S. 146 u. 152. Emit, der jugendliche Sohn 
Chriftians und Tietrih von dem Werber gehen im Intereſſe der Anhalti⸗ 
ſchen Lande nad Dresden und nah Wien. Die beachtenawertben Berichte 
darüber (S. 231 fi. 237 ff.) zeigen, was ſchon anderweitig genügend 
befannt ift, wie wenig in folhen Dingen in Dresden und Wien zu erlangen 
war, „Denn“, heißt e3 von Wien aus, „es gibt ipiger Zeit der lamen- 
tatıon bier fo viel, daß ihrer etlihe faſt ungetuldig werden und ein 
Graufen belommen, dergleihen weiter anzuhören.” Cine recht intereflante 
Schilderung davon, wie der Herzog von Friedland, wenn er gnädig war, 
mit den ihn angehenden Fürſten verlehrte, gibt ein Bericht des Fürſten 
Ernft und Werders über die Verhandlungen mit Wallenftein S. 243 ff., 
womit die Berihte ©. 255, 259 ff, 261 u. 270 zu vergleichen find. 
Der legte Beriht 270 Nr. 27 gibt einige Andeutungen über das freilich 
auch fonft genügend befannte Verhältniß des Herzogs zu Tilly, Die aim 


682 Veberficht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


ftige Stimmung Wallenfteind für Chriftian und feinen Sohn Ernſt zeigt 
fi feit der Mitte des Jahres 1626 in vielen fonft unbedeutenden Mit: 
theilungen bis zum Jahre 1630, wo Ernft, damals Oberfter in Taiferlichem 
Dienfte in Stalien, im Mai den Herzog in Carlsbad befuchte, S. 242, 
Der Vater, Fürft Chriftian war bereit 17. April geftorben S. 610. Ven 
ben geheimen Beziehungen, die zwifchen diefem Mugen, früher den Habs: 
burgern jehr gefährlihen Fürften und dem Herzog mögliher Weife ftatt: 
gefunden haben, zeigt fi in dieſen Mittheilungen freilich nicht die ge: 
tingfte Spur. Hb. 


Anhalt-Degau vor, während und nad ber Bewegung von 1848. 
Eine Antwort auf die Viermännerſchrift „Die Verfaffungeszuflände in Nuhalr 
Defau-Köthen. gr. 8. (834 ©.) Berlin, Heinide. 


5. Niederſachſen. 

Zeitfhrift des biflorifhen Bereins für Niederfadien. 
Jahrgang 1860. Hannover 1861. 

Sn dem vorliegenden Doppelbefte werden uns für faft alle Perioden 
der vaterländifchen Geſchichte nicht unerbeblihe Beiträge geboten. Das 
graue Alterthum ift theild durch drei antiquariihe Aufſätze des verftorbe 
nen Aſſeſſor Einfeld bedacht, theild greift doch auch noch in dieſe ferne 
Zeit die eingehende Erörterung des Legationdratb von Alten über 
den Maftam:Gau (S. 1—70) ein, der die Gegend zwijchen Deifter, Leine 
und Steinhuder Meer umfaßte. Für die Geographie des Mittelalters lie 
fert ferner Dr. Böttger einen Beitrag, worin er, im Anſchluß an eine 
aͤhnliche Abhandlung eines frühen Yahrganges, die Grenzen zwifchen ben 
Allovden des Herzogs Heinrich des Löwen bei der Theilung derfelben unter 
feine Söhne für die Strede zwifhen Elbe und SHomftein feitzuftellen 
fuht (S. 71—83). — Der Abprud einer Notiz de Rathsbuchs ver 
Altftapt Braunfhweig aus dem Jahr 1424, in der befundet wird, daß 
ein Hilbrand im rothen Klofter, dem Frauenhaufe, ein Weib erjchlagen 
und darauf zur Sühne, fowie wegen ver Verfeftung beim Rathe eine 
Summe Geldes erlegt habe, die zurüdgezablt werden jollte, wenn Ange: 
börige jener widerſprächen: „und hir up licht des boden Myerns Hand 
noch by dem Rade“, gab Hm. von Strombed Veranlaſſung zu einigen 
Bemertungen über Leibzeihen und das rothe Klofter zu Braunfchweig. 
Dahingegen veranlaßte umgelehrt eine Abhandlung: Ueber den Yufenthait 


654 Ueberficht der biftorifchen Literatur von 1861. 


Briefen feines gleihnamigen Oheims, der ald Major des Regiments Fuß⸗ 
Garde die ſchmaͤhlichen Züge der Heinen tapfern, aber von ihrer Regierung 
aus Unfähigkeit geopferten hannoverjhen Armee im Jahre 1803 mitzw 
machen hatte und ſomit feiner Stellung nad ſehr befähigt war, wie er es 
in dieſen Briefen an feinen Bruder, den Bater des Herausgebers, getban, 
regelmäßige Berichte über die ftattgefundenen Greignifle abzuftatten. Biel 
Neues wird uns bier freilich nicht geboten, aber wir erhalten baburd) ein 
reiches Detail, eine ſehr ſchaͤtzbare Beftätigung der biöherigen Auffaflung 
der Dinge, erjehen auch mie biefelben ſchon damals von einſichtsvollen 
Männern, zu denen man beide Brüder, die feineswegs, wie ſchon Die wer 
nigen Worte über dad Buch von Rechberg über den deutſchen Adel (S. 287) 
zeigen, zu den berüchtigten hannoverſchen Junkern gehörten, ebenfo beur: 
theilt wurden, als es noch heute gejhieht. So wird die unfähige und 
untbhätige Regierung oft bart getabelt, während der Feldmarſchall Graf 
Wallmoden, „der in allem, was von feinem alleinigen Refiort ift, die un- 
ermübdlichite Anftrengung und den jorgfältigiten Vorbedacht zeigt” (S. 288) 
auch bier als der mwillige, einfihtige aber nicht energiſche Führer erjcheint. 
In jedem Briefe ſpricht fih die Wuth über die „ewig verdammte fulinger 
Convention” (S. 351) aus. Nach einer Schilderung des Zujammenftoßes 
bei Rienburg, der einzigen, aber für die Heine Armee rühmlichen Kriegs: 
that, bei der „dem erhaltenen Befehle gemäß *) (erſte Lähmungsmaßregel 
der Conventioniften!) ohngeachtet des ſehr geihidten und gefährliden Feuers 
der feindlihen Chaſſeurs, unfere Leute nie das Feuer erwiedert, fondern 
bloß mit dem Säbel fih die Feinde vom Halſe gejchafft,- wenn dieſe ihnen 
fo nahe auf den Leib gelommen, daß feine Wahl blieb” (S. 316), fchreibt 
der brave Major feinem Bruder; „durch einzelne Züge denle ih Dir einen 
anfhaulihen Begriff von dem guten Geifte zu geben, von mweldem die 
elenden Conventionen:Schmiede auch nicht die leiſeſte Ahnung gehabt, an 
deflen Stelle fie ihren feigen Egoismus geſetzt haben, und bei deſſen Be: 
nugung vielleicht eine zweite oder dritte franzöfifhe Armee, aber nicht vie 
Martiniſche, dem Lande hätte Bedingungen auflegen fünnen, die dennoch 
an Erniedrigung nie den jetigen gleich geweſen fein würden” (S. 315). 
Ueber Lüneburg, wo der Schreiber der Briefe mit den vertragswidrig 





*) Bekanntlich: nicht zu feuern und nur im bringenbften Notbfall das 
Bajonett mit Moderation zu gebrauchen. 


6 WUeberficht ber hiſtoriſchen Literatur won 1861. 


von Hervord mit legterer bier übereinftimmt, vermutben, daß fie auch in 
ber und verlorenen Aufzeihnung über niederſaächſiſche Geſchichte, von ber 
ih mehrfache Spuren erhalten haben, zu finden war. Der Fürftendhronik, 
oder einige vielleicht auch jener verlorenen Aufzeichnung, entnahmen darazf 
eine ganze Reihe von Geſchichtswerken die bezügliche Angabe, die Stabtweg 
in feiner um die Mitte des 15. Jahrhundert? gefchriebenen Chronik zuerf 
zum Jahr 861 ftellte. Bei Botho, der es liebt von Gtäbtegründungen 
zu berichten, weiß er bo, daß Magdeburg, Soltwedel, Harzburg, Lime 
burg u. a. von Julius Cäfar erbaut wurden, finden wir fchließlich die 
Gründungsgefhichte von Braunſchweig umſtaͤndlich, nit ohne Anfpielung 
an Romulus und Remus erzählt. 

Auf dieſe Weberlieferung bin hat im vorigen Jahr die ehrwürdige 
niederfähfiihe Stadt das Jubelfeſt ihres taufenbjährigen Beſtehens ge 
feiert und hierdurch find wieder die beiden gejchichtlihen Arbeiten hervor 
gerufen, deren Titel an die Spike dieſer Zeilen geftellt wurden. Beth 
manns Aufſatz verdient beſonders deßhalb bier genannt zu werden, weil 
er, trogdem daß er in populärer Weile gefchrieben und in einer Seit 
ſchrift gebrudt ift, die zu erwähnen hier nur felten Gelegenheit fein 
möchte, Har und mit ſcharfer Kritil die Sachlage darlegt und fodann nar 
türlih die Glaubwürdigkeit jener Nachrichten, welche durch die früheſte 
Erwähnung Braunfchweigd in Urkunden von 1031, 1067, 1134, 1157 
wahrlid nicht beftätigt werden, entſchieden in Abrede ftellt. Anders ver 
fuhr Dürr. Er nahm alle Berichte, bis zu dem Botho's hinab, in den 
Zert auf, fnüpfte mit einer eben nicht jehr glüdlihen Kritit einzelne Be 
merlungen daran und kam dann endlich, ©. 38, zu der Folgerung, Braun: 
ſchweig müfle etwa zwifchen 860 und 880 von Herzog Bruno gegründet 
fein, während Bethmann, dem nur wenige darin nicht beiftimmen werden, 
eine bewußte Gründung überhaupt verwirft, vielmehr annimmt, die Stadt 
fei wie fo viele andere nad und nad) geworden, was denn aber doch kein 
Hinderungägrund fein könne, als Jahr ihrer Entftehung 861 anzunehmen, 
um daran die Feier eines Feftes zu Mnüpfen, das nicht ſowohl an die 
Gründung, als an das taufenvjährige Beltehen erinnern folle. Die Stätte 
werde feit länger denn taufend Jahren, wie aus ihren Namen und den 
dafelbft aufgefundenen Aſchenkrügen zu erweijen fei, bewohnt. — Die Be 
merlungen über den Dom, die namentlih in kunſthiſtoriſcher Hinſicht von 
Intereſſe find, übergebe ich bier. 


AM 


588 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Dürre, Obergyum.„Oberlehr. Dr. Herm, Geſchichte der Geleherten⸗ 
ſchulen zu Braunſchweig. 1.Abth. Vom 11. Jahrhundert bis zum Jahre 
1671. Ein Beitrag zur Geſchichte der Stadt Braunſchweig. gr.4. (76 ©.) 
Braunfchweig, Neuhof & Co. in Comm. 


Urtundenbud zur Gefhichte ber Herzöge v.Braunfhweig 
und Lüneburg und ihrer Lande, gefammelt u. herausgegeben von Suden 
dorf. 2. Thl. Bom Jahre 1342 bis zum Jahre 1356. gr. 4. (C S. Eim 
leitung u. 314 S. Tert der Urkunden) Hannover 1860. 


Bei diefem Bande der für die ganze norbbeutfche Geſchichte wichtigen 
Urkundenſammlung blieben leider die Wünſche, die in ſachlicher Hinſicht 
nicht allein in diefer Zeitjchrift III, 462 u. IV, 443, fondem auch an 
anderen Orten mehrfach bei Beiprehung des erften Bandes verlauteten, 
ebenſo unberüdfichtigt wie diejenigen, welche wenigitens für die folgenden 
Bände die bereit3 bei dem erften gar fehr vermißte Benugung der Schäße 
mehrerer Archive, die ohne Zweifel reiche Ausbeute geben würden, ver: 
langten. Wie reich würde erft diefe Sammlung fein, wenn lettere gleich 
falls dazu durchforſcht wären, erhalten wir doch trotzdem, daß dieſes nicht 
geſchah, im vorliegenden Theile für den kurzen Zeitraum von 14 Jahren 
576 Urkunden, von denen bei weitem die meiften bisher ungebrudt waren. 
Es wird uns dadurch alfo ein fehr wichtige, neues Material für bie 
richtige Erkennung vieler Einrichtungen und Zuftände ſowohl ald aud noch 
insbeſondere für die einzelnen gejhichtlichen Ereignifie geliefert. So werben 
z. B. mehrere für die Streitigkeiten um Lüneburg ſehr wichtige, bisher aber 
unbelannte Verträge zwiſchen dem lebten Herzog und der altzlüneburgifchen 
Linie und feinen Vettern von Braunſchweig, fowie Anordnungen jenes für 
den Fall feined Todes mitgetheilt, auch einige Nachrichten in Bezug auf 
die Streitigkeiten um die Mark Brandenburg finden fi; wichtiger und 
zahlreicher find jedoch die über die eigenthümlichen Verhältniffe des Bis: 
thums Hildesheim zur Zeit der zwiefpältigen Regierung der Biſchöfe Erich 
und Heinrih. — In der umfangreichen Einleitung hat fih der Heraus: 
geber bemüht, zur Erörterung der Urkunden eine Darftellung des Zeits 
raumes zu geben, den fie umfaflen. Es ift bier nun aud allerdings 
mancherlei zufammengeftellt, mas dieſem Zwede dient, allein es fehlt für 
die Angaben, über welhe man fih nicht aus den Urkunden felbft unter: 
richten kann, der Nachweis und hierdurch möchte es noch zweifelhafter fein, 
ala es fo fchon ift, ob eine derartige Arbeit wejentlihen Nugen ſchafft 





6. Deutfche Provinzialgeſchichte. 689 


oder nit: dem Forſcher bietet fie nicht genug, Andere benutzen faft nie 
Urkundenbücher. U. 


Spehr, Louis Ferd, Friedrich Wilhelm, Herzog v. Braun- 
fhweig-Lüneburg-Dels. Mit Portraits, Schlachtenbildern nad) Monten 
u. andern Illuſtr. hrsg. v. Wilh. Görges. 2. Ausg. db. Friedrich⸗Wilhelms⸗ 
Abum. gr.8. (IVu. 222 S. m. 3 Stahlſt. u. 9 Holzfchntaf.) Braunſchw. Schulbuchh. 

Eine mit ungeheuchelter Begeiſtrung abgefaßte Verherrlichung des 
bei Quatrebras am 16. Juni 1715 gebliebenen tapfern Welfenfürſten. 


Einige Worte üb. die Brauufhweigifhe Revolution von 
1830 u. verſchied. Nachwirkgn. berfelben. 2. Aufl. gr. 8. (47 ©.) Leipzig 1862, 
Schrag in Komm. 


Bohlmann, Dr. Otto, Denkſchrift über die prioritätifchen 
Anſprüche Preußens an das Herzogtfum Braunfchweig » Wolffenbüttel. 
Rad) den Quellen bearb. Nebſt e. Anh. entb. 1 Stammtaf. (in qu. Fol. u. qu. 
gr. Fol.) u. die widtigfien, in Bezug genommenen Urkunden in correctem Ab- 
drud. gr.8. (XLu. 112 S.) Berlin, Mittler & Sohn. 


Wedekind, Amterichter a. D. Ed. Hannover u. Braunfhmweig. 
Beleuchtung u. Widerlegung der Drudichrift: Die Regierungsfolge im Herzog. 
tum Braunſchweig nad) dem Grlöfchen des Braunfchweig-Wolffenbüttelichen 
Fürftenhanfes. gr. 8. (54 ©.) Leipzig, O. Wiegand. 

Die Regierungsfolge im Herzogtbum Braunfhweig nad 
dem GErlöfchen d. Braunſchweig⸗Wolffenbüttelſchen Fürftenhaufes. gr. 8. (47 ©.) 
Berlin, Springers Berlag. 

Andeutungen über die Braunfhweigifhe Succeffion“ 
frage. Bon e. Braunſchw. Juriften. gr. 8. (28 ©.) Braunichweig, Wagner. 


Rolffs, Amtsaffeffor a. D. Alex. die antile Rüflammer des 
Emder Ratbhanfes. Ein Fulturgefchichtl. Beitrag zur Waffen. u. Sitten. 
funde d. Mittelalters. gr. 8. (CV u. 109 8. m. 2 Steintaf.) Emden, Woortmann. 


Heffe, Oberlirhenrath F. H. Beiträge zur Genealogie db. kö⸗ 
nigliden Haufes Hannover. gr.8.(VILu. 808. m. 2 Steintaf. in Imp. 
Hol.) Hannover, Klindiworth. 

Malortie, Oberhofmarſchall Geh.-Rath Dr. €. ©. v. König Ernft 
Auguft. gr. 8. (392 S. m. 3 Bortr. in Holzſchn.) Hannover, Hahı. 

Bodemeyer, Dr. Hüdebrand, die hannoverſchen Berfaifung® 
kämpfe feit 1848. 1. Abfchnitt. Bom März des Jahres 1848 bis zur Be 
rufung d. Minifteriums v. Schele am 23. Rovbr. 1861. gr. 8. (VIII u. 828 ©.) 
Hannever, Diener. 


540 Ueberſicht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


Oppermann, zur Geſchichte bes Königreicht Hannover u. 
1832—1860. 2. Bo. 1848—1860. 8. (452 ©. Zert u. 199 8. Beilagen.) Leipzig. 
D. Wigand. 


Die verhängnipvollen Jahre 1848 und 1849 verliefen in Sannoner 
weſentlich ruhiger, als in manden andern deutfchen Ländern. Aus freien 
Stüden berief der greife König Ernft Auguft das Minifterium Bennigfen 
Stüve und dieſes mußte dann auf Wegen, gegen deren Gejeplichleit ſich 
damals feine Stimme erhob, die von der Seit gebieteriih geforderten 
Neuerungen dur Vereinbarung mit den Ständen anzubahnen. Sn Be 
treff dieſer innern Politit hatte das Minifterium daher auch faft gar feinen 
Widerſpruch zu erfahren, wohl aber ließ deſſen Behandlung und Auffafiung 
der deutſchen Angelegenheiten eine große, einfihtige Partei an der Be 
fähigung deſſelben zur Löfung der großen Aufgaben zweifeln, entzog ibm 
das allgemeine Vertrauen, wie fih bald dur Beſchlüſſe und mehr noch 
Verhandlungen der Stände und mehrerer Vollsverfammlungen, in denen 
auch eine für dieje Zeit wohl feltene Rube berriähte, kund that. — Sn 
obigem Buche find abfichtlih gerade dieſe Verhältnifie umftändih und 
eingehend beſprochen worden, jo daß fih dafür nirgends ein fo reiches 
Detail als gerade hier finden möchte. Erſchoͤpfend ift freilich die Dar 
ftellung keineswegs, denn e3 blieben dabei die Beftrebungen fehr wichtiger 
Kreiſe unberüdfihtigt und daher ift die Schilderung über das Verhalten 
der Hannoveraner, beſonders in ber deutſchen Sache, eine einfeitige. Daß 
dad Minifterium in dieſer Beziehung damals nicht fo tfolirt ftand, wie es 
nad feiner Erzählung ſcheint, hat den Verf. felbft im Vorworte zum erften 
Bande zu der richtigen Bemerkung veranlaßt, erft unter dem jept regies 
renden König habe fi in Hannover eine nationale Partei gebildet. Eine 
ſolche Ungleichheit in der Beachtung der verſchiedenen Factoren des Volks: 
lebens macht fi, wie im erften Bande, mit dem (f. Hiftor. Zeitſchr. V,506) 
diefer manche gute aber auch mande Schattenjeiten theilt, jo aud bier ber 
merkbar. Diefes beſonders in Nüdfiht auf das in diefem Lande jo eins 
flußreihe und daher für eine Betrachtung der Berhältniffe deſſelben fo 
wichtige Beamtenthbum, wogegen der Verf. ein gewifles Mißtrauen zu begen 
fcheint, das ihn ©. 364 zu Neußerungen geführt hat, deren Berechtigung 
in diefer allgemeinen Faſſung doch fehr zweifelhaft fein möchte. Auf bie 
ſtändiſchen Verhandlungen ift weniger als im erften Bande Rüdficht ge 
nommen, wohl deßhalb, weil für dieſe Perioden ftenographiihe Berichte 


542 Ueberficht der Hiftorifhen Literatur von 1861. 


u. der bäuerlichen Berbäftnifie überhaupt, ın. befond. XAuchſicht auf d. Meierrecht 
des Fürftenth. Lüneburg. 1. Heft. gr. 8. (VIu.76&.) Göttingen, Bandenhoel & 
Ruprechts Verlag. - 

Schlüter, Obergerichterath a. D. Dr. E. W. G, Sammlung 
fümmtlider in dem Herzogth. Bremen u. Berden in Beziehung anf 
dag Meierrecht erlaffenen Geſetze, Verordnungen, Ausichreiben u. Refolutionen 


von der älteſten bis auf die neuefte Zeit, nebft e. literar. Anh. gr. 16. (VIIIn. 
1266.) Stade, Steubdel. 


Statififhe Nachrichten über d. Großherzogth. Olbenburg 
hrsg. vom ftatiftifchen Bureau. -4. Heft, enth. A. Durdyjcnittepreife d. @etreides 
u. einiger anderen Nahrungsmittel im Großherzogthum Oldenburg aus deu 
Zahren 1817—1858. B. Stand der Bevölkerung im Großherzogth. Dibenburg 
nad) der Zählung vom 3. Dezbr. 1868. gr.4. (IV u. 165. ©.) Oldenburg 1860, 
Stallings Berlag. 

Hamburgiſche Chroniken, in nieberfähftiher Sprade. Hrég. ©. 
Dr. J. M. Lappenberg. 4. (Schluß-)Heft. gr. 8 (LVI®. u. S. 479634.) 
Hamburg, Perthes-Beffer & Mante. 

Die feit einer Neihe von Jahren in einzelnen Heften eſchienene Aus⸗ 
gabe der Hamburger Chroniken hat im vorigen Jahre ihren Abſchluß mit 
dem 4. Heft erhalten, und es iſt damit eine Arbeit vollendet, durch welche 
Zappenberg fih ein neues großes DVerbienft um die Geſchichte Hamburgs 
und Norbdeutihlands überhaupt erworben bat. Allerdings ift Hamburg 
an Reichthum chromiftisher Aufzeichnungen entfernt nit mit Lübed zu 
vergleihen; weder jo alte nod jo bedeutende Arbeiten find bier unter⸗ 
nommen. Man hat fogar bisher wohl über Mangel und Armutb gellagt, 
und ift nun einigermaßen überrajcht, einen jo ftattliden Band ausgefüllt 
zu ſehen mit Werfen, die doch nicht eben über die Mitte des 16. Jahr⸗ 
hunderts hinabgehen, und zu denen dad umfangreichfte und -bedeutendfte 
Hamburger Thronicon des Thraziger aus dieſer Zeit nicht gehört. Die 
meiften find allerdings erft aus dem 16. Jahrhundert, der Zeit der Re⸗ 
formation; aud finden fi mande Wiederholungen in den verſchiedenen 
Terten; doch fehlt es niht ganz an älteren Darftellungen und nit an 
mancherlei ſehr wichtigen und interefjanten Aufzeichnungen. 

Das ältefte aufgenommene Stüd ift freilih kaum als eine Sams 
burger Chronik zu bezeichnen, fondern eine Holfteinifhe oder Nordelbifche 
Reimchronik, welhe nur auf Hamburg Rüdfiht nimmt. Der Herausgeber 
trennt ein früher befannt gewordenes und ein anderes von mir aufgefuns 


544 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


in Kopenhagen eine andere Abfchrift dargeboten, die hier wiebergegeben 
iſt. Sie enthält mande fpätere Einfchaltungen, die noch über das Jahr 
1542 hinausgehen und von denen nicht ganz deutlich wird, ob fie ih auch 
in dem Hamburger Coder befunden haben. Aber aud das Hauptwert 
ift feine ftetig fortlaufende Chronik, fonbern befteht zum Theil aus Rela- 
tionen über einzelne Begebenheiten, die an einander gereibt find, wie wir 
Aehnliches in Regkmann's Lübeder und der neuerdings herausgegebenen 
Züricher (falſch: Klingenberger) Chronit und fonft finden. Eine folde 
Relation ift die des Claus Kröger über den Münfterfhen Aufftand. Mens 
bei dieſer auf die Lebereinftimmung mit dem Bericht des fogenannten 
Dorpius hingewieſen wird (6.68 n.), jo hätte wohl die nähere Unterfuchung 
von Cornelius über den Urfprung und Verfaſſer desfelben erwähnt werben 
dürfen (Münfter. Geſchichtsquellen IL, S. XI fj.); Comelius feinerjeits 
bat diefe Erzählung, in der fi Kröger ausprüdiih als Autor nambaft 
macht, nicht gekannt. Andere Nachrichten beziehen fih auf die Wullen- 
wever'fche Bewegung, und konnten von mir aus dem damals ſchon publis 
cirten erften Hefte bei meiner Darftellung derjelben benugt werben. 
Anderes über diefe Zeit bieten aber jetzt auch bie Ipäter erfchienenen 
Theile des Bandes. Bon Bedeutung ift namentlich ein fogenannter Auszug 
der Wendiſchen Chroniken, eine Zufammenftellung aus verfchiedenen ıumter 
fih verwandten, aber im Einzelnen abweichenden Handſchriften (S. 229 
—299), zu denen aud ein älteres Fragment (S. 227—228) und dann 
mehrere Fortfegungen gehören. Das zu Grunde liegende Werk fcheint 
noch in der zweiten Hälfte des 15. Zahrhundert3 begonnen und dann von 
mehreren fortgeführt zu fein; eine der verſchiedenen älteren Redaktionen 
bat au in der Chronik Gyſeke's Aufnahme gefunden. — Am intereffan- 
teten für die Wullenwever'ſche Zeit ift eine Aufzeichnung über die Jahre 
1531—1534 (S. 300 f}.); bier findet ſich zuerft die ausdrüdliche Angabe, 
daß Wullenwever, wie e3 Lappenberg früher wahrſcheinlich gemacht, in 
Hamburg geboren; übrigend tritt eine gewiſſe Verwandtſchaft mit den 
Nachrichten in. Kock's Lübſcher Chronik hervor. — Verſchiedene Jahr⸗ 
bücher aus den 30er und 40er Jahren, die ſich anſchließen und von denen 
ein Exemplar den Bürgermeifter Reder als Verfaſſer kundgiebt, zeigen 
unter ſich und mit den ſchon genannten an manchen Stellen faſt woͤrt⸗ 
liche Uebereinſtimmung; die eigentliche Grundlage dieſer verſchiedenen 
Berichte ſcheint aber noch nicht ermittelt; und vor der Hand kann man 





6. Deutſche Provinzialgeichichte. 545 


nur dankbar fein, daß alles vorhandene Material möglihft vollftändig ge: 
geben ift. 

Das jüngfte Etüd der Sammlung ift eine Chronit von 1559, die 
wenigftens feit dem Anfang der 30er Jahre vollftändig, "aber in dieſer 
Zeit noch fehr kurz ift, aber fpäter an Bedeutung zunimmt. An diefe 
wird fi Thraziger anjchließen, von dem Lappenberg jeit längerer Zeit 
eine bejondere Ausgabe begonnen hat. 

Durch nähere Nachweiſe über die einzelnen Werke in der Einleitung, 
nöthige Erläuterungen, Sad: und MWortregifter ift die Benutzung dieſer 
Sammlung in jeder Weife erleichtert, und wenn der Herausgeber jüngerer 
Mitarbeiter, der Drr. Junghans und Meier, in der Vorrede für mancherlei 
Hülfe dankbar gedenkt,fo haben wir Grund ihm zu vollem Dank verpflichtet 
zu jein für die unverbroffene Mühe, die er diefer Unternehmung des his 
Roriihen Vereins zu Hamburg zugewandt hat. Cine der wichtigiten deut: 
fen Städte hat fo ihre Chronilen in würdiger und bequemer Bearbeitung 
fowohl den eignen Bürgern wie allen Freunden der Geſchichte dargeboten. 

G.W. 

Bugenhagens Hamburgiſche Kirhenordnung. Im Auftrage 
e. Oochehrwurd. Minifteriums überfegt u. hrsg. dv. Pred. C. Möndeberg. 
er. 8. ( u.1%0 S.) Hamburg, Nolte & Köhler. 

Befften, Bred. Dr. Johs, Johann Windler u. die bambur 
giſche Kirche in feiner Zeit (1684—1705) nad gleichzeitigen, vornehmlich 
handſchriftlichen Duellen. Mit dem (lith.) Bildniffe Windlers, e. Facſ. feiner 
Handſchrift u. feinem Wappen. gr. 8. (XIu. 446 S.) Hamburg, Nolte & Köhler. 

Sammlung ber Berorduungen der freien Hanfe-Gtabdt 
Hamburg feit 1814. 29. Bd. Verordnungen v. 1860, nebft Regifter üb. den 
10.29. Bd., bearb. v. Ardivar Dr. 3. M. Lappenberg. gr.8. (VIlln, 
452 ©.) Hamburg, 3.4. Meißner. 

Zohanfen, Ehr., Befhreibung der mordfriefifhen Inſel 
Amrum. Mit 1(iith.) Abbild. m. 1 (lith.) antiquar. Karte (in gr. 4.) gr. 8. 
(46 ©.) Schleswig 1862, Heiberg’6 Buchh. 

Zwanzigfier Bericht d. König Schleswig-Holflein-Lauem 
burgiſchen Gefellichaft f. die Sammlung u. Erhaltung vaterländifcher Alter⸗ 
thamer. Mit 5 Steindrudtaf. Namens d. Borftandes herausg. v. Privatdac. 
Dr. 8. HSandelmann. gr. 8. (M u. 668.) Kiel, aladem. Buch. in Comm. 

Saudelmann, Bein, Nordelbifhe Weihnadten. Ein Beitrag 
zur Gittenfunde. (Abdr. aus ben Jahrbücher f. d. Landesfunde der Herzogth. 
Sqhleewig, Holſtein u. Lauenburg.) gr. 8. (38 ©.) Kiel, Homann. 











. 
ur. .= 


546 VUeberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


VBeterfen, Prof. Chr., die Pferdekpfe auf den Banuernhäm 
fern, bejonders in Nord » Deutichland. Als 19. Bericht d. Kgl. Schleswig. 
Holft.-Lauenburg. Gef. f. die Sammlung u. Erhaltung vaterländ. Alterthümer. 
(Abdr. aus den Jahrbüchern f. die Landeskunde der Herzogih. Schleswig, Hel- 
ftein u. Lauenburg.) Mit 4 Steindrudtaf. gr. 8. (71 ©.) Kiel 1860, Akadem. Buchh. 

Zur Kunde vaterländifher Alterthämer. S. 9. 2. antiquer. 
Mittheilgn. v. Jahre 1860. (Nr. 18 der veröffentlichten Berichte.) (Abdr. ans 
den Jahrbüchern f. die Landestunde der Herzogthümer Schleswig, Holſtein u. 
Lauenburg.) gr. 8, (22. m. 1 Steindrudtaf.) Kiel 1860, Aladem. Buch. 

Moraht, Baftor A, Carl Friedrid Wilhelm Catenhuſen, 
weil. Superint. des Herzogth. Lauenburg. Ein Denkmal. gr.8. (127 ©.) Repe 
burg, Linien. 

Zander, Dir. Prof. C. 2%. E, das Herzogthum Lauenburg 
indem Zeitraum von der franzöfifchen Occupation im 3. 1808 bie pu 
Webergabe an die Krone Dänemark, im I. 1816. 1. Abth. gr. 8. (85 ©.) 
Ratzeburg, Linſen. 


Jahrbücher für die Landeskunde der Herzogth. Schles 
wig, Holftein u. Lauenburg, reg. v. der ©. H. 2. Geſellſchaft f. vater 
länd. Gefchichte, red. v. Th. Lehm aun u. 9. Handelmann 4. Bb.4 Hfte. 
gr. 8. (1. Hft. 136 S. m. 4 Steindrt.) Kiel, akad. Buch. in Comm. 1. Die 
Hausmarten auf der Inſel Fehmarn von Leonh. Selle, S. 1—21. 2. Einige 
Bemerkungen über das urgefdichtliche Schleswig. Holfteinifhe Land. Ein 
Beitrag zur hiftor. Geographie von Dr. v. Maad, Berlin 1860. S. 22 8. 
8. Der Odjfenmarft in Wedel und das Gericht der Ochſenhändler vor bem 
Roland daſelbſt von DAR. a.D. Rud. Brintmanm, © 4—40. — 4 
Das Taubftummeninftitut zu Schleswig von 1843—1860 von Dr. Baulfen 
&. 41—60. — 5. Das Schnellmarker Holz u. die Zigeunerhöhle vom Lehrer 
Martens, ©. 61—64. — 6. Ueber die Ablöfung des Naturalzehnten im ber 
Bropftei Hadersieben und ihre Ergebniffe von Otto Kier, S. 65—1R. — 
7. Die Inſel Amrum. S. 121—200. — 8. Zur Gedichte der kirchlichen Stif 
tungen von Chr. Jeſſen, Dr. phil ©. 201—214. — 9. Die Kirchen der 
Herzogthümer, S. 215—237. — 10. Ueber das Verhälmiß der Stadt Heili- 
genhafen zu dem parcellirten Düfelesdorfer Yelde von Dr. ©. W. Dittmer, 
©. 238—243. — 11. Nordalbingifhe Weihnachten, ein Beitrag zur Sitten 
funde von 9. Handelmann, ©. 268—296. — 12. Ueber die auf der Ca 
pitulationsacte vom Jahre 1559 berufenden Steuerverhättniffe Ditmarfchene 
von Otto Kier S. 297—343. — 13. Dr. Guſt. Roß, ein Nefrolog von Dr. 
Maunhardt, ©. 344-347. — 14. Einige Bemerkungen über ©. Hanffen 
die Aufhebung der Leibeigenfchaft 2c. in Schleswig und Holftein, Petersb. 1861 
von Brof. 9. Ratjen, ©. 848384. 





6. Dentſche Brovinzialgeichichte. 547 


Unter den Heinen Mittheilungen erfheint bemerlenswerth: Zur Samm- 
lung der Sagen, Märhen und Lieder, der Sitten und Gebräude ber 
Herzogthümer. Mitgeth. von 3. Diermisjen u. 4. 

Baterländifhes Ardiv f. das Herzogthum Lauenburg. Unter Mit⸗ 
wirfg. landeskundiger Männer breg. vom Auditenr u. Gerichtehalter Sach au. 
8. Bd. 3 Hfte. gr. 8. (1. Hft. 118 ©.) Rageburg, Linſen. j 

Hanffen, Geh. Reg⸗R. Prof. Dr. Geo, die Aufbebung der 
Leibeigenfhaft u. die Umgeftaltung der gutsherrlid-bäuerli 
hen Berhältniffe überhaupt in den Herzogth. Schleswig und Holfleim. 
Gekrönte Preisfchrift. Ler.-8. (IH u. 195 ©.) St. Petereburg. Leipzig, Voß. 

Der DVerf., der bekanntlich feine academifhe Carriere in Kiel begann 
und den Verhältniſſen der Herzogthümer immer mit befonderem Synterefie 
zugethan blieb, hat für die Löfung des bier behandelten Themas die 
Schätze einzelner reihhaltiger Gutsarchive und anderes bedeutendes Mate: 
rial benugen können. Die Abhandlung beipricht in einer kürzeren Ueber: 
fiht die Entwidlung der Leibeigenfchaft und geht dann zu einer Schilde 
rung des Ynftitut3 im 18. Jahrhundert über, auf melde die Darftellung 
der Aufhebung derfelben und ihrer Folgen in einer außerordentlich einge- 
benden und lehrreihen Weife folgt. Dieſe beiden legteren, die eigentlichen 
Hauptabſchnitte der Arbeit, enthalten ein reiches Material, das die Mei: 
fterhand des Verf. vortrefflih zufammengeftellt hat. Die Maßregel jelbft 
gehört weſentlich zu dem Bilde jenes humanen Abjolutismus, durch ben 
die Regierung der dänifhen Oldenburger fih am Schluß des vorigen 
Jahrhunderts auszeichnete und deſſen glänzender Repräfentant Peter Ans 
bread v. Bernſtorf unmittelbar fi) gerade an diefem großen Unternehmen 
betheiligte. Der Verf. verfolgt die ganze Bewegung, deren Endrejultat 
in den Händen der Regierung fo glüdlich verlief, von ihren erften zum 
Theil wunderbaren und ſchwierigen Anfängen, und läßt uns dann bie 
ſchließliche Durchführung und die Wirkung der Mafregeln eingehend übers 
jeben. Weniger möchten wir ihm in den einleitenden Abfchnitten zuftinmen, 
wo er unzweifelhaft bei der Entwicklung ſowohl wie bei der vollen Aus: 
bilvdung der Leibeigenfhaft viel zu wenig Gewicht auf den natürlichen 
Gang der biftorifhen Thatſachen, namentlih der Colonifation Wagrims 
legt, und den egoiftifchen Intereſſen der großen Grunpbefiger einen viel 
größeren Einfluß zufchreibt, als fie wirklich hatten. N. 

Schröder, Oberſt a.D. Jobs. v., Darftellungen v. Schloſſern 


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548 Weberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


u. Herrenhäufern der Herzogth. Schleswig, Holflein u. Lauenburg, ıı 
zugsweife aus d. 15. u. 16. Jahrh. 4. (VII u: 156 &. m. 46 Gteindrtaf. 
lith. Titel.) Samburg, Perthes-Befjer & Mauke. 

Es war ein glüdliher Gedanke des Verf, in dem vorliegenden Wei 
zufammenzuftellen, was eine Reihe älterer Arbeiten an Abbildungen älter 
Schlöffer und Apelfige bot. Cr führt in der Einleitung vie von Hemmi 
ges von 1590, Linveberg von 1592, Braun von 1572 als feine hau 
fählihen Quellen an, der daͤniſche Vitruvius von 1799 bot einzelne me 
neuere Sachen. Die künftleriihe Reproduktion verbient wegen ihrer us 
fihtigen Treue, die von :aller Schönthuerei abgejehen, befondere Anerke 
nung. Der Berf. ift ala Kenner der einheimiſchen Topographie, GStatif 
und Geſchichte unter feinen Landsleuten rühmlichſt befannt und bat ſu 
namentlih als Herausgeber topographiſcher Arbeiten aud) außerhalb fein 
alten Heimath einen anerlannten Namen erworben. Seine Mittheilunge 
zur Geſchichte der betreffenden Edelhoͤfe bieten ein reiches und zumerläffige 
Material. Wir bedauern nur, daß er nicht wenigftend im Allgemeine 
für den ernerftehenden die hauptfädlichften Quellen für diefe Gutäg 
ſchichten aufgeführt hat. In der Einleitung wäre es wohl möglich gewefe 
das Bild des adelihen Lebens in den Herzogthbümern auch aus einheim 
ſchen Quellen zu vervollitändigen. Ein ſehr intereflanter Beitrag ift d 
Plan der innerem Einrichtung des Schloſſes Pullos von 1598 aus & 
Bibliothek der antiquariihen Gefellihaft zu Kiel und ift nur zu bebauen 
daß e3 dem Verf. nicht möglich geweſen, und eine ahnliche Einſicht in eim 
der älteren Bauwerke zu verfchaffen. N. 


Ratjen, Brof. Bibliothelar H., Johann Earl Heinr. Dreye 
Prof. des deutfchen Rechts u. der Praxis in Kiel x. u. Ernſt Joachim 
Weftphalen, Rechtslehrer in Roftod, Geh. Rath d. großfürftl. Holfteine m 
Eurator der Kieler Univerfität. Beitrag zur Geichichte der Kieler Univerfität ı 
der juriſt. Titeratur. gr. 8. (IV u. 189 ©.) Kiel, afad. Buch. 

Diefe Monographie behandelt zwei für die Geſchichte des deutſche 
Rechts während des vorigen Jahrhunderts befonders wichtige Perfönlic 
feiten. Der verehrte Senior der Kieler Univerfität war wie feiner geei, 
net, das literarifhe Material, auf das es bier anlam, vollftändig un 
volllommen zuverläffig zufammenzuftellen. Weber die fteigende Bedeutu 
der germanischen Rechtsquellen, für den Kampf der roͤmiſchen und der 
ſchen Nechtsanſchauungen wird die allgemeine Redhtögefhichte eine Men 





6. Dentſche Provinzialgefchichte. 549 


intereffanter und ſicherer Thatfachen finden. Daneben geht die Darftellung 
auch ausführlid auf die politifchen Vermwidelungen des Gottorper Hofes 
ein, in der Weſtphalen eine jo hervorragende Stelle einnahm. Wir dürfen 
neben diefer Arbeit auf die Biographien namentlich der juriftifhen Kieler 
Brofefioren aufmerkfam machen, die der Verf. fhon früher in ven vers 
ſchiedenen Yahrgängen der Chronik der Univerfität Kiel veröffentlicht hat. 
und aus denen allmälig ein außerordentlich detaillirtes und inftructives 
Bild des gelehrten Leben? am Echluß des 17. und in der erften Hälfte 
des 18. Jahrhunderts erwaͤchſt. N. 


Chronit der Univerfität zu Kiel. 1860. gr. 4. (98 ©.) Kiel, 
(akadem. Buch.) 


Zeitfhrift des Bereins für Lübedifhe Geſchichte und 
Alterthumsktunde. 8 3.Hft.(S.263—416). m. Taf. Lübed, Afchenfeldt. 
Die flaatsbürgerliche Etellung der Sandwerler-Corporationen in Lübed, vom 
Staatsarhivar Wehrmann. — Aus den Aufzeichnungen bes Lübedifchen 
Vürgermeiftere Heine. Vrokes (Fortſetzung), vom Ober-Appel.Geriähter. Dr. 
Bauli. — Caspar Kolzte, Prediger an St. Petri, von Oberlehr. Sartori. 
— Die ehemalige Sängerfapelle in der Marientirhe, v. Etaatsardiv. Wehr⸗ 
mann. — Die Bäder zu Lübeck in den Hungerjahren 1645—1547, mitge- 
theilt v. Ober-Appell-Ger. Dr. Bauli. — Miscellanea: 1. Aeltere Straferfennt- 
niffe aus dem nicht mehr vorhandenen liber judicii ; mitgetheilt v. Bauli. — 
2. u. 3. Gin Recept aus dem 13. Jahrhundert und 2 Reifepäffe aus dem 
15. Jahrh., mitgeth. von Wehrmann. — Heidniſcher Steinbau bei Blan⸗ 
fenfee, von Paſtor 8. Kluge, 


Raabe, Abvofat ®., medlenburgijhe Baterlandslunbde. 
15. Lfg. 8. (3. Thl.: Staatsfunde der beiden Großherzogthümer Medlenburg. 
199. ©.) Wismar, Hinftorff. 

Fromm, 2, Leitfaden der Geſchichte Medlenburg®. 8. 
(IV u. 127 ©.) Schwerin, Bärenfprung. 


Medienburgs Bollsfagen. Gefammelt u. hreg. v. M. Dr. U. 
Niederhöffer 4. Bd. 3. Hft. br. 8. (S. 129—192.) Leipzig, Hübner. 


Sammlung von Berordnungen, Belanntmahungen und 
Neicripten aus den 3. 1848—1851, betr. die Berfafjung n. Bürgerrepräfen- 
tation der Stadt NRoftod. 4. (V u. 14 ©.) Roftod, Leopold in Comm. 


Pabſt, Carl Rob., Theodor Müllers Jugendleben in Med- 
lenburg und Jena. Ein kulturgeſchichtliches Lebensbild aus ber Zeit ber 


550 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


deutſchen Knechtung und Befreiung mit bejonderer Rüdſicht auf das jenaifde 
Studentenleben bis zum 3. 1815. (XX u. 178 ©.) 

Der Mann, deſſen Jugendgefchichte vorliegende Schrift gewidmet in 
mag in feinen Berufe und für jeine näheren Freunde immerhin tüdhtig und 
vortrefflich gemwejen fein, ihn aber zum Gegenftande einer ausführlichen Bi 
graphie für dad größere Publikum zu maden, ift durch den Subalt 
derjelben in nichts gerechtfertigt und wird man dad Buch mit dem Ge 
fühle der Gnttäufhung aus ber Hand legen. Gerade die Schilvdenumg 
des Aufenthaltes in Jena, allerdings in der bedeutendſten Periode dieſe 
Hochſchule, bewegt fih in der Erzählung der trivialften Bortommmik 
des Stubentenlebend, und mad das Moment der „deutſchen Knedhtum 
und Befreiung” anlangt, fo fteht die Sache fo, daß ber Gefeierte thab 
fählich keinen altiven Antheil daran nehmen konnte. Außerdem belabe 
der Berf. feine Darftellung mit der breiten Wiederholung allgemein langt 
befannter Vorgänge und Verhältniffe in dem Grabe, daß eben mit daburd 
biefelbe einen fo unerlaubten Umfang gewonnen und der Beruf des $. 
Pabftes zum Biographen höchft zweifelhaft wird. Lebensbefhreibungen von 
Perfönlichleiten, deren Bedeutung einen engeren Kreis nicht überfchreitet, 
werben nur dann auf Anerkennung rechnen dürfen, wenn fie fo kurz ala 
möglih gehalten find und alles Allgemeine und Unmejentliche übergaw 
gen wird. — g — 

Geſetzſammlung für die Medlenburg- Shwerim’fhen 
Lande. 1. Sammig., vom Anbeginn der Thätigfeit der Geſetzgebg. bie zum 
Anfange des 19. Jahrh. 2. verm. u. verb. Auflage der fogenannten Bardim’ 
ichen Gefepfammig. 1. Bd. 2. Lg. Ler.-8. (S. 129—256.) Wismar, Hinftorfl. 

Wiggers, Mor, zwei Borträge üb. die agrarifhen 3= 
fände in Medlenburg-Schwerin, gehalten am 14. Septb. 1859 « 


10. Septbr. 1860 auf den voltswirthichaftl. Congreſſen zu Frankfurt a M. 
u. Köln. gr. 8. (19 ©.) Leipzig, Lehmann. 
Wiggers,Dr. Jul., BierundvierzigMonate Unterfuhung® 


haft. Ein Beitrag zur Geſchichte d. „Roftoder Hocdverratheprocefjes.” gr. 8. 
(DI u. 260 ©.) Berlin, Springers Berl. 


Jahrbücher für Medienburgifhe Geſchichte und Alter 
thumskunde, hrsg. v. Ch. Ant. Pifh u. W. ©. Beyer, Secretären det 
Vereins. 26. Jahrg. 1861. 8. Inhalt: Ragotzky, Joachim von Zee, 
Canzler des Herzogs Albrecht von Medlenburg. — Liſch, Joachim von Jete, 
Canzler des Herzogs Albrecht und befjen Regierung. — Derfelbe: Weber des 





6. Deutige Provinzialgefchichte. 651 


Dr. Johann Knutzen Gejandtichaftereife an den Kaifer Karl V. in Stalien im 
3. 1538. — Derfelbe: Weber den fürftl. Werleſchen Geſtüt- und Jagdhof Pufta> 
fow bei @üftrow. — Derfeibe, über die Zochter des Fürften Johann II. von 
Werle⸗Güſtrow. Zur Vltertdums, Bau, Münz, Geſchlechter, Wappen, 
Naturkunde und Kunftgeihichte. 


6. Brandenburg Preußen. 


Heinel, Pred. Dr. Ed. Geſchichte Preußens (bie auf die neuefte 
Zeit) f. das Boll u. die Jugend nebſt e. Anh., das Wichtigſte aus der Ge 
ſchichte Brandenburgs enth. 6. verb. u. verm. Aufl. Mit 1 (fit. und color.) 
Karte v. Preußen während d. Herrichaft des deutichen Ordens (in 4.) gr. 8. 
(VIH u. 440 ©.) Königsberg, Unger. 


— — Gedrängte Ueberſicht der vaterländ. Geſchichte ale 
Hülfebuch zur Erfernung derfelben. 11. Aufl. (IV und 68 ©.) Königsberg 
1860, Unger. 


Boigt, Brof. F., OGrundriß der brandenburgifch-preußi- 
ſchen Geſchichte in Verbindung mit der dentichen. gr. 8. (VI u. 84 ©.) 
Berlin, Dümmler’s Verlag. 


Schmidt, Kerd., Preußens Gefchichte in Wort u. Bild. Illuſtrirt 
(in eingedr. Holzichn.) von Ludw. Burger. Dedicatione-Ausg. 2. Lig. hoch 4. 
(&p. 81—160.) Berlin, Lobed. 


Bfifner, Br. G. Geſchichte des Breußifhen Staates. Mit 
befond. Berädfihtigung der Hohenzollernfchen Lande f. Schule u. Haus bearb. 
gr. 8. (IV u. 543 ©.) Hechingen 1861. (Sigmaringen, Zappen.) 


Kattner, H., Abriß der brandenburgifd-preußifden Ge 
ſchichte von den älteſten Zeiten bis 1860. Nebſt 1 dazu gehör. (lith.) Ruh⸗ 
me&-Gedentblatt. 4. (8 ©.) Berlin 1860, v. Trautmann. 


Löſchke, Karl Jul, mertwürdige Begebenheiten aus der ſchle⸗ 
ſiſchen n. brandenburgiſch preußiſchen Geſchichte. Zum Gebrauch in Koltsjchulen. 
6. Aufl. gr. 8. (VI u. 225 ©.) Breslau, Graß. Barth & Co. Sort. 


Gieſemann, Santor Lehr. 3. 5. A. gedrängte Ueberficht der 
Geographie nnd Geſchichte des preußifchen Staates. 5. verb. Aufl. 8. 
(21 ©.) Eisleben, Reichardt. 


Koliberg, Dr. 3. B. v. die Weiffagungen Hermanns von 
Lehmim über die Beichide Preußens u. Deutſchlande. Geſchichtl. Nachweiſung 
der Erfüllung obiger Weiffagung in e. gedräugten Ueberfiht der preuß. Ger 
fehichte. 2. umgearb. Aufl. 8. (29 ©.) Tuttlingen, Kling. 

Hlßeriige Beitigeift VII. Bent. 88 


652 Ueberficht der Hiftorifchen Fiteratur von 1861. 


Dieterici, Dir. C. F. W. Daudbud der Statiftil d. preuf. 
Staats. 6—8. Heft. gr. 8. (481 &.) Berlin, Mittler & Soft. 


Grote, 9., Geſchichte des Königl. Preuß. Wappens Ki 
tisch, hiſtoriſch u. kunſt⸗hiſtoriſch. (Abdr. aus den Münzftubien.) gr. 8. (184 Ep. 
mit 1 Steintaf.) Leipzig, Kahn in Commı. 


Kletke, Karl, Quellenkunde der Geſchichte bes Preuß: 
hen Staats. 2.8. U u. d. T.: Urfunden-Repertorium f. d. Geſchichte 
bes Preuß. Staats. gr.8. (XTI u. 704 ©.) Berlin, Schröders Berl. 

Die vorliegende Arbeit bildet den zweiten Band von der Duelle: 
funde der preußifhen Geſchichte, deren erfter Theil bereit? 1858 erſchie⸗ 
nen ift. Mit emfigem Fleiße find alle die Sammlungen und fonftigen 
Merle zufammengeftellt, welche urkundliches Material enthalten, und zwar 
der Art, daß von den allgemeinen deutſchen Berhältnifien ausgehend bis 
zur Geſchichte einzelner Landestheile, Städte und Yamilien hinabgeftiegen 
wird. Es find aber nit etwa bloß die Titel der betrefienden Werte, die 
bier aufgeführt werden, fonvern vielmehr ift auch der Inhalt jedes ein- 
zelnen mit großer Vollftänvigkeit angegeben. Was die Braudhbarleit der 
äußerft mühjamen Arbeit in hohem Grade erhöht, das ift der Umſtand, 
daß ein beigefügtes Regifter alle Urkunden überſichtlich zujammenftellt, die 
fh auf die Spezial: Gefhichte der einzelnen Regenten in Brandenburg: 
Preußen beziehen, während ein anderes die Urkunden des umfangreichen 
Riedel'ſchen Coder nah den Jahren ordnet. Es ift damit ein vortreffliches 
Hülfgmittel geboten, das urkundlihe Material irgend eines Zeitabſchnittes 
leicht zu überjehen. F. V. 

Märker, Geb. Archivr. Dr. Traugott, die Wahlſprüche der 
Hohenzollern. Zur KrönungsFeier Er. Maj. des Königs Wilhelm I. und 
Ihr. Maj. der Königin Augufte. Ler.-8. (VIII u. 22 ©.) Berlin, Deder. 

Der Berfafler hat zur Krönungsfeier des Königs Wilhelm I. viefe 
kleine Schrift zufammengeftellt, welche von Kurfürft Friedrich I. anhebend 
bis auf König Friedrich Wilhelm IV. berab die Wahlſprüche der Fürften 
und vieler Fürftinnen der Kurlinie, ſowie der fränkiſchen und preußifchen 
Nebenlinien aufzählt, wie fie von ihnen auf Waffen, Münzen, in Stamm: 
büchern ꝛc. gebraudt worden find. Mit auffallender Uebereinftimmung 
tragen fajt alle den Stempel wahrer Froͤmmigkeit, ſtrenger Gerechtigkeit 
und Hingebung für das Vaterland ; es find gleichſam einzelne ſcharfe Pin: 
jelftribe,, die nicht bloß die Perfönlichkeiten, fondern auch die ganze Ya: 





6. Dentiche Provinzalgefchichte. 658 


milte Iennzeichnen, wenngleich ausnahmsweiſe 3. B. der Wahlſpruch des 
Adminiftratord von Magdeburg Chriſtian Wilhelm und des Kurfürften 
Georg Wilhelm wenig mit dem Charafter dieſer Fürſten übereinitimmt. 
F. V. 

Riedel, Adph. Krdr., Geſchichte des prengifhen Könige 
hanſes. L Theil: Die Grafen von Zollern und Burggrafen von Nürnberg. 
(X u. 502 ©.) I. Thl.: Markgraf Friedrich, erſter Kurfürft von Branden- 
burg aus dem "burggräflihen Haufe Zollern. (X und 597 ©.) Berlin 1861, 
R. Gaertner. 

Zwei größere Arbeiten, durch königliche Munificenz ins Leben gerufen 
oder doch unterftüßt, haben in neuelter Zeit den Stoff geſammelt, durch 
welchen vie ältere Geſchichte des preußiſchen Königshauſes und deſſen Wirk: 
ſamleit in der Mark insbeſondere ein ganz neues Licht gewonnen bat, bie 
eine, die Monumenta Zollerana des Freiherrn v. Stillfriev, Grafen 
von Alcantara im Berein mit dem Geh. Archivrath Dr. Märder, bie 
andere, der Codex diplomaticus Brandenburgensis des Geheimraths 
Riedel, eritere feit 1852 in 7 Bänden, letztere feit 1858 in 31 Bänden 
erfchienen. Niemand war wohl mehr geeignet, nach biefem reichen urkund⸗ 
lihen Material eine Geſchichte des Hohenzollerihen Haufes zu bearbeiten 
als gerade diefe Männer, welche mühevoll den Stoff aus den verſchieden⸗ 
fien Archiven und Sammlungen zufammengebradht haben. In hohem Grade 
erfreulich ift es daher, daß Riedel ſich diefer weitfchichtigen Arbeit unter: 
zogen bat, er, der feit mehr ald 30 Jahren — von feiner gelrönten 
Preisfchrift „Die Mark Brandenburg im Jahre 1250” erfhien der erfte 
Band 1831 — unausgeſett für die Aufklärung der brandenburgifchen 
Geſchichte mit außerordentlihem Erfolge thätig geweien iſt. Die beiden 
erften Theile dieſes Werles liegen in fauberer Ausitattung vor und und 
führen die Geſchichte der Hohenzollern bi® zum Jahre 1440 herab. 

Den Namen „Zollern“ erklärt der Verfaſſer für gleichbedeutend mit 
„Söller,” „Altan”, und bie ifolirte Lage vor der rauben Alp kann ſehr 
wohl dem Burgberge dieſen Namen verſchafft haben. Nach viefer Burg 
genannt erjheinen 1061 zwei Brüder, Burchard und Wezel; ver leptere 
ftiftete die Linie der Grafen von Haigerlodh, die ſchon nad) etwa 100 Jah: 
ven ausftarb, die Rachlommen des erfteren fpalteten ſich abermals in zwei 
Bweige, von denen ber ältere, die Grafen von Hohenberg, allmählig ver- 
armie und 1486 erloſch, der jüngere dagegen den Namen „Bollern” oder 


654 Ueberfit der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


„Hohenzollern“ beibebielt und noch jet in zwei Linien fortbläht. Yus 
diefem jüngeren Zweige vermählte ſich Frievrih IIL mit Sophia ven 
Raabe (am Zufammenfluß der deutſchen und mähriihen Thaya, nicht das 
weiter öftlich liegende Rep, wie v. Stillfried in „Die Burggrafen vom 
Nürnberg” 1844 annahm), der Erbtochter des oͤſterreichiſchen Grafenhax 
ſes, dem feit 1105 der Schug der kaiferlihen Burg in Nürnberg awer 
traut worden war und das 1190 ausſtarb. Kaiſer Heinrich VI. belehne 
darauf den Grafen Friedrich III. (I.) von Hohenzollern mit dem Bay 
grafthum, und dieſer vererbte dafjelbe auf feinen älteren Sohn Conrad IIL 
und deflen Nachkommen, während der jüngere (nicht ältere, wie oftmall 
angenommen) Friedrih der Stammvater der Fürſten von Sobenzlien 
Hehingen und Sigmaringen murbe. 

Ausführlicer erzählt hierauf Riedel, überall auf die Quellen zurkk 
gehend , die Geſchichte der Burggrafen ſechs Generationen hindurch bi 
binab auf Friedrich VI. Stet3 haben fie ven Kaifern in Rath und Zhet 
treulich zur Seite geftanden und find von benfelben hoch geehrt worden. 
So bielten e8 Conrad III. und fein Sohn Friedrich ITT. mit den Se 
benftaufen, und als Conradin in Neapel einen jhmählichen Untergang ge 
funden, war es derſelbe Friedrih, dur deſſen Umfiht und Thätigleit vie 
Habsburger auf den deutfchen Thron gelangten und denjelben behaupteten. 
Ebenſo war es Friedrich IV., der Ludwig von Bayern zum Kaiſerthrone 
verhalf, den Ludwig „ven Retter des Reiches“ und den „eigentlichen 
Sieger bei Mühlvorf” nannte, und deſſen „weile, bewährte Ratbfchläge” 
er rühmte. Daher kam es, daß Burggraf Conrad ILL. in Defterreih, Jo 
bann II. in der Mark von den Kaifern zu Statthaltern eingefegt, und 
daß Frievrih IV. zum Oberanführer gegen Meißen fowie fpäter gegen 
Böhmen ernannt wurde. Das Anfehn der Hohenzollern im ganzen NReide 
war der Art, daß, als man damit umging, für Wenzel einen andern 
König zu wählen, fie zu den Familien gehörten, welhe auf die Wahl kom: 
men follten. Zum Unterhalt der Burggrafen waren, außer nicht unbedeuten: 
den Gefällen, urfprünglid nur drei Ortſchaften angewiejen; jene Cintünite 
und Rechte überließ Zrievrih VI. 1427 großentheil3 den Rürnbergern 
täuflib, ala dieſe das burggräflide Schloß 1420 zerftört hatten; das Land: 
richteramt dagegen behält ſich Friedrich vor, das anfänglih nur Die nächfte 
Umgegend von Nürnberg umfaßte, im Laufe der Zeit aber faft über gan 
Deutſchland ſich eritredte. Der urfprünglid fo unbebeutende Grunpbefi 








6. Deuntſche Provinzialgeſchichte. 655 


der Burggrafen wuchs allmäblig durch ihre außerordentlich forgfältige Fi⸗ 
nanzwirtbichaft zu fo großem Umfange, daß er 1363 zu einem Fürſten⸗ 
thbum erhoben wurde. In ganz Deutſchland, jagt Riedel, ift fein zweites 
Beifpiel belannt, dab es, wie den Burggrafen, gelungen wäre, ohne be: 
fondere Taiferliche Verleihungen, ohne den Anfall ſchon gebildeter größerer 
Zerritorien und ohne gemwaltfame Groberungen ein jo umfangreiches Ge: 
biet auf dem friedlihen Wege privatrechtliher Erwerbung zuſammen zu 
bringen. Und, gleichſam ala Ergebniß feiner Unterfuhung, faßt er am 
Schluſſe dieſes Bandes kurz zufammen, daß nicht fowohl das burggräfliche 
Amt den Hohenzollern eine jo hohe Bedeutung gegeben hat, jondern daß 
vielmehr die große Perfönlichleit der Burggrafen ihrem Lande und ihrem 
Haufe die hervorragende Makhtitellung verjcaffte. 

Der ungleih größere Theil des Inhalt? vom zweiten Bande war 
bereit3 früher von dem Perf. veröffentlicht worden. In dem vorliegenden 
Werte ift nun nicht bloß eine forgfältige Ueberarbeitung des früher Gege: 
benen enthalten, fondern es wird aud die Geſchichte Friedrichs I. bis zu 
feinem Tode fortgeführt. Es ift da ein Verdienſt Riedels, urkundlich nad: 
gewiefen zu haben, daß nicht durch ein gewoͤhnliches Geldgefhäft die Mart 
an den Burggrafen gelommen ift, fondern in Folge der ausgezeichneten 
Verdienſte, welche fi Friedrich um Kaifer und Reich erworben batte. 
König Siegmunds Dankbarkeit erhob den treuen Ratbgeber und Heljer nicht 
nur zum Markgrafen von Brandenburg, ſondern auch zum Reichsverweſer. 
Diejed außerordentlihe Emporkommen ermedte dem Begünftigten zahlreiche 
Neider und Widerfacher, darunter feinen größeren als den Herzog Ludwig 
den Bärtigen von Bayern: Ingoljtadt. Auf fehr gelungene Weife ſtellt 
Riedel dar, mit wel ausgeſuchter Unmwürbigleit der ganz franzöfifch ge: 
finnte Herzog den guten Ruf und die Länder Friedrichs angriff, und mit 
welder, man kann jagen erhabenen Seelenrube Friedrich diejen gebäffigen 
Angriffen gegenüberftand. Selbſt da, als es feinen Feinden gelungen war, 
ihm die Gunft des Königs zu entziehen, fühlte er feine Bitterleit gegen 
diefen, jondern bebielt nah wie vor mit beifpiellofer Männlichteit das 
Geſammtwohl des Reihes im Auge, jelbft wenn fein eigenes Intereſſe 
bart verlegt wurde. Gelang es ibm aber unter ſolchen Umftänden nicht, 
eine Reform im deutſchen Reiche herbeizuführen, fo wußte er deſto nad: 
brüdlicher in der Marl das gejuntene lanveöberrlihe Anſehn berzuftellen, 
Die Beſiegung der Duigows und ihres Anbanges war eine Nothwendig⸗ 


666 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


feit, damit ein wahrhaftes Fürftenthbum in der Marl erwachſen könnte. 
Friedrich faßte fein Verfahren in edelfter Art auf, als er ih „einen 
ſchlichte Amtmann Gottes an dem Fürftentbum” nannte, ber fi „von 
Gottes Gnaden“ jchreibe, weil dieſe ihm die Herrihaft anvertraut babe. 
Diefe Kämpfe ſowie die gegen Medienburg und Pommern find zu einem 
höchſt anziehenden Zeitgemälde verarbeitet, das fein Freund vaterlänbi- 
cher Gefchichte ohne Befriedigung lefen wird. F. V. 


Mebes, Oberfi z. D. Jul. Beiträge zur Geſchichte d. Bram 
denburg-PBreußifhen Staates u. Heeres. (In 4 Bon.) 1. Bd. Mit 
(8) genealog. Tab., Plänen (auf 1 Steintaf.) und 1 (lith.) Ueberfichtsfarte (im 
Imp.⸗Fol.) gr. 8. (XXVII u. 986 ©.) Berlin, Liderig Verl. in Comm. 

Der Verfaſſer ftellt fich Feine geringere Aufgabe, als in diefem und 
noch drei zu erwartenden Bänden „in gebrängter Kürze das Wiſſenswer⸗ 
thefte aus ver Geſchichte des Brandenburgiſch⸗Preußiſchen Staates und 
Heeres" zu geben. Zu dieſem Behufe theilt er biefelbe in acht Zeiträume, 
von welchen der erfte, mit der Entftehung der Markgrafſchaft gegen bie 
Menden beginnend, bi 1640, ver zweite bis 1688, ber britte bis 1713, 
der vierte bi3 1740, der fünfte bis 1786, ver ſechſte bis 1797, ver 
fiebente bi8 1840 (1), der achte bis Anfangs 1861 „reichen“ fol. Wir 
müfjen es dem Verfaſſer überlaflen, dieje, wie uns dünkt, höchſt feltfame 
Eintheilung der preußifhen Staats: und Heeresgefhichte feiner Zeit durch 
ausreihende Gründe zu motiviren. Auffallend ift aber jedenfalld, daß vie 
erfte Abtheilung des eriten Bandes nicht etwa mit dem erften ber vom 
Berfafier feftgejepten Zeiträume beginnt; dieſelbe enthält vielmehr felt- 
jamer Weiſe die Geſchichte Friedrichs des Großen vom Ausbrude des 
fiebenjährigen Krieges bis zur Eroberung von Schweibnig 1758; dann 
folgen 317 kurze Biographien der preußifchen Generale von 1740—1763, 
dann deren alphabetiſches Verzeihniß, dann wieder 359 kurze Biographien 
preußijcher Generale aus der Zeit von 1578—1740, envlih eine Zufam: 
menftellung der Brandenburg⸗Preußiſchen Regimentschefs von 1619—1763. 
Erft nad) diefem beinahe 700 Seiten umfaffenden Borfpiele beginnt in 
ber zweiten Abtheilung des erften Bandes die eigentliche Geſchichtsbeſchrei⸗ 
bung, welde ven erften Zeitraum bis 1640, aljo bis zum Tode Georg 
Wilhelms, des zehnten brandenburgifhen Kurfürften aus dem Haufe Ho: 
benzollern umfaßt. So viel von der dieſem Werte zu Grunde gelegten 
Gintbeilung. Weber deſſen Inhalt wäre etwa zu bemerten, daß er Nichts 





6. Deutiche Provinzialgeſchichte. 557 


bringt, was nicht ſchon früher durch eine der Drudichriften und Bücher 
veröffentlicht wurde, die in allerdings ftattlicher Reihe auf pag. AI bis 
XVI dem Vorworte angefügt find. Das Verdienſt diefer umfangreichen 
„Geſchichte“ beftebt aljo im günftigften Falle darin, eine gewiſſenhaſte und 
fleißige Compilation zu fein. N 

Krug, Leop., nahgelaffene Schriften, geihichtlihen, ſtatiſti⸗ 
hen und vollswirtbfchaftlichen Zuhalte. Im Auftrage feiner Erben breg. von 
Geh. Reg.-R. Dr. Carl Zul. Bergine 1.8. WM. u d. T.: Geſchichte 
der preuß. Staatsjhulden. gr. 8. (LI u. 356 ©.) Breslau, Trewendt. 

Die und vorliegende Schrift aus dem Nachlaß des befannten ſtaats⸗ 
wirtbichaftlichen und ſtatiſtiſchen Echriftftellere war von dem Berfafler im 
Jahr 1824 zum Drude ausgearbeitet, aber nicht veröffentlicht worden, weil 
die von der Genfur für nothwendig erflärte Genehmigung der Publikation 
von Seiten des Bräfidenten Nother, des damaligen Chefs der Seehand⸗ 
lung und der Hauptverwaltung der Staatsſchulden verweigert wurde. Sie 
bat indeß für die Periode von 1806—1820 auch jept noch ihr Intereſſe 
leineswegs verloren; im Ganzen wird dabei kein Unbefangener vertennen, 
daß die mitgetheilten Thatfadhen für dieſe Beit, weit entfernt der preußi: 
chen Regierung nachtheilig zu fein, faſt durchgehends ihre Einfiht und 
Rechtlichleit ins Licht ftellen. 

Die ältere Zeit bis zu den franzöfifhen Kriegen ift nur ganz über: 
fichtlih behandelt ohne irgend erheblih Neues zu geben. Webrigens bat 
auch die Geſchichte des preußiichen Staatsſchuldenweſens bis ins 18. Jahr: 
hundert wenig Eigenthümliches. Periodiſches Anwachſen der landesherr: 
liben Schulden , gelegentlihe Uebernahme berjelben durd das Land in 
befonderen Verträgen u. |. w. wiederholt ſich lange Zeit wie in andern Ter: 
riterien. Eigenthümlich ift erft nad vollftändigem Zerfall der lanpftändi: 
ſchen Verfaſſung das Fortbeſtehen der Sanpitände ausſchließlich zur Ber: 
waltung älterer landſchaſftlicher Schulden und gelegentlicher Contrahirung 
neuer Anleihen. Offenbar war die Möglichkeit einer Benutzung des land⸗ 
ſtändiſchen Credits ein Hauptmotiv für die Regenten, die alte Einrichtung 
noch ein gewiſſes Scheinleben fortführen zu Taffen. Erſt Ende des Jahr: 
bundert3 werden in größeren Maaßitabe eigentlihe Staatsanleihen con: 
trabirt, aber auch dieſe waren bis 1806 meiftens nur auf kürsere Zeit 
abgefchlofien, mehr vorübergehende Operationen zur Dedung zeitiweiligen 
Deficits , als eine fundirte Staatsſchuld. Mit dem Jahre 1806 aber 


7 — — — — — 


568 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


beginnt das allgemeine Intereſſe dieſer Seite der preußiſchen Staatsver⸗ 
waltung und unjerer Schrift. Eine zuſammenhaͤngende Geſchichte des Gtaatk 
Schuldenwefens, eine Darftellung der einzelnen Operationen in ihrem innern 
Bufammenhange wird freilid auch für diefe Zeit nicht gegeben, wohl aber 
werden über jeden einzelnen Zweig der in den folgenden Jahren raſch 
auf die mannigfadhfte Weife entjtehenden Staatsſchulden jehr dankenswerthe 
und lebrreihe Mittheilungen gemadt. Wir machen bejonderd aufmerffam 
auf die Geſchichte der ZTreforfcheine, ſowie der für die damalige Lage des 
preußifhen Staat? fo charakteriftiichen Domainenpfanbbriefe und endlich 
der durch längere Zahlungsunfähigkeit der Staatskaſſen entftandenen Zins⸗ 
Lieferungd: und Gehaltsſcheine; ruffiihen Bons u, vergl. Papiere mehr. 
Kaum minder intereffant ift die nach den Kriegen erfolgende Conſolidation 
diefer verfchiedenen Arten von Schulden in Staatsſchuldſcheine, die frei 
Ih nur jehr allmählig mit zu Hülfenahme der beiden englifhen Anleihen 
fowie der Prämienfheine von 1821 möglich war. Weniger ausgear: 
beitet und in mander Beziehung unvollftändig ift das dann folgende Ka: 
pitel über bie provinziellen Staatsfhulden, welde nad Beendigung ber 
Kriege auf die allgemeine Staatskaſſe übernommen wurden. Das ftatiftifche 
Zahlenmaterial ift au bier nicht ohne Intereſſe, dagegen wird die höchſt 
ſchwierige jtaatsrechtlihe Frage, weldhe Schulden in jedem Falle allgemeine 
Staatzfhulden werden, melde dagegen Communalſchulden der Provinzen 
und Städte bleiben follten, nur oberflädhlih berührt. Der letzte Abfchnitt, 
welcher die preußifhe Bank betrifft, ift faſt vollftändig veraltet in Folge 
des Erſcheinens der vortrejflihen Schrift „Geſchichte der Königlihen Bank 
in Berlin” von M. Niebubr. E.N. 


Vogeler, F. W., Sriedrid J. Martgraf v. Brandenburg 
und ſeine Ahnen die Srafen u. Burggrafen v. Nürnberg aus dem Kaufe Lo 
henzollern. 8. (VOL u. 76 ©.) Berlin, Uthemann. 


Wuürdig, 8, Sriedrih Wilhelm, der große Kurfürfi von 
Brandenburg. Ein Lebens. u. Geſchlechtsbild. Für Deutichlande Jugend 
u. Bolt bearb, gr. 16. (IV u. 163 &. mit 1 Stahlſt.) Deffau, Aue's Bert. 


Droyfen, Joh. Guſt., Geſchichte der Preußifhen Politik. 
Erfter Theil: Die Gründung. 1855. (VII u. 650 ©.) Zweiter Theil: Die 
territoriale Zeit. Erſte Abtheilung 1867. (VI u. 5°0 ©.) Zweite Abtheifung 
Leipzig, 1859. (VI u. 643 ©.) Dritter Theil: Der Staat des großen Kur- 
fürften. Erſte Abtheilung 1861. (IV u. 359 ©.) Leipzig, Veit & Comp. 





6. Deutiche Brovinzialgefchichte. 669 


Es beabfihtigt dies groß und umfaflend angelegte Werl eines uns 
jrer Meijter die Geſammt⸗Geſchichte des preußifchen Staates bi auf die 
neuefte Zeit herab darzuftellen. Es ift aber nicht eine Geſchichte gewöhn: 
liher Art, die bier geboten wird, fondern es fol bier dargelegt werben, 
wie nach einer gejchichtlihen Nothwendigkeit ſich im nörblihen Deutſchland 
ein Staat, weder auf einem beſtimmten, geſchloſſenen Gebiete, noch auf 
einer ausgeprägten Nationalität beruhend, durch das Glück und das Ge: 
fhid ausgezeichneter Regenten berangebilvet bat, deſſen Abſchluß noch im 
Schoße der Zukunft liegt. Deshalb find natürlich die einzelnen Theile der 
Arbeit von ſehr verfhiedenem Umfange, da die ausführlicere Beſprechung 
für die Momente aufbehalten werden mußte, weldhe für die weitere nt: 
widlung entjheidend geworben find. Es war äußerft jchwierig, den vor: 
geftedten Geſichtspunkt mit Gonfequenz feftzubalten, zumal da die Quellen 
ſehr ungleihmäßig flofien. Es thut deshalb dem Werthe der Arbeit feinen 
Eintrag , wenn bei einzelnen Partien der Wunſch rege wird, daß eine 
größere Abrundung jtattgefunden haben möchte, ein folder Wunſch kann 
jehr bequem bei einer neuen Auflage befriedigt werben; fchmerer dagegen 
möchte es fein, die kurze, oft nur andeutende Sprechweife zu ändern, welche 
nicht jelten das Verftänpniß erfhwert und zwar da um fo mehr, wo ſich 
der Verf. vielfach in mittelalterlihen Ausprüden bewegt. 

Im Kingange zu jeiner Arbeit ftellt Droyſen mit einzelnen fcharfen Stri⸗ 
hen die vollftändige Zerrüttung aller Berhältniife in der Mark dar, welche 
nad dem Abgange der kräftigen Aslanier unter den Bayern und Qurem: 
burgern auf erjchredende Weife eingebrodhen war, und wendet fi dann 
zu den nur zu ähnlichen Zuftänden im deutichen Reihe. Etwas weit aus: 
bolend malt er aus, wie nad dem Untergange der Hobenftaufen verſchie⸗ 
dene Verfuhe gemacht worden find, den alten Glanz des Kaiſerthums wies 
derherzuftellen, wie aber namentlich die Anftrengungen Heinrich VII. und 
feines Enkels Karl IV. nur der fürftlihen Gewalt auf Koſten der kai⸗ 
ferlihen zu Gute kamen. Burggraf Friedrich von Nümberg iſt es dann, 
der im Sinne feiner Vorfahren, die ftet3 zur Reichöpartei geftanden, den 
fübnen Plan faßt, eine Reform des Reiches herbeizuführen und deshalb 
mit großer Gefchidlichleit die Wahl Sigismunds durchſetzt, den er mit 
glei großen Gedanten zu erfüllen gewußt hatte. Sein Lohn ift die Marl, 
wo er mit fräftiger Hand im Kleinen anbahnt, was er für Reib und 
Kirche beabfichtigte. Als aber die furditbare Bewegung im ganzen Reiche 





560 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


dur die Huffiten hereinbrach, als es feinen Feinden gelang, ihm bie 
Gunſt Sigismunds zu entziehen, und der König nur darauf bedacht war, 
fein Erbland wieder zu gewinnen, blieben alle jene großartigen Pläne um 
ausgeführt. Zwar fühlte Friedrich die Kraft in fi, Später allein das zu 
vollbringen, was ihm mit Sigismund nit gelungen war, doch durch die 
Erwahlung Albreht3 II. aus dem Felde geichlagen, machte er auch nidt 
einmal den Verſuch, Friedrich III. die deutfhe Krone ftreitig zu machen; 
bie boͤhmiſche durch Beitehung zu gewinnen, veradhtete er. So wurde He 
benzollern durch Habsburg überflügelt, das Partei » Interefje hatte das 
allgemeine befiegt. 

Die zweite Abtheilung des Werkes zeigt in der fehr gelungenen Ein: 
leitung , wie der religiössfittlihe Verfall auch den politifhen des Reiches 
nah fi gezogen bat, wie bei gänzliher Umwanblumg des Kriegsweſens, 
bei dem wachſenden Anſehn, welches das Capital an fi) reißt, überall 
bie alten Verhältniſſe bei Seite gejchoben werben, und wie mit dem Zer 
fallen der Reichsmacht in den Territorien fi) eine neue Orbnung zu bilden 
beginnt. Kurfürſt Friedrich IL fährt in der Mark fort, im Sinne pe 
Vaters zu wirken. Mit großem Geihid, doch ſtets auf dem Wege der 
Rechts, wird die Cinheit des Landes befeftigt, fein Umfang erieitert. 
Ruhe und Ordnung zeichnen die Markt vor vielen andern Ländern aus, 
jo daß dem KHurfürften zwei Kronen, die von Polen und Böhmen, ange: 
tragen wurden. So vortrefflih auch Droyſen dieſe Berhältnifie hervorgehoben 
bat, fo fehlten ihm doch vielfadh die Quellen, welche Riedel erjt neuerlidit 
zugänglich gemadıt hat, und das Bild Friedrichs erhält deshalb nicht tus 
volle Licht, in welches jet die Bedeutſamkeit dieſes Fürſten getreten iſi. 
Mit vieler Vorliebe dagegen ift Kurfürſt Albrecht gezeichnet, der allerdings 
feinen Bruder Friedrich, zwar nicht an Geift, doch an kriegerifcher Tüd: 
tigleit übertroffen hat. Nur bat die jorgfältige Benupung eines reichen 
arhivaliihen Materiald den Verf. gerade bier am meiiten verleitet , ven 
feiner Aufgabe, den Gang der preußiſchen Politik zu verfolgen, ab: 
zufchweifen. Wie jein Bater bei Sigismund, fo ſcheiterte auh er bei Kai: 
jer Friedrich III. mit feinen großartigen Planen, auf die Regelung ber 
Reichsverhältniſſe einzumirken. 

Erft fein Enfel Joahim I. nahm jeine Politik wieder auf, Nachdem 
er, obgleih in jehr jugendlichem Alter zur Regierung berufen, mit außer: 
orbentliher Kraft die Ordnung in der Mark der Art gefihert hatte, daß 





6. Deutiche Provinzialgeichichte. 661 


felbft bei ver allgemeinen Gährung in Norddeutſchland das Land tiefer 
Nube genoß, ſtrebte er nach der deutſchen Krone, nachdem er anfänglid) 
lange mit Frankreich und Oeſterreich verhandelt hatte In allen feinen 
Blanen jedoch unglüdlih und durh Karl! Sieg bei Pavia abermals in 
feinen Hoffnungen getäufcht, ſah er fi auf ven engen Raum feines Landes 
verwiejen. Tie Tarftellung von Joachims I. Charakter muß als eine fehr 
gelungene bezeichnet werden, weniger ſcharf tritt ver von Joachim II. her 
vor. Allerdings fehlte ihm die Entſchiedenheit feine® Bruders Johann, 
namentlich auch bei feinem Uebertritt zur Reformation, doch ift wahrſchein⸗ 
lich fein Antbeil an der Erhebung des Herzogs Morig gegen den Kaifer 
ein größerer geweſen, als er gewöhnlidy angenommen wird. Bon ganz be 
fonderm Intereſſe ift dann die Tarftellung der Finanz⸗Angelegenheiten des 
Landes, die nur mit Hülfe der Landftände geordnet werden konnten, lei: 
der aber auf ſolche Weife, daß dem Kurfüriten die bisherige Macht ent: 
zogen wurde, jo daß Brandenburg etwa hundert Jahre hindurdy eine fehr 
untergeordnete Rolle gefpielt hat. Defto ſchwerer war deshalb die Auf: 
gabe, die Johann Sigismund zu löjen hatte, al3 er zur Erbſchaft in Jü⸗ 
lich und Preußen gelangte. Stet3 und überall fehlten ihm vie Mittel, mit 
der nöthigen Kraft aufzutreten, und zwar um fo mehr, alö wegen ſeines 
Uebertritts zur reformirten Kirche der Unwille im Lande ein jo allge: 
meiner wurde, daß alle Klugheit Ichann Sigismunds dazu gehörte, den: 
jelben nicht in offene Empörung ausbredhen zu lajien. Mit vieler Vorliebe 
bat der Verf. deshalb gerade diefen jo vielfach vertannten Fürſten in das 
rechte Licht geitellt. 

May am Schlufje der zweiten Abtheilung über die Uebermadt Deſter⸗ 
reihe in wenigen Zügen bingeworfen war, findet in der Cinleitung der 
britten feine größere Ausführung. Tie Folgen von den Uebergrifien der 
Etände in die landesherrlihe Gewalt treten niemals trauriger in ber Marl 
und ihren Nebenländern hervor, als zur Zeit des breißigjährigen Krieges. 
Auf höchſt anfchaulihe Weife wird uns dargeftellt, wie dem Kurfürften 
Georg Wilhelm alle Mittel vorenthalten werden, fih auch nur in kräfti: 
gen Vertheidigungsſtand zu fegen, wie der Widermwille der ächtlutheriſch 
oder kaiſerlich gejinnten Bevölkerung alle kräftigeren Maaßregeln hemmt, 
ja wie in dem Geheimenrath des Kurfürſten Uneinigleit herriht und Miß⸗ 
trauen gegen feinen Bräfidenten, den Grafen Schwarzenberg, deſſen RNecht⸗ 
fertigung durch Eosmar ber Verf. nicht zufimmt; vw. Zücngeh Mia 








562 Ueberficht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


lagen ihm bei Abfafjung dieſes Bandes noch nit vor. — Sehr richtig vei 
gleicht dann Droyfen, zu feinem Hauptthema übergehend, den Surfürfte 
Friedrich Wilhelm mit dem Sünftler, dem fi feine Aufgabe entwidelt, ir 
dem er fie löft, und in befien Werk fein Geift lebt. Sein kluges Aujtreta 
bort gegen bie wiberjträubenden preußiſchen Panbftände, bier in den Ver 
bandlungen mit Echweden wegen eines Waffenitillitandes, dann wieder bı 
den weftfälifhen Friedens-Unterhandlungen, zeigt und fchon in den erfla 
Jahren feiner Regierung den Mann, der eine neue Zeit für feine Lände 
berbeiführt, der mit Recht als der eigentlihe Gründer des brandenburgikh 
preußifhen Staates zu betrachten ift *). F. V. 


Mörner, Staats - Archivar Thdr. v., Märkiſche Kriegs-Ober 
fien des 17. Jahrhunderts. Ernſt Georg und Otto Chriſtoph Eperr 
gr. 8. (X u. 370 ©.) Berlin, W. Hertz (Befjerihe Buchhandlung.) 

Der Berfafler leitet die Lebensbeihreibung der beiden Sparr, nf 
Georg und Otto Chriftoph mit einer Turzen Ueberfiht des ganzen Be 


ſchlechtes ein, deflen erfte Erwähnung 1280 urkundlich feftftebt. Die Zu 


milie hatte in dem Barnim und der Udermark zahlreihe Güter; von de 
drei Linien, in melden fie fih theilte, ift nur nod eine übrig geblieben. 
Die Geſchlechtstafeln weiſen 120 männlihe Mitglieder nah, unter denen 
beſonders drei fih ausgezeichnet und wiederum zwei bier ihre Etelle ge 
funden haben. Die Gejhichte des Ernſt Georg bietet ein böchft interef: 
ſantes Lebensbild aus den Zeiten des breißigjährigen Arieges dar. Schen 
jung fid) dem Kriegsdienſte widmend trat er fpäter in kaiſerliche Tienfte 
ein und fpielte dafelbjt feine unmwichtige Rolle. Cr führte zum Theil die 
Nerbandlungen mit dem belagerten Etralfund und ging mit den Negimen: 
tern nad Preußen, melde fatjerlicherfeit3 den Polen gegen Guſtav Apeli 
zu Hülfe gefhidt wurden. Bei der Kataſtrophe, melde Wallenftein ereilte, 
ward auch Sparr gefangen gejegt, zum Tode verurtheilt, doch durch pel: 
niſche Vermittlung begnadigt. Später wurde er zur Belagernng der Fefſte 
Hohentwiel verwendet, deren Groberung jedoch durch die ausgezeichnet: 
Vertheidigung des Oberſt Miderbolt vereitelt wurde. 1654 erhob ihn der 
Kaijer in den Reichsgrafenſtand. Aus einer andern Linie de Sparr'ſcher 





*, Eine eingehende Betrachtung des in diefem leisten Theile mitgetheit 
ten Materiales zur Geſchichte des ZOjährigen Krieges überhaupt behalten win 
uns noch für einen gejonderten Aufſatz vor. A. d. Red. 





6. Deutſche Provinzialgeſchichte. 668 


Haufes entftammte fein Petter Otto Chriftopb, ver etwa 1626 in kaiſer⸗ 
lihe Dienſte trat, und für feine Thätigkeit in den Rheingegenden einen 
nur beſchraͤnkten Wirkungskreis fand. Tort lernte ihn der große Kurfürft 
kennen und bemog ihn in jeine Tienfte zu treten. Mit feiner Ueberſied⸗ 
lung nad Berlin 1654 fchließt dieſe erfte Abtheilung feiner Gejhichte ab, 
die weit weniger Intereſſe darbietet als die feines Vetters. Defto reich: 
baltiger find die Zuſätze, die der Verf. mit emfigem Fleiße aus archiva⸗ 
liſchem Material gefammelt bat. Namentlich betreffen fie dad Verhalten 
des großen Kurfürften in den Jülich'ſchen Angelegenheiten und die Bil: 
dung einer brandenburgifhben Armee zur Groberung Pommernd. Was 
Droyfen nab der Anlage feines Werkes nur kurz berübren konnte, findet 
bier eine genauere Auseinanderfegung. Der Berfafier hält Hana Georg 
v. Amim für den, der vorzugämweife den Kurfürften beſtimmte, mit eigner 
Macht gegen Schweden aufzutreten und zu dem Ende großartige Werbun: 
gen anzuftellen, zu melden wenigſtens tbeilweife der Kaiſer das Geld ber: 
gab. Wie von diefem auf 25,000 Dann veranſchlagten Heere nur der 
geringjte Theil wirklich zufammengebradt wurde, und wie auch dieſer jäm- 
merlih zuſammenſchmolz, hat der Verf. im Einzelnen forgfältig nachgewie⸗ 
fen. Auch er bält den Grafen Schwarzenberg für treu und redlich gegen 
den Kurfürften gefinnt, die Vorwürfe jevoh, die der Graf den Werbe⸗ 
oberften über ihre beillofen Unterjchleife machte , und feine Bemühungen, 
diejem Unwefen zu fteuern, erflären ſehr wohl das barte Urtheil, das 
Jahrhunderte lang über ihn gefällt worden if. — Möge die Fortſetzung 
diefer dankenswerthen Forſchungen nicht zu lange auf ſich warten lafien. 
F. V. 

Hahn, Werner, Friedrich der erfie König in Preußen. 2. 
vielfach verb. Aufl. Mit 1 Zitelbilde (in Holzſchn.) 8. (XVIu. 256 ©.) Berlin, 
Deder. 

Menzel, Adph., aus König Friedriche Zeit. Kriege u. Frie 
bens-Helden. In Holz gefchu. v. Ed. Kretzſchmar. Hreg. u. mit biograph. No⸗ 
tigen begleitet v. Aler. Dunder. 2., wohlfeile Aufl. (Ju 4 Lfgn.) 1. Lfg. 
gr. Fol. (3 Holzſchntaf. m. 4. Blatt Zert.) Berlin, A. Dunder. 

A. Soffel, Friedrich der Große. Epiegelbilder der Jetztzeit vor- 
gehalten. 8. (IIIn.171 &.) Langenfalza, Schulbuch. d. Thür. 2.8. 


Grünhagen, Dr. Colm. zwei Demagogen im Dienſte Fried 
richs des Großen. Nah hanbidriftlidden Quellen. Web einer Beilage, 


f 


— 


664 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


enthaltend einige politiſche Gedichte aus den Zeiten der ſchleſiſchen Kriege. — 
(Aus den Abhandlungen der Schlef. Gef. für vaterländ. Cultur. Bhilof.-hifter. 
Abtheilung. 1861. Heft 1.) 8. (45 ©.) Breslau, Joſehh Dar & Co. 


Der Verfafler fand bei feinem Studium zur Geſchichte der Schlefiichen 
Kriege Material, aus dem die Thätigleit zweier „Demagogen“ im Intereſſe 
und für die Sache Friedrichs des Großen bei der Befigergreifung vollftändig 
deutlich heraustrat. Es ift dies der Breslauer Schufter Döblin, der einen 
Mebertritt Breslaus auf öfterreichifche Seite verhinderte und in weit hoͤhe⸗ 
rem Grade nod der Magifter Morgenſtern, Friedrich Wilhelm J. „Hoh 
gelehrter”, dann Friedrichs Kundſchafter und Agent in Breslau, der endlich 
Breslaus Bürgerſchaft auf preußiſche Seite binüberführtee Diefer ver: 
dienftlihen, genauen und lebendig geſchriebenen Schrift find noch fünf pe: 
litifche Gedichte aus jenen Zeiten des bewegten politifhen Treibens in 
Breslau und Schlefien angehängt. — 


Beder, Fr., Geſchichte Friedriche d. Großen. VBoltsbud. Mi 
dem Standbilde Friedrichs, von Rauch u. anderen (9) Holzſchn. 2. unveränd. Aufl 
12. (132 ©.) Berlin, Bereing-Buchb. 


Kugler, Frz., Geſchichte Kriedrihsd. Großen. Mit 400 luft. 
(in eingedr. Holzſchn.) gez. v. Adf. Menzel. Bollsausg. (In 12 Lfgn.) gr.8. 
(S.1—48.) Leipzig, Mendelsjohn. 


Bollftändige Protokolle d. Köpenider Kriegsgerihte Ab. 
Kronprinz Friedrich, Lieut. v. Katte, v. Kait ꝛc. Aus dem Familien⸗Archiv derer 
v. d. Schulenburg. gr. 8. (VII u. 36 ©.) Berlin, Deder. 


Klette, 9., Friedrich d. Große. Ein Fürftenbildb im Spiegel dem⸗ 
her Dichtung. gr. 16. (VIIIu. 255 ©.) Berlin, Springer Verlag. 


Schottmüller, Prof. Dr. Adf, die Herrfhenden Ideen in Fried 
richs d. Großen Leben. Cine Borlefung gehalten am 14. März 1861 im 
Alyle Scweizerhof. gr. 8. (42 S.) Berlin, 4. Hirſchwald. 


Schaefer, Prof. Dr. Arnold, d. preußiſch⸗engliſche Bündniß 
im fiebenjährigen Kriege. Ein Vortrag. gr. 8. (38S.) Berlin, Hertz. 


Die Schlacht bei Kunersdorf am 12. Auguft 1759. Beiheft zum 
Mitär-Wochenblatt für das erſte Quartal 1860. 8. Berlin 1859. 


Die Schlacht bei Torgau am 3. November 1760. Beiheft zum 
Militär-Wocenblatt für das zweite Quartal 1860. 8. Berlin 1860. Beide 
Darftellungen nad archivaliſchen Duellen bearbeitet und redigirt vom der Hife, 
rifhen Abtheilung des Generalftabee. 





6. Deutiche Provinzialgeſchichte. 666 


Die Arbeiten der biftorifchen Abtbeilung des preußiſchen General: 
jtabe8 ftehen mit Recht in dem Rufe, zu dem Beiten zu gehören, was 
auf dem Felde der Kriegsgeſchichtsſchreibung geleiftet wird. Auch bie 
beiden vorliegenden Monographien werben nicht dazu beitragen, biefen 
guten Ruf zu vermindern, wenn auch die erftere Arbeit, die Darftellung 
der Schlaht von Kunersdorf, wie uns fcheint, entſchieden ben Vorzug 
verdient. Pielleiht mag bier gerade der Umstand, daß dieſe Schlacht eine, 
wenn auch für die preußiihen Waffen ebrenvolle, aber doch total verlorne 
geweſen, mitgewirkt haben, daß der leider ungenannte Verfaſſer dieſer 
Relation mit dem vollften Aufwande kritiſcher Schärfe und unparteiischer 
Eorgjamteit die ihm geitellte Aufgabe zu löfen unternahm. Die kartho⸗ 
graphiſchen Beilagen, welche beiden Heften angefügt find, entſprechen, wie 
fih nit anders erwarten läßt, ihrem Zwecke volllommen, wenn auch die 
Terraindarftellung mit äquidiftanten Horizentalen bei fo großem Maßftabe 
(1,25.009 und gar 1,12.500) bezüglich ihrer Nichtigkeit Einiges zu wuͤnſchen 
übrig laſſen dürfte. L.H. — 


Friedrich Wilhelm IV. König v. Preußen. Gin Lebensbild. (Ton 
Pred. W. Ziethe.) 8. (VII u. 328 S.) Berlin, Evangel. Buch. 


Rohdmann, I. F., Leben u. Wirken Friedrich Wilhelm IV. 
Könige dv. Preußen. Unparteiiſch aus deu beſten zugängl. Quellen dargeſtellt. 
Mit 12 Illuſtr. (in eingedr. Holzichn.) u. dem VBruftbilde des Berewigten (in 
Holzſchn.) 12. (VIu.174&.) Mohrungen, Rautenberg. 


Schmettau, Herm. v., Friedrich WilhelmIV. König v. Preußen. 
Ein geſchichtl. Lebenebild, dem deutſchen Wolle gewidmet. Mit dem (lith.) 
Bildniß des Hochſel. Könige (in Tondr.) gr. 8. (VIII n. 8036.) Berlin, 
Kuͤntzel & Bed. 

Friedrich WilhelmIV., König v. Prenßen. Cine Darftellg. fei- 
nes Lebens u. Wirlens. Mit e. Anh. : Das feierl. Leichenbegängniß zn Pots- 
dam am 7. Januar 1861. (Bon Jurke.) 8. (156 &.) Berlin, Haflelberg. 

Kriedrih Wilhelm IV., Königs v. Breußen, Reden, Broclama: 
tionen, Botſchaften, Erlaſſe u. Ordres feit jeiner Thronbefteigung. 8. Aufl. Ler.-8. 
(DIu. 1626.) Allgem. Deutiche Verlage⸗Anſtalt. 

Bade, Th. Friedrich Wilhelm IV., König v. Preußen. Em 
Lebensbild. Mit 1 (tith.) Portrait in ganzer Figur. 8. (IV u, 586.) Berlin, 
F. Schulze's Vnchh. 

Riehl, Lehr. W. der Tod u. das Begräbniß Er. Mai. d. Hochſel. 





666 Ueberfiht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


Könige Friedrih Wilhelm IV. v. Preußen. Nach offiziellen MWeittheilungen = 
eigener Anfchauung. gr. 8. (86 &.) Potsdam, Gchlefier. 

Saffel, Prof. Lic. B, per orucom ad lucem. Zur Grinmerumg 
an den 2. Januar 1861, e. Vortrag gehalten im Saale db. evangel. Vereins am 
5. Sanuar 1861. gr. 8. (16 ©.) Berlin, Rauh. 


Stüler, 4, über die Wirkſamkeit Königs Friedrid Bil 
heim IV. in dem Gebiete der bildenden Künfte. Bortrag gehalten am Ediw 
telfefte den 13. März 1861. gr.8. (21 ©.) Berlin, Ernft & Kom. 


Friedrih Wilhelm IV. — Reen Sr. Maj. d. Könige Kriedrih 
Wilhelm IV. feit feiner Thronbefteigung. Zufammengeftellt v. Dr. 3. Lil 
liſch. 4. Aufl. gr. 8. (VIu.160 ©.) Berlin, R. Kühn. 

Richter, Geh. Ober-Reg.-Rath. Prof. Dr. 2, König Friedri 
Wilhelm IV. u. die Verfaffung der evangel. Kirde. 8. (VIlx 
122 ©.) Berlin, F. Schulze. 

Stahl, Fror. Jul, zum Gedächtniß Sr. Maj. d. hochſeligen 
Königs Friedrich Wilhelm WV. u. feiner Regierung. Bortrag gehalten 
im evangelijchen Verein zu Berlin am 18. März 1861. 1. u. 3. Abbr. gr.8. 
(23 ©.) Berlin, Herb. 

Trendelenburg, A., die Föniglih preugifhe Alademie 
der Wiffenjhaften unter dem Könige Friedrih Wilhelm dem Vierten. 
Vortrag gehalten zur Vorfeier d. Geburtstages Er. Maj. d. Königs Wilhelm 
am 21. März 1861 in öffentl. Sitzung der Akad. der Wilf. gr. 4. (34 ©.) 
Berlin, Dümmlers Berl. 


Wangemaun, Ardidiac. Semin.-Dir. Dr., fieben Bücher PBrew 
Bifher Kirchengeſchichte. Cine aftenmäß. Darftellg. d. Kampfes um bie 
Iuther. Kirche im XIX. Iahrh. Anhang. U. u. d. T.: Geifllihes Regen mb 
Ringen am Oftfeeftrande. Gin kirchengeſchichtl. Lebensbild aus der I. Hälfte 
d. XIX. Jahrh. 8. (XII u. 248 ©.) Berlin, W. Schultze. 

Maſcher, KreisCcr ©. 4, die Grundfleuer-Regelung iu 
Preußen auf Grund der Gefete vom 21. Mai 1861. Dargeftellt nad) Ge» 
graphie, Gedichte, Statifiit und Recht. gr. 8. (VIII u. 269 ©.) Potsdem 
1862, Döring. 

v. Rochow, Ab. Fr. Aug, Nahridten zur Geſchichte des 
Geſchlechts derer v. Rochow und ihrer Befigungen. V. u. 212 Beilagen 
CCXCH in 4. Berlim 1861, Ernſt & Korn (Gropius'ſche Buch⸗ u. Kunſih.) 

Die Zamilie Rochow ftammt wohl wie jo viele andere Adelsgeſchlech⸗ 
ter der Mittelmart aus der Altmark ber, und half Albreht dem Bären 
bei der Eroberung und Behauptung feiner oftelbiihen Bejigungen, Der 





. 6. Deutiche Provinzialgeichichte. 567 


Derf. hat zu dieſer Geſchichte feines Hauſes alles das mit großer Sorg⸗ 
falt gefammelt, was an Urkunden und fonftigen Nachrichten vorhanden ift, 
und führt in einfacher Sprade nit weniger ald 19 Generationen vor 
(urkundlich ſeit dem 3. 1238). Bon den vier Linien, in welche ſich feit 
1520 die Familie fpaltete, find zwei ausgeftorben, davon die zu Redahn 
1805 mit Friedrich Eberhard, der fih um die Verbefierung des Schul⸗ 
wejend große, allgemein anertannte Verdienſte erworben hat. Die zahl: 
reihen urkundlichen Nachweiſe in den Beilagen reihen von 1238—1861 
binab, und zwei Geſchlechtstafeln erleichtern den Weberblid über die Ver: 
zweigungen der Familie. F. V. 

Märkiſche Forſchungen, Herausg. v. dem Vereine f. Geſchichte 
der Mark Brandenburg. 7. Bd. Ler.-8. (II u. 234 ©. m. 1 Steindrt. u. 
1 dromolith. Plane in gr. ol.) Berlin, Ernſt & Kor. 

Die erfte Abhandlung dieſes Bandes „Geſchichte der Befeitigung von 
Berlin” bat den Oberlehrer F. Holge in Berlin zum Verfaſſer und wurde 
im Sonderabdrud 1860 der Berliner Univerfität ala Gratulationsſchrift 
des Dereind überreicht. Hervorgegangen aus langjährigen mühjamen und 
forgfältigen Unterfuhungen madt ein beigelegter Plan der Stadt auch 
für Nichtheimiſche das Verſtändniß leicht. Durch befonderen Yarbenprud 
find die älteften Befeftigungen hervorgehoben, mit welchen fih Köln und 
Berlin feit ihrer Einrichtung zu deutſchen Städten (erftere 1232, letztere 
um 1240) umgaben. Durch Farben find dann die erweiterten Befeftigun: 
gen bezeidmet, welche der große Kurfürft 1658 nad altniederländifhem 
Syſtem begann, kurz vor feinem Tode beendigte, und die von feinem Schne 
noch verftärkt wurden. Nicht volle 100 Jahre blieb Berlin eine Feſtung, 
da die fchnell aufblühende Stadt fo zahlreihe Bevöllerung erhielt, daß 
diefe Vertheidigungawerle neuen Stadttheilen Blag mahen mußten. — An 
dieſen Theil der Geſchichte Berlins reibt fih in Nr. 11 die Notiz, daß 
ein in Frankfurt aufgefundenes, noch wohl erhaltenes Siegel von Berlin, 
das ältefte der Stadt vom J. 1253, ein gethürmtes Thor darftellt, in 
defien unterer Deffnung der brandenburgifhe Adler fteht. Erſt 1280 kam 
der Bär in das Stadtwappen ; erft da wurde die erfte deutjchllingende 
Sylbe des Ortsnamens zu dem redenden Wappenbilde benugt. In der drit⸗ 
ten Abhandlung „die niederlänpifhen Kolonien inder Mari 
Brandenburg” führt Baumeifter F. Adler mit gebiegener Sachkenntniß 
den Beweis, daß Helmold’s Nachricht, niederländische Koloniften hätten Sa ur 

Hlßeriihe Beitfarik VIL. Banb, a1 


x 








n 
568 Ueberfiht der Hiftorifhen Literatur von 1861. 


Zeit Albreht des Bären von der Prignig bid zum Erzgebirge vieljad 
angefiedelt, eine durchaus richtige ift. Er weilt aud den noch vorhandene 
Bauwerken nad, daß bei den Sachſen urjprüngli der Feldſteinbau allge 
mein üblich war, der Später durch den nieberländiihen Baditeinbau ver 
brängt wurde, und zwar zeigt legterer dieſelbe Form und die Anwenden 
defielben Maßpftabes, wie er 3. B. in den alten Kirchen zu Utrecht, Brüyy 
ꝛc. beobachtet worden if. Als der volllommenfte Badjteinbau im gamkı 
nordöjtlihen Deutſchland ift die Klofterlirhe von Jericho zu betradta 
die ihren weſentlichſten Theilen nah in der Zeit von 1149—1159 mi 
geführt wurde. Da nun übereinftimmende Bauten in zahlreichen alta 
Kirchen der Laufig fowie an der Elbe und Saale vorkommen, fo zier 
der Verf. daraus den Schluß, daß über diefe ganze Gegend ſich im 12 
u. 13. Jahrhundert niederländifche Kolonijten angebaut haben. — Sn Fr.! 
weift F. Voigt aus zahlreichen Urkunden der Lübeder Sammlung ns 
daß die Markgrafen von Brandenburg, wenn aud mit Unterbrechung vr: 
1304—1350 die Schutzherrſchaft über Lübed führten, wofür ihnen ti 
Stadt jährlid 300 ME. (nit 6000, wie Mannert angiebt) zu zabla 
hatte. Als Karl IV. vie Partei des falihen Waldemar in der Aut 
aufgab, wies er dem Könige Waldemar von Dänemark, dem Schwiexer 
vater des Markgrafen Ludwig, diefe Reichsfteuer an, um daraus allmäb 
lih die 16,000 ME. zu beziehen, für welde er zum ‘Frieden bewoger 
worden war. — In Nr. 9 bringt derfelbe Verf. aus v. Raumers Gew 
einen Beitrag für die von Riedel aufgeltellte und begründete Behauptur. 
bei, daß Burggraf Friedrich die Mark nit ſowohl erlauft ala vielmeh 
für die Verdienfte erhalten hat, die er fih um König Siegmund ermworke 
hatte. Und in Nr. 10 mweift er, namentlih auf Grund einer Berlin 
Urkunde, nad, daß der Zufammenftoß des Burggrafen Friedrich mit de 
Pommern auf dem Nremmer Damme 1412 wirklich eine Feldſchlacht gi 
weſen ei, nicht, wie Riedel anzunehmen geneigt ift, ein Gefecht des kur: 
gräflihden Gefolges. — Nr. 5 iſt ein mwörtlider Abprud eines alte 
Stamm: und Ankunftsbuches des Burggrafthums Nürnberg, das die & 
werbungen der Burggrafen von 1251—1488 regiftrirt. Der Geb. Ari 
rath Märder hat vielfah diefe Notizen, fowie die Geburt: und Zterk 
tage der Jamilien-Mitgliever nah den Mon. Zoll. beridtigt. F. V. 

Riedel, Geh. Archivrath Dr. Adolph. Frör., Codex diplomati 
ous Brandenburgensis. Sammlung ber Urkunden, Chroniken u. je 





6. Deutſche Provinzialgefchichte. 869 


ſtigen Geſchichtsquellen f. Geſchichte d. Mark Brandendurg und ihrer Regenten. 
Fortgeſetzt auf Veranftaltung d. Vereines f. Geſchichte der Mark Brandenburg 
u. ihrer Regenten. Des erften Haupttheiles od. der Urkunden-Sammlung für 
die Orte und fpecielle Laudesgeſchichte 20. Bd. gr. 4. (III u.516 ©.) Berlin, 
G. Reimer. 


Der 20. Band dieſes wichtigen Werkes fchließt fih dem 12. ver: 
jelben Abtheilung an, indem er das urkundliche Material für die Orte 
der Mittelmark zufammenftellt. Die erjte Abtbeilung umfaßt 135 Urkunden 
des Karthäuferklofter® „Gottes Barmherzigkeit” bei Frankfurt von feiner 
Gründung durch die Stadt 1396 bis zu feiner Auflöfung 1540. Seine 
Güter wurden der Univerfität Frankfurt überwiejen. Die zweite Abtheilung, 
73 Urkunden, betrifft die Stadt Lubes oder Mündheberg, die 1232 von 
dem ſchleſiſchen Klofter Leubus gegründet wurde und gerade 200 Jahre 
jpäter durch die Hufliten eine arge Zerftörung erlitt. Unter den 204 Urkunden, 
weldhe dem Bisthum und Lande Lebus angehören, jind nicht wenige von 
allgemeinem Intereſſe. Won befonverer Wichtigkeit find endlich die legten 
143 Documente über die Herrihaften Beeskow und Storkow, die ein 
ſehr braudbares Material für die Geſchichte dieſer Ländchen enthalten. 
Denn aub zu bedauern ift, daß mande weientlihe Punkte nicht die ges 
wünſchte Aufllärung erhalten, fo läßt fih doch der Wechſel in der Herr: 
ſchaft des Landes bequem verfolgen, und über das big jegt jo zweifelhaft 
gebliebene Berhältniß des Landes zu den pommerſchen Herzögen wirb we: 
nigftens einiger Auffchluß gewonnen. Die Erbregifter beider Herrſchaften 
(Nr. 133 und 138) geben über deren Umfang und Einkünfte fehr jpe: 
ziellen Nachweis. 

Mit wenigen Ausnahmen find die befprodhenen Urkunden bier zum 
erftenmale abgedrudt ; ziemlich dafjelbe gilt von dem 21. Bande, der etwa 
600 ulermärkifhe Urkunden zählt. Zwei Drittel davon gehören der Stadt 
Prenzlow an, deren innere und äußere Geſchichte hierin vielfahe Aufflä: 
rung erhält. Im Jahre 1223 von dem Herzog Barnim von Pommern 
geftiftet (Nr. 1), kam fie bereits 1251 an die Mark (Nr. 3) und wurde 
1278 von den Markgrafen mit Magdeburger Stadtredht begabt (Nr. 8). 
Sie hat vielfah den Herrn gewedjelt, und trat gleih anfangs auf die 
Eeite des falihen Waldemar, dem fie bis zu feiner Abdantung 1355 
treu ergeben blieb, ungeachtet fie ſchon 1350 von Kaifer Karl aufgefordert 
worden war, fi zu Ludwig zu halten (Nr. 98 ff, 109). — Bon dem 


670 Ueberſicht der Hiflortichen Literatur 1861. 


Benediktiner Nonnenklofter Marienthür, das 1269 von dem Nitter Hein: 
rih von Steglig zu Boigenburg geftiftet worden war und 1539 aufge: 
boben wurde (Nr. 1, 124) find 125 Urkunden aufgeführt. — Unter den 
übrigen 69 Urkunden, die den Schluß des Bandes machen, find nicht 
wenige, welche für die allgemeine märfifhe Geſchichte ein bejonveres In⸗ 
terefle haben. So namentlih Nr. 10, 16, 22, welde das Berhältnig 
der Ulermart zu Medlenburg und Pommern behandeln, Nr. 28—30, 
welche die Theilnahme Dänemarks an den Streitigteiten des KAurfürften 
Friedrich LI. mit König Georg Podiebrad betreffen, fowie 35—39 aus 
den Jahren 1469 und 1471 zur Zeit des Krieges, den die Marl: 
grafen mit Pommern führten. 

Bon den 356 Urkunden, welche der 3. Band des 3. Haupttheiles enthält, 
find etwa zwei Drittel hier zum erften Male abgedrudt; fie bringen des 
Neuen nicht wenig. Zuerft einen Nachtrag aus den Jahren 1258—1499, 
der namentlich über das Berhältniß der Mark zu Pommern und Med: 
lenburg mandes Licht verbreitet. Wir mahen ferner auf Nr. 47 auf 
merkſam, aus der ſich ergiebt, daß Kurfürft Friedrich I. bereit? im Februar 
1440 (nit im Juli, wie man vielfah annahm) die Regierung in der 
Mark feinem zweiten Sohne Friedrich II. abgetreten habe, und auf Nr. 75, 
aus welcher hervorgeht, daß das Ende der askaniſchen Herrihaft in der 
Markt nit 1320, fondern ſchon 1319 zu fegen ift, wie dad ausführlich 
in den Märfifhen Forfhungen VI. nachgewieſen wird. — Hieran ſchließen 
fih die Urkunden aus der Regierungszeit Joachims I. und aus den erften 
Jahren feiner beiden Söhne. Hervorzuheben find bier beſonders die poli: 
tiſchen Verhandlungen wegen der Vermählung des Kurprinzen mit der 
Prinzep Nenata von Franlreih, wobei Joahim verfprad, dem Könige 
Franz I. feine Stimme zur Wahl in Deutichland zu geben (Nr. 226, 
229, 233— 239). Bekanntlich kam weder diefe Ehe zu Stande noch mit 
der Enkelin des Kaiſers Marimilian; vielmehr vermäblte fih der Kurprinz 
1524 mit Magdalene von Sachſen und nad) deren Tode 1535 mit Hed⸗ 
wig von Polen (Nr. 261, 63, 64, 303, 305—7). Die Doppelbeirath 
zwifhen dem Haufe Brandenburg und Liegnig im Jahre 1537 (Nr. 322, 
323) bat die Anſprüche König Frievrih des Großen auf einen Theil 
von Schlefien begründet. — Im Bezug auf die religiöjen Angelegenheiten 
des Landes haben die Nr. 255, 260, 285 befonderes nterefie, noch 
mehr der Bericht der Kurfüritin an den Kurfürften von Sachen über die 





6. Deutiche Provingialgeſchichte. 8571 


Zerwürfnifie, in welche fie mit ihrem Gemahl wegen ihrer Hinmeigung 
zur lutheriſchen Lehre gerathen mar, fowie das Anerbieten des Lebteren, 
ihr eine Zufluchtzitätte zu gewähren (Nr. 285, 87). — Auf Grund des 
1534 von Joachim J. errichteten Teftaments theilten die beiden Söhne 
Joachim IL. und Johann 1535 das vwäterlide Erbe. Da jedoch in dem 
Teftamente nicht beftimmt worden war, wen die Herrichaften Zoflen, 
Zeupig und das Schloß Bärwalde zufallen follten, jo erhoben ſich des⸗ 
halb Streitigkeiten, welche erft durch wiederholte Verträge beigelegt wurden 
(Nr. 302, 8, 9, 16, 29, 33, 54—56). F.V. 

Boechh, Reg.⸗Aſſeſſ, Ortfhafts-Statifil d. Regierungs- 
Bezirts Potsdam m. der Stadt Berlin. Bearbeitet im Auftrage der 
Tönigl. Negierg. zu Potsdam unter Beifügung einer hiſtoriſch⸗geograph.ſtatiſt. 
Ueberficht deſſelben Landestheils. gr. 4. (III u. 874 ©.) Berlin, D. Reimer. 

Weltzel, Pfr. Aug, Geſchichte der Stadt Ratibor. (Im 
6 Hftn.) 1. u. 2. Hft. 8 (S. 1—176.) Ratibor, Thiele. 

Lilienthal, Progymn.Dir. Dr. 3. A., die Herenproceffe der 
beiden Städte Braunsberg, nad den Eriminalacten d. Braunsberger 
Archivs bearb. gr. 8. (161 ©.) Königsberg, Theile. 

Reinhold, Dr. Werner, Chronik der Stadt Stolp. 4. u 85. 
(Schluß⸗) !fg. gr. 8. &. 177— 268.) Wittenberg, Köllings Berl. 

Adler, Baumflr. F., die Bangeſchichte v. Berlin. Vortrag ge 
halten im Berliner HilfeBerein f. das german. Mufeum zu Nürnberg am 
6. Febr. 1861. gr. 8. (32 ©.) Berlin, Haude & Spener. 


Heidenfel d, Gerichte⸗Aſſ. Dr., Chronik der Stadt Kreny 
burg, von Begründung berfelben bis anf bie neueſte Zeit. gr. 8. (115 ©.) 
Kreuzburg, Kuhnert. 





Ueber die Literatur zur Geſchichte der Provinzen Pommern und 
Preußen, im Zufammenhang mit der Geſchichte der Oftfeeprovinzen übers 
baupt werben wir im naͤchſten Hefte einen zuſammenhaͤngenden Bericht zu 
liefern im Stande jein. 


7. Oberfadfen, Thüringen, Helfen. 


enbojatzky, dry, das goldene Bud vom Baterlande ob. 
Sachſen, fjonft u. jet, mebft Entſtehung u. Schidfale feiner Städte und Ort 
fehaften. Ein Buch für Lefer aller Stände des fühl. Volles. Neue Folge. 
925. Lig. gr. 4. (&. 139400 m. 17 col. Steintaf.) Löben, Walde. 


572 Meberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


Machatſchek, Pfr. Ed, Geſchichte des Königreihe Sachſen. 
Nach glaubwürd. Quellen: Alten, Urkunden, Annalen ꝛc. dargeſtellt. gr. 8. 
(XVI u. 535 S.) Leipzig, Jachowitz in Comm. 


Richard, Paſtor Aug. Bict., Licht u. Schatten. Gin Beitrag zur 
Eulturgefhichte von Sachſen u. Thüringen im 16. Jahrhundert. Nach feltenen 
bandfchriftl. Urkunden u. anderen Quellen bearb. gr. 8. (XXX u. 482 ©.) 
Leipzig, Teubner. 
| Lubojatzky, Frz, zweihbundertjährige Sadhfen-Ehronif 
von 1550-1750 od. Schickſale d. Sachſenvolles von der Zeit Kurfürfts Morik 
an bis zum Tode Augufts d. Starten. Ein Gedenkbuch f. Familienkreiſe aller 
Boltbtlaſſen im Sachſenlande. (In 82 fgn.) 1-3. Lg. 4. (48 S. m. 3 cal. 
Gteindrt.) Löbau, Walde. 

Heife, Arditect F, Album ber Rittergüter u. Shlöffer im 
Könige. Sachen. Nah der Natur neu aufgenommen. Mit hiſtoriſch⸗ſtatiſtiſch 
u. topographifch bearb. Tert. Sag. v. ©. U. Boenide. 146. Hft. qu. Fol. 
Leipzig, Expedition. G. Boenide. Inhalt: IH. Sect. Lauſitzer Kreis. 81. 
Hft. (S. 241—264.) 

Grabowski, Etanisl. Graf, Bertraute Geſchichte der fäd- 
fifgen Höfe m. Staaten feit Beendigung des 30jähr. Krieges. 8. 
1. 2b. (VO u. 313 ©.) 2. 8b. (IV u. 816 ©.) 3. 8b. (VII u. 812 ©.) 
Berlin, Abeledorfs Berl. 

Lindau, M 8, Geſchichte der Haupt- u. Refidenzfladt 
Dresden von der früheften bis auf die gegenwärtige Zeit. gr. 8. 2. Bd. 
Hft. 7—11. (S. 481—880) Dresden, Kuntze. 


Fürſtenau, Mor, zur Geſchichte der Mufil ud. Theaters 
am Hofe zu Dresden. Nah ardival. Quellen. 1. Thl. gr. 8. Dresden, 
Kuntze. Inhalt: Zur Geſchichte der Mufil u. des Theaters am Hofe der 
Kurfürften von Sachſen, Johann Georg II., Johann Georg IH. und Sohann 
®eorg IV., unter Berüdfichtigung der älteften Theatergeſchichte Dresdens. 
Mit 1 lithogr. Anficht des erften zu Dresden erbauten Komödienhaufes (in qu. 
gr. 4. (XV u. 328 ©.) 


Beber, Miniſt.R. Dir. Dr. Karl v., Aus vier Jahrhunderten, 
Mittheilungen aus d. Haupt-Staatsardjive zu Dresden. Neue Folge. (Iu 2 Bon.) 
1. ®d. gr. 8. (III u. 394 ©.) Leipzig, B. Tauchnitz. 


Knanth, Rec. Frz, Heimathskunde. Kurze Gefchichte und Be⸗ 
fhreibung der Stadt Halle u. Umgegend. Materialien f. den vorbereitenden 
geograph. Unterricht. Zunähft für Halle's Schulen. 3. verm. Aufl. Mit 
12 (eingedr.) Holzſchn. und 3 lithograph. Taſ. (in 4.) gr. 8. (VIII m. 
87 ©.) Halle, Berner. 





6. Deutihe Provinzialgeſchichte. 678 


Mittag, Lehr. Karl Wilh. Chronik der föniglih ſächſiſchen 
Stadt Bifhofswerda. Nah Acten d. dafigen Rathhaufes u. nad Ur⸗ 
funden d. lenigl. ſächſ. Kaupt-Staats-Ardivs, d. Meißner Stiſts⸗Archivs u. d. 
geh. Finanz⸗Archivs bearb. gr. 8. (XVI u. 639 &. m. 1 Steintaf. in Tondr. 
in qu. gr. 4.) Biſchofewerda. (Dresden, am Ende). 


Die Statutenbüher der Univerfität Leipzig aus den erſten 
150 Jahren ihres Beſtehens im Namen der philologifch-hifter. Claſſe der k. 
ſächſ. Geſellſchaft der Wiſſenſchaften rag. v. Frör. Zarnde. bo 4. (XI n. 
625 ©.) Leipzig, Hirzel. 

Lorenz, M. Chr. Glob, zur Erinnerung an Georg Joachim 
Goſeſchen. (Abdr. aus dem Programm d. k. Landesihule zu Grimma v. 9. 
1861.) gr. 4. (40 ©.) Grimma, Hering. 


Zade, A., üb. das Todtenbuh d. Dominilanerfloftersn. 
die Predigerlirde zu Erfurt. gr. 8. (115 ©. m. 8 Gteindrt. Erfurt, Villaret, 


Kronfeld, Lehr. 3. C, Heimathskunde v. Thüringen md 
deſſen nädfter Umgebung. Für Schule u. Haus bearb. gr.8. (XIIu. 507 ©.) 
Jena, Maule. 

Guüth, Paſtor Superint. M. Job. Sebaſt, Poligraphia Meinin- 
gensis, d. i. Gründliche Beſchreibung der Uhr⸗alten Stadt Meiningen, beſte⸗ 
hend in 3 Büchern. Im Namen d. Henneberg. alterthumsforſchenden Vereins 
neu brag. m. Anmerkgn. u. Zufägen v. Oberkirchenrath Superint. Dr. Ed. 
Shanbad. 4. (XXIV u. 843 ©. m. 1 GSteindrt.) Meiningen, Brüdner & 
Nenner. 

Zahariä, Prof. Dr. Heinr. Alb., das rechtliche Berhältniß db. 
fürfliden Kammerguts, insbefondere im Herzogth. Sadjen-Meiningen. 
gr. 8. (V n. 106 ©.) Göttingen, Dietrich. 

Shmidt-Weißenfels, Ed. der Herzog v. Gotha und fein 
Bolt. Ein Aufſatz nebſt e. Antwortfchreiben d. Herzogs Ernſt v. Sachſen⸗ 
Koburg⸗Gotha. 1—4. Aufl. Lex.S. (45 ©.) Leipzig, Brodhaus. 

Kühne, Prof. Dr. H. Th, graphiſch⸗ſynoptiſche Darſtellung 
der finanziellen Verhältniſſe des Herzogthums Gotha f. den Zeitraum vom 1. Juli 
1854 biszum 30. Juni 1860. 8. (VI u. 48 chromolith. ©.) Gotha, Thienemann. 

Kröger, Reg.Aſſeſſ. Carl, Ratiftifhe Darftellung der Graf. 
(haft Shaumburg. Hrsg. vom Vereine f. hefi. Geichichte u. Landeskunde. 
Geitſchrift d. Vereins f. heſſ. Geſchichte u. Landeskunde. 8. Suppl.-Hft. gr. 8. 
(VOI u. 118 ©.) Kafjel, Freyſchmidt in Comm. 

Neues Laufigifhes Magazin. Im Auftrage ber Oberlaufigifchen 
Geſellſchaft der Wiffenfchaften herausgeg. von G. T. 2. Hirche, Gelretär ber 
Geſellſchaſt. 87. u. 88. Bd. Börlig 1860 u. 1861. 512. Bd. 87 enthält u. U: - 


674 Veberficht der hiftorifchen Literatur von 1861. 


Die Sälularfeier des Geburtstages Friedr. Schillers, wie fie in Börlig und 
anderwärts in der Laufi begangen worden if. — Bericht über bie 16-30. 
wifjenfchaftlihe Abendverfammlung. — Skizzen zu den 8 öffentlichen Borträgen 
bes Dr. Theod. Baur üb. das Kunftleben in Rom umb Nürnberg zur Zeit 
der Reformation. — Zur Säfularfeier eines bei Hoyerswerda von den Preußen 
erfochtenen Sieges. — Die Pafigraphie, ein Blatt zur Erinnerung an Johann 
Zacharias Näther aus Görlitz; vom Secretär. — Lubovicus Sartoris Gorli- 
cenfis, ein Beitrag zur Beſtimmung der Chronologie im Leben Ulrichs v. Hut- 
ten; vom Secretär. — Beiträge zur Geſchichte und Gaugeographie, beſonders 
des nordöftlichen Deutſchlands; von C. Klähn. — Weber ein altes böhmiſches 
Eantionale in Jungbunzlau; vom f. k. Rath Ritter Hager bafelbfl. — Rede 
zur Vorfeier des 300jährigen Zodestages Philipp Melanchthons; von Gymna⸗ 
fial-Lehrer Wilde. — Zum Andenken des Diaconus Dr. Ch. A. Peſcheck; vom 
Gecretär. — Melanchthon als Reformator; von Kämmel. — Vortrag zur 
8. Sätularfeier des Zobestages Philipp Melanchthons; von Prof. Struve. — 
Ueber Melanchthons Naturauffaflung, von Dr. Theod. Baur. In Bd. 88: 
Das Nieburger Bruchſtück zur Geſchichte der Laufig vom Gymnaftal-Oberlehrer 
F. Kindſcher in Zerbſt. — Noch ein Beitrag zur früheften Geſchichte der 
Niederlaufig, von Rechts: Anw. Neumann. — Ein Ablaßbrief aus dem Ori- 
girtal mitgeteilt von Hergang. — Das alte Lanbbing oder Landgericht in 
der Niederlaufig von RedtsAnw. Neumann. — Zu Leſſings Andenken, 
mitgetheilt vom Ardivar Dr. W. Wattenbad in Breslau. — Die Ehre im 
Allgemeinen und bei ben älteften Vöollern von Dr. Ethbin Hein. Cofta in 
Laibah. — Miscellen, Recenfionen, Necrologe, Gefellihaftenachrichten u. f. m. 

Mittheilungen der Geſchichts und AltertHumsforfder 
Geſellſchaft des Oſterlandes. 

Zeitſchrift des Vereins für thüringiſche Geſchichte u. 
Alterthumstkunde. 4. Bd. 3. u. 4. Hft. Jena, Fromann 1861. Aus 
bem reichen Inhalte dieſer Zeitichrift heben wir Hervor: Das Auguftinerflofter in 
Gotha von Dr. 3. H. Möller, — Urkundliher Nachtrag zur mittelalterlichen 
Geſchichte der Juden in Erfurt von I. A. Midelfen. — Zur Geſchichte 
alter Adelegejchlechter in Thüringen von Dr. Funkhänel. — Documente zur 
Geſchichte des Huffitenkrieges in Thüringen 1428—1431. 

Dennebergifhes Urkfundenbud. Im Namen bes Hennebergi- 
[hen alterthumsforſchenden Vereins herausgeg. von Georg Brüdner. IV. 
Theil, die Urkunden d. gemeinfchaftl. Hennebergiihen Archivs v. MCCCLXXXV 
(resp. MCCLVII) bie MCCCCXIL 4. (VI u. 1% ©.) Meiningen 1862. 

Der fleißige und verdiente Selretär des Hennebergifhen alterthums⸗ 
forfhenden Vereins beſchenkt uns hiermit mit dem 4. Theile des Urkun⸗ 


denbuches, das nor nun gerade 20 Jahren durch Schöppeh begonnen 





6. Deutfche Provinzialgeſchichte. 675 


worden if. Die bier mitgetheilten Urkunden umfaflen 29 Ergänzungen 
zu den drei vorausgegangenen Theilen und 172 Nummern, welde den 
Jahren von 1385 bis 1412 angehören. Es find, wie das in der 
Natur der Sache liegt, Urkunden ber verfhiedenften Art: Kaiferurkuns 
den, fürftlihe, gräflihe, biſchöfliche, SKlofter: und ſtädtiſche Urkunden 
u. ſ. w. Sie betreffen außer den Grafen von Henneberg vorzugaweije das 
übrige fränkiſche Land, über deflen Grenzen fie nur in den wenigiten 
Fällen hinausreihen. Für die Gefhichte der Bilhöfe und des Hochſtifts 
Würzburg find fie befonders bedeutend und fruchtbar; von nicht frän- 
kiſchem Gebiete ift Thüringen, wie das nit wohl anders jein kann, 
mehrfad vertreten. Allerdings erfcheint eine gute Anzahl der hier mitges 
theilten Urkunden nit zum erften Male geprudt; Schultes, Gruner, 
Schöttgen und Kreyßig u. A. hatten in diefer Beziehung in ihren be 
zügliden Werken und Sammlungen ſchon mandes vorweggenommen, — wie 
denn die Hennebergifhe Geſchichte die bei weitem bearbeitetfte von ganz 
Oftfranten ift — aber davon nicht zu reden, daß der größere Theil doch 
vollftändig neu ift, jo werden aud die fhon gedrudten Urkunden in einem 
tbatfächli neuen, vielfach berichtigten Texte geboten. Es ift nicht unfere 
Abfiht, in das Einzelne des Inhaltes dieſes Theiles bier näher einzu: 
geben, indeß wollen wir nicht unterlaffen, die Nummern L. und V. na 
mentlic hervorzuheben. Die erfte (S. 31) beurkundet eine Vereinigung 
von genannten 137 fräntifhen Grafen, Herren, Nittern und Knechten zu 
einer Turniergeſellſchaft (d. Schweinfurt, 1387, Sept. 23) und ift für 
die damaligen Stimmungen und Tendenzen des fränliihen Adels ganz 
ungemein lehrreih; die zweite (S. 74) verkündet einen Bergleih von 
zehn Städten des Hodftifts Würzburg mit Graf Heinrich von Henneberg 
(d. 1399, 9. Februar) und giebt einen Aäußerft wichtigen, bisher unbelannt 
gebliebenen Beitrag zur Geſchichte des Aufitandes der genannten zehn 
Würzburgifhen Städte gegen ihren Herm, den Biſchof Gerhard. — Zum 
Schluffe ſei noh das fehr ausführliche Negifter für diefen Band und ein 
ale vier Bände des Urkundenbuches umfaflendes Inhaltsverzeichniß mit 
Dant erwähnt. x. 

Bezzenberger, Dr. H. E. die weltgefhiähtlihen Momente 
der Geſchichte Heſſens. Vortrag gehalten im Vereine zur Fortbildung 
u. gefell. Unterhaltung d. gewerbtreibenden Arbeiterfiandes am 9. u. 16. Ian. 
1861. gr. 8. (48 G. m. 1 Tab. in gu. gr. 4.) Caſſel, C. Luchardt. 


576 Ueberficht der Biftorifchen Literatur von 1861. 


v. Ditfurth, Mar, Erzählungen a. d. heſſiſch. Kriegsge— 
fhihte Ein Leſebuch für Yung und Alt, fowie f. heil. Vaterlandsfreunde 
jeden Etandes. 2. Hft. 8. (IV u. 164 ©.) Kaſſel, Freyſchmidt. 

Hoffmeifter, Jac. Chrph. Earl, hiftorifh-genealogifhes 
Sandbuc über alle Linien d. hohen Regentenhaufes Leffen. Nebſt 1 Re 
gententaf. (in 4.) gr. 8. (XVI u. 222 ©.) Caſſel, Scheel. 

Hamel, Stadtbibliothelar Joh. Geo, Friedrich Il.m. dem filber 
nen Bein, Landgraf von Heſſen-Homburg, bei d. Belagerung v. Kopenhagen 
1658—59 u. in der Schlacht bei Fehrbellin 1675. 8. (20 ©.) Berlin 1861, 
Deder in Comm. 


Stangenberger, Iohs., Gebentbud der Rudelsburg. To 
* pographiich-Hiftoriiche Monographie m. e. Auszuge aus dem Fremdenbuche der 
Audelsburg. Beigegeben find 2 (lith.) Anfichten der Burg u. das (lith.) Portr. 
Samiels. qu. gr. 8. (61 ©.) Hildburghaufen, F. Keffelrings Berl. 


Henke, Dr. E. 8. Th, das Unionscolloguium zu Eaffel im 
Juli 1661. Feftrede am 20. Aug. 1861, dem Geburtstage Sr. Kön. Hoh. 
des Kurfürften von Heilen. gr. 12. (26 ©.) Marburg 1861, Elwert. 

Zeitfhrift des Bereins für heſſiſche Geſchichte u. Lan- 
bestunde. 9. Bd. 1. Hft. Caffel, U. Freyſchmidt. Calaminue, Einfüh- 
rung der Reformation in die Graffhaft Yſenburg. — F. Pfifter, das Rei- 
tertreffen bei Riebeisdorf im Jahre 1640 und die Zonda u. Mublyfäulen in 
Darftelungen und linterfuhungen. — ©. Landau, Beiträge zur beffifchen 
Ortsgeſchichte. (Allendorf, Merzhaufen, Kongerhof, Mühlenwerth, Glaskopf.) 

Heinrich, F, Senealog.-hiftor. Taſchenbuch des Großherzog- 
thum® Heſſen u. bei Rhein. Vom Landgrafen Georg L bis zum Regierung 
antritt des jetigen Großherzogs Ludwigs III. 8. (XVIII u. 136&. m. 3 Tab.) 
Darmftadt, Küchler. 

Baur, 2. Dr. Ardivdirector, Heffiihe Urkunden, aus d. beff. 
Staatsarchive zum Erfienmal herausgegeben. 2. Bd. 1. Abıh. Darmſtadt 1861. 
Im Verlag des hift. Vereins. (588 ©.) 

Diefer ftarte Band, welcher 21 Urkunden aus dem Zeitraum von 
963— 1200, u. 564 Urkunden aus dem 13. Jahrhundert enthält, legt 
aufs Neue Zeugnik ab für den rühmlid bekannten Fleiß, womit der Her: 
ausgeber die Schäge des Tarmftädter Archivs der Geſchichtsforſchung zu: 
gänglic zu machen beftrebt if. Die Urkunden, welde theils aus Drigi: 
nalen, theild aus Mainzer und Wormſer Gopialbühern entnommen 
find (Nr. 2 ift eine Falfhung), bieten freilich weniger allgemein Snteref: 
fantes ala die im erften Band mitgetheilten, wenn fie auch für die Ge⸗ 





6. Deutſche Provinzialgefchichte, 577 


ſchichte der Provinz Rheinheſſen unentbehrlih find. Beſonders bemerkens⸗ 
werth erſchienen uns Nr. 197, vom Jahr 1263, worin eine bei kirchlichen 
Befigungen häufig vorkommende Scheidung der Gerichtäbarleit in ſolche 
über die Höfe und Güter und folche auf der Straße begegnet; ferner 
Nr. 300 vom Jahr 1276, wodurch der freie Herr von Hohenfels fein 
Dorf Mummenheim mit Gerichten, Zinjen, Beden, Wirthſchaftsgerechtigkei⸗ 
ten, Wegen, Wiefen, Weiden u. ſ. w. den milites, nobiles, hubenere 
tam ecclesiastici quam seculares, ac universi homines genann» 
ten Torf? Mummenheim zu rechtem und ewigem Lehen gibt (!). Acht 
von der ganzen Gemeinde präfentirte Berfonen leiten ihm den Treueid 
und gelten als feine Vafjallen, ohne deßhalb mehr Rechte ald die übrigen 
Bewohner zu genießen. Die nobiles find bier freie Leute mit eignem 
Grundbefig, hubenere folde, welche fremde Huben (von Kirchen oder 
mweltliben Herm) bauen. Nr. 303 vom Jahr 12377 enthält Statuten des 
Erzbiſchofs von Mainz über Mandel, Traht und Perhalten der Geiſt⸗ 
lihen. Erwünſcht würde es fein, wenn die zweite Abtheilung aud ein 
ver befjertes Regiſter über den eriten Band, ſowie eine Zufammenftellung der 
in den Urkunden vorlommenden wichtigeren deutſchen Worte bringen würde. 
F. Th. 

Steiner, Hofrath Dr., die Berwandtſchaften d. Großher 
zogl. Heffifhen Haufes m. 23 regierenden Häufern durch Bermählungen 
feit d. Regierung Ludwigs IX., Landgrafen von Heifen-Darmftadt, 1768 bis 
jest. gr. 8. (25 ©.) Sroß-Steinheim. (Hanau, Könige Berl.) 

Kretzer, Bf. ©. 9. 8%, Geſchichte d. Kentgerichts und der 
Pfarrei Maßbach. gr. 8. (265 ©.) Meiningen, v. Eye in Comm. 


Soldan, Prof. Dr. ®. G., Zur Geſchichte der Stadt Als 
feld, Programm des Großherz. Heffiihen Gymnaſiums zu Gießen. (46 ©. 
mit drei Urkunden.) Das Programm vom April 1862 bringt Fortſetzung umb 
Schluß. (48 S. mit 2 Urkunten.) 


Arhiv f. heſſiſche Geſchichte und Alterthumskunde. Hrag. 
aus den Schriften d. hiſtor. Vereins f. das Groß herzogthum Hefſen v. Archivdir. 
Dr. Ludw. Baur. 9. Bd. 3. Hft. gr. 8. (VI u. 385 - 608 ©. Schluß.) Darm⸗ 
ſtadt, Jonghaus. 

Bon den in dieſem Heft enhaltenen Aufſätzen iſt beſonders die gründ⸗ 
liche und anziehende Geſchichte der Inſpirirten in der Grafſchaft Iſenburg 
von Superintendent Dr. Simon zu Gießen, ſowie die muſterhafte Ges 


576 Veberfiht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


v. Ditfurth, Mar, Erzählungen a. db. heſſiſch. Kriegsge 
ſchichte. Ein Lefebud, für Jung und Alt, fowie f. heſſ. Vaterlandsfreunde 
jeden Etandes. 2. Hft. 8. (IV u. 164 ©.) Kaffel, Freyſchmidt. 

Hoffmeifter, Jac. Chiph. Earl, hiſtoriſch-genealogiſches 
Handbuch über ale Linien d. hohen Regentenhauſes Keſſen. Nebſt 1 Re 
gententaf. (in 4.) gr. 8. (XVI u. 222 ©.) Caſſel, Scheel. 

Hamel, Stadtbibliothelar Joh. Geo, Friedrich II.m. dem filber 
nen Bein, Landgraf von Heffen-Homburg, bei d. Belagerung dv. Kopenhagen 
1658—59 u. in der Schlacht bei Fehrbellin 1675. 8. (20 ©.) Berlin 1861, 
Deder in Comm. 


Stangenberger, Jobs, Gedenkbuch der Rudelsburg. To- 
“ pographifch-Hiftorifche Monographie m. e. Auszuge aus dem Fremdenbuche der 
Audeleburg. Beigegeben find 2 (lith.) Anfichten der Burg u. das (lith.) Bortr. 
Samiels. qu. gr. 8. (61 ©.) Hildburghaufen, F. Keffelrings Bert. 

Henke, Dr. E. 2. Th, das Unionscolloguium zu Eaffel im 
Juli 1661. Feflrede am 20. Aug. 1861, dem Geburtstage Sr. Kön. Hoh. 
des Kurfürften von Heffen. gr. 12. (26 ©.) Marburg 1861, Elmert. 

Zeitfhrift Des Vereine für heſſiſche Geſchichte u. Tan 
dbeslunde. 9. Bd. 1. Hft. Caffel, U. Freyſchmidt. Calaminue, Einfüh- 
rung der Reformation in die Graffchaft Yſenburg. — F. Pfifter, das Reis 
tertreffen bei Niebefsdorf in Jahre 1640 und die Zonda u. Muhlyfäulen in 
Darftellungen und Unterfuchungen. — G. Landau, Beiträge zur beflifchen 
Ortsgeſchichte. (Allendorf, Merzhaufen, Kongerhof, Mühlenwerth, Glaskopf.) 

Heinrid, F, Senealog.-Hiftor. Taſchenbuch des Großherzog⸗ 
thums Heffen u. bei Rhein. Vom Landgrafen Georg L bis zum Regierunge- 
antritt des jeßigen Großherzogs Ludwigs III. 8. (XVII u. 1366. m. 3 Tab.) 
Darmftadt, Küchler. 

Baur, &. Dr. Ardjivdirector, Heffifhe Urkunden, aus d. heff. 
Etaatsarchive zum Erftenmal herausgegeben. 2. Bd. 1. Abth. Daımfladt 1861. 
Im Verlag bes hift. Vereins. (588 ©.) 

Diefer ftarle Band, welder 21 Urkunden aus dem Zeitraum von 
963— 1200, u. 564 Urkunden aus dem 13. Jahrhundert enthält, legt 
auf? Neue Zeugnik ab für den rühmlich befannten Fleiß, womit der Her: 
ausgeber die Schäbe des Darmſtädter Archivs der Geſchichtsforſchung zus 
gänglich zu machen beftrebt ift. Die Urkunden, welche theild aus Drigi⸗ 
nalen, theild aus Mainzer und Wormſer Eopialbüdern entnommen 
find (Nr. 2 ift eine Fälfhung), bieten freilih weniger allgemein Intereſ⸗ 
fantes als die im erften Band mitgetheilten, werm fie aud für die Ges 





6. Deutſche Provinzialgejdichte, 577 


ſchichte der Provinz Rheinheſſen umentbebrlih find. Bejonders bemertens: 
werth eridiienen uns Nr. 197, vom Jahr 1263, worin eine bei firhlichen 
Befigungen häufig vorfommende Scheidung der Gerihtäbarkeit in ſolche 
über die Höfe und Güter und jolde auf der Straße begegnet; ferner 
Nr. 300 vom Jahr 1276, wodurch der freie Here von Hohenfels jein 
Dorf Mummenheim mit Gerichten, Zinſen, Beven, Wirthſchaftsgerechtiglei⸗ 
ten, Wegen, Wiejen, Weiden u. ſ. w. den milites, nobiles, hubenere 
tam ecelesiastiei quam seculares, ac universi homines genam: 
ten Dorfd Mummenbeim zu rechtem und ewigem Leben gibt (I), Acht 
von der ganzen Gemeinde präfentirte Perfonen leijten ibm den ZTreueid 
und gelten als jeine Vafjallen, ohne deßhalb mehr Rechte ald die übrigen 
Bewohner zu geniefen. Die nobiles find bier freie Leute mit eignem 
Grundbeſitz, hubenere folde, welche fremde Huben (von Kirchen ober 
weltliben Herrn) bauen. Nr. 303 vom Jahr 1277 enthält Statuten des 
Erzbiſchofs von Mainz über Mandel, Traht und Verhalten der Geift: 
liben. Ermünjdht würde es fein, wenn die zweite Abtheilung auch ein 
ver befiertes Negifter über ben erften Band, ſowie eine Zuſammenſtellung der 
in den Urkunden vorkommenden wichtigeren deutſchen Worte bringen würde. 
F, Th. 

Steiner, Hofrath Dr., bie Verwandtidaften db. Grofher 
zogl. Heffifhen Haufes m. 23 regierenden Häufern durch Bermählungen 
feit d. Megierung Ludwigs IX., Yandgrafen von Heffen-Darmftabt, 1768 bis 
jest. gr. 8. (25 ©.) Grof-Steinheim. (Hanau, Königs Berl.) 

Kreger, Pi. ©. 9. 2, Geſchichte db. Eentgeridhts und ber 
Pfarrei Mafbad). gr. 3. (265 ©.) Meiningen, v. Eye in Comm, 

Soldan, Prof. Dr. W. G., Zur Geſchichte der Stabt Ale 
feld, Programm des Großherz. Heffiihen Gymnafiums zu Gießen, (46 ©. 
mit drei Urkunden.) Das Programm vom April 1862 bringt Fortjegung und 
Schluß. (48 ©. mit 2 Urkunben.) 


Ardiv f. heſſiſche Gefhidhte und Altertbunmalunde,. Hrég. 
aus den Schriften d. hiſtor. Vereins f. das Großherzogthum Heffen v. Ardhivbir. 
Dr. Ludw. Baur. 9. Bd. 3, Hit. gr. 8. (VIu. 885—608 ©. Schluß.) Darm 
ftabt, Jonghaus. 

Bon den in dieſem Heft enbaltenen Auffägen ift beſonders die gründ: 
lihe und anziehende Geſchichte der nfpirirten in der Grafihaft Iſenburg 
von Guperintendent Dr. Simon zu Giefen, fowie die mufterhafie Ge 


678 Meberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Schichte der Pfarrei Hain in der Dreieich hervorzuheben. Letere liefert 
einen traurigen Beweis, wie großen Unfegen der Zwieſpalt zwiſchen Luther 
ranern und Neformirten, und die landesherrlichen Eingriffe in Glaubens: 
Sachen Jahrhundertelang gebracht haben und lehrt recht dringlich an ber 
Hand der Thatjahen das hohe Gut der Union fhägen. Das ©. 436 
von Dr. Glaſer mitgetheilte Weisthum der Stadt Minzenberg vom Jahre 
1427 bat an unzähligen Stellen die Schreibart des Driginals verlafien, 
an nicht wenigen den Sinn ganz entitellt, was um fo auffallenver ift, da 
der Herausgeber bemerkt, er habe die Abſchrift „jorgfältig mit dem Dri‘ 
ginale verglichen." Ein im 4. Bande von Grimms Sammlung demnähft 
erfcheinender Abdrud wird die Berfehiedenheiten an den Tag legen. Aus 
dem Auffag über das Gentgeriht auf dem Lanbberg bei Heppenheim von 
Stand, beben wir eine Emendbation des bei Grimm 1, 473 abgebrud: 
ten Weisthums (Art. 15) hervor. F. Th. 


8 Sranfen. 


Archiv des hHiforifhen Bereins von Unterfranten und 
Achaffenburg. 16. Bd. 1. Heft. Würzburg 1862. 


Aus dem Inhalte diefes Heftes ift der Auffag Nr. I, von H. 
Reininger hervorzuheben. Er führt den Titel: „die Benediltiner:-Abtei 
Aura an der fräntiihen Saale und der berühmte Gejhichtsichreiber des 
Mittelalter Ekkehardus, erfter Abt derfelben.” Seit Ufjermann war vie 
Geſchichte dieſes Klofterd nicht mehr unterfuht worden, und man muß 
e3 zugefteben, fie ift durch die Forſchung Reiningers um ein bedeutendes 
gefördet worden. Der bevauerlihe Verluſt faft aller älteren Urkunden 
Aura's ift freilich durch keine Anjtrengung zu erfegen, und um fo werth⸗ 
voller ift jede Nachricht anderer, wenn auch unfceinbarer Art. Ich mache 
bier auf ein paar ſolche Notizen aufmerlfam, die fih im 12. Band ver 
Scriptores von Perg finden und die dem Verf. entgangen find. Ferner ent: 
balt das Würzburger Ardiv die Copie einer Confirmatiensurlunde P. Eu: 
gen UI. für Klofter Aura vom 53.1150, durch welde die fonft befannten 
Angaben über die Befigungen des Klofterd um ein weſentliches ergänzt werben. 
Die Wittheilungen Reiningerd über den Geſchichtsſchreiber Clleharb von 
Aura bringen durhaus nichts Neues und find nur eine PBopularifirung 
der vorzüglichen Uinterfuchungen, die Waiy über denjelben und feine Werte 





6. Deutfche Provinzialgeſchichte. 679 


vor Jahren angeftellt und in den M. G. H. niedergelegt hat. Dagegen 
bat die Einleitung wieder das Berbienft, daß fie eine merkwürdige Stelle der 
Stiftungsurtunde des Klofter3 Aura, die da jagt, daß ſich ehedem an der Stätte, 
wo fpäter Otto von )Bamberg das Klofter gegründet, eine gewaltige Burg 
des Herzogs Ernft3 von Dftfranten erhoben habe, einer näheren 
Unterfuhung unterzieht. Neininger glaubt in dieſem Ernft den Herzog 
Ernſt I. von Schwaben (+ 1015), Sohn des Markgrafen Leopold L von 
Defterreich ertennen zu dürfen, und wenn wir aud feine Beweisführung im 
Bezug auf die Sache nicht für entfcheidend zu erachten vermögen, fo befennen 
wir um fo lieber, daß er ſich die Arbeit wenigftens nicht leicht gemacht bat. 
— Ein anderer Auffag von U. Debon behandelt die „Spuren des Römer: 
Aufenthaltes im vdermaligen Bezirke de3 SLandgerichtes Amorbah und 
defien Umgebung” und giebt fih zugleih als Ergänzung und Berichtigung 
zu den befannten römiſchen Dentmalen des Odenwaldes von Dr. Knapp. 
Dhne daß man den Ergebnifien diefer Nachforſchungen gerade eine bejons 
dere Wichtigkeit zufchreiben dürfte, haben fie neben dem Werke Knapps 
doc ihren Wertb und muß dem Perf. feine Mühe verdankt werden. — 
Die legte größere Abhandlung endlich bejchäftigt fih mit den Herren von 
Berlihingen in Bayern und bat H. Bauer in Kungelöru zum Verf. 
Die vorliegenden Erörterungen bilden eine willlommene Ergänzung zu 
dem vor kurzem erſchienenen großen Werle über die Geſchichte der Familie 
Berlichingen; fie weichen in ver betreffenden Frage bedeutend von dem 
Aufitellungen vesfelben ab, werden aber ohne Zweifel ihnen gegenüber 
Recht behalten. — Nr. IV des Heftes bringt „einige Bemerkungen und 
Zufäge zu Schöpfs Johannes Nafus“ von Dr. ©. Schneider, Nr. V. 
endlich den Jahresbericht des biftorifhen Vereines für Unterfranlen und 
Alchaffenburg für 1859, 1860 und 1861, von dem Director ded Ber: 
eins, Prof. Dr. Eongen, der aber für weitere Kreiſe kein Intereſſe 
bietet. x. 

Begele, Brof. Dr. J. Fürſtbiſchof Gerhard und d. Städte 
frieg im Hochſtift Würzburg. Gin Vortrag. Mit Anmerkungen und 
urktundlichen Beilagen. Nördlingen (62 ©.) 8. Bed 1861. 

Zum erftenmale jehen wir in biefer Schrift, welde über die gewöhn- 
lihe Bedeutung eines Vortrages nad mehr als einer Seite binausgreift, 
eine überaus intereffante und wichtige Periode der fräntifchen Geſchichte 
nad allen ihren oft fehr weitreichenden Beziehungen gefchildert und in 


680 Ueberfit der biftorifchen Literatur von 1861. 


ihrer ganzen Bedeutung für die Reihögeihichte gewürbigt. Der fpäte 
Berfuh der Stabt Würzburg und der mit ihr verbündeten Stiftsſtädte, 
fi) der lanvesherrlihen Gewalt zu entwinden und unter den Schuß des 
Neiches zu ftellen, mußte — anomal genug wie er fih nah dem Ablaufe 
des großen Staͤdtekriegs darftellt — jeine Erklärung in der eigenthümlichen 
und von großen Schwankungen begleiteten Entwidlung des Staͤdteweſens 
im Hodftifte und ganz vorzüglih auch in den befonveren Verhältniijen 
finden, melde unter der Regierung Biſchof Gerhards fi herausgebildet 
hatten und den endlichen Ausbruh der merkwürdigen Rataftropbe ver: 
anlaßten. Der Verf. hat, wie zu erwarten ftand, das Werben und 
Wachſen wie den Ausgang des Kampfes ebenſo Har entwidelt, wie leben: 
dig und abgerundet zur Darftellung gebradht. — In den dem PVortrage 
bei der Publication hinzugefügten Anmerkungen find die Beweisftellen für 
das im Zerte Gefagte beigebracht, welche nicht zum geringiten Theile hand» 
ſchriftlichem Material entnommen murden, das bisher ganz oder theilmeife 
unbelannt war. Außer dem unverkürzten Terte der deutſchen Chronit Ulman 
(nicht Ulrich) Stromers, die big jegt nur in dem lateinifhen Auszuge aus 
einer überarbeiteten Handſchrift bei Defele als Chron. Norib. ct loc. 
viein. und allein für die hier in Betracht kommenden Partien auch deutſch 
aber ebenfall3 in zufammengezogener Faſſung in Höflerd fraͤnliſchen Studien 
(Archiv für öfterreihiihe Gefhichtäquellen VII. 25, 26) gebrudt vorliegt, 
baben dem Verfafier ingbejondere mehrere werthvolle Urkunden zu Gebote 
geitanden, deren einige er als Beilagen vollitändig mittheill. — Auch für 
eine tritiihe Würdigung des in Reinhard Beiträgen 3. Hilt. Frankenlands 
II, 259—328 gebrudten längeren Gedichtes über den Würzburgifchen 
Aufftand, deſſen Benugung dur feine überaus mangelhafte Meberlieferung 
nicht wenig erſchwert ift, ſehen wir bier die erften ſicheren Anhaltspuntte 
gewonnen, und da feit dem Erſcheinen vorliegender Schrift fich gelegentlich 
der für die Herausgabe der hanfeatiihen Receſſe in Hamburg angeitellten 
Nachforſchungen endlih aud eine Handſchrift des befagten Gedichtes ge: 
funden hat, jo dürfte Hoffnung gegeben fein, dieſe wichtige Duelle noch 
vellftändig der biftorifhen Forſchung erſchloſſen zu ſehen. 

Ginige ftörende Trudfebler, welche fi in den Anmerkungen einge: 
Ihlihen haben, mögen hier berichtigt werden: ©. 39 X. 8 ſoll es heißen 
1372 ft. 1373. ©. 41. 22: auf den perk ft. auf di den pork. 
25: LX fl. COX, &.469.62: LXXXXVIL ft. CXXXXVILLL 





6 Deutſche Provinzialgeſchichte. 681 
©. 47 A. 72 ymant ft. nymant. ©. 62 3.24 Nuszer ſt. Nuczer 
3. 17 besten ft. beten. Th. K. 


Die katholiſche Literatur:Zeitung bringt in der Nr. 13. dieſes Jahr: 
ganges eine Beiprehung diejer Schrift durh Herm Th. Wiedemann, 
die dem von den biftorifch:politiichen Blättern gegebenen Loſungswort 
folgend neben manden anertennenvden Worten auch eine reihlihe Auswahl 
von Vorwürfen und hämiſchen Randgloſſen mitzutbeilen bat. Es Tann 
nit unſere Abfiht fein, bier die gegen Cinzelheiten gerichteten Einwen⸗ 
dungen des Herm Wiedemann zurüdzumweifen, — wir jind allerdingd der 
Meinung, kein Sahverftändiger werde irgendwie durch diefelben überzeugt 
werden, — wir wollen nur die Aufmerkjamleit auch unferer Leſer auf 
jenes kritiſche Mufterftüd ver katholiſchen Literaturzeitung binmweifen. Es 
ift bezeihnend für das PVerfahren jener Rihtung: man muß „das for: 
jhende und kritiſche Talent, was an einem Hiftorifer nicht genug gerübmt 
werden kann,” anerlennen, aber man kann doch nit umbin, den verhaß: 
ten Gegnern bei jeder Gelegenheit eine gar nit zur Sache gehörende 
beftige Entrüſtung über die ganze moderne Geſchichtswiſſenſchaft fund zu 
tbun ; dabei verfteht es ſich jegt nachgerade ſchon von felbft, daß man 
auch jeinem Aerger über „die Sippe des Herrn von Sybel” und über 
die biftorifche Zeitfchrift Luft macht. Cine Polemik gegen ſolches Verfah⸗ 
ten fteht und nicht wohl an; wir begnügen uns zuweilen Notiz davon 
zu nehmen; in dieſem alle wollen wir unfere Leſer und alle Freunde 
der Geſchichtswiſſenſchaft nachdrücklich aufgefordert haben, die kritifirte Schrift 
mit der Kritil der Literaturzeitung zu vergleihen: weiterer Bemerkungen 
von unjerer Seite bedarf es dann nit mehr. Nur Eins find wir ver: 
anlaßt und ermächtigt noch mitzutbeilen ; Herr Prof. Megele fchreibt uns 
„es it mir niemals in den Sinn gelommen, dem Herrn Dr. Wiebe: 
mann oder der katholiſchen Literaturzeitung, weder direkt noch indirekt, 
irgend eine Schrift zuzufhiden und mir ein Urtheil von dort zu erbitten, 
(mie es Herr Wiedemann am Schlufle feiner Recenfion angiebt) es if 
alfo bier mit meinem Namen ein Mifbraud getrieben worden, und Herr 
Wiedemann oder die Latholifhe Literaturzeitung, wie ich annehme, jelbft 
mpftificirt worden. Im Uebrigen ift es mir völlig gleichgültig bei der kath. 
Literaturzeitung und ihren Kaͤmpen in Ungnade zu ftehen”. M. 

24. Beriht üb. d. Wirlen u. d. Staub db. hiſtor. Vereins 
su Bamberg im 3. 1860—61. 8. LVII u. 168 &. Bamberg, Steindl. 


582 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


In diefem Hefte begegnet ung zunädft (S. 1—70) wieder die Fort: 
jegung der von Pfarrer Schweiger unternommenen verdienftlihen Bublilation 
des Langheimer Kopialbudhes. Art und Weife der Behandlung find im 
Allgemeinen diejelben geblieben und kann das im vorigen Jahre darüber 
Gejagte auch hier gelten. Häufiger treten in den Negeiten Unklarheiten 
und Sinnedentftellungen zu Tage, die freilih meift im Terte des Coder 
jelbft ihren Grund haben mögen, aber dod. einer Crläuterung beburft 
hätten; man vergl. 3. B. die Urkunden vom 25. Juni 1356 (E. 29), 
15. Febr. 1357 (©. 31), 7. Ian. 1366 (©. 43, 44). Die im Kopial: 
buch blos falſch reducirte Urkunde Karl IV. vom 22. Dezemb. 1359 
hätte billig aud in ihrem lateinischen Terte (S.19) zum rihtigen Jahre 
geitellt werben follen. Mangelhaft find die Nachweiſungen von früheren 
Abdrüden der Urkunden wie jener Karl IV., vie bei Schultes (hifter. 
Schrift. I.) ftehen (mas übrigens dem Herausgeber nicht unbelannt war ; 
vgl. die Vorrede im 22. Bericht), und der Urkunde Wenzel? vom 2. Mai 
1379, welde ſich bereit3 in ver fogenannten Bamberger Debuction vor: 
findet. (Erftere werden bier in meit correcterem Auszuge mitgetheilt.) 
Beſonderes Intereſſe dürfen die Urkunden in Anſpruch nehmen, welde ſich 
auf die Unterwerfung des Klofterd unter die Hoheit des Bamberger Hoc): 
jtift3 beziehen und deren Inhalt Uffermann nur aus Hoffmann? Bam: 
berger Annalen kannte. — Die Gefhichte der Pfarrei Oberhaid von Pfarrer 
Dr. Schlegler (S. 71 —148) ift eine fleißige und brauchbare Arbeit, die 
nur im Auszuge vorgelegt wird, was einige Lüden in der Beweisfüh—⸗ 
rung und den Citaten erklären dürfte, Wiederholungen aber gleichwohl 
nicht völlig befeitigt hat. Die als Beilagen bierzu gegebenen Urkunden find 
für die Gefhhichte der Gegend von Werth. — Der Aufſatz über die Ma: 
ternfapelle in der Sutten von Pfarrer Schweiger bildet einen willkom⸗ 
menen Beitrag zur Topographie des alten Bamberg und enthält aud für 
die Geſchichte des Nonnenklofter® zum b. Theodor mande Angaben von 
Belang. Die Gründung der Maternlapelle ift der Verf. geneigt dem Erzbi⸗ 
ſchof Poppo von Trier zuzufchreiben, und man wird der Vermutbung einige 
Berechtigung immerhin zugeftehen dürfen, wie denn die Ausführungen die: 
fer Abhandlung durchweg befonnen und zumeift auf urkundliches Material 
geftügt erfcheinen. — Das Heft ift leider dur Drudfehler vielfach entftellt: 
6.29 83.3 muß es Sternberg Statt Eternberg, ©. 49 3.19 wohl Grund: 
feld ſtatt Grumpfeld, 5.137 3.6 v. u. unss ftatt muß beißen. Th.K. 


584 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Leben zu bringen, ins Licht fegen, wobei nur zu bedauern bleibt, daß 
her Herausgeber die Zeitfolge der einzelnen meiſt undatirten Schreiben und 
Inftructionen (fie gehören dem Ausgang des 17. Jahrh. an) nicht genauer 
zu beftimmen verſuchte. — Den Auffaß von Dr. Holle „Krohneman ver 
Goldmacher“ (S.47—54) gibt einen urfunvlihen Nachtrag zu dem Buche 
Filenſchers über diefen Abenteurer (Nürnb. 1800), defien Leben durch die 
Berüdfihtigung, melde ihm zu Theil wurde, für die Kenntniß des Bil: 
dungsgrades und Sittenzuftandes wenigftens der höfifchen Kreife jener Zeit 
immerhin einiges Interefje bietet. — Was von Hagen über Napoleons 
Aufenthalt zu Bayreuth im Jahre 1813 beibringt, ift fehr unerheblich. 
Th. K. 


Monumenta Zollerana. UrlundenBud zur Gefchichte des Ham 
jes Hohenzollern. Hreg. von Rud. Frhrn. v. Stillfried und Dr. Zrang. 
Maerder. 7. Bd. Urkunden der Fränkiſchen Linie. 1411—1417. ImpA. 
(IV u.452 S. m. eingebr. Holzichn.) Berlin, Eruft & Korn (Gropius) in Comm. 

Mit dem vorliegenden Bande wird ein Urkundenwerk abgejchlofien, 
das an umfafjender Anlage und prachtvoller Ausftattung jeine® Gleichen 
ſuchen dürfte. Auf Veranlafjung des Königs Friedrih Wilhelm IV. von 
Preußen unternommen und mit deſſen Unterftügung zu Stande gebradt, 
gewährt es eine feite Grundlage für die ältere Geſchichte des Hohenzollern: 
hen Fürftenhaufes und damit zugleih den merthoolliten Stoff für bie 
. allgemeine deutſche Geſchichte nicht minder, wie für die Spejzialgeſchichte 
mehr als Eines deutichen Landes im Süden wie im Norden. Nachdem im 
Sabre 1852 der erfte Band die Urkunden des ſchwäbiſchen Stammes ber 
Zollern gebracht hatte, erfhien 1856 der zweite, welcher auf bie fränkische 
Linie überging, der nun alle folgenden Bände gewidmet waren. Obgleich 
der Stoff von Jahrzehent zu Jahrzehent ſich erheblich erweiterte, folgten 
fih diefelben überaus raſch, was man immerhin mit Dank wird anerten: 
nen müſſen. Freilich ohne Einfluß auf die Beichaffenheit des Gebotenen 
ift wenigſtens die zulegt eingefhlagene Art der Behandlung leinesmegs 
geblieben und wir werden die um fo mehr zu bebvauern haben, ala die 
Publitation in der That, wie man es wollte, einen monumentalen Cha: 
rakter beanfpruden durfte, und als man im Allgemeinen die Terte immer 
doch für zuverläffig wird gelten laffen dürfen, wenngleich einzelne gele: 
gentlih ſchon bemerkte Verſehen und mande ohne Erläuterung gegebene 
verderbte Terteöftelle (3. B. in mehreren dem Gemeinbuh Burggraf 





6. Deutiche Provinzialgeſchichte. 685 


Johann (III.) entnommenen Urkunden des VII. Bandes) aud in dieſem 
Buntte nit alle Bedenken bei Eeite fegen laſſen. — Was zunädft die 
Bolftändigleit der Sammlung betrifft, jo wird man den Herausgebern 
gerne zugeben, was fie in der Vorrede zum zweiten Bande jagen, daß 
eine Publikation dieſer Art nicht als abgeſchloſſen betrachtet werden lönne; 
daß fih Nahträge immer finden werden, ift ſchlechterdings nicht zu ver: 
meiden. Aber gleihwehl darf man ohne Zweifel erwarten, daß ein Werl, 
defien Plan nothwendig das Streben nah einer gewiſſen Bollftänvigleit in 
fih fließt und bei deſſen Durdführung jedes äußere Mittel zur Förde: 
rung des Zweckes dargeboten war, das moͤglichſt Erreihbare vorlege. Und 
da muß es billig einiged Befremden erregen, wenn gerade in Bezug auf 
Urkunden, welche von den Burggrafen ausgeftellt wurden‘, und zum Theil 
in fonft ganz vorzugsweife benugten Archiven ziemlich Naheliegendes über: 
ſehen wurde. So fcheint es faft, als ob unter den im Münchner Reichs⸗ 
archiv befindlihen „Ardivreften ehemaliger Reichsftäbte” (vgl. Vorr. zum 
II. 30.) den für die burggräfliden Beziehungen unbezweifelt widhtigften : 
den Urkunden ver Reichsſtadt Nürnberg fo gut wie gar keine Berücfſich⸗ 
tigung zu heil geworden fei, denn unter diefen haben fi bei ander: 
weitigen Nahforfhungen nicht allein die burggräflihen Ausfertigungen, 
3. B. der Verträge in N. 219, 220, 221 des V. Bandes, fondern auch 
nicht wenige Urkunden der Burggrafen, deren Gegenftände in den Monu⸗ 
menten gar nicht berührt find, vorgefunden. Wenn man ferner den Cha: 
ralter der burggräflihen Beziehungen in der behandelten Periode einiger 
maßen kennt, wird man den Anſpruch laum zu bod finden, daß aud 
Archive wie das der Stadt Rotenburg a. d. J. und von den Heineren 
fräntiihen Gommunal: und Privat: Archiven wenigſtens die zugänglichen 
hätten benugt werben follen. Ja menn eine förmlide Sammlung burg» 
gräflicher Urkunden auch an einem entlegenen Erte wie im ungarischen 
Nationalmufeum zu Pefth zu fuchen war (vgl. Berk Archiv VI, 155 n. 53 — 
das Tiplomatar enthält, wie Nef. bezeugen kann, zwar erft im 18. Jahr⸗ 
hundert gefertigte aber ziemlich getreue Copien von Driginalurtunden und 
darunter Manches, was in den Monumenten fehlt), fo dürfte deren Nicht: 
beachtung im vorliegenden Falle nicht als gerechtfertigt erfcheinen. — Es fteht 
mit dem Geſagten im Zufammenhang, wenn einzelne Urkunden, bie noch 
im Original vorhanden waren, nad) einem Kopialbuch (J. B. Vd. V.n.279) 
oder felbft nach einem früheren Drude (®b. V. n. 183, 185) mitgetheilt 


586 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


_ werden. — Ueber die benützten Kopialbücher, deren Zahl ziemlich beträcht⸗ 
ih ift, haben wir wohl in dem (fhon 1852 angelündigten) zweiten Bande 
der Hobenzollernfhen Forſchungen nähere Angaben zu erwarten, eine ge: 
nauere Bezeichnung derjelben (Seitenzahlen fehlen durchgehende) wäre aber 
ſchon beim Aborud der Urkunden mehrfah wuͤnſchenswerth geweien und 
fo unbeftimmte Citate wie „Nürnberger Copialbuch“ (Bp. III. n. 256, 
IV. n. 65, V. n. 219 — 221) over „Copialbuh des Burggrafthums 
Nürnberg” (Bd. V. n.137, VII. n. 84) hätten dod wohl vermieden 
werden ſollen. — Nicht beſſer ift e3 wenigſtens in den fpäteren Bänden 
mit der Beichreibung der Originale beftellt, wo (mit fehr wenigen Aus: 
nahmen) nit einmal gejagt wird, ob fie auf Pergament oder Bapier ans 
geftellt, ob fie gut oder fhledht erhalten find. Von den Siegeln werben 
immer nur die burggräflihen erwähnt. — Ob eine Urkunde ſchon gebrudt 
ift oder nicht (und erfteres ift doch bei recht vielen der Fall), erfahren 
wir in der Regel nur, wenn Regeſt oder Abdruck dieſem Drude felbft 
entnommen murde. Manches laſſen aud die Auffchriften zu woünfchen 
übrig, die den Inhalt der Urkunde, der mit wenigen Worten präcds 
hätte angegeben werben können, nicht felten ganz unbeftimmt lafien, ja 
in einzelnen Fällen (8b. VII. n. 532, 573) felbft zu Mißdeutungen 
Anlaß geben. Bei den regeftenartigen Auszügen hätten die wörtlich ange: 
führten Stellen gefennzeihnet werden follen. — Was endlich die bei Wie 
dergabe des Tertes befolgten Grundfäge betrifft, jo wird man die Bei: 
behaltung des planlojen Wechſels im Gebrauche der großen und Fleinen 
Anfangsbuchftaben (Namen find auf diefe Weife gar nicht hervorgehoben) 
ebenfowenig wie den bei der Interpunktion eingefchlagenen Mittelweg bil: 
ligen können. 

Wie fchon angedeutet lag es in der Abficht, ein möglichſt vollſtändi⸗ 
ges Bild von den urfundlichen*) Beziehungen der Burggrafen bervortreten 
zu laflen und da mag es wohl gerechtfertigt erfcheinen, wenn Einzelnes 
bierfür beſonders wichtige, aud wenn e3 erjt jüngft gebrudt worden war 
und ein Zurüdgehen auf die Urſchrift ala überflüffig gelten mochte, ganz 
wiederholt, alles Andere aber in Negeftenform mitgetheilt wurde. Ein 





* Die Mittheilung einzelner Schreiben, wie 3. 8. Bd. VII. n. 7, 8, 
147 möchten wir nicht gutheigen, da fie, ans einem reichen Stoffe doch mmr 
willlurlich herausgegriffen, zu falfhen Erwartungen Anlaß geben. 





6. Deutſche Provinzialgeſchichte. 687 


eigenthumliches Verhaͤltniß trat freilich in dieſer Hinſicht bei dem vorlie⸗ 
genden letzten Bande ein, der ſich ſo vielfach mit Riedels cod. diplom. 
berühren mußte und für Friedrichs Walten in der Mark wenig Neues 
von Bedeutung bringen fonnte. (Cinige Urkunden, die ſchon bei Riedel 
ftehen, werden noch einmal aus dem Original gegeben, und wie es ſcheint 
cortecter. Bon näherem Interefie auch für die märliihen Verhaͤltniſſe ift 
n. 333 wegen der Notiz über die von Burggraf Johann feinem Bruder 
in die Marl gefandten Hilfsvölfer.) Das vorzüglidere Intereffe, welches 
diefer Band erwedt, gehört den Urkunden Burggraf Johann (III.), bei 
denen auch Riedels „Zehn Jahre aus d. Geſch. d. Ahnherrn d. preuß. 
Königshaufes” noch weniger vorgegriffen hatten. Hier ift man aber un: 
willführlih zu der Frage veranlaßt, ob der Endpunkt des ganzen Werles 
— die Belehnung des Burggrafen Friedrich mit der Kur (18. April 
1417) — ein glüdlih gewählter jei? Bon der Regierung Burggraf So: 
banns (} 1420) find fo allein die zwei legten Jahre unberüdfichtigt ges 
blieben, während, wie bereit3 erwähnt, das SHereinziehen der maͤrkiſchen 
Verhaͤltniſſe doch nicht vermieden werben konnte. — Yür die auf letztere 
Bezug habenden marlgräflihen Urkunden der Folgezeit und aud für bie 
Documente, melde die perfönlihen Angelegenheiten jener Burggrafen, die 
zugleich Regenten der Mark waren, betreffen, ift namentlid in der dritten 
Hauptabtheilung von Riedels cod. diplom. der Ort zur Publifation ger 
geben; möchte doch eine ähnliche Fortfegung der Monum. Zollerana 
auch für die fränkifhen Lande zu Stande fommen, welche lange Zeit noch 
als das Stammland der Dynaftie betrachtet wurden und die im 15. Jahr: 
hundert noch vorzugsmeife der Boden waren, von mo aus biejelbe auf 
den Gang der allgemeinen deutfchen Angelegenheiten einwirtte. Th.K. 


Mayer, Dr. Fror., Rürnberg und feine Merkwürdigtei 
ten. Ein Wegmeifer für Fremde. 8., durchweg umgearb. u. verm. Aufl. von 
Seo. Wolfg. Karl Lohner. Mit 32 Anfihten (auf 18 Taf.) u. dem Grundriß 
der Stadt in Stahift. (in qu. gr. %ol.) 8. (XII u. 164&. m. Anh.: Leben 
läufe berühmter und verdienter Nürnberger. Verfaßt von Geo. Wolfg. Karl 
Loch ner. Mit 3 Bildn. in Stahlſt. (V u. 68 ©.) Nürnberg, Schrag. 

Geſchichte, lurzgefaßte, der Loge Joſeph zur Einigfeit 
im Drient Nürnberg während des erfien Jahrhunderts ihres Beſtehens 
1761—1861. Feltgabe zur Erinnerung au die Säcularfeier den 30. Jumi 1861. 
gr. 8. (VII u. 199 ©.) Nürnberg, Korn. 

Heerwagen, Dr. Heinr. Wilh., k. Stubienreltor, Zur Geſchichte 


688 Ueberfigt der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


der Nürnberger Gelehrtenſchulen im dem Zeitranme von 1485 bis 
1526 Gymnafialprogramm. (37 &.) 4. Räüruberg 1861. 


Gründlide Forſchung und eine Hare ven Liebe zur Sache getragene 
Darftellung zeidmen die angezeigte Edhrift um fo mehr aus, je feltener 
wir ſolchen Leiftungen auf diefem Gebiete begegnen. Mit Glüd wird die 
bei Siebentäs Mat. zur Nürnb. Gef. II. 719—736 gebrudte Ordnung 
der Lateinfchulen dem Jahre 1485 zugewiefen und dadurd ein Ausgangs: 
punlt für die ganze weitere Entwicklung des Schulweſens gewonnen. Tie 
Grundungsgeſchichte der berühmten Egidierſchule hat durd eine kritiſche 
Sichtung der einfhlägigen Briefe von Coban Heſſe (S. 18 A. 47 find 
aud für die Zeitbefiimmung einiger Briefe Melanchthons neue Anbalts: 
punkte gefunden) und durd die Auffindung des von Melanchthon entwor: 
fenen Schulplanes (in einem Beilage III. wiedergegebenen gleichzeitigen 
Drude der v. Scheurl'ſchen Bibliothek) die wichtigften und interefjanteften 
Aufflärungen erfahren. Recht werthvoll find au die Beilage I. und II. 
mitgeteilten Aktenftüde, wovon das erftere eine Aufzählung der Cinkünfte 
jeder Sculftelle vor dem Jahre 1485 und das zweite die condiciones 
et habitudines scolastici regiminis enthält, welche der Schulmeifter 
am Neuen Epital Georg Altenftein (mie der Verf. mit Grund annimmt 
im %. 1485) dem Nathe dargelegt. Wie ſchon bei Siebenläg a. a. ©. 
I. 269 ff. gevrudten Natböverläffe werden, ohne Zweifel nah ven Dri« 
ginal⸗Rathsprotokollen (eine genauere Bezeihnung der benügten Archiva⸗ 
lien wäre an manden Stellen, 3.8. aub ©. 5 9.7 wünſchenswerth ge 
weſen) ganz oder theilweife in berichtigtem (ober mobernifirtem) Terte 
wiederholt. — Im Einzelnen mödten wir blos bemerfen, daß die €. 5 
A. 8 nah Waldau citirte Stelle dem bei Murr, Merkwürdigk. 2. Aufl. 
©. 638 ff. vollftändig abgeprudten umfangreihen Notariatöinftrument über 
die Gründung des Spital® angehört ; fowie, daß der ©. 9 erwähnte lu- 
pus oder asinus nad ver bezüglihen Stelle der Schulordnung (bei Sie: 
benläs 725, 726) keine Perfon fein kann; nad analogen Fällen ift es 
ein Büchlein, in das jeder Schüler feinen Namen eintragen mußte, fo 
oft er fi gegen das Gebot (des Lateinſprechens) verging. Th. K. 


Nürnberger Bolizeiorbnungen aus dem XI. bis XV. Jahr- 
hundert, Herausgeg. von Zofeph Baader, k. Arhivconfervator in Rürmberg. 
(68. Publication des literariichen Vereins.) (340 ©.) 8. Stuttgart 1861. 


Der vorliegende 63. Band der Bibliothek des literariihen Vereines 





6. Deutfche Provinzialgeichichte. 689 


in Stuttgart liefert ein unihäßbares Material für die Kenntniß der ins 
nern Zuftände und Einrichtungen Nümbergd im genannten Seitraume und 
e3 fann nur bedauert werben, daß derfelbe im Buchhandel nicht zu haben 
ift. Der Herauögeber bat die gleihartigen in zwei Handſchriften des k. 
Archivs in Nürnberg enthaltenen Verordnungen mit vollem Recht nicht 
unmittelbar aufeinander folgen laſſen, fondern immer nad Jahrhunderten 
zujammengeftellt, um einem jeden jeinen Charakter befler zu wahren und 
eine größere Ueberſicht deſſen zu gewinnen, als in einem jeden Seitabfchnitte 
in polizeiliher Hinfiht angeorbnet worden ; nur hätten wir gewümſcht, daß 
bei den einzelnen Verordnungen aud die Blattzahl des betreffenden Coder 
angegeben worden wäre. Tie nahezu britthbalbhundert Verordnungen wur: 
den in folgende 12 Hauptabjchnitte eingetheilt: Verfaſſung und Polizei 
überhaupt, Sicherheitspolizei, Eittenpolizei, Handelspolizei, Gewerbäpolizei, 
Victualienpolizei, Geſundheits⸗ und Neinlichleitspolizei, Baupolizei, Feuer: 
ordnungen, Forft: und Jagbpolizei, Bettelordnung, Juden zu Nürnberg, 
woran fih noch einige Beftimmungen fchließen, die unter leinen der vori- 
gen Abjchnitte untergebradht werden konnten. Zu jahlihen und ſprachli⸗ 
hen Anmertungen bat der Herausgeber wenigftend einen Anlauf genommen. 
Doh wäre diejer unferes Bedumkens befier unterblieben, ftatt durch belies 
bige Einfälle und unrichtige Erflärungen irre zu leiten. So finden wir 
allerdings Worte zu wiederholten Malen erllärt, die deſſen nicht beburft 
hätten; doch an den fchwierigen ift der Herausgeber vorübergegangen, und 
bei andern hätten Schmeller und Friſch, die offenbar benugt wurden, die 
rihtige Bedeutung leiht an die Hand geben koͤmmen. Gin größeres und 
nachhaltiges DVerbienft bätte fih der Herausgeber durch ein Wortver: 
ze ichni ß erwerben lönnen, da dieſe Verorbnungen einen wahren lericas 
Im Schat in fi bergen. 

Die in’ der kurzen Einleitung enthaltenen Angaben über die Nünz 
verhältnifie. des bezüglichen Beitraumes koͤnnen ergänzt und beridhtigt wer: 
den durch eine ausführlihde Abhandlung im 1. Bande der Stäbtechroniten 
©. 224— 262. Wünfhenswerth wäre auch ein Drudfehlerverzeichniß ge: 
weſen, denn es ift doch nicht einerlei, ob gesunder oder befunder 
168), bürbass oder fürbass (81), primeten oder pirmeten (176) 
hockenwirt oder heckenwirt (222) u. ſ. w. im Terte fiebt. m. 


Zeitſchrift des Hiforifchen Bereine für das wärtember 


590 Ueberficht der biftorifchen Literatur von 1861. 


gifhe Kranken. V. Bd. 2. Hft. Jahrg. 1860. Mit 8 Holzſchnitten. (S. 178 
bis 328.) Rümpelsau und Mergentheim. 

Diefe Publilation enthält (in 5 verſchiedenen Abtheilungen) folgenve 
Mittheilungen: 

Ritter Conrad von Berlihingen und feine Ahnen. Bom Grafen Fried. 
von Berlihingen:Rofjah. S.173—202. (Die Abhandlung ift ein „Bor 
läufer” von des Verf. größerm Werke über Götz von Berlichingen.) — 
Walther von Eronberg, der erfte Hoc: und Deutfhmeifter zu Mergent: 
beim. Eine Skizze von D. Schönhuth. ©. 202— 217. — Regeſten der 
Herren von Berlidingen 1245—1460, &.218—233. (In den Ardiven 
von Münden, Stuttgart, Mergentheim und Behmingen von Graf Job. 
von Berliingen gefammelt und von O. Schönhuth herausgegeben.) — 
Beiträge zur Sitten: und Rechtsgeſchichte aus dem Stabtbud von Wei: 
kersheim, vom %. 1416 abwärts. Mitgetheilt von Delan Mayer. ©. 233 
bis 242. Das Stabtbud gehört in die Reihe jener, welche neben Anderem 
vorzüglich auch privatrechtlihe Eintragungen aufzumeifen haben (vgl. Ho: 
meyer, Stabtbüher des Mittelalt.). Polizeilihe Verordnungen finden fi 
dann ebenfall3 und ©. 239: dye recht vnnd die freiheyt, welde die Stadt 
von ihren Herren (von Hohenlohe) zugeitanden erhalten hatte (Aufzeich: 
nung vom J. 1509.) Leider ergeben fi zumeilen Bedenken gegen den 
richtigen Abdruck der Textesſtellen. — Chronit der Herren von Eyb, zum 
erftenmale berauzgeg. von Ditmar Echönhuth. ©. 242—265. (Die um 
die Scheide des 16. und 17. Jahrhundert? abgefaßte Chronif rührt von 
M. Wenzeslaus Gurkfelder her und wurde der Originalhandſchrift entnom⸗ 
men.) — Die Stiftslirhe zu Behmingen und ihre Antiquitäten. Bon 9. 
Bauer. S. 206 — 284. — Tie Grabdenkmale in der Kirche zu Gaildorf. 
Bon Oberamtmann Mau. S. 284 — 293. (Beziehen fih auf dag Ge- 
fhleht der Schenken von Limpurg, und gehören dem 16. Jahrh. an.) — 
Glasgemälde in der Kirche zu Gaildorf. Bon demfelben. ©. 294, 295. — 
Dentmale der Herren von Berlihingen im alten Kreuzgang zu Schönthal. 
Vom Grafen Fried. von Berlihingen. S. 295 — 299. — Hohenlohe'ſche 
Denkmale. Bon Bauer. ©. 300—308. (Nah dem „Ardiv für Hohen: 
lohe'ſche Geſchichte“ Jahrg. 1859.) — Einige Ortöbeftimmungen. Bon 
H. Bauer. ©. 309—316. — Die „Nachträge und Bemerkungen” geben 
eine berihtigende Notiz zum 2. Bande von Yägers Geſch. von Heilbronn, 
von Dr. Alunzinger. Th, K. 





6. Dentſche Provinzialgeſchichte. 691 


9. Bayern. 


Bavaria. Landes u. Volkskunde des Könige. Bayern, bearb. v. e. 
Kreife bayer. Gelehrten. I. Bd. : Ober- u. Niederbayern. 2. Abth. Mit einem 
TrachtenBild in Holzſchnitt, gez. von U. v. Ramberg. Ler.-8. (XVI ©. und 
&. 673—1202 mit 2 in Kpfr. gefl. Karten in qu. gr. Fol.) Münden 1860, 
liter.-artifl. Anft. 

Wir mahen aufmerlfam auf den Abriß der Ortsgeſchichte 
von Oberbayern und eines Theils von Niederbayern aus der Feder des 
als gründlichen Kenner der bayerifhen Vorzeit bewährten Dr. Ludwig 
Rodinger. Der Berj. hat nidt allein die Außerft zeritreute Literatur 
der Localgeihichte vollftändig benutzt, jondern mandes auch aus den urs 
fprüngliden Quellen gefhöpft, z. 3. die innere und rechtliche Entwidlung 
der beveutendern Städte. Für das Studium der bayerifhen Geſchichte fin 
det man bier manden fyingerzeig. K. 


Duellen und Erörterungen zur Bayerifhen und deut 
hen Geſchichte. Herausgegeben auf Befehl und Koflen Seiner Majeftät 
des Könige Marimilian II. Bd. VI. Auch unter dem befondern Titel: Monu- 
menta Wittelsbacensia. Urfundenbud zur Befchichte des Haufes Wit- 
telsbach. Herausgegeben von Dr. Fr. Mid. Wittmann, I. Reidsardive 
Rath. Zweite Abtheilung von 1298-1897. (VII u. 640 ©.) 8. München 1861, 
Georg Franz. 

Hr. Archivrath Muffat bat fi das Verdienſt erworben, die von 
dem verftorbenen Wittmann gefammelten Wittelsbachiſchen Urkunden zum 
Drud gebraht zu haben. Er bat die Abfchriften noch einmal mit den 
Driginalien vergliden, die vorlommenden Perſonen⸗ und Ortsnamen kurz 
ertlärt und dem Ganzen ein Regifter beigefügt. 

Es find 196 Urkunden, die hier in fauberm Abdrud vorliegen. Die 
Hälfte war zwar ſchon gebrudt, aber in den verfchiedenften Werten zer» 
ftreut. Bon den bier zuerſt gedrudten, deren eine ftattlihe Reihe ift, dürf- 
ten namentlih die Urkunden aus der Zeit des Kaijer Ludwig des Bayern 
von Intereſſe, auch für die allgemeine deutſche Gedichte fein, fo 3. 2. 
ein Landfrieden Ludwigs für Schwaben und Oberbayern, errichtet zu 
Augsburg am 4. October 1330; die Urkunde vom 14. November 1333, 
worin Herzog Rudolf von Sachſen dem Kaifer Ludwig verſpricht, „wann 


592 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


der khaiſer abgieng oder bei dem reiche nicht bleiben woldt,“ den Herzog 
Heinrih von Bayern zum römiſchen König zu wählen; ein Vertrag vom 
11. Auguft 1338 zwiſchen den Pfalzgrafen am Rhein und den Söhnen 
des Kaiſers wegen der Chur eines römifhen König; ein Landfriedens⸗ 
bündniß auf des Kaiſers Veranlafjung gefchloffen zu Nürnberg am 1. Zuli 
1340 zwifhen den Söhnen Ludwigs, den Bilhöfen von Bamberg, Eid: 
ftett, Würzburg, dem Abte von Fulda und mehreren Grafen und Städten; 
eine Urkunde vom 30. April 1340, worin Kaifer Ludwig die Aufnahme 
von Pfalbürgern in bayerifchen Städten und Märkten verbietet; vom 2. Ja: 
nuar 1341, wo Kaifer Ludwig den Ständen von Niederbayern, welche ihn 
als ihren Herrn anerkannt haben, gelobt, alles zu vollführen, was die 
von denfelben erwählten Fünfundzwanzig zum Frommen des Landes ber 
fliegen. — Wir könnten noch eine Reihe von Urkunden zur Geſchichte 
der Söhne und Enkel des Kaiſers nambaft machen ; über mandhe dunlle 
und vertwidelte Verhältnifie der bayerifhen Fürften in der zweiten Hälfte 
bed 14. Jahrhundert? wird dadurch Licht verbreitet. Allein noch größer, 
f&eint und, würde der Gewinn fein, den die Geſchichtsforſcher aus einer 
Hortfegung des Werkes durch das 15. Jahrhundert hindurch ziehen könn⸗ 
ten, und e3 möge und erlaubt fein, bier den Wunſch auszuſprechen, daß 
eine ſolche Fortführung der Edition big zum Ende des Mittelalters beliebt 
werden möge. Bon den bayerifhen Urkunden des 15. Jahrhunderts find 
verhältnigmäßig am wenigften befannt, und doc liegen deren in unfern 
Archiven jo viele, welche auch für die allgemeine deutihe Gefchichte von 
hervorragender Bedeutung find. So würden die Urkunden Ludwig des 
Bärtigen und noch mehr die des Herzogs Wilhelm III. ein nicht unwich⸗ 
tiger Quellenbeitrag zur Gefhichte des Bafeler Concils, die Urkunden Lud⸗ 
wig des Reihen ein Beitrag zur Geſchichte der Reichöreformbeftrebungen 
und der Reichslämpfe in der zweiten Hälfte des Jahrhundert? werden kön: 
nen. Es würde freilib faum ausführbar fein, alle Wittelsbachiſchen Ur: 
funden jener Zeit iin extenso mitzutheilen; ftatt deſſen könnte man Re: 
geften geben, die nicht minder werthvoll wären. K. 


Zint, Studienlehr. Kasp., Erzählungen aus der bayerifchen 

Geſchichte als Uebungen zum Ueberſetzen aus dem Deutihen in das Latei- 

iſche f. Schüler der oberen lateiniſchen und unteren Oymnofial-Maffen. gr. 8. 
‘u 322 ©.) Bamberg, Buchner. 





EX B 
— - 


‚6. Dentiche Provinzialgeſchichte. 598 


Beder, Lehr. Michael, Geſchichten aus der bayerifden Gew 
ſchichte f. Mädchen erzählt. gr. 8. (X u. 158 ©.) Münden, Lentner. 


Haentle, Reihsardhivs-Eekr. Dr. Ehriftion, Fleine Beiträge zur 
Bayerifhen Landes u.BWittelsbahifhen Familien⸗Geſchichte. 
gr. 8. (VII u. 103 ©.) Augsburg 1861, Schmid's Verl. 


Bier Heine Abhandlungen folgenden Inhalts: Don welchem Tage 
an datirt fi die neue Herrſchaft der Witteldbaher über das Herzogthum 
Bayern? — Wo bielt Dtto I. der Große gewöhnlih Hof? — Vom Vater 
der Herzogin Ludmilla, Gemahlin Herzog Ludwig I. , genannt der Kel: 
beimer. — Starb Herzog Ludwig I. von Bayern im Banne, und in 
welhem? — Diefe mit vieler Beleſenheit und Umfiht geführten Unter: 
fuhungen find, dem Vorworte nad, als Vorläufer einer möglihft auf Ur: 
funden und fonftige biftorifhe Quellen gebauten Wittelsbachiſchen Genea⸗ 
logie, zunädft der Herzoge Otto I. und Ludwig I. zu betraditen. Wir 
ſehen der Veröffentlihung eines folden Werkes mit Freuden entgegen. 
Denn Jeder, der fi mit älterer bayeriſcher Gefchichte auch nur oberfläd: 
ih beihäftigt bat, weiß, mie völlig unfiher oft die einfachften Daten 
find; der Hr. Verfaſſer aber jcheint und ganz jene Ausdauer und kritiſche 
Begabung zu haben, die für jo minutiöfe, aber unentbehrlihe Unterſuchun⸗ 
gen nothwendig find. K. 


Schreiber, Wilhelm Dr., Otto der Erlauchte, Pfalzgraf bei 
Rhein umd Herzog von Bayern. (XIII u. 295 ©.) 8. Münden 1861, Berlag 
der Lentner’ichen Buchhandlung. 


Derielbe, Mar Emanuel, Kurfürfi von Bayern, Erimerung 
an die Euthüllung des Monumente Mar Emanueld zu Münden. (IV und 
122 ©.) 8. Münden 1861, Fleiſchmann's Buchhandlung (Auguft Robfold.) 


Bon dem jugendlihen Verfaſſer dieſer Schriften erſchien ein Jahr 
zuvor eine fogenannte „Geſchichte des baveriihen Herzogs Wilhelm V. 
des Frommen“, und fo eben hat verjelbe, wie wir vernehmen, eine vierte 
Monographie zur Ausgabe bereitet. Und alle dieſe Werte, die wie Pilze 
aus dem Boden wachſen, machen den Anſpruch, mit Benupung aller Quels 
len und Handſchriften (!) „entftanden zu“ fein; überall findet - der Ver: 
faffer, daß feine Helden „in allen bisher erſchienenen Geſchichtswerken ober“ 


flächlich und falſch beurtheilt worden waren.” Arroganz, Leichtfinn wen 
Unwiffenheit treten wohl felten in fo crafier Weife bei einem ui: 


594 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1861. 


ger zu Tage; der junge Mann foheint gar keine Ahnung von emfter kri⸗ 
tiſcher Forſchung, keine Ahnung von objectiver, Recht und Unrecht ftreng 
abwägender Darftellung zu haben, und doch maßt er fih an, höher als 
alle feine Vorgänger zu ftehen, „Buchner und die andern fogenannten 
bayerifhen Hiftoriler" nimmt er gern in die Schule als „oberflächlich“ 
oder „leichtfertig.”" Es wäre überflüflig, auf Einzelnes einzugehen. Man 
fönnte Seite für Seite mit dem Verfaſſer rechten. Nirgends kommt er in 
feiner Compilation über feine mißhandelten Vorgänger hinaus, nur daß 
er feine Helden noch rüdhaltlofer lobt, ihr Verfahren überall und unbe: 
dingt rechtfertigt. Nur bei Dtto den Erlauchten ftößt er wegen feiner kirch⸗ 
lihen Geſinnung auf Schwierigleiten, und fucht über deſſen Schwanten 
zwiſchen Rom und Friedrich II. mit leeren Phrafen hinweg zu kommen. 
„Die immer näher beranrüdenden Wogen der päpftli- 
hen und kaiſerlichen Gewalt trieben ihn in den feiner 
Entjheidung nahenden Kampf, in welhem er al3 my 
fteriöfes Opfer fiel.” (S. 253.) Um fo ſchwärzer wird Friedrid IL 
gemalt ; alles was in ver Leidenfhaft des Kampfes dem SHobenftaufen 
jemal3 vorgeworfen worden ift, gilt dem Verfaſſer als erwiefen; fo ift 
3 B. die Ermordung des Herzogs Ludwig durch den Kaifer Friedrich 
eine ganz ausgemachte Thatfahe. — Wie die Urtheile über die Perjön: 
lichteiten, jo find auch die Erörterungen über die Landesverfaffung (S. 173 
bis 227) voll von unrichtigen, fehiefen und unklaren Behauptungen. 
Menn wir in Otto dem Grlaudten überall feine Spur von neuer 
tief gehender Forſchung, von „Quellen und Urkunden” zu entveden ver: 
mögen, fo no weniger bei Mar Emanuel, obwohl auch diefer „ganz 
auf Urkunden gegründet fein” fol. Es iſt eine raſch bingeworfene Lob: 
rede, ohne neue Gefichtspunfte und durchaus nicht von der Wirkung, 
welche der Verfaſſer beabfihtigt. Denn trog Schreiber Gerede von „Ta: 
Ient,” „Gemüth,“ „interefjantem Charakter“ fteht fein Held noch immer 
als der gewifjenlofe Verſchwender, ald der kurzſichtige und jelbitfüchtige 
Bolitiler da, wie ihn ſchon Andere längft dargeftellt haben. Die Anipie- 
lung auf moderne Berhältniffe im Vorwort ift abgejhmadt und des Ber: 
faſſers politiſches Glaubensbelenntnig mindeftend überflüſſig. Oder foll 
dad Vorwort die Geſichtspunkte aufftellen, nah denen Mar Emanuels 
politisches Verhalten aufzufaflen ift? Dann hätte dem Berfafier nicht ent- 
geben follen: daß, wenn König Mar II. bisher als deut ſcher Fürk 





6. Deutfche Provinzialgeſchichte. 695 


handelte und in Zulunft ald bayerifcher handeln wird, der Aurfürft Mar 
Emanuel weder eine deutiche noch eine bayeriihe Politik befolgt, jondern 
das engere wie das weitere Vaterland in der Regel über dem eigenen oder 
dem vermeinten Intereſſe feines Haufes vergefien hat. — Aber man fieht 
leicht, worauf die politifhen Ergüffe des jugendlichen Verfaſſers berechnet 
find: der zur Schau getragene Localpatriotismus joll jeinen Schriften eine 
freundlide Aufnahme fihern. So arm ift indeß Bayern an Edhriftftellern 
nit, daß jeder ſchlechte Scribent, wenn er Bayer wäre, Alles auf den 
Markt bringen dürfte. Gerade meil der Bayer in treuer Anhänglichleit 
an feine Heimath und an feine Vergangenheit feine Geſchichte hochhält, 
fann er nicht wollen, daß fie ſchuͤlerhaft und leichtfertig dargeftellt werde. 
K. 


Kletke, Bürgermeifter a. D. Dr. ©. M., die Staatsverträge 
des Königreihs Bayern in Bezug auf Zuftiz-, Polizei-, Adminiftrationse, 
Landeshoheits-, Territorial- und Grenz, x. Angelegenheiten. Bon 1806 bis 
einfchlieglih 1858 ſyſtematiſch und chronologisch zufammengeftellt u. heransgeg. 
5. Lig. gr. 8. (XVI ©. u. S. 931 —1240.) Regensburg 1860, Puftet. 


Jocham, Prof. geiftl. Rath Dr. Magn., Bavaria sancta. Leben 
der Heiligen und Geligen des Bayerlandes zur Belehrung und Erbauung für 
das chriſtliche Boll. 1. u. 2. Lig. 8. (1. ®d. X u. 684 ©.) Münden 1861, 
Finſterlin. 


Gätſchenberger, Steph., bayeriſcher Plutarch. Kin biograph. 
Lericon berühmter Bayern und Solcher, die fi in Bayern berühmt gemacht. 
(In 0 Lfgn.) 1. fg. 4. (IV u. 28 &.) Würzburg, Gätfchenberger. 


Bfeilfhifter, Legat.-R. Joh. Baptifta, bayerifher Plutarch 
od. Lebensbeichreibungen denfwürdiger umb verdienter Bayern. 1. Bochn. 8. 
(V u. 220 ©.) Afchaffenburg, Krebe. 


Wanktmüller, Franz Joſeph, bifchöflich geiftlicher Rath, Dekan des 
Landkapitels Kempten und Pfarrer in Hindelang. Deſſen Bildung, Charalter 
und Leben. Bon einem Freunde bes VBerewigten, M. 3. gr. 8. (100 ©.) 
Kempten 1860, Köfel. 


Gewerbe⸗Feſtzug zur Feier des 5Ojährigen Iubiläums ber Berei⸗ 
nigung der Stadt Hof mit der Krone Bayern am 30. Iuni 1860. Heraus⸗ 
gegeben von Albr. Heinrich u. Exh. Bauer. Imp.- Kol. (8 Gteintaf. und 
1 Blatt Text.) Hof, Gran & Go. 


596 Ueberficht ber biftorifchen Literatur von 1861. 


Koch⸗Sternfeld, Ritter v., die Gründuug unb die wichti— 
geren geſchichtlichen Momente des ehemaligen fürfll. Reichsſtifts unb 
heutigen FürftentHums Berchtesgaden, entgegen einem Correfpondenzartilel im 
Sammler Rr. 106 der Augsburger Abendzeitung: „Berchtesgaden den 8. Sep⸗ 
tember (1860) zur Jubiläumsfeier.“ Aud mit Rüdfiht auf den Sukzbacher 
Kalender f. katholifche Chriften auf das Jahr 1861 2c. Nachträglich eine wif 
ſenſchaftliche Feftgabe. Mit der Anficht Berchtesgadens im 7. Jahrhundert (im 
Stahlſt.) Ler.-8. (43 ©.) Mündjen, Lindauer. 


Geſchichte, topographifche, der Städte Oberbayerns, ber 
ausgegeben von dem Biftorifcdhen Vereine von und für Oberbayern. 1. Band. 
(Abdruf aus dem 19. Bande des Dberbayer. Archives.) Ler.-8. (XVII und 
8586. mit 5 lithographifchen Plänen in Ter.-8. u. %0l.) München 1860, Franz 
in Comm. 

Inhalt: Zopographifche Gefchichte der Stadt Aibach und ihrer Umge⸗ 
bung. Bon Stadtpfr. Kon. Danhauſer. Mit dem (lith.) Grundplane der 
Stadt. (44 S.) — Topographiſche Geſchichte der Stadt Rain. Verfaßt vom 
Landgerichts. Affeffor Ludw. Wild. Fiſcher. Mit dem (lith.) Grundplane der 
Stadt. (50 S.) — Topographiſche Gedichte der Stadt Reichenhall und ihrer 
Umgebung. Bon Oberbaurath Herm. Herrmann. Mit dem (fith.) Grund 
plane der Stadt. (80 S.) — Topographiſche Geſchichte der Stadt Traunſtein. 
Bon Sculbeneflciat Joh. Joſ. Wagner. Mit dem (lith,) Grundplane der 
Stadt (in Fol.) (119 S.) — Zopographiihe Geſchichte der Stadt Wafferburg 
am Sun. Bon Stadtfhreiber Joſ. Heiferer. Mit dem (lith.) Grundplane 
der Stadt (in Fol.) (100 ©.) 


Lukas, 3., Sefhidte der Stadt und Pfarrei Chem, ans 
Duellen und Urkunden bearbeitet. 8. (XVI u. 429 ©.) Yandshut 1862, Thomann. 


Lehmann, Kried., Chronilüber das Dorf und die Pfarrei 
Altenthann im f. bayer. Landgericht Altdorf, nebft geſchichtl. Mittheitungen 
über die von Grundherrſche Familie. 1861. 8. (Die Grundherr gehören zu ben 
äfteften Patriciergeſchlechtern Nürnberge.) 


Oberbayerifhes Arhiv für vaterländifhe Geſchichte, 
herausgegeben von dem Hiftorifchen Vereine von und für Oberbayern. 20. Bd. 
8. Heft u. 21. Bd. 3. Heft. gr. 8. (XVI ©. u. ©. 235—350 mit 2 lith. 
Blänen in Fol.) Münden 1859 u. 1860, Franz in Comm. 

Inhalt: XX, 3: Gefdjichte des Dorfes Oberammergau. Bon Joſeph 
A. Daifenberger, Pfarrer daſelbſt. (Fortſetzung und Schluß.) — Alpha⸗ 
betifches Regifter über den 11. bis 20. Bd. des oberbayerifchen Ardine. — 
XXI, 3: Necrologium des Klofters Niederſchönefeld. Mitgetheilt von Erneft 





6. Deutſche Provinzialgeſchichte. 6 


Geiß, Kaplan sc. — Kloſter Atomänfter im Beſitze des Benedictiner⸗Ordens. 
Von Fr. Hector Grafen Hundt, 2. Liefrg. — Geſchichtliche Nachrichten von 
der Burgſtelle Gegenpeunt im f. Landgerichte Fürftenfeldbrud. Geſammelt von 
Sacod Groß. — Etatiftil und Topographie des Gemeindebezirka und der 
Dorfſchaft Niederſchönefeld im ek. bayerifchen Regierungsbezirte Oberbayern. Bon 
3. G. Scheifele. — Geſchichte der Pfarrei Obertauffirhen und der zu die 
fer Pfarrei gehörigen Filialen und ehemaligen Adelſitze. Bon Bernd. Zöpf, 
Lehrer. — Beiträge zur Beſtimmung des Goldgewidhts der fogenannten Regen» 
bogenfchüffelhen. Bon Philipp Dig, Kaufmann und Handele-Appellationsges 
richts⸗Aſſeſſor. (Mit einer Tafel.) 

Berhandlungen des biftorifchen Vereins f. Niederbayern. 7. Bb. 
1. u. 2. Heft. gr. 8. (221 ©.) Landshut, Thomann. 


Berbandlungen des hiſtoriſchen Vereins für Oberpfalz. Collectanen- 
blatt zur Geſchichte Bayerns. 


Manich, Friedr., Geſchichte des Lönigl. bayerifhen I. Che⸗ 
vaulegers-Regiments Kaijfer Alerander von Rußland. Erſter 
Theil: Die Stämme des Regiments (1645 — 1682). Gletchzeitig ein Beitrag 
zur älteften bayerifchen Seeresgefchichte von 1611—1682. 8. Münden 1861. 


Wie man deutlich erfennt, beabficdhtigte der Verfafler urfprünglih nur 
die Geſchichte des bayerifhen I. Chevauleger8:Regiments zu fchreiben. Bei 
der Unmöglichleit aber, die Gntftehung des heutigen Regiment? aus ben 
urfprüngliden Stammabtheilungen gejondert zu entwideln, warb unwilllürs 
lih eine Geſchichte der fünf älteiten, 1682 errichteten, bayeriſchen Heeres» 
abtheilungen daraus. Auch Münich bringt in den Noten pag. 61—137 
„turze Biographien”, aber nicht nad Chargen geordnet und aus Beförs 
derungs⸗ und Grunbliften abgejchrieben ; denn wenn er einen Ramen 
nennt, dann mar deflen Träger aud ein ganzer Mann. Von geſchicht⸗ 
licher Darftellung, von Genügen in der Form kann freilich nicht die Rede 
fein; aber was uns der Berfafler bietet, find völlig neue Thatſachen, aus 
bisher unbenugten Urkunden und Alten gezogen, interefiante Aufſchlüſſe in 
kulturhiſtoriſcher Beziehung, Berichtigungen von Jrrthümern, welche durch 
Nahläffigleit in die Geſchichtsſchreibung geratben und aus Bequemlidleit 
in ihr erhalten wurden. Manchmal freilih ift er gang unliebenswürbig 
troden und nur mandmal, wenn er einen verwegenen Neiterftreich ober 
die tapfere Vertbeidigung eines feften Plapes erzählt, wird er in ber 
Freude feines Herzend warm, ja zuweilen felbft humoriftiih (vgl. pag. 15). 


698 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1861. 


Bor Allem aber ift es kein durch wiederholte Aufwärmen Traftloß ge 
wordened und zur Unjhmadhaftigleit verwäfiertes Geriht, was man bier 
vorgeſetzt belömmt. L. H. 





Es nöthigt ung der Mangel an Raum bier abzubrehen und den 
Schluß der deutfhen Provinzialgefhichte, die öfterreihiihen Stammlande, 
fowie Böhmen, Mähren, Schlefien erft im nächften Hefte zu bringen. 





Dr. ®ilhelm Maurenbreder. 





Beun , Drud von Carl Georgi. 





Nachrichten 


von der 


hiftorifhen Commiſſion 


bei der 
Msniglich Bayeriſchen Akademie der Wiſſenſchaften. 
(Beilage zur Hiſtoriſchen Zeitſchrift herausgegeben von H. v. Sybel.) 


Dritter Jahrgang. 
dieries Städ, 


München, 1862. 


Literariſch-artiſtiſche Anſtalt 


der J. G. Cott a'ſchen Vnchhandlung. 
Bonus, Dras von Carl Gengl. 





VI 
Berzeichniffe von Handichriften zur deutſchen Städtegefchichte 


von 


Dr. Theodor v. Kern. 


J. 
Handſchriften der fürſtl. Oettingen⸗Wallerſtein'ſchen Bibliothek zu Maihingen. 


Der ſehr beträchtliche Handſchriftenſchatz dieſer Bibliothek wurde 
durch die Verbindung mehrerer Klojterbibliothefen (worunter die der 
Benediktinerabtei S. Mang in Füllen nad) Umfang und Inhalt die 
bedeutendfte war) mit der Bücherſammlung des fürftlichen Haujes im 
Anfang diefes Jahrhunderts begründet und fpäter durch den Ankauf 
wichtiger Manuferipte nicht unmefentlich bereichert. Die Stellung des 
Haufed Oettingen und die Lage feiner Befitungen an der Gränze 
Schwabens gegen Franken, noch mehr aber die Art der Entitehung 
der ganzen Sammlung ließen vermuthen, daß fie für die Gejchichte 
der ſchwäbiſchen und fränkifchen Städte fchägenswerthes Material ent⸗ 
halten werde. Bei dem eriten kurzen Beſuch zu Maihingen im 
Jahre 1859!) ftellte fi diefe Erwartung als eine volllommen beredh- 
tigte dar; zugleich aber zeigte fich, daß, da ein Katalog über die Hand» 
fohriften der Bibliothek zur Zeit nody nicht vorhanden und die Auf- 
ftellung eine zufällige ift, nur eine Durchſicht aller Codices?) zu dem 
erwünfchten Ziele führen könne. Diefelbe wurde im Herbite des Jahres 

1) Bergl. Nachrichten von der hiſt. Commifl. Jahrg. I, &t.8, ©. 14,15. 


2) Auch der Inkunabeln, die häuflg zwiſchen den Sanbichriften Bandes 
und wegen der beigebundenen WRaunfcripte auch ſelbſt in Betracht kamen. 





108 Berzeichniffe von Handſchriften zur deutſchen Städtegefchichte. 


1860 vorgenommen, nachdem mir hiezu durch die befondere Zwor⸗ 
kommenheit und Gefülligfeit des Bibliothefars Freih. W. von Löffelholz, 
fürftl. Domanialkanzleiraths in Wallerftein, und die Bemühung des 
Euftos Maple jede Förderung zu Theil geworden. Da jedes Manu- 
feript jelbft einzufehen war, begegnete manches, was unferen Zweden 
ferne lag, aber im Yolgenden doch notirt wurde, um anderen For: 
fchern, für welche eine Unterfuchung, wie fie von und gepflogen wurde, 
nicht möglich oder lohnend genug fein möchte, wenigftens eine, oft 
genug allerdings nur flüchtige, Andeutung zu geben. Völlig Umgang 
wurde dagegen von einer Erwähnung der älteren bijtorifchen Hand⸗ 
fohriften genommen, welche Prof. Phil. Jaffo bereits für die Monum. 
Germ. unterſucht und benutt hatte, und die von ihm mit fortlau- 
fenden Interimsnummern verfehen worden waren. Wir haben in 
letzterer Hinficht bei den von uns näher in Betracht gezogenen Hand- 
ſchriften daffelbe Verfahren eingefchlagen und die Zählung Jaffé's 
weitergeführt; diefe Nummern find im bier folgenden Verzeichniſſe 
dein aufgeführten Coder unter Klammer vorangeftellt. 





(3.) Chart. s. XV. fol. Liber nouitatum. Der Coder ent: 
hält Aktenjtüde, kurze Erzählungen, Briefe, Lieder u. A. nad) der 
Neihe der Jahre, theils in Abfchrift, theils als Regeſt, im letzteren 
Valle unter Hinweifung auf eine andere Handſchrift oder einen Drud. 
Die Zufammenftellung beginnt mit dem Jahre 1410 und geht bis 
and Ende des 15. Yahrh. fort. Hier follen in der Hauptſache nur 
einige mit dem jpeciellen Zwecke der gepflogenen Nachforſchung ſich 
berührende Stüde notirt werden. — Anfang auf f.4 (nachdem die 3 
erften Blätter leer geblieben): Anno dom. MP’ CCCC’X°®. — Plures 
bullas Benedicti pape 13. alias Petri de Luna dicti ad Gre- 
gorium papam 12. alias Angelum Coriarum (GCorrario) nomi- 
natum in scismate directas quere in libro cuius titulus est: 
epistole Petri Blesensis. — f. 5°: Schreiben de8 Markgrafen 
Friederich von Brandenburg an die Stadt Prag — „ang dem tag zu 
Nurnberg — 1427.“ f.66: antwurdt bey dem gesanten boten. — 
f. 15%: Anno etc. M’CCCC’XLUI — Ratschlag auff dem 
tag züı Nwernberg von wegen ain concili vnd ander tag an 
czu slagen, —f.20: Anno etc. M’CCCC’LILI — Vermerckt 


110 Berzeichnifſe von Handfchriften zur beutfchen Staͤdtegeſchichte. 


befochten. Brief aus dem Lager vor Nimwegen. — f.8le: Anno 
dom. M’CCCC’LXXIH. — Anschlag widerstant zu thun 
den Türcken gemacht auf dem tag zu Augspurg. — f. 9%: 
Von dem hertzogen von Burguni vnd wie vncristenlich sein 
diener im Elsasz gehandelt haben. anno M’CCCC’ LXXIIII°. 
Schreiben der zu Bafel verfammelten Rathsboten der Konftanzer Einung 
an die zu Speier tagenden Städte. — f. 945: Anno dom. Mo CCCC® 
LXXV. Das ist der sentencz vnd die bekanntnusz Thobias 
vnd der andern iuden zu Trindt vnd ist beschehen in der mar- 
ter wochen. — f. 94—101.: *Gedicht über den Neichstrieg gegen 
Burgund wegen Köln, von Joh. Liechtenberger. — f. 101%: Anno 
dom. M’CCCC’LXXV. Wie der romisch kaiser vnd ander 
des reichs vnttertan sein zu feld gelegen wider Karl herczog 
zu Burguni vor der stat Newsz. Vorzugsweiſe Verzeichniß ber 
im Heere Anmwefenden. — f. 105: Anno dom. M’CCCCLXXVL 
— Von dem streit des hertzogen von Burguni vnd der ayd- 
gnossen vor der stat Granss. Mehrere Schreiben von und an 
ichweizeriiche Städte; ein Brief des Jorg Hochmuet, Kapları zu Nörd- 
lingen und Zürich, an Yürgermeifter und Rath von Donaumörth über 
Karls Niederlage (bei Murten) im Jahre 1477 folgt £. 107%. — 
f. 115: Anno dom. M’CCCC?LXXVII herczog zu Oste- 
reich Maximilianus auszug zu Köln hin gen Purguni zu der 
vermehelung. Bon einem Augenzeugen. — f. 117: Schreiben bes 
oben genannten org Hochmuet an Bürgermeifter und Rath von 
Donauwörth über den Abjchied des Zürcher Tages von 1478. — 
f.121: Der juden zu Passaw erkantnuf wie sy das sacrament 
erkauft habent, anno MCCCCLXXVII. — f. 1256—127®: 
Anno dom. M'CCCCLXVII (sic) ward gemacht der spruch 
von der hochberümten stat Nürnberg. ‘Der belannte *Lobſpruch 
des Hans Nofenplüt aus dem %. 1447. — f.161: Passio sacer- 
dotum sub dominio marchionis Brandenburgensis. 1482. Sa- 
tyriiche Erzählung in lateiniſcher Sprache. — Auf Marimilians Kö⸗ 
nigswahl beziehen fich einige der folgenden Stüde. !) 

Chart. s. XV. fol. min. Deutſche Ueberfegung der Weife- 





1) Weber die Königefrönung Darimilians handelt Interimsnummer 98. 





Berjeichnifſe von Handſchriften zur deutſchen Gtäbtegekhichte. 111 


beichreibung des Joh. von Mandeville. (Der Ueberjeger, jo viel id) 
fehe, nicht genannt.) Scriptum est liber iste per me Fridericum 
de Swobach. — Gleichen Inhalts ift ein aus dem Klofter Kircheim 
ftammender cod. ch. s. XV in. 4°.; und in einer dritten Handjchrift 
(s. XV) findet ſich Mandevilles Reife in lateinifhem Text. 

Chart. s. XV. Ban der Schuyrens niederdeutſche Chronik von 
Cleve. 

(19.) Chart. s. XVIII. 4°. 388 pg. Gottfried Hagens Köl- 
ner Reimdhronit. 

(51.) Chart. s. XVI/’XVII. 4°. Der hilligen hochge- 
laueden drefoldichet thon ehren tho erholdinge vnser waren 
christlichen religion ock bestendiger einicheit gedye vp- 
nehmen vnd wollfarth diser guden stat Hamburgk heft ein 
erbar rath mit beleuinge der erfgesetten borgerschop na 
difer yetzigen tide vnd lufte gelegenheit etlicke articull 
recesses wise vor faten laten, welcher na ripsamer erwe- 
ghungh so woll van einem erbarn rade als auch der erfge- 
seten borgerschop vor stadt rechte tho holdende sin an ge- 
namen vnd beleuet worden in maten als folget —. 


Chart. s. XV. fol. Nach den Distinctiones fr. Mauricii: 
Die Synodalftatute des Erzbifchofs Peter von Mainz, für die Augs- 
burger Diöcefe promulgirt. 

(91.) Chart. s. XIV. XV. fol. Aus dem Kloſter S. Mang 
in Füſſen. Die gleichzeitige Foliirung des Coder ift völlig verwirrt. 
Auf dem (Pergament:)Vorfetblatte eine gleichzeitig eingetragene auf 
Wirzburg bezügliche *chronikalifche Notiz zum %. 1374. Es folgen 
verjchiedene Sermones (f. 555: de sancto Kyliano et sociis suis; 
sermo et legenda). f.5676: de sancto Burchardo. — f. 565— 
573: (Dietrih von Apoldas) Leben der heil. Glifabeth. 


Chart. et memb. s. XV. fol. maj. Aus S. Wang. Historia 
tripartita. Geſchrieben 1462. 
(75.) Chart. et memb. fol. maj. f. 1—111: vitae patrum 


coll. per bestum Jeronimum. f. 112—122:: Legenda sancti 
Jodoci. f. 122%: Hie hept sich an das leben legend sant Ni- 
colaus. f. 129—176 die Geſchichte des erften Kreuzzugs vom Mönch 


112 Berzeichnifie von Handfchriften zur deutſchen Stadtegeſchichte. 


Robert (beginnend mit den sermo apolegeticus — vgl. Reuber 
p.308.), geſchrieben per... Vlricum Bissinger. 1470. 

(97.) Chart. s. XIV. XV. fol. Der Eoder gehörte einft 
dem mag. Frid. Schoen de Nürenwerga, doct. 3. th. Er ent 
hält Nic. de Lyra sup. ewang. Auf den Innenſeiten der beiden 
Dedel ftehen die Briefe B. Gregor XII.: Raynald. 1406. $.14. 15. 
und DBenedilt XIII: Raynald. 1407. 8.1. — vollftändig in gleich 
zeitiger Abſchrift. 

(98.) Chart. s. XVII. fol. Wirzburger Chronif bis auf den 
Tod Friederichs des 6öſten Bifchofs (1573). Am Ende findet fid) 
„Johann Bütner burger vnd canzelleyverwanther zu Duiekhelsbühel 
(sic)“ unterfchrieben. Es ift nicht der Abjchreiber, vielleicht der Bes 
figer. 

Chart. s. XVIL fol. Kopialbuch von Altenftüden und Urs 
kunden die Bisthümer Bamberg und Wirzburg betreffend. Die Alten 
ftüde ftammen aus der Regierungszeit des Biſchofs Veit. 

(77.) Chart. s. XVI fol. Auf dem erjten Blatte 5 Wappen» 
ſchilde. *, Chronica vnnd befchreibunge, was fur biſchoue, auch erg 
biſchoue das hochlöblich ertz ſtifft vund vralte haubt ſtat Saltz burg, 
etwo Pedena, Hadriana, vnd Juuauia genannt von ſant Rudberto* — 
„mit volkhommener grüntlicher vnnd warhafftiger auffüerung aller 
vnd jeder circumſtantz vnnd glegenhaiten. durch Chrißtoffen Jor— 
dan von Martinßbuech mit höchßtem vleyß zuſamen getragen 
vnnd vollendt, das 1579 jar.“ Schluß der Chronik beim J. 1576 
nad) der Erzählung vom Tode K. Maximilian II: „Gott welle fei- 
nen Seegen und gnadt verleichen. dieſes angeenden khayſers regierung 
zu ehren dem gemainen vatterlanndt teutfcher nation, zu wolfart vnnd 
gemainem nuz, auch zu vnnſer aller aufnemben vnnd beffrung geraichen 
moge amen.“ Es folgen fpäter gejchriebene Zufäge für die Jahre 
1577 und 1579. 

(89.) Typogr. et chart. s. XVI. fol. Der Eoder, wie e8 
Iheint 1688 für das Kloſter S. Mang in Füſſen angefauft, kam 
von da in die fürftliche VBibliothel, **Nic. Thomans Chronik von 
Weilfenhorn. (Zum Theil gedr. in Jägers Mittheil. zur ſchwäb. u. 
fränt. Reformationsgeſch. I, 292 — 366.) Nad der Aufichrift: 
„Cronica durch Nicolae Thoman zufamen gezogen vnnd beicyriben“ 


Berzeichniffe von Handſchriften zur deutfchen Städtegeſchichte. 118 


hat eine andere aber kaum viel fpätere Hand hinzugefügt: „zu Weiſſen⸗ 
horn von a. 1513 biß a. 1542“ — was dort und in der Umgegend 
vorgegangen „fambt weitläufigem pauren khrieg und der widertheuffer 
außthilgung“ — f.2 folgt die Widmung des Verfaſſers an Bürgers 
meifter und Rath der Stadt Weilfenhorn. Am Schluffe derfelben: 
„Datum zu Weilfenhorn in meiner gewonlichen behanfung an dem 
.... tag bed monatz .... anno domini . . . .“ Die Daten foll 
ten offenbar nad) gänzliher Vollendung des Buchs Hineingefegt wer⸗ 
den. Denn für eine Reinſchrift des Verfaffers dürfte die vorliegende 
wichtige Handfchrift zu halten fein. — f. 3» ein nochmaliger kurzer 
Titel. — Schluß beim %. 1542: „Darnah am 12 tag ward ain 
clemaifter, der hett groffen fchaden dem gmainen man gethaun, die 
wayd vergüfft, das hett er bei 15.16. iaren getriben, den jelben vicht 
man mit dem jchwert.“ 

Chart. s. XVI. 8°. Nur 2. 123—144 erhalten. Waro 
antzaigung waraus die peierisch vffrur am maisten eruolgt 
sambt einer kurtzen christlichen vnte(r) richt wie man von 
rechtem warem christlichen glauben vnd rechter warer christ- 
licher freihait predigen solle: damit di vnterthanen nit durch 
falsche widerwertig predig zw aufrur vnd verderbnis irer 
selen leib lebens vnnd guts verfirt werden. Mit Bezugnahne 
anf die markgräflich brandenburgifchen Länder in Franken. 

Chart. de a. 1606. Necrologium congregationis et fra- 
ternitatis nostrae huius s. Magni patroni monasterij — in 
Füffen. Die Daten gehen bis ins 15. Jahrh. zurüd. 

Chart. s. XV. Neben Cicero de officiis: Statute der Unis 
verfität Baſel, Yriefe von Aeneas Sylvius u. U. 

(53.) Chart. s. XV. fol. — f. 196“—202« die *Descripcio 
ciuitatis Basiliensis Silvij Enee. 

Chart. s. XVIII. 4°. Conscriptio omnium epitaphiorum 
ac incriptionum (sic) sepulchralium reverendissimorum domi- 
norum canonicorum cecclesiae cathedralis Eystettensis. 

Chart. s. XVIII. 4°. 103 S. Stift⸗Kempten'ſche Chronik bis 
1770. Geſchrieben durch Lucas Gech Pfarrer und Dekan zu Viele 
bei Füffen (Bild in Tyrol). Ziemlich werthlos. 

Chart. s. XVIII. 4°. Martin Hofmann’® annales Bam- 





114 Berzeichniffe von Handichriften zur beutfchen Städtegeſchichte. 


bergenses. — Dabei liegt annal. Bamberg. prodromus des %. 
Cygneus — nad) dem Druide von 16083. 

Chart. s. XVIL (et XVL) 4°. Chronik der Bifchöfe von 
Bamberg von der Gründung des Bisthums bis 1610. Hierauf eine 
andere Ehronif von Banıberg 1430—1610. Endlich eine verfificirte 
Bifchofsreihe aus derfelben Zeit. — Einer älteren Hand gehören die 
legten Beftandtheile des Coder (theologiſchen Inhalts) an. 

Chart. s. XVII. fol. „Relation was ſich vor vnd in beläge- 
rung der haubt veitung Breyſach bis zue endte derjelben verloffen und 
in einem vnd anderm zuegetragen vom ten Martij bis auf den 19 
Xbris 1638." Mit Altenftüden und Abbildungen. Der Drud einer 
andern Relation über denfelben Gegenftand liegt bei. 

Chart. s. XV]. ex. fol. Auf einen jehr langen Discurs über 
Autonomie folgt: Befchreibung was ſich bey dem religions refforma- 
tion weljen in herzogthomb Steyr zue Grätz, vımd an andern orthen 
verloffen vnd zuegetragen hatte, vnnd ſolches gemainer landtjchafft in 
Oſterreich ob der Enns zuegefchriebenn wordenn if. 1598. 1599.“ 
Lediglich die Aktenſtücke. 

Chart. s. XVII. 4°. 2 Bogen. „Leiter Reichs Abſchied von 
der Meuetter dem Römischen Reich An die Enterbte Tochter, Nun 
frangöfifchen Statt Strafpburg Mit angehängter Beurlaubß Antwortt 
auf den lezt zugefandten Reichß Abfchied Pater meus et Mater mes 
dereliquerunt me: Dominus autem assumpsit me. Psal. 26. 
. vers. 16. Zu Strajiburg im Drudh.“ (Ich finde nidht, daB der 
Drud, deſſen Abfchrift hier vorliegt, in neuerer Zeit beachtet worden wäre.) 

Membr. s. XVI. fol. min. — Hienach uolgt das geschlecht 
vnnd herkomen deren von Herberstain durch mich Sigmun- 
den von Herberstain den Freyen beschriben souil jch das in 
eil finden vnd zusamen bringen hab mogen bis auf den letz- 
ten tag des monats mertzens in dem funffzehennhundert 
vnond sechsz und dreissigisten jare. Mit Wappen aber meijt 
ohne Angabe von Jahreszahlen fortgefegt bis 1562. 

Chart. s. XVII. 4°. „Vom Brfprung und Anfang dei Für: 
ſtenthumbs Württemberg.“ 

Chart. s. XVII. fol. „Vom Vhrſprung der Herrn von Würt⸗ 
temberg.“ 


116 Berzeichuiffe von Handfchriften zur beutfchen Gtäbtegefdhichte. 


prouinciam Maguntinam — eingeſchaltet) gehören meift ins dritte 
Jahrzehent des 16. Jahrhunderts. Da der Schreiber den leer ge- 
bliebenen Raum im Codex zu feinen Eintragungen benugte, ftehen die⸗ 
ſelben zerftreut auf f.46—49, (f.50—112t ein Martirologium, s. 
XV.), 112 (113°—114» Leben des h. Benedikt in lateinijchen Ver⸗ 
fen), 113%, 114 — 126 (Ende des Coder). 

(64.) Chart. s. XV et XVI. 4°. Der zum größten Theil 
in Stalien gefchriebene Coder kam vom mag. Amb. Allantsee an 
das Klofter S. Mang in Füſſen. f.2 u. 3 ftehen von einer Hand 
8. XV/XVI Madrichten über den Spitalbau zu Füffen, 1469. 

(95.) Chart. s. XV. XVL fol. Aus dem Klofter S. Mang 
in Füfjen. Enthält zunädjft die Sermones Gilberti, dann gleich» 
zeitig niedergejchriebene Nachrichten aus der Regierungszeit K. Maxim. I., 
weiche das Klofter S. Mang betreffen. Unter den eingejchalteten Brief: 
fopien auch einige Schreiben Kaifer Maximilians. 

(49.) Chart. s. XIV, XV et XVL fol. min. 134 31. 
Alter mit rothem Leder überzogener Holzband. f. 1 ijt eine Rechts⸗ 
entfcheidung vom Jahre 1445 eingetragen. f.2*: Anno domini 
MCCC’LVIII’ renouatus est liber iste in die sancte cm- 
cis. — Incipiunt jura Faucensis ciuitatis. Es ijt ein Etadt- 
bud) von zum Theil jehr verfchiedenartigen Beſtandtheilen. Im An 
fange finden ſich die vorzüglichiten Rechte der Stadt, beſonders gegen» 
über dem Gotteshaufe (S. Mang in) Füſſen. Hierauf folgen einige 
Nachträge hiezu und verjchiedene Kechtsentjcheidungen und polizeiliche 
Verordnungen mit Anderem untermijcht (f. 7: was man von zoll 
niemen soll. — f.10* AYudeneid.). f. 12?—13* der Eid für die 
neu aufzunchmenden Bürger, s. XVI — f. 14 die Bewadyung und 
Ausrüftung der Stadt Betreffendee, s. XIV. — f. 17“: Daz sind 
vnser burger die burkrecht enphangen haund vnd sol niemen 
burkrecht enphachen er soll verburgen zechen pfunt pfening. 
(adj.: vnd sol wesenlich siczen X jar.) Es folgen die Bürger: 
aufnahmsliften 1362 beginnend und nadjeinander bis 1500 (f. 51), 
dann, nachdem f. 52 zwei jtädtifche Verkaufsurfunden von 1412 und 
1415 eingetragen waren, auf f. 53 von 1500—1502 fortgefeßt, und 
weiter auf f.61—93« von 1502—1546, endlich feit £.97° für vie 
folgenden Jahre überall da eingejchrieben, wo ſich neben den Auf: 





Berzeichniſſe von Handſchriften zur beutfchen Städtegeſchichte. 117 


zeichuumgen des 14. und 15. Jahrh. leerer Raum ergab; die letzte 
Bürgeraufnahme (zum J. 1590) fteht auf dem letten Blatte des 
Coder (f. 134). — f. 54 fteht ein vom Bifchof Eberhard von Augs⸗ 
burg für feine Stadt Füffen 1407 ausgeftellter Freiheitsbrief, das Geleite 
betreffend, f. 55° dic darauf bezügliche Urkunde der Stadt, dann heißt 
es: Item den obgesriben brief haben wir gelät hinder den 
rät der stat ze Augspurg zu dem freihait brief den sie auch 
inne haund. Auf den nädjiten Blättern (bis f. 60 incl.), von des 
nen übrigens einige leer geblieben find, ftehen abwechjelnd Urkunden 
und Rathsbeſchlüſſe. — f. 93%: Anno LXXXIIII? (1384) feria 
V ante Cantate. die stuir gelten sullend: erftlid) in ciuitate, 
dann: phalburger. — f. 94.—I5* ftädtifche Rechnungen aus den 
9%. 1384—1387. — f. 96 fehlt. — f.97a: Anno dom. millesimo 
quadringentesimo vicesimo septimo item wir haben den zol 
von iecz sant iorgentag vber ain gancz iär geläsen. Der Reft 
der Seite leer. Die früheren Cinzeichnungen der folgenden Blätter 
enthalten meijt Rechnungen und Zinsverträge. f. 113° zu Augsburg 
geholte Urtheile. f. 1166: Anno dom. MCCCLXX tercio. 
hec sunt debita ciuium Faucensium. Geht bis 1398 (f. 1212). 
f. 122: Rathsverordnungen über Fleiſch, Korn und Salz. 1367. Ganz 
am Ende der Handſchrift (f. 134%): Nota debita ciuium (1370). 
(99.) Chart. s. XV. fol. Aus dem Klofter zum h. Kreuj in 
Donauwörth. — f. 74 sqq. mehrere Ablapbullen. — f. 110 sqgq.: 
Johanes Birckamer in capitulo Nürnberge anno etc. LXXIIT® 
5 die may apud sanctum Egidium XXX cantros vini nomine 
consulatus ibidem propinauit reuerendissimis dominis abbati- 
bus ordinis s. Bened. Folgen mehrere Reden. — f. 183: De coro- 
nacione Romanorum imperatoris — nadjdem die Formel zu Ende 
ift: f. 1876 von einer andern Hand des 15. Ih. die Quaternionen 
des Reichs: Quatuor ciuitates imperij: Augusta, Metis, Aquis- 
granum, Lübeck; quatuor ville:') Ratisbona, Colonia, Con- 
stancia, Salezpurga; quatuor ville: Bamberga, Schleczstat, 
Hagnaw, Vlma; quatwor milites: Stundeck, Melding, Ande- 
lawen, Frawnberg ; quatuor comites: Sophie,*) Cilie, Kle- 


1) ville durchſtrichen und flatt deſſen rwstici geſetzt. 
3) al. manu corr.: Sophoie. 





118 Berzeichniffe von Handſchriften zur beutichen Gtäbtegefchichte. 


sensis (sic), Schwarczburg; quatuor lantgravij: Durgn,') 
Hessen,?) Leuchtenperg, Alsacie; quatuor margravij: Miss- 
nensis, Morauie, Padensis, Brandenburgensis; quatwor bur- 
grafy: Maydburgensis, Nürnbergensis, Reineckensis, Strum- 
burgensis ?); quatwor duces: Brawnsweicensis, Sweuie, Pa- 
lentinus, Lotoringie (sic); quatwor prelati: Fuldensis, Weis- 
senburgensis, ‘) Morbacensis, Campidonensis; tres presules 
archicancellarij®): Maguntinensis per Germaniam, Coloniensis 
per Ytaliam, Treuerensis per Galliam; quatwor principes 
electores: rex Bohemie archipincerna, Palentinus dapifer, 
dux Saxonie marschalckus, marchio camerarius. 

(45.) Chart. s. XVL in. fol. 328 Bll. Der Einband gehört 
wahrfcheinlicy nody dem 16. Jahrh. an, doch haben die alten Rand⸗ 
bemerkungen beim Bejchneiden gelitten und find 2 BU. am Anfang 
und mehrere gegen Ende fpäter hinzu gebunden worden. Wir haben 
in diefem Manufceripte allem Anjchein nad) das Autograph von der 
(von Eöl. Königsdorfer in feiner Geſch. des Klofters zum h. Kreuz 
in Donauwörth gefannten und benußten) ausführlichen und werthvol⸗ 
in *Donaumwörther Chronif Johann Knöbels vorlie 
gen. Das Titelblatt fehlt. Bl. 2* ohne Ueberfchrift die Widmung : 
Den ersamen fursichtigen vnd weisen burgermaistern vnd 
gemainem rat der stat schwebischen Werd enbut ich bruder 
Johannes Knöbel conuentual des gottshauß Kaysersham ®) 
neben meinen armen gebet vnd willigen diensten frid sig 
gluck vnd hail mit warer lieb in Cristo Jesu vnserm erlo- 
ser. — Das gute Weſen der Stadt und die Tugenden ihrer Bür- 
ger haben den (aus Donauwörth gebürtigen) DBerfafler bewogen 





1) al. manu: Doringia. 

2) al. manu: Hassia. 

8) Stromberg. 

4) al. manu ad).: etc. 

6) al. manu: canc. et electores. 

6) Nach der Angabe von Bruschius (Chronol. monast. Sulzb. 1682. 
p. 87), der fie benutzte, hat Joh. Knöbel auch eine Chronik des Kiofters Kaifere- 
beim hinterlaffen. Daß er ein Conpendium inpressionum gejchrieben, jagt 
er auf BI. 3168 der vorliegenden Chronif. 


120 Berzeichuiffe von Handſchriften zur deutſchen Städtegeſchichte. 


eiuitatis Werd archigramatheo) geridhteter Brief vom 11. De 
zember 1529, weldyer dad Werk bei der Ueberſendung, an ber der 
Berfaffer bis dahin gehindert worden, begleiten jollte. (Unmittelbar an 
den Schluß diefes Schreibens fügte jpäter eine Hand des 17. Jahrh. 
ein anderes vom 1. September 1612, welches fi) auf die Berhältnifie 
jener Tage bezieht.) — Die Chronik ift in Kapitel eingetheilt, welchen 
mit rother Zinte ausgeführte Auffchriften voranftehen und — denn 
zu einem Volksbuche offenbar wollte Knöbel fein Wert machen!) — 
Abbildungen, für die jedesmal der Raum leer gelaffen wurde, vorans- 
geichickt werden follten. Schrift und Sprache des Autors erſcheinen 
in gleicher Weife alterthümlich. Nachträge, von der alten Hand aber 
mit anderer Zinte gefchrieben, ftehen häufig am Rande oder auf ein- 
gelegten Zetteln; außerdem finden fid) Inhaltsangaben und Randbe⸗ 
merfungen von einer Hand s. XVI. ex. und von einer andern 
s. XVII — Die Benugung der Quellen im frühern heile der 
umfangreichen Ausarbeitung ift feine fo umgeftaltende, daß fich bei 
näherer Unterfuchung die einzelnen Beftandtheile nicht wieder erkennen 
lafien follten. Gegen Ende des 15. Jahrh. wird die Chronik immer 
ausführlicher, die Darftellung unmittelbarer und anfprechender. Zur 
äußerten Leidenfchaftlichkeit dagegen wird unfer Ehronift durch Luthers 
Auftreten gereizt: ein blinder Gegner der Reformation ergeht er fi 
in den derbften Schmähungen insbefondere gegen die Perfon Luthers 
und gegen deifen Gefinnungsgenoffen. Sehr ausführli” wird die 
Geſchichte des Bauernkriegs behandelt — wohl eine der wichtigften 
Parthien des ganzen Werks. Im J. 1529 erfcheint die Erzählung 
der Begebenheiten fucceffive bis in den Dezember fortgeführt, fo daß 
die Gefchichte diefes Yahres einen verhältnigmäßig jehr großen Ums 
fang erlangt (Bl. 310324). Den Schluß bildet eine längere Er⸗ 
mahnung zu Befferung des Lebens unter Hinweifung auf die von den 
Zürfen drohende Gefahr und die Unfruchtbarkeit des legten Jahres. 
Der Rath möge daranf achten, daß die Bürger — in kainer sach 
von der wurzel vnd paum ires herkumens weichen sonder 





1) Die Wahl 8. Karls V. 3.8. beſchreibt er ausführlih von def ge- 
mainen mans wegen ... . der sein leben lang kaine hatt gesechen oder 
villeicht kaine sicht. 


122 Berzeichnifie von Handſchriften zur dentſchen Städtegeſchichte. 


werdan. Wufzeihnungen über die kirchlichen Verhältuiffe Donau⸗ 
wörths im 17. Ih. Lateiniſch. | 

(Oett.) Chart. s. XVIH. fol. Nördlinger Chronik von Jo⸗ 
hann Lemp. Begonnen 1625, fortgefet bi 1630. Sie führt mit 
dem vierten Blatte ſchon ins 14. Ih. übrigens ftehen die Jahre 
nicht felten durd) einander. Unter dem Titel: „Antiquitäten“ folgen 
nad) dem Schluffe der Lemp’fchen Ehronit Fragmente anderer zum 
Theil älterer gefchichtlicher Aufzeichnungen. f. 173%: „Anno 1433. 
Es fror wein onnd khorn in Teutfchlandt.“ „Anno 1438. ward ein 
großer fterbendt zue Nördtlingen.“ Weitläufigere Nachrichten erhalten 
wir für die Jahre 1517—1526 (f. 175—189).—f. 1% sqq.: Berichte 
über die Klöfter und Stiftungen zu Nördlingen. f. 195% beginnt dann 
wieder eine ziemlich ausführliche chronilalifche Erzählung zu 1546 
und 1547 und nachdem f. 1995 und 2008 leer geblieben ftehen auf 
f. 2005 und 201 Nachrichten aus den Jahren 1537, 1538, 1550 
und 1561. 

(Oett.) Chart. fol. „Gründlicher und wahrhafter bericht, was 
fi) vor, in und bey belagerung und auffgebung des h. röm. reids 
ftadt Nördlingen Anno 1634 zugetragen, verloffen; abgefchrieben ans 
einem gewiffen original von Joh. Balth. Welerlen burger und neft- 
ler. A. 1720.“ (Vgl. Nachr. von d. hiſt. Commiſſ. Jahrg. I. St. 3. 
©. 14.) 

(Oett.) Chart. s. XVIII. Chronicon Öttingense, das ift 
Hiftorifche Beſchreibung deſſen was in der Hochfürftl. Reſidenz Stadt 
Dttingen ... fih zugetragen ... zujammengetragen von of. Ghrift. 
Keßler. 

(86.) Chart. s. XVI/XVII. fol. „*Aogspprgerifche Chronick.“ 
„Saiftliche vnnd weltliche Hiftorien, fo ſich vor vill jaren alba ver- 
lauffen: wie aud ander dendhwirdige fachen begreiffent.- „Altes 
außfierlichen beſchriben, vmb vill gemehrt und ergenzt.” Hierauf poe⸗ 
tiſcher Eingang. Bis zum J. 1503 wird die Chronik immer aus- 
führlicher, dann ift p. 163 eingefdaltet: „Wie die Fugger zu Auge 
purg die herichafft vnd ſtatt Meiffenhoren vnd graffichafft Kirch⸗ 
berg verpfänd haben.” Bei weiten kürzer find nun die Angaben für 
die folgenden Jahre, von denen manche ganz überfprungen wurden, 
Etwas weitläufiger wird nur noch über den Reichötag von 1530 


124 Berzeichniffe von Haudſchriften zur dentjchen Städtegeichidhte. 


fchreibung etlicher namhafften handlung vnnd gefhichten fo ſich zwifchen 
fayjern, künigen, churfürſten, fürjten unnd herrn den merern thail zu 
Augspurg vnnd zum thail fonft im heiligen reich teutfcher nation, von 
dem. 1519. jar an biß auff das 1566 verloffen haben. welliches alles 
in die Augspurger chronicam aljo nad lenngs einzuflieren, ein vber⸗ 
fluß geweien vnd gar ein öbergroſſes buech daraus worden were. 
derohalben ſollichs in ein beſonnder nebenbuech nad, ordnung der jar- 
zalen zufamen verfafft. wie dann aller derjelben innhalt in nachnol⸗ 
genden regifter auffe fürgeft angezaigt wirdet.“ Dieſes Regifter ift 
aber nicht vorhanden. Es wird feine zufammenhängende Erzählung 
gegeben, ſondern Aktenſtücke, Berichte über einzelne Ereigniffe, Briefe, 
Lieder u. dgl. erjcheinen in diefem intereffanten Coder einfach) anein- 
ander gereiht (f. 31—34 ein erzählendes Gedicht über die Thaten 
Georgs von Frundöberg aus d. %. 1528 — von Barthold, fo wid 
ich fehe, nicht gekannt). | 

(66.) Chart. s. XVYXVL. fol. Enthält eine Gefchichte des 
Interims in Augsburg und Ulm, fowie der daran fich Trrüpfenden 
Greigniffe, desgleichen eine Beichreibung der Einnahme von Konſtanz 
(1548). Am Schluß des Titels ift bemerkt: „Angefangen als man 
zalt nach Chrijti vnſers Lieben heren und ſeligmachers gepurt taufent 
funffhundert viergig und 8 jar.“ Fortgeſetzt bi8 1570. Die lekte 
Seite iſt verklebt. 

(%.) Chart. s. XVI. fol. 54 beſchr. BU. Nach der fatyri- 
ſchen Passio des Churfürften Johann Friedrid) f. 136: Ein lied von 
hörtzog Hannsen Friderich zuo Sachsen (Job was vor gott 
gerechtt vnnd frvmb, Im thet darumb der satton hert zuo- 
seczen —). f.185—29* die „Nadtigall” (1567); vgl. Nachricht. 
von der hijt. Comm. IIL. Jahrg. 1. St. S. 25. — £.2%:; „Nun 
volgt hernach deß Schwargen hanndlung“ — zunädjit ein *Bericdht über 
den Prozeß des 1478 zu Augsburg hingerichteten Bürgermeifters Ul— 
rich Schwartz, dann ein dafjelbe Ereigniß betreffendes Gedicht. (Vgl. 
Mones Anzeiger f. Kde. d. deutſch. Mittelalt, 1838, Sp. 56. — Lieber: 
einftinnmend mit der von uns aufgeführten Handfchrift fcheint ein 
Gießner Manuſcript: Adrian cat. codd. mss. bibl. acad. Gissensis 
n. 460 (f. 25—30).) f.35: Dr. Simon Scheibenhart® Prediger zu 
©. Moriz in Augsburg „erdichte vnnd vermainte confeffton wider die 


126 Berzeichniffe von Handſchriften zur deutſchen Städtegeſchichte. 


gustensium, descripta ex_,cod. maste. biblioth. colleg. hujatis 
soc. Jesu. 

(81.) Chart. s. (XV et) XVL 8°. — f. 1—33% Gebete, 
8. XV. £. 33b—55 ärztliche Vorſchriften. f. 56*— 63. (f. 63: umd 
64 find leer) und f.65* bis zu Ende finden fi im J. 1554 geſchrie⸗ 
bene *chronifalifche Nachrichten, die zu Augsburg entftanden find und 
auf die Vorgänge in diejer Stadt fich beziehen. Die Jahre (1497, 
1513, 1514, 1539, 1553 — 55) ftehen durch einander, Anfang und 
Ende gehören zum %. 1554. Die Schlußworte lauten: „do hat der 
Steren die geſchwornen berüfft und zw ine gejagt wer fchuld daran 
hab, do habent ſy zw recht, geiprocdhen der ſey ſchuldig daran der 
brunnen graben hab,“ 

(54.) Chart. s. XV et XVI fol. Der Coder enthält am 
Anfang die vita Kunegundis, dann Theologiſches und Prophe⸗ 
zeiungen, die ſich meiſt auf die fommende Reformation und Karl V. 
beziehen. — f. 1175 eine *chronikaliſche Notiz zu 1380 (das ak 
fcheint unrichtig) auf Augsburg bezüglich; hierauf eine Anekdote. — 
f. 118 beginnt, von anderer Hand geſchrieben, de VII pecatis mor- 
talibus. — f.143: de heresi Waldensium. — f. 192—214 eine 
zu Nürnberg gehaltene Predigt. — f. 215: Disposicio contra Thur- 
cos. anno dom. M’CCCC’LXVT’. — f.220: Anno dom. mil- 
lesimo quadringentesimo quinguagesimo quinto in vigilia an- 
nuncciacionis beate virginis Marie que erat dies lune et 
XXIIII mensis marcij obijt sanctissimus dominus Nicolaus 
papa quintus et in die annunciacionis que erat XXV dies 
mensis marcij cum magna solempnitate ut mos est fuerat por- 
tatus de palacio ad ecclesiam ... .. Schließt auf der folgenden 
Seite mit der Eidesleiftung P. Calirt II. — f. 221 Prophezeiungen 
wie oben. — f.222 qq. Abhandlung über die päpftlihe Gewalt zu 
Gunften Urban VI, an König Wenzel gerichtet. Auf dem legten 
Blatte und auf der Innenſeite des Deckels ftehen dann von einer 
ſchon früher im oder vorkommenden Hand s. XVI. in. folgende 
chronikaliſche Bemerkungen allgemeinen Inhalts: 

Anno dom. millesimo quingentesimo decimo nono die duo- 
decima Januarij diuus caesar Maximilianus, Friderici tercij Ro- 
manorum imperatoris filius, Romanorum semper augustus, ac 





Berzeichuifie von Hanbichriften zur deutſchen Stäbtegefchichte. 127 


Germanie, Hungarie, Dalmacie, Croacie etc. rex, archidux Au- 
strie, dux Burgundie, Brabancie etc., relictis ex filio Philippo, 
rege Hyspaniarum premortuo, filijs Carolo rege et Ferdinando 
prineipe Hyspaniarum, archiducibus Austrie ete., heredibus, 
princeps clementissimus ac virtute bellica et re militari in- 
comparabilis obijt christianissime anno imperij tricesimo ter- 
cio, etatis sexagesimo, cuius spiritus deo viuat. Obijt autem 
in oppido Wels in Austria hora tercis ante auroram, atque 
in Noua Ciuitate sepelitur. 

Dann nad) einer Anekdote ohne jeglichen Werth: 

Anno dom. 1.5. 19. ist der hertzog Vlrich von Wirtten- 
berg von dem schwebischen bundt, von seiner mißhandlung 
wegen, von seinen landen vnd lewtten vertryben worden vnd 
entsetzt seiner regiment mit kriegs gewalt. 

Zü der zeitt ist auch hertzog von Vrbin vnd hertzog von 
Mayland auch von iren landen vnd lewtten vertriben vnd 
entsetzt wordenn. 

Anno dom. 1.5.24. ist der künig von Denmarckt von 
seinen aignen vnderthan veriagt vnd vertriben wordenn vnd 
also seiner wirde berawbt in dem ellend erstorben. 1.5.26. 
(sic!) 

Zu disen zeitten send auch vil prelatten irer wirden 
vnd dignitetten entsetzt vnd berawbt worden, als Fuld, Zwi- 
falten, Wiblingen!), Werd, Fussen, Stambs, Vrsin®), zü sant 
Vlrich z& Augspurg, Ottenbewren, Elchingen, Benedicten 
bewren, vnd an andern ortten mer etc. auch der bischoft 
von Chur von seinem bistumb vertriben, vnd sunst vil edel- 
lewt veriagt, ire schlösser verprent etc. 

Auch anno dom. 1.5.25. als sich’; künig Franciscus 
von Franckreich wider kayser Carolum zefelt geschlagen 
hett mit grosser macht vnd hilf des bapsts Clementis septimi, 
der Venediger vnd Schweytzer vor Papia im welschland nit 


1) Bei Ulm. 
23) Irſingen, Irrſee an der Wertach. 
8) sich von derſelben Hand fpäter bazugefchrieben. 


18 Berzeichniſſe von Handfchriften zur dentſchen Stüdtegeſchichte. 


weytt von Mayland, hat das kayserlich hör mit klainem we- 
nigem volck desselbigen macht der nider legt, im mercklich 
vil volck erschlagen, darunder vil grosser fursten vnd her- 
ren gewest, hatt auch das kayserlich volck den künig selbst 
personlich sambt andern vil grossen herren gefangen, vnd 
fencklich in Hyspaniam zu dem kayser gefürt, da er ain 
gantz jar gefangen, zu letst wider auf gelassen in sein ku- 
nigreich zu Franckreich, doch mit hoher grosser verschrey- 
bung vnd andern condicionen ; ist herr Jörg von Frraindsperg 
obrester hawbtman gewest vber das kayserlich volck. 

Chart. s. XVYXVII. in. 4%. „Fleiſſige Befchreibung deß 
Fuggerifchen gejchledhts wie daß zum erften inm die ftatt Augspurg 
ein getreten vnnd biß auf dife zeith im allen ehren auf genommen 
hatt.“ 

Chart. s. XVIL in. 4°. „Beichreibung“ des Fugger’ichen Ge 
ſchlechts. 

Chart. s. XVII. 4°. 27 beſchrieb. BU. Jacob von Ramsingen’s 
genealogifche Geſchichte der Graffchaften Kirchberg ec. bis auf deren 
Uebergang an die Fugger. 

(80.) Memb. et chart. s. XIV et XV. fol. Aus dem Klo 
ftr S. Mang in Füffen. (empt. 1467.) Die verfchiedenen Be 
ftandtheile der Handichrift wurden erft nachher zufammen gebimden. 
f. 1—87: Super quatuor libros summarum. Dann nach 5 leeren 
unfolürten BU. f. 88—141: Adapciones sermonum secundum 
ordinem alphabeti — von anderer Hand. — f.142—143s: Ex- 
posiciones titulorum quinque librorum decretalium — wieder 
von anderer Hand. f. 1435: Isti casus mittantur ad episcopos 
si occurrunt. f. 144: Regule juris — jurijtiihen Inhalts find 
auch die folgenden Stücke bis f. 163%. Hierauf nad) 4 leeren unfolürten 
Bu. f. 164168: Questiones de baptismo — von anderer Hand 
als die vorhergehende. f. 1656 und 169*: (de salario advocatorum 
et jurisconsultorum). Dann f. 170—189 (memb. s. XIV): de 
motibus planetarum. f. 190—205 wieder auf Papier, aber eben- 
falls aus dem 14. %h.: Opus super gemmam regiminis — am 
Ende diejes Stückes von der Hand des Schreibers (mit rother Tinte): 
Quicunque hunc librum inuenitur reddat fratri Friderico 





Berzeichniffe von Srandichriften zur deutſchen Gtäbtegefchichte. 129 


de Habelshein. — f. 206—2112 s. XV in.: Casus prohibentes 
a sacra communione — erft lateinifch, dann ausführlicher deutfch. 
f.211°— 212%: Exposicio collectarum jn die parasceue. f. 213* 
leer. £.213°: **Rubrica de suscepcione regis Romanorum in 
ciuitate Nürenbergensi. Anno dom. 1414. Rod auf derjelben 
Seite die Rubrica de suscepeione domine regine. Die legten 
Stüde fcheinen alle von der gleichen Hand gefchrieben. — Dann nad) 
4 leeren BU. von anderer Hand s. XV (f. 215): Hic notantur 
dictamina a diuersis magistris in diuersas melodias magistro- 
rum wlgariter (sic) dietantium mensurata s.: Vrownlob, Re- 
genbog, Marner, Popp, Roumzlant, Meychsner, Prenwerger 
etc. — lateiniſch. Geht bis f. 224% wo das Ende fehlt, wie vom 
folgenden Städe (de eleccione prelati) der Anfang. f. 231 (s. 
XIV ex.): de regulis camere jn curia romana — die bezilg- 
lichen Verordnungen von Johann XXII — Urban VI (moderni). 
Bis zu Ende der Handfchrift. 

(47.) Chart. s. XV in. 4°. Aus dem Kloſter S. Mang in 
Füſſen. Zum größten Theil aftronomifchen und medicinifchen Inhalte. 
f. 195%, 196°, 197, 1988 finden ſich neben einem Kalenderſchema 
""geichichtliche Nachrichten aus den Jj. 1407—1414. Sie wurden 
in Nürnberg gefchrieben und erfcheinen im I. Bande der Städte 
chroniken mit abgedrudt. 

(42.) Chart. s. XV ex. fol. Alter Bergammtband. Die 
Handſchrift wurde für die fürftliche Bibliothek durd den Fürſten Lud⸗ 
wig von Dettingen-Wallerftein 1313 käuflich erworben. Sie enthält die 
Beſchreibung des Krieges zwifchen Nürnberg und Markgraf Albrecht 
Achilles (von Erhard Schürſtab). Die Faſſung derfelben in der 
Hauptfache ſich anfchliegend an die von den meiften übrigen Hand⸗ 
fchriften vertretene Redaction gewährt doc eine eigenthümliche Fort⸗ 
bildung des Textes, die dann auch in einigen Manuſcripten des 16. 
Jahrh. wiederlehrt. Anf.: Ein rorred ee sich der krieg anfing 
wie sich vnwillen machet zwischen margraff Albrechten eins, 
dem von Heydeck vnd den von Nurmberg des andern teyls. 
Der Coder ift von zwei verſchiedenen Händen gefjchrieben, und außer 
dem finden fich £. 100, 101 und 102 von einer dritten Band Auf- 
zeichnungen aus den Jj. 1455 und 1456, die dem Schuldenbuch einer 


130 Berzeichniffe von Haudjchriften zur deutſchen Stäbtegefchichte. 


Gefellichaft angehört haben. Der Text des Kriegeberichte® geht ohne 
Unterbrechung von f. 99% auf f. 106* über, fo daß die zwifchenliegen- 
den Blätter nur durch ein Verſehen Hineingebunden fein können. — 
Am Scluffe: Laus deo 1453. 140 Pletter. 
(71.) Chart. s. XVYXVLD. fol. Nürnberger Chronik bis 
1570, wo fie mit dem Aufenthalte Kaifer Marim. IL abſchließt. 
Chart. s. XVI ex. 4°. Nürnberger Chronik big 1588. Der 
Coder hat durch Feuchtigkeit ſehr gelitten. 
(73.) Chart. s. XVl in. 4°. — f. 1: *,Cronica der ftat 
Nurmberg. 1538. Anf.: „Item Nurmberg ift durch kaifer Hainrich 
(der dann feinen vatter keiſer Hainrich vertriben hat) geimonnen wor: 
den“ — es werden nur die allerwichtigften auf die Stadt bezüglichen 
Creigniffe kurz erzählt und allein für die Gefchihte der Einführung 
der Reformation ein wenig ausführlichere ‘Daten gegeben. Letztere ge 
hen bis 1526, wo fie £. 4b mit folgendem Sate fchließen: „tem 
den 23 may im 1526 jar hat man die hohe ſchul zu fanct Egidim 
angefanngen der jugendt zu gutt, damit auch gefchidte leut auß inen 
werden mög, ſolchs, hat ein erberer rath wol angefehen.“ Hierauf 
mit Titelfehrift: „Bamberg“ — Notizen über 3 Aufftände zu Bam: 
berg: 1374, 1433 und 1525. Dann (Bl. 5): „Die endet ſych der 
von Nurmberg Cronica.“ Die folgende Seite ift leer geblieben und 
die nächſten Stüde find fpäteren Urfprungs (bis f. 27 die öfter vor: 
tommende Zujammenftellung der Erwerbungen der Burggrafen). 
Von anderer Hand gejchrieben und mit dem vorangehenden Ma— 
nuferipte erit fpäter zufammen gebunden: „*Von vriprung vnnd ber: 
kummen der Löblichen reychſtadt ſchwebiſchen Hall.“ Anf.: „Von 
meinem vatterlandt der löblichen reychſtadt fchwebilchen Hall zu fchrei- 
ben nach langer erforichung vnnd gehabter muhe habe ic) Fein gang 
volkumene gewifhaitt in fchrifften mögen erfaren, von weme dife ftadt 
erftlich oder warn gebawen“ —. Ohne Zweifel die Chronik Georg Wieden- 
mann’® (vgl. Adrian cat. codd. mss, bibl. acad. Gissens. n. 485). 
(43.) Chart. s. XVI fol. *Nürnberger Chronik bis 1557. 
Im Wefentlihen eine Umarbeitung der Chronif Anton Kreutzer's, 
entfprechend derjenigen, welche in der Abſchrift eines Manuſcripts des 
Mergentheimer Archive im cod. Schwarz n.402, fol. der Nürn- 
berger Stadtbibliothet vorliegt, nur daß der Bauernkrieg bier fo gut 


132 Berzeichniſſe von Handſchriften zur deutſchen Gtäbtegefchichte. 


zu S. Lorenzen Joh. Holvelt her. (Gegen Ende ein Ablaßbrief des 
Biſchofs Albert von Bamberg d. d. 27. Februar 1420.) f. 1180: 
Schreiben des Raths von Nürnberg an Bürgermeifter und Rath von 
Rotenburg a. d. T., Brig Stahel betreffend. d. d. 1430, Auguft 8. 
f. 168°: Brief König Richard (II.) von England an Pabſt Bonifaz 
(IX.) — scriptum in manerio nostro de Langeleye primo die 
mensis may. O. J. 

(61.) Chart. s. XV. 4°. Aus dem Klofter S. Mang in Füf- 
fen. (empt. 1467.) — f. 142 und 143 Verlündigung des von Pabft 
Nikolaus V. 1451 gewährten Ablafjes, für die Stadt Nürnberg. Das 
Ende diejes Aktenſtückes ift zugleich mit einigen der folgenden Blätter 
herausgerijfen. Hierauf folgt ein Brief aus Bafel über die Angele 
genheiten des Konzils. 

(60.) Chart. s. XV. fol. Enthält u. A. viele Briefe aus der 
Scheide des 14. und 15. Yahrh., welche ſich auf das Kirchenweſen 
der Bamberger Diöceſe und insbefondere von Nürnberg beziehen. 

(78.) Chart. s. XV. Aus ©. Mang. Enthält auf zwei Blät- 
tern am Ende Gregor von Heimburgs PVertheidigung gegen feine Er 
communication. 

Chart. s. XVII. fol. Nürnberger Chronit bis 1606. 

Chart. s. XVI fol. Nürnberger Chronik bis 1590. 

(50.) Chart. s. XVI. fol. *Nürnberger Chronit, 1561 für 
Mar. Reinhart abgejchrieben und durch den Befiger felbft fucceffive 
bis zum J. 1604 weiter geführt. Der frühere Theil zeigt wörtliche 
(fogar die Tagesangaben von Beginn und Vollendung der Abjchrijt- 
nahme mitumfaffende) Uebereinftimmung mit einer 1555. abgefaßten 
Chronif, weldye in cod. 1441 (fol.) der Erlanger Iiniverfitätsbiblio: 
thek vorliegt. Während aber letstere im zufammenhängenden Texte 
beim 3. 1552 fließt, fährt diefe mit gleicher und größerer Aus 
führlichfeit die folgenden Jahre hindard) fort. Reinhard, der |päter offen: 
bar eigenhändig weiterfchrieb, giebt dann auch Nachrichten über feine 
Berfon und Familie. Beim 3.1578 find (Bl. 148°—149%) zunädjit 
mit der Auffchrift: Von den brunen aufi der Haller wiesen 
kurze chronifalifche Angaben aus dem 15. Jahrh. eingejchaltet, die 
fich durch folgende Stelle als Ueberreſte einer fonft unbekannten gleidy- 
zeitigen Aufzeichnung zu erfennen geben: Item in 1430 jaren vor 





Berzeichniffe von Handſchriften zur deutichen Städtegefchichte. 188 


zehen dagen vor Michelhelij da kenpffen zwien man midt 
einander auff dem markt zw Nurmberg da starb der ein der 
leidt begraben leyt bev vnseren frauen pruderen kloster da 
bey wasß ich Fritz Nitzel vnnd soh mit mein augen. @inige 
Notizen fcheinen aus Schürftab genommen. Die ſpäteſte Yahrzahl 
ift 1482. 

(57.) Chart. s. XVI ex. fol. „Rathswahl oder Burgermel- 
fterbuech der ftatt Rurmberg.* Mit mehreren Wappen geziert. f. 6: 
Hernach stehet geschriben das allmosen zu des Fridrichen 
Haimendörffers seelgereth vnnd zu dem guldentrunck den 
armen krancken vnd durfftigen menschen im Newen Spital 
dienendt. — f. 385 wahrſcheinlich aus der (nicht mehr erhaltenen) 
Stadtrecdhnung des betr. Jahres: Item inn Bertholt Holtzschu- 
chers vnnd Petter Nutzels frag alls man zallt 1362 jar ist 
VIrich Stromeir zur rosen, Fritz Behaim senior, Albrecht 
Ebner senior, Bertholdt Tucher, Bertholdt Haller, Hanns 
Langman, Fritz Kopf vnnd der Katterpeckh zu kayser Karl 
gen Lauff inn der statt sachen geschickt. 

Chart. s. XVII fol. Nürnberger Chronik bis 1603. 

Chart. s. XVI ex. fol. Nürnberger Chronik bis 1587. Schließt 
mit dem Gedichte auf den jchönen Brunnen. Dann noch von derjel- 
ben Hand Zauberprocejje aus den letzten Decennien des 16. Jahrh. 

(58.) Chart. 8. XVI 4%. Zwei Sprüde von Lenhart Flexlein 
aus Regensburg, über Schießen, weldye 1550 zu Nürnberg, Lauf und 
Sulzbady gehalten wurden. Nebft den betreffenden Schiegorbnungen 
und vielen Abbildungen. 

(55.) Chart. s. XVII. fol. „Anfang und ftifftung der car- 
thaufjen zu Nurmberg.“ Verneuernde Abfchrift von den Aufzeichnun- 
gen des Kartheuſermönchs Sixt Olhafen aus dem J. 1541, deren 
Original fih im Nürnberger Archiv (n. 81 d. hift. Mſſ.) befindet. 
Hterauf: Genelogia (sic‘ masculina et foeminina familiae anti- 
quae Mendellorum Noribergensium patriciorum nobilium. — 
Conscripta a Georgio Mendello suae prosapici huiusue fami- 
liae excepto parente eiusque fratre. vltimo. anno 1607. mense. 

(44.) Chart. s. XVII. fol. 460 Bl. Aus der Bibliothek des 
Dr. ‘ob. Hoefel (Hofelius)., „Bon des ftifft® Fulde anfang vndt 


184 Berzeichniſſe von Handſchriften zur dentſchen Gtädtegefchichte. 


vori denfelbigen regierenden Äbten.“ Ihrem Inhalt nach mehr eine 
Chronik des Frankenlandes. Bis 1611 (f. 143) von Einer 
geichrieben. Dann folgt eine Fortfegung von 1611 — 1626, Die zu 
Kitzingen entftanden ift und vorzüglich auf diefe Stadt Bezug nimmt. 
f. 219 — 254: Lorenz Fries, Wirzburg. Chronik, Unvollftändig.e — 
f. 256— 286: Altenftüdes. XVI ex. und s. XVII in. betreffend die 
Graffchaft Schwarzenberg und ihr Verhältniß zu Brandenburg und 
Wirzburg. — f.309— 3115: „Clag (Gedicht) eine armen falßfie- 
ders über den wallenfteinifchen einzug zu Hal in Sachſen“ — wie 
denn der ganze letzte Theil der Handſchrift aus Altenftücken, Briefen, 
Brophezeiungen u. dgl. aus der Zeit bes dreigigjährigen Krieges (be 
fonder8 dem %. 1628) beſteht. 

(56.) Chart. s. XVI in. (Aus dem Kloſter S. Mang in 
Füffen.) £.1—149 Vita s. Magni. f.150 Leben des Abtes Bened. 
Furtenbach in lateinifchen Werfen. f.150'%: P. Hadrians Breve an 
Churf. Friederich wegen Luther. £. 156—161 reformirte Kloſtergeſetze. 
f. 1630—164* *Beichreibung von Erzherzog Ferdinands Einzug in 
Stuttgardt am 25. Mai 1522. f. 165: Bulla contra errores 
Martini Luther et sequacium. Cum mandato reuerendissimi 
domini (Christophori) episcopi Augustensis (d. d. 8. Novemb. 
1520) — nebft der Bulle Leo's (vom 1. Juli 1517) Ad perpetuam 
rei memoriam. — f. 191 sq. das Wormfer Ediet Karl V. 

Chart. s. XVI. fol. Reichsabſchied von 1576. 

Chart. de a. 1463. Der Eoder enthält Mben anderen Manu—⸗ 
jeripten theologifchen Anhalts und einem Drude: auf 59 Bl. das 
bayerifche Yandrecht von 1346. 

(52.) Chart. s.XVI. 4°. Auf dem Titelblatt fteht: Chronica 
conscripta a parente meo D. Friderico Myconio; dann ift auf 
der folgenden Seite bemerkt, daß M. S. Seidel die Handſchrift 1660 
ex bibl. Joh. Aurifabri erworben habe. Sie enthält zunächſt die 
Reformationsgeſchichte des Fried. Myconius ımd die damit verbundene 
Chronik der Stadt Gotha. E. ©. Cyprian fagt in feiner Ausgabe 
derfelben (Fr. Myconii hist. reformationis vom %. Chr. 1517 
bi8 1542. Leipzig, 1715 (1718).) daß er fie aus dem zu Gotha be- 
findlichen Autograph des Verfafjers entnommen habe. Wir haben es 
aljo hier wohl mit einer für feinen Sohn oder von diefem gefertigten 





Berzeichniffe von Handſchriften zur deutfchen Städtegefchichte. 135 


frühen Abfchrift zu thun. — f. 90* ftehen die Schlußworte überein- 
ftimmend mit denen des ‘Drudes (ed. 1718, p. 128.) — Beigebim- 
den find dann noch verfchiedene andere der Neformationszeit angehörige 
Schriften (Briefe, Wittenberger Univerfitätsalten u. A.). 

(62.) Chart. s. XV. fol. 122 Bl. Eine an des Eusebius 
Kirchengefchichte fich anfchliegende thüringifche Chronik. Sie geht bie 
1327; dann folgen noch kurze Nachrichten, die vorzüglich auf Erfurt 
Bezug haben und am Ende fteht: Explicit hystoria Eusebij per 
me Johannem Stirner de Noua ciuitate studens alme vniuer- 
sitatis Erffordensis sexta feria post omnium sanctorum anno 
dom. MPCCCC® quinquagesimo octauo. — Die Handſchrift, welche 
wenigftene am Schluſſe feine Webereinftinnmung mit dem chron. 
Sampetr. oder den Annal. Reinhardsbr. zeigt, fcheint einer nähern 
Unterſuchung werth zu fein. 

In einem gedrudten Miffale von Richenbady finden ſich gleich- 
zeitig eingefchriebene Notizen über die Vermählungen, Geburten und 
Zodestage der Grafen von Helfenjtein: 1482— 1563. 





I. 
Handſchriften des ungariſchen Nationalmuſeums zu Pep. 


Zweck meiner gegen Ende des Jahres 1860 im Auftrag der 
hiſtoriſchen Commiſſion unternommenen Reiſe nach Peſt war neben 
der näheren Unterſuchung einzelner für die Edition der Städte⸗ 
chroniken zunächſt ſchon in Betracht kommender Handſchriften eine 
möglichſt ausführliche Beſchreibung auch der übrigen für die Geſchichte 
der Stadt Nürnberg und die Herausgabe ihrer Chroniken wichtigen 
Manufcripte!). Die in diefer legteren Beziehung gewonnenen Refultate 
follen in gelürzter Faſſung hier vorgelegt werden. Es konnte nicht die 
Abficht fein, die reichen Schäße, welche das ungarische Nationalmufeum 
auch für deutsche Gefchichte beſitzt und deren ältere mehrfach ſchon 





1) Bgl. Herrn Profefſor Hegels dritten Bericht über die Herausgabe 
der Gtädtechroniten S. 101 u. 102. 


136 Berzeichniſſe von Handſchriften zur deutſchen Gtädtegeichichte. 


benutzt mwurden,!) felbjt nur für die beiden legten Jahrhunderte des 
Mittelalters vollftändig aufzuführen. Vielmehr beſchränkte ſich Die Unter: 
ſuchung lediglich auf das noch weniger beadhtete die Stadt Nürnberg faft 
ausſchließlich betreffende Dlaterial zur Städtegefhichte. Und danach be 
ftimint ſich auch das Verhältniß, in welchem die folgenden Weittheilungen 
zu der von Berg im Archiv der Gefellich. f. ält. deutſche Geſchichtskunde 
Bd. VI. gegebenen Beichreibung von Handichriften aus der Samm: 
lung des Herrn von Jankovich ftehen, von welch leßterer der bei 
weiten größere Theil mittlerweile in das ungarifhe Nationalmufeum 
übergegangen war. Bieles hat und vorgelegen, was Berk nicht bekannt 
geworden, Anderes jtellte fich und, entiprechend dem fpeciellen Zweck 
der Nachforſchung, unter neuen Gefidhtspunften bar. Manches dagegen, 
was dort ſchon ausführlicher bejchrieben worden war, durfte bier 
ganz unberührt bleiben, oder brauchte nur kurz erwähnt zu werden. ?) 
— Neben der Hinweifung auf die Pert’fche Beichreibung haben wir 
den einzelnen Handjchriften, welche aus ber berühmten von Hier. 
Wilh. Ebner von Eſchenbach hinterlaffenen 1820 zu Nürnberg verftei- 
gerten Bibliothek ftammen (und das ift bei der überwiegenden Mehr⸗ 
zahl der Fall) die Nummer des Katalogs derfelben beigefügt: inwies 





1) Wattenbad hat bei feinem Aufenthalte zu Per im I. 1858 auch die 
Nürnbergifhen Handſchriften gefehen, wandte feine Thätigkeit aber anderen fer 
nen Zwecken näher liegenden Theilen der Sammlung zu. Bgl. Iter Austriac. 
(Arch. f. Kde. oefterr. Geſchichtsquell. XIV.) 

2) Die von Perg ©. 155 n. 54. erwähnten Ardjivalien fonnten anf 
dem Nationalmufeum derzeit nicht vollftändig aufgefunden werden. Bielleicht, 
daß fie nicht alle aus dem Befite des Herrn von Jankovich in den des Mufeums 
übergingen, oder daß, wie Herr Kuftos Matray vermuthete, ein Theil derfelben 
in der nod) ungeordneten Urkundenjammlung des Mufeums fid) befindet. Nenn 
Bände von Imhoff angelegter Collectaneen zur Geſchichte Nurnbergiſcher Ge 
fchledhter find der Bibliothek als Ms. germ. fol. 40. eingereiht. Sie enthalten 
außer genealogifchen Zufammenftellungen, die meift erft dem 17. Jahrh. ange: 
hören, für einzelne Familien Urkundenregeften und ganze Schriftſtücke des 15. 
und 16. Jahrh. im zum Theil gleid;zeitigen Kopien. — Die Chronik, welche 
Bert ©. 153 n. 39. nennt, fand ich nicht vor. Es mag hier aber bemerkt 
werden, daß die dort angeführten Schlußmworte derfelben einer Reihe die Zeit- 
geihichte betreffender Verſe angehören, weldye an den bezüglichen Stellen fid 
öfters Nürnberger Chroniken eingejchaltet finden. 





Berzeichniffe von Handfchriften zur dentſchen SGtäbtegefchichte. 187 


fern felbe nicht fchon in dem betreffenden Manufcripte felbft bemerkt 
war foweit die dürftigen Inhaltsangaben des Kataloge die Identität 
ertennen ließen. Der bereitwilligen Unterftügung, welche der Herr 
Bibliothekskuſtos Gab. Mätray meinen Arbeiten auf dem ungarijchen 
Nationalmuſeum angedeihen ließ, habe ich mit befonderem Dante 
zu gedenken. 





Cod.lat. fol.45. (Nie. Jankovich.) Chart. s. XVIII. 1101 pg. 
Bibliotheca Norimbergensis sive catalogus scriptorum quorum 
auctores vel nat. Norimbergenses fuerunt vel sub illustri 
hac republica publico munere sunt functi ut et auctorum 
extraneorum, qui de personis aut rebus Norimbergensibus 
scripserunt. Tom. 1. 

Cod. lat. fol. 46. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVIII in. 
118 pg. Notatu digniora de uno alterove bibliothecae Norim- 
bergensis codice manuscriptoe. — Wie e8 ſcheint Originalma- 
nufeript eine® Bibliothekars. 

Cod. lat. fol. 1281. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVI in. 
97 DU. mit alter Folür. Der Einband ftammt aus dem 16. Ih. 
umd trägt die Auffchrift: Der Nurmberger Cranica. Voran gehen 
5 leere Bl. An der Rückſeite des folgenden Blattes Tateinifche Verſe 
auf das Wappen der Stadt. Hierauf ift ohne Zweifel das Mappen 
zugleih mit dem Titel herausgeriffen. Es folgt der lateinifche Text 
von *5. Meiſterlins Nürnberger Chronik. — f. 2 die prefacio. — 
f. 30.: — tutelam castri — commisit prefecto Gottefrido et 
Cunrado de Razaza — (vergl. die Ausg. bei Ludwig rel. mss. 
VIII: p. 47.) Die Chronit ift volfftändig, die folgenden Blätter des 
Codex aber find herausgeriifen. 

Cod. lat. fol. 1282. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVII 
in. 158 pg. Exaratio rerum gestarum inclutae civitatis New- 
ronbergensium. autore Sigismundo Meisterlin. Anno dnı. 1480. 
Wohl ibentifh mit der Bibl. Ebner. cat. vol. V, p. 75, n. 123 
aufgeführten Handſchrift. — Vergl. Perg, Ardjiv VI, 152, n. 36. 
Am Schluß folgt nur noch der kurze Bericht (Mlüllners) über die 
Entftehung der Chronik. 

Cod. lat. 4°. 508. (Nic. Jankovich.) Norimbergensis mis- 

® 


188 Berzeichniffe von Handfchriften zur dentſchen Staͤdtegeſchichte. 


cellanea historica. s. XVII—XVIII Enth. u.%.: Dicta testium 
in causa Rech. 1522., und auf diefelbe Angelegenheit bezüglich: Acta 
vetera abbatiae S. Aegydii Norimberg. decima attinencia. 

Cod. lat. 4%. 546. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVII ex. 
106 pg. De claris Norimbergensibus — qui Norimbergae 
libris vel artibus inclaruerunt. Alphabetifch geordnet. 

Cod. germ. f6l. 6. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVII. 34 pg. 
„Dreifadher Beriht von der Bibliotheca Reipublicae Noriber- 
gensis.“ „Wie diefelbige A,. 1647. Von anfang meines, Iohannis 
Michaelis Dilherri, Bibliothecariats beidhaffen gewejen, und in 
der darauf angeftellten langwährigen Revision, eind und das andere 
befunden, auch nachmahls Herrn Lucae Friderich Beheims und Herrn 
Georg Im Hofs, als damahliger herren SKirchenpfleger Herrlichkeiten 
unterthänig hinterbracht und angezeiget worden; aber weiter nicht hat 
können geändert werden.” — p. 7.: „Anderer Bericht Was in ber 
Bibliotheca Reip. sub Bibliothecariatu Johannis Michaelis 
Dilherri gearbeitet und nach müglichkeit verbeßert worden.“ p. 13.: 
„Dritter Bericht, wie man ſich Fünfftig in die Bibliothec richten und 
felbige in guter ordnung erhalten möge.“ Hier ift auch eine Beſchrei⸗ 
bung der Handfchriften in der Bibliothek angefügt. 

Cod. germ. fol. 31. Chr. Jac. Imhoff, Atlas geneal. fam. 
Haller de Hallerstein. Tabellariſch. Ohne Citate. 

Cod. germ. fol. 42. Chart. s. XVI. 68 Bl. Geſchlechtsbuch des 
Endres Imhoff (geb. 1491). Anf.: Al nome de Dio. Anno 1565. 
jm Febrer angefangen. Nachrichten über des Verfaſſers Vorfahren 
und feine eigene Familie. BU. 22 ff. auch einige biographifche Notizen, 
die nicht ohne Hiftorifches Intereſſe ſind. Herausgerijfene Bruchtheile 
diefer Handjhrift in cod. Germ. 40. VII unter Schlauderspacher 
und 40. VI unter Muffel. 

Cod. germ. fol. 43. Chart. s. XVII. 14 Bll. Imhoff'ſches 
Gefhlehtsbuh mit Wappen. 

Cod.. germ. fol. 45. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVII. 
91 OU. — Chr. Jac. Imhoff urbis Augustae Vindel. fami- 
liarum genealogiae et effigies. 

Cod. germ. fol. 329. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVII. 
98 BU. Norimbergensia acta, diplomata, contractus, corre- 


D 


140 Berzeichniffe von Handjchriften zur dentſchen Gtäbtegefchichte. 


184 bejchrieb. und einige leere BU. am Ende — "Nürnberger 
Chronik bis 1552. Wenigftend in ihrem fpäteren Theile erft nad 
1563 abgefaßt. Der Verfaffer kannte und benugte die Chronik N. 
Kreugers, folgt ihr aber nicht überall, am wenigiten in der Auffaffung, 
da er ein Fremd und Anhänger der Reformation if. — Bei der 
Erzählung vom Gefellenftechen des %.1451 (f.100 u. 101.) Hat ihm 
eine amtliche Aufzeichnung vorgelegen. 

Cod. germ. fol. 343. (Nie. Jankovich.) Bibl. Ebner. cat. V, 
p. 81, n. 193. Perg, Archiv VI, 153, n. 41. Chart. s. XVI ex. 
689 beſchrieb. BU. — f. 1—667 "Nürnberger Chronik von M. 
Adam Sengeifen (der Name des Verfafjers in der Auffchrift nur an- 
gedeutet ſteht ausjchrieben beim J. 1546, wo berjelbe jagt, daß er 
bei Luthers Leichenbegängniß zugegen gewefen). Der Titel trägt das 
Datum: „1583 den 18 Yunj.“, und nad dem Regiſter zu ſchließen 
war die Chronik bis 1591 fortgefegt. Die vorliegende Handſchrift geht 
aber nur bis 1553, bei welchem Jahre fie mitten im Sate (f. 667. 
abbricht. — f. 6675 ijt leer geblieben. — f. 668—689: „Bejchrei- 
bung deß h. reichs ftatt Nürnberg ftätt, märdh, fchlöfer vnd clöjter 
off dem land, fo fie von den vöm. keyſern vnd dem königreich Böhem 
zu lehen auß gebracht vnd theil® aber für aigen erlaufft vnd in ander 
weg erlangt.“ Aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. 

Cod. germ. fol. 344. (Nie. Jankovich.) Chart. s. XVI. 
572 Bl. Yoran geht auf 6 ungezählten Buättern: „Summtarifcher inn- 
halt vnd bejchreibung aller romifchen kaiſer nad) ihrer füccefsion.“ — 
Hierauf nad) einem leeren Blatte der mit dem Reichsadler und dem 
Wappen der Kurfürften geihmüdte Zitel einer *Nürnberger Chronit, 
welche den übrigen Theil des Codex füllt. Ihre ziemlich lange Vorrede 
trägt da8 Datum: „Nürmberg am newen jard tag“ 1568. — 
f. 4—59 (alter Foliir.) das Regiſter. Unmittelbar auf dieſes Folgt 
dann ohne Zitel (41 BU. mit eigener ebenfalls dem Eoder gleichzeitiger 
Foliirung) der deutjche Zert von *Konrad Celtes Schrift: de situ 
moribus ct institutis Norimberge. Und hierauf (abermals mit 
neuer Foliirung) ein einleitender Bericht über den Stand „damit jtzundt 
zu diefen zeiten die ftatt Nurmberg begnadet ift“ — mit dem häufig 
wiederfchrenden Anfang: „Nürmberg das weytberümpt vnd löblich 
gewerbhauß in dem gangen Theutſchenlanden“ — f. 4a endlih: „An- 








142 Berzeichniffe von Handſchriften zur dentſchen Stadtegeſchichte. 


Bonifacius Deufenbach. Die Vorrede iſt vom 14. Februar 1554 da⸗ 
tirt, die Chronik ſelbſt bis 1567 fortgeſetzt. Der Verfaſſer folgte 
insbeſondere A. Kreutzer. Beim J. 1557 iſt das Gedicht: Markgraf 
Albrechts Himmelfahrt (von Hans Sachs) eingeſchaltet. — Dieſes 
Manuſcript iſt wohl identiſch mit dem von Pertz, Archiv VI, 153, 
n. 42 aufgeführten. — Eine fpätere Redaction deifelben Wertes findet 
fi) auf der Nürnberger Stadtbibliothet Wilk L n. 233. 

Cod. germ. fol. 347. (Nic. Jankovich.) Bibl. Ebner. cat. V. 
p. 75, n. 131. Chart. s. XVII. 1051 pg. Chronit der Stadt 
Nürnberg 1518—1615. An ein Schempartbuch anſchließend. 

Cod. germ. fol. 348. (Nic. Jankovich.) Wahrſcheinlich aus 
der Ebner'ſchen Bibliothek. Berg, Archiv VI, 154, n. 47.C. (A 
und B — vgl. unten cod. germ. fol. 359 find jegt von C ges 
trennt und werden bejonders aufgeführt.) Chart. s. XVII/XVIIL 
173 BU. Bon den Ercerpten diefer Handjchrift verdienen nur wenige 
Beachtung. f. 55°: „Extract ctlicher denkwürdigen fachen fo nit 
in allen Chroniken zu finden, auß einer gefchriebenen Chronica abge 
ſchrieben. 1646.” Der Berf. der hier excerpirten Chronik hatte Kreußer 
benugt, war aber reformatorijc gefinnt. Die Auszüge ſchließen f. 64% 
beim %. 1550, nachdem vorher fchon (f. 59%) das %. 1554 erwähnt 
worden. — Unter dem bei Per als „aus Meyſterlins Ehronica von 
1397—1546* genommen aufgeführten Excerpt haben wir wohl das 
mit folgender Auffchrift beginnende zu verjtchen: „Excerpta aus 
einem buch in folio in roth leder eingebunden mit claufuren in 
welchen erjtlich des Meiſterleins lateinifche Chronica fehr alt gefchrie- 
ben, mehr ein anfung und extract aus Konrad Hallerd buch und 
dann eine Chronica von einen (sic) Creuger zujamgetragen fo noch 
catholiſch war und darimmen fehr über die reformation jchmählet, 
doc) offters von einer andern hand nit rother, dinte jo auch zumlich 
alt wicderleget wird. es ift gefchrieben tempore reformationis und 
gehet ohngefehr bis auf die helffte des 16. seculi — gehoret S.J. G. 
Thomasio.“ Die (unter der Rubrik „aus der Chronica“) folgenden 
mit dem J. 1397 beginnenden Auszüge find aus Kreuger und ſchei— 
nen einer eigenthümlichen Faſſung feiner Ehronif entnommen. Sie 
ſchließen: „1546 wurde ein 9 auf ein maas wein und 1 heller auf 
das bier geleget und war dazumahl unter der ungeld gemeine geredet 


144 Berzeichniffe von Handſchriften zur deutſchen Stäbtegeichichte. 


p. 77, n. 150. Berg, Archiv, VI, 154 n.46. Chart. s.XVL 108 BL. 
— *Anton Kreußers Nürnberger Chronik. Eine der fpäteren Redactio- 
nen (vom J. 1552) mit der Eintheilung in fieben Theile — am nächſten 
der im Ms. Bamb. J. H. IIL, 50 (vergl. Nachricht. v. d. Hift. Comm. 
Ihrg. L Et. 3. ©. 23.) überlieferten Form der Chronik verwandt. 
Doch ijt die vorliegende Handſchrift an vielen Orten vollftändiger. 
Interpolation und Fortſetzung find, fo meit fie von derfelben Hand 
herrühren, wohl auf den Abfchreiber zurüdzuführen. Letztere bricht 
mit dem Schluſſe des Coder plößlic ab, fo daß fie in einem an- 
deren Bande fortgeführt fein mochte. Die Jahreszahl 1579 auf dem 
Zitel bezeichnet ohne Zweifel die Zeit der Abjchriftnahme. 

Cod. germ. fol. 357. (Nie. Jankovich.) Bibl. Ebner. cat. V, 
p. 76. n. 136. Perg, Archiv, VI, 155, n. 50. — Chart. s. XVI 
ex. 149 BU. Woran geht auf zwei Blättern ein Verzeichniß der Nürn- 
bergifhen Schultheißen. Dann f. 1: *, Vrſprung vnd anfang der ftatt 
Nurmberg mit iren alten vnnd vorfahrenden gefchichten zum andern 
mahl abgefchrieben durch Johann Krayner (fo möchte ich lieber als 
Kraptter lejen) dem eltern burgern zu Nurmberg im 1592 jar den 
28 Auguftj in Bamberg.” Die mit dem eben verzeichneten cod. 356. 
nahe verwandte Handjchrift „enthält im Wejentlichen ebenfall® Anton 
Kreutzers Chronik, nur mit erheblicheren Abſchwächungen und oft fehr 
unverftändigen Kürzungen. f. 81 findet fid) nad) dem J. 1551 eine 
größere Lücke. Mit dein Ende des J. 1570 hört hier (f. 119) die 
Fortſetzung auf. E8 folgen werthlofe Aufzeichnungen des 17. Jahrh., und 
nachdem vicle Blätter leer geblieben noch ein Verzeichniß der Yofunger. 

Cod. germ. fol. 359. (Nic. Jankovich.) (Bibl. Ebner. cat. V, 
75, 124?) Chart s. XVIL—AÄI und 81 BU. — Der Codex ent: 
hält die bei Berg, Archiv, VI. 154, 47 (A) u. B aufgeführten Jeürn- 
berger Ghronifen. Hier jei nur bemerkt, daß die erjte derjelben ein 
ganz werthlojes Bruchſtück ift. 

Cod. germ. fol. 360. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVIL 
261 Au. Nürnberger Chronit 16001690. Gleichzeitige Aufzeichnun: 
gen mit Bildern. 

Cod. germ. fol. 362. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVII]. 
398 BU. Nürnberger Ehronif 1532—16U0. 

‚Cod. germ. fol. 363. (Nic. Jankovich.) Bibl. Ebner. cat. V, 





Berzeichnifie von Handſchriften zur deutſchen Etäbtegeichichte. 145 


p. 76, n. 134. Perg, Archiv, VI, 155 n. 51. Chart. s. XV. in 
fol. obl. 212 Bl. Nürnberger Chronit 1600—16%. 

Cod. germ. fol. 365. (Nic. Jankovich.) Bibl. Ebner. V, 
p. ĩõ, n. 122. Perg, Archiv, VI, 155 n. 49. Chart. s. XVII. 
177 AU. Nürnbergifhe Geſchichten 1611—1024. 

Cod. germ. fol. 367. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVL 
91 beſchr. Bu. — Auf dem erften Blatte jteht: „von mir Chrijtoff 
Göpner.* Dann beginnt, nachdem ein Blatt leer geblieben, die Vorrede 
zu einer *Nürnberger Chronik, die fid) zum Theil an die Chronik A. 
Kreutzers anſchließt. f. 46 jteht die Erzählung beim 16. Jahrh., und 
nachdem zu den Jj. 1555, 1556, 1558 nur Weniges, zu 1559 gar nicht® 
angemerft worden, ſchließt fie beim 10. Auguft 1560 (f. 676). Noch 
folgt dann von derfelben Hand, aber mit ſchwärzerer Tinte, eine Nach⸗ 
richt zum J. 1571. Hierauf f. 88%: „Von dem grofien chriſten fieg 
auff dem Jouiſchen oder Aufonijchen meer wider den Türcken, jo bei 
denn Porto le Pante jonfien Naupactus genant aus jonderbarer 
ſchickung Gottes erhaltenen worden ijt den 7. tag octobri® an 1571 
jar.* Bis f. 91, dann leere Blätter. 

Cod. germ. fol. 368. (Nie. Jankovich.) Bibl. Ebner. 
cat. V, p. 84, n. 213. — Chart. s. XVO. Der Goder enthält: 
1. Nürnbergifches Hochzeitbüchlein 1353—1644. — 2. Auszug aus 
dem DBerzeichnijje der Perfonen, welchen man zu S. Zebald mit der 
großen Glode geläutet. (Scheint der Urfchrift entnommen.) — 3. Ges 
jtorbene Perfonen (zu Nürnberg) 1540 — 1570. (Aus den Zodten- 
büchern.) 

Cod. germ. fol. 370. — Bibl. Ebner. cat. V, p.79, n. 175. 
Chart. s. XVII. Müllner's Relationen mit einigen interejjauten 
Beigaben. Zwiſchen f. 8 und 9; gleichzeitige Kopie von Kardi- 
nal Beſſarion's Schutzbrief für die Nürnbergiſchen Juden d. d. 
16. März 1460. 

Cod. germ. fol. 376. (Nic. Jankovich.) Biblioth. Ebner. 
(cat. vol. V. p. 118 n. 4.) »erg, Archiv, VI, 150, n. 34. 
Chart. sec. XV in fol. oblongo. Alter Pergamentband, auf dejjen 
Rüdjeite die Aufſchrift: krig püchlein. Berg hielt diefen Coder für 
da8 puch mit eyn lidrem copert dar inn stet der handel des 
krigs vom marggraffen vnd der stat Nuremberg, welches Hans 


146 Berzeichniſſe von Handfchriften zur dentſchen Staͤdtegeſchichte. 


Tetzel 1464 feinen Kindern hinterließ (vergl. Ar. S. 158.), wofür 
außer dem Alter des Manuferiptes allerdings auch der Fundort zu 
ſprechen fcheint. Die Bezeichnung des Einbandes (welcher ohne Zweifel 
der urſprüngliche ift) ſtimmt dagegen nicht, und auch da8 Zeichen (eine 
Art Hausmarke) erſcheint bei den beiden Handfchriften (der unferen 
und jener Tetzelſchen, welche die angezogene Notiz bringt) nicht ale 
dafjelbe. — Der Eoder enthält den gewöhnlid Erhard Schürftab zu- 
gejchriebenen **Bericht über den Krieg zwiichen Nürnberg ımd dem 
Markgrafen Albredit Achilles nebft ihren beiderjeitigen Verbündeten. 
Die hier vorliegende Faſſung, unverkürzt fonft nur noch in einer Hand» 
ſchrift der Bibliothek des germanischen Mufeums aufgefunden, unter: 
ſcheidet ſich wefentlich von derjenigen, welche die übrigen Handfchriften 
aufweifen. Mauches, wie der Umftand, daR fie allein den urfprüng- 
lihen in Art und Weife der Darftellung der übrigen Erzählung völlig 
gleichartigen Bericht über die Schlacht bei Pillenreut enthält (während 
die anderen Handſchriften eine Ausarbeitung von gänzlich verfchiedener 
Beichaffenheit geben), fodann die Bemerkung zum J. 1450: item 
do hernoch volgz (sic) daz iar noch Cristi gepurt ano dom. 
M°CCCCL daz man nent daz genaden reich ior dann got geb 
vns dor inn vnd alwegen waz vns nucz sey an sel vnd an 
leyb amen, und einiges Andere lafjen annehmen, daß diefe Re— 
daction dem urfprünglichen Texte in mehr als Einer Beziehung näher 
fteht, wie jene, weldye von den meijten anderen Handſchriften vertres 
ten wird, 

Cod. germ. fol. 377. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVIIL 
120 BU. — Miscellanea Norimbergensia. Bl. 115: Abjdrift 
bon dem Negifter „des Jartagsbuchs der Elöfter zur Sannt Yoren> 
zen pfarr.“ 

Cod. germ. fol.382. (Nic. Jankovich.) Bibl. Ebner. catal. V, 
p. 71, n. 72, 73. Es find zwei Bände in groß Folio. Chartt. sec. 
XV ex. et XVI. Wohl die Urfchrift zweier Theile einer großen 
Sammlung, welche Sebald Schreyer über alle feine Gerichtshand- 
lungen, Bauten, Stiftungen u. dgl. anlegte. Der erfte der hier erhal: 
tenen mit B bezeichnete Band (wohl ohne Zweifel der zweite der gan» 
en Sammlung) umfaßt die Jahre 1480—1494 und beginnt (ohne 
deberſchrift) Item Sebolt Schreyer ist von Katherina etwan 


148 Berzeichniffe von Handfchriften zur deutfchen Städtegefchichte. 


Cod. germ. fol. 386. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVI ex. 
et XVII. 341 BU. Bon verfchiedenen Händen gefchrieben. Titel: 
„Der ftadt Nurmberg regiment, policey, ordnung vnnd ftatuten vnnd 
was dem anhengig bierinnen zufammen getragen.“ „Anno 1635.“ 
Dauid Haiden zuftenndig.* Zunächſt Verzeihniffe der Schultheißen 
und Lofunger bis 1579. f. 9: Verzeichniß der Geſchlechter, die 
1583 zu Rathe gegangen. f. 10: Cpitalpfleger bi8 1635. f. 15: 
Wahl der Handwerker. 1584 gefchrieben. f. 24—188 Rathebud) 
nad) Weife der gewöhnlichen überaus häufig vorlommenden Verzeich— 
niſſe. f. 189—195: „Item hieherin ift ein verzeychnung eines ge 
haimmus meiner herrn von Nörnibergt wie ſych dye eltern hermn 
und darnach denn alten genanten, audy den hantwerdern inn der wal 
halten folen zu vermeydenn zand vnd zwichtradgtt und ale ding in gutter 
polycey mugen erhaltenn werdenn.“ Noch von einer hand des 16. Ih. 
gefchrieben. f. 198—207 : Ueber die Weifung der Reichsheiligthümer. 
1487. Iſt Abfchrift (s. XVII.) vom Drude f. 224 bis 239: 
„Drey alte hiftorifche Lieder auf der Nürmbergijchen Cronica gezo⸗ 
gen“ — die in Nürnberger Chronifen öfters vorlommenden Gedichte: 
auf die Schladht im Nürnberger Wald 1502. („Sunttag® vor fant 
Johannes tag, zogen die von Nurmberg auß“ ....) — auf Se 
baftian von Sedendorf (1512 zu Nürnberg hingerichtet) — auf Wil- 
heim von Grumbach („Mitt luſt fo will ich heben an“.. \ — 
f. 240: „Ein gründtlicher bericht aller verloffener fachen mitt dem 
reutter haupttman vnnd dem Hank Bertholt von Roſenaw margg. 
amptman zu Bayrßdorff.“ 1587. Gleichzeitig. f. 254: „Der newe 
iegtgemadhte lobfprudy von dem Schönprunnen zw Nürnberg). Der 
Reſt der Handjchrift enthält zum Theil Neueres. 

Cod. germ. fol. 389. (Nic. Jankovich.) Perg, Archiv, VI, 
102, 366. Chart. s. XVI. 66 beſchrieb. Bll. Deit Bildern, die 
Hauptleute im Schempart darjtellend. *Schempartbudy bis 1524 
(1525), mit hiftorijchen Notizen, die erjt im 16. Jahrh. reihhaltiger 
werden. Schluß mit der Nachricht von der Schlacht bei Pavia. Der 
Koder ijt ohne Zweifel identiſch mit Bibl. Ebner. cat. V,73, n. 104. 

Cod. germ. fol. 392. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XVIIL 
64 BU. Regeſten verfchiedener von Nürnberg abgefchlofjener Verträge. 

Cod. germ. fol. 550. (Nic. Jankovich.) Bibl. Ebner. cat. V, 





Berzeihniffe von Handichriften zur deutjchen Städtegeichichte. 149 


p. 84, n. 217. Chart. s. XVI. 415 pagg. Der Coder gehörte, 
wie das an der Innenſeite des Vorderdeckels aufgeklebte Holzfchnitt- 
blatt und fein ganzes Aeußere darthut, einst in die Bibliothek Dr. 
Chriftoph Scheurls. Am Schnitte ſteht die alte Bezeichnung: 278. 
Acta Haintz Bowmen. Anf.: Vertrag vnnd compromiss zwi- 
schen einem erbern rat der stat Nurmberg an einem vnd 
hern Hainrichen vom Gutenstain vnnd Haintzen Paum an- 
derftails zu Regenspurg auffgericht vnnd die rechtlich hand- 
lung zwischen gemelten rat vnd Haintzen Paum ...... 
So viel ich ſehen konnte, find die Akteuftüde alle aus den Jj. 1510 
bis 1512. Die Protokolle der Zeugenverhöre wurden mit in die Samm⸗ 
lung aufgenommen. — Der ganze Goder ijt mit Ausnahme der vier 
erjten Blätter von einer forgfältigen Hand geſchrieben. — (Eine 
amtliche Sammlung von Copien jämıntlicher dieſen Handel betreffender 
Aktenſtücke findet fi im fon. Ardivfonjero. zu Nüruberg n. 245 der 
hift. Mſſ.) 

Cod. germ. fol. 571. (Nic. Jankovich.) Chart. s. XV. 
482 pgg. Acta relig. Norimberg. Zuerjt Abjchrift der Artikel von 
1525, dann Späteres. 

Cod. germ. fol. 584. Nic. Jankovich.) Bibl. Ebner. cat. V, 
p- 89. n. 286. Perg, Ardiv, VI, 156 n. 5%. Chart. s. XV. fol. 
XIII und 65 Seiten. Der erite Theil der Handjchrift hat etwas 
Heineres Yormat als der zweite. p. I: Ein anfanck des almusen 
der czweltf armen manne pey den carthewsern etc. — Kurzer 
Beridht über deſſen Stiftung (durd) Konrad Mendel) im %. 1338. 
Dann folgt die hierauf bezügliche päpftliche Bulle. p. IV beginnt die 
Beſchreibung der inneren Einrichtung. — p.1: Wie man dem rat 
schencken sol zcu (sic) dem newen jar — im Folgenden wird 
die ganze innere und äußere Organijation des „Almufens“ dargelegt. 
p. 15-62: deutfches Kalendar mit Angabe deifen, was die Brüder 
an den einzelnen Tagen erhielten und zu verrichten hatten. — Zwi« 
Ihen beiden Theilen der Handfchrift befindet fi) cin Zettel, worauf 
verzeichnet ift, wie Konrad Mendeld Jahrtag bei den Kartheufern be 
gangen werden fol. — (Kine Abſchrift (s. XVIII.) wahrſcheinlich 
eben diefer Handjchrift befindet ficdy in der Nürnberger Stadtbibliothel 
Schwarz fol. 262. Cine Ilmarbeitung des Ganzen aus der erften 


160 Berzeichniſſe von Handſchriften zur deutſchen Stadtegeſchichte. 


Hälfte des 16. Jahrh. hat Waldau, vermiſchte Beiträge zur Geſch. 
d. Stadt Nürnberg, IV, 178—193 veröffentlicht.) 

Cod. germ. fol. 733. (Musei.) Chart. s. XVI. 115 pgg. 
Der Einband ift fortgeriifen. Enthält den erften (allgemeinen) Theil 
von dem in einem originalen Bracdhteremplare auf dem Archive zu Nürn⸗ 
berg (n. 151 d. hift. Diff.) enthaltenen Geſchlechtsbuche Konrad Hallers 
(v. %. 1536). Die Anordnung ift zum Theil verſchieden, doch fcheint 
der Coder nirgends mehr als das Nürnberger Manuſcript zu enthalten. 

Cod. germ. fol. 734. (Musei.) — Chart. s. XVI. 123 Bl. 
Zunädhft FA, Kreugerd Nürnberger Chronik in einer ihrer früheren 
Redactionen ohne Kapiteleintheilung. Sie geht hier bis 1545, wo fie 
mit dem Berichte über Hieronymus Baumgartnerd Gefangenfchaft 
abbricht (k. 80%). Die der Abfafjungszeit der Chronik fehr nahe fte- 
hende Handfchrift ift von Randgloffen zweifaher Art und einer Fort⸗ 
ſetzung begleitet: fürs erfte find mit lateinischer Schrift und rother 
Zinte zum Theil Inhaltsangaben, zum Theil gegen die Auffaffung 
Kreugers polemifirende Bemerkungen beigefügt; noch mehr Beach—⸗ 
tung verdienen aber die von einem Zeitgenoffen Kreuger® herrührenden 
Nachträge fachlicher Art, welche mit Schwarzer Zinte niedergefchrieben 
wurden; und von derfelben Hand ſtammt auch die jehr ausführlich gehal- 
tene Fortſetzung her, welche indeR fchon beim Jahre 1548 abfchlieft, wo 
am Ende die „Articul des vertrags dar ein der churfurft von Sachſen 
in zent feiner gefengnus bewilligen hat muſen“ mitgetheilt werden. — 
Hierauf folgt (f. 91°) mit der Auffchrift: „Hernach werden angezaigt 
vill alt bejchehener gefchichten vor vil jarn verloffen notwendig in 
bedendung zu behalten“ eine ziemlich durdhfichtige Compilation aus 
früheren Nürnberger Chroniken. Die Yahre ftehen bunt durd) einan- 
der. f. 113* heißt e8 ohne weitere Benterfung: Anno domini 1550 
— was die Abfaffungszeit anzudeuten fcheint. Die Angaben aus 
dem 16. Jahrh. können aud) eine felbjtftändige Bedeutung bereits 
in Anſpruch nehmen, fchon beim Jahre 1504 beruft fi) der Autor 
auf die Meittheilung eines Augenzeugen (f. 117,.).. Am Ente ift 
von derfelben Hand etwas fpäter eine Notiz zum J. 1551 beigefügt 
(£. 119%). — Hierauf nad) Ordnung der Jahre eine Kleinere Chronif 
„auß dem fchennpart buch gefchriben*. Sie ift nicht mehr vollftändig 
erhalten und bricht 1527 ab. 


152 Berzeichniffe von Handfchriften zur deutſchen Stäbtegefchichte. 


über den Markgrafenkrieg, der Redaction, welche in cod. germ. fol. 
376 vorliegt, entnommen. Am Schlnſſe defjelben ift die Berechnung 
der während des Krieges in der Stadt anweſenden Menfchenzahl (nad 
den Ordnungen bei Schürjtab) hinzugefügt. Hierauf folgt: Item nach 
Christi gepurt tausent czwaihundert 92 iar da warden die 
juden erslagen czu Nuremberg vnd in Francken vnd kunig 
Albrecht het seinen hof czu Nuremberg def selben jarß — 
eine zum Theil ftark fürzende Compilation aus der Nürnb. Chronik 
bis 1434 (1441) und dem hiftorifchen Theil Ulman Stromers (letz⸗ 
terer jcheint volljtändig anfgenonmen) nebft einigen auch fonjt vor: 
fommenden Zufägen. Zu leßteren gehört die ſchon bei Perk angeführte 
Schlußſtelle zum %. 1437/38. 

Cod. germ. 4°. 184. (Nic. Jankovich.) Chart. Im %. 1477 
angelegte Nürnb. Würgermeifterliften. Pflichten der Wähler. 

Cod.germ.4°, 187. (Nic. Jankovich.) Chart. sec. XVI/XVII. 
“Nürnberg. Chronif angefangen vund geschrieben durch Pau- 
lum Reschen von Königsfperg. Anno dom. 1559 angefangen 
den 10 Martii vnnd verneüert worden 1569 jar. — Die Chronil 
Ant. Kreugers, deſſen Anfichten befänpft werden, ift die Grundlage, 
bon welder der Verfaſſer ausgeht. Thatſächlich wird nicht mehr ge- 
boten und aud) die Widerlegung der Auffaffung geht nicht ins Einzelne. 
Die Schlufftelle zum %. 1542 ftimmt ebenfalls mit einer der früheren 
Redactionen Kreugers (vgl. Nachr. v. d. hiſt. Commiſſ. I. 3, 23.). 





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